Perspektiven wechseln, Horizonte weiten - Vielfalt und Internationalisierung Wirtschaftsfaktor Universität Studienzweifel - was tun?
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Bonner Universitäts-Magazin Herbst 2022 Perspektiven wechseln, Horizonte weiten Vielfalt und Internationalisierung Wirtschaftsfaktor Universität Reportage: Studienzweifel – was tun? In den Untergrund des Hauptgebäudes
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Editorial Foto: Volker Lannert Liebe Lesende, Was nützen eigentlich Universitäten? Selten waren Antworten auf diese Frage so konkret wie in den beiden Studien, über die wir in dieser Ausgabe berichten. Die vorliegenden Zahlen zeigen auf, dass Hochschulen nicht nur ideell zu Wohlstand und Fortschritt beitragen, sondern auch ganz handfest und in Euro bezifferbar. Darüber hinaus spielen sie dank ihrer Forschung eine Rolle dabei, die Welt jeden Tag ein kleines Stückchen besser zu machen. Auf der Suche nach neuen Perspektiven und spannenden Themen sind unsere Autor:innen für Sie auch buchstäblich in die Tiefe gegangen und haben mit dem Uni-Archivar die verborge- nen Räume im Untergrund des Residenzschlosses besucht. Perspektiven wechseln, Horizonte weiten: Das bringt das Thema Vielfalt mit sich. Viele haupt- und ehrenamtliche Akteur:innen an verschiedenen Stellen arbeiten bei uns intensiv daran, Diversität sichtbar zu machen und unterschiedliche Lebensentwürfe besser ins universitäre Leben zu integrieren. Denn klar ist: Wir profitieren alle davon. Warum das so ist, das erfahren Sie in unserem Interview mit der Prorektorin und der Leiterin der Stabsstelle für Chancengerechtigkeit und Diversität sowie in den Statements unserer Kolleg:innen, die tagtäglich mit diesen Aspekten zu tun haben. Auch die Internationalisierungsbestrebungen der Universität tragen dazu bei. So haben sich Mitarbeitende der Verwaltung mit Kolleg:innen von anderen europäischen Universitäten zu einem Perspektivwechsel getroffen: um Erfahrungen aus dem Uni-Kontext auszutauschen sowie ihre Sprachkompetenz und ihre interkulturellen Fähigkeiten zu verbessern. Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre und einen guten Start ins Wintersemester! Ihre forsch-Redaktion forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 1
Inhaltforsch2/2022 12 Ort exzellenter Priesterausbildung Der Kölner Erzbischof stößt mit seinen Plänen für seine eigene „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“ auf Widerstand. Seit über 200 Jahren gibt es nämlich einen exzellenten Ort für die Priesterausbildung in Bonn. 13 Internationalisierung: Sprache lernen im Ausland Ob im Ausland oder in Bonn: Uni- Mitarbeitende stärken ihre sprachliche und interkulturelle Kompetenz. 13 16 Foto: Peter T. Rühr Foto: Gregor Hübl 15 17 20 Foto: Stiftung Rheinische Kulturlandschaft Foto: Meike Böschemeyer Foto: Volker Lannert 4 „Wir alle profitieren davon“ Diversität und Chancengerechtigkeit 22 14 Kompakt bereichern den Universitätsalltag. Interview mit Prof. Dr. Irmgard Förster 15 Gemulchte Blühstreifen sind und Anna Hollstegge. keine Falle für Wildbienen Ein bunter, summender Blühstreifen 7 Diversität an der Uni Bonn am Ackerrand – wer freut sich nicht Viele Uni-Angehörige engagieren sich für über diese Augenweide und die einen offenen Umgang mit Vielfalt und Vielfalt an Insekten? Doch immer Individualität – wir stellen einige vor. wieder gibt es Kritik an dieser Naturschutzmaßnahme. 10 Wirtschaftskraft der Universität Foto: Gregor Hübl Dass die Universität ein wichtiger Akteur in 16 Forschung mit Biss der Bonner Innenstadt ist, weiß man schon Wissenschaftler stellen ein länger. Dass sie auch eine große wirtschaftli- Messystem vor, das die Bisskraft che Bedeutung hat, zeigt eine neue Studie. von Insekten misst. 2 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
43 26 Von der Adenauerallee aus in den Äther bonnFM gibt Studierenden eine Stimme. 27 Kompakt 28 In den Untergrund Ein großes Kellergewölbe erstreckt sich unter dem Hauptgebäude. Gemeinsam mit Uni-Archivar Dr. Thomas Becker entdecken Foto: Gregor Hübl wir Tunnel, Archiv, Reste von Wehrtürmen und alte Pferdeställe. Ein Ausflug in die Geschichte des kurfürstlichen Schlosses. 34 „Das Wertvollste, was man hat, ist 28 Zeit“ Vanessa Briese und Sonja Lewandowski füllten den Raum zwischen Promotion, Arbeit und den Herausforderungen der Pandemie unter anderem mit einem feministischen Literaturfestival. 36 Fußball-Freundschaft fürs Leben Seit 50 Jahren treffen sich die „Uni-Klassi- Foto: Gregor Hübl ker“ zum Spiel an der Uni – und bereisen kickend die Welt. 38 Neues aus den Museen 39 39 Wenn das Studium Bauchschmerzen macht 20 Sandhaufen, Babypausen und Zentrale Studienberatung unterstützt Licht im Spiegellabyrinth Studienzweifelnde mit individueller Forschung hautnah beim Open Air Beratung. Excellence Slam mit Hunderten Gästen. 41 Barrierefreiheit: Infos zu Botanischen Gärten 21 EXZELLENZ Kompakt Ein neuer Gartenführer informiert in Leichter Sprache. Foto: Bernadette Yehdou 22 Bücherschatz aus längst vergangenen Zeiten 42 Grüne Lernwerkstatt eröffnet Eine Übereignung von 16.000 Kinder spielerisch für die Pflanzenwelt Bänden ergänzt den romanistischen begeistern: Dank des Engagements der Schwerpunkt an der Universität Bonner Universitätsstiftung konnte die Bonn. Grüne Lernwerkstatt der Botanischen Gärten nun ihre Tore öffnen. 23 10 Jahre herausragende Lehrkräfte für Schüler:innen 43 Bonner Klänge werden zu Musik 17 Koloniales Erbe in der und Studierende für die Uni Wissensproduktion Das Bonner Zentrum für Lehrer- Sound-Design-Studierende mixen Der Anthropologe Paul Basu ist neuer bildung feierte Jubiläum. Hintergrundmusik für uni-eigene Videos. Hertz-Professor für Global Heritage an der Universität Bonn. 23 Kunst und Wissenschaft im 44 Ausgezeichneter Nachwuchs Austausch 18 Eine Austauschplattform Im Exzellenzcluster 45 Vorgestellt für Forschende ImmunoSensation2 reflektieren Bei einem außergewöhnlichen Künstler:innen die Forschung. 47 Meldungen Netzwerktreffen lernten sich Mitglieder der TRAs „Matter“ und 24 Arche Noah am Annaberg 52 Zu guter Letzt: Einsatz für eine fairere „Leben und Gesundheit“ kennen. Wolfgang Böhme hat die Arten- Universität vielfalt seines Naturgartens Staffelübergabe bei der Fairtrade-University 19 Exzellenz KOMPAKT dokumentiert. Bonn: Luise Tegeler und Judith Meder setzten sich zwei Jahre für eine Fairtrade- Universität ein. forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 3
