Gymnasium Helveticum Nr. 2/10 - vsg - sspes

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Gymnasium Helveticum Nr. 2/10 - vsg - sspes
Gymnasium
    Helveticum
                                      Nr. 2/10

    Bildungsbericht Schweiz 2010

    Ansätze zum fächerübergreifenden Unterrichten

    Associations de branche / Associations cantonales –
    Kontakt / Contact / Contatto
Gymnasium Helveticum Nr. 2/10 - vsg - sspes
NEU: Impulse – Grundlagen der Physik
für Schweizer Maturitätsschulen

Das genau abgestimmte Lehrwerk für den Unterricht im
Grundlagenfach:

                                                    o einbändige Ausgabe auf der Grundlage
                                                      der alktuellen Lehrwerksreihe «Impulse»
                                                      aus dem Ernst Klett Verlag
                                                    o neben der Stoffvermittlung wird grosser
                                                      Wert auf Alltagsbezug, Reflexion sowie
                                                      Festigung und Überprüfung von Können
                                                      und Wissen gelegt
                                                    o systematischer Aufbau und klar struktu-
                                                      riertes Erscheinungsbild
                                                    o gibt den Schülerinnen und Schülern die
                                                      Möglichkeit für selbständiges Arbeiten
                                                    o übersichtliches, modernes und lesefreund-
                                                      liches Layout

                                                    Schulbuch
                                                    9.–12. Schuljahr | 352 Seiten
                                                    978-3-264-83935-7 | Fr. 49.00

Die Lösungen zu den Aufgaben im Buch, Musterseiten sowie passendes Zusatzmaterial
und Bestellmöglichkeiten finden Sie auf www.impulse-physik.ch.

Baarerstrasse 95, 6302 Zug
Telefon 041 726 28 50, Fax 041 726 28 51, info@klett.ch
www.klett.ch

Klett und Balmer Verlag Zug
Gymnasium Helveticum Nr. 2/10 - vsg - sspes
Gymnasium
    Helveticum

Nr. 2/10                                                                                         www.vsg-sspes.ch

           Schwerpunkt
           Sujet spécial
                                   Editorial
                                   Harmonie – harmonie - armonia
                                   Hans Peter Dreyer                                                                        4
                                   Bildungsbericht Schweiz 2010 mit Blick aufs Gymnasium
                                   Urs Vögeli-Mantovani, Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung, Aarau    6
                                   A propos de la situation actuelle des gymnases
                                   Thèses de la Conférence des Directrices et Directeurs de Gymnases suisses CDGS          11
                                   Ansätze zum fächerübergreifenden Unterrichten
                                   Marc Eyer, Gymnasium Neufeld, Bern                                                      14

          VSG
                                   150 Jahre VSG – Festakt und Symposium
          SSPES
                                   150 ans SSPES – Célébration officielle et Symposium                                     18
                                   HarmoS + Standards
                                   Hans Peter Dreyer                                                                       20
                                   Basisstandards an Volksschulen
                                   Karin Joachim                                                                           24
                                   Glosse
                                   Ansteckender Enthusiasmus / Un enthousiasme contagieux
                                   Gisela Meyer Stüssi                                                                     26

           Verbände                Fachverbände / Associations de branche – Kontakt / Contact / Contatto
           Associations
                                   Kantonalverbände / Associations cantonales – Kontakt / Contact / Contatto               28
                                   Online-Umfrage «Attraktivität des Mittelschullehrberufs» – Stand 07.04.2010
                                   Olivier Mermod                                                                          31

           Magazin
                                   Zukunft der Bildung – Bildung der Zukunft
           Magazine
                                   Rudolf Künzli, Mitautor Weissbuch «Zukunft Bildung Schweiz»                             34
                                   Resonanzgruppe Bildungsstandards Gymnasiallehrkräfte Schweiz
                                   Hans Jürg Zingg                                                                         37
                                   Bildungspolitische Kurzinformationen
Titelbild:                         Petites informations suisses
«diskussion», eisen geschmiedet,
                                   Walter E. Laetsch                                                                       39
Skulptur von Roman Platz,
www.platz-metall.ch                WBZ CPS aktuell                                                                         44

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Éditorial   Harmonie

                               H      armonie bedeute, sagt das Wörter-
                                      buch, eine angenehme Überein-
                           stimmung der Teile eines Ganzen. Sehr
                                                                                Wie viel Harmonie es im schweizerischen
                                                                             Bildungswesen gibt, darüber informiert der
                                                                             neue schweizerische Bildungsbericht. (Es
                           schön! Genau so, wie Allgemeinbildung             heisst, dies sei der erste, obwohl schon von
                           nicht bloss die Summe irgendwelcher               vier Jahren einer erschienen und im GH
                           Bildungen durch die einzelnen Fächer ist,         kommentiert worden, aber immer noch nicht
                           sondern ein Ganzes, dessen Teile in ange-         als pdf erhältlich ist.) Urs Vögeli-Mantovani
                           nehmer Übereinstimmung stehen. Welche             beleuchtet wichtige Punkte aus dem Mittel-
                           Ansätze beim fächerübergreifenden Unter-          schulbereich. Auch EVAMAR II hat auf spe-
                           richten im Gymnasium Neufeld die Teile zu         zielle Harmonietrübungen hingewiesen. Die
                           gegenseitiger Übereinstimmung bringen,            Konferenz der Gymnasialrektoren hat dazu
                           erläutert der Artikel von Marc Eyer.              Empfehlungen verabschiedet, die wir gerne
                              Natürlich wird jede Leserin und jeder          auf französisch publizieren.
                           Leser zuerst den Bogen von Harmonie zu               Wenig Anlass zu Harmonie hat es im
Hans Peter Dreyer          HarmoS geschlagen haben. Das Projekt hat          Umfeld des Weissbuchs der Akademien
                           auf der politischen Ebene wieder eine der 26      Schweiz gegeben. Rudolf Künzli, einer der
                           politischen Hürden genommen. Die Schweiz          Autoren, erläutert, wovon «Zukunft Bildung
                           ist wirklich das am stärksten fragmentierte       Schweiz» effektiv spricht, was die Absichten
                           Staatswesen der Welt («Kritik an der inter-       der Akademien sind, und was nur durch ei-
                           kantonalen Ebene», NZZ vom 16. März,              nen Medienwirbel zu Bedeutung gelangte.
                           p. 13)! Ein HarmoS-Element, das bisher            Das griechische Wort Harmonie soll auch
                           kaum Staub aufgeworfen hat, sind die natio-       Verbindung und Ebenmass bedeuten. Wie
                           nalen Basis-Bildungsstandards. Der VSG            harmonisch die Verbindung zu Ihrem Ar-
                           kann dazu Stellung nehmen. Zwei Beiträge          beitgeber ist, können Sie in der Online-Um-
                           machen mit dem Projekt bekannt und rufen          frage anonym zu Ausdruck bringen, über die
                           Sie auf, Ihre persönliche Meinung zu bilden       Olivier Mermod berichtet. Sollte Ihnen das
                           und über die vereinsinternen Kanäle weiter        Verhältnis zwischen Engagement und Wert-
                           zu leiten. Der Rückblick von Hans Jürg            schätzung nicht ebenmässig vorkommen,
                           Zingg auf das Wirken der WBZ-Resonanz-            nehmen Sie einfach den TGV-Lyria und
                           gruppe Bildungsstandards erinnert daran,          tauchen harmonisch ab nach Paris!
                           dass auch für die Allgemeinbildung analoge
                           Prozesse laufen.                                               Hans Peter Dreyer, Präsident VSG

                           Harmonie

                                      après le dictionnaire, l’harmonie se
                               D’     définit comme une combinaison,
                           un ensemble d’éléments perçus simultané-
                                                                                 Chaque lectrice, chaque lecteur aura natu-
                                                                             rellement fait le lien entre « Harmonie » et
                                                                             « HarmoS ». Sur le plan politique, le projet a à
                           ment d’une manière agréable. Bien ! Défini-       nouveau franchi l’une des 26 haies. La Suisse
                           tion conforme à celle de la culture générale,     peut définitivement se taxer d’être l’Etat le
                           qui n’est pas uniquement la somme de quel-        plus fragmenté du monde (voir l’article paru
                           conques formations dispensées par les di-         dans la NZZ le 16.3.10 sous le titre « Kritik an
                           verses disciplines, mais bien un tout, un en-     der interkantonalen Ebene »). L’un des élé-
                           semble, une combinaison agréable. L’article       ments d’HarmoS n’avait jusqu’à aujourd’hui
                           de Marc Eyer nous présente les principes          pas remué trop de poussière: les standards na-
                           soutenant l’enseignement interdisciplinaire       tionaux de formation. La SSPES pourra
                           au gymnase de Neufeld, principes permettant       prendre position à leur sujet. Deux articles de
                           l’harmonie des différents éléments.               ce numéro présentent le projet et vous invitent

