Mit Bibel und Spaten? - Perspektiven der Biblischen Archäologie

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Mit Bibel und Spaten? - Perspektiven der Biblischen Archäologie
Heft 9 des Jahres 5771 • 2011• 1432

Mit Bibel und Spaten?

Perspektiven der Biblischen Archäologie
Mit Bibel und Spaten? - Perspektiven der Biblischen Archäologie
2                                                                     Cardo

                                                    Inhaltsverzeichnis
Editorial............................................................................................................................................3

Mit Bibel und Spaten? Perspektiven der Biblischen Archäologie
Gunnar Lehmann
Archäologie in der Welt der Bibel...............................................................................................5
Christian Frevel
Wenn die Jünger schweigen, werden die Steine schreien! Zur Notwendigkeit der Emanzipation
der Palästinaarchäologie und der Bibelwissenschaft.....................................................................13
Yonathan Mizrachi
Archaeology in the shadow of the conflict.
The Mound of Ancient Jerusalem (City of David) in Silwan........................................................20
Buchrezensionen....................................................................................................................26

Aktuelles aus dem Forum Studienjahr Jerusalem e.V.
Martin Metzger
„Biblische Archäologie“ – Palästinakunde – Archäologie Palästinas/Israels. Eine Skizze..............32
Katharina Müller/Sarah Schulz/Manuel Schuster
„Nichts ist so beständig wie ein Loch!“
Bericht zur Exkursion des Forum Studienjahr Jerusalem in den Libanon....................................34
Achim Budde
Die Rückkehr der Ökumene-Retter...........................................................................................38
Dietmar Hallwaß/Daniel Lanziger
Ein Jahr voller Premieren. Bericht aus dem 37. Studienjahr.......................................................42
Susanne Gutmann
Neue Mitarbeiter – gute Ideen. Bericht der Ökumenischen Stiftung Jerusalem.................................44
Nikodemus C. Schnabel OSB
Neues aus der Reihe „Jerusalemer Theologisches Forum“ (JThF)................................................48
Post-Studienjahr-Projekt. Ausschreibung der Ökumenischen Stiftung Jerusalem.....................................55
Projektvorstellungen..................................................................................................56
Impressum.............................................................................................................................59
Mit Bibel und Spaten? - Perspektiven der Biblischen Archäologie
Cardo                                 3

                                Editorial

M      anche gehen ins Heilige Land
       mit der Bibel in der Hand, um
es als fünftes Evangelium zu lesen,
                                       bungen, Methoden, Ausstattung,
                                       Herangehensweisen und interdiszi-
                                       plinäre Ausrichtungen, (archäologi-
andere um zu beweisen, dass sie        sche) Institutionen und Forschungs-
doch recht hat. Und wieder andere      projekte u.v.m. in den Blick nimmt.
ziehen mit der Bibel in der Hand       Anschließend reflektiert Christian
durchs Land, um sie zu widerlegen.     Frevel am Beispiel der sogenann-
Allen geht es dabei darum, die Reste   ten Landnahmediskussion und der
der Welt zu begreifen, die die Welt    Großreichhypothese zum einen
der Bibel war. Es geht um Steine       das methodische Verhältnis von
und Scherben: Es geht um Archäo-       Bibelwissenschaften und Palästina-
logie.                                 Archäologie und spricht sich für die
    Doch Archäologie ist weder eine    Emanzipation beider wissenschaft-
Romantik, ausgedrückt durch einen      licher Disziplinen voneinander aus.
Spaten in der Hand auf der Suche       Zum anderen zeigt er auf, welche
nach biblischen Stätten, noch ein      Frageperspektiven und -horizon-
Abenteuer à la Indiana Jones, gegen    te sich dadurch neu für die Bibel-
Nationalsozialisten kämpfend auf       wissenschaften eröffnen, und hebt
der Suche nach der Bundeslade. Ar-     somit die bleibende Relevanz einer
chäologie ist eine Wissenschaft mit    historischen Perspektive für die
eigenen Methoden und Fragestel-        Theologie hervor. Zum Abschluss
lungen, die ein enger Dialogpart-      des wissenschaftlichen Abschnitts
ner für die Bibelwissenschaften im     erarbeitet Yonathan Mizrachi am
Besonderen und die Theologie im        Beispiel der Ausgrabungen in der
Allgemeinen ist, wie es sich auch an   Davidsstadt, dass archäologische
der Konzeption des Studienjahres in    Ausgrabungen besonders im Kon-
Jerusalem widerspiegelt.               text des Nahostkonflikts eine nicht
    Aus diesem Grund – und in An-      zu unterschätzende politische Be-
knüpfung an die vergangene Liba-       deutung haben, sich sozusagen nicht
non-Exkursion unter der Leitung        im luftleeren Raum ereignen.
von Martin Metzger – steht diese          Dieser inhaltlich ausgerichte-
Cardo-Ausgabe unter dem Titel          te Teil der Ausgabe wird mit drei
„Mit Bibel und Spaten? Perspekti-      Buchrezensionen zu einem Studi-
ven der Biblischen Archäologie“.       enbuch, einem Sammelband und
    Einen ersten Überblick über die    einer historischen Studie rund um
Entwicklung der Disziplin „Bib-        das Thema „Biblische Archäologie“
lische Archäologie“ gibt Gunnar        abgeschlossen.
Lehmann in seinem Beitrag „Ar-            Der Bericht zur Libanon-Exkursi-
chäologie in der Welt der Bibel“,      on – kombiniert mit einer Skizze zur
indem er ältere und neuere Ausgra-     Biblischen Archäologie von Martin
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Metzger – leitet in den zweiten Teil     Weihnachtskanon des Johannes von
des Cardo über, in dem die aktuells-     Damaskus und den Schriften aus
ten Ereignisse und die vielfältigen      Nag Hammadi näher vorgestellt.
Aktivitäten im und um das Forum              Der dritte Teil der diesjährigen
Studienjahr herum thematisiert wer-      Cardo-Ausgabe „Projektvorstellun-
den. Unter dem programmatischen          gen“ stellt gegenüber den vorgängi-
Titel „Die Rückkehr der Ökumene-         gen Heften eine Neuerung dar. Un-
Retter“ schildert Achim Budde sei-       ter dieser Rubrik werden in Zukunft
ne Eindrücke von dem im November         sowohl wissenschaftliche als auch
2010 in Kooperation mit Burg Ro-         pastorale Projekte und Initiativen
thenfels durchgeführten Symposi-         vorgestellt, an denen ehemalige Stu-
on zum Thema Ökumene.                    dienjährlerinnen und Studienjähr-
   Aus dem aktuellen Studienjahr gibt    ler bzw. Forumsmitglieder beteiligt
es einige Premieren zu berichten, sei    sind und die in Kontinuität zu den
es in Bezug auf die Verläufe der Ex-     Themen des Studienjahres stehen.
kursionen, die materielle Kultur des     Dadurch soll eine forumsinterne
Studienjahres, den Besuch des deut-      Plattform geschaffen werden, die al-
schen Bundespräsidenten oder auch        len Mitgliedern eine weiterführende
die architektonischen Neuheiten in       inhaltlich-thematische Vernetzung
Jerusalem selbst. In dem Beitrag der     und einen fruchtbaren Austausch für
Ökumenischen Stiftung Jerusalem          Forschung und Projektarbeit ermög-
stehen nicht nur die Studienjahrs-       licht.
bezogenen Projekte und Initiativen           Abschließend sei allen, die an der
(Europa-Stipendium, Post-Studien-        Entstehung dieser Cardo-Ausgabe
jahr-Stipendium,      „Kulturticket“),   mitgewirkt haben – insbesondere den
sondern auch die Vorstellung zweier      Autoren und unseren Werbepartnern
neuer Vorstandsmitglieder im Vor-        – ganz herzlich gedankt.
dergrund. Schließlich werden aus der         Wir wünschen allen viel Freude
Reihe „Jerusalemer Theologisches         bei der Lektüre!
Forum“ Neuerungen wie auch Alt-
bewährtes berichtet und die zwei neu             Katharina Pyschny, Bochum
erschienenen Bände zum jambischen                  Till Magnus Steiner, Bonn
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Cardo                                    5