„Wir alle profitieren davon“ Diversität und Chancengerechtigkeit bereichern den Universitätsalltag Vielfalt, Chancen- und Geschlechtergerechtigkeit oder Inklusion – das sind Schlagwörter, die häufig im Kontext von „Diversität“ fallen. Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Diversität“? Und welche Bedeutung hat er im Universitätskontext? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Irmgard Förster, Prorektorin für Chancengerechtigkeit und Diversität, und Anna Hollstegge, Leiterin der Stabsstelle Chancengerechtigkeit und Diversität. Was macht für Sie eine vielfältige Wie sind Sie zu diesen Themen Mutter wurde. Mit einem kleinen Kind ist Hochschule aus? gekommen? es schwierig, die zeitliche Flexibilität und Hollstegge: Wir verstehen unter ei- Förster: Ich habe mich nach dem Mobilität aufzubringen, die es braucht, ner „vielfältigen Hochschule“ das Ziel, Studium der Humanbiologie für eine wis- um als Wissenschaftlerin erfolgreich zu mehr Chancengerechtigkeit und ein Be- senschaftliche Karriere entschieden und sein. Aus diesen persönlichen Erfahrun- wusstsein für Vielfalt herzustellen. Es ist dabei die Unterrepräsentanz von Frau- gen heraus entstand das Anliegen, zur eine Querschnittsaufgabe, die in alle Be- en in der Wissenschaft, insbesondere in Erhöhung der Sichtbarkeit von Frauen reiche des universitären Lebens und Ar- Leitungspositionen, erlebt. Die damit und der Schaffung eines familienfreund- beitens hineinstrahlt. Alle Angehörigen einhergehenden geschlechtsspezifischen licheren Umfeldes beizutragen. und Mitglieder der Universität müssen Herausforderungen waren sehr deutlich. Hollstegge: Natürlich müssen wir sich ihrer jeweiligen Verantwortung im Besonders spürbar wurde das, als ich alle Dimensionen im Blick haben, eine gemeinsamen Umgang miteinander be- wusst werden. Uns ist daran gelegen, in Interakti- on mit möglichst vielen Vertreter:innen verschiedener Statusgruppen zu treten und diese miteinander zu vernetzen. Das fördert das Zusammenwirken und die Ausbildung gemeinsamer Stärken und baut Hürden, die diesem Ziel im Wege stehen, konsequent ab. Wir möchten damit die Grundstei- ne für möglichst diskriminierungsfreie, familiengerechte, gleichstellungsori- entierte und inklusive Studien- und Ar- beitsbedingungen legen. Und zwar für alle – unabhängig von ethnischer Her- kunft, Geschlecht, Behinderung, Reli- gion oder Weltanschauung, Alter oder sexueller Identität. Gibt es ein Thema, das Ihnen persön- lich besonders am Herzen liegt? Förster: Wir konzentrieren uns be- wusst nicht nur auf eine der genannten Diversitätsdimensionen, da wir nieman- den außen vorlassen wollen. Allerdings versuchen wir natürlich trotzdem auch Schwerpunkte zu setzen. Ein besonderes Anliegen ist mir der As- pekt der Familiengerechtigkeit, um das sich insbesondere das Familienbüro an der Universität kümmert. Gendergerechtigkeit ist ebenfalls ein Thema, für das ich mich sehr einsetze. Hier liegt der Fokus ganz klar bei der 4Prof. Dr. Irmgard Förster Steigerung des Frauenanteils unter den (links) ist Prorektorin für Professuren. Daneben gibt es aber na- Chancengerechtigkeit und türlich noch viele andere Aspekte, die Diversität, Anna Hollstegge wir im engen Austausch mit dem Gleich- (rechts) leitet die Stabsstelle stellungsbüro behandeln. Chancengerechtigkeit und Diversität. 4 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
intersektionale Perspektive einnehmen. und als „Ältere“ in der Gemeinschaft der sich auch unsere Universität beteiligt, Als Kind aus einer Nicht-Akademi- Studierenden akzeptiert zu werden. fördert Maßnahmen, die Studierende ker:innen-Familie kann ich allerdings mit Behinderung und/oder chronischer nicht leugnen, dass mir Bildungsgerech- Wo ist die Uni Bonn bereits gut Erkrankung dabei unterstützen, ihr Stu- tigkeit besonders am Herzen liegt. Rund aufgestellt? dium ohne Nachteile zu absolvieren und 30 Prozent unserer Studierenden sind Förster: Um nur einige Beispiele aus erfolgreich abzuschließen. Koordiniert „Erststudierende“, also die ersten, die den letzten Jahren zu nennen: Durch die wird es von meinem Kollegen, Prorektor in ihrer Familie studieren. Mir ist es ein Mittel der Exzellenzstrategie konnte das Sandmann, und seinem Team. Anliegen, zielgruppenspezifische Ange- Programm zur Stärkung des Equal Op- Auch in den Fakultäten, in den bote für sie zu schaffen, um die Chancen portunity-Prozesses (STEP) implemen- Transdisziplinären Forschungsbereichen für einen erfolgreichen Studienverlauf tiert werden, durch das Frauen auf ihrem und Clustern passiert viel: Es gibt Ar- zu erhöhen. Karriereweg an der Uni durchgehend beitsgruppen, die sich mit Diversität im Unterstützung finden. Wir konnten damit Allgemeinen befassen, aber zum Beispiel Gab es ein „Aha-Erlebnis“, das Ihnen den Anteil an Professorinnen an der Uni- auch Projekte, die sich mit einzelnen As- gezeigt hat, wie wichtig Diversität ist? versität in den letzten fünf Jahren von 19 pekten oder Dimensionen von Diversität, Hollstegge: Vor einigen Jahren auf derzeit mehr als 25 Prozent erhöhen. wie zum Beispiel der Verwendung von koordinierte ich ein Programm für Auch fördern wir das Programm Sprache, auseinandersetzen. Eine neue Nicht-Akademiker:innen. Eine Teilneh- „MitSprache“, ein Service-Learning-An- Forschungsstelle an der Philosophischen merin, die auf dem zweiten Bildungsweg gebot, bei dem Studierende Neuzugewan- Fakultät nimmt ebenfalls Diversität in den Hochschulzugang erworben hatte, derte beim Deutschlernen unterstützen. den Blick. schilderte mir eindrücklich, wie schwie- Das Förderprogramm „Inklusive rig es war, sich an der Uni zu orientieren Hochschule“ des Landes NRW, an dem Wo sehen Sie Aufholbedarf? Hollstegge: Luft nach oben gibt es sicherlich in den Bereichen Antidiskri- minierung und Rassismuskritik. Hier werden wir in Kürze durch eine neue Richtlinie und personelle Verstärkung in der Stabsstelle einen Schritt nach vorne machen können. Was wir bereits erreicht haben, ist die Einrichtung eines externen Angebots für eine rassismuskritische Beratung. Diese Anregung kam aus den Reihen der Studierendenschaft, aus dem autonomen BIPoC-Referat um genau zu sein. Für Studierende und Forschende mit Zuwanderungs- und Fluchtgeschichte sind wir gerade dabei, das Pathways-to- Research-Programm weiter auszubauen. Haben Sie ein weiteres Beispiel, wie Sie Diversität an der Uni etabliert haben? Förster: Zu unseren Aufgaben gehört es auch, strukturelle Impulse zu geben. Hierzu zählt zum Beispiel die Erstellung neuer Richtlinien zum Thema Diversität und Diskriminierungsschutz. Dazu müs- sen wir eng mit den anderen Akteur:innen zusammenarbeiten. Die Verwaltungs- strukturen haben einen direkten Einfluss auf die Rahmenbedingungen an der Uni. Ein konkretes Beispiel: Es ist trans- identen Studierenden und Mitarbeitenden der Uni Bonn nun möglich, schon vor dem Gerichtsverfahren zur Namensän- derung ihren Namen und Geschlechtsein- trag zu ändern. Dies verhindert, dass sich betroffene Personen outen müssen, wenn sie nicht mit dem falschen Namen ange- Foto: Meike Böschemeyer sprochen werden wollen. Wie divers ist die Uni? Hollstegge: So divers und bunt wie die Gesellschaft. Die Hochschulange- hörigen zeichnen sich durch sehr indi- forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 5
