Musikalische Interpretation bei Herbert von Karajan - karajan-research

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Musikalische Interpretation bei Herbert von Karajan - karajan-research
Musikalische
Interpretation bei
Herbert von Karajan
„Seine ganze Musikdeutung
 geht ja vom Klang aus“

Keynote Speakers

Elaine Chew
Werner Goebl
Peter Gülke

29. April – 1. Mai 2019
Internationales, interdisziplinäres
Symposion an der Kunstuniversität Graz (Palais Meran)

                                                        1

             www.karajan-research.org
Musikalische Interpretation bei Herbert von Karajan - karajan-research
Musikalische Interpretation bei Herbert von Karajan - karajan-research
Inhalt / Content
Programm / Schedule............................................................................................................ 4

Willkommen! / Welcome!.................................................................................................... 7

Abstracts.................................................................................................................................... 13

       „Analyse und Ästhetik musikalischer
       Interpretation“: Interdisziplinäre Podiumsdiskussion /
       Interdisciplinary discussion..................................................................................... 48

       „Von innen betrachtet“: Künstler-Gespräch /
       „Seen from the inside“: Artist Talk........................................................................ 50

       Abschlusskonzert Capella Calliope
       Concert Capella Calliope.......................................................................................... 55

Campus-Plan / Campus Map.......................................................................................... 59

Restaurants, Cafés, Bars......................................................................................................62

Kontaktadressen und KUG WLAN / Contact addresses and Wifi....................65
Programm
                                                                   Montag, 29.04.2019
    09:00                            Begrüßung und Einleitung

    10:00      Preview Dokumentation: „Karajan - Porträt eines Maestros“ | Sigrid Faltin

    11:00                                     Kaffeepause

    11:30           Glanz und Verwirrspiele musikalischer Perfektion | Peter Gülke

    12:30       Buchpräsentation „Herbert von Karajan“, Lucca 2018 | Alberto Fassone

    13:15                                     Mittagspause

    15:00                     Herbert von Karajan und Arnold Schönbergs
                       Variationen für Orchester, Op. 31 (1926-28) | Jürg Stenzl

    15:45                                                Karajan und Schostakowitsch –
                                                    Das Gastspiel der Berliner Philharmoniker
                                                     1969 in Moskau und Karajans Klang der
                   The Iconic Symphony:
                                                        10. Sinfonie | Alexander Gurdon
                  Performing Beethoven’s
              Ninth Symphony Wagner’s Way.
    16:30                                               Von der Aufführungsanalyse bis zur
                     Raymond Holden
                                                    Interpretationsgeschichte: Das "Handbuch
                                                      Musikalische Interpretationsforschung"
                                                                  Rainer Schwob

    17:15                                     Kaffeepause

    17:45                                               Zur visuellen Ästhetik Herbert von
                      Pflicht oder Kür?               Karajans: Orchesterfilm und Cover als
               Karajan und Haydns Sinfonien                 Medien der Interpretation
                       Klaus Aringer                   Stefan Schmidl & Werner Telesko

    18:30    Taking Shape with Karajan's Legato        Karajans Konzertfilm der "Symphonie
                       Adam Behan                     fantastique" (1971) | Lukas Hebenstreit

    19:15                                            „Das Schneiden ist genauso wichtig wie
                    Zur Dritten Sinfonie
                                                       das Dirigieren“ - Der Konzertfilm als
                   von Johannes Brahms
                                                       Utopie einer perfekten Performance
                       Jernej Mazej
                                                                 Jana Weißenfeld

       Legende Veranstaltungssaal:                           Kleiner Saal            Aula

4
Dienstag, 30.04.2019
09:30             Quantifying Karajan – Rhythm, Timing, and Tension | Elaine Chew

10:30                                        Kaffeepause

11:00 Evaluierung von Audio-to-Audio Alignment für (semi-)automatische Tempoanalysen
                                   Thassilo Gadermaier

11:45                Projektvorstellung TROMPA | Werner Goebl & David Weigl

12:30                                        Mittagspause

14:00       Karajan und Bruckner: Faszinierende         Herbert von Karajans Orchesterklang in
        Klanggestaltungen eines „absoluten Musikers“     den großen Violinkonzerten Mozarts
                     Alberto Fassone                             Bernadeta Czapraga

14:45         „Man frage also besser nicht                  Towards a new performing style:
         nach dem Warum.“ Herbert von Karajan              Karajan conducting Mozart’s piano
           und Jean Sibelius' Sechste Sinfonie                concertos in the early fifties
                  Thomas Wozonig                                   Adriano Giardina

15:30                                                      Gültiges Vorbild oder vergessener
            The Metamorphosen of Karajan’s
                                                        Traditionalist? Herbert von Karajan ... am
                   Metamorphosen
                                                       Beispiel von Tschaikowskys „Violinkonzert“.
                  Matthew Werley
                                                                      Julian Caskel

16:15                                        Kaffeepause

16:45          Podiumsdiskussion: „Analyse und Ästhetik musikalischer Interpretation"
                      Leitung: Reinhard Kapp | Impulsreferat: Karol Berger

                                                                   Mittwoch, 01.05.2019
09:30         Interaktion und gemeinschaftliche Kreativität in musikalischen Ensembles
                            unter der empirischen Lupe | Werner Goebl

10:30 Tracking Alignment of Interpretations in Musical Duos during Rehearsal | Laura Bishop

11:15                                        Kaffeepause

11:45         Herbert von Karajan und die                 „Just in Time“: Herbert von Karajan
        Geschichte der Beethoven-Interpretation          as an interpreter of Mozart’s Requiem
            auf Tonträger | Lars Laubhold                            Karina Zybina

12:30     Herbert von Karajans Einspielung des                    Performing Mozart
         "Abschied" im Kontext... | Christian Utz                 Raymond Holden

13:30                                        Mittagspause

14:30         "Von innen betrachtet": Künstlergespräch | Leitung: Reinhart von Gutzeit

16:30                                        Kaffeepause

17:00                  Konzert Capella Calliope | Leitung: Anke Schittenhelm

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Willkommen!
Welcome!
Sehr geehrte Damen und Herren
Als Wissenschaftslandesrätin freue ich mich sehr, dass das internationale
Symposium „Seine ganze Musikdeutung geht ja vom Klang aus. Musikalische
Interpretation bei Herbert von Karajan“ in der Steiermark, dem grünen Herzen
Österreichs stattfindet.

Die Steiermark ist das Forschungsland Nummer eins in Österreich und zählt
auch zu den innovativsten Regionen in Europa. Die vielseitige Forschungsland-
schaft bietet Forscherinnen und Forschern ideale Voraussetzungen für inter-
disziplinäre Zusammenarbeit und Vernetzung. Unser Bundesland ist daher ein
gefragter Ort für nationale und internationale Fachtagungen der verschieden-
sten wissenschaftlichen Disziplinen.

Mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz als Austragungsort
wird dem Symposium, das die bedeutende Arbeit des großen österreichis-
chen Dirigenten Herbert von Karajan in den Mittelpunkt stellt, ein ehrwürdiger
Rahmen geboten. Für drei Tage verwandelt sich unsere Hochschule in einen
internationalen Schauplatz für musikalische Interpretationsforschung. Vorträge
von namhaften Referentinnen und Referenten sowie Diskussionsrunden sollen
das Verständnis für die Interpretationen Herbert von Karajans verstärken und
darüber hinaus für das dirigentische Musikschaffen und -erleben erweitern.