         Mit Bibel und Spaten? Perspektiven der
                 Biblischen Archäologie
Archäologie in der Welt                        alltäglichen Lebens in dieser Welt
                                               entwickelten sich spätestens seit dem
der Bibel                                      dritten Jahrtausend v.Chr. Im Zen-

D       ie Archäologie der biblischen Welt
        findet in einem Teil der Welt statt,
in dem heute kaum etwas politisch um-
                                               trum einer Archäologie der Welt der
                                               hebräischen Bibel stehen damit die
                                               Kulturen der Bronzezeit, der Eisen-
strittener ist als das Land Israel/Palästi-    zeit und der sogenannten persischen
na in seinen historischen Dimensionen          oder achämenidischen Epoche. Die
und geographischen Bezeichnungen.              theoretische und methodologische
Der Gebrauch übergreifender Begrif-            Diskussion um die Überreste der prä-
fe und Namen wie „Palästina“ oder              historischen Kulturen führt bereits in
„Israel“ wird oft durch den politischen        einen derart speziellen Zweig der mo-
Standort bestimmt. Das geographische           dernen Archäologie, dass ich diesen
Gebiet, mit dem ich mich hier beschäf-         Teil der Vergangenheit der biblischen
tige, lässt sich auch als „heiliges Land“      Welt hier ausklammere. Als „Vorder-
beschreiben, heilig sowohl dem Juden-          asiatischer Archäologe“ werde ich
tum, dem Christentum als auch dem              mich hier auf die Welt des Alten Tes-
Islam. Neutraler und weniger im religi-        taments bzw. der hebräischen Bibel
ösen Sinn wertend ist der Begriff „Welt        konzentrieren, obwohl mir sehr wohl
der Bibel“. Er umfasst geographisch das        bewusst ist, wie sehr dieser Text auch
Gebiet der modernen politischen Staa-          in der hellenistischen Epoche geformt
ten und Territorien Israel, Jordanien, die     und gestaltet wurde.
von Israel besetzte Westbank und das               Auf den ersten Blick gibt es kei-
autonome palästinensische Gebiet. Im           nen Grund, warum sich die Archäo-
weiteren Sinn ist eine Archäologie der         logie Palästinas von der übrigen
biblischen Welt nicht ohne Syrien und          Archäologie Vorderasiens auf be-
den Libanon denkbar.                           sondere Weise unterscheiden sollte.
    Wenn im Folgenden aber vor allem           Geographisch hebt sich das Land
von „Palästina“ die Rede ist, dann ist         nicht außergewöhnlich aus dem Na-
damit keine politische Stellungnahme           hen Osten hervor. Und doch hat die
verbunden, sondern der am weitesten            Archäologie hier aufgrund der über-
verbreitete Begriff gewählt, mit dem           ragenden Bedeutung der Bibel für die
spätestens seit dem 18. Jahrhundert            westliche Kulturgeschichte in vielen
in der wissenschaftlichen Literatur            Bereichen eine besondere Entwick-
Europas und Amerikas der Untersu-              lung genommen.
chungsraum bezeichnet wird.                        Die alten Kulturen, die sich in
    Die Mehrzahl der Institutionen,            und um Palästina entwickelt haben,
der Strukturen und der Gestalt des             griffen in den verschiedenen Epo-
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chen der Geschichte oft weit über         chäologisch-historischer Forschung
ihre eng definierten Grenzen hinweg.      in Palästina, die in keinem Verhältnis
Die Kulturgeschichte hat an unse-         zu den materiellen Überresten steht.
ren modernen Grenzen nie haltge-             Der Begriff Archäologie geht auf
macht, und die Kultur Palästinas ist      das griechische Wort aörxaiologißa
in den vergangenen Jahrtausenden          zurück und bedeutet eigentlich Alter-
von Ägypten und Vorderasien stark         tumskunde. Im modernen Sprach-
beeinflusst worden. Zwischen Syrien       gebrauch bezeichnet Archäologie
und Mesopotamien einerseits und           heute die Wissenschaft, die sich mit
Ägypten andererseits gelegen, ist Pa-     den materiellen Überresten vergan-
lästina eigentlich immer ein Randbe-      gener Kulturen beschäftigt. Die Ge-
reich gewesen, der geographisch in        schichtswissenschaft, die Historie,
sich stark differenziert ist und stets    beschäftigt sich demgegenüber mit
gleichzeitig Heimat mehrerer Völker,      der Überlieferung des geschriebenen
Sprachen und Religionen war.              Wortes. Sie rekonstruiert die Ge-
   Seit dem Paläolithikum besiedelt,      schichte und die antike Kultur aus
entwickelt sich Palästina vor allem ab    überlieferten Texten oder epigraphi-
der Bronzezeit im Austausch mit den       schen Funden. Als Altertumskunde
umliegenden Kulturen und Gesell-          wird im deutschen Sprachgebiet heu-
schaften. Die Integration Palästinas      te die Gesamtheit der Geschichts-
in die Mittelmeerwelt seit der späten     wissenschaft und der Archäologie
Eisenzeit schafft in römischer Zeit       bezeichnet. Damit hat sich die Be-
den Hintergrund für die Verbreitung       deutung des Begriffs Archäologie
des Judentums und des Christentums        verändert. Flavius Josephus nannte
weit über die Grenzen Palästinas hi-      seine Geschichte des jüdischen Vol-
naus. Damit ist der Ausgangspunkt         kes öIoudaikoßw aörxaiologißaw.αικῆς ἀρχαιολογ
gesetzt für das besondere Interesse       Noch bis in das 19. Jahrhundert wur-
der westlichen christlichen Kulturen      de der Begriff Archäologie als eine
an der Geschichte und der Archäo-         Disziplin verstanden, die materielle,
logie Palästinas. Dieses Interesse        mündliche und schriftliche Hinterlas-
westlicher Kulturen hat Palästina ei-     senschaften aufarbeitet. Im Bereich
nen geschichtlichen Rang zugewie-         der Archäologie der biblischen Welt
sen, den dieses Randgebiet eigentlich     zeugen noch einige Titel wie I. Ben-
nicht verdient. Die Archäologie, d.h.     zingers „Hebräische Archäologie“
die materielle Kultur Palästinas, wirkt   (erschienen 1927) von diesem Ge-
im Vergleich zu Ägypten, Mesopo-          brauch des Begriffs. Heute wird unter
tamien und Syrien eher ärmlich und        Archäologie einzig die Wissenschaft
bescheiden. Die besondere Bedeu-          von den nichtliterarischen kulturel-
tung, die die biblische Tradition als     len Überresten vergangener Zeiten
eine der zentralen Grundlagen der         verstanden. Sie ist also ein spezieller
westlichen Gesellschaft hat, führte zu    Zweig der Altertumswissenschaft,
der disproportionalen Betonung ar-        der sich von der Erforschung der li-
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terarischen Quellen abgespalten hat.         Die Analyse, der zweite Arbeits-
   Archäologie ist in zwei Arbeits-      schritt der Archäologie, wertet die
schritten tätig: in der Feldforschung    Feldforschung aus. Zum einen han-
und der analytischen Archäologie.        delt es sich um eine Analyse der Fun-
Zu Beginn aller Untersuchungen           de und Befunde, zum anderen um
sollte die Ausgangsfrage klar defi-      die Interpretation und Erklärung der
niert werden, die man mithilfe der       festgestellten Beobachtungen. Bei
archäologischen Forschung lösen          der Analyse der Funde und Befunde
möchte. Dann lässt sich ein Projekt      werden die Beobachtungen beschrie-
konzipieren, in dem es eine Phase der    ben und die Forschungsobjekte z.B.
Datenerhebung (Feldforschung) und        typologischen Untersuchungen, Da-
der Datenanalyse gibt.                   tierungen und anderen Analysen un-
   Zwei große Bereiche der archäo-       terworfen. Die Interpretation kann
logischen Feldforschung lassen           in jede nur denkbare Richtung ge-
sich unterscheiden: die Ausgrabung       hen. Es können kunstgeschichtliche
und die Oberflächenuntersuchung.         Schlussfolgerungen gezogen, Fragen
Während die archäologische Fund-         der Sozialgeschichte behandelt oder
stelle bei der Grabung sorgfältig        geschichtliche Einzelprobleme ge-
und kontrolliert ausgegraben – und       deutet werden. Dies hängt einzig von
damit auch zerstört – wird, findet       dem zu Beginn der Untersuchung
