ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin

 
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ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
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                                                                                                                     11 I 2020
                                                                                                                      96. JAHRGANG

                                   Zeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine

                           Ist bei gesunden
                           Erwachsenen ein
                           großes Blutbild
                           sinnvoll?
                           SEITE 435
ZFA 11/2020 96. JAHRGANG

                           Glukosebestimmung
                           Serum versus Plasma
                           SEITE 443

                           Qualitätssicherung
                           in Lehrpraxen
                           SEITE 449

                           Primärversorgung in
                           Österreich – Quo vadis?
                           SEITE 467

                                                                            This journal is regularly listed in
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HERAUSGEBENDE GESELLSCHAFTEN / PUBLISHING INSTITUTIONS

ZFA
Organ der/des ... / Official journal of the ...

Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
German College of General Practitioners and Family Physicians
Gesellschaft der Hochschullehrer für Allgemeinmedizin (GHA)
Society of Professors and University Lecturers of Family Medicine
Niederösterreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (NÖGAM)
Lower Austrian Society of Family Medicine
Österreichischen Instituts für Allgemeinmedizin (ÖIfAM)
Austrian Institute of Family Medicine
Salzburger Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (SAGAM)
Salzburg Society of Family Medicine
Steierischen Akademie für Allgemeinmedizin (STAFAM)
Styrian College of Family Medicine
Südtiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SüGAM)
Southern Tyrolean Society of Family Medicine
Tiroler Gesellschaft für Allgemeinmedizin (TGAM)
Tyrolean Society of Family Medicine
Vorarlberger Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (VGAM)
Vorarlberg Society of Family Medicine

                                                                                   Titelbildhinweis: Henrik Dolle/stock.adobe.com

© Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
EDITORIAL / EDITORIAL                                                                                                                                    433

Die Pandemie gut überstehen
Angesichts der massiven Kontaktbeschränkungen und der reduzierten Möglich-
keiten für Freizeit, Sport, Kultur und sozialen Austausch sind viele Menschen
frustriert. Sie sehen einen dunklen November und bangen um die Zeit danach:
Was wird ab Dezember möglich sein?
    Um Sie, die Leserinnen und Leser der ZFA, mache ich mir keine Sorgen. Die
meisten von uns kennen das Wort „Langeweile“ praktisch nicht, und wenn
wir sie mal erleben dürfen, dann ist das eher eine Wohltat: nichts Dringendes
zu erledigen, keine Mails, Briefe oder Anrufe, die auf Antwort warten, Zeit, sich
auf sich selbst und das, was einem/einer wirklich wichtig ist, zu besinnen –
oder einfach faul sein und sich ausruhen. Wahrscheinlich wird Langeweile
auch gar nicht eintreten, weil die Praxen voll sein werden und die Bedarfe der
Patientinnen und Patienten nach Beratung und Behandlung mehr als üblich.
    Um manche Patientinnen und Patienten und ihre Familien besteht aller-
dings berechtigter Anlass zur Sorge. Angst, Depression, psychosoziale Störungen                                  Foto: Ute Boeters
bis hin zur Gewalttätigkeit, aber auch kognitive Störungen können vermehrt
auftreten. Es stellt sich die Frage, wie dem vorgebeugt werden kann. Wie häufig
in diesen Zeiten muss man feststellen, dass die wissenschaftliche Evidenz bezüg-
lich hilfreicher Interventionen sehr mager ist. Jacobi stellt in seinem Übersichts-
artikel bereits vor der Pandemie wissenschaftlich erforschte und bewährte Ver-
haltensmaßnahmen und mentale Strategien zusammen, die helfen, Ausnahme-
situationen zu meistern. Beispiele sind:
• daran denken, dass wir einen Dienst an der Gemeinschaft tun
• Tagesstruktur einhalten
• Medien bewusst und gezielt konsumieren
• soziale Kontakte über die Distanz pflegen
• sich auf die eigenen Stärken besinnen
• Gefühlen Raum geben
• Grübeln begrenzen
• einfache Entspannungs- und Achtsamkeitsübungen durchführen
• sich körperlich bewegen
• daran denken, dass die Situation vorübergehen wird.

Diese Strategien gehören zum hausärztlichen Repertoire, die Sammlung mit all
ihren Erläuterungen kann aber helfen, für den individuellen Menschen die
richtigen Strategien zu finden [1].                                                           Quellen
    Wirksame strukturierte Interventionen, wie z.B. regelmäßige (Video-)Telefo-               1. Jacobi F. Häusliche Isolation und
nate mit verschiedensten Personen, sind in einer Übersichtsarbeit von Gorenko                    Quarantäne gut überstehen.
et al. zusammengestellt [2]. Auch wenn es nicht möglich ist, solche Programme                    Psychotherapeut https://doi.org/
schnell aufzuziehen, unterstützen die dazu vorliegenden Studien die Annahme,                     10.1007/s00278-020-00424-y
dass auch kurze regelmäßige Telefonate die Situation von sozial isolierten Men-                  (letzter Zugriff am 31.10.2020)
schen deutlich verbessern können.                                                             2. Gorenko JA, Moran C, Flynn M,
    In einem Leserbrief macht Webb darauf aufmerksam, dass es besonders                          Dobson K, Konnert C. Social isolation
                                                                                                 and psychological distress among
wichtig sei, die Individualität des Einzelnen im Blick zu haben. Denn die
                                                                                                 older adults related to COVID-19:
allgegenwärtige Erwähnung der „vulnerablen Älteren“ sei ein Stereotyp und                        a narrative review of remotely-
könne die damit Gemeinten stigmatisieren und entmutigen. Ältere Menschen                         delivered interventions and
hätten auch viele Stärken, die es wahrzunehmen gelte [3].                                        recommendations. JApplied Gerontol
    Zurück zu Ihnen, liebe Leserinnen und Leser: Ich hoffe, Sie können den                       DOI: 10.1177/0733464820958550
                                                                                                 (letzter Zugriff am 31.10.2020)
November dazu nutzen, in Ruhe die gesamte ZFA durchzulesen. Damit die
Diskussion nicht fehlt, habe ich ganz bewusst Arbeiten ausgewählt, zu denen                   3. Webb L. COVID-19 lockdown: a
                                                                                                 perfect storm for older people’s mental
Kommentare vorlagen.
                                                                                                 health. J Psych Mental Health Nurs
                                           Beste Grüße und bleiben Sie gesund                    2020; First published: 30 April 2020,
                                                                            Ihre                 DOI: 10.1111/jpm.12644
                                                             Hanna Kaduszkiewicz                 (letzter Zugriff am 31.10.2020)

                                                                      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
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434   INHALTSANGABE / TABLE OF CONTENTS

      EDITORIAL / EDITORIAL
                      Hanna Kaduszkiewicz
      433             Die Pandemie gut überstehen

      EBM-SERVICE / EBM SERVICE
                      Karin Petschk, Thomas Semlitsch, Andrea Siebenhofer
      435             Wie sinnvoll ist die Untersuchung von großem Blutbild und Immunparametern
                      bei gesunden Erwachsenen?
                      How Useful is the Examination of Complete Blood Count and Immune Parameters in Healthy Adults?

      ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE
                      Günther Egidi, Hans-Otto Wagner, Sandra Blumenthal
      439             Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen
                      Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises
                      Manfred Eissler
      443             Glukosebestimmung Serum versus Plasma im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung
                      Measurement of Glucose: Serum versus Plasma

      KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION
                      Günther Egidi
      447             Interessant, aber auch relevant?
                      Interesting, but also relevant?

      ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE
                      Sabine Gehrke-Beck, Gudrun Bayer, Christoph Heintze, Ulrike Sonntag
      449             Qualitätssicherung in Lehrpraxen – welche Rolle spielen Didaktiktrainings?
                      Quality Management in Outpatient Teaching Practices – What´s the Role of Faculty Development?

      KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION
                      Klaus Böhme, Irmgard Streitlein-Böhme
      454             Welche Qualität in der Lehre wollen/können wir vorhalten?
                      What Quality of Teaching Do We Want/Can We Provide?

      ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE
                      Franziska A. Herbst, Stephanie Stiel, Birgitt Wiese, Anja Rothmund, Mustafa Yilmaz, Nils Schneider
      457             Wo versterben die Menschen in der Region Hannover?
                      Where do People Die in the Region of Hanover?

