NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS

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NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
Ausgabe 3-2011

NATURFREUNDiN
 Zeitschrift für nachhaltige Entwicklung – sozial – ökologisch – demokratisch

            WAS WIR ESSEN MACHT UNS KRANK

                                                                                   AKTUELL

                                                                        a Energiewende Was die Regie-
                                                                          rung beschlossen hat [Seite 14]
                                                                                                          e
                                                                        a Zeitungsschau Welche Magazin
                                                                          NaturFreunde verlegen [Seite 18]
                                                                         a Heidehaus Warum das erste
                                                                           deutsche Naturfreundehaus nie
                                                                           enteignet wurde [Seite 25]
                                                                                  www.naturfreunde.de
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
AUF EIN WORT

Die norwegische Mahnung

h
          Wir sind erschüttert über den men-
          schenverachtenden Fundamentalismus
          eines selbst ernannten Kreuzritters. Das
norwegische Blutbad war systematisch geplant
und ohne Mitleid. Wir dürfen nach dem Entset-
zen und der Trauer um die Menschen nicht zur
Tagesordnung übergehen.
    Denn mit Sorge sehen wir, dass die große
Idee der sozialen Gesellschaft in den letzten Jah-
ren an Zustimmung verloren hat, während der
aufkommende Rechtspopulismus immer wieder
verdrängt wurde. Auch bei uns.
    Der Verfall des Sozialen, gleichgültig ob in
christlicher, sozialistischer oder liberaler Wert-
                                                     ethnischen Gettos und neuem Nationalismus,
                                                     zwischen sozialer Sicherheit und radikaler Kon-
                                                     kurrenz. Damit kommt auch in Westeuropa ei-
                                                     ne scheinbar überwundene Gefahr zurück: frem-
                                                     denfeindlich-populistische und nationalistische
                                                     Strömungen.
                                                        Zur zentralen Frage für die Anerkennung von
                                                     Freiheit, Solidarität und Frieden wird die Bil-
                                                     dung von Identität. Denn Desintegration setzt
                                                     eine irrationale Angst vor Abstieg, Ausgrenzung
                                                     und Zuwanderung frei. Aus dem Verlust an „Bin-
                                                     dekräften“ erwachsen Rassismus und Gewalt.
                                                     Auch bei uns, wenn etwa Vorurteile gegenüber
                                                     Muslimen auch bei zunehmendem Bildungsgrad
                                                                                                         Ein Standpunkt von Michael Müller,
                                                                                                         Bundesvorsitzender der
                                                                                                         NaturFreunde Deutschlands
                                                                                                                                                
bindung, geht einher mit der irrigen Vorstellung,    nicht abnehmen; wenn fast ein Drittel der Bevöl-
dass der Staat nur noch die Aufgabe eines Po-        kerung meint, dass es in Deutschland zu viele
lizisten übernehmen soll. Die heutige Form der       Juden gebe.
Globalisierung greift die soziale und kulturelle        Mit dem Verlust an Orientierung lädt sich,
Substanz unserer Gesellschaft an. Solange Ge-        um ein Bild des französischen Ethnologen und
schwindigkeit vor Qualität geht, kurzfristiger Ge-   Anthropologen Lévi-Strauss zu nutzen, die Ge-
winn vor ökonomische Vernunft, führt die Glo-        sellschaft wie eine Dampfmaschine auf, weil
balisierung zu einem Auseinanderfallen der Ge-       sich der kalte Pol der Globalisierung vom hei-
sellschaft und letztlich zu ihrer Dezivilisierung.   ßen Pol der sozialen Bedürfnisse entfernt. Wirt-
    Der französische Soziologe Alain Touraine be-    schaftliche, soziale oder kulturelle Ausgrenzung
schrieb dies als „Auflösung der Gesellschaft“.       drohen zum Nährboden für einen Fundamenta-
Die kalte Welt des Tausches, die sich über den       lismus zu werden, der ethnisch, nationalistisch
ganzen Erdball erstreckt, fördert statt eines so-    oder religiös begründet wird. Seine Ursachen
zialen Menschen nur noch den privaten Men-           aber liegen im Verlust an Identität.
schen, dessen Wertbindung abnimmt. Der ge-              Freiheit, Vielfalt und Zusammenarbeit brau-
meinsame Boden von Tradition und Geschichte,         chen eine soziale Gesellschaft, ein breites An-
der die Menschen mit ihren Gesellschaften ver-       gebot öffentlicher Güter und eine aktive Zivilge-
bindet, geht verloren. Und mit ihm die Identität.    sellschaft, kurz: mehr Demokratie, Freiheit und
    Aus Gesellschaftsmitgliedern werden Gesell-
schaftsnutzer. Die Entzweiung verläuft zwischen

SEITE 2
                                                     Solidarität. Das ist die norwegische
                                                     Mahnung.                                 h                                      NATURFREUNDiN 3-2011
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS

„Letztlich müssen wir unseren Lebensstil hinterfragen. Es wird eindeutig zu viel Fleisch ge-
  gessen und auch brauchbare Lebensmittel werden in großem Umfang weggeschmissen.“

TITEL
Was wir essen,
macht uns krank.......................... 4
Letzte Lebensmittelskandale.........5
Nachhaltige Verpflegung
im Naturfreundehaus....................6
Neue EU-Kennzeichnungspflicht...7
Interview mit Jo Leinen................ 8
Essen im Müll.............................. 9
Wo Nahrung knapp wird............. 9
Land Grabbing: Landraub mit
trügerischem Heilsversprechen.. 10

   EDITORIAL
                                                THEMA
                                                Klimawandel
                                                Rußpartikel lassen Arktis
                                                schneller schmelzen................... 11
                                                Sozialökologischer Protest
                                                Wenn die „letzte freie
                                                Burg“ geflutet wird..................... 12
                                                4 Fragen an Nuray Atmaca........ 13
                                                Energiewende
                                                Die wichtigsten Beschlüsse
                                                des Bundestages........................ 14
                                                                                              NATURFREUNDE AKTIV
                                                                                              Aus- und Sportbildung............... 16
                                                                                              Segelkurse in Braunschweig...... 17
                                                                                              Überblick: Internationale
                                                                                              Magazine der NaturFreunde...... 18
                                                                                              Hüttendienst in Dachau............. 20
                                                                                              Heimatkunde im Spessart.......... 21
                                                                                              Aufforstung im Senegal.............. 22
                                                                                              NaturFreunde in Hamburg......... 22
                                                                                              NaturFreunde in Kalifornien...... 23
                                                                                              Ein Fuchs in Brüssel................... 23
                                                                                              Kalenderblatt............................. 24
                                                                                              Zeitsprung.................................. 25
                                                                                                                                                       Ausgabe 3–2011
                                                                                                                                                Industrialisierte Landwirtschaft

                                Jo Leinen (Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments) [seite 8]

                                                                                                                                                FEST GESETZT
                                                                                                                                                                                     INHALT

                                                                                                                                                Reisezeit ................................... 26
                                                                                                                                                Seminare................................... 27
                                                                                                                                                Kleinanzeigen............................ 28
                                                                                                                                                Leserbriefe................................. 28
                                                                                                                                                Medien...................................... 29
                                                                                                                                                Impressum................................. 29
                                                                                                                                                kurz notiert................................ 30
                                                                                                                                                Schon 70 Natura Trails.............. 31

                                                                                                                                 steinig. Sabine Nagl beschreibt auf Seite 6, mit
                                                                                                                                 welchen Widerständen gerechnet werden muss.
                                                                                                                                    Die jüngste Kampagne für einen deutschen
                                                                                                                                 Atomausstieg, in der sich die NaturFreunde
                                                                                                                                 stark engagiert haben, war zwar politisch er-
                                                                                                                                 folgreich. Die Energiewende (Seite 14) hätten
                                                                                                                                 wir uns aber radikaler gewünscht. So wurde der
                                                                                                                                 Atomausstieg nicht ins Grundgesetz geschrieben.
                                                                                                                                    Am 11. September jährt sich zum zehnten Mal
                                                                                                                                 der Terroranschlag von al-Qaida gegen die ame-
                                                                                                                                 rikanische Gesellschaft (Seite 24). Es lohnt sich
   der Titel dieser Ausgabe will provozieren. Natür-                 Während auf der Welt etwa eine Milliarde                    darüber nachzudenken, dass unsere Welt nicht
   lich gibt es keine blauen Tomaten, wie auf dem                 Menschen hungern, werfen wir statistisch be-                   nur von fanatischen Islamisten bedroht wird.
   Titelbild abgebildet. Andererseits wissen wir oft              trachtet rund 100 Kilo Lebensmittel pro Kopf und                  Und natürlich stellt auch diese Ausgabe der
   nicht, was eigentlich drin ist in unseren Lebens-              Jahr einfach weg. Dazu kommt, dass Staaten                     NATURFREUNDiN wieder besondere Aktivitäten
   mitteln. Die NATURFREUNDiN erinnert auf der                    und Konzerne die industrielle Landwirtschaft in                unserer Mitglieder vor, etwa die segelnden Na-
   Seite 5 an die vielen Skandale der letzten Jahre.              die Hungerländer exportieren, um sich Profite zu               turFreunde in Braunschweig (Seite 17) oder die
   Jedes Mal reagierte die Gesellschaft empört, ge-               sichern, damit aber Kleinbauern um ihre Exis-                  Arbeit der Heimatkundler im Spessart (Seite 21)
   ändert aber hat sich wenig.                                    tenz bringen. Die Spekulation mit Nahrungsmit-                 oder den Einsatz der Hamburger für die direk-
       Immerhin: Das Europäische Parlament macht                  teln ist längst zum tödlichen Geschäft geworden.               te Demokratie (Seite 22). Viel Spaß beim Lesen
   jetzt mit der Lebensmittel-Kennzeichnung ernst.                   Vor einigen Jahren haben die NaturFreunde                   und mit einem herzlichen Berg frei!
   Künftig soll auf den Verpackungen präzise drauf-               für ihre Häuser die „Regionaltypische Verpfle-
   stehen, was wirklich drin ist in unserem Essen.                gung“ beschlossen. Immerhin 88 Häuser wer-
   Jo Leinen, NaturFreund und Vorsitzender des fe-                ben mittlerweile damit. Das ist einer der Wege,
   derführenden Ausschusses im Parlament steht                    wie wir selbst das Problem einer falschen Ag-
   im Interview auf Seite 8 Rede und Antwort.                     rarpolitik angehen können. Aber dieser Weg ist