Allen Beteiligten, die dieses Symposium möglich machen, danke ich für ihren
Einsatz und ihr Engagement. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wünsche
ich interessante Gespräche, spannende Eindrücke und neue Sichtweisen auf
die Arbeit eines großen, österreichischen Dirigenten.

MMag.a Barbara Eibinger-Miedl
Landesrätin für Wirtschaft, Tourismus, Europa, Wissenschaft und Forschung

8
Musikforschung an der Kunstuniversität Graz
Ein Markenzeichen der Kunstuniversität Graz (KUG) ist die thematisch und
methodisch außergewöhnlich breit aufgestellte Musikforschung, die einen
Vergleich mit den an Volluniversitäten abgedeckten musikwissenschaftlichen
Feldern keineswegs scheuen muss. An der KUG reicht sie von naturwissen-
schaftlich-technischen bis zu sozial- und geisteswissenschaftlichen Ansätzen,
sie umfasst Sound and Music Computing ebenso wie Historische Musikwis-
senschaft und Musikästhetik, Jazz- und Popularmusikforschung ebenso wie
Ethnomusikologie und Musikpädagogik/IGP. Dabei ist die KUG sehr darum
bemüht, durch die Einwerbung von Drittmitteln die Forschung voranzutrei-
ben und durch Publikationen und international besetzte Symposien sowohl
den fachlichen Austausch wie auch die internationale Sichtbarkeit der KUG als
Forschungsuniversität zu stärken.

Die Karajan-Tagung ist mit ihrer hochkarätigen Besetzung international re-
nommierter TeilnehmerInnen ein exzellentes Beispiel. Zudem begleitet sie ein
ambitioniertes, vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördertes
Forschungsprojekt, das sich mit computergestützten Methoden der Interpre-
tationsforschung widmet und damit ein gelungenes Beispiel interdisziplinärer
state-of-the-art-Forschung darstellt.

Im Namen des Rektorats der Kunstuniversität Graz darf ich Sie herzlich an der
KUG willkommen heißen und Ihnen eine inspirierende Tagung wünschen.

Univ.Prof. Dr.phil Gerd Grupe
Beauftragter für das Ressort Forschung der Kunstuniversität Graz

                                                                                9
E  s ist mir eine große Freude und Ehre, Sie zu diesem internationalen Sym-
   posium herzlich begrüßen zu dürfen. Die wissenschaftliche Auseinander-
setzung mit musikalischer Interpretation ist ein vergleichsweise junger For-
schungszweig. War man lange Zeit auf vornehmlich verbale Beschreibungen
angewiesen, so zeigt sich mehr und mehr, dass wir zu verlässlichen For-
schungsergebnissen in erster Linie durch interdisziplinäre Zugänge gelangen.
Empirische Ansätze sind dabei ebenso wichtig wie analytische und herme-
neutische musikwissenschaftliche Methoden. Geistes- und Naturwissenschaft
müssen und werden sich - wie ich hoffe - gegenseitig befruchten und zu dem,
was uns alle zutiefst berührt, nämlich der musikalischen Aufführung, neue Er-
kenntniswege öffnen.

Herbert von Karajan (1908-1989), der Im Zentrum dieses Symposiums steht,
war in vieler Hinsicht ein Visionär, der wie kaum ein anderer Dirigent seiner
Zeit neueste Aufnahmetechniken genützt und Pionierarbeit in der Klangdoku-
mentation geleistet hat. Die Ergebnisse dieses Symposiums sollen aber nicht
im Sinne einer Heroenverehrung verstanden werden. Vielmehr sollen sie neue
Möglichkeiten der Interpretationsanalyse von Orchestermusik erschließen.
Dass hierbei dem Phänomen Klangfarbe und Klangbalance besondere Bedeu-
tung zukommt versteht sich von selbst. Klanggestaltung ist freilich kein Selbst-
zweck: sie ist stets aufs Engste verknüpft mit strukturellen und tektonischen
Aspekten der Werkgestaltung.

Dieses Symposium wäre nicht ohne die Förderung zahlreicher Institutionen
zustande gekommen. Es ist integraler Bestandteil eines im Oktober 2017 be-
gonnenen, vom österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) finanzierten drei-
jährigen Forschungsprojekts. Wesentliche Unterstützung hat diese Veranstal-
tung durch das Land Steiermark, die Kunstuniversität Graz und die Stadt Graz
erfahren. Ihnen sei hierfür herzlich gedankt. Besonderer Dank gilt aber auch
unseren Kooperationspartnern: dem Institut für Computational Perception der
Johannes Kepler-Universität Linz, dem Eliette und Herbert von Karajan Institut
in Salzburg, der Universität Mozarteum, Salzburg, und der Anton Bruckner
Privatuniversität, Linz. Es ist nicht zuletzt das Zusammenwirken verschiedener
Forschungsinstitutionen, das ein spezifisches Merkmal dieses Forschungsvor-
habens darstellt.

o.Univ.Prof. Dr.phil Peter Revers
Leiter des FWF Projekts „Wege zu einer interdisziplinären, computergestützten
Analyse musikalischer Interpretation. Eine Fallstudie am Beispiel Herbert von
Karajans“

10
M    it über 300 Millionen verkauften Tonträgern gehört Herbert von Karajan
     ohne Zweifel zu den bedeutendsten Musikerpersönlichkeiten des 20.
Jahrhunderts. Seine Interpretationen haben Millionen von Menschen weltweit
mit den Meisterwerken der Musik in Verbindung gebracht. Betrachtet man die
Bedeutung, die er für das Musikleben des vergangen Jahrhunderts hatte, so ist
die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinem Werk im internationalen
Kontext bisher eher weniger umfangreich. Dass sich mit diesem hochkarätig
besetzten Kongress, die internationale Musikwissenschaft nun dem Thema
widmet, freut mich als geschäftsführender Direktor des Eliette und Herbert von
Karajan Instituts sehr. Besonders treffend ist aus meiner Sicht, dass der For-
schungsgegenstand mit innovativen Methoden aus der Computerwissenschaft
untersucht wird. Herbert von Karajan hätte dies sicherlich sehr gut gefallen,
auch wenn er sich selbst eher weniger zu seinen Interpretationen geäußert
hat.

Es erfüllt mich mit großer Freude, dass das Karajan Institut mit den Beständen
des Karajan Archivs und mit den Datenbanken und Programmierschnittstellen
rund um Karajans Wirken maßgeblich zu dem von den Professoren Revers
und Widmer geleiteten Forschungsprojekt beiträgt. Dies ist ganz im Sinne von
Eliette von Karajan, der Gründerin des Instituts, die das Vermächtnis Ihres Man-
nes mit großem Elan fördert.

Danken möchte ich an dieser Stelle neben Eliette von Karajan und meinem
Team im Institut vor allem Peter Revers für seinen unermüdlichen Einsatz
in der gemeinsamen Sache. Ohne seinen Anstoß und großen persönlichen
Einsatz wäre diese wichtige Tagung nicht zustande gekommen. Mein Dank
gilt ferner allen beteiligten Wissenschaftlern, in besonderem Maße Gerhard
Widmer, der mit seiner großen Offenheit die Brücke zwischen den Disziplinen
wunderbar schlägt.

Ich wünsche Ihnen allen in den anstehenden Tagen eine ertragreiche Diskus-
sion mit möglichst vielen überraschenden und profunden Erkenntnissen.
Die Schönheit der Musik möglichst vielen Menschen zu eröffnen war das gro-
ße Ziel Herbert von Karajans. Sie alle tragen mit Ihrer Forschung zu diesem Ziel
in besonderem Maße bei. Dafür danke ich Ihnen von Herzen!

