IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie

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IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
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IBO – Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie | 2020
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
WIR SIND EIN NETZWERK
                                                         VON FORSCHUNGSINSTITUTEN
                                                         UND BETREIBEN ANGEWANDTE
                                                        FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG
                                                             FÜR UNTERNEHMEN,
                                                              SPEZIELL FÜR KMU.

                                                            EIN WICHTIGER FORSCHUNGS-
                                                              SCHWERPUNKT DER ACR IST
                                                                NACHHALTIGES BAUEN.

                                                                          www.acr.ac.at

Wunschlos wohnlich
Umidus. Hi-Tech für behagliches und gesundes Wohnen.

                          Mit dem UMIDUS bekommen die Nutzer eine normgerechte Raumklimainterpretation
                          mit verständlichen Hinweisen zum richtigen Lüften und Heizen sowohl für Neubauten
    Schimmelvorbeugung    als auch für Altbauten – gesundheitsgefährdender Schimmelbildung kann effektiv
    Luftgütekontrolle     vorgebeugt werden. Dr. Karl Torghele Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger

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                          Umidus Bon Air Guardian ist eine registrierte Marke der
                          Kühnel Electronic GmbH
                          AT 1030 Wien, Leopold-Böhm-Straße 12/D65
                          +43 1 / 79 80 333
                          www.umidus.com | office@kuehnel.at
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
EDITORIAL                          Liebe Mitglieder, liebe Leserinnen und Leser!

                                       Als wir vor drei Jahren den Kitting eingeführt
                                   haben, ahnten wir nicht, dass er gerade heuer
                                   perfekt zu den Entwicklungen passen würde.
                                   Nicht nur, weil er „kittet“, Themen und Men-
                                   schen in einer Zeit des „social distancing“ ver-
                                   bindet, sondern weil gerade heuer Antworten von der Wissenschaft im Be-
                                   reich ökologischen Bauen und Wohnen mehr denn je gesucht werden. Wir
                                   teilen unser geballtes Wissen auf über 50 Seiten mit Ihnen, es kommt aus den
                                   vielen Forschungsprojekten des IBO und gibt Antworten auf (Forschungs-)
                                   fragen, von Ökobilanzdaten über Akustikmessungen und Digitalisierung bis
                                   zu low-tec. Gebaute Beispiele zeigen uns, wie vielfältig Nachhaltigkeit inter-
                                   pretiert wird. Und dass das Streben nach immer mehr zwar begründbar, aber
                                   nicht immer sinnvoll ist, speziell wenn Menschen im Spiel sind: Das wird z.B.
                                   anhand der Auswirkungen von zu hoher Luftdichtigkeit deutlich. Dieses Stre-
                                   ben nach mehr mündet – so wir mit dieser einen Erde auskommen wollen –
                                   zwangsläufig in Kreislaufwirtschaft. Mit neuen Berechnungsmöglichkeiten
                                   der Kreislauffähigkeit wird das Bewusstsein dafür stärker werden. Klimawan-
                                   del bleibt das bestimmende Thema – auch Hitzeschutzmaßnahmen für Tro-
                                   pennächte lassen sich hinsichtlich ihrer Wirkmächtigkeit berechnen und mit
                                   Begrünung und Beschattung lässt sich viel kompensieren und verbessern.
                                       Und so ganz nebenbei feiert das IBO heuer ein besonderes Jubiläum:
                                   40 Jahre lang sind wir im Dienste der Bauökologie und Baubiologie aktiv und
                                   dazu haben wir einige Zahlen zusammengetragen – die großen Leute lieben
                                   nämlich Zahlen, wie schon der kleine Prinz wusste.
                                       Wir wünschen viel Spaß beim Lesen, Stöbern, Aufbewahren und Nach-
                                   blättern!

                                   Mit freundlichen Grüßen
                                   DI Susanne Formanek
                                   Präsidentin

                                   Impressum
                                   Medieninhaber, Verleger & Herausgeber                               Grafik, Layout, Produktion
                                   IBO – Österreichisches Institut für Baubiologie                     Gerhard Enzenberger, IBO
                                   und -ökologie, A-1090 Wien, Alserbachstraße 5/8
                                   Tel: 01/319 20 05-0, email: ibo@ibo.at, www.ibo.at                  Anzeigen
                                                                                                       Gudrun Dorninger, IBO
                                   Redaktionsteam
                                   Barbara Bauer, Isabella Dornigg MSc, Gudrun Dorninger,              Druck
                                   Gerhard Enzenberger, Mag. Veronika Huemer-Kals                      gugler print, Melk
                                                                                                       Service & Vertrieb
                                   Mitarbeiter*innen dieser Ausgabe                                    IBO – Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
                                   Alexander Baranyai, Barbara Bauer, DI Pia Anna Buxbaum,             1090 Wien, Alserbachstrasse 5/8
                                   DI Dr. Franz Dolezal, Isabella Dornigg MSc, Mag. Hildegund          email: ibo@ibo.at
                                   Figl, DI Mag. Cristina Florit, DI Susanne Formanek, DI (FH) Felix   www.ibo.at
                                   Heisinger, Mag. Veronika Huemer-Kals, Andreas Krenauer BSc,
                                   DI Ute Muñoz-Czerny, Arch. DI Georg W. Reinberg, DI (FH) Astrid     Gesamtauflage & Erscheinungsweise
                                   Scharnhorst MSc, Univ. Prof.in Rosemarie Stangl, DI Tobias          3.000 Stück, 1 x jährlich
                                   Steiner, Univ. Prof. Martin Treberspurg, Dr. Tobias Waltjen,
                                   DI Dr. Karl Torghele

                                            Gedruckt nach der Richtlinie                                                    Höchster Standard für Ökoeffektivität.
                                     „Schadstoffarme Druckerzeugnisse“                                                      Cradle to CradleTM zertifiziertes
                                   des Österreichischen Umweltzeichens.                                                     Druckprodukt.
                                   gugler print & media, Melk; UWZ 609                                                      Innovated by gugler*print

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                                                                                                       1
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
DER INHALT                                                    4
                                                                            Wiener Kongress für
                                                                           zukunftsfähiges Bauen

                                                                                                                    15

                                                            22                                                      42
                  Materialökologie

              4
                  Die Kreislauffähigkeit berechnen
                  Der Baubereich trägt zum allgemeinen Abfallaufkommen mit einem Anteil zwischen 40 und 50 % bei.
                  Dabei wären viele Bauabfälle am Ende ihres Lebenszyklus wieder verwertbar.

              8
                  eco2soft – schnell und einfach zur Ökobilanz
                  Ein Online-Werkzeug der baubook GmbH, mit dem einfach und schnell Ökobilanzen für Gebäude erstellt
                  und die Aufwände für Errichtung, Erneuerung und Entsorgung übersichtlich dargestellt werden können.

                  Bauphysik

             10   Wiener Tropennächte – Hitzeschutzmaßnahmen für den privaten Wohnbe-
                  reich
                  Trotz höchster Lebensqualität stellt Hitze für die Menschen in der Stadt eine besondere Herausforde-
                  rung dar.

             15   Apfelbaum – kein Baumhaus. Ein Wohnprojekt für inklusives Wohnen
                  Das Projekt Apfelbaum integriert nicht nur Singles und Familien, Paare und PensionistInnen, dort wer-
                  den auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen leben.

             17   Neue Grenzen der Luftdichtigkeit
                  Türen, die sich schlecht öffnen lassen, Fenster die pfeifen und zu hohe Luftfeuchtigkeit in Konstruktio-
                  nen, das alles kann bei zu hoher Luftdichtigkeit zu Komforteinbußen führen.

                  Gebäude

             22   Gebäude bewerten – viele Wege zu besseren Bauvorhaben
                  Seit ca. 20 Jahren sind nun Gebäudebewertungssysteme am Markt, anhand einiger Projekte der letzten
                  Zeit werden die vielfältigen Maßnahmen für nachhaltigeres Bauen in der Praxis gezeigt.

             26   Haus L., Klosterneuburg – ein Projektbericht
                  Wie das langjährige IBO-Mitglied Georg W. Reinberg in 11 Monaten Bauzeit ein Einfamilienhaus unter
                  besonderen Bedingungen möglichst ökologisch verwirklicht hat.

             28   Begrünte Gebäude und Freiflächen sind eine Frage der sozialen Fairness
                  Investitionen für den Klimaschutz müssen die Aufrüstung solarer Techniken mit der grünen Aufrüstung
                  unserer Gebäude, Städte und Gemeinden integral kombinieren.

2                                                                                        K itting 2020 – Magazin des IBO
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
Inhalt

30     BeRTA – das kompakte Fassadenbegrünungsmodul
       Bauwerksbegrünungen in der Stadt verbessern die Luftqualität, sorgen für ein naturnahes,
       gesünderes Umfeld sowie für Abkühlung in heißen Sommern durch Verdunstung.

