KLIMA: Wie es unsere Vorfahren beeinflusste - Schweizerischer Nationalfonds (SNF)

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KLIMA: Wie es unsere Vorfahren beeinflusste - Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
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     DAS SCHWEIZER
                                                                         inhalt
     FORSCHUNGSMAGAZIN
     Nr. 69, Juni 2006

horizonte

            KLIMA: Wie es unsere Vorfahren beeinflusste
            CO : Tropische Bäume und Kakteen fixieren das Treibhausgas
                  2

            DILEMMA: Wenn Juristen gegen ihr Gewissen handeln
            ATOMUHR: Das Ticken des Cäsiums neu modelliert
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SNF_Horizonte_69_D.qxd      13.12.2006          15:39 Uhr      Seite 2

      editorial

                                                                                                                       MAESAO
         Nicht in Stein gemeisselt

                       J
                              ede neue Entdeckung verändert unser Wissen, und je
                              mehr wir wissen, desto komplexer wird es... Diese
                              Erkenntnis trifft auf die ganze Forschung zu, doch ganz
                              besonders augenfällig wird sie in Disziplinen wie der
                              Archäologie, wo immer wieder neue aufsehenerregende
                       Funde dafür sorgen, dass, was heute gilt, morgen schon wieder
                       überholt ist.
                            In der Geschichte der Menschheit ist nichts in Stein
                       gemeisselt. Schon gar nicht, seit das Interesse bei Grabungen
                       über die archäologischen Funde selbst hinausgeht und ver-                                                                 In Mali entdeckten Archäologen die ältesten Keramikreste Afrikas.
                                         mehrt auch der Lebensraum unserer Vorfahren

                                                                                                                       Keystone
                                         systematisch mitanalysiert wird – Pflanzen, Tiere,
                                         die Bodenbeschaffenheit, Temperatur-, Regen-
                                         oder Windverhältnisse. Moderne interdisziplinäre
                                         Ausgrabungsprojekte machen einem in ihrer
                                         Breite immer wieder überdeutlich bewusst,
                                         wie bruchstückhaft unser Wissen ist. Zugleich
                                         ermöglicht die Horizonterweiterung von der
                                         Archäologie auf die Archäobotanik, Geomorpho-
                                         logie, Sedimentologie, Klimatologie und weitere
                       Fachbereiche aber auch neue interessante Zusammenhänge.
                       Es wird immer klarer, welchen Anteil die Umwelt und als Teil
                       von ihr das Klima an der menschlichen Entwicklung haben.
                       In der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe illustrieren wir
                       mit Beispielen aus Mali, Sudan und Nigeria, wie dieser Einfluss
                       konkret aussehen kann (ab S. 9). Und stellen die Frage, wie
                                                                                                                                                   18
                       weit der Einfluss von Umwelt und Klima allgemein auf unsere                                                               Kurse in der Muttersprache fördern die Sprachkompetenz.
                       Entwicklung geht (S. 15). Die Fachmeinungen sind zwar geteilt,
                                                                                                                       Einar Timdal/nhm.uio.no

                       doch unbestritten bleibt, dass der Mensch längst nicht so
                       selbstbestimmt ist, wie er sich einst sah.
                            Vermutlich ist dies Wasser auf die Mühle von Bertrand Kiefer,
                       der sich in den «Perspektiven» (S. 33) mit dem menschlichen
                       Narzissmus auseinandersetzt bzw. mit den Erschütterungen,
                       die das ichbezogene Welt- und Selbstbild durch die
                       Forschung zunehmend erfährt. Bertrand Kiefer wird in den
                       nächsten Ausgaben von «Horizonte» abwechselnd mit der Wis-
                       senschaftsjournalistin Rosmarie Waldner die besagte Kolumne
                       bestreiten. Wir heissen beide an dieser Stelle willkommen!

                                                                                  Anita Vonmont
                                                                                  Redaktion «Horizonte»                                          Eine der wenigen Flechten mit deutschem Namen: das Eichenmoos

          2     S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6
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                     Umschlagbild oben:
                     Ausgrabungsstätte Ravin
                     de la Mouche in Ounjougou,
                                                                «Wer von der Forschung profitiert, sollte
                     Mali (S. 10). Bild: MAESAO                   auch bereit sein, ihr etwas zu geben.»
                     Umschlagbild unten:
                                                                                                                         Hirnforscherin Stephanie Clarke zum Entwurf
                     Kalziumoxalatkristalle unter
                     dem Elektronenmikroskop                                                                                           des Humanforschungsgesetzes.
                     (S. 20). Bild: Eric Verrecchia/unine.ch                                                                                                 Seite 28

                     Aktuell                                                                              Weitere Themen
                         5    Nachgefragt                                                                 18    Mehr Chancen für Migrantenkinder
                              Wider den «Clash of Civilizations»                                                Kurse in der Muttersprache fördern
            9            6    Kindheit – statistisch gesehen
                                                                                                                die Sprachkompetenz.

                              Schlaganfall-Therapie:                                                      20    Pflanzen gegen den Treibhauseffekt
                              Gegenspieler im Gehirn entdeckt                                                   Bäume und Kakteen fixieren Kohlendioxid
                              Wenn Arbeit zum sozialen Ausschluss führt                                         dauerhaft und in grossen Mengen.

                         7    Im Bild                                                                     23    Das Ticken des Cäsiums neu modelliert
                              Gute Noten für Bt-Pflanzen                                                        Die Eigenfrequenz des Cäsiums, Taktgeber
                                                                                                                vieler Atomuhren, wird noch genauer
                         8    Auszeichnung für René Schwarzenbach                                               berechenbar.
                              Das feuchteste Jahrhundert seit 1000 Jahren
                              Impfung gegen Leishmaniose                                                  24    Ängstlichkeit macht unbeweglich
                                                                                                                Die Angst zu fallen fördert
                                                                                                                die Sturzgefahr älterer Menschen.
                     Titel
                                                                                                          25    Keusche Lebenskünstler
                         9    Die Umwelt und wir                                                                Weltweit gibt es 15 000 Flechtenarten,
                              Die Entwicklung des Menschen wird entscheidend                                    doch kaum einer kennt sie. Ein Besuch bei
                              von Umwelteinflüssen mitbestimmt.Vor allem in                                     der Lichenologin Rosmarie Honegger.
                              frühen Kulturen, die noch stark von den natürlichen
                              Ressourcen abhängig sind, lassen sich interessante                          27    Recht gegen Gerechtigkeit
                              Zusammenhänge feststellen. Beispiele aus unserem                                  Wenn Juristen im Widerspruch zu ihrem
                              archäologisch reichen Nachbarkontinent Afrika –                                   Gewissen urteilen, leidet ihre Psyche.
                              aus Mali (S.10), Sudan (S.12) und Nigeria (S.14). Aus
                              den konkreten Einzelfällen lassen sich allerdings                           31    Vor Ort: Klimaforschung in den USA
                              erst vage allgemeine Tendenzen ableiten (S.15).                                   Remo Nessler tüftelt in den USA an einem
                                                                                                                Messgerät für Aerosole.
                     Porträt
                     16       Marguerite Neerman-Arbez:
                              Genetik oder Schauspielkunst
                              Die Genetikerin hat auf eine Schauspielkarriere
                              verzichtet, nicht aber auf eine Familie.

                     Interview                                                                            Rubriken
                     28       «Die heutige Forschung                                                      4     Meinungen                        34    Nussknacker
                              dient der nächsten Generation»                                              4     In Kürze                         34    Exkursion
         25                   Der Entwurf des Humanforschungsgesetzes
                              sei nicht ausgewogen, sagt SNF-Forschungsrätin
                                                                                                          22
                                                                                                          32
                                                                                                                Wie funktionierts?
                                                                                                                Cartoon
                                                                                                                                                 34
                                                                                                                                                 35
                                                                                                                                                       Impressum
                                                                                                                                                       Bücher
                              Stephanie Clarke.                                                           33    Perspektiven                     35    Agenda

                                                                         S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6   3
KLIMA: Wie es unsere Vorfahren beeinflusste - Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
SNF_Horizonte_69_D.qxd             13.12.2006         15:39 Uhr      Seite 4