      DER BESONDERE ARTIKEL / SPECIAL ARTICLE
                      Johannes Hauswaldt, Erik C. F. Stolper
      463             Wie nehmen Hausärzte ihr Bauchgefühl wahr?
                      How Do Family Physicians Perceive their Gut Feeling?
                      Arleta Franczukowska, Eva Krczal, Alexander Braun
      467             Primärversorgung in Österreich – Quo vadis?
                      Primary Health Care in Austria – Quo Vadis?

      KOMMENTAR/MEINUNG / COMMENTARY/OPINION
                      Uwe Kurzke
      472             The Disease is not the Illness
                      The Disease is not the Illness

      474             BUCHBESPRECHUNG / BOOK REVIEW
      476             LESERBRIEFE / LETTERS TO THE EDITOR
      477             DEGAM-NACHRICHTEN / DEGAM NEWS
      478             JADE-NACHRICHTEN / JADE NEWS
      479             DEUTSCHER HAUSÄRZTEVERBAND / GERMAN ASSOCIATION OF FAMILY PHYSICIANS
      480             IMPRESSUM / IMPRINT

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
EBM-SERVICE / EBM SERVICE                                                                                                                                                    435

Wie sinnvoll ist die Untersuchung
von großem Blutbild und                                                                                                                       EbM
Immunparametern bei gesunden
Erwachsenen?
How Useful is the Examination of Complete Blood Count
and Immune Parameters in Healthy Adults?
Karin Petschk1, Thomas Semlitsch1, Andrea Siebenhofer1,2

Frage                                                                               Question
Im Rahmen der individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL)                            Within the framework of the individual non-covered health
wird mit dem sogenannten „Manager-Check“ eine Unter-                                service (IGeL), the so-called „Manager Check“ offers an
suchung des großen Blutbildes und die Erstellung von Immun-                         examination of the complete blood count and immune par-
parametern für bisher gesunde, beschwerdefreie Erwachsene                           ameters for healthy, symptom-free adults. Yet it is question-
angeboten. Dabei ist fraglich, ob durch die Erhebung dieser                         able whether mortality or morbidity can actually be reduced
Parameter bei asymptomatischen Erwachsenen oder Personen                            by collecting these parameters from asymptomatic adults or
mit unspezifischen Allgemeinsymptomen die Mortalität bzw.                           persons with unspecific general symptoms.
Morbidität tatsächlich gesenkt werden kann.                                         Answer
Antwort                                                                             There is currently no evidence that the examination of the
Derzeit gibt es keine Evidenz dafür, dass die Erstellung eines                      complete blood count, lymphocyte differentiation or immu-
großen Blutbildes, einer Lymphozytendifferenzierung oder die                        noglobulins has any effect on morbidity or mortality in asymp-
Bestimmung der Immunglobuline bei asymptomatischen Er-                              tomatic adults or in individuals with unspecific general com-
wachsenen bzw. Personen mit unspezifischen Allgemein-                               plaints. Therefore, no recommendation can be given for the
beschwerden Auswirkungen auf Morbidität oder Mortalität                             respective screening of asymptomatic adults or persons with
haben. Daher kann keine Empfehlung für ein entsprechendes                           unspecific general complaints.
Screening bei asymptomatischen Erwachsenen bzw. Personen
mit unspezifischen Allgemeinbeschwerden gegeben werden.

Hintergrund                                             Durch die Bestimmung des großen                           grund [3]. Myeloproliferative Neopla-
Als großes Blutbild versteht man die                    Blutbildes können nur wenige gravie-                      sien zählen zu den seltenen hämato-
Untersuchung und Bestimmung fol-                        rende Krankheiten bei gesunden und                        logischen Erkrankungen, ihre Jahres-
gender Parameter:                                       beschwerdefreien Erwachsenen ent-                         inzidenz liegt bei etwa 3–4 Fällen pro
• Hämoglobingehalt der Erythrozy-                       deckt werden. Beispiele hierfür sind                      100.000 [4].
  ten (Hb)                                              myeloproliferative Neoplasien oder                            Unter Anämie versteht man die
• Mittleres korpuskuläres Volumen                       auch eine asymptomatische Anämie                          Verringerung von Erythrozytenzahl,
  der Erythrozyten (MCV)                                [2]. Zur Gruppe der myeloproliferati-                     Hämoglobin-Konzentration und/oder
• Mittlere Konzentration des Hämo-                      ven Neoplasien, deren Ursachen Mu-                        Hämatokrit unter die Referenzwerte.
  globins der Erythrozyten (MCH)                        tationen der blutbildenden Zellen im                      Übermäßiger Blutverlust, ineffektive
• Hämatokrit (Hk)                                       Knochenmark sind, zählen z.B. die                         Erythrozytopoese, z.B. Eisenmangel
• Leukozyten gesamt                                     chronische myeloische Leukämie                            sind kennzeichnende Ursachen. Ab-
• Neutrophile Granulozyten                              (CML), die Polycythaemia vera (PV)                        geschlagenheit, Dyspnoe und Blässe
• Eosinophile Granulozyten                              oder die essenzielle Thrombozyth-                         sind Merkmale der Anämie. Die Prä-
• Basophile Granulozyten                                ämie (ET). Im Blutbild steht bei die-                     valenz liegt in Europa bei ca. 10 %,
• Lymphozyten gesamt                                    sen Erkrankungen eine massive Erhö-                       wobei die Prävalenz bei Frauen höher
• Monozyten                                             hung der Granulozyten, Erythrozyten                       ist als bei Männern. In der Alters-
• Thrombozyten [1]                                      und/oder Thrombozyten im Vorder-                          gruppe > 65 Jahre liegt die Prävalenz

1Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung, Medizinische Universität Graz, Österreich
2Institut für Allgemeinmedizin, Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland
DOI 10.3238/zfa.2020.0435–0438