gie. Durch verschiedene Perspektiven, divers. Die Maßnahmen, die wir um- mehr Erfahrungswerte und Neudenken. setzen, helfen möglicherweise zunächst Dafür setzen sich auch die Deutsche nur einer bestimmten Gruppe von Men- Forschungsgemeinschaft (DFG), der schen. Am Ende profitieren wir dann Wissenschaftsrat und weitere Förder- aber alle davon: als lernende Organisa- geldgeber:innen ein. tion und als Gesellschaft, indem wir so Hollstegge: Das Bewusstmachen zu besseren Lösungen kommen. und Anerkennen von Vielfalt und der damit verbundene Abbau von Hürden Gibt es Beispiele für Projekte, die Sie wirken sich auf die Universität als Or- schon umgesetzt haben? ganisation positiv aus, etwa durch eine Förster: Etwas auf das wir sehr erhöhte Identifikation, die Stärkung des stolz sind, ist die Durchführung des Pi- WIR-Gefühls, bessere Studienverläufe lotprojektes „Kostenlose Menstruati- und dementsprechend geringere Studien- onsprodukte für Studierende“, welches abbruchszahlen oder weniger Fluktuati- wir gemeinsam mit dem AStA zum Som- on bei Mitarbeitenden. mersemester 2022 gestartet haben. Hier gab es fast ausschließlich positive Rück- Wie wollen Sie Chancengerechtigkeit meldungen. Inzwischen hat das Rektorat viduelle Hintergründe, unterschiedliche und Vielfalt unter den Akteur:innen erfreulicherweise die Verstetigung des Werthaltungen, Lernweisen oder auch voranbringen? Projektes verabschiedet. Studienmotivationen aus, die sich sehr Förster: Es geht um die Weiterent- Ein besonderes Highlight waren deutlich auf den Lern- und Studienerfolg wicklung einer Kultur der Wertschät- ganz sicher auch unsere Aktivitäten auswirken und vielfach durch Sozialisati- zung und Anerkennung. Ich denke, rund um den bundesweiten Diversity on in der Hochschule beeinflusst und ver- dass es uns nicht ohne transparente Day Ende Mai. ändert werden können. Die aktuelle Stu- Kommunikation und engagierte Multi- dierendenbefragung des ZEM gibt auch plikator:innen gelingen kann. Deshalb Welche konkreten Maßnahmen plant davon einen guten Eindruck: Knapp neun legen wir auch so viel Wert auf das die Uni mittel- und langfristig? Prozent der Teilnehmer:innen gaben an, Schaffen von Vertrauen in Netzwerken. Förster: Wieviel Zeit haben Sie eine chronische Erkrankung oder Be- Wir möchten, dass Studierende, Lehren- noch? (lacht) hinderung zu haben, mehr als fünf Pro- de, Wissenschaftler:innen untereinander Wir stehen vor dem Re-Audit „Viel- zent pflegen Angehörige und rund drei Kontakte knüpfen, um so gemeinsam falt gestalten“ des Deutschen Stifterver- Prozent betreuen Kinder im familiären neue Ideen zu entwickeln, die die Uni bandes, vor der Evaluierung der Exzel- Kontext. Über elf Prozent unserer Pro- als Ganzes voranbringen können. Wir lenzstrategie, überprüfen den Stand der, fessorenschaft hat einen internationalen möchten daher ein Umfeld schaffen, in auch digitalen, Barrierefreiheit, planen Background, bei den Studierenden sind das das Wissen und die Erfahrungen eine Workshopreihe und Begleiten den es fünfzehn Prozent. von vielen einfließen. Dadurch kann Planungsprozess für einen Kitabau auf sich die Universität als Organisation in dem Campus Poppelsdorf. Wieso profitieren wir von dieser ihren Strukturen chancengerechter ent- Unser Ziel ist es, möglichst viele For- Vielfalt? wickeln. Daher spielen etwa die Aspekte schende, Lehrende und Studierende in Förster: Werden die Forschungs- der Vielfalt und Chancengerechtigkeit unser uniweites Netzwerk einzubinden, teams diverser besetzt, werden auch auch in der Exzellenzstrategie der Uni uns gegenseitig zu stärken und mit- und die Ergebnisse ihrer Forschung inno- eine wichtige Rolle. voneinander zu lernen. vativer. Somit hat die Förderung der Es gibt ein berühmtes Zitat von Verna Diversität einen wichtigen Einfluss Wie kann es gelingen, ein größeres Myers, einer führenden Expertin für Viel- auf das Gelingen der Exzellenzstrate- Bewusstsein für Diversität zu schaffen? falt und Integration, das besagt: „Vielfalt Hollstegge: Viele Mitarbeitende und bedeutet, zur Party eingeladen zu wer- Lehrende haben Diversität bereits im den. Inklusion ist, wenn man zum Tanzen Blick, aber noch nicht unbedingt das nöti- aufgefordert wird.“ ge Wissen zu allen Dimensionen. Sensibi- Wir wollen zum Tanzen auffordern! lisierung und Aufklärung durch beispiels- Das ist unser Ziel. weise persönliche Gespräche, Workshops oder andere Veranstaltungsformate kön- Weitere Informationen nen Wissenslücken schließen, und so zu mehr Verständnis bestimmten Themen chancengerechtigkeit.uni-bonn.de und Personengruppen gegenüber führen. Wie nehmen Sie die Mitarbeitenden mit auf diesem Weg? Dimensionen von Diversität Fotos: Meike Böschemeyer Hollstegge: Oft fühlen sich Men- Alter, soziale Herkunft, sexuelle schen durch Änderungsvorschläge an- Orientierung, Religion und Weltan- fangs vor den Kopf gestoßen. Es kann schauung, körperliche und geistige auch das Gefühl aufkommen, „andere“ Fähigkeiten, Geschlecht und würden übervorteilt. Dann ist es gera- geschlechtliche Identität, ethnische de wichtig zu vermitteln: Wir alle sind Herkunft und Nationalität 6 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