         aktuell
  meinungen

                                                                                                         in kürze
              Sinnlose                                    Dafür vielen Dank.Weniger
              Schwerpunkte                                begeistert bin ich dagegen                                    Schweizer Jugend forscht
              Nr. 68 (März 2006)                          über die laienhafte Verbreitung
                                                          wissenschaftlicher Informa-                                   Im 40. Wettbewerb von «Schweizer Jugend forscht» sind Ende
              Ganz herzlichen Glückwunsch                                                                               April aus 44 Arbeiten, die sich qualifizieren konnten, 13 mit
                                                          tionen in der Romandie. «Hori-
              zu Ihrem ausgezeichneten                                                                                  dem Prädikat «hervorragend» ausgezeichnet worden. Sie
                                                          zonte» erscheint nur gerade
              Editorial. In der Öffentlichkeit                                                                          handeln von Themen wie Kafkas Frühwerk, dem Völkermord
                                                          vier Mal jährlich. Die Medien
              ist erfahrungsgemäss sehr                                                                                 an den Armeniern, der Chaostheorie oder der Keimhemmung
                                                          beschränken ihr Engagement                                    von Kartoffeln. Eingabefrist für den Wettbewerb 2007 ist der
              schwierig zu vermitteln, dass
                                                          in diesem Bereich auf ein                                     16. Oktober 2006. Teilnehmen können Jugendliche aus Berufs-
              für die langfristige Grund-
                                                          Minimum. Der Beweis: der                                      und Mittelschulen zwischen 14 und 21 Jahren. www.sjf.ch
              lagenforschung keine gut be-
                                                          Entscheid von Télévision
              gründeten Schwergewichte
                                                          Suisse Romande (TSR), das
              gesetzt werden können, da
                                                          Magazin «Territoire 21» nicht                                 Neue Förderungsprofessuren
              Grundlagenforschung ihrer
                                                          mehr auszustrahlen. Obwohl
              Natur nach spielerisch, kreativ,
                                                          es keineswegs schlecht war,                                   Der SNF hat im Februar 31 SNF-Förderungsprofessuren an
              risikobehaftet und deshalb                                                                                Nachwuchsforschende vergeben, die sich durch hervor-
                                                          ganz im Gegenteil. Ersetzt
              auch nicht planbar ist. In                                                                                ragende wissenschaftliche Leistungen auszeichnen. Sie sind
                                                          wurde es durch ein Gesund-
              der heutigen Situation ist es                                                                             an sieben schweizerischen Universitäten und den beiden
                                                          heitsmagazin, bei dem es nicht
              deshalb besonders fatal, dass                                                                             ETH tätig. Beworben hatten sich 208 Wissenschaftlerinnen
                                                          um Wissenschaft, sondern
              via parlamentarische Budget-                                                                              und Wissenschaftler.
                                                          um die Gesellschaft geht. Als                                 www.snf.ch/de/fop/awa/awa_pfs_info.asp
              vorgaben und Verwaltungs-
                                                          kleines Zückerchen bietet TSR
              manöver der – für die Zukunft
                                                          eine Miniserie, die offensicht-
              der Schweiz existenziellen –
                                                          lich gemeinsam mit der Stif-
              Grundlagenforschung zuneh-                                                                                Neue Kohortenstudien
                                                          tung Science et Cité produziert
              mend SNF-Gelder zu Gunsten
                                                          wurde. Fünfzehn dreiminütige                                  Der SNF hat zwei neue Langzeitstudien, so genannte Ko-
              angewandter Schwerpunkt-
                                                          Episoden, mit denen die Neu-                                  hortenstudien, bewilligt: Die Schweizer HIV-Kohorte unter
              und Verbundprojekte ent-
                                                          gier eines breiten Publikums                                  der Leitung von Patrick Francioli (Uni Lausanne) und die Sapal-
              zogen werden. Hier dürfte                                                                                 dia-Kohorte, die den Zusammenhang zwischen Luftver-
                                                          geweckt wird und weit ver-
              Ihr prägnanter Beitrag, nicht                                                                             schmutzung und Herz- und Lungenkrankheiten untersucht,
                                                          breitete Irrtümer aufgedeckt
              zuletzt auch dank seiner                                                                                  unter der Leitung von Thierry Rochat (Unispital Genf ). Im
                                                          werden. Das ist zu wenig.
              Kürze, auch in den Köpfen                                                                                 letzten Dezember waren bereits drei Kohorten bewilligt
                                                          Vor einem Vierteljahrhundert
              in Bundesbern zu einer                                                                                    worden (Hepatitis C, chronischen Darmentzündungen sowie
                                                          bereits gelang es dem begab-                                  eine nationale Plattform zur Analyse von Gesundheitsdaten).
              Klärung beitragen. Der grif-
                                                          ten Rafaël Carreras, die
              fige, journalistische Titel
                                                          wissenschaftliche Neugier
              «Giesskannenprinzip» ist
                                                          der Jugend zu wecken. Man
              vielleicht etwas doppeldeutig                                                                             Susan Gasser ausgezeichnet
                                                          ist sich einig, dass die wissen-
              und könnte von der Politik,
                                                          schaftliche Forschung und                                                        Die Molekularbiologin und Direktorin des
              die ja ein eher gespaltenes
                                                          ihre Anwendungsgebiete                                                           Friedrich-Miescher-Instituts, Susan Gasser,
              Verhältnis zum Giesskan-
                                                          unterstützt werden müssen.                                                       ist mit dem Otto-Naegeli-Preis 2006 aus-
              nenprinzip hat, eher negativ                                                                                                 gezeichnet worden. Sie erhält den Preis
                                                          Daneben braucht es jedoch
              empfunden werden. Doch                                                                                                       für Ihre bahnbrechenden Beiträge über
                                                          auch ein kohärentes Konzept,
              dies ist halt wohl der Preis der                                                                                             die räumliche Organisation des Zellkerns
                                                          um die wissenschaftlichen
              journalistischen Kürze.                                                                                                      im Zusammenhang mit der höheren Chro-
                                                          Erkenntnisse einem breiten
              Hans-Peter Bernhard, Basel                                                                                                   mosomenstruktur. Der mit 200000 Franken
                                                          Publikum zugänglich zu                                        dotierte Preis wird alle zwei Jahre von der Bonizzi-Theler-
                                                          machen.                                                       Stiftung vergeben.
              Französische Minder-                        Jean-Marcel Schorderet,
              heit ernst genommen                         Chêne-Bougeries
              Nr. 68 (März 2006)                                                                                        SNF: Strenge Selektion
              Ich habe mich beim Lesen
              der Ausgabe Nr. 68 gefreut                    pri@snf.ch                                                  2005 hat der SNF 466 Millionen Franken in die Forschungs-
                                                                                                                        förderung investiert. 22 Prozent der Beiträge flossen in die
              über die gelungene Darstel-                    Ihre Meinung interessiert uns.                             Geistes- und Sozialwissenschaften, 37 Prozent in die Mathe-
              lung neuer wissenschaftlicher                  Schreiben Sie bitte mit vollstän-                          matik, die Natur- und Ingenieurwissenschaften und 40 Prozent
              Erkenntnisse, aber auch                        diger Adresse an: Redaktion                                in die Biologie und die Medizin (1 Prozent nicht zuschreibbar).
              darüber, dass die ganze Zeit-                  «Horizonte», Schweiz. Natio-
                                                             nalfonds, Leserbriefe, Pf 8232,
                                                                                                                        In der freien Forschung wurden 5000 junge Forschende unter-
              schrift in französischer Spra-                 3001 Bern, oder an pri@snf.ch.                             stützt. Die Projekte wurden sehr streng ausgewählt, wie der
              che erscheint und damit die                    Die Redaktion behält sich Aus-                             soeben erschienene Jahresbericht aufzeigt.
              französischsprachige Minder-                   wahl und Kürzungen vor.                                    www.snf.ch/de/com/inb/inb_rep.asp
              heit ernst genommen wird.

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  nachgefragt

                Wider den
                «Clash of
                Civilizations»
                Wie sollen Rechtsstaat und Gesell-
                schaft mit der veränderten religiösen
                Landschaft in der Schweiz umgehen?
                Christoph Bochinger, Präsident eines
                neuen Forschungsprogramms, will
                durch Forschung die emotionali-
                sierte Diskussion versachlichen.

                Wo sehen Sie in der aktuellen «Religions-                                                                     Natürlich ist vieles beunruhigend: Die
                landschaft Schweiz» am meisten Handlungs-
                                                                   «Zu fundamentalistischen                                   Mobilisierungskraft religiöser Motive –
                bedarf?                                            Strömungen und zur                                         etwa bei Selbstmordattentaten oder
                Christoph Bochinger: Die religiöse Land-           Frage, wie die Schweiz                                     im Karikaturenstreit – ist beängstigend.
                schaft der Schweiz hat sich enorm verän-
                dert. Im Zuge der Globalisierung gibt es
                                                                   mit solchen Tendenzen                                      Ebenso beängstigend ist aber auch die
                                                                                                                              Reaktion darauf in westlichen Debatten,
                immer mehr neue Religionsgemeinschaf-              umgehen soll, gibt es                                      wenn etwa Samuel Huntington mit seinem
                ten. Gleichzeitig hat sich die Integrations-       dringenden Forschungs-                                     «Clash of Civilizations» ein Schwarz-
                kraft der christlichen Kirchen verringert,
                fundamentalistische Tendenzen nehmen
                                                                   bedarf.»                                                   Weiss-Szenario herbeischreibt. Es ist ein
                                                                                                                              wichtiges Forschungsthema, diese Ausein-
                zu. Der Staat wird seine Gesetzgebung auf          Was für konkrete Ergebnisse erwarten Sie                   andersetzungen zu untersuchen.
                die neue Situation einrichten müssen. Für          von den NFP- 58- Projekten?
                sachgerechte Entscheide fehlt aber häufig          Wir wollen Einstellungen in der Bevölke-                   Was halten Sie von einem Kopftuchverbot?
                das Grundlagenwissen. Wie können bei-              rung untersuchen und Bedingungen für                       Unter Kopftüchern stecken sehr unter-
                spielsweise die Bedürfnisse von grossen            ein gelingendes Miteinander religiöser                     schiedliche, keineswegs nur verblendete
                und kleinen Religionsgemeinschaften und            und nichtreligiöser Gemeinschaften und                     Köpfe. In diesem Bereich ist vorurteilsfreie
                die Assimiliationsforderungen des Staates          Individuen in der Schweiz klären. Das NFP                  Forschung dringend angezeigt. Gross-
                aufeinander abgestimmt werden? Fördert             58 schafft die Möglichkeit, Ergebnisse                     flächige Verbote sind ohne solche Grund-
                etwa ein so genannt neutraler Religions-           unterschiedlicher Disziplinen zusam-                       lagenforschung kontraproduktiv. Diese
                unterricht die allgemeine Toleranz?                menzutragen. Ich hoffe, dass sich neben                    kann auch dazu dienen, rechtliche Re-
                                                                   Forschenden aus Religionswissenschaft,                     gelungen, etwa zur Sicherung der religiö-
                                                                   Ethnologie und Soziologie beispielsweise                   sen Neutralitätspflicht in Schulen, besser
                 Neues Forschungsprogramm                          auch Vertreter aus Rechtswissenschaft                      abzustützen.
                                                                   und Psychologie beteiligen. Neben der
                  Anfang Juni ist das Nationale Forschungs-
                  programm «Religionsgemeinschaften, Staat         Erforschung traditioneller und neuer Re-                   Ist denkbar, dass christliche Fundamenta-
                  und Gesellschaft» (NFP 58) ausgeschrieben        ligionsgemeinschaften ist die Auswirkung                   listen in der Schweiz ein Verbot der Evolu-
                  worden, für das der Bundesrat 10 Millionen       religiöser Sozialisation auf die Individuen                tionslehre bewirken?
                  Franken gesprochen hat. Die Forschungs-          ein wichtiges Thema. Und auch globale                      Zu fundamentalistischen Strömungen gibt
                  schwerpunkte sind: Religionsgemeinschaf-         Aspekte – mit klarem Bezug auf die                         es dringenden Forschungsbedarf. Auch ist
                  ten im Wandel, Religion und Individuum,          Schweizer Situation – sollen einfliessen,                  die Frage, wie das säkulare Verfassungs-
                  Religion in Öffentlichkeit und Gesellschaft,
                                                                   etwa wenn es um die Beobachtung von                        recht der Schweiz mit solchen Tendenzen
                  Staat und Religion sowie Religion und So-
                                                                   internationalen Vernetzungen geht.                         umgehen soll.
                  zialisation. Projektskizzen können bis am
                  15. September 2006 eingereicht werden. Die                                                                  Interview von Susanne Birrer
                  Forschungsarbeiten beginnen im Mai 2007.         Beunruhigt Sie selber an den aktuellen Ent-
                  Das Programm dauert drei Jahre. www.snf.ch       wicklungen nichts? Wie schätzen Sie etwa                   Christoph Bochinger ist Professor für Religions-
                                                                                                                              wissenschaft an der Universität Bayreuth und
                                                                   den «Karikaturenstreit» ein?                               Präsident der Leitungsgruppe des NFP 58.