   3-2011 NATURFREUNDiN                                                                                                                                                                SEITE 3
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
Titel

                                                                                                         München 100 Tonnen verdorbenes Döner- und
                                                                                                         Entenfleisch sichergestellt, der Rest einer Liefe-
Titel
                                                                                                         rung, mit der 26 Betriebe bundesweit versorgt
                                                                                                         worden waren. Wie viele Hundert Tonnen von
Was wir essen, macht uns krank                                                                           den Deutschen schon verspeist waren, ließ sich
                                                                                                         nachträglich nicht mehr feststellen. 2008 wurde
Die Werbung verspricht glückliche Kühe und reinen Braten. Dabei ist unsere Versor-                       dem Nestlé-Konzern die Chemikalie Melamin in
gung ein großindustrielles Geschäft aus Chemie und Gewinnmaximierung geworden                            seiner Milch nachgewiesen. Rausgekommen war
                                                                                                         das erst, nachdem 53.000 Kleinkinder in China
                                                                                                         im Krankenhaus behandelt werden mussten.
b„Viermal B: Bauer Blume bietet Bestes.“            Tetrapaks steht klein und versteckt „Weißenfels“     Wie dieses Melamin – „2,4,6-Triamino-s-triazin“
Diesen Spruch liebt Gerd Blume, der in der          oder Molkereien im Ruhrgebiet und Niedersach-        lautet der chemische Name – in die Milch ge-
Mark Brandenburg einen 420 Hektar großen Fa-        sen als Abfüllort der märkischen Milch.              kommen war, blieb ungeklärt.
milienbetrieb betreibt. Sein Hauptprodukt ist          Bauer Blume versteht die Welt nicht mehr:             Kriminelle Energie stecke dahinter, urteilten
Milch, der 54-jährige Blume ist stolz auf seine     Der Diesel für seinen Traktor wird immer teurer      die Richter und brachten die Verantwortlichen
Milchquote: 360.000 Liter im Jahr.                  und trotzdem wird seine Milch – zuerst roh und       hinter Gitter. Aber das ist nur die halbe Wahr-
    Früher belieferte er die Molkerei in Beeskow,   dann verarbeitet – oft Tausende Kilometer über       heit: Die Lebensmittelskandale sind nur die Eis-
der Kreisstadt des Landkreises Oder-Spree. So-      die Autobahnen gekarrt. „Ich frag mich, wieso        bergspitzen der Ernährungsindustrie. Es geht
gar eine eigene Marke hatten sie entworfen, die     das wirtschaftlicher sein soll, als die Milch hier   im Produktionsprozess um „Effizienz“: Früher
Bauern in der Mark Brandenburg. Bauer Blumes        vor Ort zu verarbeiten“, sagt der Bauer. Offenbar    wurde aus den Knochen toter Rinder allenfalls
Milch wurde unter dem Label „Mark Branden-          aber ist das wirtschaftlicher: Aus ehemals vielen    noch Seife oder Knochenleim hergestellt. Heute
burg“ vermarktet. Das klingt ein bisschen nach      kleinen Molkereien vor Ort sind einige wenige        zermahlen die Menschen diese Rinderknochen,
Theodor Fontane, der einst durch die Landschaft     Großkonzerne geworden. „Südmilch“, „Nord-            um damit wieder Rinder zu füttern. Die Kadaver
rund um Berlin wanderte und davon Zeugnis           milch“, „Ehrmann“, „FrieslandCampina“ und            wurden so zum „Rohstoff“, der den Menschen
ablegte. „Wanderungen durch die Mark Bran-          Co. sind riesige Produktionsapparate, die – geht     nährt. Aufregung entstand erst, als diese Praxis
denburg“ heißt das fünfbändige Werk, das den        es um Milchprodukte – den Speiseplan der Re-         BSE hervorrief.
Schriftsteller im 19. Jahrhundert berühmt machte.   publik bestimmen.                                        Pestizide in Obst und Gemüse, Antibiotika im
    Wenn Bauer Blume „früher“ sagt, dann                                                                 Fisch, Geschmacksverstärker im Käse, „Lacto-
meint er die Zeit vor fünf Jahren. Damals näm-      Im Angebot: vergammeltes Fleisch                     sen“ und Konservierungsstoffe im Fleisch – die
lich machte die Molkerei in Beeskow dicht. Jetzt    Aber das ist nicht nur bei der Milch so: Längst      Lebensmittelindustrie optimiert mit Chemikalien
fährt der Milchlaster Bauer Blumes Milch nach       ist aus der Versorgung der Menschen mit Le-          ihren Produktionsprozess. Zwar sorgt ein relativ
Sachsen-Anhalt, hinter die tschechische Grenze      bensmitteln eine menschliche Lebensmittelin-         strenges Lebensmittelrecht in Deutschland dafür,
oder in die Campina-Molkerei nach Heilbronn.        dustrie geworden. Längst gilt es auch in dieser      dass die Inhaltsstoffe alle auch fein säuberlich
Die kommt dann als Speisequark oder H-Milch         Industrie mit dem möglichst billigsten Produkt       auf den Etiketten vermerkt werden. Scheinbar
zurück ins heimische Beeskow - wieder per           den maximalen Profit rauszuschlagen. Mit all         kümmert das aber niemanden.
Lkw. Zwar gibt es die Marke „Mark Branden-          seinen Folgen: 2005 brachte ein Fleischhändler           Dinatriumdiphosphat, Natriumhydrogencar-
burg“ noch. Aber in der Mark Brandenburg gibt       mindestens 400 Tonnen Rind- und Putenfleisch         bonat, Ammoniumcarbonat steht beispielsweise
es schon längst keine Milchfabrik mehr. Auf den     in Umlauf, das vergammelt war. 2006 wurden in        auf der Milchschnitte von Ferrero – und trotzdem
                                                                                                         denken die Mütter, ihrem Kind etwas Gesundes
                                                                                                         für die Schulpause mitzugeben. Die Verbrau-
                                                                                                         cherorganisation „foodwatch“ hat dem Produ-
                                                                                                         zenten Ferrero für seine Milchschnitte gerade
                                                                                                         den „Windbeutel des Jahres 2011“ verliehen.
                                                                                                         Ferrero bewerbe mit bekannten Sportlern die
                                                                                                         Schnitte zwar als „leichte“ Zwischenmahlzeit,
                                                                                                         heißt es in der Begründung der Jury, allerdings
                                                                                                         bestehe eine Milchschnitte beinahe zu 60 Pro-
                                                                                                         zent aus Fett und Zucker und ist damit „schwe-
                                                                                                         rer“ als eine Schoko-Sahne-Torte. Auch das steht
                                                                                                         etwa verklausuliert auf dem Etikett: Brennwert
                                                                                                         1.750 Kilojoule je 100 Gramm. Aber auch das in-
                                                                                                         teressiert die meisten Mütter nicht.
                                                                                                             Mag sein, dass in unserer komplexen Welt das
                                                                                                         Etikett schnell zur Überforderung des Verbrau-
                                                                                                         chers führt. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.
                                                                                                         Der Andere: Die Deutschen sind sehr speziell,
                                            ŇZum
                                             Ň     Grünärgern: Putenfabriken mussten immer               wenn es um ihr Essen geht. Während sich Fran-
                                            wieder Lebensmittelskandale eingestehen.                     zosen, Schweizer oder Tschechen ihre Ernährung
                                                                                                         etwas kosten lassen, muss es bei den Deutschen

SEITE 4                                                                                                                             NATURFREUNDiN 3-2011
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
Titel

ŇBlau
  Ň    gemacht: Nur zwölf
Prozent ihres Einkommens
geben die Bundesbürger für
ihre Nahrung aus.