32     Energiesparen mit Hilfe der Wettervorhersage                                                  Was
                                                                                                     steckt
       In einem Passivhaus im niederösterreichischen Purkersdorf wurde die thermische Bau-
       teilaktivierung mit prädiktiver Steuerung erstmals im Wohnbau zur Anwendung gebracht.

       Forschung                                                                                     hinter
34     Kann denn billig besser sein?
       Neue Wege in der bauakustischen Messtechnik mit innovativer Sensorsteuerung und               Bionik
                                                                                                     bei Sto?
       Sensordatenverarbeitung des IBO.

38     Eine Digital Landscape für KMU der Baubranche
       Die Baubranche hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Das ist schade, denn die neuen        Die Idee, Natur
       Technologien bieten faszinierende Möglichkeiten.                                              intelligent zu
                                                                                                     nutzen.
40     Fluktuierend und low
       Forschungen zur Nutzer*innenakzeptanz von Maßnahmen zur Gebäudeenergieoptimierung

42     Das 6D BIM Terminal – ein intelligentes Werkzeug
       Im „6D BIM Terminal“ werden Daten, die für Lebenszyklusbewertungen und Ausschreibun-
       gen von Bauleistungen notwendig sind, zur Verfügung gestellt.

43     Farben im Gesundheitswesen
       Farbkombinationen, die gemütlich und heimelig wirken oder positive Assoziationen
       wecken, können uns beim Heilprozess unterstützen.

       Wissensverbreitung

46     6 Module für die Qualifizierung von Bauwerksbegrüner*innen
       Langjährige Kompetenz und Erfahrung zur Begrünung von Gebäuden wird in einem struk-
       turierten Wissenstransfer in maßgeschneiderten Paketen weitergegeben.

47     Die großen Leute lieben nämlich Zahlen
       Das IBO ist vierzig Jahre alt! Zeit, zurückzublicken. Wir verknüpfen Zahlen mit Bildern und   Langlebig durch die
       Erinnerungen.
                                                                                                     Erfahrung der Natur

50     Baustoffe, die bleiben – Klimagerechte, kreislauffähige Architektur                           Seit 20 Jahren entwickeln wir Produkte nach
                                                                                                     den effizientesten Lösungen der Natur.
       Kreislauffähigkeit als weiteres Leistungsmerkmal für Bauprodukte und Konstruktionen.
                                                                                                     Unser Vorbild: 3430 Millionen Jahre Evolu­
       Eine Rückschau auf den BauZ!-Kongress 2020
                                                                                                     tion, das ständige Optimieren durch Weiter­
                                                                                                     entwicklung. Ihr Vorteil: strahlende Farbkraft,

53     Bauen und Energie 2020 – grün in vielen Schattierungen
       Das IBO trug auch heuer wieder mit seinen Expert*innen, seinen Werkzeugen und Informations-
                                                                                                     UV­ und Witterungsschutz, sich selbst­
                                                                                                     reinigende Oberflächen – und ein längerer
                                                                                                     Lebenszyklus von Fassaden. So vereinen sich
       angeboten ebenso wie mit nachweislich nachhaltigen Bauprodukten zum Erfolg der Messe bei.
                                                                                                     Wirtschaftlichkeit und Ökologie. Das verstehen
                                                                                                     wir unter: Bewusst bauen.

55     Ordentliche und fördernde Mitglieder des IBO
                                                                                                     www.sto.at/bionik

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                                                                               3
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
Materialökologie

    Die Kreislauffähigkeit berechnen
                                                       Der Baubereich trägt zum allgemeinen Abfallaufkom-
                                                       men mit einem Anteil zwischen 40 und 50 % bei. Dabei
                                                       wären viele Bauabfälle am Ende ihres Lebenszyklus wie-
                                                       der verwertbar. Damit hat das Thema Kreislaufwirtschaft
                                                       im Baubereich hohe Priorität für den Ressourcen- und
                                                       Klimaschutz.
                                                                                                               Hildegund Figl, IBO GmbH

    Einleitung                                                             und Vorarlberger Kommunalgebäudeausweis wird für die Bewer-
    Im Beitrag werden unterschiedliche Methoden und Verfahren              tung der Ökobilanzindikatoren der Oekoindex OI3 herangezogen.
    vorgestellt, mit denen die Kreislauffähigkeit eines Gebäudes be-       Der OI3 ist eine aggregierte Kennzahl, die sich aus den drei Ökobi-
    reits im Planungsprozess berechnet und gestaltet werden kann.          lanz-Indikatoren Bedarf an nicht erneuerbaren Energieträgern
    Das Ziel ist dabei Gebäude am Ende ihres Lebenszyklus in Zukunft       (PENRT), Beitrag zur Klimaveränderung (GWP) und Beitrag zur Ver-
    nicht mehr als Abfall, sondern als Rohstofflager für Bauvorhaben       sauerung (AP) zusammensetzt. In der ursprünglichen Form des OI3
    der Zukunft zu behandeln.                                              werden die Herstellungsphase (A1-3) und der Ersatz von Baumate-
    Der Beitrag konzentriert sich auf die kurze Vorstellung der unter-     rialien während der Nutzungsphase (B4) bewertet. 2018 wurde das
    schiedlichen Berechnungsmethoden. Dabei wird zwischen der              OI3 Konzept um die Entsorgungsphase (C1-4) erweitert [4].
    quantitativen Methode (Ökobilanz) und qualitativen Methoden            Der OI3 kann mit dem Online-Tool baubook eco2soft (https://
    (Entsorgungsindikator, Verwertungsindikator) unterschieden. Bei        www.baubook.info/eco2soft/) berechnet werden. Im Tool sind
    den qualitativen wird grundsätzlich ein verwertungsorientierter        für die unterschiedlichen Baumaterialien Entsorgungsszenarien
    Rückbau, wie er beispielsweise in Österreich durch die Recycling-      hinterlegt, die von den AnwenderInnen ausgewählt werden kön-
    Baustoff-Verordnung vorgeschrieben ist, vorausgesetzt. Auf die         nen (Abbildung 1). Darauf basierend werden die Ökobilanzindika-
    konstruktiven Möglichkeiten zur Erhöhung der Trennbarkeit kann         toren für die Entsorgungsphase berechnet.
    im vorliegenden Beitrag nicht eingegangen werden. Ebenso wer-
    den die wichtigen Aspekte der Abfallvermeidung und Wiederver-          Deklaration der Entsorgungsphase in baubook
    wendung hier nicht behandelt.                                          Die Deklaration von Ökobilanzdaten in baubook war bisher nur
    Der Begriff „Entsorgung“ umfasst immer die Beseitigung und die         für die Herstellungsphase (A1-A3) möglich. Ab sofort können alle
    Verwertung von Abfällen. Die Verwertung von Abfällen kann die          für Baustoffe relevanten Lebensphasen entsprechend der EN
    stoffliche Verwertung (Recycling) oder die energetische (thermi-       15804, also auch die Entsorgungsphase, deklariert werden. Für
    sche) Verwertung bedeuten.                                             die Entsorgungsphase gibt es fünf vordefinierte Szenarien: Recy-
                                                                           cling, Sekundärbrennstoff, Energierückgewinnung, thermische
    Die Ökobilanzmethode                                                   Beseitigung, Deponie (siehe Abbildung 2). Die Ökobilanzdaten
    Lebensphasen in der Ökobilanzmethode                                   müssen einem (oder mehreren) dieser Szenarien zuordenbar sein.
    Die Ökobilanz ist eine Methode zur quantitativen Abschätzung der       Es sind nur „eindeutige“ Szenarien zulässig.
    mit einem Produkt verbundenen Umweltaspekte und produktspe-
    zifischen „potenziellen Umweltwirkungen“ (ISO 14040 [1]). Da Öko-      Die wichtigsten Aufnahmekriterien für Ökobilanzdaten in bau-
    bilanzen grundsätzlich auf die Bewertung des gesamten Lebenszy-        book sind (Details siehe [5]):
    klus abzielen, werden sie auch als Lebenszyklusanalyse (englisch:       1. Ökobilanzdaten müssen den Ökobilanzregeln der Bau-EPD
    Life Cycle Assessment, kurz LCA) bezeichnet.                               GmbH (www.bau-epd.at) entsprechen.
    In der europäischen Normung wird der Lebensweg des Gebäudes             2. Die generischen Hintergrund-Daten müssen aus ecoinvent
    in unterschiedliche Module (Modul A1-3 Herstellungsphase, A4-5             entnommen werden.
    Errichtungsphase, Modul B1-7 Nutzungsphase, Modul C1-4 Entsor-          3. Die Produktkategorie-Zuordnung erfolgt nach der Logik der
    gungsphase) unterteilt ([2], [3]). Das Modul D, das die Vorteile und       baubook-Datenbank.
    Belastungen durch Wiederverwendungs-, Rückgewinnungs- und               4. Im Modul D sollen nur Inputs aus den Modulen C1 bis C4 abge-
    Recyclingprozesse abbildet, steht außerhalb der Systemgrenze des           bildet werden.
    Bauwerks.
                                                                           Schwächen der Ökobilanzmethode
    Entsorgungsphase im Oekoindex-Konzept                                  Eine der meist-diskutierten Fragen bei der Erstellung von Ökobi-
    In den österreichischen Gebäudebewertungssystemen „klimaaktiv          lanzen ist, wie die Vorteile und Belastungen der Verwertung von
    Bauen & Sanieren“, „Total Quality Building“ (TQB), IBO ÖKOPASS         Materialien am Ende der Lebensdauer auf die Systeme verteilt