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Gymnasium Helveticum Nr. 2/10 - vsg - sspes
à vous forger votre opinion et à la faire connaître       La publication du Livre blanc des Acadé-
            par le biais des canaux SSPES. La rétrospective       mies a peu contribué à l’harmonie d’ensemble.
            de Hans Jürg Zingg sur les travaux du groupe          Rudolf Künzli, l’un des auteurs, explique de
            de résonance CPS « standards de formation »           quoi parle exactement cette « Education pour
            nous rappelle que des procédés analogues sont         la Suisse du futur », quelles sont les intentions
            en cours pour la culture générale.                    des Académies – dans une perspective bien
                Le nouveau rapport national sur l’éduca-          éloignée du tourbillon médiatique provoqué
            tion fournit de précieuses informations sur le        par certaines déclarations.
            niveau d’harmonie du système scolaire de                  L’étymologie du mot « harmonie » renvoie
            notre pays. On précisera entre parenthèses            aux concepts de combinaison et de propor-
            que, quoique présenté comme un « premier              tion. Votre relation avec votre employeur est-
            rapport », un tel opus avait déjà été publié il y     elle harmonieuse ? Vous pouvez répondre ano-
            a quatre ans, non sous forme pdf il est vrai, et      nymement à cette question dans le cadre du
            que le GH l’avait largement commenté. Urs             sondage électronique en cours, présenté dans
            Vögeli-Mantovani met en évidence quelques             ce numéro par Olivier Mermod. Votre en-
            points importants concernant le degré secon-          gagement et l’estime qui vous est portée ne
            daire II. Le rapport EVAMAR II avait déjà             vous semblent-ils pas proportionnels ? Prenez
            mis en lumière quelques désaccords particu-           donc le TGV Lyria et découvrez l’harmonie
            liers. La Conférence des Directrices et Direc-        parisienne!
            teurs de Gymnases Suisses a adopté à ce sujet
            des recommandations, que nous avons le plai-               Hans Peter Dreyer, Président de la SSPES
            sir de publier dans ce numéro en français.                         (traduction de Christine Jacob)

            Armonia

                C      ome indicano i dizionari, armonia
                       significa accordo tra le parti di un
            insieme. Che bello! Allo stesso modo, la
                                                                     Il nuovo resoconto svizzero sulla forma-
                                                                  zione palesa quanta armonia c’è nel mondo
                                                                  della formazione svizzera. (Viene detto che si
            formazione generale non è semplicemente la            tratta del primo, sebbene già quattro anni fa
            somma di non importa quali formazioni                 ne era uscito uno – commentato nel GH –,
            suddivise tra le singole materie, bensì un            ma non ancora disponibile come pdf ). Urs
            tutto, tra le cui parti regna un equilibrio. L’ar-    Vögeli-Mantovani chiarisce alcuni impor-
            ticolo di Marc Eyer elucida quali principi            tanti aspetti della scuola media. Anche EVA-
            dell’insegnamento interdisciplinare del liceo         MAR II ha fatto riferimento a particolari
            Neufeld danno luogo ad una giusta corri-              torbidezze tutt’altro che armoniche. In pro-
            spondenza tra le parti.                               posito, la CDPE ha varato delle raccoman-
               Ogni lettrice ed ogni lettore avrà preso vi-       dazioni che pubblichiamo con piacere. Pochi
            sione del progetto dall’armonia a HarmoS.             motivi di armonia si evincono dal libro bianco
            Esso ha nuovamente superato a livello poli-           delle Accademie Svizzera. Rudolf Künzli,
            tico uno dei 26 ostacoli politici. La Svizzera        uno degli autori, spiega di cosa parla effetti-
            è davvero il paese più frammentato al mon-            vamente «Il futuro della formazione Sviz-
            do. («Critica al piano intercantonale», NZZ           zera», quali sono le intenzioni delle Accade-
            del 16 marzo, p. 13)! Un elemento di Har-             mie e cosa ha acquisito importanza grazie alla
            moS che finora non aveva suscitato un polve-          discussione mediatica.
            rone è rappresentato dagli standards basilari            La parola greca armonia significa anche
            della formazione. La SSISS prende posizio-            rapporto e giusta proporzione. Quanto armo-
            ne in merito: due contributi presentano il            nico è il rapporto col proprio datore di lavo-
            progetto e la invitano alla riflessione ed alla       ro può esprimerlo online in modo anonimo,
            diffusione in seno alle associazioni. La retro-       come informa Olivier Mermod. Se la rela-
            spettiva di Hans Jürg Zingg sui risultati             zione tra impegno e stima non ha le giuste
            emersi dal gruppo cps occupantesi degli stan-         proporzioni, le converrebbe prendere il largo...
            dards fa capire che la cultura generale non è
                                                                       Hans Peter Dreyer, Presidente della SSISS
            esente da sviluppi analoghi.
                                                                             (traduzione di Donato Sperduto)

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Gymnasium Helveticum Nr. 2/10 - vsg - sspes
Bildungsbericht
      Schweiz 2010
                                   Gymnasium: Unterschiede aus
                                   verschiedenen Blickwinkeln
                                   Urs Vögeli-Mantovani, Schweizerische Koordinationsstelle für
                                   Bildungsforschung SKBF, Aarau

