Ratskultur Grüne in den Räten - KOMMUNALPOLITIK 1/2012 - GAR NRW
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Grüne/Alternative in den Räten NRW e.V. · Jahrgang 16 · Heft 1 · Januar–März · ISSN 1616-4806 KOMMUNALPOLITIK 1/2012 Grüne in den Räten Ratskultur
Liebe Leserinnen und Leser, inhalt Bergfest nennt sich ein Zeitpunkt der Mitte eines Zeitabschnitts, in unserem Fall die Hälfte einer GAR aktuell Ratsperiode. Im Unterschied zu dem eher sachlichen Wort „Halbzeit“ hat „Bergfest“ eine wertende Die GAR-Delegiertenversammlung .......................................... 3 Komponente, denn es gilt einen schwierigen Pass zu erklimmen. In dieser Ausgabe geht es einmal darum, die kulturelle Praxis grüner Ratsarbeit unter die Lupe zu Forum nehmen. Denn in den luftigen Höhen in der Mitte einer Ratsperiode steht der Wind günstig, um über Grüne in den Räten. Ratskultur vor Ort.................................... 5 Haben und Sein bereits geleiteter Arbeit nachzudenken. Die neue Realität bürgerschaftlicher Politik.............................. 6 Transparenz und Offenheit ................................................... 10 Und gerade wenn der verbleibenden Abschnitt trotz gleicher Länge mit weniger Anstrengung zu Regierung oder Opposition? .................................................. 12 bewältigen ist, ist die Halbzeit auch ein guter Anlass, um bereits ans nächste Spiel zu denken, um neue Mitstreiter für die zukünftige Ratsperiode zu gewinnen. Ratskultur vor Ort................................................................. 14 Vielfalt sucht Rat................................................................... 20 Wenn Bier und Butterbrot besonders deftig und lecker sind, lohnt sich der berühmten Spruch von Neue Talente für die nächste Saison....................................... 22 John Lennon: Überzeugen und Verschwiegenheit ........................................ 24 „Leben ist das, was passiert, während du eifrig dabei bist, andere Pläne zu machen.“ thema Wir von der GAR sind jedenfalls am Ball und möchten in der zweiten Hälfte gerade auch die noch Her mit den U3-Plätzen! ....................................................... 26 unentschlossenen, zukünftigen Ratsmitglieder für unsere Weiterbildungsangebote gewinnen. Denn Die Grüne Wirtschaft boomt .................................................. 28 im Austausch mit bereits Aktiven gibt es nicht nur fachliches Know-how, auch die Pässe wie Fallstricke Ratsarbeit können hier einmal praxisnah durchgespielt werden. Der Einsatz lohnt sich! service/info Direktwahl des Ruhrparlaments?........................................... 29 Also liebe Fraktionen, neue noch unentschlossene Talente ohne Mandat sind bei uns ebenso willkom- Wahl kommunaler HauptverwaltungsbeamtInnen.................. 29 men wie die bereits aktiven Ratsmitglieder! Die Neuen kennen aber unsere Angebote noch nicht und brauchen einen kleinen Schub von den Aktiven. rezension Wir wünschen euch jedenfalls einen guten Enzian zur Halbzeit! Mut statt Wut........................................................................ 30 Recht der Ratsfraktionen ...................................................... 30 Und anregende Lektüre bei dieser Ausgabe. Dunja Briese GARnet - Redaktion - Politik und Psychologie des Klimaschutzes ............................. 31 impressum Forum Kommunalpolitik erscheint viermal im Jahr und wird an die Mitglieder der GAR NRW kostenlos Layout: Birgit Beckmann-Engelmann, abgegeben. Der Abonnentenpreis für Nicht-Mitglieder beträgt 18,40 € inklusive Versandkosten. Der Roland Lang Einzelpreis beträgt 5 €. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der GAR NRW wieder. Die Redaktion behält sich vor, Beiträge in gekürzter Form abzudrucken. Titelfoto: Roland Lang Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung der Redaktion und unter Quellenangabe Fotos: Roland Lang S. 5, 7, 15, 17, 23, 25 gestattet. Herausgeber: GAR NRW, Grüne/Alternative in den Räten NRW Anzeigen: Dunja Briese Jahnstr. 52 · 40215 Düsseldorf Fon: 0211–38476–0 Druck: TIAMATdruck GmbH, Düsseldorf E-mail: info@gar-nrw.de ISSN: 1616-4806 Web: www.gar-nrw.de Redaktion, V.i.S.d.P: Dunja Briese, Fon: 0211–38476–16, briese@gar-nrw.de Thema der nächsten Ausgabe: Bauen und Planen Redaktionelle Mitarbeit: Gönül Eglence, Volker Wilke Redaktionsschluss 1.05.2012 2 1/12