                                                                           S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6   5
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      aktuell

                                                                Keystone
                                                                           Schlaganfall-Therapie: Gegenspieler im Gehirn entdeckt
                                                                           Bei einem Schlaganfall wird ein Teil des Gehirns ungenügend durchblutet, und die betroffenen
                                                                           Nervenzellen erhalten zu wenig Sauerstoff und Nährstoffe. Dies führt zu biochemischen Verände-
                                                                           rungen, die auch dann noch anhalten, wenn das Gewebe wieder ausreichend durchblutet ist. Eine
                                                                           neue Gruppe von Wirkstoffen, so genannte Neuroprotektiva, soll die Bildung von schädlichen
                                                                           Stoffwechselprodukten in den unterdurchbluteten Zellen hemmen. Doch bisherige klinische
                                                                           Studien liefen erfolglos. Nun hat die Arbeitsgruppe des Neurologen Dirk M. Hermann von der
                                                                           Universität Zürich herausgefunden, weshalb diese Wirkstoffe nicht wirken: Ein Eiweiss transpor-
                                                                           tiert die Neuroprotektiva in grossen Mengen vom Hirngewebe zurück in die Blutbahn, so dass die
                                                                           Wirkstoffe die Nervenzellen nicht richtig erreichen können. Das Eiweiss namens Mdr-1 wird im
                                                                           Hirngewebe gebildet, wenn dieses schlecht durchblutet ist, wie dies beim Hirnschlag der Fall ist.
                                                                           Indem die Wissenschaftler das Eiweiss Mdr-1 hemmten, konnten sie die Konzentration ver-
                                                                           schiedener Neuroprotektiva bis zum Zehnfachen steigern, was die Wirksamkeit der Medikamente
          Die Familienverhältnisse von Kindern in der Schweiz              deutlich verbessert. Solche Mdr-1-Hemmer wurden von der Pharmaindustrie bereits gegen andere
          wurden erstmals umfassend statistisch untersucht.                Krankheiten entwickelt und werden zurzeit klinisch geprüft. em
                                                                           Nature Neuroscience (2006), Band 9, S. 487 – 488

          Kindheit – statistisch gesehen

                                                                                                                                                                                             SPL/Keystone
          Seit kurzem verfügt die Schweiz über eine
          der umfassendsten soziodemografischen Be-
          schreibungen, wie Kindheit erlebt wird: In sei-
          ner innovativen Studie «Die Lebensumstände
          von Kindern: von der Geburt bis zum Verlassen
          des Elternhauses» hat Philippe Wanner von
          der Universität Genf eine Fülle von statisti-
          schen Informationen zusammengetragen,
          unter anderem auch solche aus der eidgenös-
          sischen Volkszählung im Jahr 2000. So erfährt                    Bei einem Schlaganfall wird ein Teil des Gehirns ungenügend durchblutet.
          man, dass in der Schweiz nur 10 Prozent der
          Kinder ausserehelich geboren werden – eine
          der niedrigsten Raten in Europa. Fast alle Väter
                                                                           Wenn Arbeit zum sozialen Ausschluss führt
          dieser Kinder anerkennen die Vaterschaft, und
          sie tun dies immer öfter bereits vor der Geburt.                 Arbeit ist ein zentraler Wert unserer Gesell-                 stammt aus der Studie «Integrations- und Aus-
          Jede zweite Frau, die Mutter wird, geht einer                    schaft. Doch heute ist die Erwerbstätigkeit                   schluss-Mechanismen in Arbeit und Beruf» des
          Arbeit nach. Paare mit Kindern lassen sich                       keineswegs mehr automatisch Garant für                        Nationalen Forschungsprogramms «Integration
          weniger oft scheiden als kinderlose, und nur 10                  wirtschaftliches Auskommen, soziale Integra-                  und Ausschluss» (NFP 51), die vom Soziologen
          Prozent der Kinder erleben die Scheidung ihrer                   tion, Anerkennung und Selbstachtung – alles                   François Hainard von der Universität Neuen-
          Eltern in den ersten zehn Lebensjahren. Diese                    zentrale Bestandteile der Menschenwürde.                      burg geleitet wurde. Sie kommt zum Schluss,
          Rate ist allerdings doppelt so hoch, wenn die                    Verschiedene Indikatoren zeigen, dass eine                    dass Arbeitsunsicherheit (Unzufriedenheit
          Mutter Schweizerin und der Vater Ausländer                       Verschlechterung der Arbeits- und Anstellungs-                über die Arbeitsbedingungen, Entlöhnung,
          ist. Weitere interessante Daten: Im internatio-                  bedingungen zum sozialen Ausschluss führen                    Arbeitsatmosphäre) belastender zu sein scheint
          nalen Vergleich verlassen die Kinder in der                      kann. Dieser Besorgnis erregende Befund                       als Unsicherheit in Bezug auf die Anstellungs-
          Schweiz das Elternhaus frühzeitig, in nahezu                                                                                   bedingungen (zeitlich befristete Anstellung,
                                                                                                                              Keystone

          sechs von zehn Fällen bereits vor dem Ende                                                                                     Kündigungsrisiko). Laut den Forscherinnen
          der Ausbildung. Die Studie, die im Nationalen                                                                                  Pascale Gazareth, Katia Iglesias und Malika
          Forschungsprogramm «Kindheit, Jugend und                                                                                       Wyss stellt die berufliche Unsicherheit nicht nur
          Generationenbeziehungen im gesellschaft-                                                                                       ein Verarmungsrisiko dar, sondern beeinträch-
          lichen Wandel» (NFP 52) durchgeführt wurde,                                                                                    tigt vor allem auch das psychische Wohl-
          macht deutlich, wie sich die Lebensumstände                                                                                    befinden, mit deutlichen Konsequenzen für das
          von Kindern verändern und wie sich die elterli-                                                                                ganze Sozialversicherungssystem. Die Studie
          che Situation zum Zeitpunkt der Geburt auf                                                                                     fordert deshalb ein stärkeres Bewusstsein der
          den weiteren Verlauf der Kindheit auswirkt.                                                                                    Politik für dieses Thema, damit Arbeits- und
          Ausserdem zeigt sie auf, wie wichtig es ist, die-                                                                              Anstellungsbedingungen nicht nur zwischen
          sen Lebensabschnitt in der Familienpolitik                       Berufliche Unsicherheit beeinträchtigt                        Arbeitgebern und Gewerkschaften, sondern
          stärker zu berücksichtigen. Ariane Geiser                        das psychische Wohlbefinden.                                  auch breit diskutiert werden. Ariane Geiser

          6       S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S        •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6
KLIMA: Wie es unsere Vorfahren beeinflusste - Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
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           Gute Noten für Bt-Pflanzen
           Der gentechnisch veränderte Bt-Mais und
           die Bt-Baumwolle sind gegen Schädlinge
           resistent, weil sie ein spezifisches Insekten-
           gift bilden. Doch sind sie auch für nützliche
           Insekten gefährlich, wie beispielsweise
           Marienkäfer, die Blattläuse fressen, oder
           Florfliegenlarven, die Thripse verspeisen
           (im Bild)? Dieser Frage sind Jörg Romeis,
           Michael Meissle und Franz Bigler von der
           Forschungsanstalt für Agrarökologie und
           Landbau in Zürich-Reckenholz nachgegan-
           gen. Sie haben dafür zahlreiche Studien
           ausgewertet und kommen zum Schluss,
           dass das Toxin der Bt-Pflanzen keine schäd-
           lichen Auswirkungen auf die Nützlinge hat.
           So schadet ihnen weder der Frass an der
           Bt-Pflanze noch der Verzehr von Beutetieren,
           die das Bt-Toxin aufgenommen haben.
           Allerdings könne dieses Resultat nicht auf
           gentechnisch veränderte Pflanzen über-
           tragen werden, die andere Insektengifte
           bilden, so die Forscher. Die entsprechenden
           Analysen müssten von Fall zu Fall neu vor-
           genommen werden. Die Studie ist Teil
           des Nationalen Forschungsschwerpunkts
           «Überlebenserfolg von Pflanzen». em