                                   Der Schweizer Bildungsbericht 2010, der               Der Erfolg auf der Sekundarstufe II hängt
                                   nach Bildungsstufen und -typen aufgebaut ist,     mit den Leistungen in der obligatorischen
                                   behandelt das Gymnasium in einem eigenen          Schulzeit zusammen. Einen direkten Bezug
                                   Kapitel und im Rahmen der Sekundarstufe II.       zwischen der obligatorischen Schulzeit und
                                   Eine Auswahl im Bildungsbericht angespro-         der Erfolgswahrscheinlichkeit auf der Se-
                                   chener Blickwinkel wird hier erörtert, so bspw.   kundarstufe II erlaubt der Jugendlängsschnitt
                                   die kantonalen Unterschiede, die Studier-         TREE, welcher die im Jahr 2000 durch PISA
                                   fähigkeit, Chancengerechtigkeit u.a.m.            getesteten Jugendlichen jährlich weiterver-
                                                                                     folgt hat. Von den Jugendlichen, die im Jahr
                                                                                     2000 im Alter von 15 Jahren getestet worden
                                   Das Gymnasium als Teil der
Bildungsbericht Schweiz 2010,
                                                                                     waren, hatten 2006, d.h. im Alter von 21 Jah-
                                   Sekundarstufe II
Aarau: SKBF,                                                                         ren, 16% noch keinen Abschluss auf der Se-
316 S. CHF 60.– inkl. MwSt.,
                                   Die Sekundarstufe II umfasst sowohl all-          kundarstufe II erreicht (Grafik 2). Betrachtet
Verpackung und Porto.
                                   gemeinbildende wie berufsbildende Ausbil-         man nun die Anteile der (noch) nicht erfolg-
Bestellungen:                      dungsgänge. Quantitativ (Grafik 1) domi-          reichen Jugendlichen in Abhängigkeit von
SKBF, Entfelderstrasse 61,
5000 Aarau, Tel.: 062 835 23 90,   niert in der Schweiz noch immer die betrieb-      der Lesekompetenzstufe, die sie im PISA-
Fax: 062 835 23 99,                lich basierte (duale) Lehre, in welcher sich      Test 2000 erreicht haben, so wird leicht er-
E-Mail: info@skbf-csre.ch
                                   2007 rund 60% aller in der Sekundarstufe II       sichtlich, dass die Abschlusswahrscheinlich-
Le rapport peut être obtenu        beschulten Jugendlichen befanden. Bei den         keit auf der Sekundarstufe II nicht zufällig
en français et en italien.
                                   allgemeinbildenden Ausbildungszügen do-           ist. Bei Jugendlichen in der höchsten Kom-
                                   miniert das Gymnasium, gefolgt von den            petenzstufe (≥ 4) haben nur gerade 3% noch
                                   Fachmittelschulen. Obwohl also die allge-         keinen Abschluss, während es in der tiefsten
                                   meinbildenden leicht zulasten der berufsori-      Kompetenzstufe (≤ 1) mehr als zehnmal so
                                   entierten Ausbildungen zugenommen haben,          viele Jugendliche betrifft. Die letzte TREE-
                                   stellen die beruflich orientierten Ausbil-        Erhebung (2010) wird zeigen, wie viele der
                                   dungsformen die am meisten besuchten Aus-         Jugendlichen einen Sek-II-Abschluss bis
                                   bildungen dar. Diesbezüglich hebt sich die        zum 25. Altersjahr noch schaffen.
                                   Schweiz von den meisten anderen industria-
                                   lisierten Ländern ab.
                                                                                     Variabilität von Kanton zu Kanton
                                       Es kann in allen industrialisierten Län-
                                   dern beobachtet werden, dass die obligatori-      Gemäss MAR 95 setzen sich die Maturitäts-
                                   sche Bildungszeit allein nicht mehr genügt.       fächer zusammen aus sieben Grundlagen-
                                   Zumindest ein Abschluss auf der Sekundar-         fächern, einem Schwerpunktfach und einem
                                   stufe II ist für eine reibungslose soziale und    Ergänzungsfach. Das Fächerangebot legen
                                   wirtschaftliche Integration «obligatorisch»       die Kantone fest. Nur gerade das Schwer-
                                   geworden. Deshalb ist es wenig überra-            punktfach «Physik und Anwendungen der
                                   schend, dass sich praktisch alle Länder eine      Mathematik» wird in allen Kantonen ange-
                                   möglichst hohe Abschlussquote auf der Se-         boten; von den anderen Schwerpunktfächern
                                   kundarstufe II als vordringliches Bildungsziel    werden nicht alle in allen Kantonen angebo-
Mehr Informationen unter           gesetzt haben. In der Schweiz haben sich          ten. Sehr eingeschränkte Wahlmöglichkeiten
www.bildungsbericht.ch, wo         Bund, Kantone und Organisationen der              haben Schülerinnen und Schüler in fünf klei-
der Bildungsbericht gelesen,
aber nicht herunter geladen        Arbeitswelt als Ziel vorgenommen, die Zahl        nen Kantonen (AI, GL, OW, NW, UR) mit
werden kann.                       der Abschlüsse auf der Sekundarstufe II von       nur je einem einzigen öffentlichen Gym-
                                   heute ca. 90 % bis 2015 auf 95% zu erhöhen.       nasium. Diese Kantone erlauben in der Re-

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Gymnasium Helveticum Nr. 2/10 - vsg - sspes
Schülerzahlen der Sekundarstufe II nach Ausbildungstypus

            350’000

            300’000                                                                           Voll- und Teilzeitberufsschulen

            250’000                                                                           Duale berufliche Grundbildung (2)

            200’000
                                                                                              Berufsmaturitätsschulen (nachberuflich)
            150’000

                                                                                              Übrige allgemeinbildende Schulen (1)
            100’000

             50’000                                                                           Gymnasien

                  0
                           1990                2000         2005   2006    2007

            Grafik 1 (Daten: BFS)

            Anteil der «TREE-Jugendlichen», die 2006 noch keinen Abschluss auf der Sekundarstufe II hatten

            30%

            20%

            10%

             0%
                      ≤1          2        3          ≥4
                                  Pisa-Lesekompetenzstufe

            Grafik 2

            gel den Besuch eines ausserkantonalen Gym-                    angeboten. Die Testergebnisse aus EVA-
            nasiums, wenn ein gewünschter Schwerpunkt                     MAR II zeigen, dass die Schülerinnen und
            nicht angeboten wird.                                         Schüler dieser drei Schwerpunkte in den
               Insbesondere die drei Schwerpunkte Phi-                    Tests zur Schulsprache und insbesondere zur
            losophie, Pädagogik, Psychologie (PPP),                       Mathematik vergleichsweise schwache Lei-
            Bildnerisches Gestalten (BG) und Musik, die                   stungen erbrachten.
            erst seit der Reform (MAR 95) profilbilden-                      Die gesamtschweizerische Quote der
            de Schwerpunkte sind, verteilen sich sehr un-                 gymnasialen Maturitäten hat sich seit An-
            gleich über die Kantone. PPP wird nur an 49                   fang des laufenden Jahrzehnts bei rund 20%
            von insgesamt 151 Gymnasien in 14 Kanto-                      konsolidiert. Während die angemessene
            nen angeboten, darunter sind 16 der 21                        Höhe der Quote der gymnasialen Maturität
            Gymnasien des Kantons Bern. Im Fall des                       in der Schweiz bildungs- und gesellschafts-
            Kantons Bern ist diese starke Verbreitung des                 politisch heiss diskutiert wird, ist aufgrund
            Schwerpunktes PPP damit zu erklären, dass                     der hohen interkantonalen Varianz der
            bei der Auflösung der Lehrerseminarien an                     Quoten eher diese zu hinterfragen als der
            vielen Standorten Gymnasien mit dem                           gesamtschweizerische Durchschnitt. 2008
            Schwerpunkt PPP als Ersatz entstanden. Sie-                   lagen die kantonalen Quoten zwischen 14,0
            ben weitere Kantone neben Bern, die vor der                   und 29,3 %. Dies bei Leistungen beim
            Einführung der pädagogischen Hochschulen                      Austritt aus der obligatorischen Schulzeit
            (Tertiärstufe) Lehrerseminarien auf der Se-                   (PISA), die keinen Anlass für eine solche
            kundarstufe II führten, bieten heute PPP als                  Varianz liefern, falls in allen Kantonen
            Ersatzangebot für die Seminarien an. Acht                     tatsächlich die gleichen Leistungssegmente
            Kantone mit ebenfalls seminaristischer Ver-                   in die Gymnasien gehen würden. Nach den
            gangenheit sind diesem Beispiel jedoch nicht                  Ergebnissen von EVAMAR II lässt sich auch
            gefolgt (FR, GR, JU, SG, SH, SO, TI, ZG).                     nicht mehr behaupten, dass die gymnasiale
            Die Schwerpunkte BG bzw. Musik werden je                      Bildung unabhängig von der schulischen
            in mehr als der Hälfte der Gymnasien ange-                    Leistung beim Eintritt in die Gymnasien
            boten. Sie fehlen einzig in zwei bzw. drei                    überall die gleiche Abschlussqualität zum
            kleinen Kantonen. Im Kanton Tessin werden                     Zeitpunkt der Maturität liefere. Nicht ganz
            diese Schwerpunkte zudem überhaupt nicht                      unerwartet zeigen die Messungen von EVA-