kein derartig schwerwiegender Ein-       definierten Problem ab, unter dessen
griff bei der Oberflächenuntersu-        Gesichtspunkt die Daten erhoben
chung (Survey) statt. Bei Letzterem      worden sind.
wird nicht gegraben, sondern nur die
Oberfläche der Fundstelle gründlich             Die ersten Forschungen
untersucht. Grabungen finden in der
Regel an einer Fundstelle statt. Ober-      Ein Meilenstein in der Geschichte
flächenuntersuchungen finden dage-       der Archäologie waren die privaten
gen in der Regel in einer Region statt   Sammlungen und Kuriositätenkabi-
und untersuchen mehrere Fundstel-        nette der frühen Neuzeit. Hier fan-
len. Daher lassen sich aus Grabungen     den sich archäologische Artefakte ne-
weitreichende und detaillierte Infor-    ben biologischen und physikalischen
mationen zur Siedlungsgeschichte         Objekten als Merkwürdigkeiten in
eines Ortes gewinnen, während über       einer Sammlung vereinigt. Solche
die Umgebung des Ortes durch eine        Sammlungen waren oft von Fürsten
Grabung wenig bekannt wird. Ober-        oder Bischöfen angelegt worden, die
flächenuntersuchungen lassen uns         von den Objekten selbst und ihrem
einen Einblick gewinnen in die Sied-     Hintergrund oft wenig wussten. Da-
lungsgeschichte mehrerer Fundorte,       her wurden nicht selten Kuratoren
der aber weniger weitreichende und       eingestellt, die die Sammlungen ord-
detaillierte Informationen über die      nen und verwalten sollten. Ein sol-
einzelnen Fundorte zulässt.              cher Spezialist war Johann Joachim
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Winckelmann (1717-1768), der die         neue Wege beschritten. Die Funde
Sammlungen reicher italienischer         und Befunde wurden nun nicht mehr
Besitzer bearbeitete. Für viele der      als Merkwürdigkeiten betrachtet, son-
Sammlungsobjekte war damals we-          dern als Quellen für eine vergangene
der der Fundort noch eine genaue         Kultur und deren Geschichte. Es war
Datierung bekannt.                       ein Prozess von der Dekoration zur
   J. Winckelmann führte in die Ar-      Information. Dieser Prozess führt al-
chäologie die Rekonstruktion des         lerdings geradewegs in ein neues Pro-
Kontextes ein. Es gelang ihm mithil-     blem heuristischer Natur, das unter
fe seiner kunsthistorischen Methode      dem englischen Titel „Contextual Ar-
die Objekte teilweise wieder in einen    chaeology“ diskutiert wird. Dahinter
Zusammenhang         zurückzuführen,     steht die Frage: Wie kann der moder-
aus dem sie durch die antike Abla-       ne Mensch die Symbolik, die Bedeu-
ge am Fundort und die nachlässige,       tungen und die Ausdrücke der antiken
unwissenschaftliche      Ausgrabung      Welt überhaupt verstehen? Dies ist
herausgerissen worden waren. J.          ein zentrales Problem auch für die Re-
Winckelmann (re)konstruierte eine        konstruktion der alten israelitischen
kunstgeschichtliche Abfolge der          Religion und daher eines der wichtigs-
Objekte, die er bearbeitete. Er woll-    ten Themen für den Dialog zwischen
te aber auch eine Erklärung für die      Theologen und Archäologen.
Funktion und die Bedeutung dieser            Archäologie als moderne Wis-
Objekte finden. Was vorher lediglich     senschaft entwickelte sich in Europa
einen materiellen Wert für das Presti-   während des 18. und 19. Jahrhun-
ge des wohlhabenden Besitzers hatte,     derts. Sie wurzelt konzeptionell in
wurde nun durch J. Winckelmanns          der christlich-jüdischen Tradition der
Analyse transformiert in einen geis-     modernen westlichen Kultur. Eine
tigen Besitz, an dem jeder teilhaben     Tatsache, die sich in der Entwicklung
konnte und den jeder „haben“ konn-       der Archäologie Palästinas deutlich
te, auch derjenige, der das Objekt       widerspiegelt. Der Beitrag westlicher
selbst nicht besaß.                      Wissenschaftler ist zu Beginn der
   Die von Winckelmann begonnene         Forschungsgeschichte bestimmend.
Rekonstruktion des Kontextes wurde       Spätestens seit dem 19. Jahrhundert
in allen Bereichen der Archäologie       entwickelt sich in Westeuropa und
weitergeführt. In der Feldforschung      in den USA eine besondere Kom-
wurde nun nicht nur die Bedeu-           bination von regionalem Interesse
tung des ursprünglichen Fundortes        an Palästina und am Nahen Osten
erkannt, sondern im Laufe des 19.        insgesamt. Es handelt sich um eine
Jahrhunderts auch die sachgemäße         Mischung von Politik, Wissenschaft
Bergung der Funde und schließlich        und religiösen Interessen. Archäolo-
auch die Fundzusammenhänge, die          gie und Geographie stehen dabei in
Befunde, beachtet. In der Analyse        der Regel im Dienst des Imperialis-
und Interpretation wurden ebenfalls      mus und der religiösen Kräfte in den
Mit Bibel und Spaten? - Perspektiven der Biblischen Archäologie
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westlichen Gesellschaften. Den Rah-       Grundsätzen basieren muss; 2. Dass
men für die frühesten wissenschaft-       die Gesellschaft als solche sich der
lichen Expeditionen in den Nahen          Kontroversen enthalten soll; 3. Dass
Osten bilden nicht selten militärische    sie weder als religiöse Gesellschaft
Interventionen wie die Napoleons          begonnen noch als solche geführt
I. (1798-1799) und Napoleons III.         werden soll.“ Mit diesem Programm
(1860).                                   ist der Palestine Exploration Fund
    In der zweiten Hälfte des 19. Jahr-   ein eher wertneutraler wissenschaft-
hunderts wird die Erforschung Paläs-      licher Verein gewesen. Andere For-
tinas von europäischen und ameri-         schungsvereine und Initiativen waren
kanischen Forschungsgesellschaften        dagegen stärker von öffentlichen
bestimmt, die nicht selten Offiziere      religiösen Interessen geleitet. Die
ihrer Armeen als Forschungsreisende       amerikanische Palestine Exploration
entsenden. Zu den wichtigsten Ge-         Society schreibt 1870 in ihrer ersten
sellschaften zählen der britische Pa-     Veröffentlichung programmatisch:
lestine Exploration Fund (gegründet       Das Ziel der Gesellschaft sei „die
1865), die American Palestine Explo-      Illustration und Verteidigung der
ration Society (gegründet 1870), der      Bibel. ... Der moderne Skeptizismus
Deutsche Verein zur Erforschung           stellt die [historische] Wirklichkeit
Palästinas (gegründet 1877) und die       der Bibel infrage. ... Was immer des-
American Schools of Oriental Re-          halb die biblische Geschichte in Be-
search (gegründet 1900).                  zug auf Zeit, Ort und Umstände als
    Das Forschungsinteresse kon-          tatsächlich erweist, ist eine Zurück-
zentrierte sich in dieser Zeit neben      weisung des Unglaubens“.
Ägypten und Mesopotamien deut-                Während die amerikanische Pales-
lich auf Palästina. Das besondere         tine Exploration Society also klar zur
Interesse des Westens an der ärm-         Verteidigung von Glauben und Kir-
lichen Randprovinz Palästina muss         che aufruft, beschränkt sich der briti-
in religiöser Motivation und in der       sche Palestine Exploration Fund nur
gesellschaftlichen Bedeutung der bi-      auf den ersten Blick auf ein säkular
blischen Überlieferung für Europa         gehaltenes Programm, denn eine Il-
und Amerika gesucht werden. Dem-          lustration der Bibel und des Heiligen
entsprechend lesen sich Ausschnitte       Landes durch Forschung dient den
aus den Grundsatzerklärungen der          gesellschaftlichen Grundlagen der
Forschungs-Gesellschaften, deren          anglikanischen Kirche objektiv nicht
Bindungen an Konfessionen und             weniger.
Kirchen unterschiedlich stark aus-            Bemerkenswert ist das breite
geprägt waren. Der Palestine Ex-          landeskundliche Interesse der wis-
ploration Fund hatte sich 1865 in         senschaftlichen Gesellschaften: Ar-
seinem Programm darauf festgelegt:        chäologie, Topographie, Geologie,
„1. Dass, was immer unternommen           physische Geographie, Sitten und
werden soll, auf wissenschaftlichen       Gebräuche wurden erforscht. Der
Mit Bibel und Spaten? - Perspektiven der Biblischen Archäologie
10                                     Cardo