                                                                                                                                         gekühlt für zwei
                                                                                                                              Euro das Kilo nach Afrika“.
                                                                                                         Das Bundeslandwirtschaftsministerium habe so-
                                                                                                         gar einen eigenen „Exportminister“: Staatsse-
                                                                                                         kretär Gerd Müller setzt im Ministerium von Il-
                                                                                                         se Aigner (CSU) eine „nationale Exportstrategie“
                                                        War der Sonntagsbraten vor 40 Jahren noch        um. Exportweltmeister Deutschland – gerühmt
„Hauptsa-                                           kulinarischer Höhepunkt der Woche, so aß jeder       für seine Autos, Hightech oder grüne Technolo-
che billig“ sein. Wer-                              Deutsche 1980 schon 30 Kilogramm Fleisch pro         gie – ist in Wahrheit Weltmeister im Exportieren
den Döner Kebap für 1,99 Euro feilgeboten, ma-      Jahr. Heute ist es dreimal so viel: An der gewerb-   von Hühnerklein, Schweinshaxen und Billigkäse.
chen die Deutschen keinen Bogen um den Anbie-       lichen Fleischerzeugung hatte im Jahr 2010 mit           Das hat eine mächtige Ernährungsindustrie
ter. Unsere Nachbarn würden die Nase rümpfen:       67,8 Prozent Schweinefleisch den höchsten An-        hervorgebracht. Die Innovationsmöglichkeiten
Bei so einem Preis muss irgendwelcher Dreck im      teil, danach folgen Geflügelfleisch (17,2 Prozent)   bei Lebensmitteln sind begrenzt, die letzte wirk-
Fleischspieß sein, sonst könnte der Verkäufer un-   und Rindfleisch (14,8 Prozent).                      liche große Neuerung war vermutlich die Tief-
möglich so billig produzieren. Die Deutschen aber       Russland ist der größte Abnehmer von             kühlkost. Deshalb befinden sich die Konzerne in
rümpfen nicht die Nase: Sie stellen sich an, um     Schweinefleisch, 31 Prozent des Exportes gehen       hartem Konkurrenzkampf, allein in Deutschland
vom Fraß auch etwas abzubekommen.                   dort hin. China sei als Absatzmarkt ganz groß im     geben sie jährlich fast drei Milliarden Euro für
    Dabei sind Lebensmittel im 21. Jahrhundert      Kommen, sagen die Experten. Hühnchen gehen           Werbung aus.
so billig wie noch nie in der deutschen Geschich-   vor allem nach Afrika: Die Brust und Teile der           Glückliche Kühe, natürliche Kräuter, kernige
te. Lediglich noch 12 Prozent des Monatseinkom-     Schenkel bleiben in der Bundesrepublik Fleisch-      Bauern – die Agro-Fabriken werden dann zu ver-
mens geben die Bundesbürger im Schnitt für die      land, der billige Rest geht subventioniert auf den   trauenswürdigen Familienbetrieben stilisiert. Zu
Ernährung aus. Und das nicht, weil der Hunger       Nachbarkontinent.                                    solchen, wie sie bei Bauer Blume im Märkischen
kleiner geworden ist, sondern weil das Essen                                                             zu bewundern sind. Nur dass der auf die Werbe-
dank der Essensindustrie so billig geworden ist.    Exportweltmeister Deutschland                        botschaften nicht sehr gut zu sprechen ist: „Die
    Bundesrepublik Fleischland: Nie zuvor ist       „Dort zerstören wir dadurch jegliche Selbstent-      Industrie diktiert die Preise“, sagt Blume, und
so viel Fleisch in Deutschland produziert wor-      wicklungsstruktur binnen weniger Wochen“, ur-        während der Diesel immer teurer geworden ist,
den, wie im vergangenen Jahr: unvorstellbare        teilt der bündnisgrüne Agarexperte Friedrich Ost-    gab es jahrelang für seine Milch immer weniger.
100 Kilogramm pro Kopf. Jeder Deutsche ver-         endorff. Um ein Huhn auf dem afrikanischen               Wann immer Blume kann, verzichtet er auf
speist davon aber „nur“ 88 Kilogramm im Jahr.       Markt wirtschaftlich verkaufen zu können, müs-       Essen aus dem Laden: „Das Zeug ist ungenieß-
Der traurige Rest, der uns nicht schmeckt, wird     se es dem Produzenten sechs Euro einbringen.         bar“. Schweinegrippe, Dioxinskandal, Geflügel-
zu Dumpingpreisen nach Afrika oder Asien ver-       Ostendorff: „Wir karren aber die Hühnerreste,        pest oder Ehec – es steht zu befürchten, dass der
schleudert.                                         die für unsere Ernährung zu schäbig sind, tief-      Mann Recht hat.c                      Nick Reimer

   = === Lebensmittelskandale                                                Die letzten zehn Jahre ====
2002 Nitrofenskandal Über einen Zwischenhändler in Mecklenburg gelangt ein krebserregendes Herbizid in den
Produktionsprozess von Biolebensmitteln.     2003 Futtermittelskandal   Dioxinbelastetes Futter aus Thüringen
sorgt für Schlagzeilen: Tausende Mastschweine mussten verbrannt werden, Agrarbetriebe in Thüringen, Nieder-
sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Hessen waren betroffen. 2004 Hundefutterskandal Schweinefleisch
für Heimtierfutter wurde in Niedersachsen mit falschen Etiketten versehen und als Lebensmittel verkauft.
2005 Fleischskandal Ein Fleischhändler brachte mindestens 400 Tonnen Rind- und Putenfleisch in Umlauf, das
vergammelt war. 2006 Fleischskandal In München wurden 100 Tonnen verdorbenes Döner- und Entenfleisch si-
chergestellt, Rest einer Lieferung, die vermutlich um den Faktor 10 größer war. 2007 Fleischskandal Der Ge-
flügelfleisch-Hersteller „Heidemark“ brachte Waren auf den Markt, deren Verfallsdatum längst abgelaufen war.
2008 Milchskandal Nestlé brachte Milch auf den Markt, die mit der Chemikalie Melamin verseucht war. In Chi-
na starben Dutzende Kinder an Vergiftung. 2009 Schweinegrippe Die neu entdeckte Influenzavirus-Variante des
Subtyps A H1N1 sorgt für die höchste Alarmstufe der Weltgesundheitsorganisation WHO: Millionen Tote weltweit
wurden befürchtet. 2010 Dioxinskandal Die Futterfett-Hersteller Harles und Jentzsch aus Niedersachsen brachten
dioxinverseuchtes Tierfutter in Umlauf, der Grenzwert war um 770 Prozent überschritten. 2011 Ehec Eine Mikrobe
namens Ehec versetzt die Republik in Panik: Der Erreger kann lebensbedrohliche Darmentzündungen mit blutigen
Durchfällen und Nierenversagen hervorrufen. Mehrere Menschen sterben in Deutschland.              Nick Reimer

3-2011 NATURFREUNDiN                                                                                                                               SEITE 5
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
titel