GAR aktuell Bürgerschaftliche Politik in der kommunalen Demokratie Die GAR-Delegiertenversammlung Rund zwanzig Delegierte waren am 04. Februar 2012 der Einladung der GAR zur alljährlichen Delegiertenversammlung ins Düsseldorfer Rathaus gefolgt. Günter Karen Jungen und Anette Lostermann DeNil begrüßten die Gäste und stellten die Referenten vor: Prof. Dr. Hans J. Lietzmann, von der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung der Bergischen Universität Wuppertal, die parlamentarische Geschäftsführerin und kommunalpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Britta Haßelmann und den kommunalpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion Mehrdad Mostofizadeh. Bürgerschaftliche Politik Schon jetzt ist absehbar, dass die Nachfrage nach Kita-Plätzen größer sein wird, als zum Zeitpunkt in der kommunalen Demokratie der ursprünglichen Planungen angenommen. Prof. Hans J. Lietzmann wirft zunächst ein Schlag- Die Bundesfamilienministerin tut nichts, um licht auf die Schwerpunkte seiner beruflichen dem tatsächlichen Bedarf Rechnung zu tragen Tätigkeit. Erste Erfahrungen mit dem Thema und lässt die Kommunen bei der Umsetzung und Bürgerbeteiligung machte er in Düsseldorf bei Finanzierung des Kita-Ausbaus im Regen stehen. der Initiative mehr Demokratie – seinerzeit zum Statt mit Ländern und Kommunen auf der Grundla- Thema Volksabstimmung in NRW. Er berichtet ge einer soliden Bedarfserhebung eine vernünftige über das Arbeitsprofil der Forschungsstelle Bür- und faire Finanzierungsvereinbarung zu treffen, gerbeteiligung, die Kommunen zu allen Aspekten will sie sich durch die Einführung eines unsinni- des bürgerschaftlichen Engagements berät. gen Betreuungsgeldes von dieser Verantwortung Bürgerschaftliches Engagement entsteht flächen- freikaufen. Selbstverständlich sind auch die Länder deckend zu allen kommunalpolitischen Themen. In und die Kommunen in der Pflicht, ihren Beitrag zu allen Städten gibt es mittlerweile kleine und große leisten. Das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Bund Projekte und Initiativen. Problematisch an der po- und Ländern muss ein Ende haben. Nur wenn alle litischen Vertretung im Stadtrat ist die vorwiegend Beteiligten ihre Zusagen einhalten, kann der Kita- mittelschichtsorientierte Repräsentation. Für eine Ausbau bis zum Inkrafttreten des Rechtsanspruchs angemessenere politische Vertretung wird ein neues gelingen.“ institutionelles Setting benötigt, neue Formen der Die Bundesregierung hat beim Thema Gemein- Beteiligung kommen hinzu, während alte Instru- definanzen versagt. Denn das Kernproblem – die mente erhalten bleiben, nicht sachrichtige sondern Strukturunterschiede zwischen armen und reichen vor allem verfahrensrichtige Entscheidungen sind Städten und Gemeinden – hat sie in ihrer Gemein- wegweisend. Seit Anne Lütjes Regierungspräsiden- definanzkommission nicht bearbeitet. tin ist, können Beteiligungsverfahren zu pflichtigen Die ungelöste Krise der Gemeindefinanzen Auf der GAR-DV. Aufgaben der Kommune werden. spitzt sich weiter zu. Ungebremst steigende Von rechts nach links: Hans J. Lietzmann berichtet ausführlich in dem Kassenkredite sorgen inzwischen dafür, dass sich Prof. Dr. Hans J. Lietzmann, Leitartikel dieser Ausgabe auf den Seiten 6 bis 8. einige Banken aus der Finanzierung finanzschwa- Gunter Karen-Jungen, Empfehlenswert ist weiterhin sein Artikel „Bürger- cher Kommunen zurückziehen. Gerade die struk- Britta Haßelmann, schaftliche Politik in der kommunalen Demokratie“ turschwachen Kommunen sind von kontinuierlich Annette Lostermann-De Niel in Forum Kommunalpolitik 1.2011 im Schwer- punktheft „Beteiligungskultur vor Ort“. Kommunalpolitischer Bericht aus Bund und Land Britta Haßelmann informiert umfassend über die aktuellen Themen und Haushaltbeschlüsse des Bundestags. Bei der Debatte um die Kita-Plätze ist die Frage, wie der Rechtsanspruch kommunal umgesetzt wird, das zentrale Thema. Es fehlen bundesweit mindestens 280.000 Plätze, um die festgeschriebenen 35 Prozent Quote zu erreichen. 1/12 3
GAR aktuell steigenden Sozialausgaben bedroht. Die Entlastung Jahresabschluss 2010 der Kommunen von der Grundsicherung im Alter kann nur ein erster Schritt sein, die strukturelle Der Jahresabschluss wird von Beate Barabasch Unterfinanzierung der Kommunen zu beseitigen. vorgestellt. Der Bericht der RechnungsprüferIn Positiv ist die verpflichtende Beteiligung der Beate Barabasch (Ratsfraktion Langenfeld) und kommunalen Spitzenverbände bei Anhörungsver- Peter Nienhaus (Ratsfraktion Alpen) erfolgte fahren. Sie werden bei Gesetzgebungsverfahren ohne Beanstandungen. Die Versammlung votiert jetzt automatisch als Sachverständige benannt. einstimmig für die Entlastung des Vorstandes. Mehrdad Mostofizadeh stellte die aktuellen parlamentarischen Initiativen der Landtagsfrak- Haushaltsberatungen 2012 tion ausführlich vor. Ein Schwerpunkt seiner Ausführungen sind die aktuellen Initiativen beim Der Nachtragshaushalt 2011 und der Haushaltplan Stärkungspaket Stadtfinanzen. Auch die Stärkung 2012 werden von Volker Wilke vorgestellt. In der der Instrumente für mehr Demokratie durch die Summe stellt sich der Haushaltsplan deutlich besser Gesetzesinitiativen der Landtagsfraktion werden dar. Durch das Landtagswahlergebnis wurde die vorgestellt. Die Landtagsfraktion gibt dazu in die- Zuwendung größer. Eine weitere Einnahmequelle ser Ausgabe zentrale Informationen. sind die gestiegenen Mitgliedsbeiträge durch die Erhöhung der Anzahl der Ratsmandate. Bestätigung neuer Mitglieder Stellenplan der GAR 2012 Die GAR hat insgesamt 260 Mitgliedschaften, es sind 211 Fraktionsmitgliedschaften, 38 Einzel- Der aktuelle Stellenplan der GAR 2012 wird vor- mitgliedschaften und 11 Fördermitgliedschaften gestellt und einstimmig genehmigt. (Fördermitgliedschaften sind in der Regel Beige- ordnete und