Palestine Exploration Fund hat die-            Seit dem Beginn des 20. Jahrhun-
sen umfassenden Anspruch auch               derts lässt sich in der Archäologie
in umfassender Weise ausgeführt:            des Nahen Ostens allgemein so et-
mit dem monumentalen „Survey                was wie eine „Emanzipation“, eine
of Western Palestine“ (erschienen           Verselbständigung der Archäologie
1882-1888). Dieser Publikation fehlt        beobachten. War die Archäologie im
jedoch das heute entscheidende Da-          19. Jahrhundert noch eine Hilfswis-
tierungsinstrument, die Keramik-            senschaft der Geschichtswissenschaft,
chronologie. Eine erste verbindliche        eine Lieferantin für Inschriften oder
Keramiktypologie für Palästina wur-         Ausstellungsobjekte für die großen na-
de erst um 1890 von Flinders Petrie         tionalen Museen, so begann sie nach
entwickelt.                                 dem Ersten Weltkrieg eine Wissen-
    Die Arbeit der wissenschaftlichen       schaft mit eigener Theorie, Methodo-
Gesellschaften, die von ihren Heimat-       logie und eigenem Ausbildungsgang
ländern aus operierten, wurde um die        zu werden. Dieser Prozess gründete
Jahrhundertwende durch die Grün-            sich nicht zuletzt auf die zunehmen-
dung von Forschungsinstituten in            de Spezialisierung des Faches und die
Jerusalem ergänzt, mit denen Wissen-        wachsende Literatur. In Palästina war
schaftler eine Art europäischen Wohn-       die Archäologie zu Anfang noch ganz
sitz im Nahen Osten erhielten. Die          Fragestellungen untergeordnet, die
bedeutensten Institute sind die École       sich aus dem Bibelstudium ergaben.
Biblique et Archéologique (gegründet        Spätestens mit der Mandatsverwal-
1890), die American Schools of Ori-         tung setzt auch in Palästina ein Pro-
ental Research (gegründet 1900) und         zess der Verselbständigung ein. Die
das Deutsche Evangelische Institut für      Antikenverwaltung der Mandatsregie-
Altertumswissenschaft des Heiligen          rung nach dem Ersten Weltkrieg ent-
Landes (gegründet 1902). Die dadurch        wickelte einen Denkmalschutz für die
entstehenden       Forschungsmöglich-       materiellen Überreste aller Perioden
keiten führten in kurzer Zeit zu einer      Palästinas, vom Paläolithikum bis zur
Forschungsdichte im Lande sowie zu          osmanischen Epoche. Dabei wurde
einer Konzentration von Bibliotheken        formal den historischen Epochen des
und Wissenschaftlern in Jerusalem,          Alten und Neuen Testaments keine
die damals in keinem anderen Land           besondere Rolle eingeräumt.
des Nahen Ostens erreicht wurde. In            Mit der leistungsfähigen britischen
diesen Jahren entwickelten die Briten       Antikenverwaltung verbesserten sich
mit Flinders Petrie in Palästina die bes-   die Forschungsbedingungen weiter:
ten Grabungs- und Surveymethoden            Zwischen 1918 und 1948 fanden
des Nahen Ostens. Die Stratigraphie,        zahlreiche Grabungen in den Schlüs-
Keramiktypologie und die sorgfältige        selfundstellen Palästinas statt. Zu
Publikation ihrer Grabungen waren in        den bedeutendsten Grabungen die-
ihrer Zeit beispielhaft und unerreicht      ser Zeit zählen Tell Abu Hawwam,
im übrigen Nahen Osten.                     öAthlit, Megiddo, Beth Schean, Beitin,
Cardo                                  11

Ai, Tell el-Ful, Beth Schemesch, Jeri-    übrigen archäologischen Fächer wie
cho, Tell Beit Mirsim und Lachisch.       z.B. die vorderasiatische-, klassi-
Damit entwickelte sich in Palästina       sche- oder prähistorische-Archäolo-
ein archäologischer Forschungsvor-        gie sucht.
sprung gegenüber anderen Regionen            Nach 1948 wurden zum einen
des Nahen Ostens. In der Mandats-         ältere Grabungen nach längerer Un-
periode wurden die Fundamente der         terbrechung neu aufgenommen, um
archäologischen Chronologie, der          mit verbesserten Grabungsmetho-
Keramiktypologie und der histori-         den Probleme zu lösen, die die äl-
schen Topographie ausgebaut. Für          teren Untersuchungen aufgeworfen
eine Randregion des Nahen Ostens          hatten. Zum anderen wurden neue
war damit ein Forschungsstand er-         Grabungen begonnen. Die israeli-
reicht, der sich damals nur mit den       schen Grabungen in Hazor (1955-
Ländern Europas vergleichen ließ.         1958) unter Y. Yadin wurden zur
                                          „Schule“ der israelischen Archäolo-
  Neuere archäologische Forschungen       gie.
                                             Aber nicht nur Ausgrabungen,
    Eine der Haupttendenzen der           sondern auch systematische archäo-
Archäologie in Palästina nach dem         logische Oberflächenuntersuchun-
Zweiten Weltkrieg ist die „Säkula-        gen (Surveys) wurden im ganzen
risierung“ der Disziplin. Dies gilt       Land durch den Archaeological
besonders für die israelische und         Survey of Israel durchgeführt. Die-
britische Archäologie: Ihre Fachleu-      se Untersuchungen, die zu Studien
te sind ausgebildete Archäologen. In      wie Israel Finkelsteins „Archaeolo-
den USA und in Deutschland waren          gy of the Israelite Settlement“ (er-
die Fachleute für Biblische Archäo-       schien 1988) führten, machten die
logie um 1948 fast ausschließlich         Bedeutung der Archäologie für das
Theologen. Spätestens seit den sieb-      Verständnis der ideologischen Kon-
ziger Jahren und als Folge der The-       struktion deutlich, die in der Theo-
orie- und Methoden-Diskussionen           logie die „israelitische Frühzeit“ ge-
in der Archäologie in den sechzi-         nannt wird.
ger Jahren verselbständigte sich die         Archäologie wird heute an vier
Archäologie in Palästina von einer        Universitäten in Israel unterrichtet.
Hilfswissenschaft der Theologie           In den besetzten Gebieten wird Ar-
zu einer eigenständigen Palästina-        chäologie an der al-Quds Universi-
Archäologie. Damit ist eine regio-        ty in Jerusalem und an der Bir Zeit
nal ausgerichtete Wissenschaft der        University gelehrt. Daneben beste-
materiellen Kulturen Palästinas ge-       hen die internationalen Institute in
meint, die nicht in erster Linie der      Jerusalem weiter fort. Die Stadt hat
Illustration der Bibel dient, sondern     damit eine im Nahen Osten einma-
den Anschluss an die Theorie, die         lige Konzentration von nationalen
Methoden und die Forschungen der          und internationalen archäologischen
12                                    Cardo