                                                                                                           sorgt, vegetarische Gerichte so schlecht gekocht,
                                                                                                           dass sie keiner essen möchte.
                                                                                                               Um tatsächlich alle Potenziale eines nach-
Praxis
                                                                                                           haltigen Ernährungskonzeptes auszuschöpfen,
                                                                                                           muss professionell umgestellt werden. Persön-
                                                                                                           liche Vorlieben oder die eigene „Ernährungs-
Nachhaltige Verpflegung im Naturfreundehaus                                                                biografie“ dürfen weder beim Speiseplan, noch
Persönliche Vorlieben dürfen die Umstellung auf ein neues Konzept nicht prägen                             beim Einkauf, noch bei der Zubereitung eine
                                                                                                           Rolle spielen. Allein das Ziel zählt: Ein nachhal-
                                                                                                           tiges Ernährungskonzept zu leben, das im Ein-
bDurch Nahrung überleben wir. Sie ist exis-           freundehäuser sind, war eine wichtige Frage des      klang mit der Individualität des Hauses steht.
tenziell, sie stillt unsere physiologischen Bedürf-   jüngsten Treffens der Bundesfachgruppe Natur-
nisse. Aber dann hat sie auch eine soziale Kom-       schutz, Umwelt und Sanfter Tourismus. Und das        Die Gäste vergleichen
ponente. Was wir essen und trinken, befriedigt        Fazit: Es ist die soziale Komponente.                Schließlich lassen sich gerade am Verpflegungs-
unser Streben nach Anerkennung.                           Tatsächlich stoßen gerade in den vielen eh-      angebot die gesellschaftspolitische Einstellung
   Die Auswahl der Lebensmittel ließe sich am         renamtlich bewirtschafteten Naturfreundehäu-         und Glaubwürdigkeit überprüfen. Längst sind
benötigten Energiebedarf ausrichten, den Koh-         sern unzählige Meinungen aufeinander und             auch in den Häusern der Gewerkschaften, Ju-
lenhydraten Fetten, Eiweißen, Mineralien und          damit auch persönliche Vorlieben jedes Mit-          gendherbergen, Kirchen oder des Paritätischen
Vitaminen. In der Schule lernt man das. Kom-          entscheiders. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein be-   Wohlfahrtsverbandes nachhaltige Ernährungs-
biniert mit einer Prise gesellschaftspolitischer      nachbarter Landwirt betreibt einen Bio-Hühner-       konzepte üblich. Die Gäste nehmen diese Ange-
Überzeugung – sagen wir mal: fair gehandelten         hof. Seine Eier aber wurden bisher nicht gekauft.    bote wahr, sie vergleichen.
oder regionaltypischen Produkten – würde nicht        Sie sind zwar doppelt so teuer wie konventio-           Dass persönliche Vorlieben bei jeder Ent-
nur ein nahrhaftes, sondern auch politisch kor-       nell produzierte, aber das eigentliche Problem       scheidung eine Rolle spielen, ist nur menschlich.
rektes Süppchen daraus. Doch diese Suppe ess          ist: Der ehemals für den Einkauf Verantwortliche     Wichtig aber ist, sich im Hausbetreuungsver-
ich nicht, sagte schon der Suppen-Kaspar.             im Hausbetreuungsverein hatte sich aus persön-       ein dieser Herausforderungen bewusst zu wer-
                                                      lichen Gründen mit dem Landwirt überworfen.          den und sie konstruktiv zu überwinden. Damit
88 Häuser mit regionaltypischer Verpflegung               Ein weiteres: Der für die Küche Zuständige       in Zukunft für tatsächlich alle Naturfreundehäu-
Viele Naturfreundehäuser haben nachhaltige            ist kein Freund von Gemüse und hält Fleisch          ser gesagt werden kann: Da wird „nachhaltig“
Ernährungskonzepte. Allein 88 in Deutschland          für das wichtigste Lebensmittel. Sein Argument:      verpflegt.c                           Sabine Nagl
werben etwa mit regionaltypischer Verpflegung.        „Unsere Gäste sind doch keine Schnecken.“ Und            Naturfreundehaus Ferien-Zentrum Lieberhausen
Die ist frisch, besonders und klimaschonend.          noch eines: Der Hauskoch boykottiert Verände-
Gäste schätzen diese Qualität, sie möchten wis-       rungen, weil er dann selbst wieder lernen müss-      TTLesetipp Leitfaden regionaltypische Verpflegung im
                                                                                                           naturnahen Tourismus am Beispiel der Naturfreundehäu-
sen, woher die Lebensmittel auf ihrem Tisch           te. Will er aber nicht. Darum wird die frisch ein-   ser; 64 Seiten, Berlin, 2004; Download
kommen. Warum es nicht noch mehr Natur-               gekochte Marmelade für zu süß erklärt und ent-       www.kurzlink.de/NFH-Verpflegung

                                        ŇFarbliche
                                           Ň        Überraschung: Anders
                                        als ein grünes Ei ruft ein Döner für
                                        1,99 Euro kaum Befremden hervor.

SEITE 6                                                                                                                                 NATURFREUNDiN 3-2011
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
Titel

ŇBunt
 Ň    getrieben: Ab dem Jahr 2014 sollen Hersteller angeben, welche Inhaltsstoffe in den Lebensmitteln sind.

  Verbraucherschutz

  Schluss mit dem Etikettenschwindel
  Neue EU-Kennzeichnungspflicht wird ab dem Jahr 2014 gültig

  Wurst, die aus Chemie besteht, Käse, der gar keine Milch mehr enthält – Lebensmittelimitate sollen künftig in der Europäischen Union leichter im Su-
  permarktregal zu erkennen sein. Derzeit ist beispielsweise der sogenannte Analog-Käse, der vor allem aus Wasser, Pflanzenfett, Eiweiß, Stärke und
  Geschmacksverstärkern hergestellt wird, für den Kunden kaum zu erkennen. Das soll sich ab 2014 ändern. Solche Produkte müssen dann auf der Vor-
  derseite der Verpackung die Aufschrift „aus Pflanzenfett hergestellt“ tragen. Das hat das Europäische Parlament Anfang Juli beschlossen.
     Die geplante Beschriftung ist Teil eines Gesamtpakets zur neuen Lebensmittelkennzeichnung in der Europäischen Union. Auch auf „normalen“
  Lebensmitteln werden künftig die Nährwertangaben verpflichtend. Die Hersteller müssen in einer festgelegten Schriftgröße angeben, wie viel Fett,
  Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß und Salz in ihren Produkten steckt – allerdings nicht auf die Vorderseite der Produkte, wie ursprünglich von Ver-
  braucherschützern gefordert.c                                                                                                           Nick Reimer

3-2011 NATURFREUNDiN                                                                                                                             SEITE 7
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
titel

                                                                                                              handen, sowohl für wie auch gegen die Nut-
                                                                                                              zung gentechnisch veränderter Organismen
                                                                                                              (GVO). Meine Position ist: In Europa sollten die
Interview
                                                                                                              GVO weder für die Futter- noch die Nahrungs-
                                                                                                              mittelproduktion verwendet werden. Das Euro-
                                                                                                              paparlament hat vor der Sommerpause ein Ge-
„Diese Verschwendung muss ein Ende haben!“                                                                    setz verabschiedet, das den einzelnen Mitglied-
Der Vorsitzende des EU-Umweltausschusses kritisiert den europäischen Lebensstil                               staaten mehr Möglichkeiten gibt, den Anbau von
                                                                                                              GVO zu verbieten. Darüber hinaus verlangt das
                                                                                                              Parlament, Studien über die Langzeitwirkung
eNATURFREUNDiN: Was sind gerade die                      res natürlichen Kapitals gehen. Die reine Wachs-     von neuen GVO vorzulegen, bevor die Europäi-
wichtigsten Projekte im EU-Umweltausschuss?              tumsideologie muss infrage gestellt werden.          sche Lebensmittelbehörde über deren Zulassung
Jo Leinen: Die Gesetzgebung über Lebensmittel-           eDie Lebensmittelskandale häufen sich. Sind          entscheidet.
kennzeichnung und Lebensmittelsicherheit, die            das die Folgen von Globalisierung und zuneh-         eWie könnte die EU die Verdrängung von
Ressourceneffizienz, der Kampf für den Klima-            mender Industrialisierung der Landwirtschaft?        Regenwald für den Anbau von Agrarrohstoffen
schutz und die Strategie für eine kohlenstoffar-         Auf EU-Ebene ist in den letzten 20 Jahren ein        begrenzen?
me Wirtschaft in der EU.                                 umfassendes Regelwerk für die gesamte Lebens-        Bei der nächsten UN-Klimakonferenz im südaf-
eDer Umweltausschuss hat von der EU-Kom-                 mittelkette entstanden, vom Acker bis zum Tel-       rikanischen Durban werden das Abholzen von
mission eine neue „umweltökonomische Ge-                 ler. Für die Sicherheit der Lebensmittel hat sich    Wäldern und Veränderungen bei der Landnut-
samtrechnung“ verlangt. Wie vereinbart sich              also einiges verbessert. Auf der anderen Sei-        zung auf der Tagesordnung stehen. Europa muss
das mit der traditionellen Wachstumsorientie-            te vergrößert die Globalisierung den ökonomi-        hier vorangehen und den Flächenverbrauch für
rung der EU?                                             schen Druck in der Landwirtschaft. Sorgen ma-        importierte Futter- und Nahrungsmittel in die
Die umweltökonomische Gesamtrechnung soll                chen auch neue Technologien, etwa Nanomate-          Klimabilanz einkalkulieren, etwa durch Preissi-
das herkömmliche Bruttoinlandsprodukt (BIP)              rialien in industriell hergestellten Lebensmitteln   gnale oder Ökostandards. Letztlich müssen wir
um eine ökologische Dimension ergänzen. Denn             oder das Klonen von Tieren. Klonfleisch wollen       aber unseren Lebensstil hinterfragen. Es wird
mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchge-            wir auf dem Lebensmittelmarkt in Europa nicht        eindeutig zu viel Fleisch gegessen und auch
setzt, dass mit dem BIP allein der Zustand ei-           dulden. Dazu wird es bald ein eigenes EU-Ge-         brauchbare Lebensmittel werden in großem Um-
ner Gesellschaft nicht richtig beschrieben wer-          setz geben.                                          fang weggeschmissen. Diese Verschwendung
den kann: Die Lebensqualität und eine saubere            eWas tut das Europäische Parlament, um die           muss ein Ende haben!
Umwelt finden darin keinen Niederschlag. Das             Einfuhr von Genfood zu verhindern?                   eWie könnte die EU Agrarexporte zu Dum-
Wirtschaften darf nicht weiter auf Kosten unse-          Im Europaparlament sind alle Positionen vor-         pingpreisen in die Dritte Welt verhindern?