4                                                                                                            K itting 2020 – Magazin des IBO
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
Materialökologie

werden sollen – auf das primäre System (Gebäude) oder auf das               1. Einstufung der aktuellen Entsorgungseigenschaften der Bau-
System, das die sekundären Ressourcen nutzt? Es gibt dazu die                  teilschichten in Abhängigkeit ihrer Trennbarkeit
unterschiedlichsten Lösungsansätze (Cut-Off-Methode, Strikte                2. Einstufung des Verwertungspotentials der Bauteilschichten,
Co-Produkt-Allokation, Value-corrected Substitution etc.). Die                 das bei Verbesserung der Rahmenbedingungen aus wirt-
europäische Normung hat für den Baubereich die Cut-Off-Metho-                  schaftlicher und technischer Sicht möglich wäre .
de zum Standard erhoben ([2], [3]). Die Grenze zwischen dem Sy-                Für die ersten beiden Schritte sind die einzelnen Baustoffe mit
stem des Bauwerks und dem Modul D (Prozesse außerhalb der                      Defaultwerten voreingestuft, die durch die AnwenderInnen
Systemgrenze des Bauwerks) ist der erreichte Zustand des Abfal-                spezifisch angepasst werden können (Abbildung 3).
lendes (EOW).                                                               3. Aggregation von Entsorgungseinstufung und Verwertungspo-
Bisher war in Umweltproduktdeklarationen (EPD) die Deklaration                 tenzial
von Modul D optional, sodass nur wenig Erfahrung mit der Be-                4. Gewichtung mit dem über den Lebenszyklus anfallenden Vo-
rechnung von Modul D auf Produkt- oder Gebäudeebene vor-                       lumen
liegt. Wie unter anderen eine belgische Fallstudie zur Berücksich-          5. Addition der Baustoffergebnisse zum Bauteilergebnis (EI kon)
tigung von Modul D in der Ökobilanz von Gebäu-
den zeigt [6], können die methodischen Entschei-
dungen, Interpretationen und Annahmen im Zu-
sammenhang mit der Berechnung von Modul D
einen erheblichen Einfluss auf die Ergebnisse
haben. Die Ergebnisse von Modul D sind daher
mit großen Unsicherheiten behaftet. Wird das
Modul D darum – wie heute in vielen Gebäudebe-
wertungssytemen üblich – nicht betrachtet,
bringt das in der Regel Vorteile für den Einsatz
von Recyclingmaterialien, da sie „gratis“ aus dem
vorherigen Produktsystem übernommen wer-
den. Das Recycling der Materialien am Gebäude-
lebensende erspart zwar die Aufwendungen für
die Beseitigung, diese Vorteile kommen aber im
Gesamtlebenszyklus eines Gebäudes kaum zum
Tragen – die Vorteile durch das Recycling werden      Abb. 1: Eingabe der Entsorgungsphase in baubook eco2soft
ja erst im Modul D abgebildet. Die alternative
Deponierung zeigt sich zum Beispiel lediglich
durch die damit verbundenen Abbruch- und
Transportprozesse, welche in den meisten Ökobi-
lanzindikatoren im Vergleich zum Herstellungs-
aufwand wenig Beitrag leisten.
Bereits 2003 [7] begann das IBO daher der quan-
titativen Ökobilanzbewertung eine qualitative
Bewertung gegenüberzustellen, welche die Qua-
lität der Entsorgungswege und der aus den Alt-
materialien hergestellten Produkte ins Zentrum
stellt. Diese Methode wurde seither kontinuier-
lich weiterentwickelt.                                Abb. 2: Eingabe der Ökobilanzwerte in baubook. Zunächst wird die Lebensphase gewählt. Für
                                                       die Entsorgungsphase ist anschließend noch eines der fünf möglichen Szenarien festzulegen.
Der „Entsorgungsindikator“ in den öster-
reichischen Gebäudebewertungssystemen
Der „Entsorgungsindikator“ eines Gebäudes wird in
den Gebäudebewertungssystemen „klimaaktiv
Bauen und Sanieren“, „Total Quality Building“ (TQB),
IBO ÖKOPASS und Vorarlberger Kommunalgebäu-
deausweis für die Berechnung der Kreislauffähig-
keit eines Gebäudes herangezogen. Der Entsor-
gungsindikator kann gemeinsam mit dem Oekoin-
dex OI3 in baubook eco2soft berechnet werden.
Die Bewertungsmethode setzt auf Bauteilebene           Abb. 3: Defaultwerte für die Entsorgungseigenschaften („Einst“) und das Verwertungspotenzial
an. Jedes Bauteil wird in mehreren Schritten be-       („Pot“) liegen in „baubook eco2soft“ für alle Baustoffe vor und können durch die AnwenderIn-
wertet:                                                nen angepasst werden.

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                                                                                      5
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
Materialökologie

    Die aus diesem Verfahren für jeden Bauteil resultierenden Entsor-                Zukunft Bau Projekt zur Weiterentwicklung der Bewertungs-
    gungsindikatoren EIKon werden durch die Flächen gemittelt und                    methode
    so der Entsorgungsindikator EI des Gebäudes errechnet. Die Zu-                   Das IBO hat mit seinen ProjektpartnerInnen TU München, TU Ans-
    ordnung der klimaaktiv bzw. TQB Punkte erfolgt durch eine line-                  bach und Aidelsburger Kellner Architekten GbR diesen Steckbrief
    are Funktion.                                                                    in einem Zukunft-Bau-Projekt methodisch und wissenschaftlich
    Die Bilanzgrenze auf Gebäudeebene kann entsprechend der kli-                     überarbeitet. Wie beim Entsorgungsindikator beruht die neue
    maaktiv oder TQB Ökobilanzvorgaben entweder vereinfacht ge-                      Bewertungsmethode auf der Erfassung der eingesetzten Bauteile,
    wählt werden (Bilanzgrenze 1 (BG1) – thermische Gebäudehülle                     welche virtuell in kleinere, nicht mehr mit wirtschaftlichem Auf-
    inkl. Trenndecken) oder detailliert (ab Bilanzgrenze 3 (BG3) für                 wand voneinander trennbare Fraktionen zerlegt werden.
    den gesamten Baukörper). Im Unterschied zur Ökobilanz wird der                   Jede einzelne Fraktion wird dann anhand eines Bewertungssche-
    Entsorgungsindikator immer (auch auf BG1) unter Berücksichti-                    mas mit einer Note zwischen 1 (sehr gut) und 6 (sehr schlecht)
    gung der Nutzungsdauern der einzelnen Bauteilschichten be-                       beurteilt, die der Qualität des Entsorgungsweges dieser Fraktion
    rechnet.                                                                         entspricht.
    2018 wurde eine neue, ergänzte Version – der Entsorgungsindika-                  Das neue Bewertungsschema spiegelt die gesetzlichen Rahmen-
    tor EI10 – eingeführt. Details zum Entsorgungsindikator sind im                  bedingungen wider.
    Berechnungsleitfaden [8] nachzulesen.                                            Für jeden der möglichen Entsorgungswege gibt es eine detaillier-
    Der Entsorgungsindikator ermöglicht eine richtungsstabile Ein-                   te Aufstellung der Kriterien für die Einstufung in die jeweilige
    stufung der durchschnittlichen Verwertbarkeit der in einem Ge-                   Qualitätsstufe. In Abbildung 6 ist beispielhaft das Bewertungs-
    bäude verbauten Materialien. Schwächen der Methode liegen                        schema für die energetische Verwertung dargestellt. Für die Ein-
    derzeit noch bei der Umsetzung der Abfallhierarchie, der automa-                 stufung in die jeweilige Heizwert- bzw. Schadstoffkategorie (SB,
    tisierten Berücksichtigung von Störstoffen durch angrenzende                     EV, EB) gibt es erneut Tabellen mit den Kriterien.
    Schichten und der präzisen Definition der Einstufungskriterien.                  Schlussendlich werden die Bewertungsnoten der einzelnen Frak-
                                                                                     tionen nach Volumen gewichtet, zu Bauteilen aufsummiert und
    Entwicklung eines Verwertungsindikators für das Bewer-                           schließlich auf Gebäudeebene aggregiert.
    tungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB)
                                                                                     Abfallverwertung heute und morgen
    BNB Kriteriensteckbrief 4.1.4                                                    In das Bewertungsverfahren fließen auch Entsorgungswege ein,
    Das „Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen“ (BNB) [9] wurde                        die derzeit noch nicht flächendeckend beschritten werden, deren
    vom deutschen Bundesministerium für Bau (aktuell im BMI) in                      Einführung jedoch absehbar ist.
    Kooperation mit dem Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raum-                    Gips zum Beispiel ist ein Werkstoff, der durch erneutes Brennen in
    forschung (BBSR) entwickelt. Das planungsbasierte Bewertungs-                    unzähligen Zyklen geführt werden kann. Derzeit ist die Recycling-
    system richtet sich an öffentliche und private Büro- und Verwal-                 quote von Gipsprodukten aber gering. Rückgebaute Gipsplatten
    tungsbauten, Unterrichts- sowie Laborgebäude. Die Anforderun-                    werden heute noch aus Deutschland nach Tschechien zur Stabili-
    gen sind thematisch gegliedert und in Form von Kriteriensteck-                   sierung von uranhaltigen Schlammteichen exportiert. Mit stei-
    briefen formuliert.                                                              gendem Bewusstsein für die Kreislaufwirtschaft scheint eine flä-
    Der BNB-Kriteriensteckbrief 4.1.4 „Rückbau, Trennung, Verwer-                    chendeckende Einführung eines Recyclingsystems in ganz
    tung“ (BNB 4.1.4) hat zum Ziel, Gebäude bereits im Planungspro-                  Deutschland aber in greifbarer Nähe. Mehrere Recyclinganlagen
    zess so zu optimieren, dass sie am Ende des Lebenszyklus einen                   haben sich bereits auf die Aufbereitung von Gipsplattenabfällen
    optimalen Beitrag zur Kreislaufführung von Baustoffen leisten                    zu Gipspulver spezialisiert, das in Gipsplatten eingesetzt werden
    und möglichst wenig unverwertbaren Abfall hinterlassen. In der                   kann. Namhafte Gipsplattenhersteller haben sich bereit erklärt,
    gültigen Fassung (Version 2015) [10] greifen die AuditorInnen auf                das aufbereitete Gipspulver in ihre Platten einzuarbeiten.
    vorbewertete Beispielaufbauten zur Selbsteinschätzung ihrer zu                   Derart vorbildliche Entwicklungen sollen in der neuen Bewer-
    bewertenden Konstruktionen zurück. Die Selbsteinschätzung                        tungsmethode belohnt werden. Dafür wurde ein Technologiefak-
    wird anschließend über eine Prüfung durch die Konformitätsstel-                  tor eingeführt, der die Bewertung einer Abfallfraktion um einen
    le verifiziert.                                                                  vom Reifegrad der Technologie abhängigen Bruchteil der Verbes-
                                                                                                             serung zum derzeitigen Stand der Technik
                                                                                                             hinaufsetzt.