Forschungsinstituten, Museen, Lehr-        nen historischen und chronologischen
anstalten und Bibliotheken.                Problemen, sondern mit funktionalen
    Nach dem Zweiten Weltkrieg hat         Regionalanalysen und problemorien-
sich eine Grabungsmethode heraus-          tierten Projekten zur materiellen Kul-
kristallisiert, die von Y. Aharoni in      tur des alten Palästinas.
der Grabung von Beerscheba und                 2. Die Archäologie Palästinas ist
von J. Seger in Gezer beispielhaft an-     heute ein multidisziplinäres Unterneh-
gewandt worden ist. Unabhängig von         men, an dem Sprachwissenschaften,
einzelnen Differenzen ist man sich         Kulturanthropologie, Archäologie und
im Wesentlichen einig darüber, wie         Naturwissenschaften mitarbeiten.
Befunde dokumentiert und Funde                 3. Während bis Anfang der siebzi-
geborgen werden sollen.                    ger Jahre Ausgrabungen hauptsächlich
    Ein zentraler Bereich der palästi-     von Theologen durchgeführt worden
nensischen Altertumskunde, die bib-        sind, sind heute vornehmlich ausgebil-
lische Landeskunde, hat sich gründ-        dete Archäologen am Werk.
lich geändert. War sie früher eher             4. Während früher fast ausschließ-
eine historische Disziplin, vor allem      lich mit Lohnarbeitern gegraben wur-
eine historische Topographie, die da-      de, arbeiten heute in den Forschungs-
rauf zielte, biblische Orte zu lokali-     projekten der Universitäten vor allem
sieren, so handelt es sich dabei heute     Archäologie-Studenten und Volontäre.
um Paläodemographie, historische               5. Früher wurden Grabungen und
Siedlungsgeographie und funktionale        Surveys hauptsächlich von auslän-
Regionalanalysen, die vor allem von        dischen Institutionen durchgeführt,
Archäologen durchgeführt werden.           während sie heute hauptsächlich von
Diese neue Form der Landeskunde            israelischen Institutionen, Universitä-
untersucht die wirtschaftliche und         ten und der staatlichen Antikenbehör-
gesellschaftliche Komplexität der an-      de (Israel Antiquities Authority) veran-
tiken Kulturen und ihre geographi-         staltet werden. In jüngster Zeit kommt
schen Manifestationen.                     das Palestinian Department of Anti-
                                           quities hinzu, das im Gebiet der paläs-
                 Fazit                     tinensischen Selbstverwaltung tätig ist.
                                               6. Akademische Forschung in Isra-
    Die Entwicklung der Palästina-Ar-      el und den besetzten Gebieten wurde
chäologie seit dem Zweiten Weltkrieg       früher fast ausschließlich von ausländi-
lässt sich in sechs Thesen zusammen-       schen Institutionen organisiert. Heute
fassen:                                    spielen die Auslandsinstitute immer
    1. Archäologie in Palästina beschäf-   noch eine wichtige Rolle, die akade-
tigt sich heute nicht mehr hauptsäch-      mische Hauptarbeit im Lande wird in-
lich mit der Identifikation biblischer     zwischen aber von israelischen und pa-
Ortslagen und den damit verbunde-          lästinensischen Universitäten geleistet.

Gunnar Lehmann ist Senior Lecturer im Department of Bible, Archaeology
and Ancient Near East der Ben-Gurion-Universität in Beersheva in Israel.
Cardo                                    13

Wenn die Jünger schweigen,               von Palästinaarchäologie und Bibel-
                                         wissenschaft, sondern vielmehr um
werden die Steine schreien!              den Blick auf die strukturellen und
Zur Notwendigkeit der Emanzi-            argumentativen Parallelen zwischen
                                         beiden Diskussionsfäden. Dabei soll
pation der Palästinaarchäologie          aufgezeigt werden, welche neuen Fra-
und der Bibelwissenschaft                geperspektiven, -horizonte und -stel-

W      ie stark Palästinaarchäologie     lungen sich für die Bibelwissenschaft
       und Bibel/Bibelwissenschaft       eröffnen, wenn die Palästinaarchä-
in der Vergangenheit zusammenhin-        ologie mit ihren eigenen Methoden
gen, ließe sich an den ersten frühen     als eigen- und selbstständige Wissen-
Ausgrabungen in Israel/Palästina,        schaftsdisziplin wahrgenommen und
den Gründungsdokumenten der              auf eine methodisch reflektierte Art
großen Gesellschaften für Palästi-       und Weise im Sinne eines Kooperati-
naarchäologie oder der Geschichte        onsmodells in die Exegese der bibli-
der Disziplin „Biblische Archäolo-       schen Texte miteinbezogen wird.
gie“ an den (deutschen) Universitäten
ablesen. Dass die Bibel in vielen Fäl-      Klassisch ist die „Landnahme“
len immer noch erkenntnisleitend für     Israels mit kriegerischen Mitteln:
die Interpretation archäologischer       Lässt man die Problematik des un-
Befunde ist, ließe sich darüber hinaus   eroberten Landes (Jos 13,13; 15,63;
besonders an den „heißen Eisen“          16,10; 17,11f.18; Ri 1,18f; 1,27-35)
verdeutlichen, die die publizistische    einmal beiseite, so dringt Israel der
Agenda über Jahrzehnte bestimmt          biblischen Darstellung folgend als
haben und zum Teil immer wieder          geschlossener Verband zeitgleich
neu bestimmen. Im Folgenden sol-         von Osten her in das Westjordanland
len zwei brisante Themen, die sog.       ein und beginnt mit der Eroberung
Landnahme und das vereinigte Kö-         in Jericho (Jos 6), Ai (Jos 8), Libna,
nigreich Davids, exemplarisch und        Lachisch, Geser, Hazor usw., bis das
skizzenhaft herausgegriffen und ge-      „ganze Land“ eingenommen ist, „wie
genübergestellt werden. Während          es der Herr zu Mose gesagt hatte“
die Diskussion um die Landnahme          (Jos 11,23). Unter der Voraussetzung,
eher als Klassiker der Diskussion des    dass die Bibel einem historischen
vergangenen Jahrhunderts gilt und in     Bericht gleichkommt und die Ereig-
den letzten Jahren weniger intensiv      nisse im Kern „wahr“ sind, wurden
diskutiert worden ist, stellt die Dis-   die spätbronzezeitlichen Brand- und
kussion um das „Großreich“ Davids        Zerstörungshorizonte in der älteren
einen der aktuellen Brennpunkte dar.     Forschung mit den Israeliten als Ak-
Mir geht es im Folgenden weder um        teuren verbunden und als Erweis ei-
eine umfassende Darstellung des          ner militärisch erfolgten Landnahme
Forschungsstandes noch um eine           interpretiert (vgl. die sog. Invasions-
methodische Verhältnisbestimmung         hypothese). Es muss nicht hervor-
14                                 Cardo