                                                                                                              ŇGefärbte
                                                                                                                Ň         Äpfel: Gentechnisch veränderte
                                                                                                              Pflanzen sind leider nicht so deutlich von
                                                                                                              den natürlichen zu unterscheiden.

       Zur Person
       NaturFreund Jo Leinen (63) ist Vorsitzender des
       Ausschusses für Umweltfragen, Gesundheit und
       Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parla-
       ments, dem er seit 1999 angehört. Von 1985 bis
       1994 war der SPD-Politiker Umweltminister im
       Saarland. ∙ jo.leinen@europarl.europa.eu

SEITE 8                                                                                                                                NATURFREUNDiN 3-2011
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
Titel

                                                                                                                                             r
                                                                                                                                  r die Opfe
Auf jeden Fall müssen die EU-Exportsubventi-                                                                            Spende fü in Ostafrika
                                                                                                                               rsnot
onen abgeschafft werden. Das wird von einer                                                                          der Hunge
                                                                                                                                                  lft
Mehrheit im Europaparlament auch unterstützt.                                                                                        twicklung hi
                                                    Welternährung                                                         Bündnis En nto 51 51
Denn was wir bisher in der Entwicklungspoli-                                                                                 Spendenko 5 00
tik fördern, wird durch die Agrarpolitik wieder                                                                                BLZ 370 20 tschaft
                                                                                                                                       zialwir
                                                                                                                           Bank für So Ostafrika
zunichte gemacht. Neben der EU müssen aber                                                                                    Stichwort:
auch die USA mit dem Agrar-Dumping aufhören.        Wo Nahrung knapp wird                                                  www.entw
                                                                                                                                      icklung-hilf
                                                                                                                                                  t.de

eDie Zukunft der Landwirtschaft in der EU           Weltweit steigt die Zahl der Hungernden wieder
entscheidet sich bald. Welche Chance hat Ag-
rarkommissar Ciolos, mit seinen Reformvor-
schlägen für eine ausschließliche                   bZwischen 1981 und 2005 gelang es der               die Lage an den globalen Nahrungsmittel-Märk-
Subventionierung von ökologischen und sozia-        kommunistischen Partei Chinas, mehr als sechs-      ten schnell entspannt. Zu massiv hat die Erder-
len Dienstleitungen der Landwirte?                  hundert Millionen Menschen aus der Armut zu         wärmung das Agrarjahr 2010 bestimmt. Dürren
Da wird es noch viele und heiße Diskussionen        befreien. Aus „Reis pur“ wurde „Reis mit Gemü-      in Russland, der Ukraine und Kasachstan, der
geben. Ich unterstütze Kommissar Ciolos, in sei-    se“ und der wurde zu „Reis mit Fleisch“: Bin-       trockene Sommer in den USA, Brasilien und Ar-
nem Einsatz für eine nachhaltigere Agrarpolitik.    nen zwanzig Jahren hat sich der chinesische         gentinien haben die Ernten genauso geschmä-
Der Erhalt der Artenvielfalt und einer intakten     Fleischkonsum vervierfacht. Deshalb kaufen die      lert, wie die ungewohnt heftigen Unwetter und
Umwelt sowie die Förderung von sozialen und         Chinesen jetzt afrikanische Äcker auf, um dort      Überschwemmungen in China, Thailand, Paki-
ökologischen Dienstleistungen sind entscheiden-     Fleisch zu produzieren (siehe auch Seite 10). Mit   stan oder Australien. Die Märkte sind leer ge-
de Faktoren in der Landwirtschaft. Landwirte,       Schweinefleisch im Wert von 47,7 Milliarden         fegt, die Preise steigen und Besserung ist nicht
die dies in ihrer Arbeit berücksichtigen, sollten   Dollar produzierte China 2009 zwar doppelt so       in Sicht.
entsprechend höhere Zuschüsse erhalten. Dieser      viel Schweinefleisch wie die USA, Spanien, Bra-
neue, fortschrittliche Ansatz muss gegen etab-      silien und Kanada zusammen. Die Kapazitäten         Getreide als Benzinersatz
lierte Interessen durchgesetzt werden.c             des eigenen Landes reichen aber für die steigen-    Neben den zunehmenden Extremwetterereig-
                       Interview Eckart Kuhlwein   de Nachfrage bei Weitem nicht mehr aus. Unter       nissen findet aber auch noch eine schleichende,
                                                    anderem wird Schweinefleisch aus Deutschland        kaum beobachtete Bedrohung der menschlichen
   Verschwendung                                    eingeführt.                                         Nahrungskette statt. Während die Zahl der Indi-
                                                        Weltweit aber steigt die Zahl der Hungernden    viduen der Gattung Mensch weiterhin rasant an-
   Essen im Müll                                    mittlerweile wieder. Jeder sechste Mensch hat       steigt, schmälern steigende Globaltemperaturen
   Jede zweite Kartoffel wird weggeworfen           Hunger, nicht einfach nur ein Knurren im Magen,     weltweit die Erträge.
                                                    sondern Schmerzen, die seinen Körper schwä-            Zum Beispiel beim Reis, allein in Asien für
                                                    chen und in Apathie versenken. Hungerten Mit-       mehr als 2,5 Milliarden Menschen das Haupt-
   Nicht erst seit dem letzten Ehec-Ausbruch        te der 90er Jahre 822 Millionen Menschen, so        nahrungsmittel: Wissenschaftler der Universi-
   landet mehr als die Hälfte unserer Lebens-       sind es seit 2010 über eine Milliarde. Jedes Jahr   tät San Diego hatten den Zusammenhang zwi-
   mittel im Müll: jeder zweite Kopfsalat, jede     sterben etwa 8,8 Millionen Menschen, jede drit-     schen Temperatur und Ertrag untersucht. Zwar
   zweite Kartoffel, jedes fünfte Brot. Allein in   te Sekunde stirbt ein Kind.                         würden höhere Global-Tagestemperaturen auch
   Deutschland werden jährlich 20 Millionen             Anfang 2011 schlug die Welternährungs-Or-       zu höheren Reis-Erträgen führen. Doch für den
   Tonnen Lebensmittel einfach weggeworfen.         ganisation FAO Alarm. Die Sonderorganisation        Reisgedeih sind die Nachttemperaturen zustän-
   Das sind rund 500.000 LKW-Ladungen – in          der Vereinten Nationen hat einen Preisindex für     dig. Steigen die, ist das kontraproduktiv für den
   einer Reihe würden sie von Berlin bis Pe-        Grundnahrungsmittel entwickelt, im Dezember         Ertrag. Ein Ergebnis, dass vom Internationalen
   king reichen. Und es sind Lebensmittel, die      war dieser auf den Rekord-Wert von 215 Punk-        Reisforschungsinstitut in Manila bestätigt wur-
   „oft noch absolut genießbar“ sind, so die        ten geklettert. Der Index sagt aus, wie teuer Zu-   de. Demnach führt ein halbes Grad Tempera-
   Welternährungsorganisation FAO.                  cker, Weizen, Milch oder Pflanzenöl gegenüber       turanstieg in der Nacht zu einem Ertragsverlust
       Schuld daran sind nicht zuletzt die Ver-     dem Durchschnitt der Jahre 2002 bis 2004 ge-        von 15 Prozent. Neue Studien zeigen, dass die
   braucher. Weil im Supermarkt alles immer         worden sind. Der Getreidepreis lag im Dezem-        Erderwärmung der vergangenen 25 Jahre be-
   frisch aussehen muss, wandert welkes Ge-         ber 238 Prozent über dem Durchschnitt, Hülsen-      reits Mindererträge von 10 bis 20 Prozent zur
   müse abends in den Müll. Würden wir in           oder Ölfrüchte waren 263 Prozent teurer, Zucker     Folge hatten.
   den Industrieländern die Lebensmittelver-        sogar 398 Prozent.                                      Dazu kommen immer häufiger Land-Nut-
   schwendung nur um die Hälfte reduzieren,             Die Welternährungsorganisation kann auch        zungskonflikte: Soja-Plantagen in Südamerika
   hätte das auf das Weltklima denselben Ef-        ziemlich exakt die Folgen solcher Preisentwick-     oder Palmölplantagen in den Tropen produzie-
   fekt, als ob wir auf jedes zweite Auto ver-      lung projizieren. 2008 waren Grundnahrungs-         ren oft nicht für den Teller, sondern für den Tank.
   zichteten. Denn die Landwirtschaft ist für       mittel schon einmal so teuer, damals kam es vor     Aus den Ölen dieser Pflanzen wird Treibstoff
   mehr als ein Drittel der Treibhausgasemis-       allem in Afrika und Zentralamerika zu massiven      produziert, ebenso wie aus Getreide, Zuckerrü-
   sionen verantwortlich.c Eckart Kuhlwein         Hungerrevolten. In ihrer Not zogen die Hungri-      ben, Sonnenblumen.
                                                    gen plündernd durch die Städte, die Regierun-           Eine Tankfüllung Agrosprit enthält so viel Ka-
   TTKinotipp TASTE THE WASTE                       gen riefen das Militär zu Hilfe und die Soldaten    lorien, wie ein Mensch ein Jahr zum Leben be-
   88-minütiger Dokumentarfilm über die Essens­
   vernichtung · ab 8. September 2011 im Kino       schossen mit scharfer Munition.                     nötigt. Von sechs Menschen auf der Welt hat –
                                                        Anders als 2008 rechnet die Welternährungs-     statistisch gesehen – einer weniger im Jahr zur
                                                    organisation dieses Mal nicht damit, dass sich      Verfügung.c                            Nick Reimer