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MAR II nämlich Unterschiede in den Lei-        punkten nicht die gleichen Leistungen er-
            stungen zum Zeitpunkt der Maturität, die       bringen, ist zwar zu erwarten. Auch sind
            negativ mit der jeweiligen kantonalen Matu-    grosse Leistungsschwankungen bei gleichzei-
            ritätsquote korrelieren. Dass die Kohorten-    tiger Vergabe eines identischen Diploms –
            anteile der Sekundarstufe II, die zu den       nämlich der Bescheinigung der Hochschul-
            Gymnasien zugelassen werden, weniger auf       reife – noch kein Problem. Problematisch
            der Basis von Leistungen als auf der Basis     sind die Ergebnisse nur dann, wenn ein zu
            bildungspolitischer Entscheide bestimmt        grosser Teil der Maturandinnen und Ma-
            werden, ist umso störender, als die Schweiz    turanden in für den Studienerfolg wichtigen
            eines der wenigen industrialisierten Länder    Fächern ungenügende Leistungen erbringen
            ist, welche den Absolventinnen und Absol-      und trotzdem die Hochschulreife erhalten.
            venten der Gymnasien immer noch einen          Um diesem Punkt noch etwas vertiefter
            praktisch universellen freien Zugang zu Stu-   nachzugehen, hat EVAMAR II in einem
            dienfächern und Universitäten gewähren.        weiteren Teilprojekt auch die Sicht der ab-
                                                           nehmenden (Hoch-)Schulen erfasst.
            EVAMAR II: Studierfähigkeit                       Rund 140 Dozierende an Deutschschwei-
            hinterfragt                                    zer Universitäten ordneten die Bedeutung
                                                           der Fächer für den Studienerfolg. Die Mit-
            3800 Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in       telwerte der Bedeutungszumessungen zeigt
            der ganzen Schweiz wurden im Maturitäts-       folgende Rangliste: Deutsch, Englisch,
            jahr 2007 im Rahmen des Projekts EVA-          Informatik-Benutzerwissen, Mathematik.
            MAR II in Erstsprache, Mathematik und          Nach den Lücken der Studienanfängerinnen
            Biologie getestet. Die Ergebnisse wurden mit   und -anfänger gefragt, standen Erstsprache
            den Maturitätsnoten und den schriftlichen      (Sprachbeherrschung) und Mathematik häu-
            Maturitätsprüfungen verglichen. Auch die       fig an der Spitze. Bei den überfachlichen
            Maturitätsarbeiten wurden untersucht. Die      Kompetenzen werden «schriftliche Aus-
            Hauptergebnisse zeigten, dass zwischen ein-    drucksfähigkeit», «kritisches Denken» und
            zelnen Lernenden, Klassen, Prüfungen,          «selbständiges Arbeiten und Lernen» am
            Schwerpunktfächern und Schulen erhebliche      häufigsten als Lücken genannt. Die Anfor-
            Unterschiede bestehen. Die besten Klassen      derungen variieren stark von einem Studien-
            hatten in den drei getesteten Fächern zwi-     fach zum anderen. Entsprechend hinderlich
            schen zwei und dreimal so viele Aufgaben       können Lücken werden und die Studienwahl
            richtig gelöst wie die leistungsschwächsten.   nachgerade einschränken.
            24% der Maturitätszeugnisse enthielten eine
            ungenügende Mathematiknote (Note < 4),
                                                           Zusammenhang von Maturitätsnote und
            aber 41% der Maturandinnen und Maturan-        EVAMAR-Testwert in der Erstsprache und in
            den erreichten in der schriftlichen Matura-    Mathematik, nach Schwerpunktfach, 2008
            prüfung in Mathematik eine ungenügende
            Note, die sie dank der Erfahrungsnote kom-     620
                                                           600
            pensieren konnten. Maturandinnen und Ma-
                                                           580
            turanden aus Kantonen mit tiefen Matu-         560
            ritätsquoten schnitten im Durchschnitt bes-    540
            ser ab als solche mit hohen. Maturanden mit    520
                                                           500
            den Schwerpunkten «Physik und Mathema-         480
            tik» und «alte Sprachen» erreichten die        460
            höchsten Resultate, solche aus den Schwer-           4,2   4,3   4,4    4,5   4,6   4,7   4,8    4,9
            punkten «Musik», «bildnerisches Gestalten»                                            Maturitätsnote
                                                           ■ Mathematik ● Erstsprache
            sowie «PPP» die tiefsten. Die Notengebung
            in den Maturitätsprüfungen stimmte nur         Schwerpunktfächer
                                                               alte Sprachen
            teilweise mit den Testergebnissen überein          Biologie/Chemie
            (Grafik 3).                                        Physik/Angewandte Mathematik
                                                               Musik
               Dass Schülerinnen und Schüler aus ver-
            schiedenen Klassen, Schulen und Schwer-        Grafik 3 (Daten: OECD)

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In der Praxis sieht die Situation aber in den
                Lesebeispiele zu Grafik 3
                                                            meisten Ländern anders aus (Grafik 4).
                Die Mathematikleistungen der Schwer-
                                                            Neben der Tatsache, dass die Schweiz auch
                punkte Musik und Biologie/Chemie lie-
                                                            bezüglich des universellen und prüfungsfrei-
                gen 37 Punkte auseinander, die Noten der
                                                            en Zugangs zum Hochschulstudium eine
                Maturaprüfung allerdings nur 0,05 No-
                                                            Ausnahme im internationalen Vergleich dar-
                tenwerte. Die Mathematiknoten wie die –
                                                            stellt, sind auch die Erfolgschancen im uni-
                punkte liegen bei allen Schwerpunkten
                                                            versitären Studium nicht in allen Ländern
                (auch den hier nicht aufgeführten) tiefer
                                                            gleich. Die Quote in der Schweiz lässt sich
                als die Werte für die Sprache. Eine Aus-
                                                            somit aus einer mit Blick auf das Hochschul-
                nahme macht der Schwerpunkt Mathe-
                                                            studium gemachten Selektion beim Eintritt
                matik, wo Mathematik sowohl den Spit-
                                                            in die Gymnasien erklären, während die mei-
                zenwert bei den Noten als auch bei den
                                                            sten anderen industrialisierten Länder die
                Punkten erreicht. Bei annähernd gleichen
                                                            Selektion aus einem grösseren Pool an po-
                Punktwerten (Differenz 6 Punkte) für die
                                                            tenziellen Studierenden zum Zeitpunkt des
                zwei getesteten Fächer im Schwerpunkt
                                                            Studieneintritts vornehmen.
                Biologie/Chemie, differiert die Note doch
                um 0,23.                                    Hochschulabschlüsse im Verhältnis zu den
                                                            Studienberechtigten, 2006

                                                            120%
            Maturaquote und
                                                            100%
            Hochschulabschlüsse
                                                             80%
            Die Summe der Quoten für die gymnasiale
                                                             60%
            Maturität und die Berufsmaturität beträgt in
                                                             40%
            der Schweiz 31% (2008). Auf internationaler
            Ebene entspricht die Maturitätsquote der         20%

            Studienberechtigungsquote. Die schweizeri-        0%
                                                                    CH CAN FIN       D   GR   I   NZL   S
            sche Quote für 2008 ist international gesehen
                                                            Grafik 4 (Daten: OECD)
            unterdurchschnittlich, denn das OECD-
            Ländermittel beträgt 60%. Von den Nach-
                                                             Erläuterung
            barländern weisen mit Ausnahme Öster-
                                                             Der Umstand, dass das Verhältnis zwi-
            reichs (17%) alle höhere Quoten aus,
                                                             schen den Quoten der Studienberechtig-
            Deutschland 40% und Frankreich 51%, aber
                                                             ten (26% in der Schweiz) und der tertiä-
            nur Italien hat mit 76% eine überdurch-
                                                             ren Abschlussquote (29,8%) über 100%
            schnittliche hohe Quote. Auch mit der für
                                                             liegt, liegt an zeitlichen Inkongruenzen
            2017 prognostizierten Maturitätsquote von
                                                             zwischen den beiden Quoten, der Schwie-
            35–38% bleibt die Schweiz in diesem Ver-
                                                             rigkeit, die entsprechenden Quoten genau
            gleich unter dem Durchschnitt.
                                                             zu berechnen, und dem Anteil an auslän-
               Bei diesen internationalen Vergleichen
                                                             dischen Studierenden in der Schweiz.
            muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich
                                                             Deutlich wird trotzdem, dass die Matu-
            der Charakter eines Maturitätsabschlusses
                                                             rität in der Schweiz im Vergleich mit an-
            von Land zu Land sehr stark unterscheidet.
                                                             deren Ländern am ehesten den Charakter
            In den meisten Ländern mit sehr hohen
                                                             eines Hochschulzugangsdiploms hat. In
            Quoten handelt es sich bei den Maturitäten
                                                             den anderen Ländern liegt die Vergleich-
            um den einzigen allgemeinbildenden Ab-
                                                             szahl in der Regel unter 50%, d.h. im
            schluss auf der Sekundarstufe II, in der Re-
                                                             Durchschnitt schliesst nur jede(r) Zweite
            gel sogar um die einzige mögliche Ausbil-
                                                             mit einer Maturität auch ein Hochschul-
            dung auf der Sekundarstufe II, da berufsbil-
                                                             studium ab.
            dende Optionen schwach entwickelt und
            unattraktiv sind. Als Maturitäten werden
                                                            Zur Chancengerechtigkeit
            diese allgemeinbildenden Abschlüsse be-
            zeichnet, weil sie theoretisch den Zugang       Die Umsetzung der Chancengerechtigkeit
            zum tertiären Bildungswesen ermöglichen.        im Gymnasium lässt sich sowohl beim Ein-