Vielfalt leben! Wie verschiedene Menschen sich an der Universität für Diversität engagieren Vielfalt bedeutet nicht nur, Men- schen verschiedener Nationalitäten im Team zu haben. Es geht um Kolleg:innen verschiedenen Alters, um geschlechtli- che Identität, um Menschen mit körper- lichen Einschränkungen, um diejenigen, die in alternativen Familienmodellen le- ben - und noch viel mehr. Für einen offe- nen Umgang mit Vielfalt und Individua- lität engagieren sich viele Kolleg:innen und Studierende an der Universität Bonn. Sie bringen sich mit ihren The- men ein und damit die Universität auf ihrem diversitätsorientierten Weg voran. Eine Auswahl an zentralen Ansprech- partner:innen stellen wir hier erstmalig vor. Sie sind Anlaufstelle für diejenigen, „Die Schaffung eines vielfältigeren Arbeitsplatzes, an dem jede:r Einzelne die Unterstützung, Beratung oder ein- zählt, macht Teams intelligenter und erfolgreicher, weil Kreativität zunimmt, fach nur ein offenes Ohr brauchen. Sie wenn verschiedene Perspektiven zusammenkommen. Wir sind eine Gruppe von kümmern sich um verschiedene Anfra- Frauen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem wissenschaftlichen gen im Kontext „Vielfalt und Inklusion“. Hintergrund und verschiedenen Karrierestufen, die im Ausschuss für Frauen in Wir fragen sie: Warum und wo setzen der Wissenschaft (WiS) am LIMES-Institut arbeiten. Unser Ziel ist, die Aus- Sie sich für Vielfalt ein? sichten für Frauen in der Wissenschaft zu verbessern. Dazu planen und organisieren wir wissenschaftliche Vorträge, Seminare und Podcasts und informieren über Karrieremöglichkeiten.“ Queer-Referat im AStA „Vielfalt ist an unserer Universität wichtig, da Bildung allen zugänglich gemacht werden sollte. Dies geschieht aber nur, wenn man die Augen nicht vor strukturellen Unterdrückungsmechanismen verschließt. Wir tragen dazu bei, indem wir Beratungen anbieten, Fotos: Gregor Hübl offene Briefe an das Rektorat verfassen und eine Beschwerdestelle sind, wenn Dozent:innen unsensible oder diskriminierende Sprache benutzen. Darüber hinaus bieten wir queeren Studierenden soziale Orte, wo sie einfach mal offen queer sein dürfen und sich austau- schen können. Und wir kümmern uns um die Vereinfachung der Namensänderung für trans* Studierende.“ forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 7
Projektleiter Inklusion im und durch den Hochschulsport „Vielfalt ist eine Bereicherung, weil die Stärken jeder einzelnen Person in diversen Bereichen gefördert und mit einbezogen werden können. Unser Projekt zielt darauf ab, Menschen mit und ohne Beeinträchti- gung zusammenzubringen und jeder Person einen Zugang sowohl zum Sport als auch zur Universität zu ermöglichen.“ „Vielfalt ist immer eine Bereicherung, weil es eine wertvolle Fähigkeit ist, verschiedene Perspektiven einnehmen zu können. Diese Perspektiven kann man am besten im Austausch mit anderen entdecken, deren Lebens- und Erfahrungswelt sich von der eigenen unterscheidet. Ich unterstütze Geflüchtete auf ihrem Weg an unserer Uni und bin überzeugt, dass es eine große Chance ist, weil wir dank dieser Menschen noch vielfältiger und natürlich auch internationaler werden. Sie auf das Studium vorzubereiten, hilft der Zielgruppe, sich besser an der Universität zu orientieren.“ engagiert sich im Justitia-Programm „Wenn ich an Vielfalt denke, kommt mir das Zitat ‚You can‘t be what you can‘t see‘ in den Kopf. Als ich mein Studium begann, gab es an meiner Fakultät keine Juraprofessorinnen. Das hat sich zwar zwischenzeitlich geändert, doch nach wie vor ist der Frauenanteil unter den Professor:innen deutscher Jurafakultäten geringer als der Frauenanteil unter den Jurastudierenden. Für mich war Jurapro- Fotos: Gregor Hübl fessor ein ‚Männerberuf‘ – bis ich eine Vorlesung bei meiner späteren Doktormut- ter besuchte. Unser Justitia-Programm wird von Professorinnen und Habilitan- dinnen des juristischen Fachbereichs getragen. Wir wollen bereits im Studium damit beginnen, Frauen dazu zu ermutigen, den Weg in die Wissenschaft für sich in Betracht zu ziehen. Wir unterstützen, indem wir Erfahrungen schildern, helfen, Netzwerke aufzubauen und praktische Tipps an Teilnehmerinnen geben.“ 8 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
Vertrauensperson der schwerbehinderten Beschäftigten „Vielfalt und Chancengerechtigkeit an unserer Universität kann meines Erachtens nur dann gelingen, wenn Barrieren in den Köpfen, den Gebäuden und den digitalen Werkzeugen aktiv vermieden, abgeschafft oder überwunden werden. Hierfür setze ich mich im Interesse der an der Uni Bonn aktuell und zukünftig beschäftigten schwerbehinderten Kolleg:innen ein und stehe jederzeit für individuelle Beratung zur Verfügung.“ Prorektorin für Nachhaltigkeit „Was eine vielfältige Uni ausmacht? Unterschiedliche Perspektiven, Expertisen und Erfahrungen. Darin steckt ein riesiges Potenzial, denn mit dieser Vielfalt können wir den Umgestaltungsprozess zu einer nachhaltigen Uni besonders gut realisieren. Um die Beteiligung aller an diesem Transformationsprozess zu ermöglichen, kann jede:r seine individuellen Verbesserungsvorschläge über unseren Ideenbriefkasten einreichen. Außerdem organisieren wir regelmäßig unterschiedliche Mitmachaktionen.“ Leiterin des Familienbüros „Vielfalt bedeutet Chance, wenn sie mit einer Haltung einhergeht, die auch die Dimensionen Alter, Geschlecht, Religion, soziale Herkunft, sexuelle Orientierung sowie körperliche und seelische Verfassung umfasst. Familie in Fotos: Gregor Hübl ihrer Diversität wahrzunehmen und gleiche Chancen für alle Familienformen zu schaffen, ist nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe, sondern auch Ziel des Familien- büros. Mit der online-Plakataktion auf der Webseite des Familienbüros leisten wir einen ersten Beitrag dazu.“ forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 9
Universitäten sind Wirtschaftsmotoren Zwei aktuelle Studien zeigen den ökonomischen Nutzen der Universität Bonn auf Welche Wirkung haben Universitäten auf die Wirtschaft? Antworten liefern zwei VID-Jahr 2019. „Die Universität Bonn neue Erhebungen. In der einen geht es um den Effekt, den die Universitäten sichert über ihre 7.500 Beschäftigten Nordrhein-Westfalens insgesamt haben, in der anderen wurde der „ökonomische hinaus insgesamt rund 10.700 Arbeits- Fußabdruck“ der Exzellenzuniversität Bonn in Stadt und Region ermittelt. plätze in ihrem Liefer- und Leistungs- netzwerk. Damit befindet sie sich auf Jeder Euro, der jährlich vom Land beziffert eindrucksvoll und für alle Augenhöhe mit den im DAX gelisteten an NRW-Unis fließt, generiert vier nachvollziehbar die großen ökono- globalen Leitbetrieben Deutsche Tele- neue. Das ist die zentrale Erkenntnis mischen Effekte der Universitäten und kom und Deutsche Post am Standort der Studie, die die Landesrektorenkon- Hochschulen für NRW. Wir erwirt- Bonn“, so der Volkswirt. Weil der An- ferenz (LRK NRW) Ende August der schaften aus jedem Euro, den das Land teil der Beschäftigten mit Hochschul- Ministerin für Kultur und Wissen- NRW uns zur Verfügung stellt, vier abschluss besonders hoch sei, erziele schaft, Ina Brandes, übergeben hat. Euro. Das ist enorm und wohl eine der die Universität Bonn auch überdurch- Erstellt wurde sie vom Geographi- besten Investitionen überhaupt.