NEUROVISION - Floriani Apotheke

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NEUROVISION
   NEUROLOGIE VERSTEHEN
                                                                             JANUAR 21
                                                                            JAHRGANG 16

   REHA ERFOLGREICH,
   ZIEL ERREICHT
   Maßgeschneiderte Rehamaßnahmen
   nach Schlaganfall und bei MS

                                                                                          ©iStockphoto/masterzphotois

MS WELT> BDiagnostik: Neurofilamente (NfL) als möglicher neuer Biomarker

NEURO WELT> Optische Kohärenztomographie: Die Netzhaut – das Fenster zum Gehirn
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                                                                                          floriani apotheke
                                                                                         Wichmannstraße 4 / Haus 9
                                                                                         22607 Hamburg
                                                                                         Öffnungszeiten
                                                                                         mo – fr 8.00 – 18.00 Uhr
                                                                                         Telefon gebührenfrei
                                                                                         tel     0800 – 56 00 943
                                                                                         fax     040 – 822 28 65 17
                                                                                         e-mail service@floriani-apotheke.de
                                                                                         web     www.floriani-apotheke.de

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         „Unser geschultes Team berät Sie gern.“

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         einsendung bekommen Sie von uns                                               bei der ersten Bestellung) ausgefüllt an
         Rückumschläge und für Ihre Bestellung                                         die Floriani Apotheke geschickt haben,
         auf Rezept zahlen Sie bei der Floriani                                        um mögliche Wechselwirkungen
         Apotheke weder Porto- noch                                                    auszuschließen.
         Verpackungskosten.                                                            → Ihre Arzneien werden von einem
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Inhaltsverzeichnis <

Mit Reha zurück ins Leben                                    06 – 22
                                                             Titelthema
Schlucken, sprechen, sich aus eigener Kraft bewegen,         Rehamaßnahmen nach Schlaganfall und bei MS
den Alltag bewältigen – für die meisten von uns ist das      Nach einem Schlaganfall besteht häufig Rehabedürftigkeit
selbstverständlich. Jedenfalls solange, bis eine oder        und die allermeisten Patienten profitieren enorm.
auch mehrere dieser Fähigkeiten verloren gehen oder          Interview mit Prof. Peter Flachenecker, Facharzt für
sich wesentlich verschlechtern. Zum Beispiel durch           Neurologie, Chefarzt am Neurologischen Rehazentrum
eine fortschreitende chronische Erkrankung oder einen        Quellenhof in Bad Wildbad
Schlaganfall.
Nach einem Schlaganfall sind Betroffene von heute auf        Rehabilitation – Ziele und Maßnahmen
morgen manchmal nicht mehr in der Lage, ihren Alltag         Welche Maßnahmen kommen in der neurologischen Reha
alleine zu bewältigen. Grundlegende Fähigkeiten              zum Einsatz und was können sie leisten? Ein Überblick.
müssen wieder neu erlernt werden. Das ist oft harte
Arbeit, aber es geht. Meistens jedenfalls und mit der        Wiederherstellen, aufbauen, stabilisieren:
richtigen Hilfe. Zielgerichtet und individuell, unter        In der MS-Therapie ist die Rehabilitation wichtiger
Berücksichtigung zahlreicher unterschiedlicher Fak-          Bestandteil und wirksame Ergänzung zur medikamentösen
toren. Am besten in einem neurologischen Reha-Zen-           Behandlung. In jedem Alter.
trum. Mit dem Ziel, Behinderung oder Pflegebedürf-           Interview mit Prof. Peter Flachenecker, Quellenhof
tigkeit abzuwenden, sowie schwerwiegende Folgen              in Bad Wildbad
abzumildern. Prof. Peter Flachenecker vom Quellenhof
in Bad Wildbad ist überzeugt: „Reha bringt immer was!“
Die Neurovision sprach mit dem Mediziner über neu-           24 – 35
rologische Reha nach Schlaganfall und bei MS.
                                                             Neurowelt
Vielversprechende Aussichten in Hinblick auf Diagnostik      OCT: Ein Blick durch die Netzhaut
und Verlaufskontrolle verbinden sich mit der Anwen-          Die optische Kohärenztomographie (OCT) ermöglicht
dung der OCT (Optische Kohärenztomographie). Noch            einen genauen Blick auf neurodegenerative Erkrankungen.
ist die relativ unkomplizierte und nicht-invasive            Interview mit Dr. Klaus Gehring, Facharzt für Neurologie,
Methode im klinischen Alltag unterrepräsentiert. Als         Psychiatrie und Psychotherapie, Itzehoe
Marker für die Überprüfung des Therapieerfolges wird
sie aber diskutiert und verspricht, Dr. Klaus Gehring
zufolge, wertvolle Ergebnisse. Gute Nachrichten also,        36 – 38
die gerade in diesen Zeiten besonders wichtig sind.
Auf weitere gute Nachrichten – insbesondere in Hinblick      MS-Welt
auf das Coronavirus – warten wir alle und hoffen auf         Frühere Diagnose und verlässlichere Prognose
das Jahr 2021, für das ich Ihnen jetzt alles Gute wünsche.   durch Neurofilamente (NfL)?
Bleiben Sie zuversichtlich!                                  Als Biomarker, mit deren Hilfe sich das Ausmaß eines
                                                             Nervenschadens bestimmen lässt, sind (NfL) im Fokus
Ihre Tanja Fuchs                                             der Forschung.

                                                             01
                                                             Editorial und Inhaltsverzeichnis
                                                             02 – 04
                                                             News
                                                             40
                                                             Gehirnjogging
                                                             41
                                                             Glossar
                                                             44
                                                             Vorschau, Impressum und Rätselauflösung

                                                                                                  NEUROVISION < 1
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     Kognition                                                                 Morbus Alzheimer:
     AUFRUF ZUR                                                                ZULASSUNG VON ADUCA-
     STUDIENTEILNAHME                                                          NUMAB DURCH EXTERNE
     Das neurokognitive Kompetenzzentrum COGITO verknüpft Forschung
                                                                               FDA-BERATER ABGELEHNT
     und klinisch–therapeutische Anwendung und ist eingebettet in einen        Die Hoffnungen, die auf dem Antikörper Aduca-
     Kontext aus verschiedenen Disziplinen (u.a. Neurologie, Neurochirurgie,   numab ruhten, waren groß. Denn im Frühjahr 2021
     Psychiatrie, Psychologie, Radiologie, Allgemeinmedizin) und Einrichtun-   hätte in den USA nach 17 Jahren erstmals ein neues
     gen (u.a. Unikliniken, Rehakliniken, ärztliche Praxen). Gegründet         Medikament zur Behandlung des Morbus Alzheimer
     von Prof. Dr. Dipl. Psych. Iris-Katharina Penner, werden dort Forschung   zugelassen werden können.
     und Entwicklung, Diagnostik, kognitive Therapien und Beratungen           Aducanumab gehört zu einer Reihe von allesamt in
     durchgeführt.                                                             klinischen Studien gescheiterten Antikörpern, die an
                                                                               das als toxisch eingestufte Beta-Amyloid im Gehirn
                                                                               binden und dadurch ein Fortschreiten der Erkrankung
                                                                               aufhalten sollen. Dieser Behandlungsansatz ist in
                                                                               den letzten Jahren wiederholt gescheitert.
     Aktuell sucht das COGITO Zentrum Teilnehmer                               Auch die klinischen Studien, die zu dem Antikör-
     für die folgenden Studien:                                                per Aducanumab durchgeführt wurden, hatten die
                                                                               Erwartungen zunächst nicht erfüllt, und im März
     Fit im Kopf? Stellen Sie Ihre geistige Leistungsfähigkeit                 letzten Jahres wurde bekannt, dass Aducanumab in
     bei uns auf die Probe!                                                    den beiden zulassungsrelevanten Phase-3-Studien
     Neuropsychologische Studie zur Erfassung kognitiver Leistungen            das Ziel, das Fortschreiten der Demenz aufzuhalten,
     bei gesunden Probanden                                                    nicht mehr erreichen könnte. Im Oktober letzten
                                                                               Jahres folgte – nach der Auswertung weiterer Daten –
     Diese Studie richtet sich an Männer und Frauen zwischen 18 und 79         die überraschende Kehrtwende: In einer der Studien
     Jahren ohne Erkrankungen der Psyche oder des Nervensystems. Ziel          sei es nun zu einer signifikanten Verbesserung im
     der Studie ist es, mithilfe dieser Ergebnisse die Anwendbarkeit der       Vergleich zu Placebo gekommen. Aber – so wurde
     Testverfahren im klinischen Alltag und in der Patientenversorgung         Ende 2020 berichtet: Zehn von elf externen Gutach-
     zukünftig zu erleichtern.                                                 tern sehen in den vorgelegten Forschungsergebnis-
                                                                               sen keinen „primären Beweis für die Wirksamkeit
     Studie für Patienten mit progredienter Multipler Sklerose                 von Aducanumab bei der Behandlung der Alzhei-
                                                                               mer-Krankheit“. Die FDA ist nicht an das Votum der
     Diese Studie richtet sich an Patienten mit progredienter MS (gesicherte   externen Gutachter gebunden. „Angesichts der fast
     Diagnose einer sekundär progredienten MS oder primär progredienten        einhelligen Ablehnung dürfte es allerdings schwer
     MS). Dabei soll die Wirksamkeit von nicht-medikamentösen kognitiven       werden, am 7. März einer Zulassung zuzustimmen.
     Therapieansätzen verglichen werden. Es handelt sich um gruppenthe-        Bei einer Ablehnung steht der Hersteller vor der Wahl,
     rapeutische Sitzungen – die aktuell digital durchgeführt werden – zum     weitere Studien durchzuführen oder wie andere Her-
     Teil in Kombination mit einem computerbasierten Trainingsprogramm         steller die klinische Entwicklung einzustellen“, heißt
     oder einer Einführung in fokussierte Entspannungstechniken, über 3        es in einem Artikel aus dem Ärzteblatt.
     bis 4 Wochen hinweg. Vor und nach dem Training erfolgt jeweils eine       Quelle: © rme/aerzteblatt.de; www.aerzteblatt.de/nachrichten/118170/Mor-
     neuropsychologische Untersuchung.                                         bus-Alzheimer-Externe-FDA-Berater-lehnen-Zulassung-von-Aducanumab-ab