gehoben werden, dass der Bibel in           Das Interesse der Archäologie
einem solchen Argumentationsmo-         und ihre Hypothesenbildung gehen
dell eine vorgeordnete und vor allem    nicht mehr von der Bibel aus und
hypothesenleitende Rolle zugespro-      kehren auch nicht dahin zurück. Da-
chen worden ist: Die Archäologie        mit werden die alttestamentlichen
sollte den biblischen Bericht erhel-    Landnahme-Traditionen keineswegs
len; nicht dessen Wahrheit erweisen,    irrelevant, im Gegenteil! Denn unter
denn die stand fest. Dass sowohl ein    der Voraussetzung, dass die Texte
solches Interpretationsmodell als       weder einen historischen Ablauf
auch die damit zusammenhängende         abbilden noch sich mit dem histo-
methodische Herangehensweise an         rischen Prozess in Deckung bringen
die Palästinaarchäologie von der jün-   lassen, können die Erzeltern- und
geren Forschung seit den 80er Jahren    Landnahmeerzählungen als theolo-
des vergangenen Jahrhunderts nicht      gische Texte, deren eigentlicher Wert
mehr als tragfähig angesehen wurde,     jenseits des Historischen liegt, neu
wird schon allein dadurch deutlich,     entdeckt werden. Der Hypothesen-
dass in der Regel nicht mehr von        bildung in der Exegese werden damit
der „Landnahme“, sondern von der        zugleich neue Interpretationsräume
„Entstehung Israels“ gesprochen         geöffnet, was etwa in der jüngeren
wurde. Darüber hinaus weiß jeder        literarhistorischen Diskussion zum
halbwegs Interessierte, dass der ar-    relativ späten Zusammenhang von
chäologische Befund weder mit den       Erzeltern- und Exodustradition zu
biblischen Landnahme-Traditionen        erkennen ist. Zugleich tauchen neue
in Deckung zu bringen ist noch          Herausforderungen auf, etwa wann
Auskunft über die Verursacher der       und wie die älteste Exoduserzäh-
Zerstörungen Auskunft gibt. Archä-      lung als Gründungsmythos „Israels“
ologisch stellt sich der Prozess des    entstanden ist und ob die Erzählung
Übergangs von der Spätbronze- zur       vom Exodus überhaupt noch eine
Eisenzeit ebenso regional stark dif-    historische Hintergrundstrahlung
ferenziert wie zeitlich gedehnt dar     aufweist. Wie ist zu erklären, dass
und lässt nach wie vor kein monoli-     der nicht-endogene Gott YHWH
thisches Erklärungsmodell zu. Dass      an die Größe Israel vermittelt wur-
die Größe „Israel“ in und zu großen     de, wenn ein Exodus nicht historisch
Teilen aus Kanaan entstanden ist,       greifbar ist? Fragen, die sich derzeit
lässt sich nur erkennen, wenn die Bi-   weder aus der Archäologie noch aus
bel nicht mehr die Interpretationsfo-   der Exegese heraus klar beantwor-
lie der archäologischen Daten bildet,   ten lassen und zur Hypothesenbil-
sondern die Palästinaarchäologie in     dung einladen. Dabei kann es nicht
ihrer Eigenständigkeit und in ihrem     mehr vorrangiges Ziel sein, Religi-
Eigenwert ernst genommen und            ons- und Ereignisgeschichte mit den
selbst zur Grundlage der Interpreta-    biblischen Erzählungen in vollen
tion erhoben wird.                      Einklang zu bringen. Beide dürfen
Cardo                                    15

sich sogar widersprechen, solange        mitnichten entsprach und sich staat-
sie nicht als Aussagen auf dersel-       liche Strukturen in Israel und Juda
ben Ebene verstanden werden. Erst        erst deutlich später (und wohl auch
nachdem sich die Palästinaarchäolo-      nicht von Jerusalem ausgehend)
gie aus dem Fragehorizont der Bibel      herausgebildet haben. Heftige De-
gelöst hatte, wurden Hypothesen          batten um die Reichweite des in der
entwickelt, die jenseits der Bibel la-   aramäischen Tel Dan-Inschrift des
gen. Nachdem sich zunächst die Ar-       9. Jhs. v.Chr. erstmalig außerbiblisch
chäologie von der Bibelwissenschaft      belegten bytdwd zeigten, wie viel an
(nicht zuletzt mit Hilfe derselben)      der Annahme hängt, David habe
emanzipiert hat, gilt es nun für die     nicht nur als von den Philistern pro-
Exegese, sich von der Archäolo-          tegierter „warlord“ in Ziklag für Un-
gie zu emanzipieren. Erst wenn die       ruhe gesorgt und später ein politisch
Bibelwissenschaft die Ergebnisse         wenig bedeutendes „chiefdom“ mit
der Archäologie als die Hypothe-         Jerusalem als Zentrum beherrscht,
senbildung fördernde Grundlage,          sondern seine Macht als „König über
und nicht als zu ihr im Widerstreit      ganz Israel“ schrittweise auf den ge-
stehende Evidenz wahrnimmt, wird         samten Norden, die Aramäerstaaten
sie zu neuen Erkenntnissen an ihren      und das Ostjordanland ausgeweitet
Texten vorstoßen können. Dass die        und schließlich als Großkönig von
Bibel „doch recht hat“, gilt nach wie    Jerusalem von Schihor bis Lebo-
vor, nur auf einer anderen Ebene.        Hamat, also über ein Gebiet, das von
                                         Ägypten bis zum Libanon reichte,
   Hatte schon „Keine Posaunen           geherrscht (2 Chr 13,5). Die Fronten
vor Jericho“ durch seine mediale         zwischen Minimalisten und Maxima-
Vermarktung den Autoren Israel           listen verblassen vor dem archäolo-
Finkelstein und Neil Asher Silber-       gisch eher spärlichen 10. Jh. v.Chr.,
man den zweifelhaften Ruf von            das für einen weltpolitisch großen
unerschrockenen Aufklärern ein-          König keine Bühne bietet. Selbst die
gebracht, so ebenso das geschickt        Sechskammertore aus Geser, Megid-
nachgeschobene Buch zur vereinten        do und Hazor taugen nicht mehr, um
Monarchie unter dem Titel „David         den Ausbau des Reiches und die aus
und Salomo. Archäologen entschlüs-       1 Kön 9,15-21 abgeleitete prächtige
seln einen Mythos“, was sich in der      Architektur Salomos zu belegen,
Diskussion um den „machtvollen           seitdem sich die Debatte um die
Großstaat Davids“ (Martin Noth)          Herabdatierung archäologischer Be-
zeigt. Am Anfang der biblischen Ar-      funde des 10. Jhs. v.Chr. mehr oder
chäologie führte die Bibel die Feder,    minder beruhigt hat.
was unweigerlich zu Problemen füh-           Durch die von Israel Finkelstein
ren musste, als zunehmend erkannt        angestoßene sog. Chronologiedebat-
wurde, dass der archäologische Be-       te hatte sich der Streit um das 10. Jh.
fund der Eisen-IB/IIA-Zeit dem           zunächst verschärft, weil in den er-
16                                   Cardo