Matthias Röder, PhD
Geschäftsführender Direktor des Eliette und Herbert von Karajan Instituts

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Abstracts
Keynote

Peter GÜLKE

Glanz und Verwirrspiele
musikalischer Perfektion
Montag, 29.04.2019, 11:30 Uhr | Florentinersaal

Herbert von Karajan macht auch fast 30 Jahre nach seinem Tode eine an-
gemessene Würdigung nicht leicht. Bewunderung von Befremdlichem zu
trennen ist unmöglich, andererseits verpflichtet der Anspruch seines Musizie-
rens zum Versuch, dieses aus der komplizierten Gemengelage herauszufiltern.
Kürzlich hat ein Nachruf auf Michael Gielen „große Dirigenten“ von „Stardiri-
genten“ strikt scheiden wollen; wenn einer dem entgegensteht, dann Karajan.

Wie hat bei dem Darsteller seiner selbst, dem Liebling und virtuosen Bediener
der Medien, dem Freund des Jetsets und der Hochfinanz, dem Manager, gel-
tungsbedürftigen und geltungssicheren, ehrgeizigen, eifersüchtigen Machtpo-
litiker all dies auch sein Musizieren geprägt? Verbietet dessen Anspruch nicht,
derlei gleich anfangs zu nennen?

Dirigenten sind eo ipso „Musikdarsteller“ (Jungheinrich), „Verkörperungen des
ästhetischen Subjekts“ der Musik (Dahlhaus), „Imago von Machtausübung“
(Adorno, Canetti) – insofern entsprach der „Generalmusikdirektor Europas“
den Anforderungen des Berufs. Die Unmasse des über ihn – panegyrisch oder
kritisch – Geschriebenen exzelliert nicht ohne Grund in Übertreibungen. Wie
sehr z. B. widerstreitet dem Bild des Machtmenschen der herrschaftsfreie
Innenraum seines Musizierens, inwieweit war Machtausübung vorab nötig,
diesen Innenraum einzuzäunen? Kaum ein anderer Beruf lädt wie der des Diri-
genten zu von der Außenansicht ausgehenden Urteilen ein. Die unter Karajans
Händen entstehende, hochdelikate Klangkultur wäre nie zustande gekommen
ohne die von ihm geöffneten Freiräume, den ungezwungenen Ausgleich von
individueller Spontaneität und notwendiger Koordination im Ensemble.

Dies freilich nicht ohne Vorbereitungen, bei denen Details bis ins Letzte ernst-
genommen wurden! - als wesentlicher Teil der „Ethik“ einer besessenen, unter
absolute Ansprüche gestellten Arbeit. Nicht ohne Grund war sie dem Vorwurf
eines gnadenlosen, vornehmlich den „materiellen“ Vordergrund der Musik
betreffenden Positivismus ausgesetzt – Karajan war ein dezidiert anti-theo-
retischer Praktiker, seine Proben hatten, die letzte Zeit ausgenommen, neben
dem ausgemacht sportiven ein technizistisches Gepräge, Hintergründe waren
wenig gefragt. Bis in Einzelheiten der Notation hinein war das Werk, wie es
notiert stand, ein fait accompli, die Draufsicht des Dirigenten keinen Zweifeln
ausgesetzt. Er redete wenig, reflektierte die von der Historischen Auffüh-
rungspraxis berücksichtigten „verlorenen Selbstverständlichkeiten“ nicht -

14
und bezog auch daraus die Sicherheit des interpretatorischen Zugriffs. Woran
die Frage anschließt: Perfektion inwiefern, Perfektion von was?

Die Karajans Aufstiegsjahre dominierende Gegendefinition zu Furtwäng-
ler betraf weniger Konzeptionen als spieltechnische Belange – da fiel die
Unterscheidung am wenigsten schwer. Sein Gespür für den Eigenwillen, die
„Weisheit“ der Apparate“, für die den Werken in den Konzertsälen zugewach-
sene „Nachreife“ war zu sicher, als dass er sie nicht benutzt und in seinem
Sinne verlängert hätte. Es gibt wohl keinen Dirigenten seines Ranges, bei dem
höchster Anspruch so wenig mit reflektiertem, originellem Zugriff verbunden
ist – eher mit zunehmenden Vereinseitigungen wie dem vielberedeten legato
permanente.

Vielerorts passte es, anderswo weniger, schon nicht bei Werken der Klassik.
Rhetorische, artikulatorische Momente haben Karajan kaum interessiert, die
im legato permanente angestrebte Fugenlosigkeit des Ablaufs hat ihren Hin-
tergrund – nicht zuletzt als gut erreichbares Signet einer in sich „logischen“,
plausiblen Darstellung. Gern wüsste man, wie vorsätzlich er Werken aus dem
Weg gegangen ist, die sich dem widersetzen – dass er Janáček mied, spät zu
Mahler fand, als einzige Schostakowitsch-Sinfonie die Zehnte dirigierte, nicht
etwa die erste, neunte oder fünfzehnte. Sind die erstaunlichen Einspielungen
von Werken der Zweiten Wiener Schule vornehmlich als Beweis intendiert,
dass er auch das „am besten könne“? Dem Zwang, als Bester dazustehen, der
verbissenen, vergeblichen Tüftelei des späten Karajan am interpretatorischen
Vermächtnis eignen im Blick auf seine Person tragische Aspekte.

Mit „Politur“ ist die Ursache zu billig bezeichnet, deretwegen bei ihm, der vor-
ab auf Darstellung, weniger auf Identifizierung ausging – reflektiertere Musiker
wie Bernstein, Furtwängler oder Harnoncourt konnten „naiver“ musizieren als
er –, tragische wie humoristische Momente kaum je aufscheinen. Wie sehr
stand hinter seinem Perfektionismus – wohl unreflektiert – das Idealziel eines
die Werke betreffenden, in gewisser Weise erledigenden „Ein-für-allemal“,
das Bestreben, Musik am Konzertabend wie endgültig zu präsentieren, sie der
Zeitlichkeit zu entziehen, der sie, die zugleich erklingt und verklingt, aus-
geliefert ist? – die Illusion zu nähren, die Werke seien in toto erreichbar, die
Aufführung lasse keinen Rest. Auch hierfür steht das keine Leerstelle duldende
Legato. Karajans in eine zuweilen gleichmacherische Schönheit getauchte
Aufführungen sind selten, am ehesten noch in der Oper, „nach oben offen“,
utopische, überschießende Momente fehlen; sie erscheinen wie Huldigun-
gen an eine Ideologie der „Machbarkeit der Sachen“ (Hans Freyer). Insofern
hat auch „Melancholie der Vollendung“ an dem entgegen aller Bewunderung
der Könnerschaft des Maestro rasch verblassten Nachruhm Anteil - vermöge
jenes vermissten Überschusses, dem Eingeständnis, dass wir dem Anspruch
großer Werke nie ganz genügen werden. Karajan hätte das nicht akzeptieren
können, schon, da er wusste, welche Qualitäten und Horizonte er der Inter-
pretation erschlossen hat.
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Peter Gülke wurde 1934 in Weimar geboren und studierte Violoncello, Musik-
wissenschaft, Germanistik, Romanistik und Philosophie. Ab 1959 war er Chef-
dirigent an verschiedenen Theatern, seit 1976 Kapellmeister an der Staatsoper
Dresden und seit 1981 Generalmusikdirektor in Weimar. 1983 verließ er die
damalige DDR und wurde Generalmusikdirektor der Stadt Wuppertal. An der
Staatlichen Hochschule für Musik Freiburg leitete er bis 2000 die Dirigenten-
klasse.