           Nature Biotechnology (2006), Band 24 (1), S. 63 – 71
           Bild Gabriela Brändle/Agroscope Reckenholz ART

                                                                     S C H W E I Z E R I S C H E R   N A T I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6   7
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      aktuell

              Auszeichnung für den Umweltforscher René Schwarzenbach                                                                            Impfung gegen Leishmaniose
              Der Schweizer Umweltchemiker René

                                                                                                                                         ETHZ
                                                                                                                                                Die Tropenkrankheit Leishmaniose tötet
              Schwarzenbach hat als erster Nicht-Ame-                                                                                           jährlich 60000 Menschen. Nun hat ein Team um
              rikaner den «Award for Creative Advances                                                                                          den Biochemiker Peter Seeberger von der ETH
              in Environmental Science & Technology»                                                                                            Zürich zusammen mit dem Schweizerischen
              erhalten. Obwohl der Preis der American                                                                                           Tropeninstitut in Basel und der Firma Pevion in
              Chemical Society (ACS) «nur» mit 5000                                                                                             Bern eine neuartige Impfung entwickelt, die im
              Dollar dotiert ist, geniesst er hohes An-                                                                                         Tierversuch eine starke Immunreaktion gegen
              sehen. «Es zeigt, dass Umweltchemie sich                                                                                          die Krankheit auslöste.
              als Zweig der Chemie etabliert hat», sagt                                                                                         Das Prinzip ist das Gleiche wie bei anderen
              der 60-jährige Preisträger. René Schwar-                                                                                          Impfungen: Das Immunsystem lernt auf scho-
              zenbach steht dem Departement Umwelt-                                                                                             nende Weise, den Erreger zu erkennen und zu
              wissenschaften der ETH Zürich vor und                                                                                             bekämpfen. Die Forschenden verwendeten
              ist zudem Vizepräsident der Abteilung                                  hin, das René Schwarzenbach 1993 ver-                      dazu eine Zuckerverbindung aus der Hülle
              «Orientierte Forschung» des SNF-For-                                   fasst hat, nicht allein, wie er betont, son-               des Erregers, die sie künstlich herstellten. Der
              schungsrats. Zur Umweltchemie kam er                                   dern zusammen mit Philip Gschwend und                      Zucker bildete das spezifische Ziel (Antigen)
              durch Zufall. 1974 wollte er sich eigentlich                           Dieter Imboden, dem SNF-Forschungs-                        für das Immunsystem.
              als Chemie-Informatiker selbstständig                                  ratspräsidenten. «Environmental Organic                    Impfungen, die auf Zuckerverbindungen ba-
              machen, als er einen Vortrag von Max                                   Chemistry» war das erste Lehrbuch über-                    sieren, sind bereits auf dem Markt, zum Bei-
              Blumer hörte, einem Pionier der Geo-                                   haupt zu diesem Thema und ist noch immer                   spiel jene gegen Meningitis. Sie brauchen aber
              chemie. Er war fasziniert, ging für zwei                               das Standardwerk. Die stark erweiterte                     Hilfsstoffe, damit die Immunantwort genügend
              Jahre ans Ozeanforschungsinstitut Woods                                zweite Auflage mit ihren 1300 Seiten                       stark ausfällt, haben Nebenwirkungen und
              Hole auf Cape Cod, bevor er Mitarbeiter                                wurde sogar ins Chinesische übersetzt.                     sind nicht sehr effektiv.
              und schliesslich Direktionsmitglied des                                «Es freut mich sehr, dass nicht nur die                    Peter Seebergers Team wählte einen vollkom-
              Wasserforschungsinstituts Eawag wurde.                                 Forschung, sondern auch die Lehre stark                    men neuen Ansatz: Die Forschenden integrier-
              Die ACS weist in ihrer Laudatio be-                                    gewichtet wurde», sagt René Schwarzen-                     ten die Zuckerverbindung der Leishmaniose in
              sonders auf das bahnbrechende Buch                                     bach. Antoinette Schwab                                    eine leere Grippenvirenhülle. Eine erfolgreiche
                                                                                                                                                Strategie: Die Mäuse, die mit dem Impfstoff
                                                                                                                                                geimpft wurden, entwickelten eine starke
          Das feuchteste Jahrhundert seit 1000 Jahren                                                                                           Antikörper-Antwort. «Die Studie hat bewiesen,
                                                                                                                                                dass das Prinzip funktioniert», sagt Peter
                                                               Kerstin Treydte/WSL

                                                                                     mengen einer bestimmten Region untersucht                  Seeberger. «Es ist für viele andere Krankheiten
                                                                                     werden, wenn direkte Messungen nur bis zum                 vielversprechend, bei denen Kohlenhydrate als
                                                                                     Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen?                   Antigene vorkommen, von Infektionskrank-
                                                                                     Forschende der Eidgenössischen Forschungs-                 heiten bis zu Krebs.»
                                                                                     anstalt für Wald, Schnee und Landschaft haben              Die Leishmaniose-Impfung braucht allerdings
                                                                                     kürzlich in der Fachzeitschrift «Nature» gezeigt,          noch viel Arbeit: Peter Seeberger rechnet
                                                                                     dass die Zellulose von Bäumen nicht nur im Hin-            damit, dass die Entwicklung mindestens wei-
                                                                                     blick auf die Papierherstellung eine wichtige              tere fünf Jahre in Anspruch nimmt. em
                                                                                     Rolle bei der Archivierung klimatischer Daten              ACS Chemical Biology, Band 1(3), S. 161 – 164,
                                                                                                                                                www.seeberger.ethz.ch
                                                                                     spielt. Sie haben das Verhältnis zweier Sauer-
                                                                                     stoffisotope in der Zellulose von Wacholder-
                                                                                                                                                                                                   SPL/Keystone

                                                                                     sträuchern analysiert und konnten dadurch die
                                                                                     Entwicklung der Niederschläge seit 826 nach
                                                                                     Christus in der Region von Karakorum in Nord-
                                                                                     pakistan rekonstruieren. Und dies mit einer
                                                                                     ausgezeichneten und einzigartigen zeitlichen
          Die Zellulose tausendjähriger Wacholdersträuche
                                                                                     Auflösung, die auf den Jahresringen beruht.
          in Nordpakistan dient der Klimarekonstruktion.
                                                                                     Die Ergebnisse zeigen, dass das 20. Jahr-
          Temperaturveränderungen sind nicht die ein-                                hundert der weitaus feuchteste Zeitraum der
          zigen Anzeichen einer Klimaveränderung. Einen                              letzten tausend Jahre war. Die Intensivierung
          noch grösseren Einfluss auf die menschlichen                               des hydrologischen Kreislaufs dürfte auf die
          Gemeinschaften können Schwankungen des                                     seit Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete
          hydrologischen Kreislaufs haben. Wie soll                                  Klimaerwärmung zurückzuführen sein. pm
          jedoch die Entwicklung der Niederschlags-                                  Nature (2006), Band 440, S. 1179 – 1182                    Der Erreger der Leishmaniose ist ein Einzeller.

          8      S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S                   •   H O R I Z O N T E   J U N I    2 0 0 6
KLIMA: Wie es unsere Vorfahren beeinflusste - Schweizerischer Nationalfonds (SNF)
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         Die Umwelt und wir
          Der Faktor «Umwelt» bestimmt massgeblich mit, ob und wie sich die menschliche
          Gesellschaft über die Jahrtausende hinweg entwickelt hat. Interdisziplinär angelegte
          Ausgrabungen lassen interessante Zusammenhänge erkennen. Bilder: Prisma (oben), MAESAO

                                                     S C H W E I Z E R I S C H E R   N A T I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6    9
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      titel

          In Mali hat ein Forschungsteam Überreste der ältesten Keramik                                                                                                                                J
          Afrikas entdeckt. Sie stammen aus der Zeit, als der Mensch Keramik
          erfunden hat. Dass wir heute aus kochfesten Töpfen essen, scheinen                                                                                                    Heutiger
                                                                                                                                                                                Sand des
                                                                                                                                                                                Flusses Yamé
          wir einem früheren Klimawandel zu verdanken. Von Anita Vonmont, Bilder MAESAO                                                                                          1                 .
                                                                                                                                                                                               .

