MAX PLANCK FORSCHUNG - ZUR SICHERHEIT
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Ausgabe 01 | 2023 Max Planck Forschung MAx-Planck-Gesellschaft Biologie Astronomie Ein Spiegel ihrer Zeit Hunger ist Kopfsache Am Ursprung der Milchstraße Zur Sicherheit
F o t o: R EU T E R S/C a r l o s Ba rr i a 2 W ürdigung für einen Verteidiger der Demokratie: Polizisten erweisen Brian Sicknick am Kapitol in Washington die letzte Ehre. Der Polizist verteidigte den US-Kongress am 6. Januar 2021 gegen den Ansturm von Trump-Anhängern. Er starb einen Tag darauf an den Folgen zweier Schlag- anfälle. Diese wurden ge- richtlich als natürliche Todes- ursache eingestuft, unklar ist aber ob der Sturm auf das Kapitol zur Auslösung der Schlaganfälle beitrug. Max Planck Forschung · 1 | 2023
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser Das Kapitol in Washington ist das Symbol für Demokratie schlechthin. Der Sturm auf das Allerheiligste der amerikanischen Demokratie Anfang 2021 hat deutlich gemacht, wie verwundbar Demokratien sind. Auch in anderen Ländern ist die Gewaltbereitschaft gegenüber staatlichen Institutionen in den letzten Jahren gestiegen. Die Ereignisse schei- nen oft in keinem erkennbaren Zusammenhang zu stehen, Fachleute sprechen von „Zufallsterror“. Neueste Forschungsergebnisse sehen jedoch keine sozial isolierten Einzel- täter am Werk, sondern eine Strategie miteinander vernetzter Gleichgesinnter. Diese schaffen durch Lügen und Verschwörungstheorien ein geistiges Umfeld, das solche Taten ermöglicht. Eine vergleichsweise neue Form der Kriminalität ist das Verbreiten von Schadprogrammen, mit denen sich elektronische Geräte ausspähen lassen. Da bei der Entwicklung neuer 3 Software die Sicherheit oft nachrangig ist, enthalten Programme häufig Schwachstellen, die Kriminelle ausnutzen können. Mit einem neuen Verfahren wollen Forschende diese Schlupflöcher effizienter aufspüren. Wie sicher eine Gesellschaft ist, hängt auch von ihrem Umgang mit Straftätern ab: „Weg- schließen – für immer!“ Das forderte 2001 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder für den Umgang mit Sexualstraftätern. Auch bei anderen Gewaltdelikten werden oftmals besonders strenge Strafen gefordert. Doch senkt eine lange Zeit im Gefängnis die Gewalt- bereitschaft? Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie und der Hirnforschung legen nahe, dass ein Strafrecht, das auf Vergeltung, Abschreckung und Ausgrenzung setzt, genau die Gewalt fördert, die es eigentlich verhindern möchte. Die vorliegende Ausgabe von Max Planck Forschung ist die erste nach einer großen Verän- derung. Unser langjähriger Chefredakteur und hochgeschätzter Kollege Helmut Hornung hat sich vor Kurzem in den Ruhestand verabschiedet. Sein Lieblingsbonmot „Die Lücke, die er hinterlässt, ersetzt ihn vollkommen“ trifft in seinem Fall nicht zu: Er fehlt uns! Aber wir versprechen: Wir werden das Magazin mit derselben Begeisterung für die span- nenden Geschichten rund um die Wissenschaft weiterführen. Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Ihr Redaktionsteam Max Planck Forschung · 1 | 2023
Bi l de r : A l essa n dro G o t ta r d o ( l i n ks obe n ); A n t hon y Sajdl e r ( r ec h ts obe n ); A d obe S t o c k / C omof o t o ( l i n ks u n t e n ); Sve n D ör i ng fü r M PG ( r ec h ts u n t e n ) 30 36 52 58 30 Leidvoll 36 vertrauensvoll 52 Gehaltvoll 58 Anspruchsvoll Die Erfahrungen von Straf- Hannah Pools Forschung wurde Fett- und zuckerreiche Nahrung Die verknüpften Nervenzellen gefangenen erschweren ihre erst durch ihre engen Bindungen spricht das Belohnungssystem des Gehirns sind Vorbild Resozialisation. zu Flüchtenden möglich. im Gehirn besonders an. für künstliche neuronale Netze. Max Planck Forschung · 1 | 2023
Inhalt 03 | Editorial 36 | besuch bei Hannah Pool 06 | orte der forschung Palazzo Chiaramonte in Palermo 44 | Zweiter Blick 46 | 75 Jahre 8 | kurz notiert Max-Planck-Gesellschaft 12 | ZUR SACHE Ein Spiegel ihrer Zeit Die Max-Planck-Gesellschaft ist bekannt Es geht um die Wurst für ihre wissenschaftlichen Erfolge, Um den Klimawandel zu bremsen, müssen doch sie war und ist auch eine Akteurin wir auch unsere Ernährung umstellen. Ein der Zeitgeschichte, zum Beispiel Mix aus sanften und harten Maßnahmen bei der deutschen Wiedervereinigung. könnte den klimaschädlichen Fleischkonsum reduzieren. wissen aus 16 | Infografik 52 | Hunger ist Kopfsache Die Evolution der Hausmaus Hunger und Appetit werden durch Prozesse 5 im Gehirn gesteuert, die uns Menschen lange evolutionäre Vorteile brachten und ent- iM FOKUS sprechend schwierig zu beeinflussen sind. Zur Sicherheit 58 | Intelligenz mit Plan 18 | Vom Funken zum Feuer Eine mathematische Theorie künstlicher Bei der zunehmenden politischen Gewalt neuronaler Netze soll helfen, künst- scheint es sich oft um die Aktionen Einzelner liche Intelligenz besser zu verstehen und zu handeln. Doch auch der „Zufallsterror“ zu optimieren. folgt Mustern. Diese zu verstehen hilft bei der Prävention von Anschlägen. 64 | Am Ursprung der Milchstraße Die ersten Milliarden Jahre unserer techmax 24 | Schlupfloch im Programm Galaxie verliefen turbulent – mit einer Eine neue Methode macht die Suche nach Art kosmischer Archäologie lässt Wunderlampe aus dem Sicherheitslücken in Software deutlich sich diese Geschichte rekonstruieren. Quantenland – wie der Laser effizienter – Unternehmen wie Google nutzen den Alltag der Medizin sie bereits. erobert 70 | Post aus ... 30 | Lebenslang Grenada, Karibik So wie Strafvollzug in vielen Ländern praktiziert wird, erschwert er die Wieder- 72 | neu erschienen eingliederung in die Gesellschaft – aber es geht auch anders. 74 | fünf fragen zu ChatGPT und Urheberrechten 75 | impressum Max Planck Forschung · 1 | 2023
orte der forschung D er spätgotische Palazzo Chiaramonte in Palermo, auch Lo Steri (Festungspalast) genannt, hat eine wechselvolle Geschichte. Heute eine von Palermos Sehenswürdigkeiten, war der Steri im 17. und 18. Jahrhundert Sitz des Inquisitions- gerichts und seiner düsteren Gefängnisse. Menschen ver- schiedenster Religionen und Herkunft waren hier inhaftiert. Die Wände der Zellen sind mit Zeichnungen bedeckt, teilweise in 7 F o t o: Si s t ema M usea l e di At e n e o de l l ›U n i ve r si tà degl i S t udi di Pa l e r mo mehreren Schichten. Neben religiösen Darstellungen finden sich Karten und Inschriften in vielen Sprachen, unter anderem Italienisch, Sizilianisch, Hebräisch, Latein und Englisch. Das Bild zeigt die auch heute vor allem in der Ostkirche noch sehr bedeutende Ikonografie des Abstiegs Christi in die Unterwelt: In der Zeit zwischen seinem Tod am Kreuz und der Auferstehung in der Osternacht steigt Christus ins Reich des Todes hinab. Dort errettet er die Seelen der Gerechten – hier verkörpert durch die Patriarchen des Alten Testaments – aus dem Rachen des Leviathan, des biblischen Ungeheuers, das die Sünder verschlingt. Ein kleines Tor auf der linken Seite der Zeichnung symbolisiert den Eingang zu den Kerkern. Die Inschrift darunter entspricht jener auf dem Tor zur Hölle in Dantes Göttlicher Komödie, übersetzt meist als „Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren“. Doch Christus gibt dem Gläubigen Hoffnung auf Erlösung. Das am Kunsthistorischen Institut in Florenz angesiedelte Pro- jekt Graffiti Art in Prison, eine internationale Partnerschaft, geleitet von der Università degli Studi di Palermo, befasst sich mit historischen ebenso wie mit zeitgenössischen Graffiti und Wandmalereien. Es geht um Orte der Unfreiheit, Entbehrung und Zensur – Gefängnisse ebenso wie Konzentrationslager oder psychiatrische Kliniken – und die kreativen Reaktionen auf diese Umgebungen: materiell, körperlich, psychologisch, politisch, sozial, religiös, räumlich und zeitlich. Max Planck Forschung · 1 | 2023
