NEUROVISION - Floriani Apotheke
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NEUROVISION NEUROLOGIE VERSTEHEN JANUAR 21 JAHRGANG 16 REHA ERFOLGREICH, ZIEL ERREICHT Maßgeschneiderte Rehamaßnahmen nach Schlaganfall und bei MS ©iStockphoto/masterzphotois MS WELT> BDiagnostik: Neurofilamente (NfL) als möglicher neuer Biomarker NEURO WELT> Optische Kohärenztomographie: Die Netzhaut – das Fenster zum Gehirn
Ihre Apotheke < floriani apotheke Wichmannstraße 4 / Haus 9 22607 Hamburg Öffnungszeiten mo – fr 8.00 – 18.00 Uhr Telefon gebührenfrei tel 0800 – 56 00 943 fax 040 – 822 28 65 17 e-mail service@floriani-apotheke.de web www.floriani-apotheke.de ihre-medikamente bequem per versand bestellen sie bei der floriani apotheke ihrem ms-partner Daniel Olek, leitender Apotheker: „Unser geschultes Team berät Sie gern.“ Einfach und bequem Ihre benötigten Besuchen Sie uns. Vor Ort in der und so einfach funktioniert es Medikamente liefern lassen und Wichmannstraße oder auf unserer zwar dorthin, wo Sie die Lieferung website. → Sie senden Ihr Rezept im Frei- entgegennehmen können: das macht umschlag an die Floriani Apotheke. die Floriani Versand-Apotheke für → Ein Apotheker prüft die Verordnung Sie möglich! Dabei fallen nicht mal und gleicht diese mit dem Gesundheits- Portokosten an – denn für Ihre Rezept- fragebogen ab, den Sie einmalig (nur einsendung bekommen Sie von uns bei der ersten Bestellung) ausgefüllt an Rückumschläge und für Ihre Bestellung die Floriani Apotheke geschickt haben, auf Rezept zahlen Sie bei der Floriani um mögliche Wechselwirkungen Apotheke weder Porto- noch auszuschließen. Verpackungskosten. → Ihre Arzneien werden von einem Und keine Sorge, dass Sie lange auf Apotheker zusammengestellt und Ihre Medikamente warten müssen – versandfertig gemacht. Durch ein vali- jede Bestellung wird innerhalb von diertes Verfahren ist die Kühlung, bzw. 24-48 Stunden nicht nur bearbeitet, Unter www.floriani-apotheke.de die optimale Temperatur während des sondern auch auf den Weg zu Ihnen finden Sie neben aktuellen Tipps Versandes gewährleistet." gebracht. Denn wir – als Ihr MS- und Angeboten auch unsere Flyer, MS-Medikamente werden grundsätzlich Partner – haben alle Medikamente das MS-Welt-Archiv sowie die per Express versendet und am Folgetag, für Sie auf Lager. aktuelle NEUROVISION zum vor 12 Uhr, zugestellt. kostenlosen Download. Das kompetente Team rund um Daniel Für weitere Fragen steht Ihnen unser Olek berät Sie gern. Bei allen Fragen zu Profitieren Sie von der Team von Apothekern und pharma- MS, aber auch in Bezug auf alle anderen → Einfachheit zeutisch-technischen Assistenten zur medizinischen Bereiche. → Schnelligkeit Verfügung: unter der gebührenfreien → Bequemlichkeit Servicenummer unseres praktischen 0800 – 56 00 943 „Nach-Hause-Liefer-Dienstes“! die aktuelle ausgabe der „neurovision“ erhalten sie automatisch und kostenlos mit ihrem paket.
Inhaltsverzeichnis < Mit Reha zurück ins Leben 06 – 22 Titelthema Schlucken, sprechen, sich aus eigener Kraft bewegen, Rehamaßnahmen nach Schlaganfall und bei MS den Alltag bewältigen – für die meisten von uns ist das Nach einem Schlaganfall besteht häufig Rehabedürftigkeit selbstverständlich. Jedenfalls solange, bis eine oder und die allermeisten Patienten profitieren enorm. auch mehrere dieser Fähigkeiten verloren gehen oder Interview mit Prof. Peter Flachenecker, Facharzt für sich wesentlich verschlechtern. Zum Beispiel durch Neurologie, Chefarzt am Neurologischen Rehazentrum eine fortschreitende chronische Erkrankung oder einen Quellenhof in Bad Wildbad Schlaganfall. Nach einem Schlaganfall sind Betroffene von heute auf Rehabilitation – Ziele und Maßnahmen morgen manchmal nicht mehr in der Lage, ihren Alltag Welche Maßnahmen kommen in der neurologischen Reha alleine zu bewältigen. Grundlegende Fähigkeiten zum Einsatz und was können sie leisten? Ein Überblick. müssen wieder neu erlernt werden. Das ist oft harte Arbeit, aber es geht. Meistens jedenfalls und mit der Wiederherstellen, aufbauen, stabilisieren: richtigen Hilfe. Zielgerichtet und individuell, unter In der MS-Therapie ist die Rehabilitation wichtiger Berücksichtigung zahlreicher unterschiedlicher Fak- Bestandteil und wirksame Ergänzung zur medikamentösen toren. Am besten in einem neurologischen Reha-Zen- Behandlung. In jedem Alter. trum. Mit dem Ziel, Behinderung oder Pflegebedürf- Interview mit Prof. Peter Flachenecker, Quellenhof tigkeit abzuwenden, sowie schwerwiegende Folgen in Bad Wildbad abzumildern. Prof. Peter Flachenecker vom Quellenhof in Bad Wildbad ist überzeugt: „Reha bringt immer was!“ Die Neurovision sprach mit dem Mediziner über neu- 24 – 35 rologische Reha nach Schlaganfall und bei MS. Neurowelt Vielversprechende Aussichten in Hinblick auf Diagnostik OCT: Ein Blick durch die Netzhaut und Verlaufskontrolle verbinden sich mit der Anwen- Die optische Kohärenztomographie (OCT) ermöglicht dung der OCT (Optische Kohärenztomographie). Noch einen genauen Blick auf neurodegenerative Erkrankungen. ist die relativ unkomplizierte und nicht-invasive Interview mit Dr. Klaus Gehring, Facharzt für Neurologie, Methode im klinischen Alltag unterrepräsentiert. Als Psychiatrie und Psychotherapie, Itzehoe Marker für die Überprüfung des Therapieerfolges wird sie aber diskutiert und verspricht, Dr. Klaus Gehring zufolge, wertvolle Ergebnisse. Gute Nachrichten also, 36 – 38 die gerade in diesen Zeiten besonders wichtig sind. Auf weitere gute Nachrichten – insbesondere in Hinblick MS-Welt auf das Coronavirus – warten wir alle und hoffen auf Frühere Diagnose und verlässlichere Prognose das Jahr 2021, für das ich Ihnen jetzt alles Gute wünsche. durch Neurofilamente (NfL)? Bleiben Sie zuversichtlich! Als Biomarker, mit deren Hilfe sich das Ausmaß eines Nervenschadens bestimmen lässt, sind (NfL) im Fokus Ihre Tanja Fuchs der Forschung. 01 Editorial und Inhaltsverzeichnis 02 – 04 News 40 Gehirnjogging 41 Glossar 44 Vorschau, Impressum und Rätselauflösung NEUROVISION < 1