“ schnittliche Einkommen – ein wesent- schen Institut der Universität Heidel- licher Kaufkraftfaktor! berg. Im Detail: Rund 3,2 Milliarden Großer „Fußabdruck“ in Stadt Euro gab das Land im Betrachtungs- und Region Universität sichert Kaufkraft jahr 2019 für seine Universitäten aus. und Wohlstand Der Studie nach erzeugen diese insge- Das Economica-Institut vermisst samt knapp 13 Milliarden Euro – im- in einer weiteren Studie am Beispiel Von der wirtschaftlichen Potenz merhin 1,5 Prozent der Bruttowert- der Universität Bonn mit ihren 33.000 der Universität profitiert nicht zuletzt schöpfung in Nordrhein-Westfalen. Studierenden und 7.500 Beschäftigten die öffentliche Hand, der jährlich Direkt und indirekt sichern die Unis den „ökonomischen Fußabdruck“, den knapp 300 Millionen Euro an Steuern über 175.000 Arbeitsplätze im Land. eine Universität in der Region hinter- aus dem laufenden Betrieb der Hoch- Auf die dort Beschäftigten entfallen lässt. Und dieser kann sich sehen las- schule zufließen. „Um diese Steuerlei- Löhne und Gehälter in Höhe von 12,3 sen: Jede 25. Arbeitsstelle in der Stadt stung zu kompensieren, müsste die Milliarden Euro, die die Mitarbeitenden ist mit der Universität verbunden, ein Bevölkerung Bonns pro Kopf rechne- in den jeweiligen Regionen ausgeben Vierzigstel der gesamten Bruttowert- risch rund 900 Euro zusätzlich an und damit weitere Effekte erzeugen. schöpfung Bonns entstehe durch sie. Steuern und Abgaben pro Jahr auf- Studienleiter Prof. Dr. Christian Hel- bringen“, sagt der Volkswirt. Was in Der Rektor der Universität Bonn, menstein führt weiter aus: Die Univer- Sachen des wirtschaftlichen Nutzens Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Hoch, ist sität Bonn stehe für eine totale Brutto- für die Stadt gilt, trifft darüber hinaus Mitglied der Sprechergruppe der LRK wertschöpfung in Höhe von rund 700 für die Region zu, denn mehr als die NRW. Er sagt: „Die vorgelegte Studie Millionen Euro im letzten Prä-CO- Hälfte der direkten Beschäftigungs- 10 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
wicklungspotenziale in Bonner Rand- bezirken nicht mit einem vergleich- baren Aufbau von Dienstleistungsan- geboten zu rechnen. Einer voraus- sehbaren Rückentwicklung der Innen- stadt steht somit ein wahrscheinlich rudimentäres Entwicklungspotenzial außerhalb gegenüber.“ Auch starker wissenschaftlicher Einfluss Im zweiten Teil der Economi- ca-Studie standen die wissenschaft- lichen Leistungen der Universität im Vordergrund. Durch die Analyse der wissenschaftlichen Publikationstätig- keit im Zeitraum von 2016 bis 2022 fanden die Untersuchenden heraus, dass die Universität Bonn an jeder 40. wissenschaftlichen Publikation in Deutschland, jeder 177. in der EU-27 bzw. jeder 655. weltweit beteiligt ist. Das weltweite Forschungsnetzwerk Foto: Volker Lannert der Universität Bonn umfasst über 20.000 Kooperationspartner. Die Stu- die zeigt auch auf, dass die Universität in den letzten Jahren eine steigende Zahl von Patenten, vor allem in den Bereichen Pharmazie und Biotechno- logie, hervorgebracht hat und damit verhältnisse in Bonn entfällt auf pen- legung des Lehrbetriebs der geistes- direkt zum Transfer wissenschaft- delnde Beschäftigte. Helmenstein: wissenschaftlichen Fakultäten in die licher Erkenntnisse in die Praxis bei- „Rund 2.100 Beschäftigte aus dem Bonner Peripherie hätte, wie sie allem trägt. Die Studie bescheinigt der Uni- Bonn umschließenden Rhein-Sieg- Widerstand seitens der Universität versität zudem ein überdurchschnitt- Kreis arbeiten an der Universität und zum Trotz von einigen Akteur:innen in liches Forschungsengagement für die machen ein Fünftel ihrer Wertschöp- der Stadt gefordert wird. Christian globalen Nachhaltigkeitsziele und bei fung aus. So sichert die Universität Helmenstein erklärt dazu: „Die Uni- zukunftsgerichteten Technologien Bonn jenseits ihrer Kernaufgaben versität ist nicht nur für die Stadt Bonn etwa in den Bereichen Biologie, Bio- Kaufkraft und Wohlstand weit über insgesamt, sondern vor allem auch für technologie und Gesundheit. die Stadtgrenzen hinaus in einem be- ihr Stadtzentrum wirtschaftlich rele- trächtlichen Ausmaß.“ vant: Würden diese 10.000 Studieren- den nicht mehr in der Innenstadt, son- „Neben unserer Nicht nur der laufende Betrieb, dern in weiter entfernten Stadtteilen starken Wissenschaft sondern auch die Investitionsausgaben studieren, gingen im Zentrum nach zum Fortschritt der Ge- der Universität Bonn im Zeitraum von unseren Modellrechnungen 170 Ar- sellschaft, sichern wir als Foto: Gregor Hübl 2015 bis 2020 – immerhin 150,2 Milli- beitsplätze und knapp 15 Millionen Exzellenzuniversität in onen Euro (inflationsbereinigt) – sor- Euro Bruttowertschöpfung pro Jahr der gesamten Region gen für eine stabile wirtschaftliche verloren.“ Bonn und darüber hi- Entwicklung der Region, „und das naus Tausende stabile auch und gerade in konjunkturell he- Stark betroffen wären Kunst und Arbeitsplätze und tragen rausfordernden Zeiten“, sagt Christian Kultur, Unterhaltung und Erholung, maßgeblich zu Wohlstand, Wertschöp- Helmenstein. So sicherten unter ande- der Einzelhandel sowie die Gastrono- fung und Kaufkraft bei. Klar ist: Wer rem die Ausgaben für Anmietungen, mie. Und der Altersdurchschnitt der uns unterstützt, sichert einen wesent- Neubauten und Sanierungen, aber innerstädtischen Wohnbevölkerung lichen Teil unserer gesellschaftlichen auch die Beschaffung von Gütern 1.855 würde steigen. Hoffnungen, die Wirt- Zukunft“, resümiert Rektor Prof. Arbeitsplätze bei externen Unterneh- schaftsleistung würde insgesamt nur Hoch. men. verlagert, aber nicht sinken, erteilt der Ökonom eine Absage: „Während in der Weitere Informationen: Ökonomische Auswirkungen einer Innenstadt gewachsene Strukturen er- https://www.uni-bonn.de/de/neues/158-2022 Standortverlagerung in die Peripherie heblich beeinträchtigt würden, ist auf- und grund des temporären Charakters der https://www.lrk.nrw/pressemeldungen/ Das Economica-Team untersuchte universitären Aktivitäten sowie der pressemeldungen-detail/universitaeten-sind- auch, welche Auswirkungen eine Ver- eingeschränkten raumplanerischen Ent- wirtschaftsmotoren-in-nord-rhein-westfalen forsch2/2022 UNIVERSITÄT BONN 11