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tritt wie auch innerhalb der Stufe und beim         Schülerinnen und Schüler mit sehr hohen
            Übergang in den Tertiärbereich untersuchen.         Leistungen in Mathematik (gemäss PISA-
            Der wohl wichtigste Indikator zur Messung           Test), aber mit benachteiligtem sozio-ökono-
            der Chancengerechtigkeit ist die Verteilung         mischem Hintergrund in der 9. Klasse an ein
            der sozialen Gruppen auf die verschiedenen          Gymnasium gehen, sind es bei Schülerinnen
            Ausbildungsgänge oder Ausbildungsniveaus.           und Schülern aus sozio-ökonomisch privile-
            Ungleiche Verteilungen zwischen sozialen            gierten Familien über 60%. Ähnliche Unter-
            Gruppen müssen aber nicht in jedem Fall ei-         schiede zeigen sich auch bei den Fächern
            ne Verletzung der Chancengerechtigkeit dar-         Lesen und Naturwissenschaften, und zwar
            stellen, da sie grundsätzlich auch auf rational     statistisch signifikant auch unter Berücksich-
            gefällten Entscheidungen gründen – und so-          tigung anderer Einflussfaktoren. Nun heisst
            mit unabhängig von Stereotypen, verzerrten          dies aber noch nicht unbedingt, dass es sich
            Erwartungen oder Diskriminierungen sein             bei diesen Unterschieden in jedem Fall um
            können. Je nach Auffassung des Gleichheit-          eine Diskriminierung von Kindern aus sozi-
            sprinzips stellen Ungleichheiten in den ein-        al eher benachteiligten sozio-ökonomischen
            geschlagenen Bildungswegen zudem keine              Schichten handelt. Sie können auch ein Er-
            Verletzung der Equity dar, wenn diese mit           gebnis persönlicher Neigungen, Einstellun-
            ungleichen Leistungen erklärt werden kön-           gen oder Erwartungshaltungen der Eltern
            nen. Demgegenüber sind ungleiche Chan-              sein. Trotzdem ist es auch für die Rekrutie-
            cenverhältnisse bei gleichen Leistungen ein         rungspraxis der Gymnasien erstaunlich, dass
            starkes Indiz für eine Verletzung der Chan-         aus der Schülerpopulation mit überdurch-
            cengerechtigkeit – unabhängig vom jeweili-          schnittlichen Testleistungen, aber benachtei-
            gen Gerechtigkeitsverständnis.                      ligtem sozialem Hintergrund nicht einmal
                Beim Zugang zu den Gymnasien sind die           die Hälfte ans Gymnasium geht.
            primären und die sekundären Effekte von
            Herkunftsunterschieden relevant. Zu den             Sozio-ökonomische Herkunft der Schüler(innen)
            primären zählen die sozio-ökonomische und           mit sehr hohen Leistungen, die im 9. Schuljahr
            die kulturelle Herkunft der Schülerinnen und        in einem Gymnasium sind

            Schüler, die sich direkt auf das Leistungsni-
                                                                                                           Lesen
            veau auswirken. Vergleicht man anhand der           benachteiligt                              Mathematik
                                                                                                           Natur-
            PISA-Daten 2006 die soziale Herkunft der          durchschnittlich                             wissenschaften
            Schülerinnen und Schüler, die das 9. Schul-
                                                                   privilegiert
            jahr an einem Gymnasium besuchen, mit der
                                                                              0%   20%   40%   60%   80%
            durchschnittlichen sozialen Herkunft aller
            Schülerinnen und Schüler in diesem Kanton,          Grafik 5 (Daten: BFS/EDK 2007, Berechnungen: SKBF.
            so zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler        Aus Gründen der Vergleichbarkeit sind nur die Daten
                                                                der folgenden Kantone verwendet worden:
            aus sozio-ökonomisch privilegierten Famili-         BE-d, SG, SH, TG, VS-d, ZH. Im Bericht Grafik 90)
            en überproportional an Gymnasien vertreten
            sind.
                Der sekundäre Effekt bei Bildungsdispa-
                                                                   Lesebeispiel
            ritäten zeigt sich daran, dass selbst bei ver-
                                                                   Rund 75% der Schülerinnen und Schüler
            gleichbaren Leistungen die Schülerinnen und
                                                                   mit sehr hohen Leistungen in Naturwis-
            Schüler aus sozio-ökonomisch benachteilig-
                                                                   senschaften, die aus einem sozio-ökono-
            ten Familien in den gymnasialen wie auch in
                                                                   misch privilegierten Elternhaus kommen,
            den progymnasialen Schultypen untervertre-
                                                                   gehen in der 9. Klasse an ein Gymnasium.
            ten sind. Werden beim Vergleich nur jene
                                                                   Bei Schülerinnen und Schülern gleicher
            Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, die
                                                                   Leistungsstufe, aber aus sozioökonomisch
            in PISA 2006 die Leistungen der höchsten
                                                                   benachteiligtem Elternhaus, sind es ledig-
            Kompetenzstufen (5 und 6) erbrachten, zeigt
                                                                   lich 38 %. Die Wahrscheinlichkeit, ein
            sich, dass bei gleichen fachlichen Leistungen
                                                                   Gymnasium zu besuchen, ist also sozio-
            die soziale Herkunft den Besuch des Gym-
                                                                   ökonomisch bedingt rund um die Hälfte
            nasiums signifikant begünstigt bzw. er-
                                                                   tiefer.
            schwert (Grafik 5). Während bspw. 28% der

gh 2 • 10
            10
Thèses pour le
         gymnase
                                  À propos de la situation actuelle des
                                  gymnases
                                  Thèses de la Conférence des Directrices et Directeurs de Gymnases suisses CDGS

                                  Préambule                                          1. Évaluations et études

                                  Les gymnases n’ont pas qu’un mandat de for-        Entreprises assez récemment, les évaluations du
                                  mation de type pédagogique, mais aussi une         travail des gymnases ne permettent guère de
                                  mission éducative de culture générale; aussi       faire des comparaisons dans la durée. En
La CDGS représente les intérêts   les mesures envisagées pour renforcer le sta-      outre, elles n’analysent que des aspects parti-
des gymnases au niveau
fédéral et intercantonal et       tut de ces écoles, pour assurer leur dévelop-      culiers de la mission de formation dévolue au
apporte son soutien à ses         pement ultérieur et leur positionnement clair      gymnase, débouchant cependant sur des ré-
membres au niveau cantonal.
                                  ainsi que pour les harmoniser le cas échéant       sultats très utiles. Ceux-ci ne sont pourtant
                                  doivent tenir compte de plusieurs facteurs:        pas de nature à déclencher une vague activis-
                                                                                     te de réformes centralisées, car ils attestent
                                  • savoir ne signifie pas nécessairement com-
                                                                                     que les gymnases accomplissent en règle géné-
                                    prendre, et le savoir-faire n’est pas encore
                                                                                     rale à satisfaction leurs tâches relatives à l’ap-
                                    la culture: il s’agit là de bases qui y prépa-
                                                                                     titude aux études universitaires. Ils n’en met-
                                    rent;
                                                                                     tent pas moins en lumière des perspectives
                                  • il n’est pas possible de se limiter à consi-
                                                                                     d’amélioration qu’il appartient aux cantons
                                    dérer la formation générale selon des ob-
                                                                                     concernés et aux écoles de prendre en considé-
                                    jectifs à court terme ou d’un point de vue
                                                                                     ration. Ce potentiel d’amélioration est va-
                                    utilitaire; on ne peut donc l’évaluer sans
                                                                                     riable d’un canton à l’autre.
                                    autre dans ses dimensions économiques;
                                                                                        Les études publiées montrent que les prin-
                                  • pour développer leur personnalité et leur
                                                                                     cipales demandes liées au RRM ont été suivies
                                    aptitude à la réflexion, les élèves ont besoin
                                                                                     d’effets dans la révision partielle du RRM adop-
                                    de temps et d’espaces de liberté, et ces
                                                                                     tée en 2007. Le système de la compensation
                                    qualités visées ne peuvent être appréciées
                                                                                     des notes insuffisantes paraît donner satisfac-
                                    uniquement en termes de résultats ou
                                                                                     tion en règle générale. Avant d’engager
                                    d’objectifs;
                                                                                     d’autres réformes, il convient d’évaluer les
                                  • les processus pédagogiques ne sont pas
                                                                                     effets de la révision partielle RRM de 2007.
                                    conciliables avec l’esprit du temps selon
                                                                                     À la lumière des analyses publiées, il n’y a pas
                                    lequel tout est susceptible d’être immédia-
                                                                                     lieu de conclure à la nécessité de réduire le
                                    tement piloté, mesuré et contrôlé;
                                                                                     nombre des options spécifiques proposées
                                  • une école ne peut se passer d’une culture
                                                                                     dans les gymnases ni de décréter un état
                                    qui favorise, chez tous les acteurs concer-
                                                                                     d’alerte quant à la qualité de la formation
                                    nés, la motivation personnelle et l’esprit
                                                                                     gymnasiale.
                                    d’innovation, mais une telle culture ne
                                    peut être ni instaurée ni conçue dans une
                                                                                     2. Mission fondamentale des gym-
                                    démarche de type technique;
                                                                                        nases selon le RRM non contestée
                                  • une certaine diversité et des espaces de
                                                                                        dans sa double finalité
                                    liberté sont des conditions indispensables
                                    à un climat favorable aux innovations;           La mission fondamentale des gymnases selon le
                                  • il est essentiel aussi que les écoles qui        RRM doit rester inchangée – mission qui
Le document est disponible sur
                                    entendent transmettre non de simples             consiste à mener les élèves à la maturité re-
le site Internet
www.ksgr-cdgs.ch >                  connaissances, mais aussi les bases d’une        quise pour entreprendre des études universi-
Documents – Journées de             culture générale personnelle sachent diffé-      taires, et à les soutenir dans leur développe-
travail 2009.
                                    rencier clairement les adaptations qui sont      ment personnel – et la maturité gymnasiale
Die deutsche Version erschien       véritablement nécessaires et les tendances       doit continuer à garantir le libre accès sans
im GH01/2010.
                                    à la mode soumises à l’esprit du moment.         examen à toutes les hautes écoles. Au vu des