                                                                                                                      Keystone

                                                                                                                         2          3

         Zeugen früher Erfindungskunst
        K
                    arge Sandsteinplateaus, steil                 An eine solche Entdeckung hatten die                           Klima – mittlerweile mit einem Team
                    abfallende Felsen, dazwischen                 Wissenschaftler überhaupt nicht gedacht,                       von Archäobotanikerinnen, Sedimento-
                    malerische Dörfchen, in denen                 als sie 1997 am Fundort Ounjougou im Pays                      logen, Geomorphologen, Ethnohistorike-
                    alte Traditionen weiter leben –               Dogon ein grösseres Forschungsprojekt                          rinnen, Linguisten, Ethnoarchäologinnen
         das Bandiagara-Massiv gehört zu den ein-                 starteten. Der Reiz dieses Gebiets lag                         und weiteren Spezialisten. Beteiligt sind
                                                                                                                                                                                     5
         drücklichsten Landschaften Westafrikas.                  anderswo: Im Mündungsgebiet von vier                           rund 30 Forschende der Universitäten
         Die Unesco hat es zum Welterbe erklärt.                  Flüssen gelegen, lässt es bis weit in die                      Genf, Freiburg, Bamako, Frankfurt, Oxford,
              Seit neustem ist die Gegend im Herzen               Tiefe hinab deutliche geologische Schich-                      Paris, Rouen und Caen.
         von Mali um eine Attraktion reicher: Ein                 tungen erkennen, die durch Erosion frei-                            Die gefundenen Relikte
         internationales Forschungsteam hat hier                  gelegt wurden. Wind, Wasserläufe, Regen,                       decken heute einen Zeit-
         Tonscherben gefunden, die sich als Über-                 aber auch Pflanzen und Menschen haben                          raum ab, der vom 19.Jh.
         reste der frühesten Keramikproduktion                    hier sichtbare Spuren hinterlassen.                            n. Chr. bis in die frühe
         Afrikas herausgestellt haben und zu den                                                                                 Zeit des anatomisch              ✩                                            ✩
         ältesten Keramikfunden weltweit zählen.                  200000 JAHRE MENSCHHEITSGESCHICHTE                             modernen Menschen
         Bei den seltenen Fundgegenständen                        «Es sah ganz danach aus, wie wenn sich                         vor 200000 Jahren zurück-
         handelt es sich um braune, daumennagel-                  hier die Entwicklung von Mensch, Umwelt                        reicht. Eine lückenlose Dokumen-
         bis handgrosse Fragmente, in die mit einem               und Klima über eine sehr lange Zeit ver-                       tation lassen die Funde nicht zu, aber sie
         Kamm feine Verzierungen eingedrückt                      folgen liesse», sagt Eric Huysecom vom                         geben Aufschluss über wichtige Entwick-
         wurden. Sie bestehen aus gebranntem                      Departement für Anthroplogie und Ökolo-                        lungsschritte. So etwa entwickelten die
         Ton mit Schamotte-, Quarz- und Sand-                     gie der Universität Genf. Der Archäologe                       Menschen vor 150 000 Jahren eine neue
         stein-Einschlüssen. Es sind Teile von                    untersucht genau genommen seit 1988                            Steinbearbeitungstechnik oder vor 30 000
         schalenförmigen Gefässen – mindestens                    die Besiedelungsgeschichte des Ortes in                        Jahren neuartige, viel kleinere Steingeräte.                              ✩
         11 400 Jahre alt.                                        ihrer Wechselbeziehung mit Umwelt und                          Um 10 000 v. Chr. benutzten sie Keramik-                8

          10   S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6
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                                Schluchten der Fliege und der Eule                                     Oumounaama    Südliches Damatoumou    Kélissogou
         Sedimente der                                                                 Neolithisches                                                                              Westliches Dandoli   Kokolo
         südlichen Schlucht                                     West-Oumounaama        Vorgebirge        Atelier
                              Frühgeschichtliches Vorgebirge
                                                                                                                                                                                                    U2
                                                                       U6
         EH                                                U5
                                                                                                                                U2
         JH
                      MH                                                                     U3
                                                                U4
                               AH
                                                                                                                                      Flussaufwärts der Schlucht Ménié-Ménié

    é
                                             U1
                ..                             Flussabwärts der Schlucht Ménié-Ménié
         .
        . .

                                                                                         4

                                                                                               1 Die Profilansicht zeigt alle Schichten, wel-

                                                                                              che die Forschenden am Grabungsort Ounjou-
                                                                                              gou für die letzten 200 000 Jahre festgestellt
                                                                                              haben. Die mit U bezeichneten Ablagerungen
                                                                                              stammen aus der letzten Eiszeit, AH, MH, JH
                                                                                              und EH (altes Holozän: 9500 – 7000 v. Chr.,
                                                                                              mittleres Holozän: 7000 – 3500 v. Chr., junges
                                                                                              Holozän 3500 – 500 v. Chr., Endholozän
                                                                                              500 v. Chr. bis heute) bezeichnen Ablagerun-
                                                                                              gen des anschliessenden Holozäns.

                                      6                                                                                                                7
                                                                                                Eines der malerischen Dörfer in der Um-
                                                                                                  2

                                                                                              gebung.
                                                                                                                                                           gefässe. Ab 3 500 v. Chr. brannten sie regel-
                                                                                                Blick in eine der Schluchten des Bandia-
                                                                                                  3                                                        mässig und grossflächig Wälder ab, um
                                                                                              gara-Massivs, deren Sedimente die Erosion                    fruchtbares Land zu gewinnen, und verän-
                                                                                              gut sichtbar freigelegt hat.                                 derten so – schon damals – die Umwelt, in
                                                                                               4 Die Töpferei – in Ounjougou in Mali bis
                                                                                                                                                           der sie lebten. Sicher ab 1800 v. Chr., mö-
                                                                                              heute ein verbreitetes Handwerk.                             glicherweise deutlich früher, betrieben sie
✩                                      ✩                                                       5 Eine zweiseitig bearbeitete Pfeilspitze.
                                                                                                                                                           Ackerbau und begannen bald danach auch,
                                                                                                                                                           Haustiere zu züchten. Im 1. Jahrtausend
                                                                                              Sie stammt aus dem 10.Jahrtausend v.Chr., der
                                                                                              gleichen Zeit wie die älteste Keramik Afrikas
                                                                                                                                                           v. Chr. begann die Zeit der Eisenverarbei-
                                                                                                                                                           tung, ab dem 13. Jh. n. Chr. die Kultur der
                                    Wüste                                                      6 7 Überreste von Afrikas frühsten Keramik-                 heute noch hier lebenden Dogon.
                                   Wüstenartige Bereiche                                      gefässen; die älteste Scherbe (Bild 6) ist
                                   Sahel
                                                                                              mindestens 11 400-jährig.
                                                                                                                                                           ÄLTESTE KERAMIK BISHER AUS ASIEN
                                   Savanne                                                       Je nach Klimaverhältnissen hat sich Afrika
                                                                                                  8
                                                                                                                                                           Die Keramik aus dem Neolithikum ist also
                                   Regenwald                                                  massiv verändert. War die Sahara z.B. am
                                                                                                                                                           nur eine unter vielen Entdeckungen. Aber
                                   Ausgrabungsort                                             Ende der letzten Eiszeit extrem trocken und
                              ✩    Ounjougou/Mali                                             unbewohnt (links), veränderte sie sich in der                eine besonders spektakuläre. Die erste
                                                                                              Anfangsphase des Holozäns unter günstigeren                  Scherbe war schon vor ein paar Jahren zum
                                                                                              Klimabedingungen zu einer bewohnten
                                                                                              Savanne (rechts).

                                                                                                                                                                    H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6       11
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      titel                                                         Eric Huysecom (l.) und Samuel Schmid (r.),
                                                                    der als Bundespräsident 2005 das
                                                                    Grabungsgebiet von Ounjougou besuchte.

                                                                   Analysen laufen noch – wurde Ounjougou
                                                                   von einer wüstenhaften Gegend zu einer
                                                                   leicht bewaldeten Graslandschaft, die sich
                                                                   kurz darauf zur tropischen Savanne
                                                                   mit dichtem Urwald verwandelte. Den
                                                                   Menschen gab dies Gelegenheit, ihre
                                                                   Nahrungspalette um Wildgräser zu er-
                                                                   weitern. Um die neue Speise aber verdauen
                                                                   zu können, mussten sie sie kochen – und
                                                                   dazu brauchten sie feuerfeste Gefässe. Sie
                                                                   begannen, Keramik zu produzieren.
                                                                       Zeugen dieses Klima- und Umwelt-
                                                                   wandels sind auch neuartige Waffen, kleine
         Vorschein gekommen. Die Forschenden                       zweiseitig bearbeitete Pfeilspitzen, mit
         konnten es kaum glauben, denn die bisher                  denen vermutlich Hasen, Rebhühner und
         älteste afrikanische Keramik aus der                      anderes Kleinwild in der Grassteppe gejagt
         Sahara und dem Nilgebiet stammte aus                      wurden. Sie tauchen sowohl in Westafrika
         dem 8. und 9. Jahrtausend, allerhöchstens                 als auch in Nord- und Ostasien jeweils
         noch aus dem späten 10. Jahrtausend                       zusammen mit der frühsten Keramik auf.
         v. Chr. und war somit klar jünger. Mittler-                                                                   Archäologen entdecken
         weile hat Eric Huysecom aber keine
         Zweifel mehr: Sechs Fundstücke sind bei-
                                                                   KLIMA ALS INNOVATIONSFAKTOR
                                                                   Seit den Funden von Mali wird klar, dass
                                                                                                                       im Niltal Sudans eine
         sammen, deren Alter nach zwei Verfahren                   die Menschen Keramik unter ähnlichen                vieltausendjährige
         übereinstimmend datiert wurde. Vielleicht                 Klimabedingungen, aber unabhängig
         sind sie sogar noch älter als 11 400-jährig.              voneinander auf zwei Kontinenten er-
                                                                                                                       Siedlungskontinuität:
         Auf jeden Fall gehören sie zur ältesten                   funden haben. Denn für einen kulturellen            Von Jagdstationen über
         Keramik überhaupt. Bislang war ähnlich                    Austausch waren laut Eric Huysecom
         alte Töpferware nur aus Asien bekannt: In                 Westafrika und Nordostasien für die                 Bauerndörfer bis zur
         Sibirien, China und Japan stammen die
         frühesten Funde aus der Zeit zwischen
                                                                   Menschen von damals zu weit voneinan-
                                                                   der entfernt. Im Fall der Keramik lässt
                                                                                                                       Stadt Kerma zwang die
         dem 15. und 9. Jahrtausend v.Chr.                         sich nach dem heutigen Wissensstand                 Aridisierung die Men-
                                                                   demnach sagen, dass tatsächlich ein
         «EINE ANPASSUNG DES MENSCHEN»                             Klimawandel bzw. die damit verbundene
                                                                                                                       schen, immer näher am
         Die geomorphologischen und archäobota-                    Umweltveränderung massgeblich zu                    Fluss zu leben.
         nischen Untersuchungen des Teams führ-                    dieser Erfindung beigetragen hat.
         ten noch zu einer weiteren interessanten                                                                      Von Geneviève Lüscher
         Erkenntnis. «Wir können heute annehmen,