                                                                                                            Ausblick
                                                                                                            Die vorgeschlagene Methode wurde an
                                                                                                            mehreren Pilotprojekten erprobt und auf
                                                                                                            Konsistenz geprüft. Sie legt einen guten
                                                                                                            Grundstein für eine transparente qualitati-
                                                                                                            ve Bewertung der End-of-Life Perfor-
                                                                                                            mance von Baustoffen, Bauteilen und Ge-
    Abb. 4: Beispielhafte Ausgabe der Berechnungsergebnisse für ein Gebäude in eco2soft. Für die bessere    bäuden. Derzeit weist sie jedoch noch ei-
    Einordnung wird der Entsorgungsindikator EI 10 zusätzlich auf einer Skala bildlich dargestellt.         ne zu geringe Ausdifferenzierung der Er-

6                                                                                                                     K itting 2020 – Magazin des IBO
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
Materialökologie

gebnisse auf. Verbesserungspotenzial besteht auch noch hin-                                   [6] Delem L., Wastiels L.: The practical use of module D in a building case study: assumpti-
sichtlich eindeutigerer Definition der Recyclingklassen und der                                    ons, limitations and methodological issues. Sustainable Built Environment Conference
                                                                                                   2019 (SBE19 Graz). IOP Conf. Series: Earth and Environmental Science 323 (2019)
Rangordnung von energetischer und stofflicher Verwertung.
                                                                                                   012048
Die Erstfassung der Methode wurde 2019 auf der Sustainable Built
                                                                                              [7] Waltjen, T., et al, Passivhaus-Bauteilkatalog – Ökologisch bewertete Kons-truktionen
Environment (SBE) Konferenz in Brüssel erfolgreich vorgestellt
                                                                                                   – Details for Passive Houses – A Catalogue of Ecologically Rated Constructions (Hg.
[11]. Weitere Publikationen sind in Vorbereitung. Parallel wird                                    vom IBO – Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie, Springer, Wien,
geprüft, ob die Ergebnisse auch für die Anwendung in Österreich                                    2003, 3. Auflage 2009)
geeignet sind.                                                                                [8] Leitfaden zur Berechnung des Entsorgungsindikators EI Kon von Bauteilen und des
                                                                                                   Entsorgungsindikators EI10 auf Gebäudeebene. Version 2.0. Hrsg: IBO, Wien Jänner
Literatur                                                                                          2018 https://www.ibo.at/fileadmin/ibo/materialoekologie/EI10_Berechnungsleitfa-
                                                                                                   den_V2.0_2018.pdf
[1] ÖNORM EN ISO 14040 Umweltmanagement – Ökobilanz. Grundsätze und Rahmenbedin-
     gungen                                                                                   [9] Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. (2018) Bewertungssystem für
                                                                                                   nachhaltiges Bauen (BNB). [Online]. https://www.bnb-nachhaltigesbauen.de/bewer-
[2] ÖNORM EN 15804 Nachhaltigkeit von Bauwerken – Umweltdeklaration für Produkte –
                                                                                                   tungssystem.html
     Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte
                                                                                              [10] Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB). Kriterien – BNB Büro- und Verwaltungs-
[3] ÖNORM EN 15978 Nachhaltigkeit von Bauwerken – Bewertung der umweltbezogenen
                                                                                                   gebäude – Neubau. Version 2015. [Online]. https://www.bnb-nachhaltigesbauen.de/
     Qualität von Gebäuden – Berechnungsmethoden
                                                                                                   bewertungssystem/bnb-buerogebaeude/bnb-bn-2015/kriterien-bnb-buero-und-
[4] OI3 Berechnungsleitfaden Version 4.0. Hrsg.: IBO, Wien, Oktober 2018. dol: https://www.        verwaltungsgebaeude-neubau.html: Technische Qualität / 4.1.4. Rückbau, Trennung
     ibo.at/fileadmin/ibo/materialoekologie/OI3_Berechnungsleitfaden_V4.0_20181025.                und Verwertung.
     pdf
                                                                                              [11] H. Figl, C. Thurner, F. Dolezal, P. Schneider-Marin, I. Nemeth; A new Evaluation Method
[5] Kriterien und Prozedere für die Aufnahme von produktspezifischen Ökobilanzdaten in             for the End-of-life Phase of Buildings. SBE19 Brussels BAMB-CIRCPATH Conference, Feb.
     die baubook Datenbank. Version 4.0 Hrsg.: baubook. Wien, Mai 2020. https://www.               2019. IOP Conference Series Earth and Environmental Science 225:012024; DOI: https://
     baubook.info/m/PHP/getDownloadFile.php?type=Aufnahmekriterien_Oekobilanzda-                   iopscience.iop.org/issue/1755-1315/225/1
     ten

 Informationen
 Mag. Hildegund Figl
 IBO – Österreichisches Institut
 für Bauen und Ökologie GmbH
 A-1090 Wien, Alserbachstr. 5/8
 email: hildegund.figl@ibo.at
 www.ibo.at

                                                              Legende: WV+CL … (Vorbereitung zur) Wiederverwendung und Closed loop; RC … Recycling;
                                                              AV … Andere Verwertung; EV … Energetische Verwertung; EB … Energetische Beseitigung;
                                                              DK … Deponieklasse; Dep. nach Aufb. … Deponierung nach Aufbereitung.
                                                              Abb. 5: Einstufungstabelle für die End-of-Life-Szenarien

                               Abb. 6: Bewertungsschema für die energetische Verwertung

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                                                                                                                             7
IBO - Österreichisches Institut für Baubiologie und -ökologie
Materialökologie

8                      K itting 2020 – Magazin des IBO
Materialökologie

K itting 2020 – Magazin des IBO                      9
Bauphysik

     Wiener Tropennächte
     Hitzeschutzmaßnahmen für den privaten Wohnbereich

                                        Wien wurde 2019, zum wiederholten Mal, als die Stadt mit der
                                        weltweit höchsten Lebensqualität eingestuft. Dies verdankt
                                        Wien seiner ausgezeichneten Infrastruktur, einem gut ausge-
                                        bauten öffentlichen Verkehrsnetz, der Wasser- und Gesund-
                                        heitsversorgung sowie der breiten Kultur- und Bildungsange-
                                        bote. Außerdem punktet Wien mit einem hervorragenden
                                        Angebot an hochwertigem Wohnraum. (Vgl. [1]) Aber trotz
     höchster Lebensqualität stellt Hitze für die Menschen in der Stadt eine besondere Herausforde-
     rung dar. Der Beitrag beschreibt die Besonderheiten des Stadtklimas, zeigt die künftige Klima-
     entwicklung für Wien auf und gibt Empfehlungen zum Schutz vor sommerlicher Überwärmung
     Ihrer Wohnräume.
                                                                                                             Tobias Steiner, IBO GmbH