Bundestagsabgeordnete). Im Jahr 2011 Wahl eines weiteren/einer weiteren gab es zwei neue Fraktionsmitgliedschaften und RechnungsprüferIn zwei neue Einzelmitgliedschaft. Beendet wurden drei Einzelmitgliedschaften und zwei Fraktionsmit- Der Rechnungsprüfer Peter Nienhaus war zwei gliedschaften. Die neuen Mitgliedschaften werden Jahre in Folge tätig. Er stellt sich zur Wiederwahl einstimmig bestätigt. und wird für weitere zwei Jahre einstimmig ge- wählt. Die Rechnungsprüferin Beate Barabasch Genehmigung des Protokolls ist weiterhin tätig. Das Protokoll der GAR DV vom 22. Januar 2011 Verschiedenes/Termine wird ohne Gegenstimmen genehmigt. Die Kommunalpolitische Tagung der GAR 2012, Rechenschaftsbericht des Vorstands wird unter dem Arbeitstitel „Inklusive Stadtgesell- schaft“ derzeit geplant und soll im Herbst 2012 Der Rechenschaftsbericht des Vorstands (2009- stattfinden. 2010) ist den GAR-Mitgliedern per Mail zuge- stellt worden und liegt den Delegierten vor Ort zur Kenntnisnahme vor. Auf der GAR-DV. Die Delegierten während der Debatte. 4 1/12
Grüne in den Räten Ratskultur Die kommunalen Räte sind ein Grundpfeiler der repräsentativen Demokratie. Und die ist weder in Stein gemeißelt, noch in Beton gegossen. Wir stellen uns auf Wandel ein. Die Halbzeit in den Räten wird zum Anlass, die Dynamik politischer Entscheidungen zum Schwerpunkt zu machen. Wie funktioniert Entscheiden, wie gelingt politische Verantwortung, wie kommt Bewegung und wie „mehr“ Grün in Rat, Hinterzimmer und in die Öffentlichkeit? Zu diesen zentralen Fragen haben wir erfahrene Stimmen um ihre Stellungsnahme gebeten. Prof. Dr. Hans J. Lietzmann plädiert für das Zusammenwachsen von bürgerschaftlichen und repräsentativen Verfahren zur Stärkung der kommunalen Demokratie. Wolfgang Pieper richtet den Blick nach Telgte. Er thematisiert die Möglichkeiten und Grenzen einer kommunalen Beteiligungskultur aus der Perspektive eines Bürgermeisters. Wie geht Regierung und wie läuft Opposition? Katharina Schubert-Loy aus Bochum reflektiert ihre Erfahrungen zur grünen Einflussnahme im Rat. Wie macht ihr das im Rat? Diese Frage hat Dunja Briese VertreterInnen aus sechs Kommunen gestellt. Welche Erfahrungen machen EinwanderInnen im Rat von deutschen Großstädten? Prof. Dr . Karin Schönwälder, Cihan Sinanoglu und Daniel Volkert erläutern die zentralen Ergebnisse der Studie „Vielfalt sucht Rat“. Halbzeit in den Räten und Ortverbänden vor Ort! Für Sabine Brauer ist das ein guter Anlass neue Talente für die Teams der nächsten Saison zu orten. Johanna Onischke balanciert zwischen Überzeugungsbildung und Verschwiegenheitspflicht, um den Umgang von Ratsmitgliedern mit den öffentlichen Medien rechtssicher zu umreißen. 1/12 5
Stärkung der Räte und Rathäuser Die neue Realität bürgerschaftlicher Politik Prof. Dr. Hans J. Lietzmann Es gehört zu den erstaunlichen Ereignissen ge- Schließlich sind auch die Instrumentarien, die Bergische Universität Wuppertal, genwärtiger Politik, in welchem Ausmaß sich Foren und die Formate, der Bürgerbeteiligung Lehrstuhl für Politikwissenschaft, der Ruf nach Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen vielfältig. Ob nun mit „Planungszellen“ oder Jean Monnet Professor ausgebreitet hat. Dabei hatten die Ereignisse um „Bürgerforen“, „citizen juries“ oder oneline- for European Politics, „Stuttgart21“ Signalcharakter. Doch waren sie Plattformen und Barcamps; die Bürgerinnen und Forschungstelle nur besonders dramatisch in ihrer Zuspitzung Bürger verfügen über ein differenziertes Angebot Bürgerbeteiligung, Institute for und vielleicht in Stuttgart und dem „Ländle“ am von Verfahren – und sie nutzen es in ihrer ganzen European Citizenship Politics wenigsten erwartet worden. Es ranken sich aber Breite. Das ist ein vielfältiger und ausgiebiger [EuCiP] ähnliche Dramatiken um den Messebau in Berlin, Lernprozess. Er führt mitunter zu schmerzhaften um die Olympiabewerbung in Bayern und um den Misserfolgen (z.Zt. vor allem bei den online-Ver- Flughafen in Frankfurt; ebenso um die Schulpolitik fahren) und zu teilweise triumphalen Erlebnissen in Hamburg, die Windräder in Norddeutschland, die in der Kommunikation und Beratschlagung der Pumpspeicherwerke im Schwarzwald und um die bürgerschaftlichen Politik. Rekommunalisierung der Stadtwerke und der Ener- gieversorgung in vielen, vielen deutschen Städten. Für Bürgerbeteiligung! Nicht zuletzt eben auch um den Kraftwerksbau und die CO-Pipeline in NRW. Oft wird das bürgerschaftliche Verfahren in Geg- Deshalb lässt sich auch schon lange nicht mehr nerschaft zu den repräsentativen Verfahren der nur von einer regionalen Entwicklung sprechen. kommunalen Politik gebracht. Manchen gilt es Und das liegt daran, dass neben den spektakulä- als direkter Ausfluss von „Politikverdrossenheit“ ren und überregional bekannten bürgerschaftlichen und „Politiker-Bashings“. Aber eher ist das Ge- Verfahren ein dichtes Netz von Bürgerbeteiligun- genteil richtig! gen in den Quartieren, in den Städten und in den Re- Repräsentative Politik befindet sich (seit ihrem gionen das Land überzogen hat. Bürgerschaftliche Beginn