ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
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ZFA 11 I 2020 96. JAHRGANG Zeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine Ist bei gesunden Erwachsenen ein großes Blutbild sinnvoll? SEITE 435 ZFA 11/2020 96. JAHRGANG Glukosebestimmung Serum versus Plasma SEITE 443 Qualitätssicherung in Lehrpraxen SEITE 449 Primärversorgung in Österreich – Quo vadis? SEITE 467 This journal is regularly listed in EMBASE/Excerpta Medica, Scopus and CCMED/LIVIVO.
HERAUSGEBENDE GESELLSCHAFTEN / PUBLISHING INSTITUTIONS ZFA Organ der/des ... / Official journal of the ... Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) German College of General Practitioners and Family Physicians Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA) Society of Professors and University Lecturers of Family Medicine Niederösterreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (NÖGAM) Lower Austrian Society of Family Medicine Österreichischen Instituts für Allgemeinmedizin (ÖIfAM) Austrian Institute of Family Medicine Salzburger Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (SAGAM) Salzburg Society of Family Medicine Steierischen Akademie für Allgemeinmedizin (STAFAM) Styrian College of Family Medicine Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM) Southern Tyrolean Society of Family Medicine Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM) Tyrolean Society of Family Medicine Vorarlberger Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (VGAM) Vorarlberg Society of Family Medicine Titelbildhinweis: Henrik Dolle/stock.adobe.com © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
EDITORIAL / EDITORIAL 433 Die Pandemie gut überstehen Angesichts der massiven Kontaktbeschränkungen und der reduzierten Möglich- keiten für Freizeit, Sport, Kultur und sozialen Austausch sind viele Menschen frustriert. Sie sehen einen dunklen November und bangen um die Zeit danach: Was wird ab Dezember möglich sein? Um Sie, die Leserinnen und Leser der ZFA, mache ich mir keine Sorgen. Die meisten von uns kennen das Wort „Langeweile“ praktisch nicht, und wenn wir sie mal erleben dürfen, dann ist das eher eine Wohltat: nichts Dringendes zu erledigen, keine Mails, Briefe oder Anrufe, die auf Antwort warten, Zeit, sich auf sich selbst und das, was einem/einer wirklich wichtig ist, zu besinnen – oder einfach faul sein und sich ausruhen. Wahrscheinlich wird Langeweile auch gar nicht eintreten, weil die Praxen voll sein werden und die Bedarfe der Patientinnen und Patienten nach Beratung und Behandlung mehr als üblich. Um manche Patientinnen und Patienten und ihre Familien besteht aller- dings berechtigter Anlass zur Sorge. Angst, Depression, psychosoziale Störungen Foto: Ute Boeters bis hin zur Gewalttätigkeit, aber auch kognitive Störungen können vermehrt auftreten. Es stellt sich die Frage, wie dem vorgebeugt werden kann. Wie häufig in diesen Zeiten muss man feststellen, dass die wissenschaftliche Evidenz bezüg- lich hilfreicher Interventionen sehr mager ist. Jacobi stellt in seinem Übersichts- artikel bereits vor der Pandemie wissenschaftlich erforschte und bewährte Ver- haltensmaßnahmen und mentale Strategien zusammen, die helfen, Ausnahme- situationen zu meistern. Beispiele sind: • daran denken, dass wir einen Dienst an der Gemeinschaft tun • Tagesstruktur einhalten • Medien bewusst und gezielt konsumieren • soziale Kontakte über die Distanz pflegen • sich auf die eigenen Stärken besinnen • Gefühlen Raum geben • Grübeln begrenzen • einfache Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen durchführen • sich körperlich bewegen • daran denken, dass die Situation vorübergehen wird. Diese Strategien gehören zum hausärztlichen Repertoire, die Sammlung mit all ihren Erläuterungen kann aber helfen, für den individuellen Menschen die richtigen Strategien zu finden [1]. Quellen Wirksame strukturierte Interventionen, wie z.B. regelmäßige (Video-)Telefo- 1. Jacobi F. Häusliche Isolation und nate mit verschiedensten Personen, sind in einer Übersichtsarbeit von Gorenko Quarantäne gut überstehen. et al. zusammengestellt [2]. Auch wenn es nicht möglich ist, solche Programme Psychotherapeut https://doi.org/ schnell aufzuziehen, unterstützen die dazu vorliegenden Studien die Annahme, 10.1007/s00278-020-00424-y dass auch kurze regelmäßige Telefonate die Situation von sozial isolierten Men- (letzter Zugriff am 31.10.2020) schen deutlich verbessern können. 2. Gorenko JA, Moran C, Flynn M, In einem Leserbrief macht Webb darauf aufmerksam, dass es besonders Dobson K, Konnert C. Social isolation and psychological distress among wichtig sei, die Individualität des Einzelnen im Blick zu haben. Denn die older adults related to COVID-19: allgegenwärtige Erwähnung der „vulnerablen Älteren“ sei ein Stereotyp und a narrative review of remotely- könne die damit Gemeinten stigmatisieren und entmutigen. Ältere Menschen delivered interventions and hätten auch viele Stärken, die es wahrzunehmen gelte [3]. recommendations. JApplied Gerontol Zurück zu Ihnen, liebe Leserinnen und Leser: Ich hoffe, Sie können den DOI: 10.1177/0733464820958550 (letzter Zugriff am 31.10.2020) November dazu nutzen, in Ruhe die gesamte ZFA durchzulesen. Damit die Diskussion nicht fehlt, habe ich ganz bewusst Arbeiten ausgewählt, zu denen 3. Webb L. COVID-19 lockdown: a perfect storm for older people’s mental Kommentare vorlagen. health. J Psych Mental Health Nurs Beste Grüße und bleiben Sie gesund 2020; First published: 30 April 2020, Ihre DOI: 10.1111/jpm.12644 Hanna Kaduszkiewicz (letzter Zugriff am 31.10.2020) © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
434 INHALTSANGABE / TABLE OF CONTENTS EDITORIAL / EDITORIAL Hanna Kaduszkiewicz 433 Die Pandemie gut überstehen EBM-SERVICE / EBM SERVICE Karin Petschk, Thomas Semlitsch, Andrea Siebenhofer 435 Wie sinnvoll ist die Untersuchung von großem Blutbild und Immunparametern bei gesunden Erwachsenen? How Useful is the Examination of Complete Blood Count and Immune Parameters in Healthy Adults? ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE Günther Egidi, Hans-Otto Wagner, Sandra Blumenthal 439 Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises Manfred Eissler 443 Glukosebestimmung Serum versus Plasma im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung Measurement of Glucose: Serum versus Plasma KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION Günther Egidi 447 Interessant, aber auch relevant? Interesting, but also relevant? ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE Sabine Gehrke-Beck, Gudrun Bayer, Christoph Heintze, Ulrike Sonntag 449 Qualitätssicherung in Lehrpraxen – welche Rolle spielen Didaktiktrainings? Quality Management in Outpatient Teaching Practices – What´s the Role of Faculty Development? KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION Klaus Böhme, Irmgard Streitlein-Böhme 454 Welche Qualität in der Lehre wollen/können wir vorhalten? What Quality of Teaching Do We Want/Can We Provide? ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE Franziska A. Herbst, Stephanie Stiel, Birgitt Wiese, Anja Rothmund, Mustafa Yilmaz, Nils Schneider 457 Wo versterben die Menschen in der Region Hannover? Where do People Die in the Region of Hanover? DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLE Johannes Hauswaldt, Erik C. F. Stolper 463 Wie nehmen Hausärzte ihr Bauchgefühl wahr? How Do Family Physicians Perceive their Gut Feeling? Arleta Franczukowska, Eva Krczal, Alexander Braun 467 Primärversorgung in Österreich – Quo vadis? Primary Health Care in Austria – Quo Vadis? KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION Uwe Kurzke 472 The Disease is not the Illness The Disease is not the Illness 474 BUCHBESPRECHUNG / BOOK REVIEW 476 LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR 477 DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS 478 JADE-NACHRICHTEN / JADE NEWS 479 DEUTSCHER HAUSÄRZTEVERBAND / GERMAN ASSOCIATION OF FAMILY PHYSICIANS 480 IMPRESSUM / IMPRINT © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
EBM-SERVICE / EBM SERVICE 435 Wie sinnvoll ist die Untersuchung von großem Blutbild und EbM Immunparametern bei gesunden Erwachsenen? How Useful is the Examination of Complete Blood Count and Immune Parameters in Healthy Adults? Karin Petschk1, Thomas Semlitsch1, Andrea Siebenhofer1,2 Frage Question Im Rahmen der individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) Within the framework of the individual non-covered health wird mit dem sogenannten „Manager-Check“ eine Unter- service (IGeL), the so-called „Manager Check“ offers an suchung des großen Blutbildes und die Erstellung von Immun- examination of the complete blood count and immune par- parametern für bisher gesunde, beschwerdefreie Erwachsene ameters for healthy, symptom-free adults. Yet it is question- angeboten. Dabei ist fraglich, ob durch die Erhebung dieser able whether mortality or morbidity can actually be reduced Parameter bei asymptomatischen Erwachsenen oder Personen by collecting these parameters from asymptomatic adults or mit unspezifischen Allgemeinsymptomen die Mortalität bzw. persons with unspecific general symptoms. Morbidität tatsächlich gesenkt werden kann. Answer Antwort There is currently no evidence that the examination of the Derzeit gibt es keine Evidenz dafür, dass die Erstellung eines complete blood count, lymphocyte differentiation or immu- großen Blutbildes, einer Lymphozytendifferenzierung oder die noglobulins has any effect on morbidity or mortality in asymp- Bestimmung der Immunglobuline bei asymptomatischen Er- tomatic adults or in individuals with unspecific general com- wachsenen bzw. Personen mit unspezifischen Allgemein- plaints. Therefore, no recommendation can be given for the beschwerden Auswirkungen auf Morbidität oder Mortalität respective screening of asymptomatic adults or persons with haben. Daher kann keine Empfehlung für ein entsprechendes unspecific general complaints. Screening bei asymptomatischen Erwachsenen bzw. Personen mit unspezifischen Allgemeinbeschwerden gegeben werden. Hintergrund Durch die Bestimmung des großen grund [3]. Myeloproliferative Neopla- Als großes Blutbild versteht man die Blutbildes können nur wenige gravie- sien zählen zu den seltenen hämato- Untersuchung und Bestimmung fol- rende Krankheiten bei gesunden und logischen Erkrankungen, ihre Jahres- gender Parameter: beschwerdefreien Erwachsenen ent- inzidenz liegt bei etwa 3–4 Fällen pro • Hämoglobingehalt der Erythrozy- deckt werden. Beispiele hierfür sind 100.000 [4]. ten (Hb) myeloproliferative Neoplasien oder Unter Anämie versteht man die • Mittleres korpuskuläres Volumen auch eine asymptomatische Anämie Verringerung von Erythrozytenzahl, der Erythrozyten (MCV) [2]. Zur Gruppe der myeloproliferati- Hämoglobin-Konzentration und/oder • Mittlere Konzentration des Hämo- ven Neoplasien, deren Ursachen Mu- Hämatokrit unter die Referenzwerte. globins der Erythrozyten (MCH) tationen der blutbildenden Zellen im Übermäßiger Blutverlust, ineffektive • Hämatokrit (Hk) Knochenmark sind, zählen z.B. die Erythrozytopoese, z.B. Eisenmangel • Leukozyten gesamt chronische myeloische Leukämie sind kennzeichnende Ursachen. Ab- • Neutrophile Granulozyten (CML), die Polycythaemia vera (PV) geschlagenheit, Dyspnoe und Blässe • Eosinophile Granulozyten oder die essenzielle Thrombozyth- sind Merkmale der Anämie. Die Prä- • Basophile Granulozyten ämie (ET). Im Blutbild steht bei die- valenz liegt in Europa bei ca. 10 %, • Lymphozyten gesamt sen Erkrankungen eine massive Erhö- wobei die Prävalenz bei Frauen höher • Monozyten hung der Granulozyten, Erythrozyten ist als bei Männern. In der Alters- • Thrombozyten [1] und/oder Thrombozyten im Vorder- gruppe > 65 Jahre liegt die Prävalenz 1Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung, Medizinische Universität Graz, Österreich 2Institut für Allgemeinmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland DOI 10.3238/zfa.2020.0435–0438 © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
436 EBM-SERVICE / EBM SERVICE bei 11 % und bei der Altersgruppe Webseiten themenrelevanter Fachge- re im Evidenzreport angeführte Stu- ≥ 85 Jahre bei 26,1 %. Die häufigste sellschaften sowie nach systemati- die zu Anämie-Screening wurde bei Form der Anämie ist die Eisenman- schen Übersichtsarbeiten in Pubmed, 1080 nicht schwangeren Frauen im gelanämie [5]. der Cochrane Library unter Verwen- Alter von 20 bis 64 Jahren durch- Bei Immunglobulinen unterschei- dung von Suchbegriffen zu „blood geführt [15]. Bei 11 % der Frauen det man zwischen fünf Klassen: IgA, cell count“, „immunoglobulins“ und (n = 119) konnte eine Anämie fest- IgD, IgE, IgG und IgM. Ein Immun- „lymphocyte count“. Ebenso erfolgte gestellt werden, jedoch zeigte sich bei globulin-Mangel kann angeboren eine Recherche auf der Webseite der keiner der untersuchten Frauen ein (primäre Antikörpermangelerkran- U.S. Preventive Services Task Force Darmkrebs als Ursache. In einer retro- kungen), oder erworben sein (z.B. (USPSTF). Nähere Angaben zur ver- spektiven Kohortenstudie zur Leuko- nephrotisches Syndrom oder Sepsis) wendeten Methodik finden sich im zytendifferenzierung wurde berichtet, [6]. Mittels einer Bestimmung der Im- Einleitungsartikel zu den IGeL-Up- dass keine asymptomatischen Krank- munglobuline können bei gesunden dates [10]. heiten festgestellt werden konnten und asymptomatischen Erwachsen [16]. In