Foto: Volker Lannert Ort exzellenter Priesterausbildung Universitätsgremien sprechen sich für Theologie in Bonn aus In einer gemeinsamen Erklärung haben das Rektorat, der Senat und der Fakultäten abgegeben. Darin heißt es: Hochschulrat der Universität Bonn die Bedeutung der beiden Theologischen „Alle direkten oder indirekten Ver- Fakultäten für die Exzellenzstrategie betont und sich gegen Bestrebungen des suche, das Konkordat auszuhöhlen, Erzbistums Köln gewandt, die Priesterausbildung schleichend von der Bonner lehnen wir ab und sprechen uns gegen Universität zu einer Hochschule des Erzbistums zu verlagern. Das widerspräche eine schleichende Verlagerung der dem Konkordat zwischen dem Land NRW – als Rechtsnachfolger Preußens – Priesterausbildung an Institutionen wie und dem Heiligen Stuhl. die Kölner Hochschule für Katholische Theologie aus. Es bedarf keines weite- „Die Umstände haben sich mittler- nen fest, dass eine solche Vereinbarung ren Studienstandortes für die Prie- weile so entwickelt, dass wir die Öffent- vom Erzbistum Köln offenbar einseitig sterausbildung im Erzbistum Köln.“ lichkeit informieren mussten, da eine unterlaufen werden soll – allen gegentei- Verlegung der Priesterausbildung an ligen Beteuerungen zum Trotz.“ Eine Zudem bekräftigten die Gremien, die Kölner Hochschule aus unserer solide Ausbildung müsse aber satisfakti- dass das Studium für Theologinnen und Sicht fragwürdig, überflüssig und kon- onsfähige Antworten auf die großen Theologen für verschiedene pastorale kordatswidrig ist“, sagt Rektor Prof. Dr. ethischen Fragen der Zeit entwickeln Dienste und Religionslehrer:innen zum Dr. h.c. Michael Hoch. „Die Ausbil- können. „Was sollte diese kleine, rein Selbstverständnis der Universität Bonn dung von Geistlichen und Religionsleh- kirchliche Einrichtung mit ihren derzeit zähle und diese Studienangebote expli- rer:innen an staatlichen Institutionen ist gerade einmal fünf Professuren leisten, zit bejaht würden und gewollt seien. aus unserer Sicht ein hohes gesell- wozu staatliche Universitäten mit voller schaftliches, wissenschaftliches und re- Personalausstattung nicht im Stande wä- Hintergrund für die Befürchtungen ligionspolitisches Gut, das unter keinen ren? Das erschließt sich uns als Landes- ist der im Jahr 2020 vollzogene Träger- Umständen aufgegeben werden darf.“ rektorenkonferenz bislang nicht, sodass wechsel der Philosophisch-Theolo- Dafür stehe die Universität ein. die Frage bleibt: Warum der Aufwand?“ gischen Hochschule der Steyler Missio- nare in Sankt Augustin zum Erzbistum Auch der Vorsitzende der Landes- Kein weiterer Studienstandort für Köln. Die Hochschule, die mittlerweile rektorenkonferenz (LRK), Lambert T. die Priesterausbildung Kölner Hochschule für Katholische Koch, sprach in einem Interview mit Theologie (KHKT) heißt und deren dem Kölner Stadt-Anzeiger von einer Zuvor hatten bereits das Rektorat, Großkanzler Erzbischof Rainer Maria Gefahr für den Wissenschaftsstandort der Hochschulrat und der Senat der Kardinal Woelki ist, wurde im An- NRW, sollte das Konkordat nicht einge- Universität Bonn eine gemeinsame Er- schluss von Sankt Augustin nach Köln halten werden. „Wir stellen mit Erstau- klärung zu den beiden Theologischen verlegt. NILS SÖNKSEN 12 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
Internationalisierungsgrad der Mitarbeitenden stärken Forschende, Studierende, Lehrende und Beschäftigte international vernetzen und fit für die Herausforderungen im Uni-Alltag zu machen: Das hat sich die Uni Bonn mit der Internationalisierungsstrategie auf die Fahnen geschrieben. Dazu gehören etwa Englischkurse genen Kompetenzen zu stärken. „Die Das ist auch ihr Resümee zur Inter- für Verwaltungsmitarbeitende in Irland Internationalisierung der Verwaltung national Staff Week, die erstmals an der und Schottland sowie Hospitationen bei kann nur gelingen, wenn alle Universi- Uni Bonn stattfand. 15 internationale internationalen Partner-Universitäten tätsangehörigen beteiligt sind, allen vor- Gäste von Partnerhochschulen und oder anderen Gasteinrichtungen. Mitar- an Verwaltungsmitarbeitende, die Inter- fünf Mitarbeitende der Uni Bonn teil- beitende frischen ihre Englischkennt- nationalisierungsmaßnahmen umsetzen ten ihre Erfahrungen und Sichtweisen nisse auf und erleben einen intensiven und mit internationalen Studierenden zum Thema „Arbeiten in einem di- interkulturellen, fachlichen Austausch, und Forschenden sprechen“, ist Bärbel versen Umfeld“. Ein wertvoller Erfah- bei dem man eben auch erfährt, wie an- Konermann-Krüger überzeugt. rungsgewinn, weil alle Inspirationen dere Hochschulen die Dinge angehen - Sie leitet die Staff Mobility-Ange- für ihre eigene Arbeit mitnehmen und der berühmte Blick über den eigenen bote zur interkulturellen Qualifizierung ihr Netzwerk erweitern konnten. Das Tellerrand. von Verwaltungsmitarbeitenden und Kontakthalten ist fest eingeplant, damit Viele Angebote für Hochschulmitar- wird nicht müde für die verschiedenen man sich ab und zu mit Außenstehen- beitende finden im Rahmen des Förder- Austauschformate zu werben: „Viele zö- den austauscht, die einen anderen Blick programms Erasmus-Personalmobilität gern, weil während der Abwesenheit zu- auf die Dinge haben - so gewinnt man statt – zum Teil in Kooperation mit der hause alles geregelt werden muss, weil neue Perspektiven für die eigene Arbeit. Personalentwicklung. Dabei steht das der Schreibtisch zu voll ist und das Eng- Erasmus-Motto „Enriching lives, lisch vielleicht nicht top mit Sternchen Staff Mobility opening minds“ genau für die Motivati- ist“, erklärt sie. Die Bedenken seien mei- Die Internationaliserungsangebote umfassen verschie- on, die die Uni ihren Beschäftigten ans stens unbegründet und internationale dene Formate für Auslandsaufenthalte – je nach Herz legt: Seid offen für Neues, erweitert Kontakte zu knüpfen, mache einfach individueller Lebens- und Arbeitssituation. Für Mitarbei- euren Horizont und nutzt das starke Spaß. „Jeder nimmt persönlich so viel tende, die nicht reisen können oder mögen, gibt es die Netzwerk der Partner-Unis, um eure ei- mit.