Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart

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Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
www.stuttgart.ihk.de 07. 2017

                           Stuttgart ­ Böblingen ­ Esslingen­Nürtingen ­ Göppingen ­ Ludwigsburg ­ Rems­Murr

Magazin Wirtschaft     Ein Service der IHK für Unternehmen in der Region Stuttgart

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Grüne Stadt
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Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
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Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
EDITORIAL

                            Erfolg ist kein ewiger Gast
                                   Es ist schon mehr als verwunderlich,       weckt, ist keineswegs garantiert, dass ihm die
                                   wie angesichts der Krisen in der Welt      für die Wiederbelebung der französischen
                                   die Konjunktur in Deutschland läuft        Wirtschaft so dringend erforderlichen Refor-
                            und läuft und die Unternehmen von einem           men auch wirklich gelingen. An den französi-
                            Exporterfolg zum nächsten eilen. Eine derar-      schen Gewerkschaften sind schon viele seiner
                            tig lange Wachstumsphase wie in den zurück-       Vorgänger gescheitert. Dabei braucht Deutsch-
                            liegenden Jahren hat es in der jüngeren           land ein starkes, prosperierendes Frankreich,
                            Vergangenheit nicht gegeben. Die Steuerein-       wenn die längst überfällige Neuausrichtung
                            nahmen bei Bund, Ländern und Gemeinden            der Europäischen Union gelingen soll.
                            sprudeln, die Beschäftigung nimmt unverän-
                            dert zu und die allerorts guten Geschäfte stär-   Neuausrichtung der EU muss gelingen
                            ken die Eigenfinanzierungskraft der Betrie-
                            be. Wie allerdings passt dies zum politischen        Die Unsicherheiten über den Auszug der
                            Umfeld, in dem sich die Wirtschaft behaup-        Briten und die Konsequenzen für die Betriebe
 Andreas Richter            ten muss?                                         werden in den kommenden Monaten anhal-
 Hauptgeschäftsführer          Noch sind die Auswirkungen der Politik des     ten, und nicht nur hier überdeckt der politi-
 der IHK Region Stuttgart   neuen US-Präsidenten bei den deutschen Ex-        sche Diskurs die ernsten Probleme, an denen
                            porteuren nicht angekommen, wenngleich            die EU leidet. Die Krise Griechenlands ist un-
                            das Kopfschütteln über die Gehversuche der        gelöst, die Risiken, die sich mit Defiziten in
                            neuen US-Administration in der Unterneh-          Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftswachstum
                            merschaft eher zu- als abnimmt. Bisher jedoch     in Ländern wie Spanien und Italien verbin-
                            bewegt sich America First auf den Feldern der     den, bestehen weiter fort, und Länder wie Po-
                            Klima- und Sicherheitspolitik und, soweit er-     len und Ungarn nehmen zwar gerne die Vor-
                            kennbar, nicht unmittelbar im ökonomischen        teile der Gemeinschaft, gehen jedoch zugleich
                            Terrain. Ungeachtet dessen sind die Sorgen        auf Distanz. Und es drückt, vielleicht als die
                            über den Kurs der USA als unserem wichtigs-       größte Hypothek, die die Arbeitnehmer heute
                            ten Handelspartner unverändert vorhanden.         noch kaum bemerkt auf ihrem Rücken tragen,
                            Stagnation herrscht auch in den Handelsbe-        die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zent-
                            ziehungen zu Russland. An eine Aufhebung          ralbank, deren Kurs den Bürgen die Alters-
                            der Sanktionen der EU in diesem Jahr ist          versorgung nimmt und damit die Schulden-
                            nicht zu denken, faktisch steht der deutsch-      staaten Europas über Wasser hält.
                            russische Wirtschaftsverkehr weiterhin auf           Wenn man sich dieses gesamte Umfeld vor
                            Stand-by. Abwarten heißt es auch hinsichtlich     Augen hält, kann man vor der deutschen
                            des Austauschs von Waren- und Dienstleistun-      Wirtschaft, ihren Unternehmen und ihren
                            gen mit der Türkei, denn bisher ist die nach      Beschäftigten nur den Hut ziehen. Schon gar
                            den Präsidentschaftswahlen erhoffte Normali-      nicht mag man eine Situation ermessen,
                            sierung im türkisch-deutschen Verhältnis defi-     wenn die heutigen Turbulenzen dieser Welt
                            nitiv ausgeblieben.                               auch noch mit Rezession, Beschäftigungsab-
                                                                              bau und Verlusten bei Einkommen und Steuer-
                            Riesiger Berg von Hausaufgaben                    aufkommen verbunden wären. Dass Wirt-
                                                                              schaft national wie global eine stabilisierende
                               Syrien, Afghanistan, die zunehmenden           Rolle spielt ist nicht neu. Ob den Betrieben
                            Spannungen zwischen Saudi-Arabien und             in unserem Land entsprechende Wertschät-
                            Iran, ausgetragen jetzt über Katar, ganz abge-    zung entgegengebracht und die Zukunfts-
                            sehen von der Bedrohungslage durch den IS,        sicherung von Produktion, Dienstleistungen
                            bleibt der mittlere Osten ein Pulverfass mit      und Beschäftigung nach den Bundestags-
                            all den damit verbundenen Unsicherheiten          wahlen leichter gemacht wird, darf man be-
                            und Auswirkungen auf Globalisierung und           zweifeln. Dabei wäre es wider aller konjunk-
                            der Entwicklung von Volkswirtschaften und         turellen Erfahrungen, wenn unternehmeri-
                            potenziellen Handelspartnern.                     sche Erfolg zum ewigen Gast würde.
                               Europa wiederum hat einen riesigen Berg
                            von Hausaufgaben. Auch wenn Emmanuel
                            Macron von Erfolg zu Erfolg eilt und bei den
                            Franzosen neue Zuversicht und Aufbruch

MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17                                                                                                   3
Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
INHALT

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                                                                                                         Foto: www.fine­images.de
Ferienzeit – Ferienjobs                                  Den Sprachschulmarkt                           IHK-Hauptgeschäftsführer neu gewählt
Viele Schüler finden es uncool, mit den Eltern            revolutionieren möchte Manuel Hilden-          Johannes Schmalzl (im Bild mit IHK-Präsiden-
zu verreisen. Viele Unternehmen suchen Aus-              brand. Dafür hat er die Vergleichsplattform    tin Marjoke Breuning) wird neuer Hauptge-
hilfen. Eine klassische Win-win-Situation also.          Lingo Ventura für internationale Sprachkurse   schäftsführer der IHK. Der 52-jährige Jurist löst
Wir sagen, worauf Sie achten müssen.                     gegründet.                                     Andreas Richter gegen Ende des Jahres ab.

    Wie zufrieden sind
    Sie mit Ihrer IHK?
    Sagen Sie uns Ihre Meinung!
    Ab Mitte Juni fragen die IHKs bei Inhabern und
    Geschäftsführern von IHK­Mitgliedsunternehmen
    nach, wie zufrieden sie sind. Damit wollen sie he­
    rausfinden, wie ihre Leistungen bei den Mitglie­
    dern ankommen. Ziel ist es, die Mitgliederbin­
    dung zwischen IHK und Unternehmen zu                                                                                           DIE LETZTE SEITE 66
    verbessern. Die IHKs haben die Agentur forum!                                                                                  Kommentar In der digitalen
    GmbH beauftragt, von allen IHK­Mitgliedsunter­                                                                                 Transformation müssen
    nehmen per Telefoninterview bundesweit 2000                                                                                    Unternehmen die Perspek­
    Unternehmen zu befragen. Unsere Bitte an alle                                                                                  tive der neuen Konkur­
    Unternehmer, Inhaber und Geschäftsführer: Soll­                                                                                renten einnehmen, rät
    ten Sie zu den „Ausgewählten“ gehören, die um                                                                                  Dr. Jens­Uwe Meyer
    ein Interview gebeten werden, nehmen Sie bitte                                                                                 Ärgernis des Monats Unge­
    Ihr demokratisches Recht wahr. Geben Sie Ihre                                                                                  wollte Nebenwirkungen im
    Beurteilung ab. Ihre Meinung ist uns wichtig.                                                                                  Zollrecht
                                                                                                                                   Cartoon Digital Natives
    Vielen Dank!                                                                                                                   an der Hochschule