3-2011 NATURFREUNDiN                                                                                                                                    SEITE 9
NATURFREUNDIN - NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS
titel

                                                                                            amerika den Besitzer gewechselt, mehr als die
                                                                                            Fläche Deutschlands. Durch den Kauf von land-
                                                                                            wirtschaftlich nutzbaren Böden im Ausland sollen
Bodenspekulation
                                                                                            entweder die Ernährung für die wachsende Bevöl-
                                                                                            kerung im Heimatland gesichert oder auch soge-
                                                                                            nannte nachwachsende Rohstoffe wie Öl, Mais
Landraub mit trügerischem Heilsversprechen                                                  und Soja in großen Plantagen angebaut werden.
Der Aufkauf von Agrarflächen in Afrika ist eine neue Form von Kolonialismus                     Den vertriebenen einheimischen Kleinbau-
                                                                                            ern wird der Landraub mit Heilsversprechen gar-
                                                                                            niert: bessere Infrastruktur, mehr Arbeitsplätze,
bNach den Erkenntnissen der FAO, der Welt-                                                  sichere Ernährung. Ihre oft korruptionsanfälligen
ernährungsorganisation in Rom, hungern auf der                                              Regierungen spielen mit. Doch auf diese Weise
Erde wenigstens eine Milliarde Menschen. Eine                                               wird den Bauern auch die Möglichkeit genom-
weitere Milliarde ist unterernährt. Dabei würde                                             men, selbst Lebensmittel zu produzieren und
die heutige Weltproduktion an Nahrungsmitteln                                               davon zu leben. Zwar ist unbestritten, dass die
reichen, um alle sieben Milliarden Menschen mit                                             kleinbäuerliche Landwirtschaft der Dritten Welt
Nahrungsmitteln zu versorgen. Aber die heute                                                effizienter werden muss und kann. Aber die In-
praktizierte Agrarpolitik in der Welt und in Euro-                                          vestoren haben nur wenig praktische Erfahrung
pa verstärkt die Ernährungskrise, zerstört die Bö-                                          in der Landwirtschaft, so Henk Hobbelink, Koor-
den und die Wasserhaltung, schädigt die biologi-                                            dinator der Nichtregierungsorganisation GRAIN:
sche Vielfalt und trägt in erheblichem Maße zum                                             „Sie übernehmen einfach das Land, laugen die
Klimawandel bei.                                                                            Böden mit einer intensiven Anbauweise aus,
   Das steht auch im Weltagrarbericht von                                                   zerstören das Bodenleben, verabschieden sich
2009, der von mehr als 400 Wissenschaftlern in                                              nach ein paar Jahren wieder und hinterlassen
Zusammenarbeit mit vielen internationalen Or-                                               der einheimischen Bevölkerung eine zerstörte
ganisationen erarbeitet worden ist. Seine Kern-                                             Umwelt.“ Eine gute entwicklungspolitische Pra-
aussage: Es geht nicht so weiter, wenn es so                                                xis sieht anders aus.
weitergeht. Obwohl uns die industrielle Land-                                                   Und Hobbelink ergänzt: „Land Grabbing führt
wirtschaft das weismachen will. Sie ist nicht die                                           dazu, dass sich die Landwirtschaft immer stärker
Lösung, sondern das Problem.                                                                auf riesige Monokulturen, umfangreichen Che-
   Erfolg versprechender wäre ein verbesserter                                              mieeinsatz, den Verbrauch von fossilen Energie-
Anbau direkt auf den Feldern der Kleinbauern                                                trägern und unmenschliche Arbeitsbedingungen
weltweit. Sie sind das Rückgrat der Welternäh-                                              stützt. Eine solche Landwirtschaft wird nicht da-
rung und produzieren den größten Teil aller welt-                                           zu taugen, die Welt mit Lebensmitteln zu versor-
weit produzierten Lebensmittel – übrigens auf                                               gen. Sie dient im Wesentlichen dazu, Extraprofi-
Höfen, die kleiner sind als zwei Fußballfelder.                                             te für ein paar Auserwählte zu produzieren.“
                                                                                                Zu den auserwählten Profiteuren gehören
Kleinbauern haben keine Chance                                                              auch wir: Ohne Soja, ohne dieses billige Eiweiß-
Sind solche Höfe aber der direkten Konkurrenz                                               futter, würde unsere industrialisierte Tierhaltung
von kapitalintensiven, agrarindustriellen Groß-                                             nicht funktionieren. Die gigantischen Sojafelder
betrieben ausgesetzt, haben sie keine Chance.                                               in Brasilien und Argentinien zerstören die wirt-
Denn der größte Teil der Agro-Industrie wirtschaf-                                          schaftlichen Grundlagen für die Kleinbauern.
tet auf Kosten von Umwelt und Zukunft, ersetzt                                              Das billige Fleisch mästet die Bevölkerung und
die Arbeitskraft von Menschen und Tieren durch                                              die weltumspannenden Transporte befeuern den
Maschinen, Kunstdünger und Pestizide. Und                                                   Klimawandel. Und dabei ist Soja nur ein kleines
trotzdem wird die Agro-Industrie seit Jahrzehnten                                           Problem angesichts der gigantischen Flächen,
politisch und wirtschaftlich unterstützt.                                                   welche die Produktion von Agrosprit in Zukunft
    In den letzten Jahren hat sich eine neue Form                                           noch in Anspruch nehmen könnte.
des Kolonialismus entwickelt, das sogenannte                                                    Das Problem ist bei der UNO angekommen:
„Land Grabbing“ (Englisch für Landaneignung):                                               Der Senegalese Jacques Diouf, noch Generaldi-
Einige Länder wie China, Saudi-Arabien, die Ara-                                            rektor der FAO, nannte Verträge zwischen einem
bischen Emirate, Indien und Südkorea sichern                                                südkoreanischen Finanzinvestor und dem Prä-
sich durch Pacht oder Kauf Agrarflächen in Län-                                             sidenten von Madagaskar über die Hälfte des
dern der Dritten Welt. Aber auch Finanzkonzer-                                              fruchtbaren Landes der Insel „eine Form von
ne sind längst aktiv, etwa internationale Pensi-                                            Neokolonialismus“. Der Präsident wurde in der
onsfonds – oder gar Spekulanten wie die Hedge-                                              Zwischenzeit von der Bevölkerung gestürzt.c
fonds. Nach Angaben der Weltbank haben durch         ŇBlaue
                                                       Ň    Kartoffeln: Die Großindustrie                                     Eckart Kuhlwein
das „Land Grabbing“ in den letzten Jahren 45         bestimmt die Landwirtschaft.
Millionen Hektar vor allem in Afrika und Latein-                                            TTwww.grain.org

SEITE 10                                                                                                              NATURFREUNDiN 3-2011
thema

   Klimawandel

   Rußpartikel lassen Arktis schneller schmelzen
   Spezielle Filter könnten die globale Erwärmung um ein halbes Grad Celsius senken