Hoher Besuch weit oben Im Rahmen einer Brasilienreise besuch- xen Wechselwirkungen zwischen dem namensgebenden 325 Meter hohen ten Bundespräsident Frank-Walter größten tropischen Regenwald der Erde, Turm, den sie bis zur ersten Zwischen- Steinmeier und Bundesumweltminis der Atmosphäre und dem Weltklima. plattform in 54 Meter Höhe bestiegen. terin Steffi Lemke Anfang Januar 2023 Susan Trumbore, Direktorin am Max- Die beiden zeigten sich beeindruckt von das Amazon Tall Tower Observatory Planck-Institut für Biogeochemie und dem Hightech-Standort mitten im bra- (Atto), ein Gemeinschaftsprojekt zweier deutsche Koordinatorin des Atto-Pro- silianischen Regenwald. „Hier wird so- Max-Planck-Institute mit zwei brasilia- jekts, führte die Delegation durch die zusagen der Puls des Weltklimas gemes- nischen Forschungseinrichtungen. For- Forschungsstation. Steinmeier und sen“, resümierte der Bundespräsident. schende untersuchen dort die komple- Lemke besichtigten unter anderem den www.mpg.de/19713754 F o t o: Bu n desr egi e ru ng / Gu i d o B e rgma n n Über den Bäumen: Rekord bei Max-Planck-Forscher Stefan Wolff erläutert Wendel- dem Bundespräsiden- ten auf der ersten stein 7-X Zwischenplattform von Atto in 54 Meter Gerade erst wieder in Betrieb ge- Höhe, welche Fragen nommen, und schon eine neue Best- in der Forschungs- marke gesetzt: Nachdem Wendel- station bearbeitet stein 7-X drei Jahre lang umgebaut 8 werden. wurde und unter anderem eine leis- tungsfähigere Heizung sowie eine Wasserkühlung erhalten hat, haben die Forschenden des Max-Planck-In- stituts für Plasmaphysik darin nun ein Plasma für acht Minuten stabil gehalten. Vor dem Umbau hatten sie das lediglich für 100 Sekunden ge- schafft. Letztlich soll Wendelstein 7-X ein Plasma 30 Minuten lang auf- ausgezeichnet rechterhalten, um seine Eignung für die Kernfusion im Dauerbetrieb zu F o t o: M PI fü r Bio c hem i e / Dav i d Ausse r hofe r beweisen. Dabei wollen die Forschen- BRENDA SCHULMAN den das Plasma auf 60 Millionen Grad aufheizen, was in einer größe- Mit dem Louis-Jeantet- ren Anlage den 100 Millionen Grad Preis für Medizin geht entspräche, die für die Zündung der eine der angesehensten Auszeichnungen der Kernfusion nötig sind. Im aktuellen biomedizinischen Experiment heizten sie das Plasma Forschung dieses Jahr an auf 17 Millionen Grad, hatten in kür- Brenda Schulman, zeren Experimenten aber auch schon Direktorin am Max- 30 Millionen Grad erreicht. Bei Wen- Planck-Institut für Bio- delstein 7-X handelt es sich um einen chemie. Sie erhält den Preis Stellarator. Das ist ein Bauprinzip ei- gemeinsam mit Ivan Ðikić von der nes Fusionsreaktors, der durch die Goethe-Universität in Frankfurt am Main für ihre Beiträge Verschmelzung leichter Atomkerne zur Erforschung des Proteins Ubiquitin, das eine Schlüssel- Energie erzeugen soll. Neben dem rolle für die Gesundheit unserer Zellen spielt. Ubiquitin Stellarator erforscht das Max- wird an andere Proteine angehängt, um sicherzustellen, dass verschiedene Prozesse in unseren Zellen in der richtigen Planck-Institut für Plasmaphysik den Reihenfolge ablaufen. Eine Fehlfunktion kann zur Ent- alternativen Tokamak. Als solcher stehung von Krankheiten wie Krebs oder von Infektionen wird auch Iter, das bis dato weltweit beitragen. Brenda Schulman und Ivan Đikić haben solche größte Fusionsexperiment, gebaut. wichtigen Steuerungsvorgänge des Ubiquitins aufgedeckt. www.ipp.mpg.de/5322014 Max Planck Forschung · 1 | 2023
Kurz notiert F o t o: A n na S c h rol l fü r M PG Effektiver Test Eine zuverlässige Diagnose latenter Tuberkulose – einer symptomlosen und nicht ansteckenden Form der Krankheit – wäre ein wichtiger Bau- stein für die Bekämpfung des Erre- gers. Latent infizierte Personen stel- len ein Reservoir für Tuberkelbazil- 9 len dar. Zudem kann die Krankheit bei einer Schwächung des Immun- systems ausbrechen. Vor immunsup- Joachim Gauck, Bundespräsident a. D. und Max-Planck-Senator, sprach beim pressiven Therapien, etwa vor einer 75-jährigen Jubiläum der Max-Planck-Gesellschaft. Organtransplantation oder einer Chemotherapie, müssen Patienten daher auf latente Tuberkulose unter- sucht werden. Die verfügbaren Tests Blick zurück nach vorn sind bei Menschen, die gegen Tuber- kulose geimpft sind oder vor langer Am 26. Februar 2023 feierte die wichtig Wissenschaft ist. Der Histo- Zeit eine Tuberkuloseinfektion hat- Max-Planck-Gesellschaft ihre Grün- riker Jürgen Kocka, Mitglied der For ten, oft falsch-positiv. Das Schweizer dung vor 75 Jahren. Mehr als 200 schungsgruppe zur Geschichte der Start-up Clemedi arbeitet nun an Gäste kamen zu einem Festakt im Max-Planck-Gesellschaft, stellte de- besseren Tests. Basis dafür ist eine Deutschen Museum in München – ren Entwicklung in seinem Festvor- Methode, die am Max-Planck-Insti- unter ihnen Bundesforschungsmi- trag als Teil der Zeitgeschichte dar. tut für Infektionsbiologie in Berlin nisterin Bettina Stark-Watzinger, der Eine gekürzte Fassung dieses Vor- und an der Medizinischen Universi- niedersächsische Wissenschaftsmi- trags lesen Sie ab Seite 46. Max- tät Wien entwickelt wurde und es er- nister Falko Mohrs und der US-ame- Planck-Präsident Martin Stratmann möglicht, DNA des Erregers Myco rikanische Generalkonsul Timothy nannte seine Wünsche für das Ge- bacterium tuberculosis aus dem Blut Liston. Die Eröffnungsrede hielt burtstagskind: unter anderem ein latent Infizierter zu extrahieren. Im Joachim Gauck, Bundespräsident a. D. langes Leben; den Mut, etwas aus Dezember 2022 hat Clemedi für die und Senator der Max-Planck-Ge- den eigenen Gaben zu machen; die Nutzung dieser Technik eine Lizenz- sellschaft: Selten in der Geschichte Fähigkeit, Wege jenseits ausgetrete- vereinbarung mit der Max-Planck- der Menschheit, so Gauck, sei man ner Pfade zu suchen; ein gesundes Gesellschaft und der Medizinischen so sehr auf die Unterstützung durch Maß an Unangepasstheit; die Sehn- Universität Wien getroffen. die Forschung angewiesen gewesen sucht nach intellektueller Erfüllung www.mpg.de/19676398 wie heute. Die aktuellen Krisen – da- und Neugier. Nach dem Festakt runter der Klimawandel als die wohl wurde die Ausstellung „Pioniere des größte Herausforderung – hätten Wissens“ über die Nobelpreisträge- auch außerhalb der Forschungs rinnen und -preisträger der MPG er- gemeinschaft deutlich gemacht, wie öffnet. www.mpg.de/19900080 Max Planck Forschung · 1 | 2023