Zahlreiche weitere Dirigentenkurse, Opernaufführungen und Konzerte, auch
mit internationalen Orchestern, in der ganzen Welt gehören ebenso zu sei-
nem beruflichen Lebensweg. Seine Einspielungen umfassen u. a. die Sinfoni-
schen Fragmente von Schubert, die er auch wissenschaftlich und editorisch
erschloss und etliche Uraufführungen sowie Wiederentdeckungen vergesse-
ner Werke wie Zemlinskys Sinfonischer Dichtung Die Seejungfrau. Musikwis-
senschaftlich arbeitete Gülke u. a. über die Theorie der musikalischen Inter-
pretation und Aufführungspraxis. 1995 erhielt er den Edison-Schallplattenpreis
und den Sigmund Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und
Dichtung. Seit 2008 ist er Ehrenmitglied des Deutschen Musikrates, seit 2015
Chefdirigent der Brandenburger Symphoniker. 2014 wurde er mit dem Ernst
von Siemens Musikpreis ausgezeichnet.

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Keynote

Elaine CHEW | Queen Mary University of London

Quantifying Karajan -
Rhythm, Timing and Tension
Dienstag, 30.04.2019, 09:30 Uhr | Florentinersaal

The advent of computing tools for quantifying and visualizing the parameters
of performances has made it possible to scrutinize in fine detail the mystical
processes of musical interpretation. Here, we shall examine representations
and analyses of aspects of rhythm, timing, and tension as they evolve or are
created in performance. From his iconic interpretations of Johann Strauss II’s
The Blue Danube and Richard Strauss’ Also sprach Zarathustra, popularized
by the film 2001: A Space Odyssey, to his performances of Richard Wagner’s
Tristan und Isolde and Gustav Holst’s The Planets, we shall see how Herbert
von Karajan controls these musical parameters to create stirring and indelible
experiences, and how computational models can help us capture and gain
insights into his remarkable musical skills.

Elaine Chew is Professor of Digital Media in the School of Electronic Engi-
neering and Computer Science at Queen Mary University of London. She is a
mathematical scientist, leading research on the mathematical representation
and computational analysis of temporal and frequency structures in music
and arrhythmia sequences. Elaine is also a concert pianist, creating cross-cut-
ting interdisciplinary performance events. Her work has been recognized by
an NSF CAREER and PECASE awards in the US, and a Radcliffe Institute for
Advanced Studies fellowship cluster at Harvard. In 2018, she was awarded an
ERC Advanced Grant for the project COSMOS: Computational Shaping and
Modeling of Musical Structures, which aims to study musical structures as
they are created in performance and in unusual sources such as arrhythmia
cardiac data using citizen science, data science, and optimization techniques.

                                                                             17
Keynote

Werner GOEBL | Universität für Musik und darstellende Künste Wien

Interaktion und gemeinschaftliche
Kreativität in musikalischen Ensembles
unter der empirischen Lupe
Mittwoch, 01.05.2019, 09:30 Uhr | Florentinersaal

Musizieren im Ensemble erfordert hochpräzise zeitliche Koordination zwi-
schen den Spielenden. Auf der einen Seite versuchen Musizierende künstle-
risch einzigartig zu klingen, auf der anderen Seite muss ihr Spiel im Ensemble
für die anderen vorhersagbar bleiben. In diesem Vortrag stelle ich einige
empirische Forschungsergebnisse vor, die versuchen, jene kognitiven Mecha-
nismen zu erforschen, die in gemeinschaftlicher Aufführung von klassischer
Musik wirken. Mithilfe von Motion Capture und Eye-tracking-Brillen verfol-
gen wir das Verhalten der Musizierenden während des Spiels (besonders in
Situationen, die erhöhte Koordination der Spielenden bedürfen) und studieren
den Einfluss von visueller Kommunikation in kreativer gemeinschaftlicher Auf-
führung. Darüber hinaus soll ein kurzer Ausblick auf aktuelle Forschungspro-
jekte gegeben werden, in denen künstliche Gefährten (Computer) einerseits
die Rolle eines Ensemblemitglieds übernehmen oder andererseits die Rolle
eines Lehrers, der automatisch qualifiziertes und visualisiertes Feedback in
Übe- oder Aufführungssituationen zur Verfügung stellt.

Werner Goebl ist Assoziierter Professor am Institut für musikalische Akustik -
Wiener Klangstil (IWK) der Universität für Musik und darstellenden Kunst Wien.
Er studierte Systematische Musikwissenschaft an der Universität Wien und
promovierte an der Universität Graz mit einer quantitativ-empirischen Arbeit
zu Asynchronizität im Klavierspiel. Wichtige Stationen seiner wissenschaft-
lichen Laufbahn waren die computerwissenschaftlichen Teams von Gerhard
Widmer am Österreichischen Forschungsinstitut für Artificial Intelligence
(OFAI) in Wien und am Department für Computational Perception der Johan-
nes Kepler Universität Linz und die McGill Universität in Montreal, wo er mit
Caroline Palmer mit Hilfe von Motion-Capture-Technologie kinematische und
propriozeptive Zusammenhänge im Klavierspiel erforschte. Seit 2009 lehrt
und forscht er am IWK, wo er sich 2014 in musikalischer Akustik habilitierte.
Seine Forschungen in Performance Science konnte er in diversen Drittmittel-
projekten ausbauen. Er konzertiert öffentlich in regelmäßigen Abständen als
Kammermusiker und Liedbegleiter.

18
Klaus ARINGER | Kunstuniversität Graz

Pflicht oder Kür?
Herbert von Karajan und Haydns Sinfonien
Montag, 29.04.2019, 17:45 Uhr | Florentinersaal

Joseph Haydns Sinfonien gehörten nicht zum Kernrepertoire des Dirigen-
ten Herbert von Karajan; mit einer einzigen Ausnahme, der Sinfonie D-Dur
Hob. I/104, hat er keine von ihnen öfter dirigiert, die meisten der Pariser und
Londoner Sinfonien überhaupt nur (einmal) auf Tonträger verewigt. Dement-
sprechend dürftig, von wenigen Rezensionen abgesehen, fielen bislang die
Reaktionen der Kritik und die Einschätzungen in der Karajan-Biographik aus.
In den jüngeren Veröffentlichungen zu Karajans Interpretationen fehlen ent-
sprechende Anmerkungen zum Sinfoniker Haydn bislang ganz. Der Vortrag
möchte diese Lücke durch einen ersten Überblick, die vor allem den interpre-
tatorischen Grundkonzepten in Karajans Haydn-Interpretationen im Kontext
ihrer Zeit gilt, schließen.