im 18. Jahrhundert) in einem steten Wan- Beteiligung ist zu einer flächendeckenden Realität del. Von der Einführung der Parlamente für die auf allen Ebenen der Politik geworden. Niemand wohlhabenden und steuerzahlenden Bürger zum kann genau sagen, wann es begann. Und mancher allgemeinen Wahlrecht (erst für Männer/ dann auch bleibt verblüfft von dem, was sich da tut! für Frauen), bis zur Einführung der gewählten Re- gierung im 20. Jahrhundert. Mit der Orientierung an den Parteien als neuen, starken Akteuren sowie Vielfalt der Themen der späteren Einbeziehung der Verbände in die Bemerkenswert an diesem Ruf nach bürgerschaftli- parlamentarische Beratung. Immer galt dies als cher Beteiligung ist zudem, dass er quasi alle denk- „Untergang“ der vorherigen Repräsentation – und baren Bereiche erfasst: von den „großen“ Themen immer wurde es als „Fundamentalkritik“ an den der Verkehrs-, Infrastruktur- und Energieplanung bestehenden Verhältnissen gewertet. bis hin zu den „kleinen“, aber für die Bürgerschaft Tatsächlich war es jedes Mal (nur!) eine Er- wichtigen Themen wie Quartiersentwicklung, weiterung des Beurteilungsspielraums, des ge- kommunalem Wohnungsbau, Einkaufszentren sellschaftlichen Horizontes und der politischen und Bürgerhaushalten. Kompetenzen. Mit jedem dieser Schritte wurde Auch geht es – entgegen mancher Polemik die Reichhaltigkeit der Perspektiven entscheidend – keineswegs nur um Planungsverhinderung. So erweitert – und mit jedem dieser Schritte wurde wird in großem Maße für Projekte der Rekom- das bestehende repräsentative System gestärkt. Es munalisierung, für Erneuerung des ÖPNV und gewann an Perspektiven, an Klugheit in seinen für Fortschreibung und Überarbeitung von Pro- Entscheidungen, an Durchsetzungskraft für seine grammen zur Energiepolitik geworben. Dass es Planungen. Das lag daran, dass die grundlegenden auch gegen kommunale Planung Einwände gibt, Erkenntnisse für die Entscheidungen auf einer im- ist nur natürlich. mer breiteren Basis gewonnen wurden. Auch daran, 6 1/12
dass die bürgerliche Bereitschaft, Vorhaben zu un- Auch dass ein großer Teil der Räte selbst ihren terstützen und damit effektiv zu machen, elementar politischen Einfluss als minimal begreifen, gehört mit der Möglichkeit verbunden ist, das Ergebnis zur bedrängenden Realität der gegenwärtigen parla- auch zu gestalten mentarischen Praxis. Die bürgerschaftliche Verstär- kung, die sie erfahren können, wird ihren Spielraum wieder erweitern können. Der Schulterschluss Stärkung der Räte und Rathäuser! zwischen Räten und bürgerschaftlichen Verfahren Auch in der bürgerschaftlichen Politik liegt in dient der bestehenden kommunalen Demokratie. allererster Linie eine Stärkung der Räte und auch Er dient der Wiederbelebung. Er schafft endlich der kommunalen Akteure. Nicht nur, dass dem wieder neue Konstellationen und Gestaltungskräfte Legitimationsverlust der repräsentativen Gremien zwischen den Räten und den Hauptamtlichen, zwi- eine wirkungsvolle Praxis entgegengesetzt werden schen Räten und Verwaltungen. kann: Die Bürger werden verantwortlich in die poli- Nicht zuletzt ist bürgerschaftliche Politik mit ih- tischen Entscheidungen einbezogen. In der bürger- ren Verfahren und Entscheidungen eine der letzten schaftlichen Politik sind sie selbst es, die sich in viel Bastionen, mit deren Hilfe sich die Räte und auch höherem, viel spürbarerem und viel sichtbarerem die Rathäuser gegen den Einfluss mächtiger Privater Ausmaß sachkundig machen. Sie übernehmen dann und Investoren zu wehren vermögen. Deren Macht tatsächlich die (Mit)Verantwortung für die oftmals ist unaufhaltsam, solange die Verhandlungen nur sehr riskanten Entscheidungen. Dies ist zwar nur in den Büros und Hinterzimmern geführt werden. ein Aspekt demokratischer Entscheidungskultur: Den oft erpresserischen Argumenten kann letztlich Aber doch gehört das „Das-haben-wir-selbst-so- nur mittels bürgerschaftlicher Beteiligungen und gewollt“ zu den ganz tragenden Prinzipien einer zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit wirkungsvoll demokratischen Lebenskultur und Identität. Es und dauerhaft widerstanden werden – nur wenn ist das wesentliche Gegengift gegen resignative die Bürgerschaft selbst, demokratisch verbindlich, Politikverweigerung. Es ist das wirkungsvollste die Kriterien der Bauvorhaben und der privaten (und derzeit einzige) Gegenmittel gegen die po- Investitionen vorgibt, haben diese die Chance, als litikverdrossene Larmoyanz eines „Die-da-ma- „verhandlungsfest“ zu gelten. chen-sowieso-was-sie-wollen“. Und es ist ein ganz wesentliches Element der Legitimation und der Neues Level der Demokratie wirklich tragfähigen Auseinandersetzung mit den anstehenden Problemen der Kommune. Nur wenn Die bürgerschaftlichen Verfahren sind der wesentli- das Angebot einer wirkungsvollen Entscheidungs- che Erweiterungsschritt in eine neue Dimension der beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erlebbar kommunalen Demokratie und der Repräsentation und glaubhaft ist, werden diese die Entscheidungen in den Städten. Kommunale Demokratie muss sich als eigene verstanden und mitverantwortet. beständig verändern, wenn sie sich treu bleiben Der Dialog zwischen Rat und Bürgerschaft ist das Wesentliche Gegengift gegen resignative Politikverweigerung, wenn die Bürger mit in die Verantwortung der Entscheidungen einbezogen werden. 1/12 7