                                                                                          © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
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      bei 11 % und bei der Altersgruppe                             Webseiten themenrelevanter Fachge-        re im Evidenzreport angeführte Stu-
      ≥ 85 Jahre bei 26,1 %. Die häufigste                          sellschaften sowie nach systemati-        die zu Anämie-Screening wurde bei
      Form der Anämie ist die Eisenman-                             schen Übersichtsarbeiten in Pubmed,       1080 nicht schwangeren Frauen im
      gelanämie [5].                                                der Cochrane Library unter Verwen-        Alter von 20 bis 64 Jahren durch-
           Bei Immunglobulinen unterschei-                          dung von Suchbegriffen zu „blood          geführt [15]. Bei 11 % der Frauen
      det man zwischen fünf Klassen: IgA,                           cell count“, „immunoglobulins“ und        (n = 119) konnte eine Anämie fest-
      IgD, IgE, IgG und IgM. Ein Immun-                             „lymphocyte count“. Ebenso erfolgte       gestellt werden, jedoch zeigte sich bei
      globulin-Mangel kann angeboren                                eine Recherche auf der Webseite der       keiner der untersuchten Frauen ein
      (primäre Antikörpermangelerkran-                              U.S. Preventive Services Task Force       Darmkrebs als Ursache. In einer retro-
      kungen), oder erworben sein (z.B.                             (USPSTF). Nähere Angaben zur ver-         spektiven Kohortenstudie zur Leuko-
      nephrotisches Syndrom oder Sepsis)                            wendeten Methodik finden sich im          zytendifferenzierung wurde berichtet,
      [6]. Mittels einer Bestimmung der Im-                         Einleitungsartikel zu den IGeL-Up-        dass keine asymptomatischen Krank-
      munglobuline können bei gesunden                              dates [10].                               heiten festgestellt werden konnten
      und asymptomatischen Erwachsen                                                                          [16]. In wenigen Fällen kam es zu ei-
      essenzielle Erkrankungen wie z.B. pri-                        Ergebnisse                                ner Änderung im Patienten-Manage-
      märe Antikörpermangelerkrankun-                               Insgesamt konnten über die Litera-        ment, jedoch wird parallel darauf
      gen, eine Glutensensitive Entero-                             turrecherche nach Sichtung der Tref-      hingewiesen, dass eine Änderung im
      pathie (GE) – Zöliakie oder ein multi-                        fer hinsichtlich Ein- bzw. Ausschluss     Management nicht unbedingt bedeu-
      ples Myelom (Plasmozytom) diagnos-                            insgesamt drei relevante Arbeiten         tet, dass die Patienten davon profitie-
      tiziert werden [1]. Primäre Antikör-                          identifiziert werden [11–13]. Davon       ren [11]. In einer weiteren Kohorten-
      permangelerkrankungen stellen eine                            befasst sich ein Evidenzreport aus        studie wurde berichtet, dass bei 1540
      heterogene Gruppe von Störungen                               dem Jahr 2017 mit dem großen Blut-        Blutuntersuchungen nur bei 6,4 %
      dar, die auf unterschiedlichen Patho-                         bild bei asymptomatischen und nicht       abnormale Ergebnisse festgestellt
      genesen beruhen. Mit einer Prävalenz                          schwangeren Erwachsenen [11]. Bei         wurden. Bei weit unter 1 % führten
      von etwa 1:700 stellt der selektive                           der zweiten relevanten Publikation        die Ergebnisse der Folgeuntersuchun-
      IgA-Mangel die häufigste Antikörper-                          handelt es sich um eine US-ame-           gen auch zur Diagnose einer Erkran-
      mangelerkrankung dar [7]. Die Präva-                          rikanische Kohorten-Studie, die sich      kung [17]. Auch in weiteren Beobach-
      lenz der Zöliakie wiederum beträgt in                         mit der Identifikation von Erkran-        tungsstudien kam es nur in einem ge-
      Deutschland 1:250, wobei der Anteil                           kungen (case finding) durch die Be-       ringen Prozentsatz zu einer Änderung
      der Frauen höher ist als der der Män-                         stimmung von Laborparametern im           in der Behandlung der Patienten auf-
      ner. Grundsätzlich gibt es zwei Mani-                         Rahmen ambulanter, allgemeinmedi-         grund der Ergebnisse eines großen
      festationsgipfel, das Säuglingsalter                          zinischer Untersuchungen befasst          Blutbildes [18–20]. Zusätzlich stellten
      und ab dem 40. Lebensjahr [8]. Ein                            [12]. Die dritte relevante Publikation    die Autoren des Evidenzreports fest,
      multiples Myelom (Plasmozytom) ist                            ist ein systematischer Review der         dass in keiner der Studien mögliche
      ein B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom                                USPSTF 2017 zum Thema „Screening          Schäden durch übermäßige Unter-
      mit weitläufiger oder multilokulärer                          for Celiac Disease“ [13].                 suchungen in Folge eines großen
      Infiltration des Knochenmarks durch                                                                     Blutbildes berichtet wurden [11]. In
      Myelomzellen. Die Inzidenz beträgt 5                          Großes Blutbild                           ihrem Fazit stellen die Autoren fest,
      pro 100.000 jährlich, wobei das mitt-                         Es wurde ein Evidenzreport aus dem        dass es zu keiner Reduzierung der
      lere Alter bei der Diagnosestellung bei                       Jahr 2017 gefunden, in dem bei            Mortalität kommt, wenn ein großes
      ungefähr 70 Jahren liegt. Männer                              asymptomatischen, beschwerdefreien        Blutbild mit seinen Komponenten
      sind häufiger betroffen als Frauen.                           und nicht schwangeren Erwachsenen         zur Untersuchung asymptomatischer,
      Die Ätiologie ist unbekannt, mögli-                           untersucht wurde, ob die Bestim-          beschwerdefreier Erwachsener heran-
      che Risikofaktoren können z.B. chro-                          mung des großen Blutbildes einen          gezogen wird. Das große Blutbild
      nische Infektionen oder ionisierende                          Zusatznutzen im Hinblick auf Morta-       stellt daher laut den Autoren des Evi-
      Strahlen sein [9].                                            lität bzw. Morbidität bringt [11]. In     denzreports keinen sinnvollen Test
           Vor diesem Hintergrund stellt                            diesem Evidenzreport wurde ein            bei dieser Population dar. Es ist un-
      sich die Frage, welchen Nutzen ein                            Cochrane Review eingeschlossen, der       klar, welche Patienten von einem
      Screening mittels großem Blutbild                             sich mit dem Nutzen und Schaden ei-       Screening mittels großem Blutbild ei-
      und Immunparametern hinsichtlich                              ner allgemeinen Gesundenunter-            nen tatsächlichen Vorteil haben, da
      einer Reduktion von Morbidität und                            suchung im Hinblick auf Gesamt-           schwere Krankheiten meistens nicht
      Mortalität bei asymptomatischen Pa-                           mortalität bzw. erkrankungsspezi-         entdeckt werden [11].
      tienten hat.                                                  fische Mortalität befasste [14]. Bei 4         Eine zusätzlich Kohortenstudie
                                                                    der 16 in diesem Review eingeschlos-      aus dem Jahr 1996 befasst sich mit
      Methoden                                                      senen RCTs war auch ein großes Blut-      der Identifikation von Erkrankungen
      Zur Beantwortung dieser Fragestel-                            bild Bestandteil der Gesundenunter-       (case finding) durch die Bestimmung
      lung erfolgte im Juni 2019 eine Lite-                         suchung. Es wurde festgestellt, dass es   von Laborparametern (u.a. auch gro-
      raturrecherche nach themenrelevan-                            zu keiner Verringerung der krebsspe-      ßes Blutbild) im Rahmen einer all-
      ten, evidenzbasierten Leitlinien in                           zifischen Mortalität bzw. Gesamtmor-      gemeinen klinischen Untersuchung
      Leitliniendatenbanken bzw. auf den                            talität gekommen ist [14]. Eine weite-    [12]. Die Studie wurde in vier Abtei-