wenigen Fällen kam es zu ei- essenzielle Erkrankungen wie z.B. pri- Ergebnisse ner Änderung im Patienten-Manage- märe Antikörpermangelerkrankun- Insgesamt konnten über die Litera- ment, jedoch wird parallel darauf gen, eine Glutensensitive Entero- turrecherche nach Sichtung der Tref- hingewiesen, dass eine Änderung im pathie (GE) – Zöliakie oder ein multi- fer hinsichtlich Ein- bzw. Ausschluss Management nicht unbedingt bedeu- ples Myelom (Plasmozytom) diagnos- insgesamt drei relevante Arbeiten tet, dass die Patienten davon profitie- tiziert werden [1]. Primäre Antikör- identifiziert werden [11–13]. Davon ren [11]. In einer weiteren Kohorten- permangelerkrankungen stellen eine befasst sich ein Evidenzreport aus studie wurde berichtet, dass bei 1540 heterogene Gruppe von Störungen dem Jahr 2017 mit dem großen Blut- Blutuntersuchungen nur bei 6,4 % dar, die auf unterschiedlichen Patho- bild bei asymptomatischen und nicht abnormale Ergebnisse festgestellt genesen beruhen. Mit einer Prävalenz schwangeren Erwachsenen [11]. Bei wurden. Bei weit unter 1 % führten von etwa 1:700 stellt der selektive der zweiten relevanten Publikation die Ergebnisse der Folgeuntersuchun- IgA-Mangel die häufigste Antikörper- handelt es sich um eine US-ame- gen auch zur Diagnose einer Erkran- mangelerkrankung dar [7]. Die Präva- rikanische Kohorten-Studie, die sich kung [17]. Auch in weiteren Beobach- lenz der Zöliakie wiederum beträgt in mit der Identifikation von Erkran- tungsstudien kam es nur in einem ge- Deutschland 1:250, wobei der Anteil kungen (case finding) durch die Be- ringen Prozentsatz zu einer Änderung der Frauen höher ist als der der Män- stimmung von Laborparametern im in der Behandlung der Patienten auf- ner. Grundsätzlich gibt es zwei Mani- Rahmen ambulanter, allgemeinmedi- grund der Ergebnisse eines großen festationsgipfel, das Säuglingsalter zinischer Untersuchungen befasst Blutbildes [18–20]. Zusätzlich stellten und ab dem 40. Lebensjahr [8]. Ein [12]. Die dritte relevante Publikation die Autoren des Evidenzreports fest, multiples Myelom (Plasmozytom) ist ist ein systematischer Review der dass in keiner der Studien mögliche ein B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom USPSTF 2017 zum Thema „Screening Schäden durch übermäßige Unter- mit weitläufiger oder multilokulärer for Celiac Disease“ [13]. suchungen in Folge eines großen Infiltration des Knochenmarks durch Blutbildes berichtet wurden [11]. In Myelomzellen. Die Inzidenz beträgt 5 Großes Blutbild ihrem Fazit stellen die Autoren fest, pro 100.000 jährlich, wobei das mitt- Es wurde ein Evidenzreport aus dem dass es zu keiner Reduzierung der lere Alter bei der Diagnosestellung bei Jahr 2017 gefunden, in dem bei Mortalität kommt, wenn ein großes ungefähr 70 Jahren liegt. Männer asymptomatischen, beschwerdefreien Blutbild mit seinen Komponenten sind häufiger betroffen als Frauen. und nicht schwangeren Erwachsenen zur Untersuchung asymptomatischer, Die Ätiologie ist unbekannt, mögli- untersucht wurde, ob die Bestim- beschwerdefreier Erwachsener heran- che Risikofaktoren können z.B. chro- mung des großen Blutbildes einen gezogen wird. Das große Blutbild nische Infektionen oder ionisierende Zusatznutzen im Hinblick auf Morta- stellt daher laut den Autoren des Evi- Strahlen sein [9]. lität bzw. Morbidität bringt [11]. In denzreports keinen sinnvollen Test Vor diesem Hintergrund stellt diesem Evidenzreport wurde ein bei dieser Population dar. Es ist un- sich die Frage, welchen Nutzen ein Cochrane Review eingeschlossen, der klar, welche Patienten von einem Screening mittels großem Blutbild sich mit dem Nutzen und Schaden ei- Screening mittels großem Blutbild ei- und Immunparametern hinsichtlich ner allgemeinen Gesundenunter- nen tatsächlichen Vorteil haben, da einer Reduktion von Morbidität und suchung im Hinblick auf Gesamt- schwere Krankheiten meistens nicht Mortalität bei asymptomatischen Pa- mortalität bzw. erkrankungsspezi- entdeckt werden [11]. tienten hat. fische Mortalität befasste [14]. Bei 4 Eine zusätzlich Kohortenstudie der 16 in diesem Review eingeschlos- aus dem Jahr 1996 befasst sich mit Methoden senen RCTs war auch ein großes Blut- der Identifikation von Erkrankungen Zur Beantwortung dieser Fragestel- bild Bestandteil der Gesundenunter- (case finding) durch die Bestimmung lung erfolgte im Juni 2019 eine Lite- suchung. Es wurde festgestellt, dass es von Laborparametern (u.a. auch gro- raturrecherche nach themenrelevan- zu keiner Verringerung der krebsspe- ßes Blutbild) im Rahmen einer all- ten, evidenzbasierten Leitlinien in zifischen Mortalität bzw. Gesamtmor- gemeinen klinischen Untersuchung Leitliniendatenbanken bzw. auf den talität gekommen ist [14]. Eine weite- [12]. Die Studie wurde in vier Abtei- © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
EBM-SERVICE / EBM SERVICE 437 lungen der Mayo-Klinik in den USA sichtlich Nutzen und Schaden des stellung eines großen Blutbildes, eine durchgeführt. Es wurden die Mess- Screenings auf Zöliakie bei asympto- Lymphozytendifferenzierung oder ergebnisse vom großen Blutbild, dem matischen, beschwerdefreien, nicht die Bestimmung der Immunglobuline Lipidprofil, der Schilddrüsenparame- schwangeren Erwachsenen bzw. Ju- bei asymptomatischen Personen ab ter und der Blutchemie für das case gendlichen und Kindern ab 3 Jahren dem 18. Lebensjahr bzw. Personen finding herangezogen. Insgesamt wur- untersuchte [13]. Im systematischen mit unspezifischen Allgemein- den 1508 Labortests aus 7008 Einzel- Review wurden RCTs und Kohorten- beschwerden Auswirkung auf Morbi- komponenten bei 531 Patienten oder Fall-Kontrollstudien zum kli- dität oder Mortalität haben. Ebenso durchgeführt. 36 % (544 von 1508) nischen Nutzen und Schaden des konnte keine Evidenz gefunden wer- der Tests lieferten anormale Ergebnis- Screenings versus kein Screening auf den, die einen Nutzen eines Scree- se, wobei 6 % (33 von 544) wieder- Zöliakie sowie Behandlung versus nings auf die genannten Blutparame- holt wurden und 9 % (47 von 544) zu keine Behandlung bei erkannter Zö- ter bei asymptomatischen Personen weiteren Untersuchungen führten. liakie herangezogen. Zusätzlich wur- aufzeigt. Die 1508 Testungen lieferten positive de nach Studien recherchiert, welche Es gibt kaum Evidenz, dass die diagnostische Ergebnisse in 4,8 % (73 die diagnostische Genauigkeit von se- routinemäßige Blutuntersuchung bei neue Diagnosen) und führten zu the- rologischen Tests bei Zöliakie ange- asymptomatischen Personen einen rapeutischen Konsequenzen in 4,0 % ben. Es wurden keine Studien zur Nutzen hat. Vielmehr besteht die Ge- (60 neue Therapien). Der therapeuti- Wirksamkeit des Screenings versus fahr von falsch positiven Testergeb- sche Nutzen der einzelnen