Klaus Aringer ist seit 2005 Universitätsprofessor für historische Musikwissen-
schaft und seit 2008 Vorstand des Instituts Oberschützen der Kunstuniversität
Graz. Er studierte Musikwissenschaft, Geschichte und ältere deutsche Sprache
und Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München (M.A. 1992,
Dr.phil. 1997). Zwischen 1995 und 2005 war er wissenschaftlicher Assistent an
der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, wo er sich 2003 für das Fach Musik-
wissenschaft habilitierte. Gastweise lehrte er auch an den Universitäten Graz
und Wien. Er war Vizepräsident der Johann Joseph Fux-Gesellschaft Graz
und gehört seit 2006 der Jury zur Vergabe der Forschungspreise des Landes
Steiermark an. Seine Vorträge und Publikationen reichen von der Musik des
Mittelalters bis in das 20. Jahrhundert; Schwerpunkte bilden Johann Sebastian
Bach, die Wiener Klassiker, Geschichte der Instrumentation und Instrumen-
tationslehre sowie aufführungspraktische Fragen. Jüngere Veröffentlichun-
gen umfassen Johann Joseph Fux – der Komponist (Hg.), Graz 2015; Zoltan
Kodálys Kammermusik (Hg.), Wien 2015 (= Studien zur Wertungsforschung
57); 50 Jahre Expositur und Institut Oberschützen (Hg.), Oberschützen 2015;
Geschichte und Gegenwart des musikalischen Hörens (Hg. zusammen mit
Franz Karl Praßl, Peter Revers und Christian Utz), Freiburg i. Br. 2017; Franz
Liszt. Paraphrasen, Transkriptionen und Bearbeitungen. Referate des Sympo-
siums Oberschützen 2011 (Hg.), Sinzig 2017 (= Musik und Musikanschauung
im 19. Jahrhundert 18).

                                                                             19
Adam BEHAN | University of Cambridge

Karajan‘s Structural Legato
Montag, 29.04.2019, 18:30 Uhr | Florentinersaal

Recent research has led to a rethinking of musical structure as emergent
in performance (Rink 2015; Utz 2017; Llorens 2017). Drawing on this line of
thinking, I propose to analyse Karajan‘s interpretation of the first movement
of Schumann’s Fourth Symphony with the Wiener Symphoniker, contextual-
ised within his detailed rehearsal process that anticipates the ensuing perfor-
mance. Unsurprisingly, Karajan’s rehearsal process demonstrates the extent
to which the pursuit of a consistent, legato sound dominated his concerns in
preparing for performance. By first focusing on these small-scale, phrase-lev-
el concerns that occupy Karajan in rehearsal, it is possible to draw out the
implications for our understanding of Karajan’s large-scale projection of this
movement. lt is thus argued that Karajan’s legato – more than simply deter-
mining local phrases – plays a crucial role in his handling of musical form and
the inference of large-scale musical connections. lt will be suggested that this
bottom-up approach to understanding musical structure as it emerges in per-
formance – or what might better be termed musical shape – is a model that
could potentially be useful in anywider analysis of Karajan’s orchestral output.

Adam Behan is a PhD candidate at the University of Cambridge, under the su-
pervision of Professor John Rink. Much of his research has stemmed from the
UK-based CHARM tradition of researching musical performance. Beyond this,
his PhD focuses on the growing divide between what might be termed ‘musi-
cological performance studies’ and artistic research in music, exploring ways
in which some of the values and tenets of both sides might be reconciled.
Recent projects on musical performance and structure include a paper given
at the Annual Plenary of the Society for Musicology in Ireland in June 2018 on
Shostakovich’s Fifth Symphony, and his MPhil thesis on structure and shape in
recordings of Brahms’s Op. 119 No. 2, submitted in August 2018. Adam is on
the organising committee for the one-day conference, ‘The Classical Musi-
cian in the 21st Century’, to be held at the Faculty of Music in Cambridge in
May 2019.

20
Laura BISHOP | Austrian Research Institute for Artifcial Intelligence

Tracking Alignment of Interpretations
in Musical Duos during Rehearsal
Mittwoch, 01.05.2019, 10:30 Uhr | Florentinersaal

One of the challenges of playing as part of an ensemble is ensuring that the
interpretations of individual performers align. This process can be compli-
cated by musical structures that encourage a variety of interpretations and
increase the risk of individual performers’ interpretations diverging. Prior
research suggests that the process of interpretation is partially an emergent
one. That is, low-level interactions between performers allow them to ac-
commodate for fluctuations in each other’s playing. The interpretation that is
performed emerges as a consequence of these interactions and performers’
constant reappraisal of the gradually-evolving musical output. More con-
trolled forms of communication (e. g., exchanging specific gestural cues) are
known to support coordination of a shared interpretation as well, especially
during moments of temporal uncertainty. This study investigated how the
alignment of individual interpretations during rehearsal of a new piece is
erected in the body movements of duo musicians. Twenty duos (10 piano and
10 clarinet) rehearsed a new piece while we tracked their body movements
using optical motion capture. The piece was composed for the purpose of
this study and presented some challenges for coordination, including several
metrical changes and an “unmetered” passage (lacking a notated meter). Four
full performances of the piece were recorded for each duo: one at the start
of the rehearsal, one midway through, and two at the end (with and without
visual contact).

The kinematics of performers’ head movements were analysed as a function
of rehearsal time and piece structure. Performers were found to move more
after rehearsing than before. Their movement patterns also became more
consistent with rehearsal, such that the second and third performances were
more similar than the first and third. Coordination between co-performers in-
creased with rehearsal too. Different sections of the piece encouraged varia-
tion in movement: for example, specific cueing gestures (i. e., head nods) oc-
curred more often during the unmetered section than during regularly-timed
sections. Movements were smoother and between-performer coordination
was higher during the unmetered section than during regularly-timed sec-
tions as well. These findings show how differences in piece structure (espe-
cially regular vs. “free” timing) encourage performers to adopt different styles
of expressive/communicative body movement. The changes to body move-
ment patterns that occur with rehearsal show that, with practice, performers

                                                                              21
construct a performance routine that includes expressive/communicative
gestural features. This finding is in line with observations from case studies
suggesting that performers deliberately integrate gestural features as “land-
marks” into their performance. Increased familiarity with the music seems to
encourage visual interaction, seen here as increased quantity of motion and
strengthened coordination. We propose that visual interaction may serve as
a social motivator, improving performance success by encouraging creative
thinking and risk-taking.

Laura Bishop is a postdoctoral researcher at the Austrian Research Institute
for Artifcial Intelligence (OFAI) in Vienna. She completed her PhD in music
cognition at the MARCS Institute, Western Sydney University, Australia. Her
prior degrees she made in psychology in Toronto, Canada (BSc) and Sheffield,
UK (MSc). She is currently the PI of an FWF project entitled “Coordination and
Collaborative Creativity in Music Ensembles”. Her research interests include
musical interaction, ensemble coordination, musical imagery, and expertise.

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Julian CASKEL | Hochschule für Musik und Tanz Köln

Gültiges Vorbild oder
vergessener Traditionalist?
Herbert von Karajan, die Ästhetik des Solokonzerts und
ein aktueller „Mainstream“ der Interpretation am Beispiel
von Tschaikowskys Violinkonzert.
Dienstag, 30.04.2019, 15:30 Uhr | Kleiner Saal

Für die (empirische) Interpretationsforschung spielen aktuelle Aufnahmen
nur eine untergeordnete Rolle, als Abgleich mit abweichenden Aufführungs-
konventionen und als Beleg zur Aufstellung von Interpretationstypologien
(rekonstruktive versus aktualisierende Haltungen etc.). Damit fällt ein Teil des
Standardrepertoires aus dem Blickfeld: Am Beispiel von Tschaikowskys Violin-
konzert wird geprüft, welche Innendifferenzen in der Masse der auf den Markt
gebrachten Aufnahmen vorliegen, obgleich historische wie systematische
Oppositionsbildungen reduziert scheinen. Hierfür wurden Rahmendaten von
über 100 Aufnahmen des Stücks von 1988 bis 2017 ermittelt und eine Aus-
wahl (ergänzt um Konzert- und Tourneemitschnitte) auch empirisch ausge-
wertet. Dabei sind Tempoverlangsamung und ein spezifisches Konzept von
„Texttreue“ als Grundtendenzen erkennbar, die soziologische Hinweise auf
eine globalisierte und medial vermittelte Musikkultur implizieren. Für alle diese
Tendenzen lassen sich die Aufnahmen Herbert von Karajans als Vorläufer dis-
kutieren. Es zeigt sich jedoch, dass Karajans Auffassung weniger als „Trend-
setter“ gegenwärtiger Strategien einer „sinfonisch-erhabenen“ statt „virtuosen“
Konzeption des Solokonzerts gelten kann, sondern Karajan eher als „Traditio-
nalist“ erscheint, von dem sich aktuelle Aufnahmen abgrenzen.