Kurz notiert Starke Schwankungen: Manche Frauen sind in den Tagen vor ihrer Regelblutung Musikalisch, aber psychisch erheblich beeinträchtigt. Die Ursache ist eine relativ schnelle psychisch labil Veränderung im Transport des Boten- stoffs Serotonin im Gehirn. Intuitiv glauben viele Menschen, pressionen und bipolare Störungen Musizieren sei gut für eine gesunde im Durchschnitt häufiger musika- Psyche. Dennoch wies 2019 ein For- lisch aktiv waren, mehr übten und Bi l d: M PI fü r Ko gn i t ions - u n d Neu row i sse ns c haf t e n schungsteam erstmals einen Zu- Leistungen auf höherem künstleri- sammenhang zwischen musikali- schem Niveau erbrachten. Diese schem Engagement und psychi- Zusammenhänge traten unabhängig schen Problemen nach. Demnach davon auf, ob die Personen tatsäch- berichten musikalisch aktive Men- lich psychische Probleme hatten. schen häufiger über Symptome von Gleichzeitig hatten Teilnehmende Depressionen, Burn-out und Ver- mit einer höheren genetischen Ver- haltensstörungen als Personen, die anlagung zur Musikalität im Durch- nicht Musik machen. In einer weite- schnitt auch ein etwas höheres Ri- ren Studie hat das Team, das inzwi- siko, an einer Depression zu erkran- schen am Max-Planck-Institut für ken – unabhängig davon, ob sie empirische Ästhetik forscht, nun tatsächlich ein Musikinstrument den genetischen Zusammenhang spielten oder nicht. Diese Ergebnisse zwischen Musikalität und der Ver- untermauern die Vermutung, dass anlagung für psychische Erkran- teilweise dieselben Gene das musi- Depressive kungen untersucht. Die Auswertung zeigte, dass Personen mit einem hö- kalische Engagement und die psy- chische Gesundheit beeinflussen. Tage heren genetischen Risiko für De- www.mpg.de/012023de Das prämenstruelle Syndrom ist mittlerweile vielen ein Begriff. Des- sen schwerere Form, die prämenstru- elle Dysphorie (PMDS), beeinträch- 10 tigt Betroffene besonders stark. Symp tome sind etwa Schlafstörungen, De- pressionen, Aggressivität und Kon- Erst die Landwirtschaft zentrationsstörungen. Bis zu acht Prozent der Frauen im gebärfähigen macht das Unkraut Alter sind davon betroffen. Ein For- Intensive Landwirtschaft übt einen gen beteiligt waren. Die Wissen- schungsteam des Max-Planck-Insti- so starken Selektionsdruck auf schaftlerinnen und Wissenschaftler tuts für Kognitions- und Neurowis- Wildpflanzen aus, dass diese sich zu haben das Erbgut des Raufrucht- senschaften und des Universitätskli- schwer kontrollierbaren Unkräutern Wasserhanfs von heute mit dem von nikums Leipzig hat herausgefunden, entwickeln können. Das zeigt eine 200 Jahre alten Exemplaren in Mu- dass der Spiegel des Botenstoffs Studie, an der Forschende des Max- seen verglichen. Die Pflanze ist in Serotonin im Gehirn bei Frauen mit Planck-Instituts für Biologie Tübin- Nordamerika heute ein von Land- PMDS kurz vor der Menstruation wirten gefürchtetes Unkraut. Be- sinkt. Dieser Befund ist überra- sonders häufig waren in den heuti- schend, weil man bisher dachte, die gen Pflanzen Gene verändert, die F o t o: U n i ve r si t y of B r i t i sh C olumbi a / J u l i a K r e i n e r Regelung des Serotoninspiegels sei für schnelleres Wachstum sorgen ein individuelles Merkmal, das sich und die Pflanzen unempfindlicher nicht in kurzfristigen Zeitspannen gegen Trockenheit und Pflanzen- von zwei Wochen verändert – norma- vernichtungsmittel machen. Auffäl- lerweise geht man von geringfügigen lig ist, dass die Häufigkeit von Gen- Veränderungen alle zehn Jahre aus. varianten, die an die moderne Land- Diese Erkenntnis kann nun in der wirtschaft angepasst sind, seit deren Therapie genutzt werden, indem die Intensivierung in den 1960er-Jahren Patientinnen gezielt, nur über wenige schnell angestiegen ist. Von den sie- Tage, Antidepressiva mit einem ben Resistenzgenen des heutigen Wirkstoff einnehmen, der die Wieder- Wasserhanfs gegen Herbizide kamen aufnahme von Serotonin hemmt. zum Beispiel fünf in den histori- www.mpg.de/19816722 schen Exemplaren noch nicht vor. Pflanzen, welche eine dieser sieben Mutationen besitzen, produzieren Maispflanzen wachsen inmitten von fast 20 Prozent mehr Nachkommen Wasserhanf (rechts) schlechter als ohne als Pflanzen im Jahr 1960. das Unkraut (links). www.mpg.de/19619839 Max Planck Forschung · 1 | 2023
Kurz notiert Attraktive Pilze Massenbefall mit Borkenkäfern schä- nales Forschungsteam unter der Fe- digt zunehmend Wälder in Deutsch- derführung des Max-Planck-Insti- land, die bereits durch hohe Tempe- raturen und anhaltende Dürreperio- tuts für chemische Ökologie hat nachgewiesen, dass die Buchdrucker für Chemie den geschwächt sind. Einer der wichtigsten Schädlinge ist der Fich- Substanzen attraktiv finden, die die Pilze beim Abbau von Fichtenharz und Life Sciences tenborkenkäfer, auch Buchdrucker freisetzen. Die Insekten nehmen die genannt. Haben die Käfer einen ge- gasförmigen Verbindungen mit spe- eigneten Baum gefunden, so geben zialisierten Sinneszellen auf ihren sie Duftstoffe ab, sogenannte Phero- Antennen wahr. Welche für die Bor- Von Chemikern für Chemiker – mone, die Artgenossen anlocken. Die kenkäfer nützlichen Pilze im Baum Nutzen Sie das Netzwerk Käfer verbünden sich zudem mit Pil- vorhanden sind, ist vermutlich ent- zen in der Rinde, damit sie sich in den scheidend für den Massenbefall. Die der GDCh: Bäumen vermehren können. Die Forschenden testen nun, ob die zur Pilze versorgen die Käfer mit Nähr- Abwehr von Borkenkäfern eingesetz- Stellenmarkt – Online und in stoffen und schützen sie vor Krank- ten Pheromonfallen wirksamer sind, den Nachrichten aus der Chemie heitserregern. Außerdem helfen sie wenn sie Substanzen aus dem Pilz- CheMento – das GDCh-Mentoring- den Käfern, die Abwehrkräfte der stoffwechsel enthalten. Bäume zu überwinden. Ein internatio www.mpg.de/19880257 programm für chemische Nachwuchskräfte Publikationen rund um die Karriere F o t o: M PI fü r c hem i s c he Ökol o gi e / Di n eshkuma r K a n dasam y Coachings und Workshops Jobbörsen und Vorträge Einkommensumfrage A nze ige Ein frisch geschlüpfter Buchdrucker ist in seiner Puppenwiege von Pilzsporen umgeben. Ins richtige Tröpfchen Proteine einer Zelle sammeln sich in Proteinmolekülen gefunden, die häufig in Tröpfchen, sogenannten als Etiketten dienen. Zudem entdeck- Kondensaten, die Öltropfen in einem ten sie, dass Mutationen im Gen für Salatdressing ähneln. In der konzen- das Protein HMGB1 den Teil des trierten Form können die Proteine Proteins verändert, der wie ein loses ihre Aufgaben besser erfüllen. Spezi- Gummiband aus dem Protein her- elle Abschnitte der Aminosäurekette aushängt. Das Protein wandert dann eines Proteins wirken gewisserma- fälschlicherweise in ein Kondensat ßen als Adressetiketten und dirigie- im Zellkern, verklumpt dort und ren ein Protein ins richtige Tröpf- kann seine Aufgabe nicht mehr erfül- chen. Landet ein Protein im falschen len. Dies verursacht das BPTA-Syn- Tröpfchen, kann dies Erkrankungen drom, eine seltene genetische Er- verursachen. Forschende unter ande- krankung, bei der es zu Fehlbildun- rem des Max-Planck-Instituts für gen von Gliedmaßen und des Ge- molekulare Genetik haben Abschnitte hirns kommt. www.mpg.de/19842527 Gesellschaft Deutscher Chemiker Max Planck Forschung · 1 | 2023 www.gdch.de/karriere