News < Kognition Morbus Alzheimer: AUFRUF ZUR ZULASSUNG VON ADUCA- STUDIENTEILNAHME NUMAB DURCH EXTERNE Das neurokognitive Kompetenzzentrum COGITO verknüpft Forschung FDA-BERATER ABGELEHNT und klinisch–therapeutische Anwendung und ist eingebettet in einen Die Hoffnungen, die auf dem Antikörper Aduca- Kontext aus verschiedenen Disziplinen (u.a. Neurologie, Neurochirurgie, numab ruhten, waren groß. Denn im Frühjahr 2021 Psychiatrie, Psychologie, Radiologie, Allgemeinmedizin) und Einrichtun- hätte in den USA nach 17 Jahren erstmals ein neues gen (u.a. Unikliniken, Rehakliniken, ärztliche Praxen). Gegründet Medikament zur Behandlung des Morbus Alzheimer von Prof. Dr. Dipl. Psych. Iris-Katharina Penner, werden dort Forschung zugelassen werden können. und Entwicklung, Diagnostik, kognitive Therapien und Beratungen Aducanumab gehört zu einer Reihe von allesamt in durchgeführt. klinischen Studien gescheiterten Antikörpern, die an das als toxisch eingestufte Beta-Amyloid im Gehirn binden und dadurch ein Fortschreiten der Erkrankung aufhalten sollen. Dieser Behandlungsansatz ist in den letzten Jahren wiederholt gescheitert. Aktuell sucht das COGITO Zentrum Teilnehmer Auch die klinischen Studien, die zu dem Antikör- für die folgenden Studien: per Aducanumab durchgeführt wurden, hatten die Erwartungen zunächst nicht erfüllt, und im März Fit im Kopf? Stellen Sie Ihre geistige Leistungsfähigkeit letzten Jahres wurde bekannt, dass Aducanumab in bei uns auf die Probe! den beiden zulassungsrelevanten Phase-3-Studien Neuropsychologische Studie zur Erfassung kognitiver Leistungen das Ziel, das Fortschreiten der Demenz aufzuhalten, bei gesunden Probanden nicht mehr erreichen könnte. Im Oktober letzten Jahres folgte – nach der Auswertung weiterer Daten – Diese Studie richtet sich an Männer und Frauen zwischen 18 und 79 die überraschende Kehrtwende: In einer der Studien Jahren ohne Erkrankungen der Psyche oder des Nervensystems. Ziel sei es nun zu einer signifikanten Verbesserung im der Studie ist es, mithilfe dieser Ergebnisse die Anwendbarkeit der Vergleich zu Placebo gekommen. Aber – so wurde Testverfahren im klinischen Alltag und in der Patientenversorgung Ende 2020 berichtet: Zehn von elf externen Gutach- zukünftig zu erleichtern. tern sehen in den vorgelegten Forschungsergebnis- sen keinen „primären Beweis für die Wirksamkeit Studie für Patienten mit progredienter Multipler Sklerose von Aducanumab bei der Behandlung der Alzhei- mer-Krankheit“. Die FDA ist nicht an das Votum der Diese Studie richtet sich an Patienten mit progredienter MS (gesicherte externen Gutachter gebunden. „Angesichts der fast Diagnose einer sekundär progredienten MS oder primär progredienten einhelligen Ablehnung dürfte es allerdings schwer MS). Dabei soll die Wirksamkeit von nicht-medikamentösen kognitiven werden, am 7. März einer Zulassung zuzustimmen. Therapieansätzen verglichen werden. Es handelt sich um gruppenthe- Bei einer Ablehnung steht der Hersteller vor der Wahl, rapeutische Sitzungen – die aktuell digital durchgeführt werden – zum weitere Studien durchzuführen oder wie andere Her- Teil in Kombination mit einem computerbasierten Trainingsprogramm steller die klinische Entwicklung einzustellen“, heißt oder einer Einführung in fokussierte Entspannungstechniken, über 3 es in einem Artikel aus dem Ärzteblatt. bis 4 Wochen hinweg. Vor und nach dem Training erfolgt jeweils eine Quelle: © rme/aerzteblatt.de; www.aerzteblatt.de/nachrichten/118170/Mor- neuropsychologische Untersuchung. bus-Alzheimer-Externe-FDA-Berater-lehnen-Zulassung-von-Aducanumab-ab Interessenten werden gebeten, sich per Email unter Angabe der Kontaktdaten und dem Betreff „Normierung“ zu melden: studien@cogito-center.com oder eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen tel 0211- 542 556 15 2 > NEUROVISION
News < Schlaganfall Myasthenia gravis URSACHEN FÜR SMALL VESSEL LAUFENDE IMMUNTHERAPIE ©iStockphoto/Ugreen DISEASES FRÜHER ENTTARNEN NICHT AUS ANGST VOR COVID-19 ABBRECHEN Aktuell publizierte Registerdaten zeigen zwar, dass Myasthenia gravis-Patientinnen und -Patienten bei einer Infektion mit SARS-CoV 2 eine erhöhte Sterblich- keitsrate haben. Diese vorläufigen Ergebnisse könnten aber einem Reporting-Bias – also einer Verzerrung – geschuldet sein, da oft vor allem jene Fälle in Register eingepflegt werden, die nicht problemlos verlaufen. Keinesfalls sollten die Betroffenen aus Sorge vor schweren Verläufen eine effektive Immuntherapie abbrechen. Es gebe derzeit keine ausreichende Begrün- dung dafür, dass eine Immuntherapie per se zu einer höheren COVID-19-Sterblichkeit (oder auch Empfäng- lichkeit) führe, das Absetzen hingegen könne die Myasthenie verschlechtern und zu schweren Komplika- tionen führen, heißt es in einer Pressemitteilung der DGN. „In jedem Fall sollten Myasthenia gravis- Hat ein junger Mensch einen Schlaganfall, kann eine so genannte Patienten die immunsuppressive Therapie nicht aus monogenetische Small Vessel Disease (SVD) dahinterstecken, eine Angst vor schweren COVID-19-Verläufen abbrechen, Erkrankung der kleinen Gefäße im Gehirn. Auch wenn sie nur spora- sondern stattdessen alles daran setzen, sich vor einer disch auftreten, gelten die SVDs als die häufigste monogenetische Ansteckung mit SARS-CoV-2- zu schützen“, so DGN- Schlaganfallursache. Die Auslöser dieser zerebralen Mikroangio- Generalsekretär Prof. Peter Berlit. pathien, die mithilfe der Kernspintomographie immer leichter und Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: www.dgn.org damit häufiger diagnostiziert werden können, liegen allerdings noch weitgehend im Dunkeln. Eine Ausnahme ist die 1996 im Gen NOTCH3 gefundene Mutation CADASIL (Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy). Multiple Sklerose Der Entdeckung weiterer Gene, die die SVD auslösen, gilt seit Jahren das Forschungsinteresse – wobei das SVD-Spektrum ebenso groß ist, WIE WIRKSAM SIND MEDIKA- wie die Herausforderung, sie zu diagnostizieren und zu behandeln. MENTE GEGEN MÜDIGKEIT? Die European Academy of Neurology hat deshalb eine Expertengruppe Methylphenidat, Modafinil und Amantadin sind aus Genetikern, Neurologen und Patientenvertretern beauftragt, in häufig verschriebene Medikamente zur Linderung von einer Leitlinine darzustellen, welche „Red Flags“ den Verdacht auf Müdigkeit bei Multipler Sklerose. Die Beweise für ihre eine monogenetische SVD lenken könnten. In dem im März online Wirksamkeit sind jedoch spärlich und widersprüchlich. veröffentlichen Konsensuspapier werden eine einschlägige Familien- Ziel einer online vorab veröffentlichten Studie war es, anamnese, ein junges Erkrankungsalter, charakteristische Neuro-Bild- die Wirksamkeit der drei Medikamente untereinander, gebungsbefunde (z. B. frontotemporale Läsionen bei CADASIL), extra- und mit Placebo bei Patienten mit Multipler Sklerose- zerebrale und/oder systemische Begleitsymptome und ein typischer Müdigkeit zu vergleichen. Ergebnis: Amantadin, klinischer Phänotyp (z. B. Alopezie (Haarausfall) und Rückenprobleme Modafinil und Methylphenidat waren Placebo bei bei CADASIL) genannt. Grundsätzlich empfehlen die Autoren, das der Verbesserung der Müdigkeit bei Multipler Sklerose erhöhte vaskuläre Risiko bei den betroffenen Patienten verstärkt im nicht überlegen und verursachten häufigere uner- Auge zu behalten und u.a. mit gesunder Ernährung, Rauchverzicht wünschte Ereignisse. und körperlicher Aktivität gegenzusteuern. Außerdem sollten die Quelle: Lancet Neurol. 2020 Nov 23;S1474-4422(20)30354-9. doi: 10.1016/S1474- Patienten jährlich nachuntersucht werden. 4422(20)30354-9. Online ahead of print. “Safety and efficacy of amantadine, modafinil, and methylphenidate for fatigue in multiple sclerosis: a randomised, Quelle: https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/small-vessel-diseases- placebo-controlled, crossover, double-blind trial” abgerufen auf: als-ursache-fuer-schlaganfall-enttarnen/ https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33242419/ NEUROVISION < 3