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lungen der Mayo-Klinik in den USA          sichtlich Nutzen und Schaden des                    stellung eines großen Blutbildes, eine
durchgeführt. Es wurden die Mess-          Screenings auf Zöliakie bei asympto-                Lymphozytendifferenzierung       oder
ergebnisse vom großen Blutbild, dem        matischen, beschwerdefreien, nicht                  die Bestimmung der Immunglobuline
Lipidprofil, der Schilddrüsenparame-       schwangeren Erwachsenen bzw. Ju-                    bei asymptomatischen Personen ab
ter und der Blutchemie für das case        gendlichen und Kindern ab 3 Jahren                  dem 18. Lebensjahr bzw. Personen
finding herangezogen. Insgesamt wur-       untersuchte [13]. Im systematischen                 mit     unspezifischen    Allgemein-
den 1508 Labortests aus 7008 Einzel-       Review wurden RCTs und Kohorten-                    beschwerden Auswirkung auf Morbi-
komponenten bei 531 Patienten              oder Fall-Kontrollstudien zum kli-                  dität oder Mortalität haben. Ebenso
durchgeführt. 36 % (544 von 1508)          nischen Nutzen und Schaden des                      konnte keine Evidenz gefunden wer-
der Tests lieferten anormale Ergebnis-     Screenings versus kein Screening auf                den, die einen Nutzen eines Scree-
se, wobei 6 % (33 von 544) wieder-         Zöliakie sowie Behandlung versus                    nings auf die genannten Blutparame-
holt wurden und 9 % (47 von 544) zu        keine Behandlung bei erkannter Zö-                  ter bei asymptomatischen Personen
weiteren Untersuchungen führten.           liakie herangezogen. Zusätzlich wur-                aufzeigt.
Die 1508 Testungen lieferten positive      de nach Studien recherchiert, welche                    Es gibt kaum Evidenz, dass die
diagnostische Ergebnisse in 4,8 % (73      die diagnostische Genauigkeit von se-               routinemäßige Blutuntersuchung bei
neue Diagnosen) und führten zu the-        rologischen Tests bei Zöliakie ange-                asymptomatischen Personen einen
rapeutischen Konsequenzen in 4,0 %         ben. Es wurden keine Studien zur                    Nutzen hat. Vielmehr besteht die Ge-
(60 neue Therapien). Der therapeuti-       Wirksamkeit des Screenings versus                   fahr von falsch positiven Testergeb-
sche Nutzen der einzelnen Labor-           kein Screening auf Zöliakie bei                     nissen, die dazu führen, dass weitere
untersuchungen gliedert sich dabei         asymptomatischen Erwachsenen, Ju-                   nicht notwendige Tests und Unter-
wie folgt: Lipidprofil (16,5 %), Blut-     gendlichen und Kindern in Bezug auf                 suchungen durchgeführt werden
chemie (2,8 %), großes Blutbild            Morbidität, Mortalität oder Lebens-                 [12]. Daher kann auf Basis der aktuel-
(0,9 %) und Schilddrüsenparameter          qualität gefunden. Ebenso wurden                    len Studienlage keine Empfehlung für
(0,7 %). Der therapeutische Nutzen         keine Studien zur Wirksamkeit des                   ein Screening bei asymptomatischen
war dabei nicht mit dem Alter, dem         gezielten versus universellen Scree-                Personen ab dem 18. Lebensjahr bzw.
Geschlecht oder dem Wohnsitz der           nings auf Zöliakie bei Erwachsenen,                 Personen mit unspezifischen All-
untersuchten Personen assoziiert           Jugendlichen oder Kindern auf Mor-                  gemeinbeschwerden hinsichtlich der
[12]. Die Autoren stellen in ihrem Fa-     bidität, Mortalität oder Lebensquali-               Erstellung eines großen Blutbildes
zit fest, dass sich der größte therapeu-   tät erhoben. Keine Studien wurden                   und der Bestimmung der Immun-
tische Nutzen aus der Bestimmung           über die Schäden des Screenings ver-                parameter gegeben werden.
des Lipidprofils ergab. Der therapeuti-    sus nicht Screening auf Zöliakie iden-
sche Nutzen des großen Blutbildes,         tifiziert [13]. In ihrem Fazit fassen die
                                                                                               Literatur
einer Urinanalyse und der Bestim-          Autoren zusammen, dass nur sehr
mung der Schilddrüsenparameter lag         wenige bis gar keine Evidenz gefun-                 1. Strametz R, Erler A, Weberschock T,
                                                                                                  et al. IGel kritisch betrachtet:„Mana-
unter 1 %. Basierend auf der großen        den wurde, um die Schlüsselfragen
                                                                                                  ger Check“ – Teil 1: Blutbild und Im-
Anzahl an durchgeführten routine-          im Zusammenhang mit dem Nutzen                         munparameter. Z Allg Med 2009; 85:
mäßigen Laboruntersuchungen und            und dem Schaden des Screenings auf                     165–70
dem insgesamt daraus resultierenden        Zöliakie bei asymptomatischen Perso-                2. Arasteh K, Baenkler H-W, Bieber C, et
geringen therapeutischen Nutzen,           nen zu beantworten. Weitere For-                       al. Hämatologische Untersuchungs-
sollten Laboruntersuchungen wie            schungsarbeiten sind erforderlich,                     methoden Duale Reihe – Innere Me-
großes Blutbild, Urinanalyse oder Be-      um die Wirksamkeit des Screenings                      dizin, 4 überarbeitete Auflage. Stutt-
                                                                                                  gart: Georg Thieme Verlag, 2018
stimmung von Schilddrüsenparame-           bei asymptomatischen Personen be-
tern nur gezielt dort eingesetzt wer-      urteilen zu können.                                 3. Deutsche Gesellschaft für Hämatolo-
den, wo ein größerer therapeutischer            Beruhend auf diesen Ergebnissen                   gie und Medizinische Onkologie e.V.
                                                                                                  (DGHO), Österreichische Gesellschaft
Nutzen erreicht werden kann und            kommt die USPSTF zu folgender                          für Hämatologie & Medizinische On-
auch eine entsprechende Evidenz da-        Empfehlung: Die derzeitigen Er-                        kologie (OeGHO), Schweizerische
für vorliegt [12].                         kenntnisse, um den Nutzen sowie                        Gesellschaft für Hämatologie
                                           den Schaden des Screenings auf Zö-                     (SGHSSH), et al. Myeloproliferative
Lymphozytendifferenzierung                 liakie bei asymptomatischen Per-                       Neoplasien (MPN) (früher: Chro-
                                                                                                  nische Myeloproliferative Erkrankun-
und Immunglobuline                         sonen beurteilen zu können, sind un-
                                                                                                  gen (CMPE)). Oktober 2019. www.
Es wurden keine Übersichtsarbeiten         zureichend. Die Evidenzlage ist man-                   onkopedia.com/de/onkopedia/guide
oder Studien zur Lymphozytendiffe-         gelhaft, von schlechter Qualität, aber                 lines/myeloproliferative-neoplasien-
renzierung, zur Bestimmung der Im-         auch zu widersprüchlich, um das Ver-                   mpn-frueher-chronische-myelopro-
munglobuline generell sowie zu ei-         hältnis zwischen Nutzen und Scha-                      liferative-erkrankungen-cmpe/@@gui-
                                                                                                  deline/html/index.html (letzter Zu-
nem Screening auf ein multiples Mye-       den beurteilen zu können.
                                                                                                  griff am 01.05.2020)
lom (Plasmozytom) oder ein IgA-Anti-
                                                                                               4. Kraywinkel K. Epidemiologie der
körpermangelsyndrom identifiziert.         Fazit
                                                                                                  myeloproliferativen Neoplasien und
   Es wurde ein systematischer Re-         Es konnten keine evidenzbasierten                      myelodysplastischen Syndrome in
view der USPSTF aus dem Jahr 2017          Leitlinien oder Studien identifiziert                  Deutschland. Onkologe 2019; 25:
gefunden, der die Evidenzlage hin-         werden, die aufzeigten, dass die Er-                   948–56

                                                                       © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
438   EBM-SERVICE / EBM SERVICE

      5. Pschyrembel Online. Anämie. Juni                           10. Semlitsch T, Siebenhofer A. Individu-         count in case finding in the ambula-
         2020. www.pschyrembel.de/                                      elle Gesundheitsleistungen (IGeL) kri-        tory care setting. JAMA 1983; 249:
         An%C3%A4mien/K029K/doc/ (letz-                                 tisch betrachtet – ein Update Z Allg          633–6
         ter Zugriff am 01.10.2020)                                     Med 2020; 96: 389
                                                                                                                  17. Ruttimann S, Clémençon D, Dubach
      6. Pschyrembel Online. Immunglobuli-                          11. Allan GM, Young J. Complete blood             UC. Usefulness of complete blood
         ne. März 2020. www.pschyrembel.                                count for screening? Can Fam Physi-           counts as a case-finding tool in medi-
         de/Immunglobuline/K0ALV/doc/                                   cian 2017; 63: 772                            cal outpatients. Ann Intern Med
         (letzter Zugriff am 01.10.2020)                                                                              1992; 116: 44–50
                                                                    12. Boland BJ, Wollan PC, Silverstein MD.
      7. Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Im-                           Yield of laboratory tests for case-fin-
                                                                                                                  18. Czoski-Murray C, Jones ML, McCabe
         munologie (API) e.V. S3-Leitlinie                              ding in the ambulatory general medi-
                                                                                                                      C, et al. What is the value of routinely
         „Therapie primärer Antikörperman-                              cal examination. Am J Med 1996;
                                                                                                                      testing full blood count, electrolytes
         gelerkrankungen“. April 2019. www.                             101: 142–52
                                                                                                                      and urea, and pulmonary function
         awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/
                                                                    13. Chou R, Bougatsos C, Blazina I, et al.        tests before elective surgery in pa-
         189-001l_S3_Therapie-primaerer-
                                                                        Screening for celiac disease: evidence        tients with no apparent clinical indi-
         Antikoerpermangelerkrankungen-
                                                                        report and systematic review for the          cation and in subgroups of patients
         2019-05_01.pdf (letzter Zugriff am
                                                                        US Preventive Services Task Force.            with common comorbidities: a syste-
         01.10.2020)
                                                                        JAMA 2017; 317: 1258–68                       matic review of the clinical and cost-
      8. Rosien U. Zöliakie. Arzneiverord Prax                                                                        effective literature. Health technology
                                                                    14. Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Larsen
         2018; 45: 72–7                                                                                               assessment (Winchester, England).
                                                                        CG, et al. General health checks in
                                                                                                                      2012; 16 (50): i
      9. Deutsche Gesellschaft für Hämatolo-                            adults for reducing morbidity and
         gie und Medizinische Onkologie e.V.                            mortality from disease: Cochrane sys-     19. Frye EB, Hubbell FA, Akin BV, et al.
         (DGHO), Österreichische Gesellschaft                           tematic review and meta-analysis.             Usefulness of routine admission com-
         für Hämatologie & Medizinische On-                             BMJ 2012; 345: e7191                          plete blood cell counts on a general
         kologie (OeGHO), Schweizerische                                                                              medical service. J Gen Intern Med
                                                                    15. Elwood P, Waters W, Greene W, et al.
         Gesellschaft für Hämatologie                                                                                 1987; 2: 373–6
                                                                        Evaluation of a screening survey for
         (SGHSSH), et al. Multiples Myelom.
                                                                        anaemia in adult non-pregnant wo-
         Mai 2018. www.onkopedia.com/de/                                                                          20. Mozes B, Haimi-Cohen Y, Halkin H.
                                                                        men. BMJ 1967; 4: 714
         onkopedia/guidelines/multiples-mye-                                                                          Yield of the admission complete
         lom/@@guideline/html/index.html                            16. Rich EC, Crowson TW, Connelly DP.             blood count in medical inpatients.
         (letzter Zugriff am 01.10.2020)                                Effectiveness of differential leukocyte       Postgrad Med J 1989; 65: 525–7

                                                     DEGAM-Leitlinien frei im Netz
                                                     Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
                                                     stehen frei im Internet zur Verfügung. Die wissenschaftlich fundierten und vor der Veröffent-
                                                     lichung in Praxen erprobten DEGAM-Leitlinien richten sich nicht nur an Hausärztinnen und
                                                     Hausärzte, sondern auch an Patientinnen und Patienten und Praxismitarbeiter/innen. Neben
                                                     der Langversion gibt es zu jeder Leitlinie eine Kurzfassung für die Anwendung im Praxisalltag.
                                                     Mehrere tausend Leitlinien-Sets werden in Praxen und Universitäten in der täglichen Arbeit
                                                     mit Patienten eingesetzt. Alle Module können auf der DEGAM-Leitlinien-Homepage
                                                     (www.degam-leitlinien.de) oder auf der Homepage der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der
                                                     Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, http://leitlinien.net/) bei Bedarf
                                                     heruntergeladen und ausgedruckt werden.