Julian Caskel, geboren 1978 in Köln, studierte Musikwissenschaft, Politik-
wissenschaft und Philosophie in Heidelberg und Köln. Promotion im Jahr
2008 mit einer Arbeit zu Scherzosätzen im 19. Jahrhundert. Mitarbeit in einem
DFG-Projekt zu Rhythmus und Moderne an der Universität Köln. Habilitation
im Jahr 2017 an der Folkwang Universität der Künste Essen, im selben Jahr
Vertretungsprofessor an der Hochschule für Musik und Tanz Köln. Lehrauf-
träge im Bereich der systematischen und empirischen Musikwissenschaft in
Stuttgart und Essen. Publikationen zur Interpretationsforschung (u. a. neben
Hein Hartmut Herausgeber des Handbuch Dirigenten, Kassel 2015), zur Mu-
siktheorie und intermedialen Musikästhetik sowie zu verschiedenen Aspekten
der Musikgeschichte von Haydn bis zu zeitgenössischen Kompositionen.

                                                                              23
Bernadeta CZAPRAGA | Mozarteum Salzburg

Herbert von Karajans Orchesterklang
in den großen Violinkonzerten
Wolfgang Amadeus Mozarts
Dienstag, 30.04.2019, 14:00 Uhr | Kleiner Saal

Herbert von Karajan als Mozart-Interpret von KV 216 und KV 219 wurde bisher
kaum thematisiert. Verständlicherweise zieht der Solist die meiste Aufmerk-
samkeit auf sich. In den 1970er- und 80er-Jahren entstanden melodiöse
Einspielungen mit A. S. Mutter, Y. Menuhin und D. Oistrach, bei denen die
Dirigentenrolle Karajans nicht wegzudenken ist. Anhand eines inszenierten
Fernseh-Interviews (1966), eines Video-Probenmitschnittes (1966) und von
Audio-Aufnahmen (1972, 1977, 1978) wird nach charakteristischen Eigen-
schaften des Karajan-Orchesterklanges und innovativen Aspekten in diesen
legendären Mozartinterpretationen gesucht.

Berndadeta Czapraga wurde 1977 in Dębica (Polen) geboren. An der Univer-
sität Mozarteum Salzburg studierte sie im Konzertfach Violine bei Prof. Harald
Herzl. Anschließend Postgraduate-Studium Violine bei Prof. Klara Flieder
sowie Studium der Instrumental-Pädagogik. Sie spezialisierte sich im Fach Ba-
rockvioline an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz bei Prof. Michi Gaigg.
Zahlreiche Teilnahme an Meisterkursen zur Aufführungspraxis.

Doktoratsstudium der Musikwissenschaft an der Universität Mozarteum Salz-
burg und Promotion summa cum laude bei Prof. Dr. Joachim Brügge. Ihre
Dissertation über W. A. Mozarts Violinkonzert in A-Dur, KV 219, in ausgesuch-
ten Interpretationen wurde mit dem Preis „Award of Excellenc“ des BMWF
für die beste Dissertation des Jahres 2013 im Fach Musikwissenschaft aus-
gezeichnet. Seit 2014 ist sie postdoktorale Universitätsassistentin am Institut
für Musikalische Rezeptions- und Interpretationsgeschichte der Universität
Mozarteum. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Interpretationsforschung
und -analyse. Forschungsprojekt: Aspekte der Phrasierung am Beispiel der
Violinsonaten von W.A. Mozart. Neuere Buchpublikationen sind zum Beispiel:
Wolfgang Amadé Mozarts Violinkonzert in A-Dur KV 219 in ausgewählten
Interpretationen, Kassel u. a.: Bärenreiter 2017.

24
Sigrid FALTIN

KARAJAN - Porträt eines Maestros
Ein Film von Sigrid Faltin
Montag, 29.04.2019, 10:00 Uhr | Aula

Er gilt als einer der bedeutendsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Sein Name
ist auch jenen ein Begriff, die noch nie ein Sinfoniekonzert besucht haben:
Herbert von Karajan. 2019 jährt sich sein Todestag zum 30. Mal. Anlass für
ein Porträt über den Maestro. Langjährige Weggefährten werden befragt,
und bislang unbekanntes oder vergessenes Archivmaterial ausgekramt. Sein
Instrument waren die besten Orchester der Welt. Mit 300 Millionen verkauf-
ten Tonträgern hat er Michael Jackson, Madonna und die Rolling Stones weit
hinter sich gelassen. Sein Lebensstil begeisterte die Medien: seine rasanten
Autos, Flugzeuge, Segelyachten, seine hübsche junge Frau. Doch hinter dem
Glamour versteckte sich ein scheuer Mensch, der jahrzehntelang gegen
Schmerzen ankämpfen musste, und der bis zu seinem letzten Atemzug um
den perfekten Klang rang. Der Film beleuchtet die Höhepunkte und Brüche
seines Leben: Seine Anfangsjahre in Ulm und Aachen, seine Karriere unter
den Nazis, seine zwei gescheiterten Ehen, seinen fulminanten Aufstieg in den
1950er Jahren zum „Generalmusikdirektor Europas“, schließlich den Bruch mit
den Berliner Philharmonikern, als er eine Frau als Klarinettistin in der Män-
nerbastion engagieren wollte. Künstler wie Anne Sophie Mutter und Christa
Ludwig, Berliner Philharmoniker und Wiener Philharmoniker erinnern sich an
den Maestro. Außerdem kommen die Musikkritikerin Eleonore Büning und der
Historiker Oliver Rathkolb zu Wort.

Wer war dieser Herbert von Karajan? War er ein Jetset-Künstler, macht- und
geldgierig, ein schwieriger Mensch, ein Nazi? Welche Klischees über ihn stim-
men, welche nicht?

                                                                           25
Sigrid Faltin, Jahrgang 1956, studierte Englisch, Germanistik und Geschich-
te in Bonn und Freiburg und promovierte über Die Auswanderung aus der
Pfalz nach Nordamerika in Neuerer Geschichte. Nach einem journalisti-
schen Volontariat war sie Freiburger Regionalkorrespondentin beim SWF und
moderierte im Hörfunk und Fernsehen. Seit 1988 arbeitet sie als Film- und
Buchautorin, seit 1995 auch als Produzentin für Fernsehdokumentationen
und Dokumentarfilme. Sie gewann verschiedene internationale Preise, unter
anderem in New York für ihren international produzierten Film über Hilla
von Rebay, die Gründerin des Guggenheim Museums, über die sie auch eine
vielbeachtete Biografie schrieb (Libelle-Verlag 2005, Bestenliste Süddeutsche
Zeitung Juli 2005). 2008 kam Faltins international prämierter Dokumentarfilm
La Paloma in die Kinos, zu dem sie ebenfalls ein Buch veröffentlichte.