Es geht um die Wurst Für die Bekämpfung des Klimawandels müssen wir nicht nur die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas stoppen. Auch in anderen Bereichen braucht es einen Wandel, etwa in der Ernährung: So schadet Fleischessen dem Klima eben- falls. Und doch scheuen sich die meisten Politikerinnen und Politiker, hier einzugreifen. Die Juristin Saskia Stucki erklärt, warum Essensfragen ein Tabuthema sind und wie die Politik wirkungsvoll handeln könnte. Die Fleischfrage – die Frage, ob, wie viel und welches Fleisch wir essen 12 (wollen, sollen, dürfen) – gilt uns traditionell als Privatsache. Unsere Er- nährung mag Ausdruck jeweiliger kulinarischer, kultureller, religiöser oder auch moralischer Prädispositionen sein, ist aber jedenfalls eine persön- liche Entscheidung der Konsumentin. Die Idee einer politischen Intervention in diesen Bereich der Privatsphäre löst entsprechendes Unbehagen aus und handelt sich schnell den Vorwurf der staatlichen Überregulierung oder Übergriffigkeit ein. Ein anschauliches Beispiel dazu liefert die Veggie- Day-Kontroverse aus dem Jahr 2013, als der Vorschlag der Grünen, in öffent- lichen Kantinen einen vegetarischen Tag einzuführen, Ängste vor einem „Fleischverbot“ schürte und einen regelrechten Shitstorm auslöste. Die Intuition der Konsumfreiheit und darauf gründende Beißreflexe greifen allerdings zu kurz. Dies verdeutlicht bereits ein flüchtiger Blick auf die externalisierten Kosten unseres unbändigen Fleischkonsums, dessen schäd liche Folgen für öffentliche Gesundheit, Tiere und Umwelt reichlich doku- mentiert sind. So begünstigt die Nutztierhaltung globale Gesundheitsrisiken wie die Entstehung von zoonotischen Krankheiten und Antibiotikaresis- tenzen. Unser Fleischkonsum geht auch auf Kosten der 750 Millionen Tiere, die in Deutschland jährlich geschlachtet werden und von denen ein Groß- teil ihr Leben unter den trostlosen Bedingungen der industriellen Massen- tierhaltung fristet. Die Nutztierhaltung ist ferner einer der Haupttreiber der sich aktuell zuspitzenden ökologischen Krisen: Klimawandel, Biodiversitäts- verlust, Regenwaldabholzung. Vor dem Hintergrund dieser gesundheitlichen, ökologischen und tierethischen Nebenwirkungen kann von einer rein persönlichen Entscheidung nicht (mehr) die Rede sein – die einst privat gedachte Fleischfrage ist politisch geworden. Max Planck Forschung · 1 | 2023
ZUR Sache Saskia Stucki 13 Die Juristin ist seit 2016 Referentin am Max-Planck- Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völker- recht. Saskia Stucki studierte und promovierte an der Universität Basel, wo sie sich nun mit dem Projekt Trans- I l lus t r at ion: S oph i e K et t e r e r fü r mpg formative Greenstreaming: Greening Non-Environmental Law habilitiert. 2018/2019 war sie Gastwissenschaftlerin an der Harvard Law School. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Umwelt- und Klimarecht, Food Governance, Tier- recht, Menschenrechte und Rechtstheorie. Max Planck Forschung · 1 | 2023
Die Klimakrise hat in besonderem Maße zur Politisierung von Fleisch beigetragen. Oberstes Ziel der Klimapolitik ist die Erreichung von Klima- neutralität bis 2045 in Deutschland und 2050 in der EU. Hierzu sind rapide und drastische Reduktionen der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren erforderlich, so auch in der Landwirtschaft. Global betrachtet, verursacht das Ernährungssystem je nach Schätzung 21 bis 37 Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen, wobei bis zu 80 Prozent davon auf die Tierproduktion entfallen. Um die landwirtschaftlichen Treib- hausgasemissionen zu senken, scheint es folglich naheliegend, an deren Hauptquelle anzusetzen: der Fleischproduktion. Die wissenschaftliche Fachliteratur ist sich weitgehend einig, dass die dringend gebotene sustainable food transformation eine massive Re- duktion des Tierkonsums erfordert, zumal die Emissionsintensität von Tier- produkten jene pflanzlicher Nahrungsmittel durchgehend (und ins- besondere bei Rindfleisch und Milch aufgrund des Methanausstoßes von Wiederkäuern um ein Vielfaches) übersteigt und die Tierlandwirtschaft auch hinsichtlich ihres hohen Flächen- und Ressourcenver- brauchs zunehmend als ineffizient bewertet wird. Eine gesell- Die Klima- schaftliche Ernährungsumstellung würde dabei ein zweifaches Potenzial für den Klimaschutz in sich bergen. Zum einen liegt politik wird in einer primär pflanzenbasierten Ernährung mit Abstand das 14 um die größte Potenzial, die direkten landwirtschaftlichen Treibhaus- gasemissionen zu reduzieren. Zum anderen kann sie auch indirekt Fleischfrage wirken, indem die nicht mehr für Futtermittelanbau und Weide- land genutzte Landfläche renaturiert werden und als natürliche nicht herum- Kohlenstoffsenke dienen kann. kommen Die Klimawende wird ohne Ernährungswende nicht gelingen – insofern kommt die Klimapolitik um die Fleischfrage nicht herum. Derzeit befindet sich die Fleischfrage allerdings noch in einem ambi- valenten Schwebezustand zwischen Politisierung und politischer Margi- nalisierung. Das sogenannte Fleischparadoxon beschreibt in der Sozialpsychologie eine kognitive Dissonanz zwischen dem Wissen um die Schäden des Fleischkonsums und entgegengesetztem Handeln. Dieser Widerspruch offenbart sich auch in unserem paradoxen kollektiven Umgang mit der Fleischfrage. Obschon uns die massiven Probleme für Menschen, Tiere und Umwelt sowie die Notwendigkeit einer konsequen- ten Fleischreduktion durchaus bewusst sind, finden sich bisher kaum entsprechende staatliche Maßnahmen, die auf einen Abbau der Tierpro- duktion ausgelegt sind – im Gegenteil: Wir erhalten und fördern diese. So zielt einerseits etwa die „Farm to Fork Strategy“ der EU – ein Herz- stück des „European Green Deal“ – auf eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ab und unterstreicht dabei die Bedeutung einer mehrheitlich pflanzlichen Ernährung für Gesundheit und Nachhaltigkeit. Auch die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ent- wickelten Klimaschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft nennen als einen Max Planck Forschung · 1 | 2023