         Interessenten werden gebeten, sich per Email unter Angabe
         der Kontaktdaten und dem Betreff „Normierung“ zu melden:

         studien@cogito-center.com
         oder eine Nachricht
         auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen
         tel 0211- 542 556 15

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                      Schlaganfall                                                                                  Myasthenia gravis

                      URSACHEN FÜR SMALL VESSEL                                                                     LAUFENDE IMMUNTHERAPIE
©iStockphoto/Ugreen

                      DISEASES FRÜHER ENTTARNEN                                                                     NICHT AUS ANGST VOR
                                                                                                                    COVID-19 ABBRECHEN

                                                                                                                    Aktuell publizierte Registerdaten zeigen zwar, dass
                                                                                                                    Myasthenia gravis-Patientinnen und -Patienten bei
                                                                                                                    einer Infektion mit SARS-CoV 2 eine erhöhte Sterblich-
                                                                                                                    keitsrate haben. Diese vorläufigen Ergebnisse könnten
                                                                                                                    aber einem Reporting-Bias – also einer Verzerrung –
                                                                                                                    geschuldet sein, da oft vor allem jene Fälle in Register
                                                                                                                    eingepflegt werden, die nicht problemlos verlaufen.
                                                                                                                    Keinesfalls sollten die Betroffenen aus Sorge vor
                                                                                                                    schweren Verläufen eine effektive Immuntherapie
                                                                                                                    abbrechen. Es gebe derzeit keine ausreichende Begrün-
                                                                                                                    dung dafür, dass eine Immuntherapie per se zu einer
                                                                                                                    höheren COVID-19-Sterblichkeit (oder auch Empfäng-
                                                                                                                    lichkeit) führe, das Absetzen hingegen könne die
                                                                                                                    Myasthenie verschlechtern und zu schweren Komplika-
                                                                                                                    tionen führen, heißt es in einer Pressemitteilung
                                                                                                                    der DGN. „In jedem Fall sollten Myasthenia gravis-
                      Hat ein junger Mensch einen Schlaganfall, kann eine so genannte                               Patienten die immunsuppressive Therapie nicht aus
                      monogenetische Small Vessel Disease (SVD) dahinterstecken, eine                               Angst vor schweren COVID-19-Verläufen abbrechen,
                      Erkrankung der kleinen Gefäße im Gehirn. Auch wenn sie nur spora-                             sondern stattdessen alles daran setzen, sich vor einer
                      disch auftreten, gelten die SVDs als die häufigste monogenetische                              Ansteckung mit SARS-CoV-2- zu schützen“, so DGN-
                      Schlaganfallursache. Die Auslöser dieser zerebralen Mikroangio-                               Generalsekretär Prof. Peter Berlit.
                      pathien, die mithilfe der Kernspintomographie immer leichter und                              Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: www.dgn.org
                      damit häufiger diagnostiziert werden können, liegen allerdings noch
                      weitgehend im Dunkeln. Eine Ausnahme ist die 1996 im Gen NOTCH3
                      gefundene Mutation CADASIL (Cerebral Autosomal Dominant
                      Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy).                              Multiple Sklerose
                      Der Entdeckung weiterer Gene, die die SVD auslösen, gilt seit Jahren
                      das Forschungsinteresse – wobei das SVD-Spektrum ebenso groß ist,                             WIE WIRKSAM SIND MEDIKA-
                      wie die Herausforderung, sie zu diagnostizieren und zu behandeln.                             MENTE GEGEN MÜDIGKEIT?
                      Die European Academy of Neurology hat deshalb eine Expertengruppe                             Methylphenidat, Modafinil und Amantadin sind
                      aus Genetikern, Neurologen und Patientenvertretern beauftragt, in                             häufig verschriebene Medikamente zur Linderung von
                      einer Leitlinine darzustellen, welche „Red Flags“ den Verdacht auf                            Müdigkeit bei Multipler Sklerose. Die Beweise für ihre
                      eine monogenetische SVD lenken könnten. In dem im März online                                 Wirksamkeit sind jedoch spärlich und widersprüchlich.
                      veröffentlichen Konsensuspapier werden eine einschlägige Familien-                            Ziel einer online vorab veröffentlichten Studie war es,
                      anamnese, ein junges Erkrankungsalter, charakteristische Neuro-Bild-                          die Wirksamkeit der drei Medikamente untereinander,
                      gebungsbefunde (z. B. frontotemporale Läsionen bei CADASIL), extra-                           und mit Placebo bei Patienten mit Multipler Sklerose-
                      zerebrale und/oder systemische Begleitsymptome und ein typischer                              Müdigkeit zu vergleichen. Ergebnis: Amantadin,
                      klinischer Phänotyp (z. B. Alopezie (Haarausfall) und Rückenprobleme                          Modafinil und Methylphenidat waren Placebo bei
                      bei CADASIL) genannt. Grundsätzlich empfehlen die Autoren, das                                der Verbesserung der Müdigkeit bei Multipler Sklerose
                      erhöhte vaskuläre Risiko bei den betroffenen Patienten verstärkt im                           nicht überlegen und verursachten häufigere uner-
                      Auge zu behalten und u.a. mit gesunder Ernährung, Rauchverzicht                               wünschte Ereignisse.
                      und körperlicher Aktivität gegenzusteuern. Außerdem sollten die                               Quelle: Lancet Neurol. 2020 Nov 23;S1474-4422(20)30354-9. doi: 10.1016/S1474-
                      Patienten jährlich nachuntersucht werden.                                                     4422(20)30354-9. Online ahead of print. “Safety and efficacy of amantadine,
                                                                                                                    modafinil, and methylphenidate for fatigue in multiple sclerosis: a randomised,
                      Quelle: https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/small-vessel-diseases-   placebo-controlled, crossover, double-blind trial” abgerufen auf:
                      als-ursache-fuer-schlaganfall-enttarnen/                                                      https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33242419/

                                                                                                                                                                             NEUROVISION < 3
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     Multiple Sklerose
     WELCHE MEDIKAMENTE SOLLTEN
     BEI CORONA ABGESETZT WERDEN?