4                                                                                                                                  MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17
Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
MAGAZIN 6­39                              33   Neuer Hauptgeschäftsführer Johannes
                                                      Schmalzl gewählt                           Qualifizierungen,
     KURZ & KNAPP 6­7                            34   Marktplatz Bildungspartnerschaften im      die Sie weiter-
 6   Wissenschaft Börsenanleger und Fle­              Kreis Göppingen                            bringen!
     dermäuse nutzen die gleiche Strategie            Verkehr IHK­Studie legt Entschärfung
     Wahrheiten aktuell und unterhaltsam              von Stauschwerpunkte in Stuttgart nahe
     Bücher zu Nachfolge und Innovation               IHK-Ausbildungsreport für den Kreis
 7   Personalien
     Sagen Sie mal … Fragen an Olaf Kieser       35
                                                      Böblingen erschienen
                                                      Jobmesse bei der IHK von Firmen
                                                                                                 IHK-Praxisstudium
     (Stadtwerke Stuttgart)                           und Bewerbern gut besucht                  Bachelor- und
                                                      Energieeffizienz IHK­Aussschuss             Master-Niveau!
     TITELTHEMA 8 ­14                                 besucht vorbildliches Unternehmen
 8   Grüne Städte Wie Stadtplaner für Luft­      36   Wirtschaftsjunioren / Berlin & Brüssel
     und Lebensqualität sorgen                                                                     Höhere Berufsbildung
14   Interview Dr. Wolfgang Schuster er­              FIRMENREPORT 37­ 39                          IHK-Praxisstudium                                  en
     klärt, was nachhaltige Städte ausmacht      37   Nachrichten über regionale Firmen                                                       staltung
                                                                                                                                   onsveran
                                                                                                 l Betriebswirte Informati. Juli 2017
                                                                                                 l Fachwirte      12. + 13
     RAT & TAT 15­26                                  DIE LETZTE SEITE 66
15   Telegramm Aktuelle Kurzmeldungen            66   Kommentar, Karikatur und Ärgernis          l Fachkaufleute
16   Vom Bürokratieentlastungsgesetz II               des Monats                                 l Meister
     profitieren auch kleine Unternehmen                                                          Bis zu 70 % Einsparung der Kosten möglich!
17   Forschung zur digitalen Transformation
     der Gesellschaft wird gefördert                    ANZEIGEN-SPECIAL 40­45                     Zeitmodelle
18   Employer Branding Machen Sie sich
     zur Arbeitgebermarke                        40   Zeitarbeit – Personalengpass in der        l Berufsbegleitend
                                                                                                 l Blended Learning
19   Die perfekte Stellenanzeige sagt präzise,        Ferienzeit
                                                                                                 l Für Frühaufsteher
     wen Sie suchen und was Sie bieten                                                           l Vollzeit
20   Das ändert sich beim Mutterschutz
21   Der Brexit kann auch Folgen für                  INFO 46­65
     deutsche Ltds haben                                                                           Und wussten Sie schon, ….
22   Ferienzeit – Ferienjobs Was Sie                  BEKANNTMACHUNGEN                           l dass seit 2016 die IHK-Praxisstudiengänge
     über die Beschäftigung von Schülern                                                           Bachelor und Master gleichgestellt sind?
     wissen müssen                               46   Aufwandsentschädigung für                  l dass sieben von zehn Absolventen eine
23   Coaching-Tipp Übertriebener                      ehrenamtliche Prüfer                         höhere Position erhalten und zusätzlich
     Perfektionismus                                                                               in eine höhere Gehaltsklasse aufsteigen?
24   Aktuelle Zahlen, Fakten und Tendenzen            HANDELSREGISTER                            l dass Sie bei unseren Praxisstudiengängen
26   Wirtschaft im TV Das müssen Sie sehen       46   April/Mai                                    bis zu 70 % der Kosten durch Fördermittel
                                                      Neueintragungen, Veränderungen,              und steuerliche Absetzbarkeit einsparen
     MENSCHEN & IDEEN 27­30                           Löschungen und Insolvenzen                   können?
27   Zeitsprung Andreas Möhle, Autohaus
     Walter Möhle GmbH, Aspach                        BRANCHENSPIEGEL                              Informationsveranstaltungen
28   Existenzgründer im Porträt Manuel           53   Bezugsquellennachweis Angebote               „Karriere mit Lehre“
     Hildenbrand hat eine Vergleichsplatt­            aus der Wirtschaft
                                                                                                 l Mi. 12.07.2017, 18-20 Uhr, Remshalden
     form für Sprachkurse gegründet
                                                                                                 l Do. 13.07.2017, 18-20 Uhr, Stuttgart
29   Karriere mit Lehre Heinz Schmid ist              RUBRIKEN
     Biotech­Manager mit IHK­Abschluss           56   Impressum
30   Aus den Labors der Region Zellen un­        58   Jubiläen                                   Kostenlose Weiterbildungsberatung auch
                                                                                                 telefonisch möglich! Rufen Sie uns einfach an.
     tersuchen mit Hilfe von Mikrochips          62   Termine
                                                                                                 Telefon 0711 2005-1555
                                                 64   Geburtstage
     IHK & REGION 31­36
31   Ausbildungsbotschafter 2000. Besuch
     in Schulen der Region                                                                       IHK-Bildungshaus
                                                                                                 Goethestraße 31, 73630 Remshalden-Grunbach
     Telegramm Neues aus der Wirtschaft                                                          Telefon 07151 7095-0, Telefax 07151 7095-8895
     der Region                                                                                  info.bhg@stuttgart.ihk.de
32   Außenwirtschaft Unternehmen                                                                 Jägerstraße 30, 70174 Stuttgart
                                                                                                 Telefon 0711 2005-1555
     erwarten steigende Exporte                       Titelbild: Archi Nova                      info.bhs@stuttgart.ihk.de
     Azubi-Speeddating in Böblingen                   Soweit nicht anders angegeben, sind alle
     IHK trifft Politik im Kreis Ludwigsburg          Fotos im Heftinneren von Thinkstock        www.ihk-bildungshaus.de

MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17                                                                                                                           5
Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
MAGAZIN           KURZ & KNAPP

Fledermäuse verhalten sich wie Börsianer                                                                          Wahrheiten
                                                                                                                  W
Mit „Social Hedging” sichern sich die Tiere gegen Krisen ab                                                       aaktuell, denkwürdig
  Amerikanische und deut-                                                                          Die Akademisierungsquote war in
sche Wissenschaftler ha-
                                                                                                 internationalen Studien über viele
ben Ähnlichkeiten zwi-
schen den Strategien                                                                             Jahre der zentrale Maßstab für
von Börsenanle-                                                                                  Bildungsqualität. Ich glaube, das hat
gern und süda-                                                                                    uns zu falschen Signalen verleitet.
merikanischen                                                                                      Susanne Eisenmann (CDU), Kultusministerin
Vampirfleder-                                                                                       von Baden­Württemberg
mäusen ent-
deckt. Unter-                                                                                       Die Deutschen sollten sich
suchungen                                                                                          klarmachen, dass sie zwar im
des Smithso-                                                                                      schönsten Haus Europas wohnen.
nian Institute                                                                                   Der Wert dieses Hauses hängt
for Tropical
Research in
                                                                                                 jedoch auch davon ab, wie es in der
Panama er-                                                                                       Nachbarschaft aussieht.
gaben, dass                                                                                      Peter Mandelson, britischer Politiker und
                                                                        Vampirfledermäuse         ehemaliger EU­Handelskommissar
die     Fleder-                                                         sind gesellige Tiere –
mäuse ein Netzwerk aus verwandten und                                   und verhalten sich        Die britische Regierung hat gesagt,
nicht-verwandten Artgenossen aufbauen, die                              ökonomisch.
sich regelmäßig gegenseitig Nahrung abge-                                                        dass sie am Brexit festhalten will.
ben. Dadurch können es die Tiere besser                                                          aber wenn sie ihre Entscheidung
verkraften, wenn ein wichtiger Nahrungs-         Max-Planck-Institut für Ornithologie in Ra-     ändern will, würde sie natürlich
spender in ihrer Familie ausfällt. Dieses „So-   dolfzell an dem Projekt beteiligt war. „Im
cial Bet Hedging“ sei mit einer Börsenstrate-    Fall der Aktienstrategie wird einem Börsen-
                                                                                                 offene Türen vorfinden.
                                                                                                 Wolfgang Schäuble (CDU), Bundesfinanzminister
gie vergleichbar, die sich gegen Verluste in     crash vorgebeugt. Im Fall der Vampirfleder-
seltenen, dann aber sehr kostspieligen Aus-      mäuse wird dem Risiko vorgebeugt, sich in        Wir wollen eine Stadt sein, die
nahmefällen absichert, auch wenn dafür ge-       einer Situation ganz ohne Nahrung und ohne
genwärtige Profite geschmälert werden, er-        bereitwilligen Nahrungsspender wiederzu-
                                                                                                 zum Verweilen einlädt und nicht
klärt Dr. Damien Farine, der von deutscher       finden und daher hungern oder gar verhun-        zum Durchrauschen.
Seite für die Universität Konstanz und das       gern zu müssen.“                                Fritz Kuhn (Grüne), Oberbürgermeister von Stuttgart