Zur Sache von zehn Schwerpunkten die Förderung nachhaltiger Ernährungsweisen. Andererseits koexistieren und konkurrieren solche Zielsetzungen mit weit- aus wirkmächtigeren Strukturen, die in eine gegenläufige Richtung zeigen. So bleibt die Tierindustrie im Vergleich zu anderen Sektoren hinsichtlich ihrer ökologischen Kosten unterreguliert. Zugleich ist sie neben der Öl- industrie die größte Leistungsempfängerin umweltschädlicher Subventionen. In Deutschland reichen die Schätzungen von fünf Milliarden Euro (allein durch Mehrwertsteuerbegünstigung für Tierprodukte) bis dreizehn Milliar- den Euro pro Jahr. Solche klimaschädlichen Subventionen konterkarieren die Klimaziele, wie auch der Bundesrechnungshof 2022 in seinem Bericht zur Steuerung des Klimaschutzes in Deutschland feststellte. Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass die zur Erreichung der Klimaziele erforderliche Ernährungswende politisch und rechtlich einge- rahmt und gefördert werden muss. Das bisherige Versäumnis des Staates gilt es nun durch die Entwicklung und Umsetzung einer kohären- ten Fleisch(reduktions)politik nachzuholen. Gemeint ist damit mitnichten ein plumpes – das gefürchtete – Fleischverbot. Vielmehr steht dem Staat ein weitaus raffinierteres Instrumentarium zur Verfügung, um eine trans- formative (auf die Ernährungswende ausgerichtete) Fleischpolitik auf min- der krude Weise zu implementieren. Dieses umspannt einen Mix aus sanften und harten – von freiwilligen, marktpolitischen bis zu regulatori- 15 schen und prohibitiven – Maßnahmen. So kann der Staat individuelle Konsumentscheide in vielfältiger Hinsicht hin zu mehr Nachhaltigkeit lenken, etwa durch Informationskampagnen, Ernährungsempfehlungen, Nachhaltigkeitslabels oder durch green nudges. Stärker dürften allerdings fiskalische Maßnahmen wirken, so nament- lich eine Neuausrichtung der Agrarsubventionen weg von der Tier- hin zur Pflanzenproduktion. Zur Herstellung von Kostenwahrheit durch Internalisierung der ökologischen Kosten in die Marktpreise bietet Der Staat sich ferner die Einführung einer Umweltabgabe auf Tierprodukte (Fleischsteuer) an. Auch das öffentliche Beschaffungswesen – kann den etwa in Behördenkantinen, Mensen, Klinikküchen – kann verstärkt auf nachhaltige Ernährung ausgelegt werden. So hat die Stadt individuellen Freiburg vor Kurzem beschlossen, in Kitas und Grundschulen nur Konsum hin noch ein vegetarisches Einheitsmenü anzubieten. Denkbar ist ferner ein Werbeverbot für Fleisch, wie kürzlich in der niederlän- zu mehr Nach- dischen Stadt Haarlem angekündigt. Als große Hoffnungsträger gelten schließlich pflanzliche Proteine – als klimafreundliche haltigkeit Alternative zu herkömmlichen Tierprodukten oder In-vitro-Fleisch lenken –, deren (Weiter-)Entwicklung durch staatliche Investitionen und den Abbau regulatorischer Hindernisse gezielt gefördert werden kann. Mit den richtigen politischen und rechtlichen Rahmen- bedingungen könnte Europa gemäß Marktprognosen schon im Jahr 2025 „Peak Meat“ erreichen: den Punkt, von welchem an der Konsum von Tierprodukten rückläufig wird – natürlich unter Wahrung der individuellen Konsumhoheit. Max Planck Forschung · 1 | 2023
infografik Die Evolution der H Hausmaus Der Ursprung der Hausmaus liegt im heutigen Iran. Dort hat sie sich in mehrere Unter- arten aufgespaltet, von denen sich drei über den gesamten Globus ausgebreitet haben. Die Östliche Hausmaus (Mus musculus musculus) und die Asiatische Hausmaus (Mus musculus castaneus) begannen ihre Ausbreitung in das nördliche und südliche Asien vor rund 9000 Jahren, die Westliche Hausmaus (Mus musculus domesticus) machte sich vor etwa 6000 Jahren auf den Weg und erreichte Westeuropa vor 3000 Jahren. In den letzten Jahrhunderten ist die Hausmaus auf Schiffen von Europa nach Amerika, in das südliche Afrika sowie auf Inseln im Atlantik und Pazifik gekommen. Entlang der europäischen Klimascheide treffen die Verbreitungsgebiete der Westlichen und der Östlichen Hausmaus in einer Vermischungszone aufeinander. vor ca. 400 Jahren Schleswig-Holstein Die Helgoland-Maus Die verschiedenen Hausmaus- Populationen in Schleswig-Holstein und Dänemark unterscheiden sich nur wenig voneinander. Die Lebens- bedingungen auf der Insel Helgo- land sind jedoch so speziell, dass dort innerhalb weniger Hundert Jahre eine neue Art entstanden ist: die sogenannte Helgoland-Maus. 16 H Dänemark G CO nac h Di et ha r d Tau t z / M PI fü r Evolu t ionsbiol o gi e; i s t o c k HELGOLAND Mäuse mit Charakter Mäusesprache Mäuse besitzen individuelle Persön- Mäuse kommunizieren im lichkeiten. Ähnlich wie bei den Ultraschall mittels einer Menschen gibt es unter ihnen mutige angeborenen „Sprache“ mit und ängstliche, ruhige und streitbare, sehr komplexen Lautfolgen. scheue und neugierige Individuen. Diese Laute unterscheiden sich zwischen den Unterarten. Weibchen sind besonders kommunikativ, wenn sie unter sich sind. Max Planck Forschung · 1 | 2023
infografik 17 H Helgoland-Maus Westliche Hausmaus Östliche Hausmaus Vermischung von Westlicher und Östlicher Hausmaus Verschiedene, teils noch Asiatische Hausmaus unbekannte Unterarten Vermischung von Östlicher Keine Hausmäuse und Asiatischer Hausmaus Fremde Gene im Erbgut Die Unterarten der Hausmaus haben sich durch die Anpassung an unter- schiedliche Umweltbedingungen gene- tisch auseinanderentwickelt. Aber ein Austausch adaptiver Gen- regionen findet immer noch statt. Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS ZUR SICHERHEIT 18 | Vom Funken zum Feuer 24 | Schlupfloch im Programm 30 | Lebenslang I l lus t r at ion: A l essa n dro G o t ta r d o Brandstiftung per Social Media: Extremistische Narrative in Postings und Foren schüren physische Gewalt gegenüber Einzelnen, Gruppen oder dem Staat. Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS Vom Funken zum Feuer Text: Michaela Hutterer 19 Ob gestürmte Parlamente oder rassistische Anschläge in den USA ebenso wie in Deutschland: Politisch motivierte Gewalt nimmt zu. Meistens scheinen die Aktionen ohne Zusammen- hang zu sein und nur von Einzeltätern auszugehen. Doch Forschende erkennen darin durchaus terroristische Muster. James Angove befasst sich am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht mit der Frage, wie „Zufallsterror“ entsteht und was man dagegen tun kann. Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS 20 Angriff mit Ansage: Der Sturm von Anhängern des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 war alles andere als spontan und zufällig. Bereits im Dezember hatte Trump zu Protesten an diesem Tag aufgerufen, in seiner Rede am 6. Januar schickte er die Anwesenden dann geradewegs zum Kapitol. „Stop the steal“, skandiert eine wütende Menge, als sie beamten gerungen, Barrikaden gestürmt, Scheiben sich am 6. Januar 2021 gegen 12:45 Uhr auf den Weg eingeschlagen und sich grölend ihren Weg durch das zum Kapitol in Washington, D. C., macht. Gleich be- Gebäude gebahnt: „This house is ours“, rufen sie und ginnt im Senat und im Repräsentantenhaus die offizi- filmen sich dabei. „Stop the steal.“ elle Auszählung der Stimmen, die Joe Biden als neuen US-Präsidenten bestätigen wird. Zuvor hat Wahlver- „Wenn es zu politischer Gewalt kommt, ist es oft verlo- lierer Trump über eine Stunde gegen Demokraten und ckend, mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die schwache Republikaner gewettert, das einprägsame die Gewalttat begangen haben“, erklärt James Angove, Narrativ der gestohlenen Wahl bedient. Er hat seinen Senior Researcher am Max-Planck-Institut zur Erfor- Vize Mike Pence ermahnt, im Senat „das Richtige zu schung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in tun“, und seine Getreuen aufgefordert, den „schwa- Freiburg. „Bei näherer Betrachtung erweist sich das chen Republikanern ... den Stolz und den Mut zu ge- Phänomen moderner politischer Gewalt heutzutage ben, die sie brauchen, um unser Land zurückzu- jedoch als äußerst komplex.