     Stadtklima                                                          Strahlungs- und Energiehaushalt
     Das Stadtklima stellt ein modifiziertes Klima dar, welches durch    Sonnenstand und Trübung der Atmosphäre sind für die Strah-
     die Wechselwirkung von Bebauung und deren Auswirkungen              lungsbilanz entscheidend. Das Verhältnis zwischen reflektierter
     (z.B. Abwärme und Emission von luftverunreinigenden Stoffen)        und einfallender Sonnenstrahlung, welches u.a. von Farbgebung,
     entsteht. (Vgl. [2]) Das Stadtklima wird bestimmt durch             Material der Oberflächen und Exposition der einfallenden Strah-
       • Wärmeleitfähigkeit und spezifische Wärmekapazität der gro-      lung abhängig ist, wird Albedo genannt. Asphalt hat beispiels-
         ßen Mengen Beton, Asphalt und Stein                             weise eine Albedo von 10 – 20 %, reflektiert nur sehr wenig Solar-
       • Strahlungsverhältnisse infolge der Oberflächengeometrie         strahlung und speichert sehr viel Wärme.
       • Luftverunreinigungen                                            Die städtische Energiebilanz wird durch hohe Versiegelungsgra-
       • vermindertes Feuchteangebot                                     de und Vegetationsarmut beeinflusst. Durch den raschen Regen-
       • anthropogene Wärmeproduktion                                    wasserabfluss verdunstet nur wenig. Die Evapotranspiration und
       • aerodynamische Eigenschaften der Stadtoberfläche                damit die latente Wärme sind in der Stadt stark reduziert und
                                                                         erhöhen damit den fühlbaren Wärmestrom. Die Vegetationsar-
     Das Zusammenwirken dieser Faktoren führt zu einer Vielzahl          mut in der Stadt führt dazu, dass für Wasserverdunstung und
     meteorologischer Stadtphänomene. Der bekannteste Effekt ist         Transpiration etwa ein Drittel weniger Energie verbraucht wird
     die Temperaturerhöhung gegenüber dem Umland, die „städti-           als im Umfeld. (Vgl. [5])
     sche Wärmeinsel“.                                                   Straßenbeläge und verdichteter Untergrund sind für den Boden-
                                                                         wärmestrom entscheidend. Wärmeleitfähigkeit wie auch spezifi-
     Stadtatmosphäre                                                     sche Wärmekapazität ist bei städtischen Materialien in der Regel
     Die Stadtatmosphäre unterscheidet sich aufgrund ihrer größeren      hoch. Sie können deshalb gegenüber Wiese oder Ackererde etwa
     Rauigkeit, der überwiegend trockenen Oberflächen sowie der          drei Mal mehr Energie aufnehmen.
     emittierten Luftschadstoffe und Freisetzung von Abwärme             Ursachen für die Ausbildung der städtischen Wärmeinsel sind
     grundlegend von der Freilandatmosphäre und wird deshalb in          insbesondere eine erhöhte Absorption kurzwelliger Strahlung,
     folgende Bereiche unterteilt (vgl. [3]):                            die verringerte langwellige Ausstrahlung, die veränderten Beträ-
      1) die vom Boden bis zum mittleren Dachniveau reichende Stadt-     ge latenter und sensibler Wärmeströme sowie die anthropogene
         hindernisschicht (urban canopy layer UCL), deren meteorolo-     Wärmeabgabe. Die Überwärmung wird durch die Dunstglocke,
         gische Verhältnisse eine Mischung unterschiedlicher Mikrokli-   die Wärme- und Abgasemissionen sowie eine von der Art der
         mata darstellt und durch die Wechselwirkungen mit der un-       Luftverunreinigung abhängige Absorption der kurzwelligen
         mittelbaren Umgebung (Gebäude, Straßen, Plätze, Parks, Was-     Strahlung bestimmt. (Vgl. [3])
         serflächen) bestimmt werden (vgl. [4].)
      2) die Stadtgrenzschicht (urban boundary layer UBL), welche ein    Städtische Wärmeinsel
         mikro- bis mesoskaliertes Phänomen darstellt, dessen Eigen-     Nicht nur zwischen Stadt und Land sind deutliche klimatische
         schaften durch die Stadtoberfläche bestimmt sind (vgl. [3]).    Unterschiede zu erkennen, auch zwischen Innen- und Außenbe-

10                                                                                                        K itting 2020 – Magazin des IBO
Bauphysik

zirken. Bei der Messstation Wien Innere Stadt liegt das
absolute Maximum der Lufttemperatur (Abbildung 1) mit
38,4 °C um 1,4 °C, das mittlere Maximum (Abbildung 2)
um 0,5 °C höher als bei der Messstation Hohe Warte im 19.
Bezirk. Der Unterschied beim mittleren Minimum (Abbil-
dung 3) beträgt 2,1 °C. Das bedeutet, dass nicht nur tags-
über sondern insbesondere abends eine Übertemperatur
der Innenbezirke gegenüber den Außenbezirken zu be-
obachten ist.

Hitzestress                                                           Abb. 1: Temperaturunterschied, absolutes Maximum der Lufttemperatur, Innen- und
Hohe Temperaturen führen bei Menschen zu einer Stress-                Außenbezirke, Wien, Juli 2019, Rohdaten [6], eigene Auswertung
situation und stellen bei körperlicher Aktivität, aber auch
bei Ruhe, eine Belastung für Herz und Kreislauf dar. Hitze
führt unter anderem zu Konzentrationsstörungen, Schlaf-
losigkeit, Aggressionen, Depressionen, Herzinfarkt und
Herzversagen.
Kleinkinder, Kranke und ältere Menschen mit einge-
schränkter Akklimatisierungskapazität sind besonders
gefährdet. Die Anfälligkeit für städtische Hitze in den
Wiener Wählerbezirken zeigt Abbildung 4. Sie wird an-
hand der Temperaturbelastung und der Dichte der Risiko-
gruppen berechnet. Im Tagesverlauf besonders kritisch
ist grundsätzlich der Spätnachmittag, wenn die Tempera-
tur noch hoch ist und der Wind bereits abflaut. Aber auch
                                                                      Abb. 2: Temperaturunterschied, mittleres Maximum der Lufttemperatur, Innen- und
bis in die Nacht andauernde hohe Temperaturen durch                   Außenbezirke, Wien, Juli 2019, Rohdaten [6], eigene Auswertung
die aufgeheizten Baumassen stellen eine große Gefahr
dar. Bei einer nächtlichen Temperatur von über 25 °C ent-
fällt der für die Erholung wichtige Tiefschlaf. Das Aufein-
anderfolgen heißer Nächte stellt damit ein besonders
hohes Hitzerisiko dar. Neben der Analyse von Hitze- und
Hitzewelletagen ist deshalb ein besonderes Augenmerk
auf die Entwicklung der Tropennächte zu legen, also auf
jene Nächte, bei denen die Minimaltemperatur über 20 °C
liegt. Die Beobachtungen zeigen einen deutlichen Trend
hinsichtlich der Tropennächte (Abbildung 5). Während die
jährliche Anzahl von Tagen mit Tropennächten vor 1990
noch bei maximal 5 lag steigt die Anzahl rapide. Das Ma-
ximum in Wien liegt derzeit bei 23 Tropennächten im Jahr              Abb. 3: Temperaturunterschied, mittleres Minimum der Lufttemperatur, Innen- und
2015 an der Messstation Hohe Warte.                                   Außenbezirke, Wien, Juli 2019, Rohdaten [6], eigene Auswertung

Abb. 4: Anfälligkeit für städtische Hitze, Urban Heat Vulnerability   Abb. 5: Entwicklung Tropennächte, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung
Index, Rohdaten [7], eigene Darstellung

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                                                                                        11
Bauphysik

     Wiener Stadtklima                                                                    Wien – Hohe Warte [6] wird aus den vergangenen Jahren jenes
     Ausgehend von einer Analyse der Klimaindizes Sommer- und                             Klimadatenset gewählt bei dem die Mittelwerte über die letzten
     Hitzetage (Abbildung 6), Hitzewelletage (Abbildung 7) und Tro-                       15 Jahre (Abbildung 8) für die genannten Klimaindizes am besten
     pennächte (Abbildung 5) anhand der langjährigen Klimadaten für                       entsprechen. Mit 84 Sommertagen, 21 Hitzetagen, 6 Hitzewel-
                                                                                                letagen und 6 Tropennächten entsprechen die Klimadaten
                                                                                                aus dem Jahr 2007 nahezu dem gleitenden Mittelwert über
                                                                                                die letzten 15 Jahre. Durch Verschiebung der Temperatur-
                                                                                                kurve in 0,5 Grad Schritten ergeben sich damit die in Abbil-
                                                                                                dung 10 gezeigten Szenarien für die künftigen Sommer in
                                                                                                Wien. Diese Verschiebung der gesamten Temperaturkurve
                                                                                                (alle Stundenwerte) ist insofern zulässig, da die Analyse der
                                                                                                Klimadaten zeigt, dass nicht nur die Mittelwerte, sondern
                                                                                                parallel dazu auch die Maximaltemperaturen, hier in Abbil-
                                                                                                dung 9 für Juli gezeigt, steigen. Grundsätzlich ist zusätzlich
                                                                                                zur Verschiebung des Mittelwerts eine Zunahme der Streu-
                                                                                                ung zu erwarten, was zu einer weiteren Erhöhung der be-
                                                                                                trachteten Klimaindizes führt. Dies erfordert jedoch eine
                                                                                                aufwändige Manipulation der Klimadaten, auf die in die-
                                                                                                sem Beitrag verzichtet werden kann.