will. Damit sie ihre Ziele der Bürgergerechtigkeit, „Planungszellen“) zeigen die hohe Kompetenz der guten Planung und der sozialen Versorgung der und Lernfähigkeit dieser Verfahren; ebenso die Städte erreichen kann, muss sie beständig neue ungeahnt hohe Verantwortlichkeit dieser Beteilig- Wege gehen. Das tut sie seit mehr als 200 Jahren! ten gegenüber den Gemeinwohlaspekten. Die jetzige Erneuerung liegt auch daran, dass sich die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger Entscheidungsbeteiligung verändern; mit deren Bildungsstand erwächst deren Ein Kernerfordernis ist auch die tatsächliche Bereitschaft zur Beteiligung. Auch daran, dass sich und verbindliche Beteiligung der Bürger an den die Prioritäten und die wesentlichen Erfordernisse Entscheidungen. Ein bloße Information oder Be- verschieben; mit dem Wandel der kommunalen fragung der Bürgerschaft reicht nicht aus (die gab Aufgaben entstehen völlig neue Probleme. Und es schon 1808 in Preußen). Denn wichtig ist die es liegt auch daran, dass viele Entscheidungs- reale und spürbare Einbeziehung der Bürgerinnen sachverhalte in einem ganz neuen Licht dastehen; und Bürger in die Verantwortung. Ansonsten bliebe durch die europäische Vernetzung und die immer alles beliebig. Auch das Urteil der Bürgerinnen und stärkere finanzielle Abhängigkeit der Städte und Bürger. Es kann dann durchaus auch Mischformen Gemeinden von außerkommunalen Entwick- geben; z.B. aus einem Entscheidungsvorschlag lungen entstehen ungekannte Konstellationen. einer „citizen jury“/“Planungszelle“ mit einem Nicht zuletzt sind die technologischen und öko- anschließenden Bürgerentscheid, - der Phantasie logischen Risiken in einer Weise entgrenzt und sind kaum Grenzen gesetzt. tatsächlich unüberschaubar geworden, dass die Entscheidungen herkömmlicher „Experten“ voll- Verfahrensstruktur ständig fragwürdig geworden sind. Für die Beteiligten ist es erfahrungsgemäß von äu- In allen diesen Fällen ist es die bürgerschaftliche ßerster Wichtigkeit, in einem strikt strukturierten Beteiligung, die neue Chancen bietet: Indem sie Verfahren zu arbeiten. Wie in einem „Rechtsstaat“ eine neue Vielfalt an Perspektiven in die Debatte ist „Struktur“ ein wichtiger sozialer Schutz gegen einbezieht. Indem sie auch den Gefühlen und Ge- kommunikative Übermacht. Soziale Kommunika- halten der aufgeklärten Bürgerschaft eine Stimme tionsunterschiede können durch kluge Strukturie- gibt. Und indem sie der Bürgerschaft eine Mitwir- rung ausgeglichen werden. Sie stellen in solchen kung an den Risiken moderner Politik einräumt. Verfahren (Planungszellen, deliberative polls) „Au- genhöhe“ zwischen den zufällig ausgewählten, sehr unterschiedlichen Bürgern her. Keine neue Beliebigkeit! Wie immer, wenn man Neues schaffen möchte, Expertenbeteiligung kann man aber auch Vieles falsch machen! Es ist Wie in jedem Entscheidungsverfahren darf auf nicht gleichgültig welche Formen der Bürgerbe- Expertenwissen nicht verzichtet werden. Bür- teiligung angewandt und welche Instrumentarien gerbeteiligung ist kein Stammtisch! Da auch genutzt werden. Wir verfügen über reichhaltige Expertenwissen kontrovers ist, sind auch hier die Erfahrungen der konventionellen Politik, die wir widersprüchlichen Expertisen wichtig. Entschei- nicht verleugnen sollten! Und wir wissen, dass sich dungsmacht bekommen die Experten hingegen für unterschiedliche Anlässe und unterschiedliche nicht. Entscheiden tun die BürgerInnen selbst. Themen auch unterschiedliche Formen der „best Allerdings korrigieren und fundieren sie ihre practice“ herausgebildet haben. Nicht jede Form Meinung in diesem Prozess in hohem Maß! Sie der Bürgerbeteiligung hat sich bewährt. sind überhaupt nicht beratungsresistent. Soziale Breite/ Zufallsauswahl Resümee Das Wichtigste ist die breite Einbindung der Bür- ger, die an der Entscheidung beteiligt werden. Eine Bürgerbeteiligung ist kein Wunschprojekt. Sie ist Bürgerbeteiligung, an der nur die in jeder Kommu- fester Bestandteil der Realität kommunaler Demo- ne bekannten „üblichen Verdächtigen“ oder gar die kratie im 21. Jahrhundert! Nun geht es darum, sie unmittelbar und konkret Interessierten beteiligt sind zu verstehen und zu gestalten. Tatsächlich stärkt (positiv: Investoren/ Nutzer oder negativ: Not in my bürgerschaftliche Politik die Kommunen. Und sie backyard: NIMBY’s), ist völlig sinnlos! Wichtig stärkt auch die traditionellen Akteure kommunaler ist die Zufallsauswahl von Bürgerinnen und Bür- Politik! In dem Bündnis der alten mit der neuen gern, die über das Einwohnermeldeamt problemlos Realität kommunaler Politik liegt deren Kraft und möglich ist. Sie holt den bürgerklugen Alltagsver- Chance. Es gibt reichlich Erfahrungen, wie diese stand in die Entscheidungsprozesse herein. Und Kooperation konkret gestaltet werden kann. Man die Erfahrungen mit diesen Verfahren (z.B. in muss sie nutzen! 8 1/12