   bRußpartikel aus Lastwagen, Autos, Schiffs-         Denn die Arktis war doppelt so schnell geschmol-   Eises. Derselbe Effekt lässt übrigens auch die In-
   motoren und Baumaschinen treiben die Erder-         zen, wie von der Wissenschaft vorhergesagt.        landseisschilde schneller schmelzen.
   wärmung deutlich stärker an als bislang be-            Das Jahr 2010 war nicht nur eines der wärms-        Entsprechend schlagen Umweltschützer
   kannt. Zu diesem Ergebnis kam jüngst eine ge-       ten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen:    Alarm: Die globale Temperaturerhöhung könnte
   meinsame Studie des UN-Umweltprogramms              Auch die Daten zur Schmelze des Grönlandeises      um rund 0,5 Grad Celsius im Jahr 2050 reduziert
   (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorolo-      sind rekordverdächtig. Die Schmelz-Saison hat-     werden, wenn die Rußpartikel per Filter aus den
   gie (WMO). Demnach verursachen feinste Ruß-         te demnach gute 50 Tage länger gedauert als im     Dieselabgasen gefiltert würden. Dabei hätte eine
   partikel aus ungefilterten Dieselmotoren nicht      Mittel der Jahre 1979 bis 2009.                    Reduktion gleich zwei positive Auswirkungen, ur-
   nur schwerste Gesundheitsschäden bei Men-                                                              teilt Dorothe Saar, Leiterin Verkehr der Deutschen
   schen insbesondere in den Ballungszentren. Der      „Grauschleier“ heizt sich auf                      Umwelthilfe: „Der vorzeitige Tod von jährlich bis
   Ruß verstärkt auch das Klimaproblem und ist für     Die UNEP-Studie lieferte nun die Begründung,       zu 4,5 Millionen Menschen weltweit könnte ver-
   fast die Hälfte der arktischen Eisschmelze ver-     warum die rund zehn Jahre alte IPCC-Prognose       hindert werden, wenn der gesundheitsgefährden-
   antwortlich.                                        so daneben lag: Es ist der Dieselruß. Die nur      de Feinstaub eingedämmt wird. Zudem könnten
      Der Weltklimarat (IPCC) hatte in seinem Sach-    Nanometer großen Rußpartikel lagern sich auf       die arktische Eisschmelze und die damit ausge-
   standsbericht Anfang des Jahrhunderts den Eis-      Eisflächen ab und bilden dabei eine Art „Grau-     löste zusätzliche Erderwärmung erheblich verrin-
   schwund zwar prognostiziert – sich dann aber        schleier“. Dieser schwächt die Reflexion des       gert werden.“c                          Nick Reimer
   gewundert, dass die Vorhersage schon zehn Jah-      Sonnenlichts ab, heizt die abgelagerten Teilchen
                                                                                                          TTPrognose www.kurzlink.de/UNEP-Klimastudie
   re später von der Realität Lügen gestraft wurden.   auf und beschleunigt so das Abschmelzen des

                                                                                                                                                        ANZEIGE

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                                                                                  Schüler für Zukunftsenergien

                                                                       °C
                                                                                  Jetzt anmelden und mitmachen!
                                                                      - 35 -
                                                                                  Gesucht werden Ideen rund um die Energiewende und
                                                                                  den Klimaschutz. Es gibt 10.000 Euro Preisgelder.
                                                                      - 30 -      Teilnehmen können Schüler der Klassen 5 bis 13 sowie
                                                                      - 25 -
                                                                                  Berufsschüler: einzeln, im Team oder als Klasse.
                                                                                  Anmeldeschluss: 30.09.2011.
                                                                      - 20 -

                                                                      - 15 -

                                                                                  Medienpartner:
                                                                      - 10 -

                                                                      - 5 -
                                                                                  Infos und Anmeldung unter
                                                                      - 0 -       www.naturpur-award.de

Preisträger NATURpur-Award 2010/2011                                                                                                               NATURpur
Projekt „Die Energiedetektive“
Energieschleudern auf der Spur.                                                                                                                   Award
Thema

                                                                                                             phe. Wenn alle Projekte realisiert werden, können
                                                                                                             nur noch Tier- und Pflanzenarten überleben, die
                                                                                                             sich mit stehenden Gewässern arrangieren.
sozialökologischer Protest
                                                                                                                 Auch das sensible lokale Klima wird sich än-
                                                                                                             dern. Mildere Temperaturen und höhere Feuch-
                                                                                                             tigkeit durch die großen neuen Wasserkörper
Wenn die „letzte freie Burg“ geflutet wird                                                                   verheißen weniger Schnee – und damit auch
Die Menschen im türkischen Munzurtal wehren sich gegen die Zerstörung ihrer Heimat                           weniger Schmelzwasser zwischen Juni und Ok-
                                                                                                             tober: Dann ist die Speisung des Munzur ge-
                                                                                                             fährdet. Zudem kann es zu einer Entwaldung
2008 in Mannheim beschloss der Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands den hessischen                   angrenzender Berghänge kommen, wie bereits
Antrag „Rettet das Munzurtal“. In diesem heißt es: „Die NaturFreunde Deutschlands verurtei-                  beim südlich der Provinz Dersim gelegenen Ke-
  len die Planungen […] zum Bau von insgesamt acht Staudämmen im Munzurtal in der Provinz                    ban-Stausee geschehen.
Tunceli in der Türkei. […] Mit dem Bau werden der Lebensraum von Menschen, Tieren und Pflan-                     Dersim liegt im kurdisch besiedelten Teil der
  zen und eine einmalige Landschaft unwiederbringlich zerstört […].“                                         Türkei und ist eine Enklave der religiösen Min-
     Angestoßen hatte den Antrag der langjährige Rüsselsheimer NaturFreund Mehmet Kücük: „Ich                derheit der Aleviten. Seit der Gründung der tür-
wusste, dass sich viele Mitglieder selbst im Ausland für den Naturschutz einsetzen“, erklärt Mehmet.         kischen Republik im Jahr 1923 werden die Kur-
„Hier geht es auch um die Vertreibung der kurdisch/alevitischen Bevölkerung, denn die hat einen              den unterdrückt, selbst ihre Existenz wurde noch
  starken Bezug zum Munzurtal. Ohne Munzur kann die Region nicht überleben und genau das will                bis vor Kurzem geleugnet. Das Alevitentum ist
  die türkische Regierung erreichen.“                                                                        eine Religion, die islamische und naturreligiöse
     Wie hat sich die Situation im Munzurtal mittlerweile entwickelt? Der Kölner NaturFreund Ulf             Elemente zu einer humanistisch geprägten Leh-
 ­Petersen hat sich am Munzur umgesehen.                                                                     re verbindet. Männer und Frauen beten gemein-
                                                                                                             sam, Alkoholgenuss wird toleriert. Das Aleviten-
bIn Mesopotamien, dem sogenannten Zwei-              durch den Munzur-Nationalpark in der Provinz            tum ist vom türkischen Staat mit seiner sunniti-
stromland um die Flüsse Euphrat und Tigris, ist      Tunceli – oder Dersim, wie sie von der hier über-       schen Mehrheit immer diskriminiert worden.
die Kontrolle des Wassers seit jeher strategisch     wiegend lebenden kurdischen Bevölkerung ge-                 Noch Mitte der 1930er Jahre galt Dersim als
wichtig. Bereits im Jahr 1982 plante die Türkei im   nannt wird. Immerhin 20 Staudamm- und Was-              „letzte freie Burg” der Kurden. 1937 kam es zum
Rahmen ihres Südostanatolienprojekts 22 große        serkraftprojekte sind in der Region geplant. Be-        Aufstand unter Führung des Geistlichen Seyid
Talsperren, etwa die Hälfte wurde schon gebaut.      reits 2009 wurde der Staudamm Uzuncayir                 Riza. Das kurdische Dersim war kurz zuvor ins
International bekannt – und umstritten – ist bei-    fertiggestellt: Er lässt den Munzur auf 15 Kilome-      türkische „Tunceli“ (Eisenfaust) umbenannt wor-
spielsweise der Ilisu-Staudamm: Experten kriti-      tern stehen. Weitere Dämme werden auch seine            den. Doch die Revolte wurde brutal niederge-
sieren die ökologische Zerstörung des Tigris und     Nebenflüsse stauen.                                     schlagen, selbst Bomber und Giftgas kamen zum
seiner Nebenflüsse auf 400 Kilometern Flusslauf          Das hat Folgen: Noch ist die biologische Vielfalt   Einsatz. Die Aufständischen beklagten zwischen
und die Flutung der antiken Stadt Hasankeyf.         im Munzurtal und auf den darüber gelegenen Al-          50.000 und 80.000 Todesopfer.
   Im nördlichen Einzugsgebiet des Euphrat be-       men so hoch wie sonst nur äußerst selten im Mitt-           Die darauf folgende „Friedhofsruhe“ sicher-
findet sich die türkische Munzur-Region. Der         leren Osten. Durch die Stauung der Fließgewässer        te das Militär mit einem ständigen Ausnahme-
rund 150 Kilometer lange Fluss Munzur fließt         droht der Region aber eine ökologische Katastro-        zustand. Auch weil ab den 1980er Jahren die Ar-

   Vielfalt

   Natürlicher Reichtum

   Untersuchungen gehen von insgesamt
   1.518 verschiedenen Pflanzenarten aus,
   55 davon existieren weltweit nur in der
   Provinz Dersim. Hier leben unter ande-
   rem Bergziegen und -schafe, Bären, Wölfe,
   Schakale, Steinmarder, Stinktiere, Dachse,
   Eidechsen, Schlangen, Luchse, Fischotter,
   Schildkröten, Geier, Adler, Kraniche, Stör-
   che, Papageien, Wiedehopfe und Fleder-
   mäuse. Zudem werden die Berge bedeckt
   von Tulpen, Hyazinthen, Narzissen, gemei-
   nen Schneeglöckchen, echten Kamillen,
   Veilchen, wildem Thymian, wild wachsen-
   den Apfel-, Birnen- und Pflaumenbäumen.
                                                     ŇDersims
                                                      Ň       Freunde der Natur auf einer ihrer regelmäßigen Sonntagswanderungen im Munzurtal.