                                                                                                                                                     ©iStockphoto/Jian Fan
     Welchen Einfluss Immunmodulatoren und -suppressiva auf            für schwere COVID-19-Verläufe. Bei einer stabilen Erkrankung
     das SARS-CoV-2-Infektionsrisiko und den COVID-19-Krankheits-     empfehle man deshalb, so Professor Meuth, mit der nächsten
     verlauf haben, wird seit Beginn der Pandemie von Experten        Infusion zu warten, insbesondere wenn der B-Zell-Status
     diskutiert. Hilfestellung soll die im August erschienene S1-     niedrig sei. Gleiches gelte für Cladribin. In jedem Fall sollten
     Leitlinie „Neurologische Manifestationen bei COVID-19“ geben.    diese Arzneien während einer Infektion ausgesetzt werden.
     Kein erhöhtes Risiko besteht danach bei Immunmodulatoren –
     im Gegenteil: Möglicherweise werde dadurch eine über-            Die Behandlung mit Fingolimod, Siponimod und Natalizumab
     schießende Immunreaktion mit einem gewebeschädigenden            könne dagegen im Fall einer Infektion weiterführt werden,
     Zytokinsturm vermieden, so Professor Sven Meuth von der          hier sei laut Leitlinie höchstens eine Zyklusverzögerung zu
     Universität Düsseldorf beim virtuellen DGN-Kongress. Fingo-      erwägen. Keine Einschränkungen, weder außerhalb noch
     limod und der Komplement-Hemmer Eculizumab würden                während einer Infektion, gibt es bei Interferonen und Glatira-
     derzeit in Studien sogar bei schweren COVID-19-Verläufen         meracetat. Gleiches gilt für Tocilizumab, Satralizumab
     ohne Autoimmunerkrankungen geprüft.                              und Eculizumab, die bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-
                                                                      Erkrankungen eingesetzt werden.
     Behandlungen mit klassischen Immunsuppressiva wie Azathi-
     oprin und Methotrexat sollen der Leitlinie zufolge fortgesetzt   Zu Überdenken sei Professor Meuth zufolge, allerdings
     und nur im Falle einer Infektion vorübergehend unterbrochen      sowohl die Stoßtherapie als auch die Dauerbehandlung mit
     werden. Dies wird auch bei Cyclophosphamid und Mitoxan-          Glukokortikoiden. Während bei einem akuten Schub das
     tron empfohlen. Therapien mit Teriflunomid, Dimethylfumarat       Kortikoid gegeben werden solle, könne man bei stabilen
     und Mycophenolat-Mofetil können dagegen, so lange keine          Patienten, die wiederkehrende Kortisonpulse erhielten, den
     ausgeprägte Lymphopenie (eine Verminderung der Lympho-           Zyklus verzögern. Bei einer Infektion empfiehlt die Leitlinie
     zytenzahl im Blut) vorliegt, auch während einer Infektion        eine Reduktion oder das Aussetzen der Dosis. Eine Plasma-
     fortgeführt werden.                                              pherese und auch eine Behandung mit intravenösem Immun-
                                                                      globulin (IVIG) können dagegen auch während einer Infektion
     Mehr Vorsicht ist allerdings bei immundepletierenden The-        fortgeführt werden, hier sei allenfalls eine Zyklusverlängerung
     rapien geboten: Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es unter      zu erwägen.
     Lymphozyten-depletierenden Antikörpern, vor allem Rituxi-        Quelle: https://www.springermedizin.de/dgn-kongress-2020/covid-19/welche-ms-
     mab, ein im Vergleich zu Basistherapeutika erhöhtes Risiko       medikamente-bei-corona-abgesetzt-werden-sollten/18597444

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Reha nach
      Schlaganfall

                                                                                                                                   ©iStockphoto/Milan Marjanovic
              Nach einem Schlaganfall ist meist nichts                 Die gute Nachricht: Die Prognosen haben sich signifi-
              mehr, wie es war. Bewegungseinschrän-                    kant verbessert, die Sterblichkeit ist massiv gesunken.
              kungen, Sprach- oder Sprechstörungen,                    Ein weiterer bedeutender Schritt – nach erfolgter
              kognitive und komplexe neuropsychologische               Behandlung in der Stroke Unit, ist die Rehabilita-
              Defizite – die Liste der möglichen Folgen nach           tion. Und auch diesbezüglich gibt es gute Nach-
              einem Schlaganfall ist lang. Sie können das              richten: Die Mehrzahl der Menschen, die eine Reha
              Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen.             machen, können wieder in ihren Alltag zurück-
                                                                       kehren, oftmals sogar wieder ihren Beruf ausüben.
                                                                       Denn: Mit systematischen und ganzheitlichen Reha-
              Wie schwerwiegend die Folgen eines Schlaganfalls         Maßnahmen, lassen sich die Folgen eines Schlagan-
              sind, ist von vielen Faktoren abhängig. Die wichtigste   falls erheblich lindern. Vorausgesetzt, der Patient ist
              Maßnahme bei Verdacht auf einen sogenannten              bereit, mitzumachen. „Ein Aufenthalt in einer Rehakli-
              Hirnschlag, ist immer schnelles Handeln. Auch das        nik ist harte Arbeit, die oftmals als anstrengend empfun-
              frühzeitige Erkennen und Minimieren von Risikofak-       den wird und nicht zu verwechseln mit einer Kur!“, sagt
              toren ist von Bedeutung. Über beides berichteten wir     Prof. Peter Flachenecker. Manchmal müssten die Pati-
              in der letzten Ausgabe der Neurovision*.                 enten ganz gewöhnliche Alltagsfähigkeiten neu erler-

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Titelthema <

                                                                                         len eine Rolle. Rehabilitation will nicht nur Funktions-
                                                                                         störungen behandeln, sondern dem ganzen Menschen
                                                                                         helfen. Dauerhaft kann dies, wie gesagt, nur gelingen,
                                                                                         wenn der Patient selbst aktiv mitmacht. Während und
                                                                                         nach der Reha.

                                                                                            Die Angehörigen

                                                                                         In einigen Rehazentren werden auch die Angehörigen
©iStockphoto/stockdevil

                                                                                         aktiv mit einbezogen. „Ein enger Kontakt zu den An-
                                                                                         gehörigen neurologisch Erkrankter ist eine wichtige Vo-
                                                                                         raussetzung für den Rehabilitationserfolg. Die Erfahrung
                                                                                         zeigt, dass dieser Gruppe eine wesentliche Rolle bei der
                                                                                         Aufrechterhaltung der Behandlungseffekte zukommt“,
                          Der Schlaganfall ist die häufigste neurologische Erkran-       heißt es auf der Homepage des Rehazentrums Quellen-
                          kung, die je nach Schweregrad zu anhaltendem Verlust           hof. Doch nicht nur nach einer Reha-Maßnahme kom-
                          von Fähigkeiten des Zentralnervensystems führen kann.          men die Angehörigen ins Spiel. Bereits in der Akut-

                          nen, so der Neurologe, der das Reha-Zentrum Quel-              Angehörige von Schlaganfallpatienten stellen eine
                          lenhof in Bad Wildbad leitet. „Das bedeutet üben, üben,        wesentliche Säule bei der Versorgung und Rehabilitation
                                                                                         von Schlaganfallpatienten dar, insbesondere diejenigen,
                          üben.“ Im Mittelpunkt stehe nicht das Behandelt-Wer-
                                                                                         die ihren pflegebedürftigen Angehörigen im Anschluss an
                          den, sondern das eigene Handeln der Patienten.
                                                                                         die Behandlung zu Hause pflegen wollen. Dazu gehören
                                                                                         die Unterstützung und Abnahme von alltäglichen Tätig-
                          *Die Oktober-Ausgabe der Neurovision (Titelthema Schlagan-     keiten wie auch die Grundpflege und geistige Anregung.
                          fall) können Sie hier kostenlos downloaden: https://fskom.de

                              Neurologische Rehabilitation:
                              Den ganzen Menschen im Blick

                          Der Schlaganfall ist eine neurologische Erkrankung
                          und gehört daher unbedingt in die neurologische Re-
                          habilitation.
                          Kernpunkte sind die Physio- und Sporttherapie,
                          Sprach- und Schlucktherapie (Logopädie), Ergothera-
                          pie und (Neuro-)Psychologie. In einer guten Reha-Ein-
                          richtung kümmert sich ein hochspezialisiertes Team
                          um den Patienten: Erfahrene Neurologen, Internisten,
                          Therapeuten, Psychologen und Pflegekräfte. Primäres
                          Ziel ist es, die bestmöglichen Perspektiven für eine
                          Wiedereingliederung in das Leben zu erreichen und
                          damit eine möglichst hohe Lebensqualität zu gewähr-
                          leisten. Gesundheitsschäden müssen eingedämmt und
                                                                                                                                                    ©iStockphoto/sdominick

                          die Selbstständigkeit im Alltag wiederhergestellt wer-
                          den bzw. erhalten bleiben. Auch die Reintegration in
                          das Familien- und Berufsleben, die Vermittlung ei-
                          ner gesunden und bewussteren Lebensführung sowie
                          Schulung und Beratung für die Zeit nach der Reha spie-