Labor- kein Screening auf Zöliakie bei nissen, die dazu führen, dass weitere untersuchungen gliedert sich dabei asymptomatischen Erwachsenen, Ju- nicht notwendige Tests und Unter- wie folgt: Lipidprofil (16,5 %), Blut- gendlichen und Kindern in Bezug auf suchungen durchgeführt werden chemie (2,8 %), großes Blutbild Morbidität, Mortalität oder Lebens- [12]. Daher kann auf Basis der aktuel- (0,9 %) und Schilddrüsenparameter qualität gefunden. Ebenso wurden len Studienlage keine Empfehlung für (0,7 %). Der therapeutische Nutzen keine Studien zur Wirksamkeit des ein Screening bei asymptomatischen war dabei nicht mit dem Alter, dem gezielten versus universellen Scree- Personen ab dem 18. Lebensjahr bzw. Geschlecht oder dem Wohnsitz der nings auf Zöliakie bei Erwachsenen, Personen mit unspezifischen All- untersuchten Personen assoziiert Jugendlichen oder Kindern auf Mor- gemeinbeschwerden hinsichtlich der [12]. Die Autoren stellen in ihrem Fa- bidität, Mortalität oder Lebensquali- Erstellung eines großen Blutbildes zit fest, dass sich der größte therapeu- tät erhoben. Keine Studien wurden und der Bestimmung der Immun- tische Nutzen aus der Bestimmung über die Schäden des Screenings ver- parameter gegeben werden. des Lipidprofils ergab. Der therapeuti- sus nicht Screening auf Zöliakie iden- sche Nutzen des großen Blutbildes, tifiziert [13]. In ihrem Fazit fassen die Literatur einer Urinanalyse und der Bestim- Autoren zusammen, dass nur sehr mung der Schilddrüsenparameter lag wenige bis gar keine Evidenz gefun- 1. Strametz R, Erler A, Weberschock T, et al. IGel kritisch betrachtet:„Mana- unter 1 %. Basierend auf der großen den wurde, um die Schlüsselfragen ger Check“ – Teil 1: Blutbild und Im- Anzahl an durchgeführten routine- im Zusammenhang mit dem Nutzen munparameter. Z Allg Med 2009; 85: mäßigen Laboruntersuchungen und und dem Schaden des Screenings auf 165–70 dem insgesamt daraus resultierenden Zöliakie bei asymptomatischen Perso- 2. Arasteh K, Baenkler H-W, Bieber C, et geringen therapeutischen Nutzen, nen zu beantworten. Weitere For- al. Hämatologische Untersuchungs- sollten Laboruntersuchungen wie schungsarbeiten sind erforderlich, methoden Duale Reihe – Innere Me- großes Blutbild, Urinanalyse oder Be- um die Wirksamkeit des Screenings dizin, 4 überarbeitete Auflage. Stutt- gart: Georg Thieme Verlag, 2018 stimmung von Schilddrüsenparame- bei asymptomatischen Personen be- tern nur gezielt dort eingesetzt wer- urteilen zu können. 3. Deutsche Gesellschaft für Hämatolo- den, wo ein größerer therapeutischer Beruhend auf diesen Ergebnissen gie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO), Österreichische Gesellschaft Nutzen erreicht werden kann und kommt die USPSTF zu folgender für Hämatologie & Medizinische On- auch eine entsprechende Evidenz da- Empfehlung: Die derzeitigen Er- kologie (OeGHO), Schweizerische für vorliegt [12]. kenntnisse, um den Nutzen sowie Gesellschaft für Hämatologie den Schaden des Screenings auf Zö- (SGHSSH), et al. Myeloproliferative Lymphozytendifferenzierung liakie bei asymptomatischen Per- Neoplasien (MPN) (früher: Chro- nische Myeloproliferative Erkrankun- und Immunglobuline sonen beurteilen zu können, sind un- gen (CMPE)). Oktober 2019. www. Es wurden keine Übersichtsarbeiten zureichend. Die Evidenzlage ist man- onkopedia.com/de/onkopedia/guide oder Studien zur Lymphozytendiffe- gelhaft, von schlechter Qualität, aber lines/myeloproliferative-neoplasien- renzierung, zur Bestimmung der Im- auch zu widersprüchlich, um das Ver- mpn-frueher-chronische-myelopro- munglobuline generell sowie zu ei- hältnis zwischen Nutzen und Scha- liferative-erkrankungen-cmpe/@@gui- deline/html/index.html (letzter Zu- nem Screening auf ein multiples Mye- den beurteilen zu können. griff am 01.05.2020) lom (Plasmozytom) oder ein IgA-Anti- 4. Kraywinkel K. Epidemiologie der körpermangelsyndrom identifiziert. Fazit myeloproliferativen Neoplasien und Es wurde ein systematischer Re- Es konnten keine evidenzbasierten myelodysplastischen Syndrome in view der USPSTF aus dem Jahr 2017 Leitlinien oder Studien identifiziert Deutschland. Onkologe 2019; 25: gefunden, der die Evidenzlage hin- werden, die aufzeigten, dass die Er- 948–56 © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
438 EBM-SERVICE / EBM SERVICE 5. Pschyrembel Online. Anämie. Juni 10. Semlitsch T, Siebenhofer A. Individu- count in case finding in the ambula- 2020. www.pschyrembel.de/ elle Gesundheitsleistungen (IGeL) kri- tory care setting. JAMA 1983; 249: An%C3%A4mien/K029K/doc/ (letz- tisch betrachtet – ein Update Z Allg 633–6 ter Zugriff am 01.10.2020) Med 2020; 96: 389 17. Ruttimann S, Clémençon D, Dubach 6. Pschyrembel Online. Immunglobuli- 11. Allan GM, Young J. Complete blood UC. Usefulness of complete blood ne. März 2020. www.pschyrembel. count for screening? Can Fam Physi- counts as a case-finding tool in medi- de/Immunglobuline/K0ALV/doc/ cian 2017; 63: 772 cal outpatients. Ann Intern Med (letzter Zugriff am 01.10.2020) 1992; 116: 44–50 12. Boland BJ, Wollan PC, Silverstein MD. 7. Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Im- Yield of laboratory tests for case-fin- 18. Czoski-Murray C, Jones ML, McCabe munologie (API) e.V. S3-Leitlinie ding in the ambulatory general medi- C, et al. What is the value of routinely „Therapie primärer Antikörperman- cal examination. Am J Med 1996; testing full blood count, electrolytes gelerkrankungen“. April 2019. www. 101: 142–52 and urea, and pulmonary function awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/ 13. Chou R, Bougatsos C, Blazina I, et al. tests before elective surgery in pa- 189-001l_S3_Therapie-primaerer- Screening for celiac disease: evidence tients with no apparent clinical indi- Antikoerpermangelerkrankungen- report and systematic review for the cation and in subgroups of patients 2019-05_01.pdf (letzter Zugriff am US Preventive Services Task Force. with common comorbidities: a syste- 01.10.2020) JAMA 2017; 317: 1258–68 matic review of the clinical and cost- 8. Rosien U. Zöliakie. Arzneiverord Prax effective literature. Health technology 14. Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Larsen 2018; 45: 72–7 assessment (Winchester, England). CG, et al. General health checks in 2012; 16 (50): i 9. Deutsche Gesellschaft für Hämatolo- adults for reducing morbidity and gie und Medizinische Onkologie e.V. mortality from disease: Cochrane sys- 19. Frye EB, Hubbell FA, Akin BV, et al. (DGHO), Österreichische Gesellschaft tematic review and meta-analysis. Usefulness of routine admission com- für Hämatologie & Medizinische On- BMJ 2012; 345: e7191 plete blood cell counts on a general kologie (OeGHO), Schweizerische medical service. J Gen Intern Med 15. Elwood P, Waters W, Greene W, et al. Gesellschaft für Hämatologie 1987; 2: 373–6 Evaluation of a screening survey for (SGHSSH), et al. Multiples Myelom. anaemia in adult non-pregnant wo- Mai 2018. www.onkopedia.com/de/ 20. Mozes B, Haimi-Cohen Y, Halkin H. men. BMJ 1967; 4: 714 onkopedia/guidelines/multiples-mye- Yield of the admission complete lom/@@guideline/html/index.html 16. Rich EC, Crowson TW, Connelly DP. blood count in medical inpatients. (letzter Zugriff am 01.10.2020) Effectiveness of differential leukocyte Postgrad Med J 1989; 65: 525–7 DEGAM-Leitlinien frei im Netz Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) stehen frei im Internet zur Verfügung. Die wissenschaftlich fundierten und vor der Veröffent- lichung in Praxen erprobten DEGAM-Leitlinien richten sich nicht nur an Hausärztinnen und Hausärzte, sondern auch an Patientinnen und Patienten und Praxismitarbeiter/innen. Neben der Langversion gibt es zu jeder Leitlinie eine Kurzfassung für die Anwendung im Praxisalltag. Mehrere tausend Leitlinien-Sets werden in Praxen und Universitäten in der täglichen Arbeit mit Patienten eingesetzt. Alle Module können auf der DEGAM-Leitlinien-Homepage (www.degam-leitlinien.de) oder auf der Homepage der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, http://leitlinien.net/) bei Bedarf heruntergeladen und ausgedruckt werden. Kontakt: Prof. Dr. med. Anne Barzel Dr. Philipp Leson DEGAM-Geschäftsstelle Leitlinien DEGAM-Bundesgeschäftsstelle c/o Universitätsklinik Ulm Schumannstraße 9 Institut für Allgemeinmedizin 10117 Berlin Albert-Einstein-Allee 23 Tel.: 030 209669800 89081 Ulm Fax: 030 209669899 Tel.: 0731 500 57907 E-Mail: presse@degam.de Fax: 0731 500 57915 Homepage: www.degam.de E-Mail: leitlinien@degam.de © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE 439 Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises Günther Egidi1, Hans-Otto Wagner2,3, Sandra Blumenthal4 Hintergrund Background Seit 2004 gibt es in Deutschland Tage der Allgemeinmedizin Since 2004 there are days of family medicine (TdA) in Ger- (TdA) als spezifisches hausärztliches Fortbildungsformat. Die many. In 2008 the DEGAM section for continuing medical DEGAM-Sektion Fortbildung formulierte 2008 dafür entspre- education defined corresponding criteria. There are now TdA chende Anforderungen. Inzwischen gibt es TdA an 17 univer- at 17 universities in Germany. The survey carried out was in- sitären Standorten in Deutschland. Mit der durchgeführten Er- tended to answer the question of whether these requirements hebung sollte die Frage beantwortet werden, ob die Anforde- are implemented for the TdA or whether they can be imple- rungen für die TdA umgesetzt werden bzw. überhaupt um- mented at all. setzbar sind. Methods Methoden All 17 TdA performing departments were surveyed. In addition Befragt wurden alle allgemeinmedizinischen Universitätsabtei- to the number of speakers and participants there were ques- lungen, die TdA anbieten. Neben der Zahl Referentinnen und tions about participation and speaker fees, the share of general Teilnehmerinnen* wurde nach Teilnahmegebühren und Refe- practitioners in speakers and moderators and about funding renten-Honoraren, nach dem Anteil Hausärztinnen an Refe- and sponsorship. The evaluation was conducted with Excel. rentinnen und Moderatorinnen, Finanzierung und Sponsoring Results der TdA gefragt. Die Auswertung erfolgte mit Excel. The number of participants as well as the speakers diverges Ergebnisse considerably, as do the speakers’ fees. The number of partici- Die Zahl der Teilnehmenden wie auch der Referierenden diver- pating doctors varies between 50 and 250 (median 83). In giert erheblich, ebenso die Referentinnen-Honorare. Die An- 2019 overall 1599 doctors and 954 medical assistants (MFA) zahl der teilnehmenden Ärztinnen divergiert deutlich zwi- partcipated. Family physicians as lecturers were present in less schen 40 und 250 und liegt im Mittel bei 94 (Median 83). Im than a third of courses in half of the departments. MFA cannot Jahr 2019 nahmen insgesamt 1599 Ärztinnen und 954 MFA an participate everywhere. Only a lack of sponsorship from the TdA teil. An der Hälfte der Standorte sind bei weniger als einem pharmaceutical companies unites all 17 TdA. Drittel der Veranstaltungen hausärztliche Referentinnen im Conclusion Einsatz. Nicht überall können Medizinische Fachangestellte There is still a long way to go to further develop the TdA based (MFA) teilnehmen. Nur fehlendes Sponsoring durch pharma- on the DEGAM criteria. zeutische Unternehmen eint alle 17 TdA. Keywords Schlussfolgerungen day of family medicine; family physicians; continuing Es ist noch ein weiter Weg, die TdA in Anlehnung an die education; interprofessional education; setting approach; DEGAM-Kriterien weiterzuentwickeln. industry-independence Schlüsselwörter Tag der Allgemeinmedizin; hausärztliche Fortbildung; interprofessionelle Fortbildung; Setting-Ansatz; Industrie- Unabhängigkeit 1 Hausarztpraxis Bremen-Huchting 2 Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) 3 Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck 4 Hausarztpraxis in Potsdam-Babelsberg Peer reviewed article eingereicht: 02.01.2020, akzeptiert: 20.05.2020 DOI 10.3238/zfa.2020.0439–0442 * Wenn die weibliche Form benutzt wird, geschieht dies nur im Sinne der leichteren Lesbarkeit. Gemeint sind immer Frauen und Männer. Die weibliche Form wird benutzt, weil die Allgemeinmedizin zunehmend ein weiblicher Beruf wird. © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
Egidi et al.: Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen 440 Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises Hintergrund • Es sollen vorwiegend interaktive soring der TdA im Jahr 2019 gefragt Im Jahr 2004 fand in Heidelberg der Formate eingesetzt werden. (Tab. 2 und 3). Die Auswertung er- erste Tag der Allgemeinmedizin als • Empfehlungen sollen mit evidenz- folgte mit Excel. Der Fragebogen war besondere hausärztliche Fortbildung basierten Belegen ergänzt werden. rein quantitativ und bot keinen statt, im Jahr 2006 wurden die ent- • Generell ist Produktwerbung nicht Raum für Freitext-Antworten. sprechenden Erfahrungen in der Zeit- erlaubt. schrift für Allgemeinmedizin publi- Ergebnisse ziert [1]. Auf der Basis dieser dreijäh- Untersuchung der Situation Die Rücklaufquote betrug 100 %. Die rigen Erfahrung mit dem Fortbil- bei den deutschen Tagen der Antworten zeigen eine große Hetero- dungsformat wurde für zukünftige Allgemeinmedizin genität. Referierende ein Didaktik-Leitfaden Aktuell gibt es TdA an 17 universitä- An der Hälfte der Standorte sind veröffentlicht. Um die Besonderheit ren Abteilungen für Allgemeinmedi- bei weniger als einem Drittel der Ver- der hier