Mit dem Buch Scheiterst du schon oder schraubst du noch (Herder 2009), das
sie parallel zu ihrer Dokumentation Der Kunde als Knecht (SWR 2008) schrieb,
kam sie auf die SPIEGEL-Bestsellerliste. Ihr Film Letzte Saison (SWR 2011) wur-
de mit der Richard-von-Weizsäcker-Medaille in Gold und dem Europäischen
Journalistenpreis ausgezeichnet. Zuletzt wurden ihr Film Kinder! Liebe! Hoff-
nung! (SWR 2013) und die Fortsetzung Kinder! Liebe! Zukunft! (2016) mehr-
fach ausgezeichnet. Ihr neuester Film über Herbert von Karajan wird im Juli
2019 auf ARTE ausgestrahlt werden. Sigrid Faltin lebt in Freiburg im Breisgau.

26
Alberto FASSONE | Conservatorio Claudio Monteverdi Bolzano - Bozen

Buchpräsentation: L’arte di Karajan.
Un percorso nella storia
dell‘interpretazione Lucca: LIM 2019
Montag, 29.04.2019, 12:30 Uhr | Florentinersaal

Das Ziel des vorliegenden Sammelbands ist es, das oft nur schwer durch-
dringbare „Phänomen Karajan“ dadurch zu enträtseln, dass seine Interpreta-
tionsweise auf Basis seiner zahllosen Einspielungen (Audio und Video) in den
Fokus gestellt wird. Moderne technische Hilfsmittel zur empirischen Daten-
erfassung wie etwa Sonic Visualizer ermöglichen es, Karajans Interpretationen
und deren ästhetische Beurteilung auf ein objektives Fundament zu stellen.
Die bisherige Marginalisierung, wenn nicht gar Nichtbeachtung der ästheti-
schen Dimension – also eine Würdigung des künstlerischen Erbes Karajans
- stellt ein Phänomen dar, das dringend einer ernsthaften Aufarbeitung bedarf.
Das Miteinander von Kunst und Technik, von Musik und Vermarktung, sowie
die Formung eines Images als autokratischer (und nicht unbedingt sympathi-
scher) „Generalmusikdirektor Europas“ erklären, wie Karajans künstlerischer
Ansatzpunkt - nämlich die Musik, ihre Interpretation sowie deren Verbreitung
auf Tonträgern - seit den 1960er Jahren zunehmend durch das „Phänomen
Karajan“ überlagert und letztlich verdrängt wurde. Obgleich Karajan hieran
selbst nicht unerheblichen Anteil hatte, prägen Missverständnisse und Ver-
zerrungen die heutige Wahrnehmung seines Schaffens und erfordern eine
differenzierte Auseinandersetzung: Die isolierte Fokussierung auf einzelne
Aspekte wäre falsch und irreführend angesichts der komplexen Persönlichkeit
Karajans, in der technologische und künstlerische Aspekte nicht voneinander
getrennt, ja einander entgegen gestellt werden können, da sie in seinem Ver-
ständnis eine Einheit darstellen. Dementsprechend zeichnen die Beiträge ein
differenziertes Bild des Dirigenten und werden so mit ihren unterschiedlichen
Perspektiven und Herangehensweisen der komplexen (Künstler-)Persönlich-
keit Karajans gerecht.

                                                                           27
Alberto FASSONE | Conservatorio Claudio Monteverdi Bolzano - Bozen

Karajan und Bruckner
Faszinierende Klanggestaltungen
eines „absoluten Musikers“
Dienstag, 30.04.2019, 14:00 Uhr | Florentinersaal

Karajans dokumentierte Auseinandersetzung mit Bruckners Symphonien
begann 1944 mit der Aufnahme der Achten Symphonie in Berlin und dauerte
bis ans Ende seines Lebens an (Karajans allerletzte Aufnahme aus dem April
1989 ist die der Siebenten Symphonie mit den Wiener Philharmonikern). Der
österreichische Dirigent wandte sich sehr früh von den großen Vorbildern der
deutschen und österreichischen Tradition (namentlich von Furtwängler) ab
zugunsten einer modern-nüchternen Wiedergabe, die Bruckners formalen
Konzeptionen allerdings viel besser entspricht als der redenden Qualität seiner
mit musikalischen Figuren durchsetzten Tonsprache. Der „absolute Musiker“
Herbert von Karajan, der die bearbeiteten Fassungen der Bruckner-Sympho-
nien nie dirigierte und für einige Symphonien die Haas-Ausgabe bevorzugte,
erweist sich, in seinem Hang zum „Reinmusikalischen“, zur raffinierten klan-
glichen Abstraktion und zur technischen Perfektion als durchaus bedeutender
Bruckner-Darsteller, der seinen historischen Platz zwischen Wilhelm Furtwän-
gler und Sergiu Celibidache hat.

Alberto Fassone wurde 1961 in Turin geboren. Er studierte Klavier und Kom-
position am Konservatorium in Turin. 1989 promovierte er bei Giorgio Pestelli
mit einer Dissertation über den Rosenkavalier von Richard Strauss. 1991/92
konnte er als Stipendiat der Carl Orff-Stiftung, des Orff-Zentrum München
und des CNR Rom das Studium der Orffschen Werke in München vertiefen.
Seit 2002 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Musikgeschichte und -ästhetik an
der Hochschule für Musik „Claudio Monteverdi“ in Bozen. Er hat Bücher in
italienischer und deutscher Sprache über Anton Bruckner, Gustav Mahler,
Richard Strauss und Carl Orff veröffentlicht.

28
Thassilo GADERMAIER | Johannes Kepler Universität Linz

Evaluierung von Audio-to-Audio
Alignment für (semi-)automatische
Tempoanalysen
Dienstag, 30.04.2019, 11:00 Uhr | Florentinersaal

Die quantitative Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen
aufgezeichneten Aufführungen von Musik ist ein wachsendes Feld innerhalb
der digitalen Musikwissenschaft.

Ein typisches Szenario ist das manuelle Annotieren verschiedener Aufnah-
men desselben Musikstückes entlang der Zeitachse, etwa das Eintragen von
Taktmarkern, um eine vergleichende Analyse des Tempos zu ermöglichen.
Ebenfalls notwendig ist ein derart hergestelltes musikalisches Zeitraster, um
weitere (messbare) Parameter einer Aufführung, die in der Regel blockweise
aus Audiosignalen extrahiert werden (wie Lautstärke), vergleichbar zu ma-
chen. Dafür wird im Idealfall nur eine einzelne Referenzaufnahme annotiert,
und diese automatisch, mit der Hilfe sogenannter Audio-to-Audio-Align-
ment-Algorithmen, mit weiteren Aufnahmen verknüpft.

In diesem Beitrag werden einige der damit verbundenen Fragestellungen
behandelt. Zunächst werden von mehreren Annotatoren hergestellte mu-
sikalische Zeitraster identer Aufnahmen analysiert, um typische zeitliche
Abweichungen zwischen solchen Annotationen zu ermitteln. Eine statistische
Analyse der annotierten Zeitmarker liefert (i) eine Abschätzung der Streuung
solcher Annotationen und (ii) eine Referenz für Experimente zu Audio-to-Au-
dio-Alignments. Darauf aufbauend erfolgt eine systematische Evaluierung
verschiedener relevanter Audiofeatures und der damit erzielbaren Genauigkeit
der Verknüpfung verschiedener Aufnahmen. Daraus werden Schlüsse gezo-
gen für zukünftige Arbeit im Bereich Annotations- und Alignment-basierter
(semi-)automatischer musikwissenschaftlicher Analysen.