“ Angove ist promovierter erobern“. Gegen Ende schickt er seine Fans über die Philosoph. Am Max-Planck-Institut befasst er sich mit Pennsylvania Avenue zum Kapitol, er selbst fährt zu- den philosophischen und sicherheitspolitischen Aspek- rück ins Weiße Haus. Stunden später mahnt er via ten von Terror. Wodurch lassen sich Menschen zu Twitter, „friedlich zu bleiben“. Da haben seine Gewalttaten gegen Minderheiten, Andersdenkende Anhänger bereits zwei Stunden lang mit Sicherheits oder staatliche Institutionen aufstacheln? Ist es eine Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS Dass Donald Trump den „Sturm auf das Kapitol“ vor zwei Jahren mit seiner Rede befeuert hatte, steht außer Frage. Auf 845 Seiten sammelte der parlamentarische Untersuchungsausschuss des US-Repräsentanten- hauses Hinweise für Trumps Zutun und empfahl dem Justizminister als oberstem Staatsanwalt, gegen den Ex-Präsidenten wegen mehrfacher Verschwörung und Anstiftung zum gewaltsamen Aufruhr in einem Prä zedenzfall zu ermitteln. Ob es zur Anklage oder gar Verurteilung kommt, ist unklar. „Stürmt das Kapitol“, hatte Trump wohlweislich nicht gerufen und jede geis- tige Urheberschaft stets verneint. Daher sammelten F o t o: R EU T E R S / J i m U rquha rt die Ausschussmitglieder mehr als tausend Zeugen aussagen und Hinweise, die Trumps Rolle am Tag und im Vorfeld der Ereignisse des 6. Januar beleuchten. Welche juristische Verantwortung trägt Trump? Ist er ebenso Täter wie die mehr als 800 einzelnen Kapitol- Stürmer, gegen die laut Medienberichten bislang er- mittelt wurde? Muss der Ex-Präsident sich die Gewalt zurechnen lassen? Gleichgesinnte finden sich in Internetforen Darin zeigt sich für Experten gerade das Muster von stochastic terrorism: Vermeintlich Einzelne richten ihre 21 Gewalt gegen das staatliche System, seine Repräsen- tanten oder Institutionen oder gegen Menschen be- stimmter Hautfarbe, Herkunft, Religion, sexueller Neigung oder politischer Einstellung – spontan, iso- liert und ohne Verbindung zu Terrorgruppen. „In der Terrorismusforschung hielt sich lange die Idee des so- zial isolierten Einzeltäters, der keiner politischen Gruppe zugehörig scheint“, berichtet Angove. Doch mittlerweile weisen unter anderem die Erkenntnisse einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für eth- nologische Forschung in Halle zur Entwicklung von charismatische Führungsfigur, die auf ihre Anhänger Terrorgruppen in eine andere Richtung: Demnach hypnotisch wirkt? Oder liegt es an ihrer Rhetorik, die formiert sich rechte Gewalt nicht nur in Gemeinschaf- nur vage und indirekt, gleich einer Hundepfeife, zur ten mit starker persönlicher Bindung, so beispiels- Gewalttat aufruft und dadurch unter der Schwelle zur weise in der traditionellen Neonazi-Szene oder im Mi- strafbaren Anstiftung bleibt? lieu der Reichsbürger, sondern auch in einer Internet- subkultur. Dort tauschen sich Gleichgesinnte primär „Wir beobachten weltweit einen Anstieg politischer Ge- online in anonymen Foren und Messengerdiensten aus, walt, die durch diese Indirektheit gekennzeichnet ist“, sagt Michael Fürstenberg, Politologe und Mitarbeiter erklärt James Angove. Statistisch lassen sich diese Ge- der Forschungsgruppe. walttaten vorhersagen, konkret jedoch nicht. Die Taten erscheinen zufällig, zusammenhanglos, ohne erkenn- Als Mitte Mai 2022 ein Achtzehnjähriger im amerikani- bare Vernetzung oder Gruppenidentität. Dennoch ist schen Buffalo vor und in einem Supermarkt zehn Men- ein Muster zu sehen, das in Fachkreisen als stochastic schen erschoss und drei verletzte, streamte er seine Tat terrorism diskutiert wird, als zufälliger Terror. Hinter mindestens zwei Minuten, ehe ihn der Streaming- diesem Begriff verbirgt sich die terroristische Strategie, dienst stoppte. Die Ermittler gehen von einem rassis- durch extremistische Narrative unter Verwendung von tischen Motiv des Beschuldigten aus – elf der dreizehn Lügen, Verschwörungstheorien und Hatespeech in Opfer waren Afroamerikaner. Im Internet bezog sich Medien und Foren physische Gewalt gegenüber Ein- der Täter auf rechte Verschwörungstheorien und Vor- zelnen, Gruppen oder dem Staat selbst zu entfachen. gängertaten. US-Präsident Joe Biden verurteilte die Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS „Tat, die im Namen der abstoßenden Ideologie des wei- senden kann, um diese politische Gewalt zu entfachen“, ßen Nationalismus verübt werde“. Dieser white supre erklärt James Angove. „Technologische Mittel und kul- macist terror beruht vor allem auf einem Narrativ: the turelle Trends ermöglichen diese Form von Gewalt great replacement oder white replacement (der große auch in Großbritannien und in Deutschland – oder in oder weiße Austausch). Darunter verstehen Anhänger Brasilien, wie man im Januar nach Jair Bolsonaros Ab- rechter Ideologien den „gezielten Austausch“ von wahl beobachten konnte.“ „weißen“ Amerikanern und Europäern durch Einwan- derer. Zu lesen sind auch die Begriffe „Umvolkung“ Doch warum kann sich extremistischer Hass so stark aus- oder „Personalwechsel“. Medienberichten zufolge war breiten? Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bil- der Attentäter von Buffalo ein Fan von Fox News, des- dungsforschung ergab, dass digitale Medien vor allem sen Moderator Tucker Carlson vor dem Attentat mehr in etablierten Demokratien wie in Europa und den als 400-mal von „Austauschtheorien“ gesprochen ha- USA Polarisierung und Populismus befeuern und so- ben soll. Auch der Attentäter, der mit destabilisierend wirken. Beson- 2019 im neuseeländischen Christ- ders das Vertrauen in Politik und in church 51 Menschen tötete, berief demokratische Institutionen wie Par- sich auf diese rechte Doktrin, Auf den Punkt lamente wird demzufolge nachweislich ebenso die Attentäter von El Paso gebracht beschädigt. Auch das Vertrauen in die (2019), Pittsburgh (2018) und zuvor klassischen Medien sinkt. Fatal: Damit der Attentäter im norwegischen Die Strategie hinter stochastic steigt auch die Unwissenheit. Schließ- Utøya (2011). terrorism ist es, durch meist lich beziehen viele Social-Media-Nut- rechtsextremistische Narrative zer ihre Informationen nach dem physische Gewalt gegenüber Diese zutiefst rassistische Doktrin ist Motto „News find me“: Sie informie- Einzelnen, Gruppen oder dem Experten zufolge nicht neu und Staat selbst zu entfachen. ren sich nicht mehr aktiv über mehrere prägte in den vergangenen 150 Jah- Quellen, sondern erwarten, dass wich- ren vielfach die US-amerikanische Die sozialen Netzwerke und tige Nachrichten sie über ihr Netzwerk Einwanderungspolitik. Ideologi- eine