                                                                                                                                               NEUROVISION < 7
NEUROVISION - Floriani Apotheke
Titelthema <

               phase der Behandlung sei die Einbindung sinnvoll, so            INTERVIEW
               das Ergebnis einer in Bad Wildbad durchgeführten Stu-
               die. „Angehörige bilden eine emotionale Stütze für den         ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::
               Patienten und sind dessen wichtigste Bezugsperson. Da-         »In der neurologischen Rehabilitation
               rüber hinaus sind sie eine wichtige Informationsquelle         erstellen wir für jeden Patienten einen
               für die behandelnden Therapeuten – sie kennen am be-           individuellen zielgerichteten
               sten den Alltag und die Vorlieben des Patienten.“              Behandlungsplan«

               Aber nicht nur als Co-Therapeuten kommt Angehöri-
               gen eine wichtige Aufgabe zu: Sie sind auch mitbetrof-
               fen und entwickeln mitunter anhaltende psychische
               und physische Belastungen. Aus diesem Grund bieten                                                    Prof. Dr. Peter Flachenecker
               viele Rehazentren auch psychotherapeutische Einzel-                                                   Facharzt für Neurologie,
               und Paargespräche an. Ergänzt werden diese durch Be-                                                  Chefarzt am Neurologischen
               ratungsgespräche mit dem Sozialdienst zur Klärung fi-                                                 Rehazentrum Quellenhof in
               nanzieller, sozialer und rechtlicher Fragen. Denn: Nur                                                Bad Wildbad
               ein funktionsfähiges soziales Umfeld ermöglicht einen
               dauerhaften Rehabilitationserfolg.

               In einer Umfrage am Quellenhof stellte sich heraus,         NV: Herr Prof. Flachenecker, Reha nach Schlaganfall –
               dass die Angehörigen sich insbesondere Sorgen vor           ist das selbstverständlich oder muss das mitunter
               der Entlassung der Patienten machen. Häufig fühlten         auch eingefordert werden? Steht jedem Schlaganfall-
               sie sich nicht ausreichend auf die zukünftige Situation     Patienten eine Reha zu?
               vorbereitet und könnten diese nur schwer überblicken.       Flachenecker: Das hängt ein bisschen davon ab, wel-
               Besonders pflegerische Maßnahmen spielen bei den            che Einschränkungen der Patient hat. Wenn nach
               Alltagsaktivitäten eine große Rolle. Es zeigte sich auch,   einem Schlaganfall schnell behandelt wurde und sich
               dass die Angehörigen zu wenige Informationen be-            mit Glück alle Schäden wieder zurückgebildet haben,
               züglich des Krankheitsbildes „Schlaganfall“ erhielten.      liegt sicher keine Rehabedürftigkeit vor. Wird aber eine
                                                                           Rehabedürftigkeit festgestellt, dann erfolgt die Bewilli-
                  Neurologische Frührehabilitation                         gung erfahrungsgemäß relativ rasch.

               Geht ein Schlaganfall mit besonders schwerwiegenden         NV: Wer übernimmt die Kosten?
               Folgen einher, ist der erste Schritt in Richtung Gene-      Flachenecker: Für ältere, nicht mehr erwerbstätige
               sung die sogenannte neurologische Frührehabilita-           Versicherte übernimmt das meist die Krankenkasse,
               tion – kurz Frühreha. Diese findet in der Regel schon       bei noch im Erwerbsleben stehenden Patienten trägt
               während einer stationären Krankenhausbehandlung             die Rentenversicherung die Kosten. Insbesondere bei
               statt, mit dem Ziel, grundlegende Fähigkeiten wieder-       den Jüngeren ist die Bedürftigkeit schnell geklärt und
               aufzubauen (z. B. Sprechen, Essen und Bewegen). Die         bewilligt.
               Frühreha unterstützt die Betroffenen dabei, den ersten
               Schritt zurück in eine größtmögliche physische wie          NV: Die Hürden für Ältere sind höher?
               psychische Unabhängigkeit zu gehen. Ist diese Basis         Flachenecker: Eine zeitlang vertrat man bei einigen
               geschaffen, steht in der weiterführenden Rehabilita-        Krankenkassen tatsächlich die Haltung, ältere Pati-
               tion der Ausbau dieser Fähigkeiten sowie das Wieder-        enten brauchten keine Reha und könnten stattdessen
               erlernen von Alltagsaktivitäten im Mittelpunkt.             gleich in eine Pflegeeinrichtung kommen. Das hat sich
                                                                           Gott sei Dank geändert.

                                                                           NV: Weil es im Endeffekt immer besser und auch
                                                                           kostengünstiger ist, wenn ein Mensch sich so lange
                                                                           wie möglich selbst versorgen kann und nicht im
                                                                           Pflegeheim untergebracht werden muss?
                                                                           Flachenecker: Auf jeden Fall! Zumal ein Schlaganfall
                                                                           – im Gegensatz zur MS etwa – meist plötzlich und oft

8 > NEUROVISION
KOPF KLAR
                                                                          FÜR MEIN LEBEN
                                                                             Migräne? Hab ich im Griff!
                                                                             Wenn eine Migräneattacke in meinen Alltag krachte,
                                                                             kam alles zum Stillstand. Deshalb bin ich aktiv ge-
                                                                             worden und habe mit meinem Arzt gesprochen. Mit
                                                                             meinem persönlichen Behandlungsplan und dem
                                                                             Patientenserviceprogramm KOPF KLAR kann ich
                                                                             mein Leben endlich wieder bewusst gestalten.

                                                                                                 www.kopf-klar.de

                                                                                                                                   DE/FRE/19/0188

KOPF KLAR – Patientenservice mit Köpfchen

          eCoaching                                 Beratung am Telefon

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Titelthema <

                                                                                                                                                          WISSEN

                                                                                ©iStockphoto/Anastasiia_Guseva
                                                                                                                 Forced-Use

                                                                                                                 Forced-Use bzw. die Constrained-Induced Move-
                                                                                                                 ment Therapy (CIMT) ist der Ergotherapie zuge-
                                                                                                                 ordnet. Wörtlich übersetzt bedeutet „Forced-Use“
                                                                                                                 „erzwungener Gebrauch“. Um dem Prozess einer
                                                                                                                 weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken, soll
                                                                                                                 z.B. der gelähmte Arm möglichst viele Stunden am
                                                                                                                 Tag (im Alltag und in der Therapie) beansprucht wer-
                                                                                                                 den. Damit der gesunde Arm nicht mithelfen kann
                                                                                                                 und nicht die Arbeit seines gelähmten Pendants
                                                                                                                 vorschnell übernimmt, wird er mit einem Hilfs-
                                                                                                                 mittel (Schlinge, Handschuh, Schiene o.ä.) daran
                                                                                                                 gehindert. Durch ständig wiederholte Übungen
                                                                                                                 wird die Entwicklung neuer neuronaler Pfade im
                                                                                                                 Gehirn angeregt. Die Patienten lernen dadurch, die
                   Sprech- oder Sprachstörungen                                                                  gelähmte Seite wieder einzusetzen. Analog zur CIMT
                                                                                                                 wurde die CIAT (Constraint-Induced Aphasia Thera-
                   Bei Sprechstörungen (Dysphasie) handelt es sich                                               py, also einschränkungsinduzierte Aphasietherapie)
                   um die gestörte Artikulation von Sprachlauten. Es                                             entwickelt. Aphasien werden durch Schädigungen
                   kann zum Stottern, Poltern, Stammeln oder Lispeln                                             von Teilen des Gehirns ausgelöst, die durch Sauer-
                   kommen. Sie treten häufig zusammen mit Schluck-                                                stoffunterversorgungen z.B. infolge eines Schlag-
                   störungen auf.                                                                                anfalls oder durch Läsionen im Gehirn (bei MS)
                                                                                                                 entstehen. Mit der CIAT konnte gezeigt werden, dass
                                                                                                                 die Neuroplastizität des Gehirns unter bestimmten
                   Sprachstörungen betreffen die gestörte gedank-                                                Voraussetzungen eine Verbesserung der Sprach-
                   liche Erzeugung von Sprache. Zu unterscheiden                                                 fähigkeit zulässt. Die CIAT baut darauf auf, dass die
                   sind dabei Sprachentwicklungsstörungen (SES)                                                  Patienten in der Therapie daran gehindert werden,
                   im frühen Kindesalter von „erworbenen“ Sprach-                                                sich beispielsweise mittels Gesten oder Onomato-
                   störungen im Sinne eines Sprachverlustes z.B.                                                 poetika zu verständigen (constraint) und so dazu
                   nach einem Schlaganfall. Der Verlust des Sprech-                                              gezwungen sind, sich der Sprache zu bedienen.
                   vermögens oder Sprachverstehens infolge einer                                                 Mittels shaping, also einer langsamen, aber stetigen
                   Erkrankung des Sprachzentrums im Gehirn, wird                                                 Steigerung des Schwierigkeitsgrades der Aufgaben,
                   auch als Aphasie bezeichnet.                                                                  sollen die Fähigkeiten der Patienten wachsen.