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                                  11
résultats des évaluations et études effectuées,         aller vers une standardisation des procédures
            il n’y a pas lieu de modifier cet état de fait.         lors du déroulement des examens de maturité
                Ce double objectif des gymnases se reflète dans     et à introduire – quand elles n’existent pas
            les plans d’études, qui permettent une certaine         encore – des commissions d’experts de la ma-
            diversité, dans le respect du rôle des gymnases         turité chargés en priorité de la surveillance
            et du RRM. En effet, les gymnases ne se                 des épreuves d’examen.
            limitent pas à préparer aux études acadé-                   Par ailleurs, il incombe aux gymnases de se
            miques par une large culture générale et un             doter à l’interne de systèmes du management de
            enseignement propédeutique, mais ils visent             la qualité conformes aux directives cantonales,
            aussi au développement et à la maturité in-             à coordonner entre eux au sein des DIP
            tellectuelle individuelle; il ne saurait être           respectives. Mais un tel effort a son prix.
            question d’atteindre ces objectifs en opéra-                Les idées mentionnées et un débat appro-
            tionnalisant sans limite l’apprentissage ou en          fondi sur les raisons et les conséquences des
            usant de standards de performance axés sur              taux de maturités variables d’un canton à
            l’output – ou une telle démarche entraînerait           l’autre seraient à même de réduire les diffé-
            des dépenses considérables. On utiliserait les          rences de qualité souvent constatées entre les
            ressources financières avec plus d’efficacité en        écoles elles-mêmes et entre les cantons.
            les engageant à la base (dans les établisse-
            ments) et pour soutenir les échanges d’en-
                                                                    6. Pour innover, il faut des marges
            seignants et la collaboration entre les univer-
                                                                       de manœuvre
            sités et les écoles.
                                                                    Les gymnases qui innovent ont besoin de liberté.
            3. Durée de la formation gymnasiale                     En effet, une autonomie individuelle – par-
                                                                    tielle – des établissements scolaires revêt une
            Comme EVAMAR II se réfère uniquement
                                                                    grande importance pour les gymnases qui en-
            au nouveau RRM, les évaluations ne peuvent
                                                                    tendent garantir et développer la qualité et
            servir à comparer le régime de l’ancienne
                                                                    acquérir un profil plus marqué. De tels tra-
            ORM et la nouvelle organisation de la matu-
                                                                    vaux peuvent être réalisés grâce à des mandats
            rité (nouveau RRM). Elles permettent ce-
                                                                    cantonaux de prestation dotés de budgets
            pendant de constater que les résultats des
                                                                    globaux pluriannuels. Les pouvoirs publics
            élèves sont meilleurs quand la formation gym-
                                                                    doivent libérer les ressources requises.
            nasiale dure plus longtemps. Il faut donc viser à
            une durée de quatre ans au moins pour la for-
            mation gymnasiale, et maintenir et soutenir             7. Classements et évaluations notées
            les gymnases de six années quand ils existent.             (en allemand et en anglais:
                                                                       «rankings» et «ratings»)
            4. Cadre financier                                      Les palmarès avec évaluations notées ne sont
            La période des années 1995 à 2006 a été ca-             pas sans intérêt et peuvent même rendre de
            ractérisée par des économies très importantes           précieux services. Pourtant, s’agissant de la
            dans les gymnases – à l’inverse de ce qui s’est         mission de formation culturelle globale des
            passé pour toutes les autres filières.                  gymnases, ces procédures ne recouvrent que
               Cette réalité est de nature à expliquer en           des aspects partiels et ne renseignent guère sur la
            partie certains points critiques qui ont été relevés.   question de savoir si un gymnase est «bon» ou
            Le développement ultérieur des gymnases re-             «mauvais» sous tous les rapports. La foi dans les
            quiert entre autres des investissements finan-          chiffres dans le goût des médias et de l’opinion
            ciers consacrés à la base, c’est-à-dire dans les        publique amène toutefois à considérer ces clas-
            écoles.                                                 sements comme des mesures absolues, quand
                                                                    bien même ils ne reposent que sur l’analyse
                                                                    d’un élément particulier. De telles interpréta-
            5. Possibilités de pilotage
                                                                    tions sans nuances partent d’une vision des
            Une solution globale pour assurer de façon              choses selon laquelle tout est mesurable, ce qui
            centralisée le pilotage qualitatif et l’harmonisa-      n’est précisément pas le cas de la mission cul-
            tion du système de la maturité consisterait à           turelle générale des gymnases. Il conviendrait

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donc d’établir des statistiques, dans toutes les     les succès dans les études, qui doivent être
                            universités et toutes les filières, à propos de      adaptées le cas échéant, pourraient renseigner
                            toutes les composantes de la mission des gym-        sur les «succès» des gymnases.
                            nases: il serait peu judicieux de s’atteler à une
                            tâche aussi gigantesque, qui d’ailleurs réunirait    8. Pour des attentes réalistes envers
                            une grande masse de données peu solides et              les gymnases
                            peu significatives et déboucherait sur des
                                                                                 Les attentes formulées à l’égard des gymnases doi-
                            conclusions pratiques limitées. En outre,
                                                                                 vent rester réalistes: les établissements scolaires
                            d’éventuelles mesures ne portent leurs fruits
                                                                                 font partie de la société. Les phénomènes et les
                            qu’après plusieurs années. On peut conclure
                                                                                 développements sociaux ont aussi des réper-
                            que les classements et les évaluations notées ne
                                                                                 cussions dans les gymnases et ne peuvent pas
                            constituent pas des moyens de pilotage appropriés.
                                                                                 être endigués ni contrebalancés, sinon dans une
                            Les statistiques fédérales existantes portant sur
                                                                                 très faible mesure. La marge d’influence des
                                                                                 gymnases est limitée. Cette évidence se mani-
                                                                                 feste entre autres de deux façons exemplaires:
            Kreativ                                                              – Les informations que les gymnases dispen-
                                                                                   sent sur les études universitaires sont un élé-
                                                                                   ment important de la formation gymnasia-

                                              Es sind                              le. Il est pourtant probable qu’aucune rela-
                                                                                   tion étroite de causalité n’existe entre cette
                                              Ideen,                               information, la formation gymnasiale elle-
                                                                                   même et le taux d’abandon – notion qu’il
                                              die Ihre                             faudrait définir exactement – à l’Université
                                              Fantasie                             ou aux EPF. Parmi les éléments se trouvant
                                                                                   hors de portée des gymnases, on peut en ci-
                                              beflügeln.                           ter quelques-uns qui ont beaucoup d’im-
                                                                                   portance: à l’inverse du niveau gymnasial
                                                                                   qui n’offre que des possibilités restreintes de
                                               Mit                                 répéter ou de changer (par exemple d’op-