zunehmend sensations- und ausgeklügelte Algorithmen errei- sche und pseudowissenschaftliche orientierte Berichterstattung chen. Das fördert den Austausch unter in den klassischen Medien Texte dienten dabei oftmals als Gleichgesinnten in der eigenen „Echo- begünstigen die Verbreitung 22 Rechtfertigung gesellschaftlicher der Taten und der Ideologie, kammer“, in der Folge steigt dann die Ressentiments und diskriminieren- die dahintersteht. Gefahr von Radikalisierung, und die der Politik, so etwa Madison Grants Hemmschwelle für offen artikulierten Buch The Passing of the Great Race Die Forschung empfiehlt, die Hass sinkt. (1916), das Roosevelts Politik beein- Demokratie zu stärken, für Verständigung zwischen ver- flusst haben soll und in F. Scott feindeten Lagern zu sorgen und In dieser Gemengelage gedeihen Ge- Fitzgeralds Gesellschaftsroman die Resilienz der Menschen waltakte, die zufällig wirken, aber ter- The Great Gatsby zum Tischge- gegen Hetze im Netz zu fördern. roristische Merkmale haben. Gemäß spräch taugte. den Untersuchungen der Terrorismus- Arbeitsgruppe am Max-Planck-Insti- Laut einer Umfrage von AP Research tut für ethnologische Forschung meh- vom Mai 2022 glaubt ein Drittel der befragten Ameri- ren sich international Anzeichen einer bevorstehenden kaner an „die Gefahr des großen Austauschs“. Das FBI Welle rechten Terrors. Die Forschenden gehen dabei sieht Inlandsterrorismus als eine der Hauptgefahren von einem Modell des US-amerikanischen Politolo- für die Zukunft an. Anschläge wie der von Buffalo wer- gen David Rapoport aus: Demzufolge hat sich der Ter- den etwa zu dieser Form von Terrorismus gezählt. Ins- rorismus seit 1880 in vier einander überlappenden Ter- gesamt ermittelte das FBI 2019 in 850 Fällen von rorwellen entwickelt, die jeweils rund dreißig bis vier- domestic terrorism. Dabei ist weiß-populistischer Hass zig Jahre andauerten. Auf die anarchistische Welle (bis bei Weitem kein rein US-amerikanisches Problem. in die 1920er-Jahre) folgte eine antikoloniale Welle, 1973 verfasste der Franzose Jean Raspail mit Le Camp welche von den 1920er- bis in die 1960er-Jahre reichte. des Saints ein Kultbuch der neuen Rechten, zur selben Auf die Welle der Neuen Linken (1960 bis 1990) folgte Zeit, als Jean-Marie Le Pen den Front National grün- ab 1980 die aktuelle, religiös motivierte Welle islamis- dete. 2011 bediente Renaud Camus mit seinem Buch tischen Terrors. Diese dürfte sich allmählich abschwä- Le Grand Remplacement erneut die Angst vor Zuwan- chen, und eine neue Ära könnte beginnen. „Das Er- derung. Vergangenen August sprach Ungarns Minis- starken antiliberaler und rechtsextremer Kräfte ist ein terpräsident Viktor Orbán auf dem jährlichen Som- Trend, der sich mit dem Aufstieg von Populisten wie mercamp seiner rechtspopulistischen Fidesz-Partei Viktor Orbán und Donald Trump bereits abzeichnete über die Gefahr des „Austauschs durch Migration“ und sich in den jüngsten Attentaten von Christchurch, und „einer gemischtrassigen Welt ... Man sollte das Halle und Hanau bestätigt“, schrieb im Jahr 2020 die Phänomen als ein weltweites betrachten – nicht zuletzt, Leiterin der Gruppe, Carolin Görzig, in einem Gast- weil ein geeigneter ,Influencer‘ von überall agieren und beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS Wie auf eine solche Welle unvorhersehbaren Terrors räuber vorsahen, erzielte die Regierung so einen breiten reagieren? „Es gibt mehrere Möglichkeiten“, sagt gesellschaftlichen Konsens für deren Verschärfung. James Angove. Die schlechteste sei eine vorschnelle Diesen Mechanismus nutzen auch radikale Rädelsfüh- Verschärfung von Gesetzen, wie die angstgetriebenen rer, indem sie ideologische Feindbilder schaffen und Antiterrorgesetze in den USA nach den Anschlägen durch konsequente Dämonisierung bis hin zur Ent- von 9/11 zeigten, welche die Islamfeindlichkeit menschlichung die Hemmschwelle für Gewalt senken. verstärkten und damit wiederum die Spirale der Ge- walt beförderten. „Stochastischer Terrorismus ist ein Angove sieht große Bedeutung im verstärkten sachlichen Ausdruck autoritärer Gewalt innerhalb einer Demo- Austausch zwischen verfeindeten Lagern, damit Ver- kratie“, erkennt Angove. Dagegen helfe vor allem, die schwörungstheorien weniger Publikum finden, Volks- Demokratie zu stärken und das, wofür wir sie schätzen. verhetzer demaskiert werden und rhetorische Aus- Dazu zählt in erster Linie die Bedeutung von wüchse politischer Persönlichkeiten im Internet auf Wahrheit im politischen Diskurs. „Stochastische Ge- stärkere öffentliche Kritik stoßen. Dafür müsse jede walt ist eine Folge der Krise der Wahrheit, der Ver- und jeder Einzelne einstehen ebenso wie die Medien. nunft und der öffentlichen Abwägung“, erklärt James Gerade diese sollten sich nicht zu Handlangern rechter Angove. In Reden werden Zielpersonen verleumdet, Attentäter machen, indem sie unkritisch, unsensibel entmenschlicht und oft als Bedrohung für die Sicher- oder sensationsorientiert berichten. Täter suchen Auf- heit der Zuhörenden dargestellt; Verschwörungstheo- merksamkeit für ihre Taten und ihre Person, indem sie rien können dazu beitragen, diese Bedrohung zu ver- ihr Vorgehen filmen und Spuren hinterlassen. Wenn stärken oder zu charakterisieren. Medien Filmausschnitte und Täter zeigen oder gar wirre Gedanken zur Tat zu einem politischen „Mani- fest“ erhöhen, agieren sie – bewusst oder unbewusst – Die Berichterstattung wird genau so, wie es der Täter erhofft hat: Ein Bericht in zum Brandbeschleuniger der Tagesschau oder zumindest in den Onlinenach- richten verspricht Ruhm für die Ewigkeit. Die Bericht- Gr af i k : M ic hae l F ü r s t e n be rg auf Basi s von Rap op ort, D. C .; The f ou r waves of mode r n t e r ror i sm ; I n: At tac k i ng t e r ror i sm: e l eme n ts erstattung wird zum Brandbeschleuniger. „Daneben nutzen Regierungen seit jeher eine Art morali- sche Panik oder Angst vor ,Volksfeinden‘, um autoritäre Gleichzeitig müssen Bürgerinnen und Bürger selbst resi- Entscheidungen zu rechtfertigen“, sagt Angove. Um lient gegen Hetze im Netz und Demokratiefeindlich- of a gr a n d s t r at egy ( E ds. C ron i n, A . K .; Ludes , J. M.). Ge orget ow n U n i ve r si t y Pr ess , Wash i ngt on, D. C . (2 0 0 4) 23 etwa strengere Gesetze im eigenen Land durchzusetzen, keit werden. Dazu leistet die Wissenschaft einen wich- kreierte laut einer Studie des britischen Soziologen tigen Beitrag. Sie legt Muster offen, erkennt Zusam- Stuart Hall die britische Regierung Anfang der 1970er menhänge und sucht Lösungen für Politik und Gesell- ein vermeintlich neues Feindbild des „jungen schwar- schaft, die eine wirksame Alternative aufzeigen zu zen Straßenräubers“, den die Bevölkerung dank Medi- überhasteten restriktiven Maßnahmen wie der Ein- enberichten als neue und wachsende Bedrohung einord- schränkung von Freiheitsrechten. nete. Obwohl die Gesetze bereits Strafen für Straßen- www.mpg.de/podcasts/sicherheit Auf und Ab der Gewalt: Der Terrorismus 1 Fortdauer/Erneuerung der religiösen Welle hat sich laut dem Politologen David Rapoport 2 Abschwellen der religiösen Welle in einem Rhythmus von rund 40 Jahren wellenförmig entwickelt. Die Terrorismus- 3 Neue Welle (Rechtsextremismus?) Forschungsgruppe in Halle sieht Anzeichen Wellenübergreifende Organisationen (z.B. IRA, PLO) für eine bevorstehende Welle rechter Gewalt. Zukunft des Anarchismus AntiKolonialismus Neue Linke Religiös Terrorismus? 