               Neuroplastizität
               Manchmal müssen Menschen lernen, sich anders zu be-
               wegen. Unser Zentrales Nervensystem ist in der Lage, sich
               neu anzupassen. Bewegungen, die man vor einer Erkran-
               kung automatisch machte, ohne darüber nachzudenken,
               müssen mitunter über Umwege und bewusst angesteuert
               werden und vor allem immer wieder forciert werden. Das
               ist nicht leicht, aber es ist möglich. Und es ist das Prinzip,
               das hinter der Constrained-Induced Movement Therapy
               (CIMT) steht.

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Titelthema <

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                                                                                                                                             Der Kontakt zum
                                                                                                                                             Patienten ist
                                                                                                                                             schwieriger ge-
                                                                                                                                             worden. Das Auf-
                                                                                                                                             einanderzugehen
                                                                                                                                             mit Mund-
                                                                                                                                             Nasen-Schutz,
                                                                                                                                             die Vermeidung
                                                                                                                                             von Berührung,
                                                                                                                                             wo immer es nicht
                                                                                                                                             unbedingt erfor-
                                                                                                                                             derlich ist – das
                                                                                                                                             alles passt nicht
                                                                                                                                             ein Reha-Konzept.

                     aus völligem Wohlbefinden heraus auftritt. Nicht sel-     rig. In der geriatrischen Reha ist nicht zwangläufig ein
                     ten trifft das Menschen, die eben erst in den Ruhestand   Sprachtherapeut anwesend.
                     gegangen sind, sich eigentlich gesund fühlen und die
                     nächste Lebensphase geplant haben. Ein weiterer Fak-      NV: Sind alle Rehakliniken hier gleichermaßen breit
                     tor, der für eine Reha spricht, ist der, dass die Akut-   aufgestellt?
                     krankenhäuser immer weniger Zeit haben und zuneh-         Flachenecker: Ja, es gibt bestimmte Strukturanfor-
                     mend weniger Behandlungstage vorgesehen sind. Da          derungen in der neurologischen Reha. Dazu gehört
                     ist die Tendenz, Patienten in die Reha zu verlegen, um    auch das Vorhalten besonderer Berufsgruppen. So
                     dann zu klären, wie es weitergeht, durchaus sinnvoll.     z.B. Logopäden und Neuropsychologen. In der Reha
                                                                               nach Schlaganfall muss auch auf die kognitiven Kon-
                     NV: Je nachdem, wo durch einen Schlaganfall Schä-         sequenzen adäqaut eingegangen werden können.
                     den entstanden sind, können ja ganz unterschiedliche      Ebenso auf Neglect-Phänomene, also die Vernachlässi-
                     Symptome auftreten und auch unterschiedliche Reha-        gung einer Körperhälfte, die oft erst in der Reha auffällt.
                     ansätze erforderlich sein, oder?
                     Flachenecker: Wichtig ist immer, dass es eine neuro-      NV: Was genau steckt dahinter?
                     logische Reha ist! Manchmal werden Patienten in die       Flachenecker: Es gibt Patienten, die durchaus in der
                     geriatrische Rehabilitation geschickt – das ist nicht     Lage wären, beide Arme einzusetzen, aber sie nutzen
                     sinnvoll. Der Schlaganfall ist eine neurologische Er-     nur einen. Hier bedarf es neuropsychologischer Be-
                     krankung, die Defizite müssen neurologisch beurteilt      handlung.
                     werden. Auch die Folgekomplikationen müssen be-
                     handelt und das Risiko für Folgeanfälle und Reinsulte     NV: Wie zum Beispiel die Forced-Use-Therapie?
                     beurteilt werden. Sprach- und Sprechstörungen müs-        Flachenecker: Das könnte eine Behandlungsoption
                     sen differenziert und unterschiedlich therapiert wer-     sein, aber es gibt noch andere – etwa der Versuch, die
                     den, das ist selbst für Neurologen manchmal schwie-       Aufmerksamkeit gezielt auf eine Körperhälfte zu len-

                                                                                                                                        NEUROVISION < 11
Titelthema <

               ken. Hier gibt es neue Ansätze in der Neuropsycho-        NV: Also individuelle Therapiekonzepte?
               logie, z.B. mittels Stimulation, Vibration oder einem     Flachenecker: Vorgefertigte Rahmen-Therapiepläne
               Explorationstraining für diese Seite. Oft sind ja nicht   funktionieren in der Neurologie nicht. Ein Schlagan-
               nur die Motorik und die Sensibilität betroffen, son-      fall ist so vielfältig, da muss immer individuell the-
               dern auch das visuelle System. Die Betroffenen neh-       rapiert werden. Dafür muss ich den Patienten vorher
               men tatsächlich die eine Körperhälfte gar nicht richtig   sehen und untersuchen, die unterschiedlichen The-
               wahr, obwohl sie funktionieren würde. Es handelt sich     rapeuten müssen ihren Befund erheben und dann er-
               dann um eine räumliche Wahrnehmungsstörung, die           stellen wir ein individuelles, störungsspezifisches und
               wiederum von der Halbseitenblindheit (Hemianop-           zielgerichtetes Programm. Hierzu werden die vielen
               sie) abgegrenzt werden muss. Diese kann entstehen,        verschiedenen kognitiven Störungen des Betroffenen
               wenn das Sehzentrum durch den Schlaganfall geschä-        mit einbezogen: Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Orien-
               digt wurde. Auch hier gibt es inzwischen rehabilitative   tierung. Auch die Regenerationsmöglichkeiten sind
               Möglichkeiten, durch die der Patient im Umgang da-        unterschiedlich stark ausgeprägt. Manche haben eine
               mit unterstützt wird, also zu kompensieren lernt. Dabei   schwere Hemiparese und brauchen umfangreiche Un-
               kommt auch die Physiotherapie ins Spiel. Der Physio-      terstützung im Alltag, andere haben – bei vielleicht
               therapeut sorgt dann dafür, dass immer die betroffene     ähnlicher Lokalisation – nur eine leichte Handfunk-
               Raumhälfte exploriert wird.                               tionsstörung.

               NV: Können Sie ein Beispiel nennen?                       NV: Das klingt nach sehr viel Aufwand!
               Flachenecker: Zum Beispiel indem der Betroffene           Flachenecker: Ja, aber es lohnt sich!
               dazu animiert wird, immer explizit zu jener Seite zu
               schauen, auf der die Einschränkungen betehen. Dafür       NV: Gibt es viele Beispiele von Menschen – auch mit
               muss der Kopf mitunter etwas weiter zur Seite gedreht     schweren Schlaganfällen und Einschränkungen –
               werden. Das kann man üben. Darüber hinaus arbeiten        die es geschafft haben, ihre Lebensqualität wieder-
               Neuropsychologen auch mit restitutiven Verfahren,         zuerlangen?
               durch Aufmerksamkeitstraining mittels bestimmter          Flachenecker: Ich würde sagen: Die Mehrzahl! Über 90
               Reize, die man im betroffenen Gesichtsfeld setzt.         Prozent der Menschen, die hier in Reha waren, gehen
                                                                         wieder nach Hause! Manche mit Hilfe, aber viele auch
               NV: Welche Methoden kommen zum Einsatz bei                selbstständig. Möglich gemacht hat das natürlich auch
               dieser Exploration?                                       die Etablierung neuer Therapien auf den Stroke Units.
               Flachenecker: Es sind Computerprogramme, bei denen        Die Sterblichkeit ist massiv gesunken. Heute können
               Reize aufblitzen, etwa Muster oder Figuren, und der       viele Schlaganfallpatienten nach der Reha wieder ar-
               Patient muss diese benennen. So versucht man das          beiten, auch Autofahren ist inzwischen verhältnimä-
               Gesichtsfeld zu stimulieren.                              ßig häufig wieder möglich. Tatsächlich gibt es sogar Pa-
                                                                         tienten, die wieder LKW und Bus fahren dürfen. Das
               NV: Könnte der Patient das auch zu Hause üben,            wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen.
               wenn die Rehamaßnahme beendet ist?                        Durch inzwischen viel differenziertere Begutachtungs-
               Flachenecker: Ja, dafür gibt es Programme, die jedoch     leitlinien, die mehr ins Detail gehen, hat sich das ge-
               nicht von den Krankenkassen bezahlt werden. Manche        ändert. Natürlich muss man sehr genau schauen: Was
               Patienten kaufen sich diese selbst, in der Regel kann     war die Ursache für den Schlaganfall, konnte diese be-
               man zu einem Preis von ca. 100 EUR ein vernünftiges       seitigt werden und wie ist das Rezidiv-Risiko?
               Programm erwerben. Aber es gibt auch Modelle auf
               Leihbasis von unterschiedlichen Anbietern.                NV: Die Patienten müssen aber auch selbst etwas tun,
                                                                         richtig? Wie hoch ist die Gefahr nach Beendigung
               NV: Raten Sie den Patienten dazu?                         der Reha, wieder in alte Muster zu verfallen, was
               Flachenecker: Auf jeden Fall weisen wir darauf hin,       ungünstige Lebensstilfaktoren betrifft?
               dass es diese Option gibt. Bevor so ein Programm aber     Flachenecker: Regelmäßige körperliche Aktivität ist
               sinnvoll zum Einsatz kommt, muss eine zielgerichtete      unerlässlich, wenn es um effektive Vorbeugung geht.
               Diagnostik erfolgen. Das ist wesentlich für das Behand-   Leider schlucken viele Menschen lieber täglich eine Ta-
               lungskonzept. Es geht in der Reha nicht darum, das        blette, als sich 30 Minuten zu bewegen. Am schwie-
               Füllhorn der Therapie über den Patienten auszugießen.     rigsten ist dies, wenn es sich um ältere Patienten nach
                                                                         Schlaganfall handelt, die auch vorher nicht gerne ak-