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Prinzipien eines Bürgermeisters Transparenz und Offenheit Wolfgang Pieper Ein grüner Bürgermeister ist keine Garantie dafür, untereinander umso wichtiger, dürfen Gesprächsfä- Bürgermeister der Stadt Telgte dass die Dinge in einer Kommune grundsätzlich den nicht abreißen. Bislang ist es gelungen, diese besser laufen. Mit dem Amtsantritt als Bürger- Gesprächsbereitschaft auf allen Seiten zu erhalten meister von Telgte im Mai 2010 habe ich mich und zu verbessern. Nur gut informierte Fraktionen bemüht, Transparenz und Beteiligung zu Prinzipien können auch gute Entscheidungen finden. im Umgang zwischen Rat und Verwaltung und mit der Bürgerschaft zu machen. Damit dies keine lee- Beteiligungskultur – und ihre Grenzen ren Ansprüche bleiben, muss ein solcher Umgang „von oben“ geprägt und kultiviert werden – und das Interessierte und mündige Bürger/innen sehen ist nicht immer einfach, erfordert Aufmerksamkeit häufig allein in einer Beteiligung an Wahlen keine und Aufwand. hinreichende Möglichkeit mehr, ihre Interessen wirksam zu vertreten oder sich in Entscheidungs- Der Rat hat einen Anspruch prozesse einzubringen. Um sich aber in die örtliche Politik einmischen zu können, bedarf es einer mög- auf umfassende Information lichst großen Transparenz und Offenheit, müssen Zwischen einem/einer hauptamtlichen Bürger- Informationen über bestimmte Prozesse oder Pro- meister/in und ehrenamtlichen Ratsmitgliedern jekte frühzeitig kommuniziert werden. wird es immer einen Informationunterschied Dazu ist die Nähe zu den Bürgerinnen und Bür- geben. Dennoch haben die Ratsmitglieder einen gern der Kommune eine wichtige Voraussetzung, Anspruch auf möglichst vollständige Informatio- die natürlich im Dorf oder in der Kleinstadt bes- nen als Grundlage für die Meinungsbildung und ser zu gewährleisten ist als in der Großstadt. Die Entscheidungsfindung. Beteiligung und aktive Einbindung der Menschen Mein Angebot zur Teilnahme an den Sitzungen folgt aber nicht einfach einem politischen Kalkül, aller Fraktionen wird rege wahrgenommen, über „möglichst nah dran“ sein zu wollen oder auf die- die kurzen Wege des Internets gibt es häufige sem Wege schlicht die Akzeptanz von Infrastruk- Hintergrund- oder Zwischeninformationen für turvorhaben oder Projekten zu fördern. die Fraktionen und über den Ältestenrat und die Eine Beteiligungskultur sollte die Menschen mit Ausschüsse bin ich bemüht, die Politik auf dem ihren vielfältigen Erfahrungen, Kenntnissen und Weg zu Entscheidungen mitzunehmen. Informa- Fähigkeiten und ihren daraus erwachsenen Vorstel- tionsvorsprung darf nicht zu „Herrschaftswissen“ lungen und Meinungen ernst nehmen. Hier gibt es werden, auch wenn der Umgang mit sensiblen – trotz aller Heterogenität – ein riesiges Potenzial, Informationen oder Sachverhalten aus den un- das eine Kommune in ihren Entwicklungsschritten terschiedlichen Perspektiven heraus bisweilen und in ihrer strategischen Ausrichtung bereichern durchaus unterschiedlich gehandhabt wird. kann. Gerade auf kommunaler Ebene ist die Ein- bindung dieses Bürgerengagements unverzichtbar, denn es festigt den Zusammenhalt einer modernen Beteiligungsformen Bürgerschaft und schafft die Voraussetzungen da- Anfängliche Vorbehalte, ein grüner Bürgermeis- für, dass viele an „ihrer Stadt“ mitbauen können. ter könnte die anderen Ratsfraktionen hinsichtlich Die konkreten Beteiligungsformen waren und der erforderlichen Informationen wohlmöglich sind seit Mai 2010 vielfältig: „aushungern“, haben sich schnell gelegt. Dabei So hatte der Rat der Stadt Telgte einen extern ist die Ebene der Transparenz und Offenheit aus begleiteten Prozess zur Gestaltung des demo- meiner Sicht strikt zu trennen von der Ebene der graphischen Wandels beschlossen. Zunächst in inhaltlich-politischen Debatte. Gerade dann, wenn mehreren halbtägigen Workshops für Verwal- die Konflikte groß und die Auseinandersetzungen tung und Rat gestartet, weitete sich das Projekt heftig sind – und davon gab es in den ersten an- nach einer öffentlichen Auftaktveranstaltung derthalb Jahren genügend – ist die Kommunikation mit rund 350 interessierten TeilnehmerInnen 10 1/12
schnell aus. Ein darauf aufbauendes Arbeits- Aufzählung zeigt, dass in einer kleinen Stadt die wochenende fand mit etwa 80 Vertreterinnen Kultivierung von Beteiligungsformen nicht endlos und Vertretern von Telgter Vereinen und In- möglich ist. Werden zu viele Prozesse gleichzeitig itiativen, Schulen und Institutionen, Gewer- geführt, ohne dass sie in eine konkrete Umsetzung betreibenden und Unternehmen sowie Politik münden, dann ermüdet sicher auch die Bereitschaft und Verwaltung eine phantastische Resonanz. der Menschen, sich einzubringen. Das Versprechen, In einer wunderbar kooperativen Atmosphäre die Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld politischer wurden nicht nur Leitziele für die Stadt de- Entscheidungen zu hören, zu beteiligen und mit finiert, sondern vielfältige umsetzungsfähige ihrem Erfahrungswissen einzubinden, muss in