                                                                                                Betrachtet man die Jahre 2015, 2017 und 2019 so zeigt sich,
                                                                                                dass diese bei den Hitzetagen, den Tropennächten wie
                                                                                                auch den Hitzewelletagen in etwa dem in Abbildung 10
     Abb. 6: Entwicklung Sommer- und Hitzetage, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswer-              gezeigten Szenario +1,5 °C entsprechen.
     tung
                                                                                                Während für Gesamtösterreich in der nahen Zukunft eine
                                                                                                mittlere Zunahme von 11 Sommer- und 4,3 Hitzetagen pro-
                                                                                                gnostiziert wird gelten für Wien, bedingt durch die geogra-
                                                                                                fische Lage und die Städtische Wärmeinsel, weit kritischere
                                                                                                Prognosen. Es ist für die kommenden Jahre mit einer Zu-
                                                                                                nahme von 25 Sommer- und 12 Hitzetagen zu rechnen.
                                                                                                Dies entspricht ungefähr dem Szenario „gleitender Mittel-
                                                                                                wert der letzten 15 Jahre plus 1,5 °C“ bzw. den Klimadaten
                                                                                                aus dem Jahr 2019.

                                                                                                Erste Hilfe, die wirksamsten Maßnahmen!
                                                                                                Die beliebteste Maßnahme »viel und regelmäßig trinken«,
                                                                                                ist zwar eine notwendige, aber nicht immer ausreichende
                                                                                                Maßnahme, um negativen Konsequenzen von Hitzewellen
                                                                                                vorzubeugen.
     Abb. 7: Entwicklung Hitzewelletage, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung
                                                                                                Ausflüge in den Park oder zu kühlen Orten sind nicht allen
                                                                                                Menschen möglich. Hitze führt für daher für sehr viele Men-
                                                                                                schen zu einem Rückzug in die eigene Wohnung. Deshalb
                                                                                                ist es besonders wichtig, den privaten Wohnbereich auf
                                                                                                Hitzewellen vorzubereiten, um diese erfolgreich zu bewäl-
                                                                                                tigen.
                                                                                                Insbesondere in kleinen Räumen und Wohnungen besteht
                                                                                                ein hohes Risiko für sommerliche Überwärmung, wie die
                                                                                                Ergebnisse aus einer thermischen Gebäudesimulation für
                                                                                                Wiener Gründerzeitgebäude in Abbildung 11 zeigen. Ein
                                                                                                kleines Zimmer mit nur einem Fenster ohne Verschattung
                                                                                                zeigt fast 900 Stunden mit einer empfundenen Temperatur
                                                                                                über 27 °C, und das trotz Nachtlüftung (1). Größere Zimmer
                                                                                                mit zwei Fenstern zeigen mit knapp über 600 Stunden ein
                                                                                                günstigeres thermisches Verhalten im Sommer.
     Abb. 8: Lufttemperatur gemittelt über 15 Jahre, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswer-
     tung

12                                                                                                                          K itting 2020 – Magazin des IBO
Bauphysik

Abb. 9: Entwicklung Sommer- und Hitzetage, Wien, Rohdaten [6], eigene Auswertung

Abb. 10: Klimaszenarien Wien - Sommertage, Hitzetage, Tropennächte und Hitzewelletage

                                                                                                                    www.liapor.at
Abb. 11: Maßnahmen zur Reduktion von Hitze in Wohnräumen, Ergebnisse thermische Gebäudesimulation

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                                    Lias Österreich GesmbH | A-8350 Fehring | Fabrikstraße 11 | +43 3155 2368 0 | info@liapor.at
Bauphysik

     Eine gute Lösung um die Belastung durch sommerliche Überwär-                 ungedämmten Feuermauern stehen). Es lohnt sich also mehrfach
     mung für den privaten Wohnbereich zu reduzieren stellt eine                  über thermische Sanierung und Sonnenschutz nachzudenken.
     außen liegende Verschattung dar wie beispielsweise ein Raffstore             Mit diesen Maßnahmen können Sie, auch ohne Klimaanlagen, den
     (2) oder eine Markisolette (3) wodurch der Wärmeeintrag der                  kommenden Wiener Tropennächten entspannt entgegensehen.
     Sonne über die Fenster deutlich reduziert wird.
     Im Neubau wird in der Regel ein Nachweis zur Vermeidung som-                 Literatur
     merlicher Überwärmung geführt. Aber auch hier gibt es deutliche              [1] https://www.wien.gv.at/politik/international/vergleich/mercerstudie.html (zuletzt
     Unterschiede, so sollte darauf geachtet werden, dass die Räume                    abgerufen am 29.04.2020, 17:15)
     der Wohnung mit „A+“ bzw. als „sehr gut sommertauglich“ einge-               [2] https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar html?lv2=102248&lv3=102558
     stuft sind.                                                                      (zuletzt abgerufen am 29.04.2020, 17:33)
     Sollen bestehende Wohnräume auch bei zukünftigen Klimaent-                   [3] Hubfer, P. und W. Kuttler (Hrsg.): Witterung und Klima. B.G. Teubner, 1998, Stuttgart.
     wicklungen noch vor Hitze schützen führt eine thermische Sanie-
                                                                                  [4] Schirmer, et al: Handbuch zur Stadt- und Regionalplanung, 1988
     rung in Kombination mit außenliegender Verschattung zu den
                                                                                  [5] Fezer, F.: Das Klima der Städte, Perthes Geographie Kolleg, Justus Perthes Verlag Gotha.
     besten Resultaten (4). Die Anzahl der Stunden über 27 °C wird
                                                                                       1995
     damit um 80 % reduziert.
                                                                                  [6] https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/klimauebersichten/jahrbuch (zuletzt abgeru-
                                                                                       fen am 29.04.2020, 17.56)
     Abbildung 12 zeigt den Tagesverlauf der empfundenen Tempera-
                                                                                  [7] Urban Heat Vulnerability Index (UHVI) Wien, https://www.data.gv.at/katalog/
     tur für das Zimmer mit zwei Fenstern an einem heißen Sommer-
                                                                                      dataset/67d4a45f-2031-4dd5-a03d-92f64be7147c (zuletzt abgerufen am 29.04.2020,
     tag in einer Hitzeperiode. Die Wärmedämmung, egal ob außen an                    17:58)
     der Fassade oder raumseitig, also in der eigenen Wohnung, auf-
     gebracht, führt zu einer deutlichen Reduktion der empfundenen
     Temperaturen im Raum.
     Für die Auswahl und Bemessung der Dämmung gibt es umfang-
     reiches Informations- und Beratungsangebot. Neben der Wirt-                                                 Informationen
     schaftlichkeit kommt insbesondere im Wohnbereich, z.B. im                                                   DI Tobias Steiner
     Schlaf- oder Kinderzimmer der Materialwahl eine besondere Be-                                               IBO – Österreichisches Institut
     deutung zu. Während die Maßnahme im Sommer einen übermä-                                                    für Bauen und Ökologie GmbH
                                                                                                                 A-1090 Wien, Alserbachstr. 5/8
     ßigen Wärmeeintrag in den Raum verhindert, reduziert die Wär-
                                                                                                                 email: tobias.steiner@ibo.at
     medämmung im Winter die Wärmeverluste und das Risiko von
                                                                                                                 www.ibo.at
     Schimmelbildung (z.B. hinter Betten und Möbeln, die direkt an

     Abb. 12: Einfluss Dämmstandard auf empfundene Temperatur, Zimmer mit zwei Fenstern, Tagesgang der empfundenen Temperatur,
     heißer Sommertag

14                                                                                                                              K itting 2020 – Magazin des IBO
Bauphysik
                                                                                             ÖKOLOGISCH
Apfelbaum – kein Baumhaus                                                                    BAUEN
Ein Wohnprojekt für inklusives Wohnen                                                        MIT ABK8
in Hernals

                                                                                                   Gesamtheitliche
                                                                                                   ökologische
                                                                                                   Betrachtung