  D.Quarks -- das hört sich an wie ein neuer Modebegriff aus der Welt der Managementberater. Das ist es auch,
aber vor allem haben die beiden Experten von der Unternehmensberatung PwC damit ein griffiges System
geschaffen, um zu erklären, worauf es ankommt, wenn ein Unternehmen die Transformation in die digitale
Welt erfolgreich gestalten will. Als D.Quarks identifizieren die Autoren nämlich fünf Erfolgsfaktoren für die-
sen Weg, und jedem von ihnen widmen sie ein eigenes Kapitel. Wer sich von Startup-Sprech wie „Technology-
enabled“, „Transaction-oriented“ oder „Open digital“ nicht abschrecken lässt, findet hier eine gut lesbare und
trotzdem fundierte Orientierung im Dickicht des digitalen Wandels.
D.Quarks. Der Weg zum digitalen Unternehmen. Carsten Hentrich u. Michael Pachmajer, Murmann Publishers, Hamburg
2016, 200 Seiten, 39, 90 Euro, ISBN 978­3­867745543

                        Der Generationswechsel ist ein entscheidender Abschnitt in der Firmengeschichte, der gut vorbereitet sein will. In
                        vier Kapiteln mit den Schwerpunkten Vorüberlegungen/Strategie, Vorbereitung des Unternehmens/Due Dili-
                        gence, Alternativen einer Unternehmensnachfolge sowie Hinweise zur Übertragung des Unternehmens bereitet
                        Autor Prof. Wolfgang Koch den Themenkomplex praxisnah auf. Immer wieder weiten eingestreute Anregungen
                        sowie Exkurse zu den Themen Notfallplan und Nachfolge in Sanierungsfällen den Blick. Hilfreich sind die Auflis-
                        tungen der für eine Due Diligence erforderlichen Unterlagen im Anhang des Buches.
                        Unternehmensnachfolge planen, gestalten und umsetzen. Ein prozessorientierter Leitfaden für Unternehmen. Wolfgang Koch,
                        Schäffer­Poeschel­Verlag, Stuttgart 2016, 266 Seiten, 69,95 Euro, ISBN 978­3­7010­3468­3

6                                                                                                                    MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17
Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
Personalien
Neue Namen und Gesichter in den Chefetagen der Region
                                                                                                                         Olaf Kieser
                                                                                                                         Geschäftsführer
                                                                        Bernhard Lange (58), ge-
                                                                                                                         Stadtwerke Stuttgart GmbH
                                                                        schäftsführender Ge-
                                                                        sellschafter der Paul
                                                                  Lange & Co. OHG (Stutt-
                                                                  gart), hat bei einem Festakt
                                                                  die Verdienstmedaille der
                                                                  Bundesrepublik Deutschland
                                                                                                            Sagen Sie mal,
                                                                  von Verkehrsminister Win-                 Herr Kieser …
                                                                  fried Hermann entgegenge-
                                                                  nommen. Die Auszeichnung           … was zieht Sie in die Berge?
                                                                  war ihm bereits im vergange-     Das wunderbare Gefühl einen Berg zu
                                                                  nen Jahr durch den Bundes-       besteigen, das Ziel den Gipfel zu
                                                                  präsidenten verliehen wor-       erreichen und den schönen Ausblick zu
                                                                  den. Lange wurde damit als       genießen.
                                                                  erfolgreicher Fahrradunter-        … was ist so interessant an den
                                                                  nehmer geehrt, der sich für      Stadtwerken einer Großstadt?
Foto: KD Busch

                                                                  die Belange der Fahrradin-       Die Energiewende wird in den Städten
                                                                  dustrie und für die Interessen   umgesetzt werden müssen. Denn die
                                                                  der Radfahrer einsetzt.          Urbanisierung schreitet weiter voran. Die
                                                                                                   Stadtwerke Stuttgart haben eine große
                                                                                                   Chance, mit ihrer regionalen Präsenz und
     Silke Nixdorf ist neue Geschäftsführerin der MSH Me-                                          innovativen Produkten die Energiewende
     dien System Haus GmbH & Co. KG (MSH) in Stuttgart,                                            für die Bürger in der Landeshauptstadt
     einer Tochtergesellschaft der Medienholding Süd                                               erlebbar zu machen.
GmbH. Die erfahrene IT-Fachfrau führt dort gemeinsam mit                                             … welche Erfahrung möchten Sie
Ulrich Schmutz die Geschäfte der MSH. Silke Nixdorf war                                            unbedingt einmal machen?
zuvor vier Jahre Geschäftsführerin der MSP Medien System-                                          Ich warte auf die perfekte Welle und
partner GmbH & Co. KG in Bremen, davor hatte sie zwölf                                             würde gerne einmal auf dieser Welle
Jahre in unterschiedlichen Sparten der Deutschen Telekom                                           surfen.
gearbeitet.                                                                                          … in welcher anderen Firma wären Sie
                                                                                                   gerne einmal einen Monat Chef?
                                        Markus Hucko (44) hat die neu geschaffene Position         Bei einem Automobilkonzern. Das Auto
                                        eines Chief Operations Officer (COO) in der ge-             emotionalisiert die Menschen und mit
                                        schäftsführung der Stuttgarter Leadec-Gruppe (ehe-         dem Thema Elektromobilität verschmel-
                                  mals Voith Industrial Services) übernommen. Neben Mar-           zen Energie und Mobilität.
                                  kus Glaser-Gallion (CEO) und Christian Geißler (CFO) ist er        … was schätzen Sie an anderen
                                  dort für den Bereich IT, Systems & Operations verantwort-        Menschen am meisten?
                                  lich. Zuvor war der gelernte Bankkaufmann und Diplom-            Ich schätze gutes Benehmen, gute
                                  Betriebswirt in der CWS-Boco Gruppe sowie bei Ferrostaal         Umgangsformen und tugendhaftes
                                  Industrial services tätig.                                       Verhalten.
                                                                                                     … was stößt Sie an anderen Menschen ab?
                                                                                                   Leider stößt man immer wieder auf
Dr. Andreas Jahn (48) wird im Juni 2018 neuer Vorsitzender                                         starke Egoisten im Leben, die nicht
des Vorstands der SV Sparkassenversicherung. Jahn folgt                                            teamfähig sind. Durch meine jahrelange
dann dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden Ulrich-                                                Sporterfahrung bin ich mir sicher, dass
Bernd Wolff von der Sahl, der im Mai 2018 in den Ruhe-                                             ein gut eingespieltes Team immer stärker
stand tritt. Der promovierte Betriebswirt Jahn ist seit 2012                                       ist, als die Summe der Einzelpersonen.
Vertriebsvorstand der SV. Außerdem wurde Dr. Klaus Zeh-                                              … welches Buch lesen Sie zurzeit?
ner mit sofortiger Wirkung zum stellvertretenden Vorsitzen-                                        „Digital Disruption“ – Wie Sie Ihr
den des Vorstands ernannt. Dr. Zehner leitet seit 2008 das                                         Unternehmen auf das digitale Zeitalter
Ressort Schaden/Unfall der SV.                                                                     vorbereiten.
                                                                                                     … haben Sie ein Lebensmotto?
  Personalnachrichten für das Magazin Wirtschaft: Gibt es auch in Ihrem Unternehmen personelle     „Am Ende wird alles gut, und wenn noch
Veränderungen auf der Führungsebene? Wir veröffentlichen Ihre Nachricht gerne. Senden Sie einen    nicht alles gut ist, dann ist es noch nicht
kurzen Text mit Bild an presse@stuttgart.ihk.de                                                    das Ende!“

MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17                                                                                                                   7
Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
MAGAZIN   TITELTHEMA

      TITELTHEMA

8                          MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17
Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
TITELTHEMA          MAGAZIN

                                       Projekt grüne Stadt
                                       Nicht nur Luftschadstoffe, auch steigende Temperaturen und dichtere
                                       Bebauung belasten das Klima und die Lebensqualität in den Städten.
                                       Planer suchen nach Lösungen – und manche davon muten ziemlich unge-
                                       wöhnlich an. Zum Teil können sie dabei auf das Know-how von Firmen aus
                                       der Region zurückgreifen.