                                               unserem                             tions spécifiques ou complémentaires), le
                                                                                   degré universitaire ne met pas les mêmes li-
                                               Strom                               mites dans ces domaines. On ne peut dès

                                               können                              lors faire grief aux étudiants s’ils mettent à
                                                                                   profit les possibilités innombrables de pas-
                                               Sie sich                            sage ou de réorientation – au gré du systè-
                                                                                   me de transfert et de cumul des crédits ou
                                               entfalten.                          de leurs préférences – qu’offrent les univer-
                                                                                   sités, les Hautes écoles spécialisées et les
                                                                                   Hautes écoles pédagogiques. Rendre les
                                                                                   gymnases responsables de la situation re-
                                                                                   viendrait à surestimer leurs possibilités.
                                               Bei einem Werkrundgang
                                               erfahren Sie mehr.
                                                                                 – Aussi longtemps que certaines professions
                                               Telefon 0800 844 822.               (déficitaires) connaissent en Suisse une per-
                                               Wir freuen uns auf Sie.             te de prestige et des conditions de travail
                                               www.kkg.ch                          mauvaises, les gymnases ne sont guère en
            Lichtkunst von Gerry Hofstetter
                                                                                   mesure d’encourager la relève dans les fi-
                                                                                   lières qui y conduisent. Les écoles peuvent
                                                                                   bien éveiller l’intérêt, mais ce sont d’autres
                                                                                   facteurs, dont ceux que l’on a mentionnés,
                                                                                   qui détermineront les décisions indivi-
                                                                                   duelles d’embrasser telle ou telle direction
                                                                                   d’étude.

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                            13
Flächenübergrteifender
         Unterricht
                                    Ansätze zum fächerübergreifenden
                                    Unterrichten
                                    Dr. Marc Eyer, Gymnasium Neufeld-Bern, Abteilung Physik

                                    Der Schulalltag unserer Schülerinnen und         «Bildung nennen wir jenes Phänomen, an
                                    Schüler ist geprägt durch den Fächerkanon        dem wir – im eigenen Erleben oder im Ver-
                                    des Lehrplans. Die einzelnen Fächer haben        stehen anderer Menschen – unmittelbar der
                                    dabei eine zentrale Bedeutung. Sie nehmen        Einheit eines objektiven (materialen) und
                                    sowohl eine inhaltlich- aber auch eine orga-     eines subjektiven (formalen) Momentes
                                    nisatorisch-strukturierende Aufgabe wahr.        innewerden. Der Versuch, die erlebte Ein-
                                    Die Lerninhalte werden durch den Lehrplan        heit der Bildung sprachlich auszudrücken,
                                    historisch gewachsenen Fächern zugeordnet        kann nur mit Hilfe dialektisch verschränk-
                                    und dadurch je in eigenen Gefässen vermit-       ter Formulierungen gelingen: Bildung ist
                                    telt. Wodurch rechtfertigt es sich nun, diese    Entschlossensein einer dinglichen und gei-
                                    Struktur aufzuheben bzw. diese für gewisse       stigen Wirklichkeit für einen Menschen –
   Marc Eyer, 39-jährig,
   seit 11 Jahren Physiklehrer am   Unterrichtssequenzen zu durchbrechen? Der        das ist der objektive und materiale Aspekt;
   Gymnasium Neufeld in Bern,       Lehrplan hat neben vielen fachlichen Zielen
   promovierter Klimaphysiker,                                                       aber das heißt zugleich: Erschlossensein die-
   ab Sommer 2010 Dozent für        auch viele methodische Ziele, unter anderen      ses Menschen für diese seine Wirklichkeit –
   «Interdisziplinarität» am        das «Fördern vernetzten Denkens» (MAR,
   Institut Sek. II der PH Bern.                                                     das ist der subjektive oder formale Aspekt
   marc.eyer@gymneufeld.ch          Art. 5 Bildungsziel). Das fächerübergreifende    zugleich im ‹funktionalen› wie im ‹methodi-
                                    Unterrichten leistet dazu einen zentralen        schen› Sinne.»         (Klafki 1963 a, S. 43)
                                    Beitrag.
                                                                                     Ich konkretisiere hier die in der Theorie von
                                    Bildungsbegriff                                  Klafki angelegte Subjektivität der Bildung:
                                    Die Interpretation des allgemeinen Bil-          Physik ohne Metaphysik, Theorien ohne die
                                    dungsauftrags, dem wir Lehrpersonen stän-        individuelle und persönliche Erschliessung
                                    dig zu folgen haben, hängt von Bildungsbe-       der alltäglichen Konsequenzen daraus sind
                                    griff ab. Ein Bildungsbegriff, auf dessen Hin-   «Wissen» aber nicht «Bildung». Bildung ist
                                    tergrund interdisziplinäres Unterrichten als     etwas Individuelles und Persönliches. For-
                                    selbstverständlich erscheint, ergibt sich aus    schungsergebnisse müssen für die Schülerin-
                                    der Theorie der kategorialen Bildung nach        nen und Schüler als kulturhistorisch gewach-
                                    Klafki (Klafki, 1963). Das Schaffen von Ka-      sene Erzeugnisse der Menschheit erfasst und
                                    tegorien zum Aufschluss der integralen           im eigenen Alltag verankert und implemen-
                                    Wirklichkeit und das Verwenden dieser Ka-        tiert werden können. Erst dann wird «Wis-
                                    tegorien zur Wahrnehmung bedeuten nach           sen» zur «Bildung»!
                                    Klafki Bildung.                                     Dieser Bildungsbegriff ruft nach dem Ver-
                                                                                     netzen der Fachperspektiven, um den Zu-
   Zum «disziplinären» Zugang:                                                       gang zu einem umfassenden und integralen
   Kyburz-Graber, R.,
   H. Caviola, S. Locher, Guter     «Bildung ist kategoriale Bildung in dem          Blick auf einen Unterrichtsinhalt zu er-
   fächerübergreifender Unter-                                                       schliessen.
   richt, Artikel im Gymnasium
                                    Doppelsinn, dass sich dem Menschen eine
   Helveticum Nr. 4/2009,           Wirklichkeit >kategorial< erschlossen hat
   S. 10–15.                                                                         Ansätze und Modelle zum
                                    und dass eben damit er selbst – dank der
   Guery, M., Interdisziplinärer    selbstvollzogenen >kategorialen< Einsich-        fächerübergreifenden Unterrichten
   Unterricht in Literatur, Musik   ten, Erfahrungen, Erlebnisse – für diese
   und bildnerischem Gestalten,                                                      Es gibt grundsätzlich unterschiedliche Vor-
   Artikel im Gymnasium Helveti-    Wirklichkeit erschlossen worden ist.»
                                                                                     aussetzungen, Motivationen, Zielsetzungen
   cum Nr. 5/2009, S. 36–37.        (Klafki 1963 a, S. 44)
                                                                                     und Anlässe, die zu fächerübergreifendem