                                                                                                   Berechnung der
                                                                                                   Lebenszyklus-
 Bild ©: JAMJAM                                                                                    kosten
Wie können Gebäude ein gutes Zusammenleben för-
dern? Ideen dazu prägten die Wohnhöfe des Roten Wien                                               LV-Erstellung
ebenso wie die Baugruppenprojekte in Stadt und Land.
                                                                                                   nach ÖKO-
Das Projekt Apfelbaum integriert nicht nur Singles und
Familien, Paare und PensionistInnen, dort werden auch                                              Kriterien
Menschen mit besonderen Bedürfnissen leben.
                                                           Felix Heisinger, IBO GmbH               LV-Positionen
                                                                                                   ökologisch

E
      ingebettet in Wohnungsverbünde, mit einem Gesundheitszentrum, Geschäften und                 bewerten
      Ateliers können dort Menschen mit und ohne Behinderungen, die ein hohes Maß an
      gegenseitigem Respekt und Toleranz mitbringen, arbeiten und leben. Natürlich mit
viel Grün an Dächern und Fassaden und Freiräumen, versteht sich das Projekt doch als
Dorf in der Stadt. Darüber hinaus ist diese Sockelsanierung auch ein Demoprojekt für neue
                                                                                                   Praxiserprobtes
Entwicklungen zur Energieeffizienz in Plus-Energiehäusern und -gebieten.                           Datenmodell
Nachhaltigkeit – die Säule Soziales
Neben ökologischen Baustoffen und energieeffizientem Betrieb im Plus-Energiehaus ist
ein weiteres Thema das sogenannte Soziale im Bauwesen oft als Gesundheit bzw. ge-
                                                                                                   Effizientes
sunde Innenraumluft und Produktion ohne Schadstoffe zum Schutz der Arbeitneh-                      Softwaretool
merInnen interpretiert . Darüber hinaus hat Bauen auch auf unser Zusammenleben
Einfluss und zwar sowohl innerhalb der eigenen Wohnung, als auch in der Wohnhaus-
anlage und im Grätzel. Attraktiver als Garagentore sind belebte Erdgeschoßzonen,
barrierefreie Sanierungen ermöglichen auch älteren Menschen oder solchen, die mit
Rollstühlen und Kinderwägen unterwegs sind, mehr Bewegungsfreiheit und selbstver-
ständliches Leben in einer durchmischten Gesellschaft. Und wie wir ja wissen, ist Vielfalt
zwar immer eine Herausforderung, aber auch wichtig fürs Überleben. Denn wo Men-
schen wechselseitig füreinander Verantwortung übernehmen (können), entstehen be-
sondere Plätze.

Errichtung von Plusenergiehäusern                                                            ...und noch vieles mehr!
Nicht nur soziales Engagement wird sichtbar, das Bauvorhaben ist eines von vier Demo-
projekten in vier verschiedenen Klimazonen des EU-Projektes syn.ikia. Dessen Ziel ist,
                                                                                                    www.abk.at

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                             Die Lösung für OpenBIM und AVA | www.abk.at
Bauphysik

     Treibhausgasemissionen in Wohngebieten zu verringern. Netto-         Verein das Zusammenleben, gründet die nötigen Arbeitsgruppen
     Null-Energie-Bezirke werden planerisch, aber eben auch prak-         und achtet besonders auf die qualität- und würdevolle Betreuung
     tisch entwickelt. Dazu sollen lokale erneuerbare Energieträger       in den Pflegebereichen.
     und lokale Speicherkapazitäten für eine gemeinsame Nutzung
     zur Verfügung stehen und so das Engagement der Gemeinschaft          Bauphysik vom IBO
     fördern.                                                             Die IBO Bauphysik unterstützt das Projekt durch Berechnungen
                                                                          im Bereich thermische Bauphysik, Bauakustik, Raumakustik sowie
     Der Bauträger und Immobilienverwalter Liv, bekannt für seine         Wärmebrückenberechnungen und hygrothermische Simulatio-
     Projekte mit Liebe zum Detail, an den schönsten Orten Wiens,         nen für die Bestandssanierung.
     errichtet mit dem Verein Apfelbaum auf 6500 m2 in Hernals, nahe
     dem Yppenplatz, 104 Wohnungen und 40 Studentenapartments             Das Leben in einer bunten Gemeinschaft und im Grünen, mitten
     im Rahmen einer Sockelsanierung. Mit den Geschäften und Ge-          in Wien und mit Platz für besondere Menschen, stößt auf reges
     werbeflächen werden die Erdgeschoßzonen straßenseitig wieder         Interesse – es gibt bereits 280 Anmeldungen. Der Baubeginn ist
     belebt, aber auch hofseitig wird es Platz zum Arbeiten geben. Der    für 2020 geplant, zur Internationalen Bauausstellung IBA 2022 soll
     Pflegestützpunkt steht inmitten der Wohnungen für die Men-           das Projekt fertig sein.
     schen mit hohem Betreuungsbedarf, mit eigenem Pflegebad, die
     umliegenden Satellitenwohnungen für Menschen mit weniger                                   Informationen
     Bedarf können von dort aus mitbetreut werden.                                              DI FH Felix Heisinger
                                                                                                IBO – Österreichisches Institut
     Das wachsame Auge des Vereins                                                              für Bauen und Ökologie GmbH
     Wie in Baugruppen üblich, wurde zur Konzepterstellung und für                              A-1090 Wien, Alserbachstr. 5/8
     die Durchführung ein Verein gegründet. Letztendlich sollen die                             email: felix.heisinger@ibo.at
     BewohnerInnen ihr Projekt selbst verwalten. Dazu moderiert der                             www.ibo.at

                                                                                                Projekt des Vereins Apfelbaum mit 6500 m2
                                                                                                in Hernals

                                                                                                  • 104 Wohnungen für rund 280 Bewohner-
                                                                                                    Innen
                                                                                                  • 40 Studentenappartments (Helbling-
                                                                                                    gasse 7)
                                                                                                  • Gesundheitszentrum im 1. + 2. OG (Otta-
                                                                                                    kringer Straße 44)
                                                                                                  • Gewerbefläche in den EG-Bereichen
                                                                                                  • 98 Pkw-Stellplätze und Stellplätze für
                                                                                                    Motorräder und Lastenfahrräder
                                                                         Bild ©: JAMJAM         www.apfelbaum.at

16                                                                                                           K itting 2020 – Magazin des IBO
Bauphysik

Neue Grenzen der Luftdichtigkeit
Schäden wegen zu HOHER Luftdichtigkeit

Türen, die sich schlecht öffnen lassen, Fenster, die pfeifen und zu hohe Luftfeuchtigkeit in Kon-
struktionen, das alles kann bei zu hoher Luftdichtigkeit zu Komforteinbußen bis hin zu ernsten
Baumängeln führen.
                                                                                                        Karl Torghele, Spektrum GmbH