sten Entwürfen die Herabdatierung         nigreichs theologisch einzuordnen
der Eisen-I-Zeit bis weit in das 10.      und zu erklären? Die Religionsge-
Jh. reichte, d.h. bis in die Zeit Salo-   schichte beider staatlichen Größen
mos und der sog. „Reichsteilung“          in der Eisen-II-Zeit lässt zunehmend
in „Nord-“ und „Südreich“. Die in         je eigene Akzentuierungen in der
der Folgezeit zunächst im offensiven      Entwicklung erkennen, wirft aber
Streit zwischen Israel Finkelstein und    die Frage auf, wie YHWH in beiden
Amihai Mazar ausgetragene, dann           religiösen Traditionsgeflechten eine
zunehmend auch mit einer Fülle von        dominante Stellung erreichen konn-
14
  C-Daten auf breitere Basis gestell-     te. Auch dafür fehlen derzeit noch
te Debatte hat inzwischen zu einer        konsensfähige Hypothesen.
deutlichen gegenseitigen Annähe-              Die Marginalisierung der Herr-
rung geführt. Der inzwischen brei-        schaft Davids und Salomos bleibt
ter rezipierte Vorschlag von Ze’ev        weiter heftig debattiert. Rückzugs-
Herzog und Lily Singer-Avitz, in          gefechte und Nebenschauplätze gibt
der Eisen-IIA-Zeit eine frühe, mit        es zuhauf. Erinnert sei nur an die
der Eisen-I-Zeit eng zusammenhän-         sog. „large stone structure“ und ihre
gende und eine spätere Phase zu un-       Interpretation als mit der sog. „step-
terscheiden, hat weitere Klärung ge-      ped stone structure“ zusammenhän-
bracht. Mit einem intensiven Ausbau       gende monumentale Architektur, die
zentraler staatlicher Herrschaft ist im   von Eilat Mazar als „Palast Davids“
10. Jh. v.Chr. derzeit nicht zu rech-     identifiziert wurde. Bezeichnend ist
nen. Wenn es aber kein vereinigtes        dabei, wie E. Mazar ihren Artikel in
Königreich gegeben hat, dann auch         BAR einleitet: „There can be little
keine „Reichsteilung“. Die Entste-        doubt that King David had a palace.
hung beider Staaten wurzelt im glei-      The Bible tells us that Hiram of Tyre
chen Prozess, muss aber nicht gleich-     (who would later help King Solomon
zeitig stattgefunden haben, sondern       build the Temple) constructed the pa-
Israel war Juda um mindestens ein         lace for David“ (Mazar, Eilat, Did I
Jahrhundert voraus. Israel und Juda       Find King David’s Palace?, BAR 32,1
sind Staaten, die sich eigenständig,      [2006], S. 16). Erkenntnisleitend ist
wenn auch nicht unabhängig vonei-         die Bibel und daraus wird der archä-
nander, entwickelt haben. Auch hier       ologische Befund identifiziert. Dass
sind die Herausforderungen für die        nicht nur dieses Vorgehen, sondern
Bibelwissenschaft gewaltig: Die Um-       auch der archäologische Befund selbst
kehrung der Perspektive, dass dem         erhebliche Fragen aufwirft, zeigt, wie
Nordstaat gegenüber dem Südstaat          groß die Gefahr ist, das zu finden,
durchgehend ein Prä zukam, lässt          was man mit der Bibel in der Hand
die sog. Nord- und Südreichtraditi-       finden will. Dass dabei inzwischen
onen in neuem Licht erscheinen. Wie       oft weniger fundamentalistische als
sind die biblischen Darstellungen der     zunehmend politische Interessen
Reichsteilung und des vereinten Kö-       im Hintergrund stehen, sei nur am
Cardo                                  17

Rande erwähnt und kann in diesem         te zwischen Jerusalem und Hebron
Kontext nicht ausführlich behandelt      in der unmittelbaren Nähe von Ase-
werden. David und seine Herrschaft       ka, auf der Ost-West-Verbindung,
über „ganz Israel“ (was immer das        die das bedeutende Gat/Tell eṣ-Ṣāfī
dann umfasst haben mag) sind für das     in der Schefela mit dem Bergland
Selbstverständnis des Staates Israel     durch das vermeintlich geschichts-
und den Anspruch auf Jerusalem als       trächtige (1 Sam 17) Terebinthen-
ewige Hauptstadt zentral. Daher wird     tal (1 Sam 2,19; 21,10) verbindet.
immer wieder versucht, die Debatte       Das vorschnell als „hebräisch“
um das 10. Jh. und die Herrschaft Da-    klassifizierte, in proto-kanaanäisch
vids auf breitere Füße zu stellen, was   geschriebene und nicht leicht les-
ein letztes Beispiel zeigen soll.        bare 15 x 15 cm große fünfzeilige
    2008/2009 wurde ein Ostrakon         Ostrakon ist ohne Zweifel sozial-
aus dem 10. Jh. v.Chr. in der Pres-      geschichtlich relevant, weil es nach
se als Beweis für die Existenz eines     dem derzeitigen Diskussionsstand
davidisch-salomonischen Groß-            personae miserae aufführt. Wenn
reiches angepriesen. Endlich habe        es keine Schreiberübung darstellt,
man den so lange schmerzlich ver-        scheint es aus einem juridisch-ad-
missten Nachweis, dass es einen ho-      ministrativen Kontext zu stammen,
hen Grad an Literalität bereits im 10.   der mehr oder minder eine zentra-
Jh. gegeben habe, der eine staatliche    lisierte Herrschaft voraussetzt. Aber
Organisation voraussetze und ganz        ist darauf in einem Analogieschluss
nebenbei dem Jahwisten als Hof-          auf König David und seine bis an
geschichtsschreiber des davidisch-       die Grenzen des Philistergebietes
salomonischen Großreiches wieder         reichende Herrschaft zu schließen?
Rückendeckung gebe. Das Ostrakon         Die archäologischen Strukturen las-
stammt aus Khirbet Qeiyafa (Koor-        sen bisher eine Zuweisung zur Herr-
dinaten 14603.12267), einer 2,3 ha       schaft Davids jedenfalls nicht zu,
großen Ortslage, die dem Keramik-        zumal das regionale Verhältnis zu
befund nach in die frühe Eisen-IIA-      dem spätestens im 9. Jh. weit bedeu-
Zeit gehört und mit einer massiven       tenderen Zentralort, dem nahe ge-
Kasemattenmauer befestigt war. Die       legenen Gat/Tell eṣ-Ṣāfī oder auch
aufgrund von 14C-Daten vorgenom-         zu dem mächtigen Ekron/Tēl Miqnē
mene absolute Datierung der Anla-        noch ungeklärt ist. Eine ethnische
ge in den Übergang vom 11. zum           Zuweisung (die als solche meist zir-
10. Jh. wird inzwischen unter Einbe-     kulär argumentiert und methodisch
ziehung der Chronologiedebatte kri-      sehr problematisch ist) der Befunde
tisch diskutiert. Der von den Ausgrä-    an die Israeliten, etwa aufgrund des
bern wegen zweier Toranlagen mit         gegenüber Gat/Tell eṣ-Ṣāfī auffal-
Schaarajim (Jos 15,36; 1 Sam 17,52;      lenden Fehlens von Schweinekno-
1 Chr 4,31) identifizierte Ort liegt     chen, reicht sicher nicht aus, den
strategisch günstig etwa auf der Mit-    Ort einer israelitischen Zentralherr-
18                                    Cardo