                                             Bäume recken sich waagrecht in den        Weise sogar Reis angebaut“, sagt Braun, in
                                             Raum, ein Weinberg hängt wie ein Vor-     Europa haben – wen wundert es – die garten-
                                             hang in der Luft – man könnte sich in     bauerfahrenen Niederländer die Nase vorn.
                                       einem surrealistischen Bild wähnen. Mit         Und in Mailand gibt es seit ein paar Jahren
                                       Kunst hat diese Installation bei der Weltaus-   den „Bosco Verticale“ – zwei Hochhäuser mit
                                       stellung Reformation in der Lutherstadt Wit-    19 und 27 Etagen, die auf Terrassen und
                                       tenberg zwar schon zu tun, es geht aber um      Balkonen mit tausenden von Bäumen, Sträu-
                                       mehr. Die Stuttgarter Biologin Dr. Alina        chern und Stauden bepflanzt sind.
                                       Schick, die den „hängenden Garten“ in der
                                       Ausstellungshalle der württembergischen         Grünes Hochhaus soll Fläche sparen
                                       Landeskirche eingerichtet hat, widmet sich      und Klima verbessern
                                       mit ihrem Startup Visioverdis neuen Formen
                                       der Gebäudebegrünung.                              Bisher spielen solche Experimente in
                                          Diese werden von Städteplanern und In-       Deutschland kaum eine Rolle, räumt Braun
                                       vestoren zunehmend ernstgenommen. Dafür         ein. Dies könne sich aber bald ändern. Denn
                                       sorgen wachsender Verkehr, bauliche Nach-       die EU interessiert sich sehr für kreative An-
                                       verdichtung und der globale Klimawandel.        sätze zur Verbesserung der Stadtökologie
Eine 100 Meter lange Mooswand an       So versuchen Kommunen schon lange, in-          und fördert das Fraunhofer IAO in Stuttgart
der Cannstatter Straße in Stuttgart    nerstädtische Brachen oder Freiflächen zu        zusammen mit sechs Modellstädten im Pro-
                                       bebauen. Das hält den Landschaftsverbrauch      jekt UnaLab. Obwohl Stuttgart nicht dabei
soll zeigen, ob die Pflanzen in der     in Grenzen, schafft aber Konflikte mit Grün-     ist, bewegt sich auch an Rems und Neckar
Lage sind, die Schadstoffbelastung     flächen und Frischluftschneisen, die für das     viel. So dient der „Bosco Verticale“ ganz of-
der Luft spürbar zu senken. Mit        Stadtklima lebenswichtig sind, erklärt Stef-    fensichtlich als Vorbild für das „grüne Hoch-
ähnlichen Fragestellungen beschäfti-   fen Braun, der sich beim Fraunhofer -Institut   haus“, das die Stadt Waiblingen auf der Kor-
                                       für Arbeitswirtschaft und Organisation          ber Höhe bauen lassen will. Zwar ist nach
gen sich auch Steffen Braun und sein   (IAO) im Rahmen des Projekts „Morgen-           Meinungsverschiedenheiten im Gemeinde-
Team vom Fraunhofer IAO.               stadt“ mit der Stadt der Zukunft beschäftigt.   rat immer noch unklar, welcher Investor zum
Foto: Annette Cardinale                „Fläche ist ein absolut begrenzter Faktor,      Zuge kommt, doch die Verwaltung sei fest
                                       deshalb sind alle neuen Formen, Grün in die     entschlossen, das „Vorzeigeprojekt“ weiter-
                                       Stadt zu integrieren, hochinteressant.“         zuverfolgen, sagt Baubürgermeisterin Birgit
                                                                                       Priebe.
                                       Äcker auf dem Dach und                             „Wir wollen nicht nur ein architektonisch
                                       unterirdische Parks                             ansprechendes Objekt mit schön gestalteter
                                                                                       Fassade“, unterstreicht Priebe. „Ziel ist es,
                                          Manche dieser Ansätze muten wie Science      das Kleinklima zu verbessern, den Energie-
                                       Fiction an – nicht nur die waagrecht wach-      verbrauch zu senken und etwas zur Steige-
                                       senden Bäume von Alina Schick, die durch        rung der Biodiversität zu tun.“ Dies alles
                                       ständige Rotation um die eigene Achse dazu      könne ein gut durchdachtes und geplantes
                                       animiert werden, in der Horizontale zu          grünes Hochhaus leisten, glaubt die Bürger-
                                       wachsen. In New York, einem Zentrum der         meisterin. Durch die Begrünung der Fassa-
                                       neuen Gründenker, gibt es Pläne für einen       den und Vorsprünge würde letztlich dreimal
                                       unterirdischen Park, der mit Hilfe Energie      so viel Grünfläche geschaffen, wie das Ge-
                                       sparender LED-Technik in stillgelegten U-       bäude in Anspruch nimmt. Beim Bau sollen
                                       Bahn-Stollen entstehen soll. „Urban Far-        natürliche und reyclingfähige Stoffe zum
                                       ming“ -- die Nahrungsmittelerzeugung auf        Einsatz kommen, Regenwasser wird wieder-
                                       Dachgärten und Balkonen ist in anderen          verwendet und erneuerbare Energien ge-
                                       Ländern der Welt ebenfalls weit fortgeschrit-   nutzt. „In diese Richtung tun wir in den
                                       ten. „In japanischen Städten wird auf diese     Städten bisher zu wenig“, findet Priebe.

      MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17                                                                                                     9
Magazin Wirtschaft - IHK Stuttgart
MAGAZIN             TITELTHEMA

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                                                                                                 Foto: Annette Cardinale
                                                                                                                           wiegen aber nur ein Sechstel“, erklärt Ge-
                                                                                                                           schäftsführerin Stephanie Fiederer. „Da-
                                                                                                                           durch eignen sie sich auch hervorragend für
                                                                                                                           die Nachverdichtung.“
                                                                                                                              Doch die „Aktivhäuser“ sind nicht einfach
                                                                                                                           nur schnell montierte Leichtbauten. Trotz
                                                                                                                           ihrer schlichten Anmutung sind sie echte
                                                                                                                           Ökohäuser. Als Vorbild diente das von Wer-
                                                                                                                           ner Sobek konstruierte „Aktivhaus B10“ in
                                                                                                                           der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Dieser
                                                                                                                           2013 eingeweihte Prototyp erzeugt mehr
                                                                                                                           Energie als er in Anspruch nimmt und speist
                                                                                                                           den Überschuss ins Stromnetz ein. Zwar er-
                                                                                                                           reicht die Basis-Serie 700 der Stuttgarter in
                                                                                                                           der Regel keine positive Energiebilanz, sie
                                                                                                                           erfüllt aber den Effizienzstandard EnEV
                                                                                                                           2016 und besteht überdies ganz aus recyc-
                                                                                                                           lingfähigen Materialien.

                                                                                                                           Garten-Solardächer immer beliebter
                                                                                                                              Wer über Stadtklima nachdenkt, muss sich
                                                                                                                           auch mit Dächern befassen -- Flachdächern,
                                                                                                                           genauer gesagt, die in den Städten einen An-
                                                                                                                           teil von rund 25 Prozent an der Gesamt-Dach-
                                                                                                                           fläche haben. Im Sinne des Klimas genutzt
                                                                                                                           wird nur ein Teil davon. So sind Photovoltaik-
                                                                                                                           anlagen auf Bürogebäuden ziemlich verbrei-
Solarzellen nützen dem Klima – begrünte Dächer auch. Immer mehr Bauherren möchten beides verbin­                           tet, in manchen Innenstädten schreiben Be-
den, so Stefan Ruttensperger (li.) und Stefan Knapp (re.) von Paul Bauder in Stuttgart­Weilimdorf.                         bauungspläne auch vor, Flachdächer zu be-
                                                                                                                           grünen -- so seit langem schon in Stuttgart.
                                                                                                                              „Ideal ist es, beides miteinander zu kombi-
  Dass mehr Grün in der Stadt Klima und             Gebäude- und Fassadenbegrünung stehen                                  nieren“, sagt Stefan Knapp, Fachbereichslei-
Luftqualität verbessert, steht außer Frage.         hier im Mittelpunkt, aber es geht auch um                              ter Photovoltaik bei der Stuttgarter Paul
Schwieriger ist es da schon, diese positive         neue Verkehrskonzepte und um Möglichkei-                               Bauder GmbH & Co. KG, die ein führender
Wirkung zu quantifizieren. Deshalb unter-            ten, auf der gleichen Fläche mehr Wohn-                                Anbieter von Dachbegrünungen ist. „Denn
sucht die Stadt Stuttgart seit dem Frühjahr,        raum zu schaffen -- und so den Druck auf die                           bei großer Hitze fällt die Leistung der PV-
wie sich eine rund 100 Meter lange Moos-            klimatisch wichtigen Frei- und Grünflächen                              Elemente ab. Die Vegetation wirkt dem
wand an der Cannstatter Straße auf den              zu mindern. Erreichen kann man dies etwa,                              durch ihren kühlenden Effekt entgegen und
Schadstoffgehalt der Luft auswirkt. Moose           indem man Altbauten aufstockt und so in ein                            steigert so die Effizienz der Anlage.“
sollen Schadstoffe wie Feinstaub oder Stick-        und demselben Gebäude mehr Wohnraum                                       Erst neun Monate hat Bauder die kombi-
oxid sehr effizient aus der Luft filtern und          schafft, erklärt Braun.                                                nierten Pflanzen-Solardächer im Angebot
werden hierzu bereits in anderen Städten wie                                                                               und bisher kaum Werbung dafür gemacht.
Paris und Hongkong eingesetzt.                      Ökohäuser aus Holz                                                     Trotzdem übertrifft die Nachfrage alle Er-
  Mit ähnlichen Projekten beschäftigen sich                                                                                wartungen, freut sich Knapp. Er führt dies
auch Steffen Braun und seine Mitarbeiter. So           Weil die Statik hier aber enge Grenzen                              unter anderem darauf zurück, dass die ge-
werden die Fraunhofer-Forscher gemeinsam            setzt, ist Leichtbau gefragt -- zum Beispiel mit                       setzliche Förderung mittlerweile den Eigen-
mit der Universität Stuttgart in den kommen-        Holz. Diesem neuen alten Baustoff hat sich                             verbrauch gegenüber der Netzeinspeisung
den zwei Jahren untersuchen, wie man in ei-         die AH Aktivhaus GmbH Stuttgart-Deger-                                 begünstigt. „Dadurch muss der Bauherr
nem Bestandsquartier den Grünanteil erhö-           loch verschrieben. Das Startup aus der Stutt-                          nicht mehr jeden Quadratmeter Dachfläche
hen, den Energieverbrauch senken und so             garter Sobek-Gruppe plant und errichtet                                nutzen und es bleibt Platz für die Begrü-
das Stadtklima verbessern kann. Hierzu wer-         Holzhäuser in modularer Fertigbauweise. So                             nung“. Wegen der notwendigen Unterkonst-
den lokale Akteure einbezogen und virtuelle         ist Ende 2016 in Winnenden (Rems-Murr-                                 ruktion für die Solarpaneele ist die Kombina-
Techniken, etwa Visualisierungen, einge-            Kreis) aus 38 Einheiten eine Flüchtlingsun-                            tion aber vergleichsweise teuer. Sie kommt
setzt. Als „Reallabor Stadt“ – so der Name          terkunft gebaut worden. Dieses Jahr sind                               vor allem dort zum Einsatz, wo Bebauungs-
des vom Landeswissenschaftsministerium              Projekte mit 100 weiteren Elemente geplant,                            pläne die Begrünung vorschreiben oder wo
geförderten Programms – dient ihnen unter           darunter wiederum 38 für Wohnungen in                                  die Auftraggeber bewusst etwas für die Um-
anderem       der     Stuttgarter     Westen.       Kernen. „Unsere Module sind ebenso                                     welt tun möchten.