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Unterrichten führen. Es ist dabei nicht ohne                             In einem zweiten Schritt werden dann in-
            Belang, welche Ansätze für die diesbezüg-                             haltliche Kontaktstellen oder Schnittmengen
            liche Organisation und die methodische und                            zu anderen Disziplinen gesucht und Inhalte
            didaktische Ausgestaltung gewählt werden.                             definiert, zu welchen die beiden (oder meh-
            Im Folgenden seien zwei unterschiedliche                              rere) Disziplinen einen Beitrag beisteuern
            Ansätze und die dazu passenden Methoden                               können.
            vorgestellt. Das eine Modell ist durch die Ar-
            beitsgruppe rund um Prof. Regula Kyburz-                              2. Schritt                         Disziplin 3
            Graber vom Zürcher Hochschulinstitut für
            Schulpädagogik und Fachdidaktik (Kyburz-
                                                                                       Disziplin 1
            Graber et al., 2009) im Rahmen einer empi-
            rischen Studie am Gymnasium Liestal un-
            tersucht und evaluiert worden. Der andere
            Ansatz ist eine subjektive, auf eigener Erfah-
            rung basierende Alternative zum Modell von                                                Disziplin 2
            Kyburz-Graber. Zuletzt erwähne ich noch
            den transdisziplinären Ansatz, einen eher
                                                                                  Die klar gefestigten und abgegrenzten Disziplinen öff-
            pragmatischen Zugang zur Interdisziplina-                             nen verschiedene Zugänge zum Thema. Es finden
                                                                                  jeweils Standpunktwechsel statt.
            rität, der ohne grossen organisatorischen
            Aufwand realisiert werden kann und in vie-                               Eben dieser Ansatz liegt auch den im Ar-
            len Schulstuben auch oft zum Tragen                                   tikel im Gymnasium Helveticum Nr.5/09
            kommt.                                                                von Dr. Michael Guery beschriebenen Pro-
                                                                                  jekten in Literatur, Musik und bildnerischem
            A. Disziplinärer Ansatz                                               Gestalten zugrunde (Guery, M. 2009). Die
            Den verschiedenen Modellen fächerübergrei-                            Disziplinen stehen dabei stark im Vorder-
            fenden Unterrichtens, welche im Rahmen                                grund. Der Anlass zu fächerübergreifendem
            der Untersuchungen am Gymnasium Liestal                               Unterrichten ist hier die Interdisziplinarität
            untersucht wurden, liegt allen der gleiche                            an sich. Ein Schwerpunkt besteht darin, aus-
            Ansatz zugrunde. Dabei geht es in einem er-                           gehend von verschiedenen Disziplinen, de-
            sten Schritt darum, das Verständnis für die                           ren Beitrag zu einem Phänomen oder einem
            einzelnen Fächer oder Disziplinen zu schär-                           Unterrichtsgegenstand aufzuzeigen. Dieser
            fen. Bevor es zur Interdisziplinarität kommt,                         Austausch zwischen den Disziplinen festigt
            sollen die einzelnen Disziplinen stark profi-                         das Verständnis für die Abgrenzung der Dis-
            liert, abgegrenzt und gefestigt werden. Erst                          ziplinen untereinander und schult das Ver-
            wenn die einzelnen Disziplinen klare Kontu-                           netzen von unterschiedlichen Zugängen zu
            ren aufweisen, kann es zu einer Zusammen-                             einem Gegenstand. Konkret kann durchaus
            arbeit zwischen den Disziplinen kommen.                               vorerst die Absicht bestehen, fächerübergrei-
            Die didaktische Begründung liegt darin, dass                          fend zu unterrichten, bevor klar ist, welcher
            die Lernenden sich vorerst in den Fachberei-                          Inhalt unterrichtet werden soll. Anschlies-
            chen sicher fühlen sollen, diese (auch perso-                         send werden geeignete Inhalte gesucht.
            nell 1 ) verankern können, bevor es zu einer                             Der disziplinäre Ansatz eignet sich beson-
            Vernetzung von Inhalten über Disziplinen-                             ders bei sehr komplexen, unübersichtlichen
            grenzen hinweg kommt.                                                 Phänomenen (z.B. «Klimawandel», «Lessings
                                                                                  Nathan der Weise», «Faschismus»). Die Phä-
                                                                                  nomene sind zu komplex, als dass durch ge-
            1. Schritt                                                            führtes Betrachten des Phänomens die Fra-
                                                                                  gestellungen mit den Studierenden selber er-
                                                     Disziplin                    arbeitet werden können und das Phänomen
                                                                                  in übersichtlicher Weise selber auf die Diszi-
                                                                                  plinen verweist. Eine fundierte Kenntnis der
                                                                                  fachlichen Grundlagen und Konzepte der
            1 Offenbar ist für die Lernenden die Identifikation einer Disziplin   beteiligten Disziplinen hilft bei der Orien-
              (des Schulfachs) mit der das Fach unterrichtenden Person sehr
              wichtig für den Lernprozess.                                        tierung und bei der Abstraktion (Modellie-

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rung) des komplexen Phänomens (z.B.                         Phänomen erschliesst die Disziplinen. Die
            «Treibhauseffekt hat mit energetischem                      Disziplinen rechtfertigen sich damit in der
            Gleichgewichtszustand zu tun»).                             Genese der Auseinandersetzung mit dem
               Die Gefahr bei der disziplinären Metho-                  Thema und sind nicht a priori gegeben.
            de besteht darin, dass das «Fächerübergrei-                 Nicht jedes Phänomen führt zu fächerüber-
            fende» sich auf die Organisationsform (z.B.                 greifendem Unterricht. Fächerübergreifender
            Teamteaching zum Selbstzweck) beschränkt.                   Unterricht ist mit diesem Ansatz authen-
            Disziplinäre Konzepte und Zugänge werden                    tisch, weil nur verschiedene Disziplinen her-
            nebeneinander und additiv zusammengefügt,                   beigezogen werden, wenn das Erfassen des
            ohne dass sich daraus ein Gesamtgefüge er-                  Phänomens dies bedingt.
            gibt. Dies ist dann der Fall, wenn die Aus-                    An die meisten Phänomene lassen sich Ka-
            einandersetzung der beteiligten Disziplinen                 tegorien heften, die dann in entsprechende
            untereinander vernachlässigt oder gar ge-                   Disziplinen führen. Dazu folgendes Beispiel:
            scheut wird. Fächerübergreifender Unterricht
                                                                                             P, M
            wird dann zu einem «gemeinsamen
            Schmücken des Weihnachtsbaumes», aber                               räumlich                technisch
            nicht zu einer ganzheitlichen Erfassung eines
                                                                        Gg                                  I, Lat, E, D
            Lerngegenstandes.
                                                                      gesellschaftlich                     kommunikativ,
                                                                                                          sprachlich
             Disziplin 1                              Disziplin 3
                                                                       Mu, Bg                                            0

                                                                       kulturell                                         D

                                  Disziplin 2
                                                                           Ge                              literarisch

                                                                              historisch                   religiös
            Die Disziplinen sind vorerst nicht im Zentrum, sie wer-
            den durch das Studium des Phänomens erschlossen
                                                                                           Rel, Philo
                                                                           Über das Phänomen Galileo Galilei lassen
            B. Phänomenologischer Ansatz                                sich verschiedene Fachgebiete erschliessen.
            Im Gegensatz zum disziplinären Ansatz geht                  Umgekehrt ist es notwendig, das Phänomen
            der phänomenologische nicht von den Diszi-                  aus den verschiedensten Fachrichtungen zu
            plinen aus, sondern vom Unterrichtsgegen-                   betrachten, um ihm gerecht zu werden. Das
            stand. Am Anfang und im Zentrum steht das                   wissenschaftliche Werk Galileis kann nicht
            Phänomen (Wagenschein, 2009). Dieses ver-                   gewürdigt werden, wenn es nicht im kulturhi-
            langt zu seiner ganzheitlichen Erfassung                    storischen Kontext gesehen wird. Das Wirken
            Multi-Disziplinarität. Der Ansatz zum                       Galileis ist nicht nur durch die religiösen, son-
            fächerübergreifenden Unterricht ist damit                   dern auch durch die gesellschaftlichen Um-
            authentisch, das heisst, er ergibt sich aus dem             stände seiner Zeit stark geprägt. Galilei ver-
            Lerngegenstand.                                             sucht seine wissenschaftliche Erkenntnis und
               Fächerübergreifender Unterricht ist hier                 sein Weltbild unter das Volk zu bringen, in-
            Subjekt und nicht Objekt, Schlüssel zum                     dem er in italienischer Sprache (in der Spra-
            Phänomen und nicht das Phänomen selber,                     che des Volkes) und in Dialog-Form publiziert
            Methode und nicht Unterrichtsgegenstand.                    (Galilei, 2007). Schliesslich dient Galileis Per-
            Der Ausgangspunkt ist das Phänomen und                      son und Geschichte modernen Schriftstellern
            die Disziplinen werden durch das Phänomen                   als Inhalt für literarische Werke.
            erst erschlossen, erkundet. Der Zugang zum                     Ein weiteres im Unterricht erprobtes Bei-
            Phänomen ist hier unmittelbar. Die Lernen-                  spiel ist eine Unterrichtseinheit, ein Lehr-
            den sind vorerst mit dem komplexen, nicht                   stück (vgl. www.lehrkunst.ch) zur Klassifika-
            abstrahierten, umfassenden Phänomen kon-                    tion von Wolken. Um zu einer Wolkenklassi-
            frontiert. Erst durch die Abstraktion gelan-                fikation zu gelangen, ist es unerlässlich,
            gen sie nach und nach in die Disziplinen. Das               Wolken zu zeichnen: Welche Techniken eig-

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