                                                                                                                       E
         dass es sich bei der Erfindung der Keramik                                                                            twa auf dem gleichen Breitengrad
                                                                     Sonnenlicht verrät das Alter
         um eine Anpassung des Menschen an einen                                                                               wie Mali, aber im Sudan auf der
         Klimawandel handelt», so Eric Huysecom.                     Wie alt die Keramikfunde von Ounjougou                    gegenüberliegenden Ostseite des
         Für diese Annahme spricht die Tatsache,                     sind, haben die Forschenden indirekt be-                  Kontinents befindet sich die Fund-
         dass die früheste Keramik der Menschheits-                  rechnet. Einerseits haben sie das Alter von       stelle Kerma. Hier untersucht eine Gruppe
                                                                     Holzkohlestückchen aus den jeweiligen Erd-
         geschichte in Asien wie Afrika unter sehr                                                                     von Schweizer Archäologen und Archäo-
                                                                     schichten mit der C14-Methode bestimmt,
         ähnlichen klimatischen Bedingungen ent-                                                                       loginnen – ehemals unter der Leitung des
                                                                     die den Zerfall der C14-Kohlenstoffvariante
         standen ist. In der damaligen Übergangszeit                 in organischen Stoffen misst. Parallel dazu       Genfer Archäologen Charles Bonnet, heute
         von der letzten Eiszeit zum Holozän pen-                    haben die Wissenschaftler auch mit der            unter Matthieu Honegger von der Universi-
         delte das Klima zwischen Kalt- und Warm-                    OSL-Methode (Optically Stimulated Lumi-           tät Neuenburg – seit mehreren Jahrzehnten
         phasen hin und her. Keramik entstand, als                   nescence) gearbeitet, die eine Datierung          die Nilebene oberhalb der 3. Stromschnelle.
         das Klima für die Menschen günstiger, d.h.                  der im Boden vorhandenen Quarzpartikel            Hier, im fruchtbaren Flusstal, entstand
         vor allem feuchter wurde. Dass dieser Ver-                  erlaubt. Unter dem Einfluss von natürlicher       um 2500 v. Chr. das erste Königreich
                                                                     Radioaktivität speichert der Quarz im Boden
         änderungsprozess sehr rasch fortschreiten                                                                     Nubiens mit seiner Hauptstadt Kerma,
                                                                     Energie und setzt sie im Sonnenlicht wieder
         konnte, belegen in den Schluchten von                       frei. Aus der Menge an Energie, die im Labor-     deren Ruinen noch heute sichtbar sind.
         Bandiagara u.a. Pollen-, Blatt- und Holzreste               kunstlicht freigesetzt wird, lässt sich das            Kerma entstand aber nicht aus
         oder Phytoliten, d.h. mineralisierte Ablage-                Alter der Quarzpartikel – und somit auch          dem Nichts: «Wir konnten mit Hilfe von
         rungen, die von Pflanzen gebildet werden.                   der Fundobjekte ringsum – berechnen. vo           Prospektionen, also Geländebegehungen,
         Zwischen 10 000 und 9 400 v. Chr. – die                                                                       nachweisen, dass hier schon im Meso-

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              Blick auf die nubische Stadt Kerma nach
              den Ausgrabungen eines Genfer und Neu-
              enburger Archäologenteams. Im Zentrum
              leicht erhöht gelegen (vgl. auch Bild
              rechts) der noch erhaltene Haupttempel
              aus der Zeit von 2500 bis 1500 v. Chr.
              Bilder Matthieu Honegger (oben), Prisma

          Vom Kraal zur Königsstadt
          lithikum, von 8000 bis 6000 vor Christus,              rung war. Im Mesolithikum mit seinem                        und deren Körner zu mahlen – eine Früh-
          Menschen lebten», sagt Matthieu Honeg-                 noch ausgesprochen feuchten Klima war                       form des späteren Ackerbaus!»
          ger. Die Besiedlung liess sich dann mehr               die Nilebene ständigen Überschwemmun-
          oder weniger kontinuierlich über das                   gen ausgesetzt. Die Archäologen fanden                      KONZENTRATION AM WASSER
          Neolithikum (6000 – 3500 v. Chr.) und das so           verstreute Spuren aus dieser Zeit nur                       Die gleiche Flussinsel wurde dann auch in
          genannte Prä-Kerma (3500 – 2500 v. Chr.)               auf erhöhten Schwemmlandterrassen, in                       der Prä-Kerma-Zeit bewohnt. Die Trocken-
          bis zum Königreich Kerma mit seiner                    einiger Entfernung vom heutigen Fluss-                      heit war nun bereits so weit fortgeschritten,
          gleichnamigen Hauptstadt (2500 – 1500                  lauf. Damals in der Savanne, liegen diese                   dass Überschwemmungen ausblieben und
          v. Chr.) weiter verfolgen.                             Fundstellen heute vollständig in der Wüste.                 eine dauerhafte Siedlung gebaut werden
                                                                      Im Neolithikum beginnen die Men-                       konnte. Wieder fanden die Archäologen
          FÖRDERTE TROCKENHEIT DEN ACKERBAU?                     schen langsam und vorerst nur zeitweise                     Rundhütten und Viehpferche, aber neu
          «Spannend an unserem Projekt ist, dass                 sesshaft zu werden. Sie betreiben in der                    auch Vorratsgruben für das Getreide, denn
          sich die kulturelle und sozioökonomische               Savanne Viehzucht, kennen jedoch den                        nun hatte der Ackerbau Einzug gehalten.
          Entwicklung von den Wildbeutern des                    Ackerbau noch nicht. Das Klima wird                         «Wichtig war für uns die Entdeckung
          Mesolithikums über die halbnomadischen                 trockener, aber noch immer ist der Nil sehr                 von zwei rechteckigen Häusern und von
          Viehzüchter des Neolithikums, die Acker-               breit. Mehrere Flussarme umfliessen leicht                  Spuren einer Befestigung mit grossen
          bauern der Prä-Kerma-Zeit bis zu den                   erhöhte Inseln, die in Abständen überflutet                 Bastionen; das sind architektonisch völlig
          Stadtbewohnern von Kerma mit einer                     werden. Auf einer dieser Inseln fanden die                  neue Siedlungselemente», erklärt Honeg-
          Klimaveränderung – nämlich einer zuneh-                Archäologen eine Siedlung: «Reste von ein-                  ger. Es könnte sich seiner Meinung nach um
          menden Trockenheit seit dem Mesolithi-                 fachen, rundovalen Hütten, Feuerstellen                     erste Anzeichen eines archaischen Ur-
          kum – parallelisieren lässt.» Den Forschern            und Einfriedungen für das Vieh», erläutert                  banismus handeln, gebildet durch die
          stellt sich die Frage, ob die klimatische Ver-         Honegger. Unter den Fundobjekten fanden                     zunehmende Konzentration der Bevöl-
          änderung in diesem Fall nicht sogar einer              sich interessanterweise auch Mahlsteine.                    kerung in Flussnähe. «Die Trockenheit
          der Auslöser für kulturelle Entwicklungen              «Wir vermuten, dass die Menschen ange-                      zwang alle Menschen, näher am Fluss zu
          wie Viehzucht, Ackerbau und Urbanisie-                 fangen hatten, Wildgräser zu sammeln                        siedeln; Klimaveränderung, Bevölkerungs-

                                                                          S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6   13
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      titel

           Geheimnisvolle
           Grosssiedlungen
           Um 500 vor Christus bildeten sich sozu-
           sagen aus dem Nichts erstmals im Afrika
           südlich der Sahara Siedlungen mit mehre-
           ren tausend Menschen. Wie sie entstanden

                                                                   Matthieu Honegger
           und wenig später wieder verschwanden,
           bleibt ein Rätsel.