News < Multiple Sklerose WELCHE MEDIKAMENTE SOLLTEN BEI CORONA ABGESETZT WERDEN? ©iStockphoto/Jian Fan Welchen Einfluss Immunmodulatoren und -suppressiva auf für schwere COVID-19-Verläufe. Bei einer stabilen Erkrankung das SARS-CoV-2-Infektionsrisiko und den COVID-19-Krankheits- empfehle man deshalb, so Professor Meuth, mit der nächsten verlauf haben, wird seit Beginn der Pandemie von Experten Infusion zu warten, insbesondere wenn der B-Zell-Status diskutiert. Hilfestellung soll die im August erschienene S1- niedrig sei. Gleiches gelte für Cladribin. In jedem Fall sollten Leitlinie „Neurologische Manifestationen bei COVID-19“ geben. diese Arzneien während einer Infektion ausgesetzt werden. Kein erhöhtes Risiko besteht danach bei Immunmodulatoren – im Gegenteil: Möglicherweise werde dadurch eine über- Die Behandlung mit Fingolimod, Siponimod und Natalizumab schießende Immunreaktion mit einem gewebeschädigenden könne dagegen im Fall einer Infektion weiterführt werden, Zytokinsturm vermieden, so Professor Sven Meuth von der hier sei laut Leitlinie höchstens eine Zyklusverzögerung zu Universität Düsseldorf beim virtuellen DGN-Kongress. Fingo- erwägen. Keine Einschränkungen, weder außerhalb noch limod und der Komplement-Hemmer Eculizumab würden während einer Infektion, gibt es bei Interferonen und Glatira- derzeit in Studien sogar bei schweren COVID-19-Verläufen meracetat. Gleiches gilt für Tocilizumab, Satralizumab ohne Autoimmunerkrankungen geprüft. und Eculizumab, die bei Neuromyelitis-optica-Spektrum- Erkrankungen eingesetzt werden. Behandlungen mit klassischen Immunsuppressiva wie Azathi- oprin und Methotrexat sollen der Leitlinie zufolge fortgesetzt Zu Überdenken sei Professor Meuth zufolge, allerdings und nur im Falle einer Infektion vorübergehend unterbrochen sowohl die Stoßtherapie als auch die Dauerbehandlung mit werden. Dies wird auch bei Cyclophosphamid und Mitoxan- Glukokortikoiden. Während bei einem akuten Schub das tron empfohlen. Therapien mit Teriflunomid, Dimethylfumarat Kortikoid gegeben werden solle, könne man bei stabilen und Mycophenolat-Mofetil können dagegen, so lange keine Patienten, die wiederkehrende Kortisonpulse erhielten, den ausgeprägte Lymphopenie (eine Verminderung der Lympho- Zyklus verzögern. Bei einer Infektion empfiehlt die Leitlinie zytenzahl im Blut) vorliegt, auch während einer Infektion eine Reduktion oder das Aussetzen der Dosis. Eine Plasma- fortgeführt werden. pherese und auch eine Behandung mit intravenösem Immun- globulin (IVIG) können dagegen auch während einer Infektion Mehr Vorsicht ist allerdings bei immundepletierenden The- fortgeführt werden, hier sei allenfalls eine Zyklusverlängerung rapien geboten: Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es unter zu erwägen. Lymphozyten-depletierenden Antikörpern, vor allem Rituxi- Quelle: https://www.springermedizin.de/dgn-kongress-2020/covid-19/welche-ms- mab, ein im Vergleich zu Basistherapeutika erhöhtes Risiko medikamente-bei-corona-abgesetzt-werden-sollten/18597444 4 > NEUROVISION
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Reha nach Schlaganfall ©iStockphoto/Milan Marjanovic Nach einem Schlaganfall ist meist nichts Die gute Nachricht: Die Prognosen haben sich signifi- mehr, wie es war. Bewegungseinschrän- kant verbessert, die Sterblichkeit ist massiv gesunken. kungen, Sprach- oder Sprechstörungen, Ein weiterer bedeutender Schritt – nach erfolgter kognitive und komplexe neuropsychologische Behandlung in der Stroke Unit, ist die Rehabilita- Defizite – die Liste der möglichen Folgen nach tion. Und auch diesbezüglich gibt es gute Nach- einem Schlaganfall ist lang. Sie können das richten: Die Mehrzahl der Menschen, die eine Reha Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen. machen, können wieder in ihren Alltag zurück- kehren, oftmals sogar wieder ihren Beruf ausüben. Denn: Mit systematischen und ganzheitlichen Reha- Wie schwerwiegend die Folgen eines Schlaganfalls Maßnahmen, lassen sich die Folgen eines Schlagan- sind, ist von vielen Faktoren abhängig. Die wichtigste falls erheblich lindern. Vorausgesetzt, der Patient ist Maßnahme bei Verdacht auf einen sogenannten bereit, mitzumachen. „Ein Aufenthalt in einer Rehakli- Hirnschlag, ist immer schnelles Handeln. Auch das nik ist harte Arbeit, die oftmals als anstrengend empfun- frühzeitige Erkennen und Minimieren von Risikofak- den wird und nicht zu verwechseln mit einer Kur!“, sagt toren ist von Bedeutung. Über beides berichteten wir Prof. Peter Flachenecker. Manchmal müssten die Pati- in der letzten Ausgabe der Neurovision*. enten ganz gewöhnliche Alltagsfähigkeiten neu erler- 6 > NEUROVISION
Titelthema < len eine Rolle. Rehabilitation will nicht nur Funktions- störungen behandeln, sondern dem ganzen Menschen helfen. Dauerhaft kann dies, wie gesagt, nur gelingen, wenn der Patient selbst aktiv mitmacht. Während und nach der Reha. Die Angehörigen In einigen Rehazentren werden auch die Angehörigen ©iStockphoto/stockdevil aktiv mit einbezogen. „Ein enger Kontakt zu den An- gehörigen neurologisch Erkrankter ist eine wichtige Vo- raussetzung für den Rehabilitationserfolg. Die Erfahrung zeigt, dass dieser Gruppe eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der Behandlungseffekte zukommt“, Der Schlaganfall ist die häufigste neurologische Erkran- heißt es auf der Homepage des Rehazentrums Quellen- kung, die je nach Schweregrad zu anhaltendem Verlust hof. Doch nicht nur nach einer Reha-Maßnahme kom- von Fähigkeiten des Zentralnervensystems führen kann. men die Angehörigen ins Spiel. Bereits in der Akut- nen, so der Neurologe, der das Reha-Zentrum Quel- Angehörige von Schlaganfallpatienten stellen eine lenhof in Bad Wildbad leitet. „Das bedeutet üben, üben, wesentliche Säule bei der Versorgung und Rehabilitation von Schlaganfallpatienten dar, insbesondere diejenigen, üben.