10                                                                                                                                           MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17
TITELTHEMA          MAGAZIN

                                                                                                                          Hochhäusern, Wintergärten, Buswartehäus-
                                                                                                                          chen oder an verglasten Fußgängerbrücken
                                                                                                                          -- darunter auch seltene und streng geschütz-
                                                                                                                          te Arten. Weil sich die Umgebung im Glas
                                                                                                                          spiegelt, erkennen die Tiere hier kein Hin-
                                                                                                                          dernis und rasen oft ungebremst in die
                                                                                                                          Scheiben.
                                                                                                                              „In Deutschland gibt es für dieses Problem
                                                                                                                          bisher kaum ein Bewusstsein“, sagt Martin
                                                                                                                          Schwarz, Geschäftsführer der Glaswerke Ar-
                                                                                                                          nold GmbH & Co. KG in Remshalden-Ge-
                                                                                                                          radstetten. Ganz im Gegensatz zu Nordame-
                                                                                                                          rika, wo Großstädte wie Chicago oder Toron-
                                                                                                                          to, die mitten auf wichtigen Vogelzugrouten
                                                                                                                          liegen, strenge Vogelschutzauflagen für
                                                                                                                          Neubauten erlassen. Auch der Staat Kalifor-
                                                                                                                          nien schreibe Maßnahmen zur Verhütung
                                                                                                                          von Vogelschlag in Küstennähe baurechtlich
                                                                                                                          vor, sagt Schwarz.
                                                                                                                              Unter anderem deswegen können sich die
                                                                                                                          Remstäler seit einiger Zeit über eine rege
                                                                                                                          Nachfrage von jenseits des Atlantiks nach ih-
                                                                                                                          rem Vogelschutzglas der „Ornilux“-Produkt-
                                                                                                                          linie freuen. „Die Umsätze sind zwar noch
                                                                                                                          klein, aber immerhin verzeichnen wir Jahr
                                                                                                                          für Jahr Zuwächse von 15 bis 20 Prozent“, so
                                                                                                                          Schwarz. Ziehe die Nachfrage weiter an,
                                                                                                                          könnten auch die bisher noch um rund 30
                                                                                                                          Prozent höheren Produktionskosten sinken.
                                                                                                Foto: Annette Cardinale

                                                                                                                              Äußerlich sieht man diesem Schutzglas,
                                                                                                                          das Arnold in seinem Zweigwerk im fränki-
                                                                                                                          schen Feuchtwangen produziert, kaum etwas
                                                                                                                          an. Die Scheiben sind mit einer Spezialbe-
                                                                                                                          schichtung versehen, die ein Muster aus UV-
                                                                                                                          Licht-reflektierenden und -absorbierenden
In Winnenden hat die AH Aktivhaus GmbH eine Flüchtlingsunterkunft in Holz­Leichtbauweise errichtet.                       Bereichen ergibt. Vögel können dieses Mus-
Diese eigne sich auch für die Nachverdichtung, sagt Geschäftsführerin Stephanie Fiederer.                                 ter sehen, uns Menschen erscheint die Fens-
                                                                                                                          terscheibe dagegen durchsichtig.
                                                                                                                              „Dadurch werden nicht alle Kollisionen
   Flachdächer bieten ein großes und leicht        Fledermäusen als Nahrung dienen. Auf dem                               verhindert“, räumt Schwarz ein. Nach jahre-
erschließbares Potenzial, das mit der etablier-    15 000 Quadratmeter großen Dach der Han-                               langen Tests, in denen rund 20 000 Vögel
ten und eher einfachen Technik leicht zu           delskette Migros im schweizerischen Gossau                             eingesetzt wurden (ohne dass ihnen auch
heben ist, so die Überzeugung von Knapps           schufen die Stuttgarter eine wahre Fülle an                            nur eine Feder gekrümmt wurde), bestehe
Kollegen Stefan Ruttensperger, der als Be-         Kleinbiotopen aus Substratschüttungen,                                 aber kein Zweifel, dass Ornilux-Glas das Risi-
reichsleiter das bedeutende Gründachge-            Grobkies, Wasserbecken und Totholz. Wie                                ko signifikant reduziere. Demnach würde je
schäft von Bauder verantwortet. Nach seiner        weit die urbane Artenvielfalt gehen kann,                              nach Glastyp und Lichtsituation jeder zweite
Schätzung sind nur etwa zehn bis 20 Prozent        zeigt die größte binnenländische Brutkolonie                           bis fünfte Zusammenstoß abgewendet. „Wir
aller geeigneten Dächer begrünt – allerdings       von Mantel- und Mittelmeermöwen, die auf                               halten dies auf jeden Fall für eine Verbesse-
mit steigender Tendenz. „Seit etwa acht Jah-       einem begrünten Flachdach lebt – und zwar                              rung, denn bisher findet in der Regel gar
ren spüren wir ein stetig steigendes Interes-      mitten in der Frankfurter City.                                        kein Schutz statt.“
se“, sagt Ruttensperger, was er auf die vieler-                                                                               Die traditionsreichen amerikanischen Na-
orts wachsenden Probleme mit Extremtem-            Tiere entdecken die Stadt                                              turschutzorganisationen American Bird
peraturen, Luftqualität und Flächenversiege-                                                                              Conservancy (ABC) und Audubon Society
lung zurückführt.                                     Das Schlagwort „Lebensraum Stadt“ ge-                               sehen das genauso und propagieren die Ver-
   Obendrein nützen Dachbegrünungen auch           winnt da eine ganz andere Bedeutung. Doch                              wendung von Ornilux-Glas in den USA aktiv.
der Biodiversität: Bauders Saatmischungen          lauern hier eben auch Gefahren, die es in                              Einen solchen Rückenwind würden sich die
enthalten die Samen von rund 40 Planzenar-         freier Natur so nicht gibt. Zum Beispiel                               Glaswerke Arnold auch auf ihrem Heimat-
ten, die eine Vielzahl von Insekten anlocken,      Fensterglas: Jahr für Jahr sterben viele Mil-                          markt wünschen, zumal der Aderlass für die
die wiederum zahlreichen Vögeln und                lionen von Vögeln an Glasfronten von                                   Vogelwelt hier keineswegs geringer ist.

MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17                                                                                                                                            11
MAGAZIN   TITELTHEMA

                                                                                                        durch, dass verschiedene Nutzungsformen
                                                                                                        wie Gewerbe, Handel, Wohnen, Freizeit, Bil-
                                                                                                        dung und Kultur nach Möglichkeit wieder
                                                                                                        räumlich ineinandergreifen – die neue Bau-
                                                                                                        gebietskategorie „urbane Gebiete“, die erst
                                                                                                        dieses Jahr eingeführt wurde, biete hierfür
                                                                                                        eine Grundlage.
                                                                                                           „Damit wird die Stadt der kurzen Wege an-
                                                                                                        gestrebt“, erklärt Steffen Braun vom Fraunho-
                                                                                                        fer IAO. „Viele unserer heutigen Verkehrspro-
                                                                                                        bleme sind durch die starke Trennung der
                                                                                                        Lebensbereiche entstanden, wie sie in den
                                                                                                        letzten 50 bis 100 Jahren vorangetrieben wur-
                                                                                                        de“, sagt der Ingenieur. Nun soll es also wie-
                                                                                                        der in die andere Richtung gehen, aber bis
                                                                                                        man Ergebnisse sieht, werde es bei Planungs-
                                                                                                        zyklen von zehn bis 15 Jahren wohl noch eini-
                                                                                                        ge Jahrzehnte dauern, schätzt Braun.

                                                                                                        Stadt der kurzen Wege
                                                                                                           Zwangsläufig muss man sich also auch mit
                                                                                                        den Bestandsflächen befassen. So arbeitet
                                                                                                        die Stadt Stuttgart künftig an der Umsetzung
                                                                                                        der „Entwicklungskonzeption Wirtschaftsflä-
                                                                                                        chen für Stuttgart“ (EWS), einem Stadtent-
                                                                                                        wicklungsplan für die Industrie- und Gewer-
                                                                                                        beentwicklung, der im Sommer den Gemein-
                                                                                                        deratsgremien vorgelegt werden soll. Be-
                                                                                                        standteil ist unter anderem der nachhaltige
                                                                                                        Umbau von Gewerbegebieten im Bestand.
                                                                                                           Für den SynergiePark Vaihingen/Möhrin-
                                                                                                        gen und das Industrie- und Gewerbegebiet
                                                                                                        Feuerbach-Ost skizzieren Frank Gwildis und
Foto: Annette Cardinale

                                                                                                        Charlotte Schweyer vom Amt für Stadtpla-
                                                                                                        nung und Stadterneuerung erste Ziele für
                                                                                                        ein Gewerbegebietsmanagement. In den
                                                                                                        Blick genommen werden sollen unter ande-
                                                                                                        rem die nachhaltige Energieversorgung und
                                                                                                        die Erhöhung der Ressourceneffizienz durch
Das Vogelschutzglas „Ornilux“ der Glaswerke Arnold ist in den USA ein Renner, berichtet Geschäftsfüh­   Stoffkreisläufe, Erhöhung der Flächeneffizi-
rer Martin Schwarz, denn Jahr für Jahr sterben Millionen Vögel an Glasfronten.                          enz, die energetische Ertüchtigung der Bau-
                                                                                                        substanz oder auch nachhaltige Mobilitätsan-
                                                                                                        gebote. Die Bandbreite an Ansätzen für ei-
   Doch eine vergleichbare Unterstützung            aber nicht aus dem Konzept bringen lassen           nen nachhaltigen Umbau der Gewerbequar-
gibt es hier zu Lande nicht. Während der            und die Ornilux-Serie durch weitere For-            tiere ist vielfältig, standortabhängig und er-
Naturschutzbund Deutschland (NABU) und              schung stetig verbessern. „Wir forschen dar-        fordert das Engagement der Unternehmen
der Bayerische Landesbund für Vogelschutz           an seit 17 Jahren auf eigene Kosten und ha-         und Partner vor Ort.
(LBV) Ornilux als eine interessante Alterna-        ben nie einen Cent öffentliche Mittel in An-           Zusammenhängende Gewerbestandorte
tive sehen, lehnt der BUND das schwäbische          spruch genommen“, betont Schwarz.                   eignen sich sehr gut für so genannte „Smart
Produkt kategorisch ab und besteht auf dem            Begrünung, Recyclingfähigkeit, Energieef-         Grids“, in denen Energie regenerativ erzeugt
Einsatz von Fensterglas mit sichtbar aufge-         fizienz, Artenschutz – natürlich betreffen           und der Verbrauch im Zuge eines Lastenma-
druckten Mustern. Dieses gilt bisher als der        diese Themen nicht nur Stadtquartiere, son-         nagements mit dem Angebot in Übereinstim-
beste mögliche Schutz für Glasfronten.              dern auch Industrie- und Gewerbegebiete.            mung gebracht wird. Im Idealfall greifen die
   „Solche Produkte sind für die Architekten        So stellen die Bebauungspläne für neue Ge-          Wertschöpfungsketten der beteiligten Unter-
aber oft keine Alternative“, kontert Schwarz,       werbegebiete heute meist Anforderungen an           nehmen ineinander, so dass Transportwege
„denn sie verwenden Glas ja gerade wegen            sparsame Flächennutzung, Energiestandards           entfallen. „Das lässt sich in einem Bestands-
seiner Transparenz und Lichtdurchlässig-            und die Wiederverwendung von Regenwas-              gebiet natürlich nur begrenzt realisieren,
keit“. Durch Widerstände werde man sich             ser. Auch setzt sich zunehmend der Gedanke          auch weil man die Zusammensetzung des

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TITELTHEMA           MAGAZIN

Foto: Annette Cardinale

Auf dem Weg zur Arbeit Mitfahrer auflesen – damit ließen sich vorhandene Autos effizienter nutzen und der Verkehr entlasten. Auf dieser Idee beruht das
App­gestützte Mitfahrmodell des Startups Match Rider.

Unternehmensbestands nicht einfach verän-          Stuttgart wachsender Beliebtheit, doch zie-         zur Arbeit fahren“, erklärt Krams. „Ein
dern kann“, sagt Gwildis.                          len diese eher auf diejenigen, die nur gele-        Blick auf die App verrät ihnen morgens, ob
  Umso wichtiger ist für die Planer aber der       gentlich einen fahrbaren Untersatz brau-            Mitfahrer aufgenommen werden möchten
sparsame Umgang mit Flächen und das nicht          chen als auf die Berufspendler.                     und an welchem Haltepunkt sie auf ihn war-
nur aus ökologischen Gründen: Der Bedarf              An die Pendler wendet sich jetzt ein neues       ten.“ Dafür bekommen die Fahrer ein Kilo-
an Wirtschaftsflächen wird in der Landes-           Startup mit einem Konzept, das sich an den          metergeld von fünf Cent – unabhängig da-
hauptstadt bis 2030 auf rund 145 Hektar ge-        verbreiteten Fahrgemeinschaften von Ar-             von, ob sie Fahrgäste mitnehmen oder
schätzt. „Aufgrund des Primats der Innen-          beitskollegen orientiert. Und in der Tat be-        nicht. Nach einer sechswöchigen Testphase
entwicklung müssen wir das weitgehend aus          steht ein Standbein der Match Rider UG dar-         ist Match Rider auf dieser Strecke in Regel-
dem Bestand rausholen“, sagt Gwildis. Die          in, solche Fahrgemeinschaften für Unterneh-         betrieb gegangen. Gelingt es, wie geplant
große Herausforderung bestehe nun darin,           men zu organisieren. „Dort finden sich Mit-
die Unternehmen für Kooperationen und              fahrer meist über das schwarze Brett“, weiß
Synergien zu gewinnen.                             Benedikt Krams, Projektleiter des Unterneh-                                 Walter Beck
                                                                                                                               Redaktion
                                                   mens. „Per App lässt sich das aber viel einfa-
                                                                                                                               Magazin Wirtschaft
Fahrgemeinschaft 4.0                               cher und schneller organisieren.“
                                                                                                                               walter.beck@stuttgart.
                                                      Die von Match Rider entwickelte App
                                                                                                                               ihk.de
   Mobilität ist eine andere wichtige „Bau-        macht es aber möglich, das Modell über die
stelle“. Rund 900 000 Menschen pendeln in          Firmentore hinaus der Allgemeinheit zur
der Region Stuttgart täglich zu ihrem Ar-          Verfügung zu stellen. Ebendies haben die            nach sechs Monaten die Wirtschaftlichkeits-
beitsplatz. Ohne es zu wollen, verursachen         Gründer auf der Strecke Tübingen-Stuttgart          schwelle zu erreichen, könnten weitere Stre-
sie dabei Staus, belasten die Luft und verlie-     getan. Seit Mai ist es dort möglich, sich mor-      cken im Norden und Westen der Landes-
ren wertvolle Lebens- und Arbeitszeit auf          gens zwischen 7 und 9 Uhr von Pendlern in           hauptstadt folgen.
der Straße. Mit preisreduzierten Jobtickets        die Landeshauptstadt mitnehmen zu lassen.             Verändert haben sich die Städte schon im-
versuchen bereits jetzt viele Unternehmen,         Nachmittags zwischen 16 und 18 Uhr geht es          mer. Es scheint aber, dass wir in den kom-
ihren Mitarbeitern den Umstieg auf den öf-         wieder zurück.                                      menden Jahren und Jahrzehnten einen neu-
fentlichen Nahverkehr zu erleichtern. Car-            „Wir arbeiten mit 24 Fahrern zusammen,           en Wandel erleben werden – ob mit oder
sharing-Modelle erfreuen sich gerade in            die ohnehin jeden Tag auf dieser Strecke            ohne Weinberge an der Hochhausfassade.

MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17                                                                                                                            13
MAGAZIN            TITELTHEMA

                „Wir sollten überall wo es möglich ist
                konsequent nachverdichten.“
                Wolfgang Schuster erklärt, was eine nachhaltige Stadt ausmacht

       Herr Prof. Schuster, was ist unter               Schuster: Genau. Dadurch wird die räum-
       „nachhaltiger Stadtentwicklung zu ver-      liche Nähe von Wohnen, Arbeiten und Pro-
       stehen?                                     duzieren erstmals seit langem wieder ermög-
     Schuster: Nachhaltigkeit in der Stadtent-     licht. Diese Bereiche waren ja getrennt wor-
wicklung umfasst alle Aspekte, die wichtig         den, um die Menschen vor Emissionen zu
sind, damit eine Stadt im Hinblick auf unsere      schützen. Dies ist größtenteils hinfällig, weil
Kinder und Enkelkinder langfristig zukunfts-       die Produktion viel emissionsärmer gewor-
fähig ist. Im klassischen Modell sind dies die     den ist und der Anteil der Dienstleistungen
Ökologie, die Wirtschaft und das soziale Zu-       zugenommen hat. Lässt man zu, dass die

                                                                                                                                                       Foto: Deutsche Telekom Stiftung
sammenleben. Wie man diese Nachhaltigkeit          Menschen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes
gewähreistet, darüber muss man sich beson-         leben, gelangt man zu einer Stadt der kurzen
ders in einer Region wie der unseren Gedan-        Wege und reduziert den Verkehr.
ken machen, die wegen ihrer wirtschaftlichen             Ist die Nachverdichtung aber nicht eine
Stärke, ihrer Arbeitsplätze und ihrer Lebens-      Belastung für die städtische Infrastruktur?
qualität so attraktiv ist, dass sie Menschen aus        Schuster: Für einen wichtigen Teil der
der ganzen Welt anzieht. Schließlich soll dies     Infrastruktur wie Schulen, Kindergärten und
                                                                                                       Unser Interviewpartner
noch lange so bleiben.                             Einzelhandel sichert die Nachverdichtung
     Worin sehen Sie die größte Heraus-            eine langfristige Auslastung. Was den Ver-          Prof. Wolfgang Schuster
forderung?                                         kehr betrifft, so verhindert sie, dass die Men-     Stuttgarts ehemaliger Oberbürgermeister
     Schuster: Die größte Herausforderung          schen sich ihren Wohnort außerhalb der              (1997­2013) leitet das private Institut für nach­
                                                                                                       haltige Stadtentwicklung und ist Vorsitzender
besteht meiner Ansicht nach im Bauen. Die          Stadt suchen müssen und mit dem Auto ein-
                                                                                                       der Deutschen Telekom Stiftung.
Städte müssen die Nachfrage nach bezahlba-         pendeln. Wir sollten überall wo es möglich
rem Wohnraum bedienen, zugleich aber ihre          ist, konsequent nachverdichten.
Grünflächen bewahren, die für Stadtbild,                  Auf einigen Strecken ist der ÖPNV aber           Schuster: Ich hätte mir gewünscht, dass
Klima, Ökologie und Erholung so wichtig            schon an der Kapazitätsgrenze.                    man in Stuttgart schon viel früher auf Unter-
sind. Stuttgart ist mit rund 5000 Hektar                Schuster: So heißt es immer wieder. Als      nehmen wie Bosch oder Daimler zugegan-
Wald eine der grünsten Großstädte der Welt,        regelmäßiger Bus- und Bahnnutzer kann ich         gen wäre, um im kooperativen Miteinander
39 Prozent des Stadtgebiets stehen unter           das aber so nicht bestätigen. Außerhalb der       Lösungen zu erarbeiten. Wir brauchen die
Natur- oder Landschaftsschutz, wozu ich in                                                           Unternehmen, um beispielsweise den Diesel-
meiner Amtszeit maßgeblich beigetragen                                                               motor, der es noch lange eine wichtige Rolle
habe.                                                    Viel lässt sich erreichen,                  spielen wird, schadstoffärmer zu machen.
    Wie kann man diesen Konflikt auflösen?.                                                            Als Region, die vom Auto lebt und weiter in
     Schuster: Eine ganz wichtige Rolle spielt
                                                           indem Unternehmen                         alle Welt Autos verkaufen will, müssen wir
hier die Nachverdichtung. Das betrifft einer-           ihre Arbeitszeiten flexibler                  aber auch nach neuen Wegen suchen, die
seits die Wohngebiete im Bestand, wo man              gestalten und Mitarbeitern die                 Dienstleistung Mobilität zu organisieren.
zum Beispiel durch Aufstockung in modula-                                                            Dazu gehören vor allem intermodulare Ver-
rer Leichtbauweise Wohnraum für eine grö-                 Anfahrt außerhalb der                      kehrsmodelle, die den ÖPNV durch Angebo-
ßere Zahl von Menschen schaffen kann.                    Stoßzeiten ermöglichen.                     te wie Park&Ride, Rent a Bike oder Car2Go
     Hierzu haben Sie gemeinsam mit dem                                                              erweitern und damit attraktiver machen. Nur
Stuttgarter Architekten Werner Sobek ein                                                             ein Gesetz zu erlassen, das Fahrverbote er-
Unternehmen gegründet (vgl. Seite 10).             Stoßzeiten ist es überhaupt kein Problem, in      möglicht, reicht definitiv nicht.
     Schuster: Ja, den Anstoß gab der Proto-       S-Bahn oder Stadtbahn einen Platz zu fin-                Wer sollte dabei die Zügel in die Hand
typ des Aktivhauses B10 auf dem Killesberg.        den. Natürlich müssen wir die Leistungsfä-        nehmen?
Ich finde bis heute, dass eine Region, die im       higkeit des öffentlichen Nahverkehrs im VVS            Schuster: In erster Linie das Rathaus --
Maschinen- und Fahrzeugbau und der IT-In-          ständig verbessern und ausbauen. Viel lässt       wer denn sonst? Wir brauchen aber keinen
dustrie für Innovation steht, diesem An-           sich aber schon jetzt dadurch erreichen, dass     Top-down-Ansatz, sondern eine breite Initia-
spruch auch im Bauen besser gerecht werden         die Unternehmen ihre Arbeitszeiten flexib-         tive, die sowohl die in unserer Region stark
sollte. Technische Neuerungen sind aber            ler gestalten und ihren Mitarbeitern die An-      entwickelte Zivilgesellschaft einschließt wie
nicht die einzige Chance für die Nachver-          fahrt außerhalb der Stoßzeiten ermöglichen.       auch die Wissenschaft und natürlich die
dichtung. Einen weiteren Ansatz bietet neu-        Hierzu gibt es schon sehr gute Ansätze.           Wirtschaft. Letztere vor allem in Gestalt ih-
erdings die Öffnung des Planungsrechts.                 Wird das alles genügen, um die Proble-       rer öffentlich-rechtlich organisierten Institu-
    Sie meinen die neue Baugebietskategorie        me zu lösen, die gerade auch Stuttgart mit        tionen -- der Handwerkskammer und der
der „urbanen Gebiete“?                             Verkehr und Luftschadstoffen hat?                 IHK.

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RAT & TAT

IT-Sicherheit durch Mobile Device Management
In den letzten Jahren haben Smartphones und Tablets ver-
mehrt Einzug in die Geschäftswelt gehalten. Mithilfe von
Mobile Device Management (MDM) können diese mobilen
Endgeräte in die IT-Infrastruktur im Unternehmen integriert
und zentral verwaltet werden. Aber auch Sicherheitsricht-
linien und Konfigurationsparameter können so besser
durchgesetzt werden. Das Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik hat nun einen Mindeststandard zur Er-
höhung der Informationssicherheit bei MDM veröffentlicht.
www.stuttgart.ihk.de, Nr. 3735468