           Auch in Nigeria sind Archäologen aktiv. Ein
           Projekt der Deutschen Forschungsgemein-                 Ausgrabung einer Befestigung des Siedlungsorts Prä-Kerma um 3000 v.Chr.
           schaft untersucht dort den Zusammenhang
           zwischen klimatischer Veränderung, Land-
           schaftswandel und kultureller Entwicklung               dichte und zunehmender Wohlstand gehö-                                           nun noch näher zum Nil hin verlagert, weil
           während der letzten beiden Jahrtausende                 ren zu den wichtigen Parametern für eine                                         die Flussarme um Prä-Kerma vermutlich
           vor der Zeitenwende. Das Team unter Peter               Urbanisierung», ist der Forscher überzeugt.                                      ausgetrocknet sind; die Hauptstadt Kerma
           Breunig von der Universität Frankfurt a. M.                  Dass die menschliche Gemeinschaft                                           liegt etwa 5 Kilometer weiter westlich als
           arbeitet v.a. im Tschadbecken und erforscht
                                                                   begonnen hat, sich umzuorganisieren, zei-                                        die Vorgängersiedlung. Sie zeigt ein klas-
           die früheren Siedlungsstrukturen einerseits
                                                                   gen laut Honegger auch die gleichzeitigen                                        sisch urbanes Gepräge mit einem Strassen-
           mit Hilfe flächendeckender Magnetprospek-
           tion und andererseits mit kleinflächigen Aus-           Gräber mit ganz unterschiedlich reichen                                          netz, Plätzen, monumentalen Tempeln und
           grabungen. Die Forscher konnten feststellen,            Grabbeigaben. «Es hat nun ganz klar eine                                         einer Umfassungsmauer mit Stadttoren.
           dass die im 2. Jahrtausend v.Chr. aufblühende           soziale Differenzierung stattgefunden; der                                       Die Gebäude sind nun rechteckig und aus
           Bauern- und Viehzüchterkultur in eine Krise             Ackerbau mit Hilfe von Bewässerung und                                           Lehmziegeln erbaut, beides geht wohl auf
           geraten war. Grund scheint ein Trockenheits-            auch erste Ansätze eines Handels mit Ägyp-                                       ägyptische Einflüsse zurück. Es handelt
           schub gewesen zu sein, der zwar die Lebens-             ten ermöglichten die Bildung von Reichtum                                        sich ausserhalb Ägyptens um die wohl
           grundlage zerstörte, aber offenbar gleichzeitig
                                                                   und damit von einer Elite.»                                                      älteste heute bekannte Stadt Afrikas.
           zu alternativen Lebensweisen anregte, näm-
                                                                        Das Königreich Kerma entstand um                                                 Zwischen der Siedlung Prä-Kerma und
           lich zu einer Rückkehr von der Sesshaftigkeit
           zur Mobilität. Das würde gemäss Breunig min-            2500 v. Chr. und dauerte bis zur Kolonisie-                                      der Königsstadt klafft aber siedlungs-
           destens das auffällige Fehlen menschlicher              rung Nubiens durch die Ägypter um 1500 v.                                        geschichtlich eine Lücke. «Wir kennen
           Siedlungsspuren in Teilen des Untersuchungs-            Chr. Der Siedlungsschwerpunkt hat sich                                           die allerältesten Phasen der Stadt nicht»,
           gebietes im ersten Jahrtausend erklären.                                                                                                 bedauert Honegger. Er vermutet, dass die
                                                                                                                                                    frühesten urbanen Strukturen mehr archi-
           «Wohl eher soziale Gründe»                             Urgeschichte der Schweiz                                 Besiedelung
                                                                                                                                                    tektonische Ähnlichkeiten hatten mit
                                                                                                                 -Chr. G. von Kerma
           Um 500 vor Christus entstehen dann – quasi                         Eisen, Drehscheiben-
                                                                    Eisenzeit keramik, Münzen,                                                      Prä-Kerma. Tatsächlich finden sich in
           aus dem Nichts und erstmals im Afrika süd-                         erste urbane Zentren                                    Stadt durch
                                                                                                                                      Ägypter       den ältesten Quartieren Kermas noch «alt-
           lich der Sahara – sehr grosse Siedlungen, in                                                - 800     - 1000               zerstört
                                                                                           Bronze, Seeufer-                                         modische» Rundhütten und Vorratsgruben.
           denen mehrere tausend Menschen lebten,                   Bronze-                siedlungen,
                                                                    zeit                   befestigte                      - 1500
           «eine eigentliche Sensation», erklärt Breu-                                     Höhensiedlungen       -2000       Kerma
                                                                                                                                      Stadt-
                                                                                                                                      bewohner
           nig. «Erstmals haben sich hier Siedlungskon-                                                 - 2200
                                                                                                                                                    ZERSTÖRT DURCH DIE ÄGYPTER
           zentrationen gebildet, ohne dass wir genauer                                                                - 2500
                                                                                                                                                    Ob die Stadtgründung eine direkte Antwort
                                                                                                                 -3000 Prä-           Ackerbauer
           erklären könnten, wie es dazu gekommen ist.                                     Ackerbau
                                                                                           und Viehzucht
                                                                                                                         Kerma                      ist auf die zunehmende Trockenheit, kann
           Die Trockenheit mag eine Art Initialzündung              Neo-                   – Sesshaftigkeit                - 3500                   Honegger nicht sagen. Sicher sei hingegen,
                                                                    lithikum               – Keramik             -4000
           geliefert haben, aber dass dann eine Gross-                                     – Textilien
                                                                                           – Seeufer-
                                                                                                                                                    dass die Standortverlagerung näher zum
           siedlung entstanden ist, das hat doch wohl                                        siedlungen                    Neo-       Halbnoma-
                                                                                                                           lithikum   dische        lebenswichtigen Nass klimatisch begrün-
           eher soziale Gründe», meint er. Eine neue                                                             -5000                Viehzüchter
           Form des Zusammenlebens und neue soziale                                                                                                 det war. Die Konzentration der Menschen
                                                                                                        - 5500
           Strukturen seien jedenfalls anzunehmen. So                                                            -6000
                                                                                                                                                    entlang der lebenswichtigen Flussader,
           zeigen die Untersuchungen im nigerianischen                                                                                              dem Nil, hatte aber vermutlich zur Folge,
                                                                                                                                      Nomadisie-
           Zilum beispielsweise, dass ein mächtiger,                                                                       Meso-      rende Jäger   dass sich das menschliche Zusammen-
                                                                                           Nomadisierende        -7000
           geradezu «spektakulärer» Graben den Ort                  Meso-                                                  lithikum   und Samm-
                                                                    lithikum               Jäger und                                  lerinnen      leben neu organisieren musste. Ihre Pros-
                                                                                           Sammlerinnen
           umgab, der nur in gemeinschaftlicher Arbeit                                                                                              perität verdankt die Stadt aber eher dem
                                                                                                                 -8000
           auszuheben war. Waren die Ressourcen so
                                                                                                                                                    blühenden Handel mit Gold, Ebenholz und
           knapp geworden, dass Schutzmassnahmen
                                                                                                                                                    Elfenbein aus Schwarzafrika – begehrte
           getroffen werden mussten, fragen sich die                                                             -9000
                                                                                                                                      Keine
                                                                                                                           Paläo-                   Güter im nun aufstrebenden Ägypten.
           Forscher. Die Grosssiedlungen verschwanden                                                                      lithikum   Besiede-
                                                                    Paläo-                 Nomadisierende                             lungsspuren
           um 200 v. Chr. so plötzlich, wie sie entstanden          lithikum               Jäger und             -10000
                                                                                                                                                    Der ägyptische Pharao Thutmosis I. war es
                                                                                           Sammlerinnen
           waren; «offenbar war das ‹urbane Experiment›                                                                                             dann aber auch, der die Stadt Kerma um
                                                                                                                 v. Chr.
           gescheitert», mutmasst Breunig.                                                                                                          1500 v. Chr. zerstörte und Nubien seinem
                                                                  Die unterschiedlichen Zeiten gleichnamiger Epochen resul-
                                                                  tieren aus den unterschiedlichen Kulturentwicklungen.                             Reich einverleibte.

          14    S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S               •   H O R I Z O N T E       J U N I      2 0 0 6
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              Besonders in den Tropen lassen sich Blütezeiten
              von Kulturen eher in ruhigeren, regenreichen
              Klimaphasen feststellen. Im Bild ein Tempel
              der Mayakultur (hier in Guatemala), die
              nach extremer Trockenheit zusammenbrach.
              Bild Prisma