S
      eit mehr als 20 Jahren bin ich in Vorarlberg und Tirol als     versen normativen Regelwerken auf das Erfordernis der Luftdich-
      Sachverständiger für Bauphysik und Bauakustik tätig. In den    tigkeit zur Vermeidung von Bauschäden bzw. zur Vermeidung
      letzten drei Jahren ist nun eine auffällige Häufung von        von unkontrollierten Wärmeverluste hingewiesen (ÖNORM B
Bemängelungen und Schäden festzustellen, die in letzter Konse-       8110 Teil 2, ÖNORM B 2320, ÖNORM B 5320 etc.).
quenz auf eine zu dichte Gebäudehülle zurückzuführen sind.           Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Mindestanforderungen
Wohlgemerkt, hier meine ich nicht eine Häufung von Feuchte und       führt automatisch zu einem erheblichen Baumangel, der jeden-
Schimmelschäden, die durch zu geringe Lüftung bzw. Frischluft-       falls zu beheben ist. Die in der OIB-Richtlinie 6 niedergeschriebe-
zufuhr bedingt ist. Die hier angesprochenen Mängelrügen lauten       nen Mindestanforderungen sind allerdings nicht geeignet,
„schlechte, stinkende Luft“, „Pfeifgeräusche“, „aufspringende        Bauschäden durch ungenügende Luftdichtigkeit der Gebäude-
Türen“ oder „nicht öffenbare Türen“ nach dem Lüften.                 hülle zu vermeiden. Eine Beurteilung der unvermeidlichen Lecka-
                                                                     gen in der Gebäudehülle hinsichtlich ihres Schadenspotenzials
Warum die Gebäudehülle luftdicht sein soll?                          bedingt immer eine gutachterliche individuelle Beurteilung.
Aus bauphysikalischer Sicht ergibt sich die Notwendigkeit einer      Die Mindestanforderungen sind nicht für alle Gebäude in glei-
luftdichten Gebäudehülle vor allem wegen der Vermeidung von          cher Weise formuliert. Gebäude mit mechanischer Be- und Entlüf-
Bauschäden durch konvektiven Feuchteeintrag in die Konstrukti-       tung (mit Wärmerückgewinnung) müssen eine Luftdichtigkeit
on. Darüber hinaus stellt die Luftdichtigkeit der Gebäudehülle       der Gebäudehülle von n50 ≤ 1,5 h -1 erfüllen1, wogegen Gebäude
bei Gebäuden mit Komfortlüftung ein zentrales Element der En-        ohne eine solche einen Wert von n50 ≤ 3 h -1 erfüllen müssen.
ergieeffizienz. Aber auch bei großer Dichtigkeit des Gebäudes ist    Nicht gesetzlich geregelt ist die Anforderung der Luftdichtigkeit
zu beachten, dass dadurch keine Absenkung des hygienisch er-         der Gebäudehülle von Passivhäusern. Allerdings gilt es, wenn ein
forderlichen Luftwechsels erfolgen kann bzw. soll. Der durch die     Gebäude als Passivhaus zertifiziert werden soll, eine Luftdichtig-
Nutzungsintensität bedingte mindesterforderliche hygienische         keit von n50 ≤ 0,6 h -1 zu erfüllen.
Luftwechsel muss entweder durch Infiltration, gezielte Fenster-      Zwischenzeitlich hat ein regelrechter Wettbewerb in Richtung
lüftung oder durch eine mechanische Belüftung sichergestellt         eines möglichst geringen n50 -Wertes eingesetzt.
werden. Eine hohe Dichtigkeit der Gebäudehülle erfordert daher
aufgrund einer relativ geringen unkontrollierten Infiltration ver-   Umsetzung in der Praxis
stärkt ein bewussteres Lüftungsverhalten der Nutzer.                 In den letzten Jahren konnte in Österreich und vor allem auch in
Eine geringe Qualität der Luftdichtigkeit der Gebäudehülle führt     Vorarlberg durch eine immer gewissenhaftere Planung und Aus-
gerade in exponierten Lagen zu einem überhöhten Luftaus-             führung die Qualität der Luftdichtigkeit eines Gebäudes und
tausch, der einerseits Behaglichkeitsdefizite verursacht, ande-      auch einzelner Wohnungen deutlich verbessert werden. Zudem
rerseits auch erhöhten Heizenergieaufwand oder gar Bauschä-          war es früher üblich, Küchen mit Abluftanlagen auszustatten.
den bedingt.                                                         Diese Ausstattung entspricht aber, nicht zuletzt wegen des Stre-
Aus bauphysikalischer Sicht wird daher eine hohe Luftdichtigkeit     bens nach dichten Gebäudehüllen, nicht mehr dem Standard.
der Gebäudehülle angestrebt. Dabei werden aber allzu oft bau-        Zwischenzeitlich werden in Vorarlberg von fast allen Bauträgern
physikalisch bedingte Grenzen der erforderlichen Luftdichtigkeit     nur mehr Umluftsysteme in den Küchen vorgesehen.
außer Acht gelassen.                                                 War es vor etwa 10 Jahren also durchaus üblich, bei Blower-Door-
                                                                     Tests Messwerte von n50 ~ 1 bis 3 h -1 für eine Wohnung nachzu-
Gesetzliche Mindestanforderungen und Ziele aus Sicht der             weisen, messen wir heute auch für einzelne Wohnungen Werte
Energieeffizienz                                                     im Bereich n50 ≤ 0,35 h -1. Dies bedeutet zum Beispiel für eine 50
Gesetzliche Mindestanforderungen an die Luftdichtigkeit der          m² große Wohnung einen Luftvolumenstrom bei 50 Pa von etwa
Gebäudehülle sind in Österreich in der OIB Richtlinie 6 bzw. in
den länderspezifischen Bautechnikverordnungen (mit Verweis
auf die OIB RL-6) niedergeschrieben. Darüber hinaus wird in di-      1 Der n50-Wert beschreibt die Luftwechselrate bei 50 Pa.

 K itting 2020 – Magazin des IBO                                                                                                            17
Bauphysik

     44 m³/h. Konsequenterweise bedeutet dies im Umkehrschluss,                       bemessen, dass bei Betrieb der Abluftanlage jedenfalls ein maxi-
     dass ein Nassraumlüfter mit 60 m³/h einen Unterdruck in der Woh-                 maler Druckunterschied von 8–10 Pa induziert wird. So klar die
     nung von mehr als 50 Pa verursacht, wenn keine entsprechende                     Regelung auch sein mag, so häufig wird heute diese in der Praxis
     geordnete Nachströmöffnung geplant und ausgeführt ist. Bereits                   missachtet.
     diese Druckdifferenzen führen zu spürbaren und oft auch unan-
     genehmen Immissionen oder Nutzungseinschränkungen.                               Nicht alle Nachströmöffnungen sind geeignet
                                                                                      Abluftanlagen benötigen also wohldimensionierte Außenluft-
     Schäden wegen zu dichter Gebäude                                                 durchlässe ALD, die wiederum hinsichtlich der Komfortanforde-
     Nassraumlüfter und Abluftanlagen                                                 rungen (Zugluft, Schallemission) zu beachten sind. Immer häufi-
     Zumindest in Westösterreich ist es immer noch geübte Praxis, bei                 ger werden statt herkömmlicher ALD auch passive Fensterfalzlüf-
     Nassraumlüftern keine geordnete Nachströmöffnung für jede                        ter eingesetzt, die bei Betrieb der Abluftanlage, durch den da-
     einzelne Wohnung vorzusehen. Wenn dann die Gebäudehülle zu                       durch induzierten Unterdruck im Gebäude, Außenluft über die
     luftdicht ausgeführt ist, kann dies in der Praxis zu Nutzungspro-                Funktionsfuge des Fensters (Fensterfalz) nachströmen lassen.
     blemen führen. Beim Betrieb der WC-Abluft steigt z.B. der Unter-                 Gerade bei diesen Elementen ist aber zu beachten, dass nut-
     druck in der Wohnung so weit, dass im Bereich von Türschlössern                  zungsbedingt auch eine Umkehrung des Luftvolumenstroms
     oder Funktionsfugen von Fenstern und Türen Pfeifgeräusche ent-                   stattfinden kann. In diesem Fall kann feuchtwarme Raumluft in
     stehen, die einen Schalldruckpegel in Wohnräumen von über Lp,A                   den Fensterfalz geführt werden. Diese kann dort zu Kondensat
     ~ 50 dB verursachen. Auch das Betätigen der Wohnungsein-                         und insbesondere bei Holzfenstern zu massiven Schäden der
     gangstüre kann in diesem Fall zum Problemfall werden. Durch                      Fensterkonstruktion führen. Passive Fensterfalzlüfter sind daher
     den Unterdruck in der Wohnung von etwa 60 Pa liegt an der Türe                   nur bei Dauerbetrieb von Abluftanlagen eine denkbare Lösungs-
     eine Kraft von etwa 120 N an2 . Damit öffnet sich bei Betätigen des              variante. Bei bedarfsgesteuerten Abluftanlagen stellen Fenster-
     Türdrückers die Türe schlagartig nach innen. Insbesondere Kin-                   falzlüfter aber aus bauphysikalischer Sicht einen schadensträch-
     der können dadurch gefährdet werden. Schmerzhafte Beulen                         tigen Konstruktions-fehler dar. Zu beachten ist auch, dass im Re-
     sind fast unvermeidlich.                                                         gelfall die Fensterfalzlüfter mit Klappen ausgestattet sind, die bei
     Die gutachterliche Beurteilung dieses Problems stellt zwar keine                 Druckdifferenzen jenseits von 10 Pa schließen. Dies führt dazu,
     große Herausforderung dar, da für diesen Fall klare Regelwerke                   dass bei falscher Bemessung der Fensterfalzlüfter diese in ihrer
     vorhanden sind. Wird eine mechanische Abluftanlage eingebaut,                    Funktion als Nachströmelement untauglich werden. Wenn durch
     so ist für eine geordnete Nachströmöffnung Sorge zu tragen.                      den Betrieb der Abluftanlage trotz der Fensterfalzlüfter die
     Wenn sie fehlt, handelt es sich um einen Planungs- und/oder                      Druckdifferenz über 10 Pa steigt, verschließen sie sich und wer-
     Ausführungsfehler. Die Nachströmöffnungen sind dabei so zu                       den damit unwirksam (vgl. Abb. 1).

     Abb. 1: Messungen zum Verlauf der Druckdifferenz bei Betrieb von Abluftanlagen in einer Wohnung. Im konkreten Fall waren in
     der Wohnung Nassraumlüfter im WC, Badezimmer und Abstellraum installiert. Bei Betrieb der Anlagen wurde trotz der instal-
     lierten Fensterfalzlüftern eine Druckdifferenz von über 100 Pa gemessen. An der Wohnungseingangstüre lag somit eine Kraft
     von etwa 200 N an, die zu einer maßgeblichen Nutzungsbeeinträchtigung führte. Darüber hinaus waren auch stark störende
     Geräuschentwicklungen in den Funktionsfugen von Fenster und Türen zu hören.

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