“ Workshop-Reihe „Virtual Staff Exchange“ oder die Möglichkeit zur Teilnahme an der nächsten Staff Week. Das sagen Teilnehmende Das war unsere Staff Week 2022: youtube.com/watch?v=suMGeb1kLVM Erwartungen übertroffen „Die Staff Week hat meine Erwar- Voneinander lernen tungen weit übertroffen. Wir haben „Die Staff Week war wertvoll, weil intensiv über viel mehr Themen dis- man sich dort über Best Practices aus- kutiert, als ich gedacht hätte, und dabei tauschen, von eigenen Erfahrungen Austausch mit Kolleg:innen verschiedene Denk- und Arbeitswei- berichten und voneinander lernen sen kennengelernt. Dadurch, dass wir „Die von der Universität Bonn organi- konnte – auch aus Fehlern der ande- alle so unterschiedlich waren, war die sierte Staff Week war für mich ein tol- ren. Dabei wurde deutlich, dass wir Woche lehrreicher als vergleichbare les Erlebnis – sowohl in beruflicher als alle vor Herausforderungen stehen Veranstaltungen, an denen ich teilge- auch in persönlicher Hinsicht. Es war und man durch Dialog, Diskussion nommen habe. Seit meiner Rückkehr super zu erfahren, an welchen The- und Einsatz Dinge verändern kann. haben wir an meiner Uni Strategien men Kolleg:innen aus aller Welt arbei- Ich habe festgestellt, dass wir Part- umgesetzt, durch die wir unsere inter- ten, und sich darüber zu unterhalten. ner:innen in allen möglichen Be- nationalen Facetten besser wahrneh- Ich würde definitiv jedem empfehlen, reichen haben, auf die wir uns verlas- men und unsere Multikulturalität nut- an solch einer Woche teilzunehmen – sen können. Ich würde auf jeden Fall zen können. Ich empfehle definitiv es war wirklich bereichernd, sich in wieder teilnehmen, um neue Bünd- jedem, an einer Staff Week teilzuneh- einem anderen Umfeld zu bewegen, nisse zu schmieden, Brücken zu bau- men – nirgendwo sonst kann man so interessanten Input zu erhalten und en und Partnerschaften zu bilden.“ gut Arbeit und Reisen verbinden und sich mit Kolleg:innen anderer Hoch- Rona Jualla van Oudenhoven, den eigenen Horizont erweitern.“ schulen darüber auszutauschen. Niederlande Clémentine Ducornet, Frankreich Mark de Vos, Dänemark forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 13
Vier ERC Grants mit Förderung in Millionenhöhe Bildmarke: privat; Meike Böschemeyer/Uni Bonn; Benoit Grogan-Avignon, 2022; privat 5Vier Wissenschaftler Vier Wissenschaftler erhalten einen Valentin Blomer vom Mathematischen Grant erhalten Dr. Julian Schmitt vom erhalten einen ERC Grant begehrten Grant des Europäischen Institut empfängt einen sogenannten Institut für Angewandte Physik und (von links): Prof. Dr. Georg Forschungsrats (ERC) und damit jeweils Advanced Grant, Prof. Dr. Claude Duhr Prof. Dr. Georg Oberdieck vom Mathe- Oberdieck, Prof. Dr. Claude eine Förderung in Millionenhöhe für vom Physikalischen Institut einen Con- matischen Institut. Duhr, Dr. Julian Schmitt, die kommenden fünf Jahre. Prof. Dr. solidator Grant. Jeweils einen Starting Prof. Dr. Valentin Blomer. HUMBOLDT-FORSCHUNGSPREIS Prof. Dr. Uwe-Jens Wiese bekommt ei- nen Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung. Der Wissenschaftler aus Deutschland, der seit rund 20 Jahren an der Universität Bern arbeitet, be- schäftigt sich neben Teilchenphysik auch mit der Physik der kondensierten Mate- rie. Prof. Dr. Ulf-G. Meißner vom Helm- holtz-Institut für Strahlen- und Kernphy- sik der Universität Bonn hat den Foto: Scott Morley Wissenschaftler für den Preis nominiert. Foto: EPFL 2022 / Fred Merz (Lundi13) Beide wollen nun neue Methoden ge- meinsam weiterentwickeln. Der Preis ist mit 60.000 Euro dotiert. 5Prof. Dr. Uwe-Jens Wiese von der Universität Bern. 4Auszeichnung: Prof. Dr. Martin E. Schwab (Mitte) erhielt FIELDS-MEDAILLE Foto: Johann Saba/UKom UKB von Dekan Prof. Dr. Die Mathematikerin Maryna Viazovska Bernd Weber (rechts) erhielt die Fields-Medaille, die auf dem die Ehrendoktorwürde. Internationalen Mathematikkongress in Prof. Dr. Frank Bradke Helsinki übergeben wurde. Die Aus- KOMPAKT (links) hatte ihn mit zeichnung wird seit 1936 alle vier Jahre einigen Kollegen an Mathematikerinnen und Mathemati- vorgeschlagen. ker unter 40 Jahren verliehen. Die 37-jährige Viazovska stammt aus der Uk- Die Mathematikerin EHRENDOKTORWÜRDE tigen Beitrag hin zu neuen Therapien des raine. Ihre Promotion hat sie 2013 an Maryna Viazovska Der Züricher Neurowissenschaftler Prof. Dr. verletzten Rückenmarks und Gehirns leis- der Universität Bonn absolviert. Heute Martin E. Schwab hat eine Ehrenpromoti- ten. Dekan Prof. Dr. Bernd Weber verlieh ist sie Professorin an der Hochschule on der Universität Bonn erhalten. Schwabs die Auszeichnung während der Promoti- EPFL (École polytechnique fédérale de grundlegende Studien können einen wich- onsfeier der Medizinischen Fakultät. Lausanne) in der Schweiz. 14 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
Gemulchte Blühstreifen sind keine Falle für Wildbienen Ein bunter, summender Blühstreifen am Ackerrand – wer freut sich nicht über diese Augenweide und die Vielfalt an Insekten? Doch immer wieder gibt es Kritik an dieser Naturschutzmaßnahme. Insbesondere dann, wenn die ver- der Stiftung Rheinische Kulturland- nell genutzten Flächen keineswegs un- blühten Pflanzen gemäht werden und schaft mit weiteren Wissenschaftlern im günstige Lebensräume oder sogar danach das zerkleinerte Schnittgut als Projekt „Summendes Rheinland“ unter- ökologische Fallen darstellen, sondern Mulch auf den Flächen verbleibt. Die sucht. Sechs Jahre hat das Team Daten die Artenvielfalt der Wildbienen und Befürchtung ist, dass Insekten durch die gesammelt und ausgewertet. Tagfalter fördern. blühenden Pflanzen angelockt und an- schließend durch das Zerhäckseln ge- In dem Projekt wurden 50 Kilome- „Blühstreifen sind ein sehr wich- fährdet werden. ter hochwertige Wildpflanzenblühstrei- tiges Element bei der Förderung der Bi- fen aus regionalem Saatgut angelegt odiversität von Insekten in der Agrar- Sind Blühstreifen ökologische Fal- und die Biodiversität der Wildbienen landschaft“, sagt Schmied. Die Streifen len? Diese Frage hat der Biologe Dr. und Tagfalter unterschiedlich alter könnten sich in der Qualität aber sehr Heiko Schmied vom Institut für Nutz- Blühstreifen erfasst. Hierbei zeigte stark unterscheiden. JOHANNES SEILER pflanzenwissenschaften und Ressourcen- sich, dass auch schmale und jährlich ge- schutz der Universität Bonn und von mulchte Blühstreifen neben konventio- Foto: Stiftung Rheinische Kulturlandschaft forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 15