         E
                   s gibt zu dieser Frage unterschied-
                   liche Positionen», sagt der Geograf
                   Martin Grosjean, Direktor des
                   Nationalen Forschungsschwer-
          punkts Klima. «Sie reichen vom rigiden
          Determinismus, der alle Innovations-
          schritte – in der Technologie, sozialen
          Organisation, Kultur usw. – auf Umwelt-
          einflüsse zurückführt, bis zum Standpunkt
          jener, die alle Änderungen unabhängig
          von externen Faktoren, rein aus der
          gesellschaftlichen Entwicklung heraus,
          erklären.» Es überwiege aber eine dif-
          ferenziertere Haltung: «Danach stellen
          Umwelt und Klima so genannte ‹windows
          of opportunity› bereit, Bandbreiten mögli-
          cher Entwicklungen. Und es ist dann an der
          Gesellschaft, das Angebot für weitere Ent-
          wicklungsschritte zu nutzen oder nicht.»
               Existieren denn Umwelt- und Klima-                 Wie weit reicht der Einfluss von Umwelt und
          änderungen, die mehr Entwicklungen
          zulassen als andere? Laut Gerald Haug
                                                                  Klima auf die Entwicklung des Menschen?
          vom Geoforschungszentrum Potsdam                        Experten-Aussagen zu einer Frage, die leichter
          «lässt sich besonders in den Tropen beob-
          achten, dass die Wachstums- und Blüte-
                                                                  gestellt als beantwortet ist. Von Anita Vonmont
          phasen von Kulturen oft mit ruhigeren
          und eher regenreichen Klimaperioden
          zusammenfallen. Dagegen kommt es
          bei starken Klimaschwankungen und
          wenig Niederschlägen vor allem bei hoch-
                                                                  Vieles bleibt unerklärt
          entwickelten Kulturen tendentiell eher                  damals noch weit verstreut in land-                         menspielen und welche Bedeutung
          zum Kollaps.» Anschaulich nachvollziehen                wirtschaftlich geprägten Gebieten.                          dabei Umwelt- und Klimafaktoren für
          lasse sich dies etwa bei der Kultur der                     Allerdings gibt es immer auch Bei-                      die menschliche Entwicklung haben.
          klassischen Maya, deren Entwicklung                     spiele, die solchen Tendenzen zuwider-
          sehr genau mit den klimatischen Verän-                  laufen, weil noch diverse weitere Faktoren                  HEUTE VON UMWELT VÖLLIG ENTKOPPELT
          derungen übereinstimme.                                 auf die Entwicklung der menschlichen                        Schon gar nicht, seit Umwelt und Klima
                                                                  Gesellschaft einwirken, betonen Haug wie                    umgekehrt auch durch den Menschen
          STÄDTE AM NIL – LÄNDLICHES EUROPA                       Honegger. Eine wichtige Rolle spielen                       beeinflusst werden, wie das auf globaler
          Wie feucht oder trocken es in unterschied-              sozioökonomische Faktoren, zum Beispiel,                    Ebene seit rund 200 Jahren zu erkennen
          lichen Gegenden war, spielt auch bei der                wie hierarchisch eine Gesellschaft ge-                      ist. Auf das Leben der steinzeitlichen
          Entstehung der ersten Städte eine Rolle.                gliedert ist, ob sie über gemeinschaftliche                 Jäger und Sammlerinnen, die noch stark
          Sie finden sich etwa im 4. Jahrtausend                  Einrichtungen verfügt oder einen Aus-                       von den natürlichen Ressourcen abhängig
          v.Chr. in Mesopotamien zwischen Euphrat                 tausch mit Nachbarregionen hat. Letzteres                   waren, hatten zum Beispiel klimabedingte
          und Tigris und im 3. Jahrtausend in Nubien              wiederum hängt zum Beispiel in frühen                       Schwankungen der Vegetation eine ver-
          im Tal des Nils. Hier war der Boden sehr                Gesellschaften davon ab, wie die Erdober-                   gleichsweise grosse Auswirkung. «Heute
          fruchtbar, die weitere Umgebung dagegen                 fläche aussieht, ergänzt der Archäologe                     hingegen haben wir uns durch gross-
          eher wüstenhaft. «Viele Menschen kon-                   Eric Huysecom (vgl. S. 10): «Hochgebirge                    räumigen Güteraustausch, Mobilität,
          zentrierten sich daher auf engem Raum»,                 und Wüsten hinderten die Menschen                           Transport, Energieversorgung etc. von der
          so der Archäologe Matthieu Honegger (vgl.               am Durchkommen, Savannen oder frucht-                       lokalen Umwelt völlig entkoppelt», stellt
          S. 12), und entwickelten entsprechende                  bares Flachland förderten dagegen die                       Martin Grosjean fest, «und deren ‹Impact›
          Siedlungsstrukturen. Im regenreichen                    Migration.»                                                 auf die Gesellschaft ist ausser bei klima-
          Europa, wo kein solcher demografischer                      Es lässt sich nicht so einfach sagen,                   tischen Extremereignissen oder Umwelt-
          Druck herrschte, lebten die Menschen                    wie die verschiedenen Faktoren zusam-                       katastrophen kaum mehr sichtbar.»

                                                                           S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S   •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6   15
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         Marguerite Neerman-Arbez:
         Genetik oder Schauspielkunst
                                                                                        V O N   M A R I E - J E A N N E   K R I L L

                                                                                      B I L D E R   M A R T I N E   G A I L L A R D

          Zu Gunsten der Forschung hat Marguerite Neerman-Arbez auf eine                                              Forschung an. «Ich konnte mir damals
                                                                                                                      überhaupt nicht vorstellen, mit vierzig
          Karriere als Schauspielerin verzichtet. Zwischen Familie und Forschung
                                                                                                                      Professorin zu sein», präzisiert sie. Aber
          musste sie sich aber nicht entscheiden – dank des Marie Heim-Vögtlin-                                       sie tanze in ihrer französisch-irischen
          Programms des SNF.                                                                                          Familie, die eher zur Kunst neige – ihr

                                                                                                                      «Ich konnte mir früher
                                                                                                                      überhaupt nicht vorstellen,
                 s gibt keinen Tag, an dem ich         erbung von Merkmalen und Mutationen                            mit vierzig Professorin

        E        nicht Lust hätte, zur Arbeit zu
                 gehen. Ganz ehrlich, denn dieser
                 Beruf kennt keine Routine. Man
         wird immer wieder überrascht, das ist so
         spannend daran.» Wenn sie von ihren
                                                       von einer Generation zur anderen zu
                                                       studieren. Mit 14 Jahren zog sie mit ihrer
                                                       Mutter von England nach Genf, als diese
                                                       bei der Uno eine Stelle erhielt. Nach
                                                       einer mathematisch-naturwissenschaft-
                                                                                                                      zu sein.»
                                                                                                                      Bruder ist Jazzmusiker – etwas aus der
                                                                                                                      Reihe, sagt sie.
                                                                                                                           Trotz ihrer Leidenschaft für die
         Forschungsarbeiten über die Afibrino-         lichen Matura am Lycée international                           Genetik überlegte sie sich eine Weile
         genämie spricht, eine Blutgerinnungs-         in Ferney-Voltaire begann sie an der                           auch, Schauspielerin zu werden. «Ich
         kranktheit, die der Hämophilie gleicht,       Universität Genf Biologie zu studieren.                        besuchte das Konservatorium für Schau-
         gerät Marguerite Neerman-Arbez ins            Zunächst strebte sie weder eine akade-                         spielkunst in Genf. Irgendwann musste
         Schwärmen. «Es besteht wirklich Hoff-         mische Karriere noch eine Arbeit in der                        ich mich für das eine oder andere ent-
         nung, diese Krankheit gentherapeutisch                                                                       scheiden. Mir war klar, dass ich in der
         zu heilen, auch wenn jetzt schwierig zu                                                                      Forschung arbeiten und nebenher Thea-
         sagen ist, wann das genau sein wird.»           Erfolgreiches Programm                                       ter spielen kann, das Umgekehrte aber
             Die 38-Jährige ist stellvertretende                                                                      kaum möglich sein würde. Deshalb habe
                                                         Die Marie Heim-Vögtlin-Beiträge des SNF
         Assistenzprofessorin und SNF-Förde-                                                                          ich mich für die Forschung entschieden.»
                                                         sollen Forscherinnen, deren Karrieren meist
         rungsprofessorin am Departement für                                                                          Heute kommt ihr die Schauspielaus-
                                                         aufgrund familiärer Umstände verzögert
         genetische Medizin und Entwicklung der          sind, helfen, die Chancen für eine weitere                   bildung bei der Leitung von öffentlichen
         Universität Genf. 1999 konnte sie das für       wissenschaftliche Laufbahn zu bewahren.                      Tagungen oder Wissenschaftscafés zu-
         diese Erbkrankheit verantwortliche Gen          Ob das Programm seine Ziele erfüllt, liess die               gute – Bereiche ihrer Arbeit, die sie ganz
         identifizieren. Eine Entdeckung, die im         SNF-Gleichstellungskommission nun durch                      besonders mag. «Ich liebe es zu erklären
         Umfeld der Genetik grosse Beachtung             eine externe Studie evaluieren. Das Fazit:                   und den Leuten zu helfen, sich über das
                                                         Die MHV-Beiträge sind sehr erfolgreich:
         fand und für die sie mehrere internatio-                                                                     kontroverse Gebiet der Biotechnologie
                                                         86 Prozent der geförderten Frauen sind
         nale Auszeichnungen erhielt. «Ein Teil                                                                       eine Meinung zu bilden. Wir haben nichts
                                                         beruflich aktiv geblieben, 64 Prozent davon
         dieser Entdeckung war einfach Glück»,           an einer Universität oder Fachhochschule.                    zu verbergen. Wenn man mit öffentlichen
         räumt sie ein. «Zufall spielt in der For-       Das Programm trägt der Vielfalt der Berufs-                  Geldern finanziert wird, hat man die
         schung immer eine Rolle. Aber der               laufbahnen von Frauen Rechnung. Und ein                      Pflicht zu informieren.»
         Schlüssel zum Erfolg ist die Beharrlich-        interessantes Detail: Die vom MHV-Pro-                            Marguerite Neerman-Arbez hat sich
         keit. Man muss leidenschaftlich sein und        gramm geförderten Frauen haben überdurch-                    zwar zwischen Theater und Forschung,
         darf die Arbeitsstunden nicht zählen.»          schnittlich viele Kinder. Befragt wurden 117                 nicht aber zwischen Karriere und Familie
                                                         Beitragsempfängerinnen der Jahre 1991 bis
             Die Passion für Genetik begleitet                                                                        entscheiden müssen: Sie ist Mutter eines
                                                         2002, 92 davon haben geantwortet. em
         Marguerite Neerman-Arbez seit ihrer             Die Studie ist abrufbar unter:
                                                                                                                      zehnjährigen Knaben und eines acht-
         Jugend, als sie in der Schule begann,           www.snf.ch/de/wom/ wom_enc.asp                               jährigen Mädchens. Nach der Geburt
         die Mendelschen Gesetze über die Ver-                                                                        ihres Sohnes 1996 bewarb sie sich um

                                                                S C H W E I Z E R I S C H E R   N AT I O N A L F O N D S     •   H O R I Z O N T E   J U N I   2 0 0 6   17
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