“ Im Mittelpunkt stehe nicht das Behandelt-Wer- die ihren pflegebedürftigen Angehörigen im Anschluss an den, sondern das eigene Handeln der Patienten. die Behandlung zu Hause pflegen wollen. Dazu gehören die Unterstützung und Abnahme von alltäglichen Tätig- *Die Oktober-Ausgabe der Neurovision (Titelthema Schlagan- keiten wie auch die Grundpflege und geistige Anregung. fall) können Sie hier kostenlos downloaden: https://fskom.de Neurologische Rehabilitation: Den ganzen Menschen im Blick Der Schlaganfall ist eine neurologische Erkrankung und gehört daher unbedingt in die neurologische Re- habilitation. Kernpunkte sind die Physio- und Sporttherapie, Sprach- und Schlucktherapie (Logopädie), Ergothera- pie und (Neuro-)Psychologie. In einer guten Reha-Ein- richtung kümmert sich ein hochspezialisiertes Team um den Patienten: Erfahrene Neurologen, Internisten, Therapeuten, Psychologen und Pflegekräfte. Primäres Ziel ist es, die bestmöglichen Perspektiven für eine Wiedereingliederung in das Leben zu erreichen und damit eine möglichst hohe Lebensqualität zu gewähr- leisten. Gesundheitsschäden müssen eingedämmt und ©iStockphoto/sdominick die Selbstständigkeit im Alltag wiederhergestellt wer- den bzw. erhalten bleiben. Auch die Reintegration in das Familien- und Berufsleben, die Vermittlung ei- ner gesunden und bewussteren Lebensführung sowie Schulung und Beratung für die Zeit nach der Reha spie- NEUROVISION < 7
Titelthema < phase der Behandlung sei die Einbindung sinnvoll, so INTERVIEW das Ergebnis einer in Bad Wildbad durchgeführten Stu- die. „Angehörige bilden eine emotionale Stütze für den :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Patienten und sind dessen wichtigste Bezugsperson. Da- »In der neurologischen Rehabilitation rüber hinaus sind sie eine wichtige Informationsquelle erstellen wir für jeden Patienten einen für die behandelnden Therapeuten – sie kennen am be- individuellen zielgerichteten sten den Alltag und die Vorlieben des Patienten.“ Behandlungsplan« Aber nicht nur als Co-Therapeuten kommt Angehöri- gen eine wichtige Aufgabe zu: Sie sind auch mitbetrof- fen und entwickeln mitunter anhaltende psychische und physische Belastungen. Aus diesem Grund bieten Prof. Dr. Peter Flachenecker viele Rehazentren auch psychotherapeutische Einzel- Facharzt für Neurologie, und Paargespräche an. Ergänzt werden diese durch Be- Chefarzt am Neurologischen ratungsgespräche mit dem Sozialdienst zur Klärung fi- Rehazentrum Quellenhof in nanzieller, sozialer und rechtlicher Fragen. Denn: Nur Bad Wildbad ein funktionsfähiges soziales Umfeld ermöglicht einen dauerhaften Rehabilitationserfolg. In einer Umfrage am Quellenhof stellte sich heraus, NV: Herr Prof. Flachenecker, Reha nach Schlaganfall – dass die Angehörigen sich insbesondere Sorgen vor ist das selbstverständlich oder muss das mitunter der Entlassung der Patienten machen. Häufig fühlten auch eingefordert werden? Steht jedem Schlaganfall- sie sich nicht ausreichend auf die zukünftige Situation Patienten eine Reha zu? vorbereitet und könnten diese nur schwer überblicken. Flachenecker: Das hängt ein bisschen davon ab, wel- Besonders pflegerische Maßnahmen spielen bei den che Einschränkungen der Patient hat. Wenn nach Alltagsaktivitäten eine große Rolle. Es zeigte sich auch, einem Schlaganfall schnell behandelt wurde und sich dass die Angehörigen zu wenige Informationen be- mit Glück alle Schäden wieder zurückgebildet haben, züglich des Krankheitsbildes „Schlaganfall“ erhielten. liegt sicher keine Rehabedürftigkeit vor. Wird aber eine Rehabedürftigkeit festgestellt, dann erfolgt die Bewilli- Neurologische Frührehabilitation gung erfahrungsgemäß relativ rasch. Geht ein Schlaganfall mit besonders schwerwiegenden NV: Wer übernimmt die Kosten? Folgen einher, ist der erste Schritt in Richtung Gene- Flachenecker: Für ältere, nicht mehr erwerbstätige sung die sogenannte neurologische Frührehabilita- Versicherte übernimmt das meist die Krankenkasse, tion – kurz Frühreha. Diese findet in der Regel schon bei noch im Erwerbsleben stehenden Patienten trägt während einer stationären Krankenhausbehandlung die Rentenversicherung die Kosten. Insbesondere bei statt, mit dem Ziel, grundlegende Fähigkeiten wieder- den Jüngeren ist die Bedürftigkeit schnell geklärt und aufzubauen (z. B. Sprechen, Essen und Bewegen). Die bewilligt. Frühreha unterstützt die Betroffenen dabei, den ersten Schritt zurück in eine größtmögliche physische wie NV: Die Hürden für Ältere sind höher? psychische Unabhängigkeit zu gehen. Ist diese Basis Flachenecker: Eine zeitlang vertrat man bei einigen geschaffen, steht in der weiterführenden Rehabilita- Krankenkassen tatsächlich die Haltung, ältere Pati- tion der Ausbau dieser Fähigkeiten sowie das Wieder- enten brauchten keine Reha und könnten stattdessen erlernen von Alltagsaktivitäten im Mittelpunkt. gleich in eine Pflegeeinrichtung kommen. Das hat sich Gott sei Dank geändert. NV: Weil es im Endeffekt immer besser und auch kostengünstiger ist, wenn ein Mensch sich so lange wie möglich selbst versorgen kann und nicht im Pflegeheim untergebracht werden muss? Flachenecker: Auf jeden Fall! Zumal ein Schlaganfall – im Gegensatz zur MS etwa – meist plötzlich und oft 8 > NEUROVISION
KOPF KLAR FÜR MEIN LEBEN Migräne? Hab ich im Griff! Wenn eine Migräneattacke in meinen Alltag krachte, kam alles zum Stillstand. Deshalb bin ich aktiv ge- worden und habe mit meinem Arzt gesprochen. Mit meinem persönlichen Behandlungsplan und dem Patientenserviceprogramm KOPF KLAR kann ich mein Leben endlich wieder bewusst gestalten. www.kopf-klar.de DE/FRE/19/0188 KOPF KLAR – Patientenservice mit Köpfchen eCoaching Beratung am Telefon KOPF KLAR-Servicematerialien KOPF KLAR-App Individuelles Injektionstraining KOPF KLAR-Alexa®-Skill Teva GmbH • Graf-Arco-Str. 3 • 89079 Ulm, Germany
Titelthema < WISSEN ©iStockphoto/Anastasiia_Guseva Forced-Use Forced-Use bzw. die Constrained-Induced Move- ment Therapy (CIMT) ist der Ergotherapie zuge- ordnet. Wörtlich übersetzt bedeutet „Forced-Use“ „erzwungener Gebrauch“. Um dem Prozess einer weiteren Verschlechterung entgegenzuwirken, soll z.B. der gelähmte Arm möglichst viele Stunden am Tag (im Alltag und in der Therapie) beansprucht wer- den. Damit der gesunde Arm nicht mithelfen kann und nicht die Arbeit seines gelähmten Pendants vorschnell übernimmt, wird er mit einem Hilfs- mittel (Schlinge, Handschuh, Schiene o.