12 > NEUROVISION
Titelthema <

                                                                                                                   chen verflogen. In Hinblick auf den Gangtrainer hieß
                                                                                                                   es am Anfang: Man muss die Leute nur aufs Laufband
                                                                                                                   stellen, dann wird alles gut. Aber so einfach ist es eben
                                                                                                                   nicht. Je nachdem, wie der Patient auf einem Gangtrai-
                                                                                                                   ner fixiert werden muss, kann das sehr aufwändig sein,
                                                                                                                   denn der Patient kann sich weder alleine festschnal-
                                                                                                                   len, noch weiß er, was dann zu tun ist. Den neuesten
                                                                                                                   Leitlinien zufolge ist das Gehen auf der Ebene genau
                                                                                                                   so effektiv, wie auf einem Gangtrainer. Das Gerät al-
                           Bildrecht: Hocoma, Schweiz

                                                                                                                   lein ist es also nicht. Wir merken gerade jetzt, während
                                                                                                                   der Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen,
                                                                                                                   wie wichtig der menschliche Faktor, wie bedeutend
                                                                                                                   Zuwendung ist. Tatsächlich ist ein guter Physiothe-
                                                                                                                   rapeut wichtiger als ein Roboter. Der Physiotherapeut
                                                                                                                   muss sehen, wie der Patient sich bewegt, fühlen, wo
                                                                                                                   die Problemstellen liegen, und ggf. Hand anlegen. Das
                                                        Durch robotikassistierte und computergestütze Therapien    geht eben nur in Einzelsitzungen und übrigens auch
                                                        lassen sich Wiederholungszahlen im Training steigern.      nur face to face. Sonst macht der Patient die Bewe-
                                                        Die ‚Roboter’ geben zudem unmittelbar visuelles
                                                                                                                   gung am Ende irgendwie, aber eben nicht richtig und
                                                        Feedback und können so Wirksamkeit und Effizienz
                                                                                                                   hat später mehr Schmerzen als vorher. Aber komple-
                                                        der Behandlung erhöhen.
                                                                                                                   mentär, als Ergänzung, sind robotergestützte Thera-
                                                                                                                   pien auf jeden Fall sinnvoll und motivierend, und ein
                                                        tiv waren. Die große Frage lautet: Wie bekomme ich         Gangtrainer kann gerade für Schwerbetroffene eine
                                                        die Leute dazu, auch nach der Reha regelmäßig ak-          sehr gute Unterstützung sein. Was die VR-Brillen be-
                                                        tiv zu sein. Wie einige andere Ärzte auch, verordne        trifft, wäre ich vorisichtig. Einem älteren Menschen, der
                                                        ich den Patienten inzwischen Bewegung auf Rezept.          kognitive Störungen hat, kann ich keine VR-Brille auf-
                                                        Ich schreibe dann z.B. auf: fünfmal pro Woche 30 Min.      setzen. Das würde ihn verwirren und unter Umstän-
                                                        Nordic Walking. Die Umsetzung liegt natürlich letzt-       den Schwindel hervorrufen. Man darf auch nicht ver-
                                                        endlich beim Patienten. Manchmal ist das dennoch           gessen: Die Geräte sind teuer und Rehakliniken sind
                                                        ein Anreiz.                                                chronisch unterfinanziert. Gerade jetzt in der Pande-
                                                                                                                   miephase merken wir das noch mehr. Was die Unter-
                                                        NV: Können Apps dabei unterstützen?                        stützung betrifft, wurden die Rehakliniken von der Po-
                                                        Flachenecker: Ja, Apps können den Patienten daran er-      litik offenbar völlig vergessen.
                                                        innern, dass es Zeit für die Bewegungseinheit ist, sie
                                                        können die Schritte zählen und loben. Das kann durch-
                                                        aus motivierend sein.
                                                                                                                      »Wir merken gerade jetzt, wie
                                                                                                                      wichtig der menschliche Faktor,
                                                                                                                      wie bedeutend Zuwendung ist.«

                                                                                                                                                                               Wenn ich weiß,
                                                                                                                                                                               ich sollte 6.000
                                                                                                                                                                               bis 10.000 Schritte
                                                                                                                                                                               am Tag laufen und
                                                                                                                                                                               meine Fitness-App
                                                                                                                                                                               oder Smartwatch
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                                                        NV: Aporopos Technologie: Welche modernen                  NV: Apropos Corona – Kommen weniger Menschen                zeigt erst 3.000 an,
                                                        Technologien kommen am Quellenhof zum Einsatz?             in die Reha, wie wirkt sich das aus?                        dann bleibt immer
                                                                                                                                                                               noch die Frage,
                                                        Gibt es Roboter? VR-Brillen?                               Flachenecker: Tatsächlich kommen weniger Patienten
                                                                                                                                                                               ob man nun noch
                                                        Flachenecker: Ja, Roboter und Software-Programme           zur Reha und für alle Beteiligten ist die Situation auch    einmal eine Runde
                                                        können eine sinnvolle Ergänzung des Therapieange-          in der Rehaklinik schwierig (siehe auch Interview S. 18).   dreht oder lieber
                                                        bots sein. Die anfängliche Euphorie ist jedoch ein biss-   Herr Prof. Flachenecker, vielen Dank für das Gespräch.      zuhause bleibt.