                                                                                             Kontakt:                     Prof. Dr. med. Anne Barzel
                                                                                      Dr. Philipp Leson              DEGAM-Geschäftsstelle Leitlinien
                                                                         DEGAM-Bundesgeschäftsstelle                        c/o Universitätsklinik Ulm
                                                                                   Schumannstraße 9                     Institut für Allgemeinmedizin
                                                                                          10117 Berlin                        Albert-Einstein-Allee 23
                                                                                Tel.: 030 209669800                                        89081 Ulm
                                                                                Fax: 030 209669899                             Tel.: 0731 500 57907
                                                                             E-Mail: presse@degam.de                           Fax: 0731 500 57915
                                                                           Homepage: www.degam.de                        E-Mail: leitlinien@degam.de

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE                                                                                                                                             439

Tage der Allgemeinmedizin –
Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte
Versprechungen
Days of Family Medicine – Track Record and (Still)
Unfulfilled Promises
Günther Egidi1, Hans-Otto Wagner2,3, Sandra Blumenthal4

Hintergrund                                                                         Background
Seit 2004 gibt es in Deutschland Tage der Allgemeinmedizin                          Since 2004 there are days of family medicine (TdA) in Ger-
(TdA) als spezifisches hausärztliches Fortbildungsformat. Die                       many. In 2008 the DEGAM section for continuing medical
DEGAM-Sektion Fortbildung formulierte 2008 dafür entspre-                           education defined corresponding criteria. There are now TdA
chende Anforderungen. Inzwischen gibt es TdA an 17 univer-                          at 17 universities in Germany. The survey carried out was in-
sitären Standorten in Deutschland. Mit der durchgeführten Er-                       tended to answer the question of whether these requirements
hebung sollte die Frage beantwortet werden, ob die Anforde-                         are implemented for the TdA or whether they can be imple-
rungen für die TdA umgesetzt werden bzw. überhaupt um-                              mented at all.
setzbar sind.                                                                       Methods
Methoden                                                                            All 17 TdA performing departments were surveyed. In addition
Befragt wurden alle allgemeinmedizinischen Universitätsabtei-                       to the number of speakers and participants there were ques-
lungen, die TdA anbieten. Neben der Zahl Referentinnen und                          tions about participation and speaker fees, the share of general
Teilnehmerinnen* wurde nach Teilnahmegebühren und Refe-                             practitioners in speakers and moderators and about funding
renten-Honoraren, nach dem Anteil Hausärztinnen an Refe-                            and sponsorship. The evaluation was conducted with Excel.
rentinnen und Moderatorinnen, Finanzierung und Sponsoring                           Results
der TdA gefragt. Die Auswertung erfolgte mit Excel.                                 The number of participants as well as the speakers diverges
Ergebnisse                                                                          considerably, as do the speakers’ fees. The number of partici-
Die Zahl der Teilnehmenden wie auch der Referierenden diver-                        pating doctors varies between 50 and 250 (median 83). In
giert erheblich, ebenso die Referentinnen-Honorare. Die An-                         2019 overall 1599 doctors and 954 medical assistants (MFA)
zahl der teilnehmenden Ärztinnen divergiert deutlich zwi-                           partcipated. Family physicians as lecturers were present in less
schen 40 und 250 und liegt im Mittel bei 94 (Median 83). Im                         than a third of courses in half of the departments. MFA cannot
Jahr 2019 nahmen insgesamt 1599 Ärztinnen und 954 MFA an                            participate everywhere. Only a lack of sponsorship from the
TdA teil. An der Hälfte der Standorte sind bei weniger als einem                    pharmaceutical companies unites all 17 TdA.
Drittel der Veranstaltungen hausärztliche Referentinnen im                          Conclusion
Einsatz. Nicht überall können Medizinische Fachangestellte                          There is still a long way to go to further develop the TdA based
(MFA) teilnehmen. Nur fehlendes Sponsoring durch pharma-                            on the DEGAM criteria.
zeutische Unternehmen eint alle 17 TdA.                                             Keywords
Schlussfolgerungen                                                                  day of family medicine; family physicians; continuing
Es ist noch ein weiter Weg, die TdA in Anlehnung an die                             education; interprofessional education; setting approach;
DEGAM-Kriterien weiterzuentwickeln.                                                 industry-independence
Schlüsselwörter
Tag der Allgemeinmedizin; hausärztliche Fortbildung;
interprofessionelle Fortbildung; Setting-Ansatz; Industrie-
Unabhängigkeit

1 Hausarztpraxis   Bremen-Huchting
2 Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
3 Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck
4 Hausarztpraxis in Potsdam-Babelsberg

Peer reviewed article eingereicht: 02.01.2020, akzeptiert: 20.05.2020
DOI 10.3238/zfa.2020.0439–0442
* Wenn die weibliche Form benutzt wird, geschieht dies nur im Sinne der leichteren Lesbarkeit. Gemeint sind immer Frauen und Männer. Die weibliche Form wird
  benutzt, weil die Allgemeinmedizin zunehmend ein weiblicher Beruf wird.

                                                                                           © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ZFAZeitschrift für Allgemeinmedizin / German Journal of Family Medicine - Die Zeitschrift für Allgemeinmedizin
Egidi et al.:
      Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen
440   Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises

      Hintergrund                                                   • Es sollen vorwiegend interaktive          soring der TdA im Jahr 2019 gefragt
      Im Jahr 2004 fand in Heidelberg der                             Formate eingesetzt werden.                (Tab. 2 und 3). Die Auswertung er-
      erste Tag der Allgemeinmedizin als                            • Empfehlungen sollen mit evidenz-          folgte mit Excel. Der Fragebogen war
      besondere hausärztliche Fortbildung                             basierten Belegen ergänzt werden.         rein quantitativ und bot keinen
      statt, im Jahr 2006 wurden die ent-                           • Generell ist Produktwerbung nicht         Raum für Freitext-Antworten.
      sprechenden Erfahrungen in der Zeit-                            erlaubt.
      schrift für Allgemeinmedizin publi-                                                                       Ergebnisse
      ziert [1]. Auf der Basis dieser dreijäh-                      Untersuchung der Situation                  Die Rücklaufquote betrug 100 %. Die
      rigen Erfahrung mit dem Fortbil-                              bei den deutschen Tagen der                 Antworten zeigen eine große Hetero-
      dungsformat wurde für zukünftige                              Allgemeinmedizin                            genität.
      Referierende ein Didaktik-Leitfaden                           Aktuell gibt es TdA an 17 universitä-           An der Hälfte der Standorte sind
      veröffentlicht. Um die Besonderheit                           ren Abteilungen für Allgemeinmedi-          bei weniger als einem Drittel der Ver-
      der hier geübten hausärztlichen Fort-                         zin [3] (Aachen, Augsburg, Berlin,          anstaltungen hausärztliche Referen-
      bildung vor Missbrauch zu schützen,                           Düsseldorf, Frankfurt, Göttingen,           tinnen im Einsatz (> 2/3 hausärzt-
      ließ die Abteilung Allgemeinmedizin                           Hamburg, Hannover, Heidelberg, Bad          liche Referentinnen an neun, < 1/3
      und Versorgungsforschung am Uni-                              Homburg, Jena, Kiel/Lübeck, Mar-            hausärztliche Referentinnen an acht
      versitätsklinikum Heidelberg die Be-                          burg, LMU München, TU München,              Standorten). Eine hausärztliche Mo-
      zeichnung „Tag der Allgemeinmedi-                             Oldenburg und Würzburg). Inzwi-             deration gibt es regelhaft an ca. der
      zin (TdA)“ als geschützte Marke ein-                          schen gibt es an 36 Uni-Standorten          Hälfte der Standorte (immer haus-
      tragen. Die DEGAM-Sektion Fortbil-                            Abteilungen [4], somit bietet etwas         ärztliche Moderation an acht, „nicht
      dung formulierte 2009 verbindliche                            mehr als die Hälfte aller universitären     immer“ an neun Standorten).
      Kriterien [2] für die TdA als eigen-                          Abteilungen (noch) keinen TdA an.               Im Mittel liegt die Zahl der Refe-
      ständiges Fortbildungsformat, d.h.,                               Da nicht an allen Abteilungen die       rierenden bei 25, sie divergiert zwi-
      welche Kriterien das Label „Tag der                           von der DEGAM-Sektion Fortbildung           schen sechs und 60 (Median 26). Ins-
      Allgemeinmedizin“ erfüllen muss,                              als verbindlich definierten Kriterien       gesamt waren 393 Referentinnen im
      um anerkannt zu werden.                                       eingehalten wurden, sollte eine Um-         Einsatz.
          Die wesentlichen Kriterien sind:                          frage die Situation der TdA erfassen            An acht Standorten erhalten die
      • Relevanz der Fortbildungsthemen                             und mögliche Gründe für Abwei-              Referierenden über 80 Euro pro Un-
        für den hausärztlichen Kontext                              chungen untersuchen.                        terrichtseinheit, an zwei Standorten
      • Orientierung an patientenrelevan-                                                                       zwischen 40 und 80 Euro, an vier
        ten Fragen                                                  Methoden                                    Standorten unter 40 Euro, und an
      • Update-Charakter zum Wissens-                               Im Mai 2019 wurde folgender Fra-            zwei Standorten wird kein Honorar
        und Kompetenzerhalt. Dabei soll                             gebogen mit der Bitte um Beantwor-          gezahlt.
        die Vermittlung von Arbeitsweisen                           tung an alle 17 TdA durchführenden              Die teilnehmenden Ärztinnen
        und Kompetenzen Vorrang haben                               Abteilungen versandt (Tab. 1): Dabei        müssen meistens zwischen 40 und
        vor reiner Wissensvermittlung.                              wurde neben der Zahl Referentinnen          80 Euro für die Teilnahme am TdA
      • Es sollte an der Vorbereitung und                           und Teilnehmerinnen nach Teilnah-           bezahlen. An drei Standorten sind es
        der Moderation immer eine Haus-                             megebühren und Referentinnen-Ho-            über 80 Euro und an zwei Standorten
        ärztin/ein Hausarzt federführend                            noraren, nach dem Anteil Hausärz-           weniger als 40 Euro. An einem Groß-
        beteiligt sein, Entsprechendes gilt                         tinnen an Referentinnen und Mode-           teil der Standorte zahlen Ärztinnen
        für Medizinische Fachangestellte.                           ratorinnen, Finanzierung und Spon-          in Weiterbildung einen vergünstigten

        Hausärztliche Referentinnen                                 □ nur                □ > 2/3 hausärztlich              □ < 2/3 hausärztlich
        Allgemeinmedizinische Moderation                            □ immer              □ nicht immer
        Anzahl Referentinnen

        Honorar Referentinnen                                       □ < 40 €/h           □ 40–80 €/h                       □ > 80 €/h
        Teilnahmegebühren Ärztinnen                                 □ < 40 €             □ 40–80 €                         □ > 80 €
        Anzahl Teilnehmer (Ärztinnen)

        Anzahl Teilnehmer (MfA)

        Sponsoring                                                  □ nein               □ ja, aber keine Pharmaindustrie □ ja, auch Pharmaindustrie
        Finanzierung                                                □ unproblematisch    □ schwierig

      Tabelle 1 Fragebogen für Erhebung des Ist-Standes bei den Tagen der Allgemeinmedizin in Deutschland 2019

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
Egidi et al.:
Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen
Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises                                                                                441

Beitrag (auf den Fragebogen geschrie-     Diskussion                                        rung. Welche weiteren Sponsoren
bene Zusatz-Information).                 Aktuell erfüllen nur drei der 17 TdA              (Software-Anbieter, Banken, AQUA-
    Die Anzahl der teilnehmenden          alle von der Sektion Fortbildung for-             Institut, Deximed etc.) eine Rolle
Ärztinnen divergiert deutlich zwi-        mulierten Kriterien. So sind an den               spielten, wurde in der Erhebung
schen 40 und 250 und liegt im Mittel      meisten Standorten nicht durchgän-                nicht erfasst.
bei 94 (Median 83). Eine noch größe-      gig Hausärztinnen als Vortragende                     Es lässt sich zusammenfassen,
re Schwankungsbreite zeigt die Zahl       bzw. Moderierende beteiligt. Es könn-             dass an größeren allgemeinmedizi-
der teilnehmenden MfA: Nahmen an          te den allgemeinmedizinischen Ab-                 nischen Abteilungen es eher gelingt,
einigen Standorten keine MFA teil,        teilungen zum einen Schwierigkeiten               die TdA-Kriterien einzuhalten als an
waren es an anderen bis zu 200 (Mit-      bereiten, Hausärztinnen und MFAs                  kleineren. An Standorten, an denen
telwert 56,1, Median 33). Insgesamt       für diese Tätigkeit zu gewinnen, zum              das Format bereits etabliert ist, ge-
nahmen 1599 Ärztinnen und 954             anderen fällt es an einigen Stand-                lingt es zudem wohl eher, den Refe-
MFA an TdA teil.                          orten möglicherweise leichter, auf                rierenden ein adäquates Honorar zu
    Acht Abteilungen können ihren         spezialisiert-fachärztliche Referieren-           zahlen.
TdA ohne externe Unterstützung fi-        de aus den universitätsinternen Netz-                 Aus unserer Befragung ließen sich
nanzieren, neun benötigen ein             werken zurückzugreifen. Weiterhin                 zwei Schlussfolgerungen ableiten:
Sponsoring. Beispielsweise leistet        nehmen nicht an allen Standorten                  1. Die Kriterien des TdA müssen über-
der Hausärzteverband in Augsburg          MFAs an dem eigentlich auf Interpro-                 arbeitet werden, da sie die Standor-
und Göttingen finanzielle Unter-          fessionalität ausgerichteten Fortbil-                te vor nicht erfüllbare Herausfor-
stützung. Es findet jedoch an kei-                                                             derungen stellen, oder aber
nem einzigen Standort ein Sponso-                                                           2. die TdA sollten sich weiterent-
ring durch pharmazeutische Unter-                                                              wickeln, um die Kriterien zu erfül-
nehmen statt.                                                                                  len.
    Zehn der 17 Abteilungen findet
die Finanzierung der TdA unproble-                                                          Den Autorinnen sind keine vergleich-
matisch, sechs Abteilungen geben da-                                                        baren Erhebungen der deutschen
gegen Schwierigkeiten an. Im Freitext                                                       TdA bekannt. Eine Gegenüberstel-
unserer Umfrage wurde von drei Ab-                                                          lung mit vergleichbaren Interventio-
teilungen darauf hingewiesen, dass                                                          nen aus dem Ausland konnte aktuell
an den allgemeinmedizinischen Insti-                                                        nicht durchgeführt werden, wäre
tuten die Finanzierung des TdA nur                                                          aber wünschenswert.
deshalb unproblematisch sei, weil ein     Dr. med. Günther Egidi …
großer Teil der Arbeit ehrenamtlich       ... Arzt für Allgemeinmedizin, seit               Stärken und Schwächen der
                                          1999 in hausärztlicher Gemein-
geleistet würde.                                                                            Untersuchung
                                          schaftspraxis in Bremen niedergelas-
    Zwischen der Höhe der Honorare,       sen; Sprecher der Sektion Fortbil-
                                                                                            Eine Stärke der vorliegenden Erhebung
den Teilnahme-Beiträgen der Ärztin-       dung der Deutschen Gesellschaft für               ist ihre Vollständigkeit: zu allen deut-
nen und der Zahl der am TdA Teil-         Allgemeinmedizin und Familien-                    schen TdA wurden die im Fragebogen
nehmenden einerseits – und den            medizin (DEGAM).                                  gestellten Fragen beantwortet.
                                          Foto: privat
Schwierigkeiten, einen TdA zu finan-                                                             Schwächen der Untersuchung be-
zieren andererseits fand sich kein si-                                                      stehen v.a. in einer Unschärfe einiger
cherer Zusammenhang.                                                                        verwendeter Begriffe: so war aus den
    Bei TdA, bei denen ein Honorar        dungsformat teil. Hingegen gelingt                Antworten nicht eindeutig ersicht-
unter 40 Euro/Stunde gezahlt wurde,       ein pharmaunabhängiges Sponsoring                 lich, ob z.B.
waren etwas weniger Referierende tä-      erfreulicherweise an allen Standorten.            • unter dem Begriff „Hausärztinnen“
tig als bei jenen, die > 80 Euro/Stunde   Anders als in den TdA-Kriterien je-                 auch Mitarbeiterinnen der all-
zahlten (im Mittel 19 Referierende im     doch vorgesehen, gelingt aber nicht                 gemeinmedizinischen Universitäts-
Vergleich zu 25). Es fand sich ein Zu-    bei allen Veranstaltungen ein voll-                 abteilungen gezählt wurden,
sammenhang zwischen der Höhe des          kommener Verzicht auf finanzielle                 • für die MFA-Fortbildungen die glei-
Honorars und der Zahl der teilneh-        Unterstützung durch Sponsoren. Die                  chen Kriterien angewandt wurden,
menden Ärztinnen: Bei TdA mit ei-         Freitext-Rückmeldungen demaskier-                 • mit dem Begriff „Sponsoring“,
nem Honorar unter 40 Euro/Stunde          ten nicht nur Schwächen des einge-                  bzw. „Pharmasponsoring“ jede Art
für die Referierenden fanden sich         setzten Fragebogens, sondern wiesen                 von Produktwerbung verstanden
auch weniger teilnehmende Ärztin-         auch auf die besondere Herausforde-                 wurde.
nen (Mittelwert 89,67 im Vergleich        rung bei der Finanzierung der TdA
zu 108,33). Eine mögliche Schlussfol-     hin. So ist bspw. an einer Universität            Zudem fehlte auf dem verwendeten
gerung könnte es sein, dass TdA ab        die Finanzierung des TdA nur deshalb              Fragebogen die Möglichkeit von
einer bestimmten Größe es sich eher       unproblematisch, weil ein großer Teil             Freitext-Antworten, um zu erläu-
leisten können, Teilnahmegebühren         der Arbeit ehrenamtlich geleistet                 tern, warum im Einzelfall von den
zu erheben und ihre Referierenden zu      wird. An einigen Standorten sorgt der             TdA-Kriterien abgewichen worden
bezahlen.                                 Hausärzteverband für eine Finanzie-               war.