Thassilo Gadermaier studierte Systematische Musikwissenschaft an der
Universität Wien sowie Elektrotechnik an der Technischen Universität Wien.
Derzeit ist er an der Johannes Kepler Universität Linz beschäftigt. Seine
Forschungsinteressen liegen im Bereich der Nutzbarmachung von Methoden
des Musik Information Retrieval für musikwissenschaftliche Fragestellungen,
Machine Learning und Audiosignalverarbeitung.

                                                                            29
Adriano GIARDINA | Université de Fribourg

Towards a new performing style (in spite of
himself): Karajan conducting Mozart’s piano
concertos in the early fifties
Dienstag, 30.04.2019, 14:45 Uhr | Kleiner Saal

A few piano concertos by Mozart were occasionally in the repertoire of
Herbert von Karajan as a conductor. But, for the most part, we have only
recordings of his performances of the 1950s. In this paper, I will analyse the
performing style of the orchestras from the beginning of the decade. Among
them is an unnoticed recording, preserved in the archives of the Schweizer
Radio und Fernsehen, of the Piano Concerto in C minor K. 491, featuring
Robert Casadesus at the Lucerne Festival in 1952.

In contrast to the choices made for Mozart’s horn concertos with Denis Brain
for example, Karajan conceived orchestral tutti as independent symphonic
moments with a “massive” sonority. However, when accompanying the solo-
ists, the conductor remained very flexible. These options are undoubtedly to
be linked first to Karajan’s more global self-representation strategy. Neverthe-
less, they have resulted in the creation of a new performing style for Mozart’s
piano concertos and have renewed the dialogical relationships between solo-
ist and orchestra.

Adriano Giardina is a lecturer at the University of Fribourg (Switzerland). His
research focuses mainly on Renaissance polyphony. He defended a doctoral
dissertation in 2009 on the first motet book of Tomás Luis de Victoria. He is
currently working on the performance of Mozart’s piano music during the
first half of the Twentieth Century, in order to obtain his Habilitationsschrift.
Furthermore, he conducts the Ensemble La Sestina, a vocal group specialized
in Sixteenth Century music.

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Werner GOEBL & David WEIGL | Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Projektvorstellung Forschungsprojekt
TROMPA - Towards Richer Online
Music Public-domain Archives
Dienstag, 30.04.2019, 11:45 Uhr | Florentinersaal

Klassische Musik ist einer der größten Schätze des europäischen Kulturerbes
und wird durch musikalische Darbietungen ständig neu interpretiert und re-
vitalisiert. Heute ist ein großer Teil des klassischen Repertoires gemeinfrei und
oftmals in digitaler Form, beispielsweise als gescannter Notentext, in Reposi-
torien online verfügbar; Aufnahmen sind als Ton und Bild ebenfalls in unter-
schiedlicher Qualität und Vollständigkeit an vielen Orten online zugänglich.
Allerdings sind diese Quellen oft auf einem geringen Informations- und Quali-
tätsniveau und nicht oder kaum untereinander verknüpft. TROMPA möchte
dies ändern, indem es unser öffentlich zugängliches musikalisches Erbe durch
eine nutzerzentrierte Zusammenarbeitsplattform demokratisiert. Aktuelle
Technologien werden eingesetzt, um Inhalte in unterschiedlichen Modali-
täten auf ein höheres Datenniveau zu bringen (z. B. kodierte Notentexte als
MEI-Dateien), miteinander zu synchronisieren (notenweise Übereinstimmung
von Notentexten mit Aufnahmen ihrer Interpretationen), und diese auch zu
analysieren. TROMPA möchte möglichst viele NutzerInnen über eine eigene
digitale Plattform motivieren, selbst die Qualität und den Umfang des Reper-
toires zu verbessern und zu erweitern, sowie ihnen die Möglichkeit geben,
ihre persönlichen Erfahrungen sowie ihre eigenen Interpretationen für andere
sichtbar zu hinterlassen. Nach einer offenen Innovationsphilosophie wird alles
gewonnene Wissen auf wiederverwendbare Weise an die Community zurück-
gegeben. Dies ermöglicht viele Einsatzmöglichkeiten in konkreten Anwen-
dungen, die direkt den Mitwirkenden und einem breiteren Publikum zugute-
kommen. TROMPA wird dies für fünf spezifische Zielgruppen demonstrieren:
scholars, orchestras, instrumentalists, choir singers, und music enthusiasts.
Das bunt gefächerte Konsortium umfasst Partner aus Wissenschaft, Industrie
und Kunst.

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David M. Weigl ist ein interdisziplinärer Forscher, der Methoden der Com-
puter- und Webwissenschaften mit Anwendungen in den Geistes- und
Kulturwissenschaften verbindet. Nach seinem Grundstudium – BSc(Hons)
in Computer Science und MSc by Research in Informatics – an der Univer-
sity of Edinburgh sowie einer Beschäftigung als Student Representative am
Forschungszentrum CIRMMT (Center for Interdisciplinary Research in Music
Media and Technology) in Montreal promovierte er an der McGill Universi-
ty zu Rhythmic Information as a Relevance Criterion for Music Information
Retriebel (Betreuung: Catherine Guastavino), wo er auch als Dozent fungierte.
2014–2018 arbeitete er als Postdoctoral Research Associate am Oxford e-Re-
search Centre der University of Oxford. 2018 begann er als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Institut für musikalische Akustik – Wiener Klangstil an der Uni-
versität für Musik und darstellende Kunst Wien, wo er als Data Officer des EU
Horizon 2020 geförderten Projekts TROMPA (Towards Richer Online Music
Public-domain Archives) weiter an angewandter Forschung von semantischen
Web-Technologien im Bereich Musik beteiligt ist.

Werner GOEBL Seite/Page 18

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Alexander GURDON | Technische Universität Dortmund

Karajan und Schostakowitsch - das Gastspiel
der Berliner Philharmoniker 1969 in Moskau
und Karajans Klang der 10. Sinfonie
Montag, 29.04.2019, 15:45 Uhr | Kleiner Saal

Von Schostakowitschs 10. Sinfonie unter Herbert von Karajan sind zwei Live-
mitschnitte (Moskau 1969, Staatskapelle Dresden in Salzburg 1976) und drei
Studioproduktionen (1966, 1967, 1981) erhalten. Insbesondere das Konzert in
Moskau und seine musikalisch-politischen Dimensionen sollen hierbei Ge-
genstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen sein. Durch die persön-
lichen Erinnerungen von Rudolf Watzel, Solokontrabass bei jenem Gastspiel,
aber auch durch die Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes
werden die besonderen Umstände dieser Reise inmitten des Kalten Kriegs
beleuchtet. Hinzu wird ein exemplarischer Vergleich von Karajans fünf Auf-
nahmen der 10. Sinfonie eine Diskussion über seinen Schostakowitsch-Klang
anbieten.

Alexander Gurdon studierte in Köln und Paris Musikwissenschaft, Germanistik
und französische Romanistik, in Dortmund promovierte er sich mit einer Ar-
beit über den Dirigenten und Komponisten Oskar Fried (Druck in Vorbereitung
für 2019). Seine Neu-Edition der Lieder Frieds, gemeinsam mit dem Pianisten
Urs Liska, wurde mit dem Deutschen Musikeditionspreis ausgezeichnet. Seine
Forschungsschwerpunkte umfassen die Musik des 19.–21. Jahrhunderts,
die Interpretations- und Dirigentenforschung, sowie die Erinnerungskultur,
etwa am Beispiel Dmitri Schostakowitschs und Mieczysław Weinbergs. Er ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Musik und Musikwissenschaft der
TU Dortmund, sowie Lehrbeauftragter an der Fakultät für Kulturreflexion der
Universität Witten/Herdecke.

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