1 2 3 1880er 1920er 1960er 1980er 2020er Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS Eintrittspforte für Cyberkriminelle: Software weist meist Sicherheitslücken auf. Das automatisierte Prüfverfahren eines Max-Planck-Teams klopft Programme effektiv und effizient darauf ab. 24 I l lus t r at ion: A l essa n dro G o t ta r d o Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS Schlupfloch im Programm Text: Thom as Br andstetter 25 Angriffe auf Software verursachen nicht nur Schäden in Milliardenhöhe, sondern bedrohen auch die Privat- sphäre von Nutzerinnen und Nutzern. Cyberkriminelle dringen dabei stets durch Sicherheitslücken in Programme ein. Marcel Böhme und sein Team am Max-Planck-Institut für Sicherheit und Privatsphäre sind angetreten, die Einfallstore für die Angreifer zu blockieren – und haben auch Unternehmen wie Google von ihrem Ansatz überzeugt. Max Planck Forschung · 1 | 2023
IM FOKUS Programmieren ist ein kreativer Prozess. Er beginnt mit die aus unterschiedlichen Quellen stammen. Und jede der Idee des Programmierers, eine gewünschte Funk- dieser Komponenten besteht ihrerseits wieder aus ein- tionalität umzusetzen, und endet mit einem funktions- zelnen kleinen Beiträgen unabhängiger Program tüchtigen Code. Doch was funktioniert, ist noch lange mierer, die es mit der Sicherheit unterschiedlich genau nicht sicher. Dabei steckt die Tücke oft im Detail, und nehmen. sie kann sich als große Gefahr entpuppen. So basierte der Heartbleed-Fehler, durch den 2014 unter anderem „Es gibt sehr viele kleine Open-Source-Softwaresysteme, Zugangsdaten zu zahlreichen Onlinediensten öffent- die von Menschen in ihrer Freizeit vielleicht einmal an lich wurden, auf einer Sicherheitslücke in einer Soft- einem Nachmittag entwickelt wurden, in den letzten ware mit einer sehr überschaubaren Aufgabe: Das zwanzig Jahren aber unheimlich kritisch und funda- kleine Programm hieß Heartbeat und löste das Pro mental für unsere digitale Ökonomie geworden sind“, blem, dass ein Browser beim Surfen im Internet oder sagt Marcel Böhme, der am Max-Planck-Institut für beim Onlinebanking über eine gesicherte Verbindung Sicherheit und Privatsphäre die Gruppe für Software F o t o: F r a n k V i n ke n fü r M PG manchmal noch verschlüsselte Daten sendete, obwohl Security leitet. Außer den ursprünglichen Entwick- die geschützte Verbindung längst abgebrochen war. lern selbst fühle sich jetzt aber niemand mehr verant- Über Heartbeat kann der Browser beim Server nach- wortlich für die Sicherheit all dieser Einzelkomponen- fragen, ob die gesicherte Verbindung noch besteht. Zu ten. Und auch die Entwickler selbst hätten nach so lan- diesem Zweck sendet die Software regelmäßig eine ger Zeit teilweise einfach keine Lust mehr, ihre Pro- Zeichenkombination samt Angabe der Zeichenzahl an gramme weiterzuentwickeln. Trotzdem bieten öffent- den Server und erwartet die gleiche lich verfügbare Softwareelemente ge- Zeichenkombi nation als Antwort. rade in puncto Sicherheit einige Vor- Der Entwickler nahm natürlich an, teile, da viele Fachleute sie überprü- dass der Browser immer die korrekte fen können. Auch aus diesem Grund Zeichenzahl angibt. Anders als bei Auf den Punkt verwenden Unternehmen wie etwa anderer Software üblich baute er al- gebracht Google Open-Source-Code. Um in lerdings keinen Mechanismus ein, der eigenen Software Sicherheitslü- Softwareentwickler müssen um das zu überprüfen. Und diese darauf achten, dass Pro- cken aufzuspüren, arbeitet Google Lücke nutzte der Angreifer aus; er gramme nicht angreifbar jetzt mit Böhme und seinem Team manipulierte Heartbeat so, dass das sind. Doch Software, die zusammen. 26 Programm eine kurze Zeichenkette nicht auf Sicherheitslücken mit der maximalen Längenangabe überprüft wird, weist Die Crux der Softwaresicherheit ist, häufig kritische Fehler auf. verschickte. Als der Server die Zei- dass die Kette der Programmteile nur chenzahl dann aus dem Speicher Forschende des Max- so gut geschützt ist wie ihr schwächs- auslas, kopierte er wesentlich mehr Planck-Instituts für Sicher- tes Glied. Und das macht auch große, Daten, darunter auch sensible Infor- heit und Privatsphäre haben kommerzielle Systeme anfällig für mationen, als die ursprüngliche Zei- die automatisierte Suche Angriffe. Um das ganze System zu chenkombination umfasste – Fach- nach Sicherheitslücken übernehmen, kann es für einen findi- durch das Greybox Fuzzing leute sprechen in diesem Fall von erheblich beschleunigt. gen Hacker genügen, eine einzige Speicherkorruption. schlecht geschützte Komponente auf- Unternehmen wie Google, zuspüren. „Das liegt oftmals daran, So steht der Absicht des Programmie- Bosch oder Oracle Labs dass dieser Aspekt zum Zeitpunkt der rers, ein bestimmtes Problem zu lö- nutzen die Methode bereits Entstehung des Programms noch sen, allzu oft die Perspektive eines und entdecken dabei nicht so wichtig war“, sagt Böhme. immer wieder neue Fehler. böswilligen Hackers gegenüber. Und „Viele große Sicherheitslücken, die wir der fragt sich, wie er den Code der heutzutage in weltweit verbreiteten Software für seine eigenen Zwecke Systemen finden, lassen sich auf sol- nutzen kann. Berüchtigt sind auch che ,kleinen‘ Sicherheitslücken zu- die Angriffe von Cyberkriminellen, die sämtliche Da- rückführen.“ Die Speicherkorruption sei dabei beson- teien verschlüsseln, um für die Freigabe ein Lösegeld ders kritisch. Sie lässt sich nicht nur ausnutzen, um – zu verlangen. Auf solche Ransomware-Attacken ist der wie im Fall von Heartbleed – Daten auszuspionieren größte Teil des wirtschaftlichen Schadens durch Cy- und zu klauen, sondern auch, um Befehle in ein Pro- berkriminalität zurückzuführen. Dieser belief sich im gramm einzuschmuggeln, mit denen ein Angreifer im Jahr 2021 dem Branchenverband Bitkom zufolge allein schlimmsten Fall die Kontrolle über den Rechner in Deutschland auf mehr als 220 Milliarden Euro. übernehmen kann. Denn so wie sich mehr aus einem Speicher auslesen lässt als vorgegeben, lässt sich auch Verschärft wird die Problematik der IT-Sicherheit noch mehr in ihn hineinschreiben, als von einem Programm dadurch, dass moderne Softwaresysteme nur selten vorgesehen ist – wenn die Software nicht so program- von einer Person oder zumindest von einer einzigen miert ist, dass sie die Vorgaben für die angeforderte Firma entwickelt werden. Stattdessen sind sie oft aus oder übertragene Datenmenge überprüft. Um derar- einer Vielzahl von Komponenten zusammengebaut, tige Probleme im Programmcode aufzudecken, wer- Max Planck Forschung · 1 | 2023
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