geübten hausärztlichen Fort- zin [3] (Aachen, Augsburg, Berlin, anstaltungen hausärztliche Referen- bildung vor Missbrauch zu schützen, Düsseldorf, Frankfurt, Göttingen, tinnen im Einsatz (> 2/3 hausärzt- ließ die Abteilung Allgemeinmedizin Hamburg, Hannover, Heidelberg, Bad liche Referentinnen an neun, < 1/3 und Versorgungsforschung am Uni- Homburg, Jena, Kiel/Lübeck, Mar- hausärztliche Referentinnen an acht versitätsklinikum Heidelberg die Be- burg, LMU München, TU München, Standorten). Eine hausärztliche Mo- zeichnung „Tag der Allgemeinmedi- Oldenburg und Würzburg). Inzwi- deration gibt es regelhaft an ca. der zin (TdA)“ als geschützte Marke ein- schen gibt es an 36 Uni-Standorten Hälfte der Standorte (immer haus- tragen. Die DEGAM-Sektion Fortbil- Abteilungen [4], somit bietet etwas ärztliche Moderation an acht, „nicht dung formulierte 2009 verbindliche mehr als die Hälfte aller universitären immer“ an neun Standorten). Kriterien [2] für die TdA als eigen- Abteilungen (noch) keinen TdA an. Im Mittel liegt die Zahl der Refe- ständiges Fortbildungsformat, d.h., Da nicht an allen Abteilungen die rierenden bei 25, sie divergiert zwi- welche Kriterien das Label „Tag der von der DEGAM-Sektion Fortbildung schen sechs und 60 (Median 26). Ins- Allgemeinmedizin“ erfüllen muss, als verbindlich definierten Kriterien gesamt waren 393 Referentinnen im um anerkannt zu werden. eingehalten wurden, sollte eine Um- Einsatz. Die wesentlichen Kriterien sind: frage die Situation der TdA erfassen An acht Standorten erhalten die • Relevanz der Fortbildungsthemen und mögliche Gründe für Abwei- Referierenden über 80 Euro pro Un- für den hausärztlichen Kontext chungen untersuchen. terrichtseinheit, an zwei Standorten • Orientierung an patientenrelevan- zwischen 40 und 80 Euro, an vier ten Fragen Methoden Standorten unter 40 Euro, und an • Update-Charakter zum Wissens- Im Mai 2019 wurde folgender Fra- zwei Standorten wird kein Honorar und Kompetenzerhalt. Dabei soll gebogen mit der Bitte um Beantwor- gezahlt. die Vermittlung von Arbeitsweisen tung an alle 17 TdA durchführenden Die teilnehmenden Ärztinnen und Kompetenzen Vorrang haben Abteilungen versandt (Tab. 1): Dabei müssen meistens zwischen 40 und vor reiner Wissensvermittlung. wurde neben der Zahl Referentinnen 80 Euro für die Teilnahme am TdA • Es sollte an der Vorbereitung und und Teilnehmerinnen nach Teilnah- bezahlen. An drei Standorten sind es der Moderation immer eine Haus- megebühren und Referentinnen-Ho- über 80 Euro und an zwei Standorten ärztin/ein Hausarzt federführend noraren, nach dem Anteil Hausärz- weniger als 40 Euro. An einem Groß- beteiligt sein, Entsprechendes gilt tinnen an Referentinnen und Mode- teil der Standorte zahlen Ärztinnen für Medizinische Fachangestellte. ratorinnen, Finanzierung und Spon- in Weiterbildung einen vergünstigten Hausärztliche Referentinnen □ nur □ > 2/3 hausärztlich □ < 2/3 hausärztlich Allgemeinmedizinische Moderation □ immer □ nicht immer Anzahl Referentinnen Honorar Referentinnen □ < 40 €/h □ 40–80 €/h □ > 80 €/h Teilnahmegebühren Ärztinnen □ < 40 € □ 40–80 € □ > 80 € Anzahl Teilnehmer (Ärztinnen) Anzahl Teilnehmer (MfA) Sponsoring □ nein □ ja, aber keine Pharmaindustrie □ ja, auch Pharmaindustrie Finanzierung □ unproblematisch □ schwierig Tabelle 1 Fragebogen für Erhebung des Ist-Standes bei den Tagen der Allgemeinmedizin in Deutschland 2019 © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
Egidi et al.: Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises 441 Beitrag (auf den Fragebogen geschrie- Diskussion rung. Welche weiteren Sponsoren bene Zusatz-Information). Aktuell erfüllen nur drei der 17 TdA (Software-Anbieter, Banken, AQUA- Die Anzahl der teilnehmenden alle von der Sektion Fortbildung for- Institut, Deximed etc.) eine Rolle Ärztinnen divergiert deutlich zwi- mulierten Kriterien. So sind an den spielten, wurde in der Erhebung schen 40 und 250 und liegt im Mittel meisten Standorten nicht durchgän- nicht erfasst. bei 94 (Median 83). Eine noch größe- gig Hausärztinnen als Vortragende Es lässt sich zusammenfassen, re Schwankungsbreite zeigt die Zahl bzw. Moderierende beteiligt. Es könn- dass an größeren allgemeinmedizi- der teilnehmenden MfA: Nahmen an te den allgemeinmedizinischen Ab- nischen Abteilungen es eher gelingt, einigen Standorten keine MFA teil, teilungen zum einen Schwierigkeiten die TdA-Kriterien einzuhalten als an waren es an anderen bis zu 200 (Mit- bereiten, Hausärztinnen und MFAs kleineren. An Standorten, an denen telwert 56,1, Median 33). Insgesamt für diese Tätigkeit zu gewinnen, zum das Format bereits etabliert ist, ge- nahmen 1599 Ärztinnen und 954 anderen fällt es an einigen Stand- lingt es zudem wohl eher, den Refe- MFA an TdA teil. orten möglicherweise leichter, auf rierenden ein adäquates Honorar zu Acht Abteilungen können ihren spezialisiert-fachärztliche Referieren- zahlen. TdA ohne externe Unterstützung fi- de aus den universitätsinternen Netz- Aus unserer Befragung ließen sich nanzieren, neun benötigen ein werken zurückzugreifen. Weiterhin zwei Schlussfolgerungen ableiten: Sponsoring. Beispielsweise leistet nehmen nicht an allen Standorten 1. Die Kriterien des TdA müssen über- der Hausärzteverband in Augsburg MFAs an dem eigentlich auf Interpro- arbeitet werden, da sie die Standor- und Göttingen finanzielle Unter- fessionalität ausgerichteten Fortbil- te vor nicht erfüllbare Herausfor- stützung. Es findet jedoch an kei- derungen stellen, oder aber nem einzigen Standort ein Sponso- 2. die TdA sollten sich weiterent- ring durch pharmazeutische Unter- wickeln, um die Kriterien zu erfül- nehmen statt. len. Zehn der 17 Abteilungen findet die Finanzierung der TdA unproble- Den Autorinnen sind keine vergleich- matisch, sechs Abteilungen geben da- baren Erhebungen der deutschen gegen Schwierigkeiten an. Im Freitext TdA bekannt. Eine Gegenüberstel- unserer Umfrage wurde von drei Ab- lung mit vergleichbaren Interventio- teilungen darauf hingewiesen, dass nen aus dem Ausland konnte aktuell an den allgemeinmedizinischen Insti- nicht durchgeführt werden, wäre tuten die Finanzierung des TdA nur aber wünschenswert. deshalb unproblematisch sei, weil ein Dr. med. Günther Egidi … großer Teil der Arbeit ehrenamtlich ... Arzt für Allgemeinmedizin, seit Stärken und Schwächen der 1999 in hausärztlicher Gemein- geleistet würde. Untersuchung schaftspraxis in Bremen niedergelas- Zwischen der Höhe der Honorare, sen; Sprecher der Sektion Fortbil- Eine Stärke der vorliegenden Erhebung den Teilnahme-Beiträgen der Ärztin- dung der Deutschen Gesellschaft für ist ihre Vollständigkeit: zu allen deut- nen und der Zahl der am TdA Teil- Allgemeinmedizin und Familien- schen TdA wurden die im Fragebogen nehmenden einerseits – und den medizin (DEGAM). gestellten Fragen beantwortet. Foto: privat Schwierigkeiten, einen TdA zu finan- Schwächen der Untersuchung be- zieren andererseits fand sich kein si- stehen v.a. in einer Unschärfe einiger cherer Zusammenhang. verwendeter Begriffe: so war aus den Bei TdA, bei denen ein Honorar dungsformat teil. Hingegen gelingt Antworten nicht eindeutig ersicht- unter 40 Euro/Stunde gezahlt wurde, ein pharmaunabhängiges Sponsoring lich, ob z.B. waren etwas weniger Referierende tä- erfreulicherweise an allen Standorten. • unter dem Begriff „Hausärztinnen“ tig als bei jenen, die > 80 Euro/Stunde Anders als in den TdA-Kriterien je- auch Mitarbeiterinnen der all- zahlten (im Mittel 19 Referierende im doch vorgesehen, gelingt aber nicht gemeinmedizinischen Universitäts- Vergleich zu 25). Es fand sich ein Zu- bei allen Veranstaltungen ein voll- abteilungen gezählt wurden, sammenhang zwischen der Höhe des kommener Verzicht auf finanzielle • für die MFA-Fortbildungen die glei- Honorars und der Zahl der teilneh- Unterstützung durch Sponsoren. Die chen Kriterien angewandt wurden, menden Ärztinnen: Bei TdA mit ei- Freitext-Rückmeldungen demaskier- • mit dem Begriff „Sponsoring“, nem Honorar unter 40 Euro/Stunde ten nicht nur Schwächen des einge- bzw. „Pharmasponsoring“ jede Art für die Referierenden fanden sich setzten Fragebogens, sondern wiesen von Produktwerbung verstanden auch weniger teilnehmende Ärztin- auch auf die besondere Herausforde- wurde. nen (Mittelwert 89,67 im Vergleich rung bei der Finanzierung der TdA zu 108,33). Eine mögliche Schlussfol- hin. So ist bspw. an einer Universität Zudem fehlte auf dem verwendeten gerung könnte es sein, dass TdA ab die Finanzierung des TdA nur deshalb Fragebogen die Möglichkeit von einer bestimmten Größe es sich eher unproblematisch, weil ein großer Teil Freitext-Antworten, um zu erläu- leisten können, Teilnahmegebühren der Arbeit ehrenamtlich geleistet tern, warum im Einzelfall von den zu erheben und ihre Referierenden zu wird. An einigen Standorten sorgt der TdA-Kriterien abgewichen worden bezahlen. Hausärzteverband für eine Finanzie- war. © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
Egidi et al.: Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen 442 Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises Schlussfolgerungen gelassene Hausärztinnen können als Zusatzmaterial im Internet Die Idee des Tages der Allgemeinme- Teilnehmende von der Expertise der (www.online-zfa.de) dizin vor ca. 15 Jahren war ein Er- universitären Mitarbeiterinnen pro- eTabelle 1 Zahl und Anteil haus- folgsrezept. Die TdA sind breit in der fitieren. Umgekehrt können Nieder- ärztlicher Referentinnen und Fläche etabliert und erfreuen sich zu- Moderatorinnen sowie Honorar gelassene einen wertvollen Beitrag als nehmender Beliebtheit in der haus- Moderierende und/oder Referierende eTabelle 2 Teilnahmegebühren für Ärz- ärztlichen Szene. Allerdings bieten leisten (ggf. auch im Tandem mit Re- tinnen, Teilnahmezahlen und Finanzierung noch nicht alle allgemeinmedizi- ferierenden aus spezialärztlichen Dis- nischen Universitätsabteilungen ei- ziplinen oder den universitären Ab- Interessenskonflikte: Keine angegeben. nen TdA an. teilungen). Dort, wo TdA durchgeführt wer- Grundlage für ein solides Konzept Literatur den, erfüllt allerdings nur ein Teil die des TdA ist eine gute Finanzierung. von der DEGAM-Sektion Fortbildung Hier könnte sich auch der Hausärzte- 1. Szecsenyi J, Wiesemann A, Stutzke O, Mahler C. „Tag der Allgemeinmedi- aufgestellten und gut begründeten verband, wie schon an ausgewählten zin“ – Ein Beitrag zur Entwicklung ei- Kriterien. Eine besondere Herausfor- Standorten geschehen, einbringen. ner gemeinsamen regionalen Platt- derung sind die Bereiche Finanzie- Ein TdA kann als Vernetzungsplatt- form zwischen Hausarztpraxen und rung und Gewinnung hausärztlicher form wirken: Vertreterinnen der aka- einer Universitätsabteilung. Z Allg Med 2006; 82: 449–455 Referierender. demischen Allgemeinmedizin und je- Die Kompetenzzentren können ne, die sich in der Berufspolitik enga- 2. Egidi G. „Tag der Allgemeinmedizin” – ein neuartiges Label für die haus- mit ihren finanziellen Möglichkeiten gieren, rücken hier stärker zusammen ärztliche Fortbildung. Z Allg Med diejenigen Fortbildungen, die speziell und präsentieren nach außen ein ge- 2009; 85: 145–146 für ÄiW angeboten werden, auf TdA schlossenes Bild der hausärztlichen 3. www.degam.de/tage-der-allgemein stattfinden lassen. Damit ließe sich Primärversorgung. medizin.html (letzter Zugriff am zumindest für diese ÄiW-Fortbildun- 4.12.2019) gen eine externe Finanzierungsmög- Danksagung: Wir bedanken uns bei 4. www.degam.de/allgemeinmedizi lichkeit finden. den angeschriebenen 17 allgemein- nische-universitaetsabteilungen.html Der TdA sollte mehr als ein be- medizinischen Abteilungen für die (letzter Zugriff am 27.11.2019) sonderes Fortbildungsformat sein. Er konstruktive Mitarbeit. hat grundsätzlich das Potenzial, die Nachbemerkung: Seit 2019 gibt es Korrespondenzadresse Vernetzung zwischen Niedergelasse- auch in Potsdam einen TdA. Er wurde Dr. Günther Egidi nen und den universitären Abteilun- bei dieser Erhebung nicht mitberück- Arzt für Allgemeinmedizin gen zu fördern. Dieses Potenzial sollte sichtigt, weil hier noch nicht viele Er- Huchtinger Heerstr. 24, 28259 Bremen auch aktiv genutzt werden. Nieder- fahrungen vorliegen. guenther.egidi@posteo.de DEGAM-NEWSLETTER Immer gut informiert Seit einigen Jahren verschickt die DEGAM-Bundesgeschäftsstelle exklusiv an die Mitglieder den E-Mail-Newsletter DEGAM aktuell. Dieser Informationsdienst beinhaltet Neuigkeiten aus dem Präsidium, den Sektionen und Arbeitsgemeinschaften sowie der Leitlinien-Geschäftsstelle und der JADE. Auch aktuelle Mitteilungen zu den Rubriken Personalia, Veranstaltungen und Stellen- ausschreibungen finden sich im Newsletter. Die bisher versandten Ausgaben können im pass- wortgeschützten internen Bereich unter www.degam.de eingesehen werden. Sind auch Sie an den aktuell in der DEGAM diskutierten Themen und Entwicklungen interessiert? Schicken Sie einfach eine E-Mail mit dem Betreff „DEGAM aktuell“ an: geschaeftsstelle@degam.de © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE 443 Glukosebestimmung Serum versus Plasma im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung Measurement of Glucose: Serum versus Plasma Manfred Eissler Hintergrund Background Da zumindest im ambulanten Bereich bisher oft Serum für die The renaming of “glucose” in “fasting plasma glucose” in the Glukosebestimmung verwendet wird, bedeutet die Umbenen- respective guideline of the Joint Federal Committee has re- nung von „Glukose“ in „Nüchternplasmaglukose“ (Neufas- sulted in