ä.) daran gehindert. Durch ständig wiederholte Übungen wird die Entwicklung neuer neuronaler Pfade im Gehirn angeregt. Die Patienten lernen dadurch, die Sprech- oder Sprachstörungen gelähmte Seite wieder einzusetzen. Analog zur CIMT wurde die CIAT (Constraint-Induced Aphasia Thera- Bei Sprechstörungen (Dysphasie) handelt es sich py, also einschränkungsinduzierte Aphasietherapie) um die gestörte Artikulation von Sprachlauten. Es entwickelt. Aphasien werden durch Schädigungen kann zum Stottern, Poltern, Stammeln oder Lispeln von Teilen des Gehirns ausgelöst, die durch Sauer- kommen. Sie treten häufig zusammen mit Schluck- stoffunterversorgungen z.B. infolge eines Schlag- störungen auf. anfalls oder durch Läsionen im Gehirn (bei MS) entstehen. Mit der CIAT konnte gezeigt werden, dass die Neuroplastizität des Gehirns unter bestimmten Sprachstörungen betreffen die gestörte gedank- Voraussetzungen eine Verbesserung der Sprach- liche Erzeugung von Sprache. Zu unterscheiden fähigkeit zulässt. Die CIAT baut darauf auf, dass die sind dabei Sprachentwicklungsstörungen (SES) Patienten in der Therapie daran gehindert werden, im frühen Kindesalter von „erworbenen“ Sprach- sich beispielsweise mittels Gesten oder Onomato- störungen im Sinne eines Sprachverlustes z.B. poetika zu verständigen (constraint) und so dazu nach einem Schlaganfall. Der Verlust des Sprech- gezwungen sind, sich der Sprache zu bedienen. vermögens oder Sprachverstehens infolge einer Mittels shaping, also einer langsamen, aber stetigen Erkrankung des Sprachzentrums im Gehirn, wird Steigerung des Schwierigkeitsgrades der Aufgaben, auch als Aphasie bezeichnet. sollen die Fähigkeiten der Patienten wachsen. Neuroplastizität Manchmal müssen Menschen lernen, sich anders zu be- wegen. Unser Zentrales Nervensystem ist in der Lage, sich neu anzupassen. Bewegungen, die man vor einer Erkran- kung automatisch machte, ohne darüber nachzudenken, müssen mitunter über Umwege und bewusst angesteuert werden und vor allem immer wieder forciert werden. Das ist nicht leicht, aber es ist möglich. Und es ist das Prinzip, das hinter der Constrained-Induced Movement Therapy (CIMT) steht. 10 > NEUROVISION
Titelthema < ©iStockphoto/DNY59 Der Kontakt zum Patienten ist schwieriger ge- worden. Das Auf- einanderzugehen mit Mund- Nasen-Schutz, die Vermeidung von Berührung, wo immer es nicht unbedingt erfor- derlich ist – das alles passt nicht ein Reha-Konzept. aus völligem Wohlbefinden heraus auftritt. Nicht sel- rig. In der geriatrischen Reha ist nicht zwangläufig ein ten trifft das Menschen, die eben erst in den Ruhestand Sprachtherapeut anwesend. gegangen sind, sich eigentlich gesund fühlen und die nächste Lebensphase geplant haben. Ein weiterer Fak- NV: Sind alle Rehakliniken hier gleichermaßen breit tor, der für eine Reha spricht, ist der, dass die Akut- aufgestellt? krankenhäuser immer weniger Zeit haben und zuneh- Flachenecker: Ja, es gibt bestimmte Strukturanfor- mend weniger Behandlungstage vorgesehen sind. Da derungen in der neurologischen Reha. Dazu gehört ist die Tendenz, Patienten in die Reha zu verlegen, um auch das Vorhalten besonderer Berufsgruppen. So dann zu klären, wie es weitergeht, durchaus sinnvoll. z.B. Logopäden und Neuropsychologen. In der Reha nach Schlaganfall muss auch auf die kognitiven Kon- NV: Je nachdem, wo durch einen Schlaganfall Schä- sequenzen adäqaut eingegangen werden können. den entstanden sind, können ja ganz unterschiedliche Ebenso auf Neglect-Phänomene, also die Vernachlässi- Symptome auftreten und auch unterschiedliche Reha- gung einer Körperhälfte, die oft erst in der Reha auffällt. ansätze erforderlich sein, oder? Flachenecker: Wichtig ist immer, dass es eine neuro- NV: Was genau steckt dahinter? logische Reha ist! Manchmal werden Patienten in die Flachenecker: Es gibt Patienten, die durchaus in der geriatrische Rehabilitation geschickt – das ist nicht Lage wären, beide Arme einzusetzen, aber sie nutzen sinnvoll. Der Schlaganfall ist eine neurologische Er- nur einen. Hier bedarf es neuropsychologischer Be- krankung, die Defizite müssen neurologisch beurteilt handlung. werden. Auch die Folgekomplikationen müssen be- handelt und das Risiko für Folgeanfälle und Reinsulte NV: Wie zum Beispiel die Forced-Use-Therapie? beurteilt werden. Sprach- und Sprechstörungen müs- Flachenecker: Das könnte eine Behandlungsoption sen differenziert und unterschiedlich therapiert wer- sein, aber es gibt noch andere – etwa der Versuch, die den, das ist selbst für Neurologen manchmal schwie- Aufmerksamkeit gezielt auf eine Körperhälfte zu len- NEUROVISION < 11
Titelthema < ken. Hier gibt es neue Ansätze in der Neuropsycho- NV: Also individuelle Therapiekonzepte? logie, z.B. mittels Stimulation, Vibration oder einem Flachenecker: Vorgefertigte Rahmen-Therapiepläne Explorationstraining für diese Seite. Oft sind ja nicht funktionieren in der Neurologie nicht. Ein Schlagan- nur die Motorik und die Sensibilität betroffen, son- fall ist so vielfältig, da muss immer individuell the- dern auch das visuelle System. Die Betroffenen neh- rapiert werden. Dafür muss ich den Patienten vorher men tatsächlich die eine Körperhälfte gar nicht richtig sehen und untersuchen, die unterschiedlichen The- wahr, obwohl sie funktionieren würde. Es handelt sich rapeuten müssen ihren Befund erheben und dann er- dann um eine räumliche Wahrnehmungsstörung, die stellen wir ein individuelles, störungsspezifisches und wiederum von der Halbseitenblindheit (Hemianop- zielgerichtetes Programm. Hierzu werden die vielen sie) abgegrenzt werden muss. Diese kann entstehen, verschiedenen kognitiven Störungen des Betroffenen wenn das Sehzentrum durch den Schlaganfall geschä- mit einbezogen: Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Orien- digt wurde. Auch hier gibt es inzwischen rehabilitative tierung. Auch die Regenerationsmöglichkeiten sind Möglichkeiten, durch die der Patient im Umgang da- unterschiedlich stark ausgeprägt. Manche haben eine mit unterstützt wird, also zu kompensieren lernt. Dabei schwere Hemiparese und brauchen umfangreiche Un- kommt auch die Physiotherapie ins Spiel. Der Physio- terstützung im Alltag, andere haben – bei vielleicht therapeut sorgt dann dafür, dass immer die betroffene ähnlicher Lokalisation – nur eine leichte Handfunk- Raumhälfte exploriert wird. tionsstörung. NV: Können Sie ein Beispiel nennen? NV: Das klingt nach sehr viel Aufwand! Flachenecker: Zum Beispiel indem der Betroffene Flachenecker: Ja, aber es lohnt sich! dazu animiert wird, immer explizit zu jener Seite zu schauen, auf der die Einschränkungen betehen. Dafür NV: Gibt es viele Beispiele von Menschen – auch mit muss der Kopf mitunter etwas weiter zur Seite gedreht schweren Schlaganfällen und Einschränkungen – werden. Das kann man üben. Darüber hinaus arbeiten die es geschafft haben, ihre Lebensqualität wieder- Neuropsychologen auch mit restitutiven Verfahren, zuerlangen? durch Aufmerksamkeitstraining mittels bestimmter Flachenecker: Ich würde sagen: Die Mehrzahl! Über 90 Reize, die man im betroffenen Gesichtsfeld setzt. Prozent der Menschen, die hier in Reha waren, gehen wieder nach Hause! Manche mit Hilfe, aber viele auch NV: Welche Methoden kommen zum Einsatz bei selbstständig. Möglich gemacht hat das natürlich auch dieser Exploration? die Etablierung neuer Therapien auf den Stroke Units. Flachenecker: Es sind Computerprogramme, bei denen Die Sterblichkeit ist massiv gesunken. Heute können Reize aufblitzen, etwa Muster oder Figuren, und der viele Schlaganfallpatienten nach der Reha wieder ar- Patient muss diese benennen. So versucht man das beiten, auch Autofahren ist inzwischen verhältnimä- Gesichtsfeld zu stimulieren. ßig häufig wieder möglich. Tatsächlich gibt es sogar Pa- tienten, die wieder LKW und Bus fahren dürfen. Das NV: Könnte der Patient das auch zu Hause üben, wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. wenn die Rehamaßnahme beendet ist? Durch inzwischen viel differenziertere Begutachtungs- Flachenecker: Ja, dafür gibt es Programme, die jedoch leitlinien, die mehr ins Detail gehen, hat sich das ge- nicht von den Krankenkassen bezahlt werden. Manche ändert. Natürlich muss man sehr genau schauen: Was Patienten kaufen sich diese selbst, in der Regel kann war die Ursache für den Schlaganfall, konnte diese be- man zu einem Preis von ca. 100 EUR ein vernünftiges seitigt werden und wie ist das Rezidiv-Risiko? Programm erwerben. Aber es gibt auch Modelle auf Leihbasis von unterschiedlichen Anbietern. NV: Die Patienten müssen aber auch selbst etwas tun, richtig? Wie hoch ist die Gefahr nach Beendigung NV: Raten Sie den Patienten dazu? der Reha, wieder in alte Muster zu verfallen, was Flachenecker: Auf jeden Fall weisen wir darauf hin, ungünstige Lebensstilfaktoren betrifft? dass es diese Option gibt. Bevor so ein Programm aber Flachenecker: Regelmäßige körperliche Aktivität ist sinnvoll zum Einsatz kommt, muss eine zielgerichtete unerlässlich, wenn es um effektive Vorbeugung geht. Diagnostik erfolgen. Das ist wesentlich für das Behand- Leider schlucken viele Menschen lieber täglich eine Ta- lungskonzept. Es geht in der Reha nicht darum, das blette, als sich 30 Minuten zu bewegen. Am schwie- Füllhorn der Therapie über den Patienten auszugießen. rigsten ist dies, wenn es sich um ältere Patienten nach Schlaganfall handelt, die auch vorher nicht gerne ak- 12 > NEUROVISION
Titelthema < chen verflogen. In Hinblick auf den Gangtrainer hieß es am Anfang: Man muss die Leute nur aufs Laufband stellen, dann wird alles gut. Aber so einfach ist es eben nicht. Je nachdem, wie der Patient auf einem Gangtrai- ner fixiert werden muss, kann das sehr aufwändig sein, denn der Patient kann sich weder alleine festschnal- len, noch weiß er, was dann zu tun ist. Den neuesten Leitlinien zufolge ist das Gehen auf der Ebene genau so effektiv, wie auf einem Gangtrainer. Das Gerät al- Bildrecht: Hocoma, Schweiz lein ist es also nicht. Wir merken gerade jetzt, während der Corona-Pandemie mit all ihren Einschränkungen, wie wichtig der menschliche Faktor, wie bedeutend Zuwendung ist. Tatsächlich ist ein guter Physiothe- rapeut wichtiger als ein Roboter. Der Physiotherapeut muss sehen, wie der Patient sich bewegt, fühlen, wo die Problemstellen liegen, und ggf. Hand anlegen. Das Durch robotikassistierte und computergestütze Therapien geht eben nur in Einzelsitzungen und übrigens auch lassen sich Wiederholungszahlen im Training steigern. nur face to face. Sonst macht der Patient die Bewe- Die ‚Roboter’ geben zudem unmittelbar visuelles gung am Ende irgendwie, aber eben nicht richtig und Feedback und können so Wirksamkeit und Effizienz hat später mehr Schmerzen als vorher. Aber komple- der Behandlung erhöhen. mentär, als Ergänzung, sind robotergestützte Thera- pien auf jeden Fall sinnvoll und motivierend, und ein tiv waren. Die große Frage lautet: Wie bekomme ich Gangtrainer kann gerade für Schwerbetroffene eine die Leute dazu, auch nach der Reha regelmäßig ak- sehr gute Unterstützung sein. Was die VR-Brillen be- tiv zu sein. Wie einige andere Ärzte auch, verordne trifft, wäre ich vorisichtig. Einem älteren Menschen, der ich den Patienten inzwischen Bewegung auf Rezept. kognitive Störungen hat, kann ich keine VR-Brille auf- Ich schreibe dann z.B. auf: fünfmal pro Woche 30 Min. setzen. Das würde ihn verwirren und unter Umstän- Nordic Walking. Die Umsetzung liegt natürlich letzt- den Schwindel hervorrufen. Man darf auch nicht ver- endlich beim Patienten. Manchmal ist das dennoch gessen: Die Geräte sind teuer und Rehakliniken sind ein Anreiz. chronisch unterfinanziert. Gerade jetzt in der Pande- miephase merken wir das noch mehr. Was die Unter- NV: Können Apps dabei unterstützen? stützung betrifft, wurden die Rehakliniken von der Po- Flachenecker: Ja, Apps können den Patienten daran er- litik offenbar völlig vergessen. innern, dass es Zeit für die Bewegungseinheit ist, sie können die Schritte zählen und loben. Das kann durch- aus motivierend sein. »Wir merken gerade jetzt, wie wichtig der menschliche Faktor, wie bedeutend Zuwendung ist.« Wenn ich weiß, ich sollte 6.000 bis 10.000 Schritte am Tag laufen und meine Fitness-App oder Smartwatch ©iStockphoto/popovaphoto NV: Aporopos Technologie: Welche modernen NV: Apropos Corona – Kommen weniger Menschen zeigt erst 3.000 an, Technologien kommen am Quellenhof zum Einsatz? in die Reha, wie wirkt sich das aus? dann bleibt immer noch die Frage, Gibt es Roboter? VR-Brillen? Flachenecker: Tatsächlich kommen weniger Patienten ob man nun noch Flachenecker: Ja, Roboter und Software-Programme zur Reha und für alle Beteiligten ist die Situation auch einmal eine Runde können eine sinnvolle Ergänzung des Therapieange- in der Rehaklinik schwierig (siehe auch Interview S. 18). dreht oder lieber bots sein. Die anfängliche Euphorie ist jedoch ein biss- Herr Prof. Flachenecker, vielen Dank für das Gespräch. zuhause bleibt. NEUROVISION < 13
Titelthema < v Rehabilitation bei Patienten mit Arm-Hand-Funktionsstörungen zum Ziele und Maßnahmen Einsatz. Die Patienten profitieren enorm von diesen Be- wegungstrainern, die sich automatisch an ihre individu- elle Leistungsfähigkeit anpassen. In allen therapeutischen Bereichen setzt man sich sys- tematisch für den Erhalt und /oder das Wiedererlangen Mentale Bilder Neben der Möglichkeit, sich bestimmte der Lebensqualität und, wenn möglich, für die soziale Bewegungen auf einem Bildschirm anzusehen, ist und berufliche Wiedereingliederung ein. auch das Erzeugen mentaler Bilder eine erfolgsver- sprechende ergänzende Option. Dabei wird die eigene Ziele der Rehabilitation Vorstellungskraft zur Optimierung von Bewegungen > Erhalt oder Verbesserung der funktionellen eingesetzt. Indem der Patient sich vorstellt, wie er eine Leistungsfähigkeit. Bewegung ausübt, kann die Bewegungskoordination, > Förderung der Selbstständigkeit und die durch Krankheit oder Verletzung gestört worden ist, persönlichen Bewegungsfreiheit. nach und nach wiederhergestellt werden. > Erhalt oder Verbesserung der Einbindung in Familie, soziales Umfeld und Beruf. Die eigene Vorstellungskraft als Verstärker: > Vorbeugung oder Behandlung möglicher Auch Leistungssportler gehen am Tag vor Folgeschäden von bestehenden Symptomen. dem Wettkampf häufig im Kopf ihre Be- wegungen, Strecken, Abläufe durch. > Verringerung von Pflegebedürftigkeit und Umfang der erforderlichen Betreuung. Ergotherapie Individuelle Einzeltherapien zielen auf Maßnahmen die Wiedererlangung der Selbstständigkeit. Hierzu ge- hören u.a.: Schulung im Gebrauch notwendig gewor- Physiotherapie (Krankengymnastik) dient der Wie- dener Hilfsmittel, feinmotorische Übungen, Haus- derherstellung der Mobilität und Bewegungsfähigkeit. haltstrainings mit individueller Beurteilung der Verloren gegangene Funktionen – ggf. Ersatzfunkti- Selbstversorgungsfähigkeit u.v.a. onen – sollen aufgebaut werden. Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Gehstörungen, Muskelver- Logopädie Hier stehen die Bewälti- krampfungen sowie Schmerzen an Muskeln und Ge- gung von Schluckstörungen sowie die lenken, die durch Fehlhaltungen entstehen, sollen Sprachtherapie im Fokus. gelindert werden. Den Patienten wird zusätzlich ein Selbstübungsprogramm vermittelt, auch Bewegungs- Rekreationstherapie Es werden Impulse zur aktiven therapie ist Bestandteil der Physiotherapie. Freizeitgestaltung und zur Wiederaufnahme von Ak- tivitäten gegeben, die der Erholung und einem kom- Moderne Technik Ergänzend dazu hat sich das Ar- munikativen Miteinander dienen und sozialer Isolation beiten auf einem Laufband oder mit einem Gangtrainer entgegenwirken. Auch Schmerzlinderung, Mobilisie- bewährt. „Die Vielfalt auf dem Markt ist groß, die An- rung und Steigerung der Bewegungsaktivität, Koordi- schaffungskosten sind hoch“, sagt Prof. Flachenecker. Im nationstraining zur Sturzvorbeugung und Ernährungs- Quellenhof arbeiten Therapeuten mit dem LokoHelp®, beratung gehören dazu. einem elektromechanischen Gangtrainer, der auf dem „Endeffektor“-Prinzip basiert. Die mechanische Unter- Neuropsychologie Bei kognitiven Problemen, wie Stö- stützung für Stand- und Spielbeinphase erfolgt an den rungen von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzen- Füßen als letztem Glied der kinematischen Kette. Der tration, bei eingeschränktem Sprachverständnis sowie Patient soll nicht passiv bewegt werden, sondern mög- Problemen mit räumlichem und visuellem Erkennen, lichst aktiv mitarbeiten. Knie- und Hüftstreckung sol- Planen und Handeln, wird hier z.B. die Aufmerksam- len idealerweise vom Patienten selbst kontrolliert wer- keit und Konzentration trainiert. Mithilfe von Kogni- den. In Kombination mit einem Therapie-Laufband tionsübungen lassen sich Defizite ausgleichen und und der Gewichtsentlastung bieten Gangtrainer wie der Kompensationsstrategien entwickelt. LokoHelp eine hohe Flexibilität in der Lokomotions- therapie und können für unterschiedliche Krankheits- Psychotherapie Hier geht es um die Verarbeitung der bilder eingesetzt werden. Weitere roboter- und com- Diagnose sowie Unterstützung bei emotionalen Stö- putergestützte Therapieverfahren kommen erfolgreich rungen oder Depressionen. 14 > NEUROVISION
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Wiederherstellen, aufbauen, stabilisieren: Reha-Maßnahmen bei MS ©iStockphoto/andresr Sie ist ein wichtiger Bestandteil der MS-Therapie und bei einem anderen gelegentliche Gehschwierigkeiten eine sinnvolle sowie wirksame Ergänzung zur medi- hinzu oder eine immer wieder auftretende bleierne Mü- kamentösen Behandlung: die Rehabilitation. Die hier digkeit (Fatigue). Wieder andere haben Probleme mit zum Einsatz kommenden Maßnahmen aus der Phy- der Konzentration oder Merkfähigkeit und leiden im sio- und Ergotherapie, der Logopädie und Neuropsy- Job unter Aufmerksamkeitsdefiziten. Schlimmstenfalls chologie unterstützen auf vielfältige Weise. muss sich der MS-Betroffene immer wieder rechtferti- gen. Denn was ein Außenstehender nicht sehen kann, Multiple Sklerose ist zwar nicht heilbar, aber – durch die ist zunächst einmal nicht vorhanden. Wer MS hat, steht zahlreichen unterschiedlichen Therapieoptionen, die in- dann manchmal vor der Frage, ob er dem verständnis- zwischen zur Verfügung stehen – eine Erkrankung, mit losen Kollegen nicht doch von der chronischen Erkran- der sich in vielen Fällen gut leben lässt. Einem großen kung erzählt, die ihm eben hin und wieder zu schaffen Teil der Patienten sieht man die MS nicht auf Anhieb an. macht. Oder ob sich möglicherweise eine Reha-Maß- Und genau da liegt häufig ein Problem. Viele Symptome nahme lohnen würde. „Eine hervorragende Möglicheit, sind für Außenstehende unsichtbar, für den Betroffenen die sich“ – wie Prof. Dr. Peter Flachenecker findet – „fast aber durchaus zu spüren. Je nachdem, welcher Bereich immer lohnt, leider aber viel zu selten in Anspruch ge- des ZNS betroffen ist, kann eine MS sich individuell nommen wird.“ sehr unterschiedlich auswirken. Während ein Betrof- Im nachfolgenden Interview beantwortet der Chefarzt fener vielleicht „nur“ das sogenannte Ameisenlaufen – des Neurologischen Reha-Zentrums Quellenhof in Bad das Kribbeln in den Extremitäten – verspürt, kommen Wildbad Fragen zum Thema Reha bei MS. 16 > NEUROVISION
Titelthema < Der Quellenhof war eine der ersten Spezialkliniken wie gut es gewesen wäre, hätten sie dies früher in An- für Multiple Sklerose, die seit 2005 das Zertifikat des spruch genommen. Reha bringt immer etwas! DMSG-Bundesverbandes als anerkanntes MS-Rehabi- litationszentrum tragen. 1996 als Neurologisches Reha- NV: Rehafähigkeit bedeutet aber auch, dass der bilitationszentrum mit Schwerpunkt Multiple Sklerose oder die Betroffene motiviert sein muss, oder? eröffnet, hat das Zentrum in Bad Wildbad mit dazu bei- Flachenecker: Ja, das ist richtig. Eine Reha ist keine getragen, MS-Erkrankten in Baden-Württemberg und Kur! Ich sage immer das hier ist eher ein Trainingslager. ganz Deutschland eine optimale Rehabilitationsbe- Die allermeisten, die zu uns in den Quellenhof kom- handlung in einer auf ihre Erkrankung spezialisierten men, wissen das aber und machen gut mit. Klinik bieten zu können. Im Quellenhof werden kör- perliche, aber auch psychische Symptome neurolo- NV: Sie sagen, dass auch jüngere MS-Patienten profi- gischer Erkrankungen behandelt und Wege aufgezeigt, tieren. Wann würden Sie jungen Menschen mit MS ei- um nach einer Diagnose wieder auf die Beine zu kom- nen Aufenthalt in der Reha-Klinik empfehlen? Wann ist men. Mittlerweile nimmt der Quellenhof weit über die ein junger MS-Patient rehabedürftig? Grenzen Baden-Württembergs hinaus eine herausra- Flachenecker: Was die Rehabedürftigkeit angeht, sehen gende Rolle in der Rehabilitation nicht nur der Multi- wir das häufig schon bei der Diagnosestellung als ge- plen Sklerose, sondern auch anderer neurologischer geben. Die Ärzte in der Klinik und auch im niedergelas- Erkrankungen wie beispielsweise nach einem Schlag- senen Bereich haben oft gar nicht die Zeit, den Patienten anfall ein. umfassend über das sehr komplexe Krankheitsbild und die immer komplexer werdenden Behandlungsmög- lichkeiten umfassend aufzuklären. Genau das aber kann INTERVIEW die Reha leisten. :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: NV: Gibt es Programme für junge Patienten? »Reha ist in jedem Alter sinnvoll!