Forschung mit Biss Wie stark können Insekten zubeißen? Wissenschaftler stellen ein Messsystem vor Wer über einen kräftigen Kauapparat verfügt, kann härtere Nahrung zerkleinern und besser im Kampf gegen Feinde bestehen. Biologen der Universität Bonn haben ein mobiles Messsystem entwickelt, mit dem sie untersuchen, wie sich die Beißkräfte von kleinen Tieren im Lauf der Evolution an ihre Umwelt angepasst haben. Die Gottesanbeterin zappelt ein wenig in Das Team um Prof. Dr. Alexander der Hand des Wissenschaftlers. Als Blanke, der einen Starting Grant des Eu- sich das Insekt dem Sensor nä- ropäischen Forschungsrats (ERC) einge- hert, beißt es zur Abwehr worben hat, entwickelte bestehende Sys- auf die beiden Metall- teme zur Messung von Beißkräften plättchen, die den weiter. In der Messanordnung hilft ein Druck auf einen Binokular – ähnlich einer starken Lupe – Piezok ristall zu erkennen, ob die Kiefer des zu unter- übertragen. Der suchenden Insekts an der richtigen Stelle Kristall erzeugt mit den Metallplättchen in Berührung k r a f t a bh ä ng ig kommen. eine Spannung, die über einen „Je nach Größe und Öffnungswinkel Verstärker auf ei- der Kiefer verwenden wir unterschiedlich nen Laptop über- große Beißplättchen, die sich austauschen tragen wird. Auf lassen“, erläutert Rühr die Weiterentwick- dem Bildschirm lung. „Damit lässt sich der Sensor über entstehen Kur- eine relativ große Spannweite auf die je- ven, die teils steil an- weiligen Erfordernisse der Tiere einstel- steigen und zuckend ein Pla- len.“ Das komplette System ist akkube- teau erreichen, bevor sie wieder trieben und damit mobil einsetzbar. Peter auf den Nullwert absinken. Rühr hat es häufig im Kofferraum dabei, wenn er mit dem Auto unterwegs ist: „Wie stark Insekten zubeißen kön- „Dann führe ich spontan Messungen nen, dazu liegen bisher kaum Daten vor“, durch, wenn sich die Gelegenheit ergibt.“ berichtet Peter Rühr, Doktorand am In- stitut für Evolutionsbiologie und Ökolo- Meist lassen sich die Tiere nicht lan- gie. Mit ihrem Sensorsystem „forceX“ ge überreden, bis sie zubeißen. Sie fühlen wollen die Wissenschaftler untersuchen, sich in der fremden Umgebung unwohl inwiefern die Beißkraft von der Ökolo- und wehren sich mit Abwehrbissen. gie, dem Aussehen der Kiefer, der Mus- Bleibt dieses instinktive Verhalten aus, kulatur und der Kopfform von Insekten streichen ihnen die Forschenden mit abhängt und wie die Tiere sich evolutiv einem zarten Pinsel über den Kopf – spä- an die Herausforderungen ihrer je- testens dann schließen die Insekten ihre weiligen Umgebung angepasst Kiefer. haben. „Nicht für jedes Insekt ist es vorteil- Die Forscher haben die Genauigkeit haft, stark zubei- des Systems bestimmt: Hierfür be- ßen zu können, da schwerten sie das bewegliche Metall- Fotos: Volker Lannert und Peter T. Rühr hohe Beißkräfte plättchen mit unterschiedlichen Gewich- auch mit höheren ten von einem Gramm bis fast einem energetischen Kilogramm. Insgesamt 1.600 Wiederho- Kosten für das lungen zeigen, dass die durchschnittliche Tier einherge- Abweichung der Messungen unter ein hen“, sagt Rühr. Prozent beträgt. „Das ist sehr exakt“, sagt Die Beißkraft Rühr. kann etwa davon abhängen, welche Mit dazu gehört auch die Soft- Nahrung ein In- ware „forceR“, mit der sich die Beiß- sekt zu sich nimmt kraftwerte und die Form der Bisskur- oder ob es die Kiefer zur ven automatisiert auswerten und ver- Verteidigung braucht. gleichen lassen. JOHANNES SEILER 16 forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN
Koloniales Erbe in der Wissensproduktion Der Anthropologe Paul Basu ist neuer Hertz-Professor für Global Heritage Der international renommierte An- mich nach wie vor eine hohe Bedeutung“, Machtverhältnisse, indem sie nicht nur HERTZ thropologe, Kurator und Spezialist für sagt er. „Gleichzeitig können sie zu einem die Herkunft von Sammlungen untersu- kritisches Erbe Paul Basu besetzt seit hochgradig künstlichen – und potenziell chen, sondern auch deren „Affordan- diesem Sommer eine Hertz-Professur gefährlichen – Verständnis der Welt füh- zen“, also das, was Sammlungen an Po- im Transdisziplinären Forschungsbe- ren. Wir müssen uns auf komplexe Wis- tenzial für kollaborative Forschung reich „Present Pasts“. Ausgangspunkt sensökologien einlassen, die auch über anbieten. So soll ein neuer Umgang mit für seine Forschungsarbeit ist eine kri- die an den Universitäten privilegierten und ein neues Verständnis von Heritage tische Auseinandersetzung mit dem Wissensarten hinausgehen. Das macht – dem Erbe – entwickelt werden. Erbe der westlichen Wissensproduktion die Universität von morgen aus.“ SVENJA RONGE – insbesondere die Frage, wie sich die- Paul Basus regionaler Schwerpunkt ses Erbe in wissenschaftlichen Archi- lag in den vergangenen 20 Jahren in Hertz-Professuren sind das Herzstück ven und Sammlungen niederschlägt. Westafrika. Um historische Materialien des fakultätsübergreifenden Konzepts Dabei bringt er verschiedene Diszipli- und Kenntnisse, die in europäischen In- der Transdisziplinären Forschungsbe- nen, aber auch die außeruniversitäre stitutionen verwahrt werden, wieder reiche (TRA). Sie sind nach dem Bonner Öffentlichkeit zusammen. zugänglich zu machen, arbeitete er in- Physiker Heinrich Hertz (1857–1894) tensiv mit Museumssammlungen und benannt und werden mit renommierten An der Universität Bonn wird Archiven – oftmals unter Einbezug lo- Forschenden besetzt, die in ihrem je- Paul Basu ein „Global Heritage Lab“ kaler Gemeinschaften. weiligen Fachgebiet führend sind und einrichten, in dem er und sein Team das Profil der TRA schärfen. Die Profes- mit dekolonialen Ansätzen in der Kul- Die neue Professur ist ein wichtiger sor:innen erhalten 4,2 Millionen Euro turerbe-Forschung experimentieren. Baustein des Forschungsschwerpunkts für sieben Jahre und damit einen großen Das geschieht vor dem Hintergrund, Heritage des Transdisziplinären For- Gestaltungsspielraum, um neue dass auch die Wissenschaft bis heute schungsbereichs „Present Pasts“. Darin Forschungsfelder zu etablieren, Diszi- von kolonialen Strukturen geprägt ist hinterfragen Wissenschaftlerinnen und plinen miteinander zu verbinden und und westliche Erkenntnistheorien um Wissenschaftler unter anderem koloniale wichtige Impulse zu setzen. verschiedene Wissensformen erwei- tert werden müssen. „Unser Ziel ist es, zu erforschen, welche Lehren wir aus der Vergangenheit ziehen können, wenn wir uns mit den drängenden Fragen unserer Zeit auseinanderset- zen und versuchen, uns eine nachhal- tigere und gerechtere Zukunft für den Planeten vorzustellen“, sagt Prof. Dr. Paul Basu. Für das Global Heritage Lab hat Basu bewusst den Titel „Labor“ gewählt. „Ich denke, wir sollten bescheidener mit dem umgehen, was wir zu wissen glau- ben, und der Begriff ,Labor‘ versucht, diese Vorläufigkeit zu artikulieren“, be- tont er. „Wir schaffen einen Raum zum Experimentieren, zum Ausprobieren, zum Andersdenken.“ Ziel sei es, auch Personengruppen außerhalb der Univer- sität teilhaben zu lassen. Paul Basu bringt anthropologische Foto: Meike Böschemeyer und geschichtswissenschaftlich orien- tierte Forschung in den Diskurs mit Dis- ziplinen, die ihren Blickwinkel auf eine nachhaltige Zukunft richten. „Die einzel- nen akademischen Disziplinen haben für forsch 2/2022 UNIVERSITÄT BONN 17
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