Projektideen erarbeitet. Der Prozess und die einer verbindlichen Umsetzung der Prozesse und Ergebnisse können hier nachverfolgt werden: Projekte eingelöst werden. http://www.telgte.de/bildung-soziales-generationen/ Das bedeutet nicht, dass mit diesem partizipa- demographie/telgter-demographieagenda.html. tiven Ansatz am Ende alle mit jeder Entscheidung einverstanden sind. Friede, Freude, Eierkuchen gibt Die anschließend priorisierten und mit Kosten es auch auf diesem Wege nicht – und das ist ja auch für die Umsetzung unterlegten Projekte wurden in Ordnung so. Aber Prozesse dieser Art vergrößern dann im Oktober 2011 vom Rat beschlossen, mit Sicherheit das Wissen um und das Engagement die Realisierungsphase beginnt in diesem Jahr. für die eigene Stadt. Und beteiligte Akteure, deren Dieser letzte Schritt ist nicht nur sinnvoll und Wünsche und Ziele am Ende nicht realisiert wer- erforderlich, er folgt aus meiner Sicht auch der den, können zumindest nachvollziehen, wie und Logik, dass Bürgerinnen und Bürger beteiligt warum das Ergebnis ein anderes wurde. und eingebunden werden müssen, die Ent- scheidung und politische Verantwortung darf Verantwortliche Beschlussfassung den gewählten Ratsmitgliedern aber nicht von den Schultern genommen werden. Aus der bisherigen Erfahrung sage ich aber auch Parallel zu diesem Verfahren begann ein eben- ganz klar: Bürgerbeteiligung im geschilderten falls partizipativ aufgestellter Prozess zur Ent- Sinne ist keine direkte Demokratie, in der die wicklung eines Integrierten Handlungs- und sich einmischenden Bürgerinnen und Bürger Entwicklungskonzeptes für die Stadt Telgte, Entscheidungen selbst treffen können. Nicht sel- das sich schwerpunktmäßig mit der Funktions- ten folgen die Entscheidungsprozesse nämlich zuordnung großflächiger Einzelhandelsflächen dem Muster, dass die persönliche Betroffenheit zum Zentrum bzw. zur Peripherie befasst. Die (die Kindertagesstätte, die Skaterfläche oder das öffentliche Aufaktveranstaltung war gekoppelt Feuerwehrgerätehaus vor der eigenen Haustür) mit einem Demographieprozess. In einer Len- sinnvolle und notwendige Ergebnisse erschwert kungsgruppe waren neben den Ratsfraktionen oder gar verhindert. Und deshalb muss am Ende örtliche Akteure und die Interessenvertretung von Beteiligungsprozessen eine verantwortliche der Kaufmannschaft und anderer Vereine politische Beschlussfassung stehen. vertreten, in mehreren öffentlichen Foren und Workshops beteiligten sich in der Folge wiederum rund 80 Personen, die im Schnitt zu 3 bis 5 Terminen kamen und dort aktiv +++ Telgte kurz und knapp +++ mitarbeiteten. Und auch hier schloss sich bis Dezember 2011 Telgte ist eine Stadt mit rund 20.000 Einwoh- eine Beratung in den politischen Gremien an, die nern im Kreis Warendorf im Münsterland. in eine komplexe planungsrechtliche und städtepla- Die Stadt ist bekannt als Wallfahrtsort (große nerische Beschlussfassung mündete. Das Ergebnis Marienwallfahrt von Osnabrück nach Telgte fiel dann auch deshalb mit einer sehr breiten Mehr- – Telgter Wallfahrt) und durch eine Erzählung heit aus, weil es eine Legitimation aus dem Prozess von Günter Grass „Das Treffen in Telgte“. heraus und aus der breiten Beteiligung gab. In Forum Kommunalpolitik 2.2010 berichtete Wolfgang Pieper im Artikel „Telgte schwelgt im Grünen“ über das beste grüne Wahlergeb- Verbindliche Umsetzung nis in NRW. Bei der Bürgermeisterwahl 2010 Weitere Prozesse folgen, beispielsweise für setzte sich der Grüne Wolfgang Pieper mit 71,5 bestimmte Vorhaben im Bereich der Bauleitpla- Prozent, klar gegen den Herausforderer durch, nung, in der Schulentwicklungsplanung, bei der der von SPD und CDU gemeinsam ins Rennen konzeptionellen Überarbeitung der Spielplätze geschickt wurde. im Stadtgebiet oder im Fair-Trade-Prozess. Diese 1/12 11
Grüne Politik aus Bochumer Sicht Regierung oder Opposition? Katharina Schubert-Loy Die im Ruhrgebiet quasi in Beton gemeißelte Regierungsverantwortung der SPD – dauerte in Bochum von 1956 (55,5%) seit 1990 Geschäftsführerin der bis 1994 (Wahlergebnis 1994: 50,5 %). 1999 wurde durch den Verlust der absoluten Mehrheit (41,3 %) auch hier die Grünen Fraktion im Rat politische „Götterdämmerung“ eingeleitet. Nicht zuletzt durch die guten Wahlergebnisse der Grünen begann ab 1999 ein der Stadt Bochum neuer Aufschlag in rot-grüner Mehrheitskonstellation. Die Bochumer Grünen sind seit 1984 im Rat der Stadt vertreten. Nach fünfzehn Jahren in der Opposition begann ab 1999 eine bis heute stetig fortgesetzte Gestaltungsphase mit der SPD. Forum Kommunalpolitik hat Katharina Schubert-Loy daher nach ihrer Erfahrung zur grünen Einflussnahme im Rat, in Regierung wie Opposition befragt. Wie habt ihr den Sprung von der Opposition Verhindern von Entscheidungen. Davon abgesehen, zum Regierungspartner wahr genommen? wird für die Wählerinnen und Wähler, die sich nicht Katharina Schubert-Loy: 1999 hatten wir die regelmäßig und intensiv mit der Politik in ihrer Chance, Kommunalpolitik verantwortlich mitzu- Stadt auseinandersetzen, die Verantwortung für gestalten! bestimmte politische Entscheidungen