« Flachenecker: Es gibt seit einigen Jahren ein Programm, das sich REMUS nennt und das sich zur Aufgabe ge- Prof. Dr. Peter Flachenecker macht hat, junge und neuerkrankte MS-Betroffene über Facharzt für Neurologie, Chefarzt die Krankheit zu informieren. Denn wenn ich über etwas am Neurologischen Rehazentrum gut informiert bin, kann ich damit viel besser umgehen. Quellenhof in Bad Wildbad Aber auch um Behandlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und natürlich auch, wenn psychische Probleme da sind: Eine MS-Diagnose nimmt ja niemand mal eben so auf die leichte Schulter. Dann muss natürlich auch die psy- NV: Herr Professor Flachenecker, Sie sagen, MS-Pa- chische Stabilisierung in Angriff genommen werden, tienten nähmen viel zu selten Reha-Maßnahmen in und auch hier ist Reha hilfreich. Anspruch… Flachenecker: Die Deutsche Rentenversicherung ha- NV: Wie findet man als MS-Patient das richtige tin einem Forschungsprojekt versucht herauszufin- Reha-Zentrum? den, warum verhältnismäßig wenige MS-Patienten Flachenecker: Jeder MS-Patient braucht MS-spezifische eine Reha beantragen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Reha! Es gibt in Deutschland rund 20 von der DMSG an- Einer davon scheint in der mangelnden Information zu erkannte MS-Reha-Zentren, in denen zum einen eine liegen. Auf allen Seiten. Für den Arzt ist der Antrag zu- hinreichende Expertise vorliegt und zum anderen auch nächst mit einigem Aufwand und dem Ausfüllen vie- eine ausreichend hohe Anzahl von MS-Patienten be- ler Formulare verbunden. Der Patient seinerseits muss handelt wird. Das ist deshalb wichtig, weil auch der da wirklich hinterher sein. Tatsächlich scheint sich das Austausch der Patienten untereinander eine große Rolle aber ganz langsam zu verbessern. Auch in den Leitli- spielt. Die Betroffenen können voneinander lernen und nien ist inzwischen vermerkt, welche Bedutung die wenn jüngere Patienten sehen, dass es Patienten gibt, Reha hat. Manchmal haben die Patienten aber auch die bereits länger mit der Krankheit leben und einen gu- ganz falsche Vorstellungen. Insbesondere die jüngeren ten Weg gefunden haben, damit umzugehen, wirkt sich unter ihnen denken: „Ich bin doch noch gar nicht so- das positiv aus. Wenn ein MS-Patient einem anderen weit, in der Reha sind ja nur die schwer Betroffenen.“ davon erzählt, ist das wesentlich wertvoller, als wenn Die meisten, die dann oft sehr spät kommen, sehen, ich mich hinstelle und dasselbe erzähle. NEUROVISION < 17
Titelthema < NV: Ihr Chefphysiotherapeut Klaus Gusowski hat in REMUS einem Interview gesagt: „Das Problem ist, dass die Ärzte häufig gar nicht ganz genau wissen, was wir in Durch strukturierte Schulungsangebote und Be- der Therapie eigentlich machen, sollen diese aber ver- ratungen sollen Patienten frühzeitig auf zu erwar- ordnen. Wenn man sieht, was ein Arzt in seinem Stu- tende Schwierigkeiten vorbereitet werden, um dium zu Logopädie, Physio- und Ergotherapie lernt, langfristig eine möglichst hohe Lebensqualität zu ist das verschwindend gering. Für Ärzte sind unsere erhalten. Remus ist ein Schulungsprogramm, das Fachbereiche häufig eine Blackbox. Wünschenswert im Rahmen der Reha zum Einsatz kommt. Mit wäre mehr Zusammenarbeit.“ dem Ziel, eine Verbesserung der Krankheitsbewäl- Flachenecker: Ja, leider hat sich da auch bisher noch tigung zu ermöglichen. Angestrebt wird die größt- nicht viel getan. An der Uni Würzburg zum Beispiel, mögliche Autonomie des Patienten. Dieser soll so gibt es in einem Semester eine einzige Ringvorlesung beraten werden, dass er in der Lage ist, seine The- zur Rehabilitation - mehr hören die Medizinstudie- rapie aktiv mitzugestalten und eigene Therapieent- renden während ihres ganzen Studiums nicht davon. scheidungen selbst treffen zu können (Aktivität Dabei ist die gegenseitige Kenntnis wichtig. Deshalb versus Passivität). Um einen guten Transfer in den habe ich auch schon Fortbildungsveranstaltungen für Alltag zu gewährleisten, beinhalten die Schulungen Ärzte und Physiotherapeuten organisiert, auf denen Informationsveranstaltungen, die durch Eigener- beide Berufsgruppen zu Wort kommen. Anfangs wa- fahrung in Gesprächs- und Arbeitsgruppen mit ren beide Gruppen gleichermaßen skeptisch. Im An- Hilfe von praktischen Übungen ergänzt werden. schluss aber gab es viel Begeisterung über den guten Weitere Informationen: Austausch. Am Ende scheitert es aber immer an der www.sana.de/quellenhof-wildbad/medizin-pflege/ Zeit. Jede Berufsgruppe hat ihre eigenen Fortbildungen, multiple-sklerose/remus-konzept es ist nicht vorgesehen, dass beide mehr miteinander reden. Wichtig wäre es trotzdem. Ein gutes Beispiel ist die Behandlung der Spastik: Bevor der Arzt dem Pa- tienten Medikamente gegen die Spastik verschreibt, sollte er eigentlich Rücksprache mit dem Physiothe- NV: Wobei das mit dem Austausch – vor dem Hinter- rapeuten halten. Warum? Weil die Medikamente Ne- grund der Pandemie – sicherlich schwierig ist, oder? benwirkungen haben, die sich unter Umständen kon- Flachenecker: Ja, leider. Aufgrund der coronabedingten traproduktiv auf die Physiotherapie auswirken. Etwa Infektionsmaßnahmen liegt vieles brach. Insbesondere dann, wenn nicht nur die Spastik verringert, sondern was den Austausch betrifft, haben wir einen ganz we- gleichzeitig eine Schwäche produziert wird. sentlichen Faktor schließen müssen: den Speisesaal. Das ist sonst der Ort, an dem die Menschen zusam- menkommen. Viele bedauern das und sagen jetzt: Ich komme nicht, weil das Miteinander fehlt. Das zerstört schon ein wenig unser Konzept. Aber nicht nur der Austausch zwischen den Patienten, auch jener zwi- schen Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften sowie der Kontakt zum Patienten ist schwieriger geworden. Das Aufeinanderzugehen mit Mund-Nasen-Schutz, die Vermeidung von Berührung, wo immer es nicht un- bedingt erforderlich ist – das alles passt nicht so rich- tig zu unserem Reha-Konzept. »Die gute Rehalandschaft, die ©iStockphoto/mathisworks wir in Deutschland hatten, wird möglicherweise nach der Corona- Krise nicht mehr so aussehen wie jetzt.« Peter Flachenecker 18 > NEUROVISION
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