organizational and logistical changes for community sung der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses) physicians and laboratories. The aim of this study was to evalu- eine organisatorische und logistische Änderung für die Labore ate the equivalence of the measurement of blood glucose in und die einsendenden Ärzte. Ziel der vorliegenden Studie war serum and in plasma in an outpatient context. es, die Äquivalenz der Blutzuckermessung im Serum und im Methods Plasma im ambulanten Kontext zu evaluieren. Es wird geprüft, From 112 blood samples, both serum and plasma were ob- ob die Messung von Glukose im Serum und im Plasma gleich- tained to measure the glucose value. The samples were taken wertig ist. in community medical practices and the samples were ana- Methoden lyzed in the laboratory on the same day. Aus 112 Blutproben wurden sowohl Serum als auch Plasma zur Results Messung des Glukosewerts gewonnen. Die Blutproben wur- On average, the serum glucose values are above the plasma den in Arztpraxen entnommen und am selben Tag im Labor glucose values. The evaluation of the linear regression and the analysiert. regression according to Passing-Bablok shows that the two Ergebnisse methods are at least equivalent if the pre-analytical require- Im Durchschnitt liegen die Serumglukosewerte über den Plas- ments are observed. maglukosewerten. Die Auswertung der linearen Regression Conclusions und der Regression nach Passing-Bablok zeigt, dass die beiden The method of glucose measurement required in the guide- Methoden bei Einhaltung der präanalytischen Anforderungen lines should be reconsidered. mindestens gleichwertig sind. Keywords Schlussfolgerungen glucose; glycolysis; serum; plasma; preanalytics Die in den Leitlinien geforderte Methode zur Glukosemessung im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung sollte überdacht werden. Schlüsselwörter Glukose; Glykolyse; Serum; Plasma; Präanalytik Hintergrund Da zumindest im ambulanten Be- lerbehaftete Maßnahmen (z.B. zehn- In der Neufassung der Richtlinien des reich bisher oft Serum für die Gluko- maliges (!) Schütteln bzw. Beachten Gemeinsamen Bundesausschuss über sebestimmung verwendet wird, be- des exakten Mischungsverhältnisses die Gesundheitsuntersuchung zur deutet diese neue Richtlinie eine or- und des Verdünnungsfaktors) erfor- Früherkennung von Krankheiten (Ge- ganisatorische und logistische Ände- derlich sind [3, 5]. sundheitsuntersuchungs-Richtlinie) rung für die Labore und die einsen- vom 19. Juli 2018 [1] wurde beim La- denden Ärzte. Da für die Gesund- Methoden bor „Glukose“ in „Nüchternplasma- heitsuntersuchung neben der Glukose Um zu überprüfen, ob es einen kli- glukose“ geändert. Eine direkte Be- auch ein Lipidprofil obligat ist, muss nisch relevanten Unterschied zwi- gründung wird nicht angegeben, es zusätzlich zu einem Serumröhrchen schen der Glukosebestimmung im wird allerdings mehrfach auf interna- ein Plasmaröhrchen abgenommen, Plasma und im Serum unter den rea- tionale Diabetes-Leitlinien [2] verwie- an das Labor transferiert und dort len Praxisbedingungen gibt, wurden sen, die ebenso wie die Praxisempfeh- analysiert werden. Hinzu kommt, 112 konsekutive Laboranforderungen lungen der Deutschen Diabetes Ge- dass für die infrage kommenden in einer Laborgemeinschaft (LG) aus- sellschaft [3, 4] eine Plasmaglukose- Plasmaröhrchen für die Glukose- gewertet. Diese Auswertung erfolgte bestimmung verlangen. bestimmung teilweise spezielle, feh- für alle Anforderungen, bei denen Facharzt für Allgemeinmedizin, Reutlingen Peer reviewed article eingereicht: 27.01.2020, akzeptiert: 25.03.2020 DOI 10.3238/zfa.2020.0443–0446 © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
Eissler: Glukosebestimmung Serum versus Plasma im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung 444 Measurement of Glucose: Serum versus Plasma Abbildung 1 Vergleich der Glukosebestimmung in Serum und Plasma (sortiert aufsteigend nach Serumwerten); n = 106 Grafik: Eissler/Dt. Ärzteverlag vom selben Patienten zur selben Zeit Proben wurden am Tag der Blutent- 95%-Konfidenzintervallen (95%-KI) sowohl ein Plasmaröhrchen zur Glu- nahme in der LG analysiert. (0,931; 0,995) für die Steigung und kosebestimmung als auch ein Serum- Von den 106 Plasmaröhrchen wa- (–3,482; 3,857) für den Y-Achsen- röhrchen zur Bestimmung weiterer ren 80 BD Vacutainer®-Röhrchen für abschnitt. Da der Wert 1 für die Stei- Parameter abgenommen wurde. Da Glukose mit Na-Fluorid und Na-He- gung nicht im Konfidenzintervall es in unserer Laborgemeinschaft seit parin und 26 Röhrchen S-Monovet- liegt, ist von einem signifikanten Jahren Routine ist, dass bei einer sol- te® 2,7 ml FE mit Fluorid und EDTA. Unterschied auf dem 5%-Niveau aus- chen Anforderung Glukose sowohl zugehen, wobei die Serumwerte sig- aus dem Plasmaröhrchen als auch aus Ergebnisse nifikant höher als die Plasmawerte dem Serumröhrchen bestimmt wird, Abbildung 1 zeigt die Messergebnis- liegen. Die Berechnung der in der konnten die routinemäßig erstellten se. In 18 Fällen ist der Plasmawert Labormedizin häufig zum Vergleich Werte zur Auswertung herangezogen höher als der Serumwert, in 88 Fäl- von zwei Methoden verwendeten werden. len ist der Plasmawert kleiner oder Passing-Bablok-Regression ergibt für Von den 112 Serumröhrchen wa- gleich dem Serumwert. In Tabelle 1 den Y-Achsenabschnitt (intercept) ren 106 in der Praxis zentrifugiert sind die Mittelwerte und die Me- den Wert –3 (95%-KI: –7,84; 0,10) worden, sechs waren nicht zentrifu- dianwerte aufgeführt. Der Korrelati- und für die Steigung (slope) den giert. Zur Vergleichsauswertung wur- onskoeffizient berechnet sich zu Wert 1 (95%-KI: 0,97; 1,04). Damit den nur die 106 zentrifugierten Ser- 0,986 und die Regressionsgerade zu liegen beide Werte noch innerhalb umwerte herangezogen. Von diesen Y = 0,963 X + 0,187 (Abb. 2) mit den der Konfidenzintervalle, was bedeu- zentrifugierten 106 Röhrchen waren tet, dass beide Methoden gleichwer- 78 in einem Röhrchen Marke BD tig sind. (Berechnung unter Verwen- oder Sarstedt mit Trenngel, sodass das dung des Tools von Burak Bahar auf Serum als Überstand von den korpus- Mittelwert Median der Internetseite https://bahar.shiny kulären Bestandteilen des Blutes ge- apps.io/method_compare/). trennt wurde. Bei weiteren 28 Röhr- Plasmawerte 107,8 98,5 In Abbildung 3 sind die sechs chen wurde in den Praxen nach Zen- Serumwerte 111,7 100,5 Vergleichsmessungen aufgetragen, trifugation das Serum in ein separates bei denen die Serumproben in der Transportröhrchen umgefüllt. Alle Tabelle 1 Mittelwerte und Medianwerte Praxis nicht zentrifugiert wurden. © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
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