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Thema

beiterpartei Kurdistans (PKK) gegen die Unter-
drückung kämpfte, wurde 1994 etwa die Hälfte
der Dörfer vom türkischen Militär zerstört und       4 Fragen an Nuray Atmaca
ihre Einwohner vertrieben.                           Stadträtin der kurdischen „Partei
    Noch heute ist Dersim eine Hochburg der Lin-     für Frieden und Demokratie” (BDP)
ken und wird vom Militär streng bewacht. Die
Einheimischen sehen die Staudämme als ei-            eNATURFREUNDiN: Wie hat sich der
ne weitere Maßnahme zur endgültigen Zerstö-          Protest gegen die Staudammprojekte
                                                     entwickelt?
rung und damit „Befriedung“ der Region. Denn         Nuray Atmaca: Im Januar 2011 haben et-
unter den Staudammprojekten würde nicht nur          wa 10.000 Menschen in Dersim demonst-
die einmalige Natur leiden: Auch 84 Siedlun-         riert. Der Anlass dafür war die Vergabe des
                                                     großen Staudammprojektes Pülümür an ein
gen würden geflutet und ganze Bezirke in die-        Konsortium. Das war die zweite große De-
ser bergigen Region voneinander abgeschnitten.       mo nach der bisher größten im Oktober
Darüber hinaus würden viele kulturell wichtige       2009 mit 20.000 Teilnehmern.
und für die Aleviten heilige Stätten wie etwa be-    eBleiben die Demonstrationen friedlich?
stimmte Wasserquellen verloren gehen.                Als im September 2010 die Bodenuntersu-
    „Die ganze Geografie Dersims soll verändert      chungen für die Dämme in Kaletepe und
                                                     Bozkaya beginnen sollten, haben mehr als
werden. Ziel ist es, der Guerilla die Verbindungs-   1.000 Menschen die Baumaschinen umge-
wege abzuschneiden und noch mehr Menschen            stoßen und die Unternehmen vertrieben.
zu vertreiben“, empört sich ein lieber ungenannt     Sie sind nicht wieder zurückgekommen.
bleibender Lokalpolitiker. Für seine Einschät-       eWie verhält sich die Politik?
zung spricht, dass mit den Staudämmen keiner-        Die AKP, die Partei des türkischen Minis-
lei Entwicklungsprojekte für die Region verbun-      terpräsidenten Erdogan und alle anderen
                                                     großen Parteien sind für die Projekte. Nur
den sind. Es geht nur um die Stromproduktion         die BDP, kleinere linke Parteien und die
für den Westen der Türkei – insgesamt 534 Me-        türkischen Grünen sind konsequent ge-
gawatt oder knapp ein Prozent der gegenwärti-        gen alle Staudämme in der Türkei.
gen türkischen Strom-Kapazität.                      eWird die Bevölkerung beteiligt?
    Schon 1930 hatte der damalige türkische Ge-      Anfang 2010 und 2011 gab es in drei Or-
neralstabschef Fevzi Cakmak vorgeschlagen, die       ten Anhörungen zu kleineren Wasser-
                                                     kraftwerksprojekten. Die betroffene Be-
Täler mittels Talsperren zu überfluten, damit ih-    völkerung, alle Kommunen in Dersim
re Bewohner in ferne und mehrheitlich türkisch       und viele Nichtregierungsorganisationen
bewohnte Orte umgesiedelt werden können.             nahmen teil und haben die Projekte ein-
                                                     mütig abgelehnt. Bisher wurden sie noch
Doch die Bewohner Dersims wollen das auch            nicht gebaut.c       Fragen Ulf Petersen
heute nicht. Sie kämpfen weiter gegen die Stau-
dämme und für ihr Munzurtal.c Ulf Petersen
TTwww.freemunzur.org

ŇIm
 Ň September 2010 wurde wieder gegen Bodenuntersuchungen für neue Staudämme protestiert. Soldaten mussten die Baufirmen schützen.

3-2011 NATURFREUNDiN                                                                                                         SEITE 13
Thema

                                                     auf einen Blick

                                                     Politisch beschlossen: die Energiewende
                                                     Welche Gesetze der Bundestag verabschiedet hat – die wichtigsten Beschlüsse

Netzausbau
Die Produktion des Grünstroms ist nur die eine
Seite der Medaille. Er muss nämlich auch noch
dorthin transportiert werden, wo besonders viel
Strom verbraucht wird; im Ruhrgebiet etwa oder
in den industriellen Kernen in Süddeutschland.       Atomausstieg
Deshalb hat die Regierung ein „Gesetz zur Be-        Mit der 13. Novelle des Atomgesetzes hat der
schleunigung des Netzausbaus“ beschlossen.           Bundestag ein definitives Ende der nuklearen
   Bürgerinitiativen können Einwendungen ein-        Stromproduktion im Bundesgebiet beschlossen.
legen und werden im Genehmigungsverfahren            Und er hat diesen Beschluss mit konkreten Da-
angehört. Da die neuen Verfahren jeweils nur         ten versehen: Am 31. Dezember 2022 ist definitiv
sechs Monate dauern, dürfte die Bürgerbeteili-       Schluss mit der Atomstromproduktion.
gung allerdings nicht allzu intensiv ausfallen.c         Acht von 17 deutschen Atomkraftwerken blei-       Ausbau der Erneuerbaren
                                                     ben schon jetzt ausgeschaltet, eines davon soll       Im „Gesetz zur Neuregelung des
Klimaschutz in Städten und Gemeinden                 in Reserve weiterlaufen. Für die übrigen Anlagen      Rechtsrahmens für die Förderung
Die Regierung hatte sich in ihren Koalitionsver-     stehen feste Termine im Gesetz, an denen die Be-      der Stromerzeugung aus erneuer-
trag geschrieben, „Klimaschutz und die Innenent-     triebsgenehmigung erlischt. Als nächste Kraftwer-     baren Energien“ hat die Regierung
wicklung im Bauplanungsrecht zu stärken.“ Im         ke folgen der Eon-Reaktor im bayerischen Gra-         ihre Ausbau-Ziele für Grünstrom
Artikel 1 des „Gesetzes zur Stärkung der klimage-    fenrheinfeld am 31. Dezember 2015, Gundrem-           festgeschrieben: Bis 2020 sollen
rechten Entwicklung in den Städten und Gemein-       mingens Block B zum Jahresende 2017, Block 2 in       mindestens 35 Prozent des Stroms
den“ heißt es nun: „Den Erfordernissen des Kli-      Philippsburg 2019. Im Jahr 2021 sollen Gundrem-       aus sauberen Quellen stammen,
maschutzes soll sowohl durch Maßnahmen, die          mingen C, Grohnde und Brokdorf folgen, Isar 2,        bis 2040 schon 65 Prozent, bis
dem Klimawandel entgegenwirken, als auch             Emsland und Neckarwestheim 2 im Jahr 2022.            2050 gar 80 Prozent.
durch solche, die der Anpassung an den Klima-            Die Linksfraktion scheiterte mit ihrem Antrag,       Nach Angaben des Bundesver-
wandel dienen, Rechnung getragen werden.“            den Atomausstieg im Grundgesetz zu verankern.         bandes der Energie- und Wasser-
   Das Gesetz enthält eine Klimaschutzklausel,       Allerdings ist derzeit keine gesellschaftliche oder   wirtschaft werden derzeit bereits
die die Festsetzungsmöglichkeiten zum Einsatz        politische Mehrheit denkbar, die den Ausstieg         19 Prozent des deutschen Strom-
und zur Nutzung erneuerbarer Energien sowie          revidieren wollte oder könnte.c                      bedarfs aus erneuerbaren Quel-
von Energien aus Kraft-Wärme-Kopplung erwei-                                                               len gedeckt. Die Branche der Er-
tert. Will sich also beispielsweise eine Stadt ei-   Energiewirtschaftsrecht                               neuerbaren selbst hält 45 Prozent
ne Solarsatzung geben, die bindend vorschreibt,      Ziel des Gesetzes ist es unter anderem, die Betrei-   Grünstrom im Netz bis zum Jahr 2020
dass jedes neu gedeckte Dach mit einer Solaran-      ber der Stromnetze durch sogenannte Entflech-         für machbar.
lage ausgestattet werden muss, so kann sie das       tungsregelungen zu mehr Wettbewerb zu zwin-              Die Linksfraktion hatte deshalb gefordert, die
nun. Ebenso werden durch die Klausel Sonder-         gen, eine gemeinsame Netzausbauplanung aller          Regierungspläne nach oben zu korrigieren, der
regelungen für die Windenergienutzung einge-         Netzbetreiber herbeizuführen und die Fristen beim     Antrag wurde aber abgelehnt. Keine Mehrheit
fügt und die Nutzung vor allem von Fotovoltaik-      Wechsel des Stromlieferanten für die Verbraucher      fand auch der Antrag der SPD, den Vorrang für
Anlagen an oder auf Gebäuden erleichtert. c          zu kürzen. c                                          Erneuerbare im Gesetz festzuschreiben. c

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