                                                                    © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
Egidi et al.:
      Tage der Allgemeinmedizin – Erfolgsbilanz und (noch) unerfüllte Versprechungen
442   Days of Family Medicine – Track Record and (Still) Unfulfilled Promises

      Schlussfolgerungen                                            gelassene Hausärztinnen können als         Zusatzmaterial im Internet
      Die Idee des Tages der Allgemeinme-                           Teilnehmende von der Expertise der         (www.online-zfa.de)
      dizin vor ca. 15 Jahren war ein Er-                           universitären Mitarbeiterinnen pro-        eTabelle 1 Zahl und Anteil haus-
      folgsrezept. Die TdA sind breit in der                        fitieren. Umgekehrt können Nieder-         ärztlicher Referentinnen und
      Fläche etabliert und erfreuen sich zu-                                                                   Moderatorinnen sowie Honorar
                                                                    gelassene einen wertvollen Beitrag als
      nehmender Beliebtheit in der haus-                            Moderierende und/oder Referierende         eTabelle 2 Teilnahmegebühren für Ärz-
      ärztlichen Szene. Allerdings bieten                           leisten (ggf. auch im Tandem mit Re-       tinnen, Teilnahmezahlen und Finanzierung
      noch nicht alle allgemeinmedizi-                              ferierenden aus spezialärztlichen Dis-
      nischen Universitätsabteilungen ei-                           ziplinen oder den universitären Ab-        Interessenskonflikte:
                                                                                                               Keine angegeben.
      nen TdA an.                                                   teilungen).
          Dort, wo TdA durchgeführt wer-                                 Grundlage für ein solides Konzept
                                                                                                               Literatur
      den, erfüllt allerdings nur ein Teil die                      des TdA ist eine gute Finanzierung.
      von der DEGAM-Sektion Fortbildung                             Hier könnte sich auch der Hausärzte-       1. Szecsenyi J, Wiesemann A, Stutzke O,
                                                                                                                  Mahler C. „Tag der Allgemeinmedi-
      aufgestellten und gut begründeten                             verband, wie schon an ausgewählten
                                                                                                                  zin“ – Ein Beitrag zur Entwicklung ei-
      Kriterien. Eine besondere Herausfor-                          Standorten geschehen, einbringen.             ner gemeinsamen regionalen Platt-
      derung sind die Bereiche Finanzie-                            Ein TdA kann als Vernetzungsplatt-            form zwischen Hausarztpraxen und
      rung und Gewinnung hausärztlicher                             form wirken: Vertreterinnen der aka-          einer Universitätsabteilung. Z Allg
                                                                                                                  Med 2006; 82: 449–455
      Referierender.                                                demischen Allgemeinmedizin und je-
          Die Kompetenzzentren können                               ne, die sich in der Berufspolitik enga-    2. Egidi G. „Tag der Allgemeinmedizin”
                                                                                                                  – ein neuartiges Label für die haus-
      mit ihren finanziellen Möglichkeiten                          gieren, rücken hier stärker zusammen
                                                                                                                  ärztliche Fortbildung. Z Allg Med
      diejenigen Fortbildungen, die speziell                        und präsentieren nach außen ein ge-           2009; 85: 145–146
      für ÄiW angeboten werden, auf TdA                             schlossenes Bild der hausärztlichen        3. www.degam.de/tage-der-allgemein
      stattfinden lassen. Damit ließe sich                          Primärversorgung.                             medizin.html (letzter Zugriff am
      zumindest für diese ÄiW-Fortbildun-                                                                         4.12.2019)
      gen eine externe Finanzierungsmög-                            Danksagung: Wir bedanken uns bei           4. www.degam.de/allgemeinmedizi
      lichkeit finden.                                              den angeschriebenen 17 allgemein-             nische-universitaetsabteilungen.html
          Der TdA sollte mehr als ein be-                           medizinischen Abteilungen für die             (letzter Zugriff am 27.11.2019)
      sonderes Fortbildungsformat sein. Er                          konstruktive Mitarbeit.
      hat grundsätzlich das Potenzial, die                          Nachbemerkung: Seit 2019 gibt es           Korrespondenzadresse
      Vernetzung zwischen Niedergelasse-                            auch in Potsdam einen TdA. Er wurde        Dr. Günther Egidi
      nen und den universitären Abteilun-                           bei dieser Erhebung nicht mitberück-       Arzt für Allgemeinmedizin
      gen zu fördern. Dieses Potenzial sollte                       sichtigt, weil hier noch nicht viele Er-   Huchtinger Heerstr. 24, 28259 Bremen
      auch aktiv genutzt werden. Nieder-                            fahrungen vorliegen.                       guenther.egidi@posteo.de

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                                                     Seit einigen Jahren verschickt die DEGAM-Bundesgeschäftsstelle exklusiv an die Mitglieder den
                                                     E-Mail-Newsletter DEGAM aktuell. Dieser Informationsdienst beinhaltet Neuigkeiten aus dem
                                                     Präsidium, den Sektionen und Arbeitsgemeinschaften sowie der Leitlinien-Geschäftsstelle und
                                                     der JADE. Auch aktuelle Mitteilungen zu den Rubriken Personalia, Veranstaltungen und Stellen-
                                                     ausschreibungen finden sich im Newsletter. Die bisher versandten Ausgaben können im pass-
                                                     wortgeschützten internen Bereich unter

                                                     www.degam.de

                                                     eingesehen werden. Sind auch Sie an den aktuell in der DEGAM diskutierten Themen und
                                                     Entwicklungen interessiert? Schicken Sie einfach eine E-Mail mit dem Betreff „DEGAM aktuell“ an:
                                                     geschaeftsstelle@degam.de

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
ORIGINALARBEIT / ORIGINAL ARTICLE                                                                                                                                 443

Glukosebestimmung Serum versus Plasma
im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung
Measurement of Glucose: Serum versus Plasma
Manfred Eissler