                                                                                                                                                                          NEUROVISION < 13
Titelthema <

       v
               Rehabilitation                                             bei Patienten mit Arm-Hand-Funktionsstörungen zum
               Ziele und Maßnahmen                                        Einsatz. Die Patienten profitieren enorm von diesen Be-
                                                                          wegungstrainern, die sich automatisch an ihre individu-
                                                                          elle Leistungsfähigkeit anpassen.
               In allen therapeutischen Bereichen setzt man sich sys-
               tematisch für den Erhalt und /oder das Wiedererlangen      Mentale Bilder Neben der Möglichkeit, sich bestimmte
               der Lebensqualität und, wenn möglich, für die soziale      Bewegungen auf einem Bildschirm anzusehen, ist
               und berufliche Wiedereingliederung ein.                    auch das Erzeugen mentaler Bilder eine erfolgsver-
                                                                          sprechende ergänzende Option. Dabei wird die eigene
               Ziele der Rehabilitation                                   Vorstellungskraft zur Optimierung von Bewegungen
               > Erhalt oder Verbesserung der funktionellen               eingesetzt. Indem der Patient sich vorstellt, wie er eine
                   Leistungsfähigkeit.                                    Bewegung ausübt, kann die Bewegungskoordination,
               > Förderung der Selbstständigkeit und                      die durch Krankheit oder Verletzung gestört worden ist,
                   persönlichen Bewegungsfreiheit.                        nach und nach wiederhergestellt werden.
               > Erhalt oder Verbesserung der Einbindung
                   in Familie, soziales Umfeld und Beruf.                                Die eigene Vorstellungskraft als Verstärker:
               > Vorbeugung oder Behandlung möglicher                                    Auch Leistungssportler gehen am Tag vor
                   Folgeschäden von bestehenden Symptomen.                               dem Wettkampf häufig im Kopf ihre Be-
                                                                                         wegungen, Strecken, Abläufe durch.
               > Verringerung von Pflegebedürftigkeit und
                   Umfang der erforderlichen Betreuung.
                                                                          Ergotherapie Individuelle Einzeltherapien zielen auf
               Maßnahmen                                                  die Wiedererlangung der Selbstständigkeit. Hierzu ge-
                                                                          hören u.a.: Schulung im Gebrauch notwendig gewor-
                Physiotherapie (Krankengymnastik) dient der Wie-          dener Hilfsmittel, feinmotorische Übungen, Haus-
               derherstellung der Mobilität und Bewegungsfähigkeit.       haltstrainings mit individueller Beurteilung der
               Verloren gegangene Funktionen – ggf. Ersatzfunkti-         Selbstversorgungsfähigkeit u.v.a.
               onen – sollen aufgebaut werden. Koordinations- und
               Gleichgewichtsstörungen, Gehstörungen, Muskelver-                          Logopädie Hier stehen die Bewälti-
               krampfungen sowie Schmerzen an Muskeln und Ge-                            gung von Schluckstörungen sowie die
               lenken, die durch Fehlhaltungen entstehen, sollen                         Sprachtherapie im Fokus.
               gelindert werden. Den Patienten wird zusätzlich ein
               Selbstübungsprogramm vermittelt, auch Bewegungs-            Rekreationstherapie Es werden Impulse zur aktiven
               therapie ist Bestandteil der Physiotherapie.               Freizeitgestaltung und zur Wiederaufnahme von Ak-
                                                                          tivitäten gegeben, die der Erholung und einem kom-
                Moderne Technik Ergänzend dazu hat sich das Ar-           munikativen Miteinander dienen und sozialer Isolation
               beiten auf einem Laufband oder mit einem Gangtrainer       entgegenwirken. Auch Schmerzlinderung, Mobilisie-
               bewährt. „Die Vielfalt auf dem Markt ist groß, die An-     rung und Steigerung der Bewegungsaktivität, Koordi-
               schaffungskosten sind hoch“, sagt Prof. Flachenecker. Im   nationstraining zur Sturzvorbeugung und Ernährungs-
               Quellenhof arbeiten Therapeuten mit dem LokoHelp®,         beratung gehören dazu.
               einem elektromechanischen Gangtrainer, der auf dem
               „Endeffektor“-Prinzip basiert. Die mechanische Unter-       Neuropsychologie Bei kognitiven Problemen, wie Stö-
               stützung für Stand- und Spielbeinphase erfolgt an den      rungen von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzen-
               Füßen als letztem Glied der kinematischen Kette. Der       tration, bei eingeschränktem Sprachverständnis sowie
               Patient soll nicht passiv bewegt werden, sondern mög-      Problemen mit räumlichem und visuellem Erkennen,
               lichst aktiv mitarbeiten. Knie- und Hüftstreckung sol-     Planen und Handeln, wird hier z.B. die Aufmerksam-
               len idealerweise vom Patienten selbst kontrolliert wer-    keit und Konzentration trainiert. Mithilfe von Kogni-
               den. In Kombination mit einem Therapie-Laufband            tionsübungen lassen sich Defizite ausgleichen und
               und der Gewichtsentlastung bieten Gangtrainer wie der      Kompensationsstrategien entwickelt.
               LokoHelp eine hohe Flexibilität in der Lokomotions-
               therapie und können für unterschiedliche Krankheits-        Psychotherapie Hier geht es um die Verarbeitung der
               bilder eingesetzt werden. Weitere roboter- und com-        Diagnose sowie Unterstützung bei emotionalen Stö-
               putergestützte Therapieverfahren kommen erfolgreich        rungen oder Depressionen.

14 > NEUROVISION
PLASMA                  BIOPHARMA                            LEBEN
                                                    Blutplasma gewinnen      Plasmapräparate entwickeln          Leben erleichtern
                                                    und Qualität sichern.          und herstellen.                  und retten!
Kedrion ImageAD/D-AT/Version 2 – 27th August 2020

                                                                               Kedrion Biopharma GmbH
                                                                            Bahnhofstraße 96, 82166 Gräfelfing
                                                                                    www.kedrion.de
Wiederherstellen,
                         aufbauen, stabilisieren:
                         Reha-Maßnahmen
                         bei MS
©iStockphoto/andresr

                                      Sie ist ein wichtiger Bestandteil der MS-Therapie und        bei einem anderen gelegentliche Gehschwierigkeiten
                                      eine sinnvolle sowie wirksame Ergänzung zur medi-            hinzu oder eine immer wieder auftretende bleierne Mü-
                                      kamentösen Behandlung: die Rehabilitation. Die hier          digkeit (Fatigue). Wieder andere haben Probleme mit
                                      zum Einsatz kommenden Maßnahmen aus der Phy-                 der Konzentration oder Merkfähigkeit und leiden im
                                      sio- und Ergotherapie, der Logopädie und Neuropsy-           Job unter Aufmerksamkeitsdefiziten. Schlimmstenfalls
                                      chologie unterstützen auf vielfältige Weise.                 muss sich der MS-Betroffene immer wieder rechtferti-
                                                                                                   gen. Denn was ein Außenstehender nicht sehen kann,
                                      Multiple Sklerose ist zwar nicht heilbar, aber – durch die   ist zunächst einmal nicht vorhanden. Wer MS hat, steht
                                      zahlreichen unterschiedlichen Therapieoptionen, die in-      dann manchmal vor der Frage, ob er dem verständnis-
                                      zwischen zur Verfügung stehen – eine Erkrankung, mit         losen Kollegen nicht doch von der chronischen Erkran-
                                      der sich in vielen Fällen gut leben lässt. Einem großen      kung erzählt, die ihm eben hin und wieder zu schaffen
                                      Teil der Patienten sieht man die MS nicht auf Anhieb an.     macht. Oder ob sich möglicherweise eine Reha-Maß-
                                      Und genau da liegt häufig ein Problem. Viele Symptome         nahme lohnen würde. „Eine hervorragende Möglicheit,
                                      sind für Außenstehende unsichtbar, für den Betroffenen       die sich“ – wie Prof. Dr. Peter Flachenecker findet – „fast
                                      aber durchaus zu spüren. Je nachdem, welcher Bereich         immer lohnt, leider aber viel zu selten in Anspruch ge-
                                      des ZNS betroffen ist, kann eine MS sich individuell         nommen wird.“
                                      sehr unterschiedlich auswirken. Während ein Betrof-          Im nachfolgenden Interview beantwortet der Chefarzt
                                      fener vielleicht „nur“ das sogenannte Ameisenlaufen –        des Neurologischen Reha-Zentrums Quellenhof in Bad
                                      das Kribbeln in den Extremitäten – verspürt, kommen          Wildbad Fragen zum Thema Reha bei MS.

                       16 > NEUROVISION
Titelthema <

Der Quellenhof war eine der ersten Spezialkliniken                      wie gut es gewesen wäre, hätten sie dies früher in An-
für Multiple Sklerose, die seit 2005 das Zertifikat des                 spruch genommen. Reha bringt immer etwas!
DMSG-Bundesverbandes als anerkanntes MS-Rehabi-
litationszentrum tragen. 1996 als Neurologisches Reha-                  NV: Rehafähigkeit bedeutet aber auch, dass der
bilitationszentrum mit Schwerpunkt Multiple Sklerose                    oder die Betroffene motiviert sein muss, oder?
eröffnet, hat das Zentrum in Bad Wildbad mit dazu bei-                  Flachenecker: Ja, das ist richtig. Eine Reha ist keine
getragen, MS-Erkrankten in Baden-Württemberg und                        Kur! Ich sage immer das hier ist eher ein Trainingslager.
ganz Deutschland eine optimale Rehabilitationsbe-                       Die allermeisten, die zu uns in den Quellenhof kom-
handlung in einer auf ihre Erkrankung spezialisierten                   men, wissen das aber und machen gut mit.
Klinik bieten zu können. Im Quellenhof werden kör-
perliche, aber auch psychische Symptome neurolo-                        NV: Sie sagen, dass auch jüngere MS-Patienten profi-
gischer Erkrankungen behandelt und Wege aufgezeigt,                     tieren. Wann würden Sie jungen Menschen mit MS ei-
um nach einer Diagnose wieder auf die Beine zu kom-                     nen Aufenthalt in der Reha-Klinik empfehlen? Wann ist
men. Mittlerweile nimmt der Quellenhof weit über die                    ein junger MS-Patient rehabedürftig?
Grenzen Baden-Württembergs hinaus eine herausra-                        Flachenecker: Was die Rehabedürftigkeit angeht, sehen
gende Rolle in der Rehabilitation nicht nur der Multi-                  wir das häufig schon bei der Diagnosestellung als ge-
plen Sklerose, sondern auch anderer neurologischer                      geben. Die Ärzte in der Klinik und auch im niedergelas-
Erkrankungen wie beispielsweise nach einem Schlag-                      senen Bereich haben oft gar nicht die Zeit, den Patienten
anfall ein.                                                             umfassend über das sehr komplexe Krankheitsbild und
                                                                        die immer komplexer werdenden Behandlungsmög-
                                                                        lichkeiten umfassend aufzuklären. Genau das aber kann
    INTERVIEW                                                           die Reha leisten.