                 Telegramm Meldungen für den Mittelstand
                 Aktuelle Tipps und unternehmensrelevante Kurzmeldungen
      Der Umsatz mit Industrie-4.0-Lösungen       württembergischen Hochschulen. Jede vierte      markt- und Berufsforschung (IAB), für das
      wird im laufenden Jahr um 21 Prozent        Habilitation wurde von einer Frau abgelegt.     jährlich rund 15 000 Betriebe befragt wer-
      auf 5,9 Milliarden Euro steigen. Dies hat        Den Internethandel mit Chemikalien und     den.     Eine Erwerbstätigenquote von 50 Pro-
eine Prognose im Auftrag des Fachverban-          Bioziden hat die Marktüberwachung Baden-        zent unter den Flüchtlingen nach etwa fünf
des „Bitkom“ ergeben.       Welche Regularien     Wüttemberg überprüft. 80 Prozent der Ange-      Jahren hält das Institut für Arbeitsmarkt- und
für Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gelten,      bote wurden beanstandet. Häufigster Fehler       Berufsforschung (IAB) für realistisch. 2016
welche Aufenthaltspapiere es gibt und wo          war der fehlende Gefahrenhinweis. Weitere       waren von den 2015 zugezogenen Flüchtlin-
entsprechende Hinweise stehen, hat das            Kontrollaktionen folgen. www.stuttgart.ihk.     gen im erwerbsfähigen Alter zehn Prozent
Netzwerk „Unternehmen integrieren Flücht-         de, Nr. 3750252      Junge Fachkräfte haben     erwerbstätig, von den 2014 zugezogenen 22
linge“ zusammengestellt: www.stuttgart.ihk.       nach Abschluss ihrer Lehre die Möglichkeit,     Prozent und von den 2013 zugezogenen 31
de, Nr. 3742702        Die Unterstützung des      amerikanisches Leben und Arbeiten aus erster    Prozent. Das zeigt eine repräsentative Be-
Technologietransfers ist ein wichtiger Schwer-    Hand kennenzulernen. Die Bewerbungsfrist        fragung von mehr als 4800 Flüchtlingen
punkt der IHK-Arbeit. Konkrete Angebote           für das Parlamentarische Patenschafts-Pro-      durch das IAB.          2016 erhielten 25 500
für Unternehmen sowie Zahlen und Praxis-          gramm (PPP) läuft noch bis zum 15. Septem-      Studenten ein Deutschlandstipendium nach
beispiele haben die baden-württembergischen       ber. www.stuttgart.ihk.de, Nr. 135259           dem Stipendienprogramm-Gesetz. Das sind
IHKn in der zweiten Auflage ihrer Technologie-     2016 arbeiteten 48 Prozent der Beschäftigten    fünf Prozent mehr als 2015. Gemessen an der
transferbroschüre zusammengestellt. www.          in Deutschland in Betrieben, für die ein        vorläufigen Gesamtzahl der Studierenden des
stuttgart.ihk.de, Nr. 126361       259 Wissen-    Branchentarifvertrag gilt. Das zeigen Daten     Wintersemesters 2016/2017 ist das aber nur
schaftler habilitierten sich 2016 an baden-       des Betriebspanels des Instituts für Arbeits-   ein Anteil von 0,9 Prozent.

MAGAZIN WIRTSCHAFT 07.17                                                                                                                    15
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                                                                                                      Einkommensteuer (inkl. Lohnsteuer)
                                                                                                        Die Grenze für die quartalsweise Abgabe
                                                                                                      von Lohnsteuer-Anmeldungen steigt rück-
                                                                                                      wirkend ab dem 1. Januar von 4000 Euro auf
                                                                                                      5000 Euro. Auch bei der Lohnsteuer-
                                                                                                      pauschalierung ändert sich etwas: Bei Mit-
                                                                                                      arbeitern, die maximal an 18 zusammen-
                                                                                                      hängenden Arbeitstagen beschäftigt werden,
                                                                                                      muss der Arbeitgeber für den Arbeitslohn
                                                                                                      pauschal nur 25 Prozent Lohnsteuer be-
                                                                                                      zahlen. Voraussetzung: Der Arbeitslohn
                                                                                                      während der Beschäftigungsdauer darf
                                                                                                      durchschnittlich 72 Euro pro Arbeitstag
                                                                                                      nicht übersteigen. Dieser Wert lag zuvor
                                                                                                      noch bei 68 Euro und musste aufgrund der
Ein paar Ordner (und ein paar Euro) können Unternehmen dank Bürokratieentlastungsgesetz sparen.
                                                                                                      Anhebung des Mindestlohns auf 8,84 Euro
                                                                                                      entsprechend angepasst werden.

Weniger Bürokratie                                                                                    Kleinbeitragsrechnung bis 250 Euro

weniger Steuern
                                                                                                         Ebenfalls rückwirkend zum 1. Januar
                                                                                                      wird die Grenze für Kleinbetragsrechnun-
                                                                                                      gen von 150 auf 250 Euro (brutto) erhöht.
Vom zweiten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG II) profitieren auch kleine Firmen                        Die Kleinbetragsregelung in § 33 Umsatz-
                                                                                                      steuerdurchführungsverordnung (UStDV)
                                                  hoben. Dies entlastet die Unternehmen, die          trägt in der Praxis zu einer Erleichterung
                     Sebastian Schieder           Wirtschaftsgüter nun ohne den Umweg über            beim Vorsteuerabzug bei, denn dieser setzt
                     IHK Region Stuttgart         das Anlageverzeichnis sofort als Betriebsaus-       voraus, dass der Leistungsempfänger eine
                     sebastian.schieder@          gabe geltend machen können.                         ordnungsgemäße Rechnung besitzt, die um-
                     stuttgart.ihk.de                Wichtig: Die ebenfalls diskutierte An-           fangreiche Pflichtangaben zu enthalten hat.
                                                  hebung der Grenze für geringwertige Wirt-           Die Kleinbetragsregelung bestimmt für den
                                                  schafts-güter von 410 Euro auf 800 Euro ist         Vorsteuerabzug aber geringere An-
      677,5 Millionen Euro kostete der büro-      nicht Teil des BEG II, sondern Gegenstand           forderungen an eine Rechnung: So sind ins-
      kratische Aufwand die deutsche              des Gesetzes gegen schädliche Steuerprakti-         besondere die Angabe des Leistungsemp-
      Wirtschaft laut Statistischem Bundes-       ken im Zusammenhang mit Rechteüber-                 fängers sowie ein gesonderter Umsatzsteuer-
amt im letzten Jahr. Auf Drängen der IHKs         lassung (sog. Lizenzschranke), das Bundestag        ausweis nicht erforderlich. Wichtig: Weiter-
und anderer Wirtschaftsvertreter hat der          und -rat bereits beschlossen haben. Darin           hin gilt aber, dass die Kleinbetragsrechnung
Gesetzgeber nun das zweite Bürokratie-            enthalten ist auch die Anhebung der unteren         keine Anwendung findet im Versandhandel,
entlastungsgesetz verabschiedet. Ziel ist es,     Wertgrenze zur Bildung eines Sammelpos-             bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
bürokratische Hemmnisse und Verfahrens-           tens auf 250 Euro. Die Obergrenze von 1000          sowie bei der Umkehr der Steuerschuld ge-
abläufe gerade für kleine und Kleinstbetriebe     Euro bleibt enthalten. Die Anhebung wird            mäß § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG).
abzubauen. Auch wenn die darin enthaltenen        für Investitionen ab 2018 gelten. Sie ist ein
steuerlichen und außersteuerlichen Entlas-        großer Erfolg für die IHK, die lange für eine       Kürzere Aufbewahrungsfristen
tungen hinter den Erwartungen zurück-             Anhebung geworben hat.
geblieben sind, sind sie doch ein wichtiger                                                             Bislang müssen Lieferscheine bis zu zehn
Schritt in Richtung Bürokratieabbau.                                                                  Jahre aufbewahrt werden, damit sie im Falle
   Steuerlich ändert sich vor allem folgendes –                   S
                                                                  Steuertipp                          einer Steuerprüfung dem Finanzamt vor-
das meiste davon übrigens rückwirkend:                            d Monats
                                                                  des                                 elegt werden können. Künftig müssen sie
                                                                                                      dann nicht mehr aufbewahrt werden, wenn
Grenze für geringfügige                             Fordert
                                                       d ddas Finanzamt zum Wechsel von der           deren Inhalt eingangs- beziehungsweise aus-
Wirtschaftsgüter steigt                             Gewinnermittlung nach Einnahmen­Über­             gangsseitig durch die entsprechende Rech-
                                                    schussrechnung zur Bilanzierung auf und ent­      nung dokumentiert ist und die empfange-
  Für sogenannte geringwertige Wirtschafts-         steht dadurch ein Übergangsgewinn (Saldo          nen oder abgesandten Lieferscheine keine
güter, die sofort abgeschrieben werden              aus Zu­und Abrechnungen), kann dieser auf         Buchungsbelege sind. Wichtig: Erfolgt bei
dürfen, galten bisher steuerliche Aufzeich-         Antrag auf drei Jahre verteilt besteuert werden   den Rechnungsangaben ein Verweis auf-
nungspflichten, sofern deren Anschaffungs-           (R 4.6. Abs. 1 Satz 2 EStR). Für einen Über­      Lieferscheine, sind diese Bestandteil der
oder Herstellungskosten über 150 Euro lagen.        gangsverlust gibt es dagegen kein Wahlrecht.      Rechnung und somit auch weiterhin zehn
Die Grenze wird ab 2018 auf 250 Euro ange-                                                            Jahre aufzubewahren.

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