schaft zuzuweisen, geschweige denn             Die Gründe dafür sind vielfältig.
ihn als Teil einer vereinten Monar-        Sie liegen zum Teil in der politischen
chie zu deuten.                            wie religiösen „Verzweckung“ der
                                           jeweiligen Disziplinen, aufseiten der
   Betrachtet man die jüngste Dis-         Bibelwissenschaft aber vor allem in
kussion um das Königtum Davids,            der Angst, mit einer Lösung der Bi-
seinen Jerusalemer Palast und die          bel vom archäologischen Befund das
„Großreichhypothese“, so mag es            „Historische“ der Bibel aufzugeben.
zum Teil scheinen als hätten manche        Das käme einer Bankrotterklärung
auf beiden Seiten aus der vorgän-          gleich, denn schon aus theologischen
gigen Landnahmediskussion nichts           Gründen muss an einem Bezug der
gelernt. Natürlich lässt sich dies nicht   Offenbarung zur Geschichte – zu-
verallgemeinern, aber zum Teil wer-        mindest im christlichen Verständnis
den nach wie vor die erkenntnislei-        – festgehalten werden. Ohne Bezug
tenden Fragen aus den biblischen           zur realen bzw. konkreten Geschichte
Texten heraus entwickelt. Diese bil-       kann keine Menschwerdung gedacht
den die Interpretationsfolie für den       werden, denn „das Offenbarungs-
archäologischen Befund. Weder hat          geschehen ereignet sich in Tat und
sich dabei die Archäologie von der         Wort, die innerlich miteinander ver-
Bibelwissenschaft noch die Exegese         knüpft sind“ (Dei Verbum 2). So ein-
von der Archäologie emanzipiert.           fach ist das hermeneutisch – metho-
   Aufseiten der Archäologie wer-          disch kompliziert wird diese einfache
den Befunde mithilfe der Bibel in-         Einsicht erst, wenn sie vor dem Hori-
terpretiert und alternative Möglich-       zont wissenschaftlicher Vernunft re-
keiten nicht in den Blick genommen.        flektiert wird. Denn „Wahrheit“ und
So geraten z.B. andere soziologische       „Geschichte“ sind bekanntlich eben-
Erklärungsmodelle für die Heraus-          so wenig identisch wie Geschichts-
bildung politischer Führungsstruk-         schreibung und Theologiegeschichte.
turen und die Entwicklung zentraler        Nirgendwo ist vorausgesetzt, dass
Herrschaftsformen gar nicht in den         Wort und Tat im Sinne der Ereignis-
Blick, solange David als (Groß-)Kö-        geschichte deckungsgleich sind, d.h.
nig das Modell darstellt, in das die       die in der Bibel erzählten Ereignisse
Befunde eingepasst werden. Aufsei-         nicht nur wahr, sondern auch histo-
ten der Bibelwissenschaft wird so-         risch sein müssen.
lange von dem Postulat der Histori-            Daraus ergibt sich immer neu die
zität – ja oft sogar der Faktizität des    Forderung nach einer möglichst weit-
Erzählten – ausgegangen, wie der           reichenden Eigenständigkeit beider
archäologische Befund nicht explizit       Bereiche: Die Archäologie muss sich
gegen den biblischen spricht. Die          von der Theologie emanzipieren und
Bibelwissenschaft macht sich darin         umgekehrt. Das Eingeständnis, dass
zu ihrem Schaden abhängig von der          die Archäologie ihren Eigenwert und
Archäologie.                               ihre eigenen Methoden hat, die erst
Cardo                                   19

dann ganz zur Geltung kommen,          wird ein viel größerer Einfluss für die
wenn sie aus dem Prokrustesbett        Ausbildung der Zentralherrschaften
biblischer Interpretationen gelöst     zukommen als David und Salomo.
werden, und die Akzeptanz, dass die    Das zeitliche Auseinandertreten der
Archäologie weder illustrierenden      Prozesse im Norden und Süden kann
noch verifizierenden Charakter hat,    als neuer Fragehorizont auch für die
wird nicht zu einem Verstummen         Texte ernst genommen werden. Um-
des „Hosianna“ (vgl. Lk 19,38.40)      gekehrt wird der an den zwölf Stäm-
führen. Die biblischen Jünger dürfen   men orientierte Gründungsmythos
ruhig mal schweigen, um die Steine     der Entstehung des geeinten König-
schreien zu lassen. Für die Diskus-    tums erst dann seine theologischen
sion um das Großreich Davids be-       Horizonte offenbaren, wenn er nicht
deutet das ein Zurücktreten des An-    mehr an der Archäologie gemessen
spruchs, die Historizität der Bibel    wird. Ob David historisch König
erweisen zu wollen. Wie in der Land-   über ganz Israel war, ist – zumindest
nahmediskussion wird dann die regi-    für die Bibelwissenschaft und den
onale und zeitliche Differenzierung    Glauben – nicht entscheidend, son-
der Entwicklung der Staatenwerdung     dern wie und warum er in den altte-
in den Blick treten. Kanaanäern,       stamentlichen Überlieferungen zum
Philistern, Aramäern und Ägyptern      König über ganz Israel wurde.

Christian Frevel ist Inhaber des Lehrstuhls für Altes Testament an der Ruhr-
Universität Bochum.
20                                     Cardo

Archaeology in the shadow of                wards, following the destruction of
                                            586 BCE, the city shrank and there
the conflict                                are almost no finds dating between
The Mound of Ancient Jerusalem              the 5th to the 3rd centuries BCE.
                                                During the first century BCE, the
(City of David) in Silwan                   city expanded to the north, towards

A      ncient Jerusalem, also known as
       the City of David, located on a
ridge south of the Temple Mount,
                                            the present day Old City and Mount
                                            Zion. From then on it appears that
                                            the mound of Ancient Jerusalem was
presently part of the Palestinian vil-      continuously settled until the 11th
lage of Silwan, is a unique archaeo-        century AD, when it was once again
logical site of global importance for       abandoned. In the 16th century, the
three main reasons: It is identified        village of Silwan was established east
with the beginning of habitation in         of the Kidron valley. For the last 150
Jerusalem and was the capital of an-        years, the village has been expand-
cient Israelite kingdoms; it is located     ing towards the southeast ridge of
in a Palestinian village; and it is close   Ancient Jerusalem and the slopes of
to the Temple Mount/Haram al-               Mount Zion.
Sharif – one of the most politically            Today, this part of Ancient Jerusa-
and religiously sensitive places in the     lem is located in Silwan. The site is in
Middle East. All of these character-        “East Jerusalem” – a large area which
istics present great challenges to any      includes segments of 28 villages and
research undertaken in the area, both       neighborhoods that were annexed to
from an archaeological perspective          the city and the State of Israel after
and in terms of the social and po-          the 1967 war. To this day, the annexa-
litical implications of the work. The       tion has not been recognized by the
earliest evidence of a city is dated to     international community.
approximately 1700 BCE, the Ca-                 The site is now part of the “Jeru-
naanite period which, in archaeologi-       salem Walls National Park”, an area
cal terms, is referred to as the Middle     that was designated as a national park
Bronze Age IIB. From that period            in 1974 and includes other land ad-
onward Jerusalem repeatedly ex-             jacent to the Old City. The national
panded, contracted, and changed its         park as a whole is under the auspices
character many times depending on           of the Israel Nature and Parks Au-
the economic, social and political cir-     thority, but the specific site of An-
cumstances that prevailed within the        cient Jerusalem (City of David) in
city and its surroundings.                  Silwan is managed by Elad – a right
    A significant number of archaeo-        wing non-governmental organization
logical finds attest to a large city in     working to settle Jewish citizens in
the 8th century BCE, which expand-          East Jerusalem. This, to the best of
ed towards the present day Jewish           my knowledge, is the only national
Quarter and Mount Zion. After-              park in the country managed by a
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