   ::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::   NV: Gibt es Programme für junge Patienten?
   »Reha ist in jedem Alter sinnvoll!«                                  Flachenecker: Es gibt seit einigen Jahren ein Programm,
                                                                        das sich REMUS nennt und das sich zur Aufgabe ge-
   Prof. Dr. Peter Flachenecker                                         macht hat, junge und neuerkrankte MS-Betroffene über
   Facharzt für Neurologie, Chefarzt                                    die Krankheit zu informieren. Denn wenn ich über etwas
   am Neurologischen Rehazentrum                                        gut informiert bin, kann ich damit viel besser umgehen.
   Quellenhof in Bad Wildbad                                            Aber auch um Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen
                                                                        und natürlich auch, wenn psychische Probleme da sind:
                                                                        Eine MS-Diagnose nimmt ja niemand mal eben so auf
                                                                        die leichte Schulter. Dann muss natürlich auch die psy-
NV: Herr Professor Flachenecker, Sie sagen, MS-Pa-                      chische Stabilisierung in Angriff genommen werden,
tienten nähmen viel zu selten Reha-Maßnahmen in                         und auch hier ist Reha hilfreich.
Anspruch…
Flachenecker: Die Deutsche Rentenversicherung ha-                       NV: Wie findet man als MS-Patient das richtige
tin einem Forschungsprojekt versucht herauszufin-                       Reha-Zentrum?
den, warum verhältnismäßig wenige MS-Patienten                          Flachenecker: Jeder MS-Patient braucht MS-spezifische
eine Reha beantragen. Die Gründe dafür sind vielfältig.                 Reha! Es gibt in Deutschland rund 20 von der DMSG an-
Einer davon scheint in der mangelnden Information zu                    erkannte MS-Reha-Zentren, in denen zum einen eine
liegen. Auf allen Seiten. Für den Arzt ist der Antrag zu-               hinreichende Expertise vorliegt und zum anderen auch
nächst mit einigem Aufwand und dem Ausfüllen vie-                       eine ausreichend hohe Anzahl von MS-Patienten be-
ler Formulare verbunden. Der Patient seinerseits muss                   handelt wird. Das ist deshalb wichtig, weil auch der
da wirklich hinterher sein. Tatsächlich scheint sich das                Austausch der Patienten untereinander eine große Rolle
aber ganz langsam zu verbessern. Auch in den Leitli-                    spielt. Die Betroffenen können voneinander lernen und
nien ist inzwischen vermerkt, welche Bedutung die                       wenn jüngere Patienten sehen, dass es Patienten gibt,
Reha hat. Manchmal haben die Patienten aber auch                        die bereits länger mit der Krankheit leben und einen gu-
ganz falsche Vorstellungen. Insbesondere die jüngeren                   ten Weg gefunden haben, damit umzugehen, wirkt sich
unter ihnen denken: „Ich bin doch noch gar nicht so-                    das positiv aus. Wenn ein MS-Patient einem anderen
weit, in der Reha sind ja nur die schwer Betroffenen.“                  davon erzählt, ist das wesentlich wertvoller, als wenn
Die meisten, die dann oft sehr spät kommen, sehen,                      ich mich hinstelle und dasselbe erzähle.

                                                                                                                               NEUROVISION < 17
Titelthema <

                                                                           NV: Ihr Chefphysiotherapeut Klaus Gusowski hat in
                                       REMUS
                                                                           einem Interview gesagt: „Das Problem ist, dass die
                                                                           Ärzte häufig gar nicht ganz genau wissen, was wir in
                   Durch strukturierte Schulungsangebote und Be-           der Therapie eigentlich machen, sollen diese aber ver-
                   ratungen sollen Patienten frühzeitig auf zu erwar-      ordnen. Wenn man sieht, was ein Arzt in seinem Stu-
                   tende Schwierigkeiten vorbereitet werden, um            dium zu Logopädie, Physio- und Ergotherapie lernt,
                   langfristig eine möglichst hohe Lebensqualität zu       ist das verschwindend gering. Für Ärzte sind unsere
                   erhalten. Remus ist ein Schulungsprogramm, das          Fachbereiche häufig eine Blackbox. Wünschenswert
                   im Rahmen der Reha zum Einsatz kommt. Mit               wäre mehr Zusammenarbeit.“
                   dem Ziel, eine Verbesserung der Krankheitsbewäl-        Flachenecker: Ja, leider hat sich da auch bisher noch
                   tigung zu ermöglichen. Angestrebt wird die größt-       nicht viel getan. An der Uni Würzburg zum Beispiel,
                   mögliche Autonomie des Patienten. Dieser soll so        gibt es in einem Semester eine einzige Ringvorlesung
                   beraten werden, dass er in der Lage ist, seine The-     zur Rehabilitation - mehr hören die Medizinstudie-
                   rapie aktiv mitzugestalten und eigene Therapieent-      renden während ihres ganzen Studiums nicht davon.
                   scheidungen selbst treffen zu können (Aktivität         Dabei ist die gegenseitige Kenntnis wichtig. Deshalb
                   versus Passivität). Um einen guten Transfer in den      habe ich auch schon Fortbildungsveranstaltungen für
                   Alltag zu gewährleisten, beinhalten die Schulungen      Ärzte und Physiotherapeuten organisiert, auf denen
                   Informationsveranstaltungen, die durch Eigener-         beide Berufsgruppen zu Wort kommen. Anfangs wa-
                   fahrung in Gesprächs- und Arbeitsgruppen mit            ren beide Gruppen gleichermaßen skeptisch. Im An-
                   Hilfe von praktischen Übungen ergänzt werden.           schluss aber gab es viel Begeisterung über den guten
                   Weitere Informationen:                                  Austausch. Am Ende scheitert es aber immer an der
                   www.sana.de/quellenhof-wildbad/medizin-pflege/           Zeit. Jede Berufsgruppe hat ihre eigenen Fortbildungen,
                   multiple-sklerose/remus-konzept                         es ist nicht vorgesehen, dass beide mehr miteinander
                                                                           reden. Wichtig wäre es trotzdem. Ein gutes Beispiel ist
                                                                           die Behandlung der Spastik: Bevor der Arzt dem Pa-
                                                                           tienten Medikamente gegen die Spastik verschreibt,
                                                                           sollte er eigentlich Rücksprache mit dem Physiothe-
               NV: Wobei das mit dem Austausch – vor dem Hinter-           rapeuten halten. Warum? Weil die Medikamente Ne-
               grund der Pandemie – sicherlich schwierig ist, oder?        benwirkungen haben, die sich unter Umständen kon-
               Flachenecker: Ja, leider. Aufgrund der coronabedingten      traproduktiv auf die Physiotherapie auswirken. Etwa
               Infektionsmaßnahmen liegt vieles brach. Insbesondere        dann, wenn nicht nur die Spastik verringert, sondern
               was den Austausch betrifft, haben wir einen ganz we-        gleichzeitig eine Schwäche produziert wird.
               sentlichen Faktor schließen müssen: den Speisesaal.
               Das ist sonst der Ort, an dem die Menschen zusam-
               menkommen. Viele bedauern das und sagen jetzt: Ich
               komme nicht, weil das Miteinander fehlt. Das zerstört
               schon ein wenig unser Konzept. Aber nicht nur der
               Austausch zwischen den Patienten, auch jener zwi-
               schen Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften sowie
               der Kontakt zum Patienten ist schwieriger geworden.
               Das Aufeinanderzugehen mit Mund-Nasen-Schutz, die
               Vermeidung von Berührung, wo immer es nicht un-
               bedingt erforderlich ist – das alles passt nicht so rich-
               tig zu unserem Reha-Konzept.

                    »Die gute Rehalandschaft, die
                                                                                                                                     ©iStockphoto/mathisworks

                    wir in Deutschland hatten, wird
                   möglicherweise nach der Corona-
                   Krise nicht mehr so aussehen wie
                           jetzt.« Peter Flachenecker

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