Hintergrund                                                               Background
Da zumindest im ambulanten Bereich bisher oft Serum für die               The renaming of “glucose” in “fasting plasma glucose” in the
Glukosebestimmung verwendet wird, bedeutet die Umbenen-                   respective guideline of the Joint Federal Committee has re-
nung von „Glukose“ in „Nüchternplasmaglukose“ (Neufas-                    sulted in organizational and logistical changes for community
sung der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses)                   physicians and laboratories. The aim of this study was to evalu-
eine organisatorische und logistische Änderung für die Labore             ate the equivalence of the measurement of blood glucose in
und die einsendenden Ärzte. Ziel der vorliegenden Studie war              serum and in plasma in an outpatient context.
es, die Äquivalenz der Blutzuckermessung im Serum und im                  Methods
Plasma im ambulanten Kontext zu evaluieren. Es wird geprüft,              From 112 blood samples, both serum and plasma were ob-
ob die Messung von Glukose im Serum und im Plasma gleich-                 tained to measure the glucose value. The samples were taken
wertig ist.                                                               in community medical practices and the samples were ana-
Methoden                                                                  lyzed in the laboratory on the same day.
Aus 112 Blutproben wurden sowohl Serum als auch Plasma zur                Results
Messung des Glukosewerts gewonnen. Die Blutproben wur-                    On average, the serum glucose values are above the plasma
den in Arztpraxen entnommen und am selben Tag im Labor                    glucose values. The evaluation of the linear regression and the
analysiert.                                                               regression according to Passing-Bablok shows that the two
Ergebnisse                                                                methods are at least equivalent if the pre-analytical require-
Im Durchschnitt liegen die Serumglukosewerte über den Plas-               ments are observed.
maglukosewerten. Die Auswertung der linearen Regression                   Conclusions
und der Regression nach Passing-Bablok zeigt, dass die beiden             The method of glucose measurement required in the guide-
Methoden bei Einhaltung der präanalytischen Anforderungen                 lines should be reconsidered.
mindestens gleichwertig sind.                                             Keywords
Schlussfolgerungen                                                        glucose; glycolysis; serum; plasma; preanalytics
Die in den Leitlinien geforderte Methode zur Glukosemessung
im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung sollte überdacht
werden.
Schlüsselwörter
Glukose; Glykolyse; Serum; Plasma; Präanalytik

Hintergrund                                              Da zumindest im ambulanten Be-                lerbehaftete Maßnahmen (z.B. zehn-
In der Neufassung der Richtlinien des                reich bisher oft Serum für die Gluko-             maliges (!) Schütteln bzw. Beachten
Gemeinsamen Bundesausschuss über                     sebestimmung verwendet wird, be-                  des exakten Mischungsverhältnisses
die Gesundheitsuntersuchung zur                      deutet diese neue Richtlinie eine or-             und des Verdünnungsfaktors) erfor-
Früherkennung von Krankheiten (Ge-                   ganisatorische und logistische Ände-              derlich sind [3, 5].
sundheitsuntersuchungs-Richtlinie)                   rung für die Labore und die einsen-
vom 19. Juli 2018 [1] wurde beim La-                 denden Ärzte. Da für die Gesund-                  Methoden
bor „Glukose“ in „Nüchternplasma-                    heitsuntersuchung neben der Glukose               Um zu überprüfen, ob es einen kli-
glukose“ geändert. Eine direkte Be-                  auch ein Lipidprofil obligat ist, muss            nisch relevanten Unterschied zwi-
gründung wird nicht angegeben, es                    zusätzlich zu einem Serumröhrchen                 schen der Glukosebestimmung im
wird allerdings mehrfach auf interna-                ein Plasmaröhrchen abgenommen,                    Plasma und im Serum unter den rea-
tionale Diabetes-Leitlinien [2] verwie-              an das Labor transferiert und dort                len Praxisbedingungen gibt, wurden
sen, die ebenso wie die Praxisempfeh-                analysiert werden. Hinzu kommt,                   112 konsekutive Laboranforderungen
lungen der Deutschen Diabetes Ge-                    dass für die infrage kommenden                    in einer Laborgemeinschaft (LG) aus-
sellschaft [3, 4] eine Plasmaglukose-                Plasmaröhrchen für die Glukose-                   gewertet. Diese Auswertung erfolgte
bestimmung verlangen.                                bestimmung teilweise spezielle, feh-              für alle Anforderungen, bei denen

Facharzt für Allgemeinmedizin, Reutlingen
Peer reviewed article eingereicht: 27.01.2020, akzeptiert: 25.03.2020
DOI 10.3238/zfa.2020.0443–0446

                                                                               © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
Eissler:
      Glukosebestimmung Serum versus Plasma im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung
444   Measurement of Glucose: Serum versus Plasma

      Abbildung 1 Vergleich der Glukosebestimmung in Serum und Plasma (sortiert aufsteigend nach Serumwerten); n = 106
      Grafik: Eissler/Dt. Ärzteverlag

      vom selben Patienten zur selben Zeit                          Proben wurden am Tag der Blutent-          95%-Konfidenzintervallen (95%-KI)
      sowohl ein Plasmaröhrchen zur Glu-                            nahme in der LG analysiert.                (0,931; 0,995) für die Steigung und
      kosebestimmung als auch ein Serum-                                Von den 106 Plasmaröhrchen wa-         (–3,482; 3,857) für den Y-Achsen-
      röhrchen zur Bestimmung weiterer                              ren 80 BD Vacutainer®-Röhrchen für         abschnitt. Da der Wert 1 für die Stei-
      Parameter abgenommen wurde. Da                                Glukose mit Na-Fluorid und Na-He-          gung nicht im Konfidenzintervall
      es in unserer Laborgemeinschaft seit                          parin und 26 Röhrchen S-Monovet-           liegt, ist von einem signifikanten
      Jahren Routine ist, dass bei einer sol-                       te® 2,7 ml FE mit Fluorid und EDTA.        Unterschied auf dem 5%-Niveau aus-
      chen Anforderung Glukose sowohl                                                                          zugehen, wobei die Serumwerte sig-
      aus dem Plasmaröhrchen als auch aus                           Ergebnisse                                 nifikant höher als die Plasmawerte
      dem Serumröhrchen bestimmt wird,                              Abbildung 1 zeigt die Messergebnis-        liegen. Die Berechnung der in der
      konnten die routinemäßig erstellten                           se. In 18 Fällen ist der Plasmawert        Labormedizin häufig zum Vergleich
      Werte zur Auswertung herangezogen                             höher als der Serumwert, in 88 Fäl-        von zwei Methoden verwendeten
      werden.                                                       len ist der Plasmawert kleiner oder        Passing-Bablok-Regression ergibt für
          Von den 112 Serumröhrchen wa-                             gleich dem Serumwert. In Tabelle 1         den Y-Achsenabschnitt (intercept)
      ren 106 in der Praxis zentrifugiert                           sind die Mittelwerte und die Me-           den Wert –3 (95%-KI: –7,84; 0,10)
      worden, sechs waren nicht zentrifu-                           dianwerte aufgeführt. Der Korrelati-       und für die Steigung (slope) den
      giert. Zur Vergleichsauswertung wur-                          onskoeffizient berechnet sich zu           Wert 1 (95%-KI: 0,97; 1,04). Damit
      den nur die 106 zentrifugierten Ser-                          0,986 und die Regressionsgerade zu         liegen beide Werte noch innerhalb
      umwerte herangezogen. Von diesen                              Y = 0,963 X + 0,187 (Abb. 2) mit den       der Konfidenzintervalle, was bedeu-
      zentrifugierten 106 Röhrchen waren                                                                       tet, dass beide Methoden gleichwer-
      78 in einem Röhrchen Marke BD                                                                            tig sind. (Berechnung unter Verwen-
      oder Sarstedt mit Trenngel, sodass das                                                                   dung des Tools von Burak Bahar auf
      Serum als Überstand von den korpus-                                                Mittelwert   Median   der Internetseite https://bahar.shiny
      kulären Bestandteilen des Blutes ge-                                                                     apps.io/method_compare/).
      trennt wurde. Bei weiteren 28 Röhr-                             Plasmawerte          107,8       98,5        In Abbildung 3 sind die sechs
      chen wurde in den Praxen nach Zen-                              Serumwerte           111,7      100,5    Vergleichsmessungen aufgetragen,
      trifugation das Serum in ein separates                                                                   bei denen die Serumproben in der
      Transportröhrchen umgefüllt. Alle                             Tabelle 1 Mittelwerte und Medianwerte      Praxis nicht zentrifugiert wurden.

      © Deutscher Ärzteverlag | ZFA | Zeitschrift für Allgemeinmedizin | 2020; 96 (11)
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