undurchsich- tig und kann nicht deutlich bestimmten Parteien Welche Erfahrungen der politischen zugeordnet werden. Es gibt aber noch weitere Einflussnahme habt ihr in der Opposition Nachteile. Manche Entscheidungen sind dem Zu- gemacht? fall überlassen, Politik ist weniger berechenbar. Katharina Schubert-Loy: Auch aus der Op- Das hat Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen position heraus war die grüne Politik immer Bereiche. wirkungsvoll. Vielfach waren Grüne die Stimme von Bürgerinitiativen in den Räten und sorgten mit Welche Vorteile haben wechselnde Mehrhei- beharrlichen Kampagnen für mehr Transparenz. ten für die großen Fraktionen? Auch wenn die meisten Ratsanträge von Grünen Katharina Schubert-Loy: Wechselnde Mehrhei- damals scheiterten, wurden manche später unter ten machen es der größten Fraktion leichter, auf dem Logo einer großen Fraktion beschlossen. Kompromisse zu verzichten und eigene Vorstel- Auch dadurch konnten – zwar im Schneckentem- lungen eins zu eins umzusetzen, wenn sich ein po, aber immerhin – kleine politische Fortschritte “Mehrheitsbeschaffer” finden lässt. erzielt werden. Wie gelingt es grüne Positionen möglichst Wo siehst du die Grenzen der Einflussnahme wirkungsvoll zu vertreten? in der Opposition? Katharina Schubert-Loy: Es lässt sich nicht Katharina Schubert-Loy: Für Grüne war es nicht leugnen, dass es für uns Grüne von Vorteil ist, schwer, ein scharfes eigenes Profil nach außen zu nach außen “klare Positionen” möglichst unver- zeigen. In der Regel waren gute Wahlergebnisse wässert zu vertreten und nur solche Beschlüsse zu das Ergebnis. In politischen Kernbereichen wie der ermöglichen, die unseren eigenen Vorstellungen kommunalen Finanzwirtschaft, der Ausrichtung entsprechen. kommunaler Tochterunternehmen, die oft von Um die Politik in einer Kommune mittel- bis den Bürgerinnen und Bürgern nicht so deutlich langfristig tatsächlich mitzugestalten und konti- wahrgenommen werden wie Einzelprojekte, die nuierlich grüne Zielvorstellungen umzusetzen, Betroffenheit auslösen, ist ein deutlicher Einfluss ist es sinnvoll, Koalitionen anzustreben, wenn aus der Opposition heraus aber kaum möglich. sie möglich erscheinen. Eine deutliche Überein- stimmung in Grundwerten ist dafür eine hilfreiche Waren wechselnde Mehrheiten für euch Basis, und diese Übereinstimmung gibt es in der auch eine Option? Regel am ehesten zwischen Rot und Grün, jedoch Katharina Schubert-Loy: Wechselnde Mehrhei- sind auf kommunaler Ebene auch schwarz-grüne ten zielen eher auf das kurzfristige Befördern oder Koalitionen keine Seltenheit. 12 1/12
Wo liegt das Fundament für eine langfristige Katharina Schubert-Loy: Im Verlauf der Wahl- Zusammenarbeit in einer Koalition? periode ist die Suche nach Kompromissen beina- Katharina Schubert-Loy: Schon in den Verhand- he tägliches Geschäft. Die finanzielle Notlage der lungen über den Koalitionsvertrag, der sowohl die meisten Kommunen erlaubt in der Regel keine Regeln der Zusammenarbeit, die Richtlinien der Kompensationsvereinbarungen. Nicht immer ge- Politik für die Wahlperiode, kurzfristige Zielset- lingt es, ohne Identitätsverlust für den einen oder zungen wie personelle Vereinbarungen festlegt, anderen gemeinsame Lösungen zu finden. In sol- wird deutlich, wie groß Gemeinsamkeiten und chen Fällen zahlt sich aus, wenn Regeln vereinbart Unterschiede sind und wo sich “Sollbruchstel- sind, wie mit Konflikten im Ernstfall umzugehen len” befinden. Ein respektvoller Umgang der ist. Häufig ist zum Beispiel vereinbart: “Lehnt einer handelnden Personen miteinander – schon in den der Partner eine Verwaltungsvorlage ab, wird diese Koalitionsverhandlungen – ist eine entscheidend gemeinsam abgelehnt.” Oder: “Anträge werden ge- wichtige Voraussetzung dafür, dass das Bündnis meinsam gestellt. Stellt ein Partner unabgesprochen die Chance hat zu halten. einen Antrag, so kann dieser abgelehnt werden.” Gerade wenn durch Entscheidungen aus Sicht der Wie bleibt die „Marke Grün„ in eine Koali- Grünen das Wohl der Stadt in Frage gestellt wird tionsvereinbarung erhalten? oder die politische Identität der Grünen grundle- Katharina Schubert-Loy: Jede Partei hat ihre gend tangiert wird, müssen sich Partei und Fraktion “Markenzeichen”, die für das Stammwählerpo- die Frage stellen, ob das Bündnis mehr Schaden tenzial wichtig sind und die nicht zur Disposition oder Nutzen bringt. gestellt werden können, ohne dieses Stammwähler- potenzial nachhaltig zu vergraulen. Dies gilt für Wie gelingt die öffentliche Darstellung als den großen und den kleinen Partner. Eine stabile Duo nach Außen? Koalitionsvereinbarung muss es ermöglichen, dass Katharina Schubert-Loy: Sich gegenseitig in der beide Partner nicht ihre Markenzeichen und damit Öffentlichkeit zu kritisieren ist manchmal nötig, Teile ihrer Stammwählerschaft verlieren. aber der Zusammenarbeit nicht unbedingt zuträg- lich. Da die Wählerinnen und Wähler ein Recht Ein Markenmix kommt in der Regel doch darauf haben, unterschiedliche Standpunkte zu nicht ohne Kompromisse aus. Wie seid ihr mit erfahren, muss der Drahtseilakt gelingen, eigene Konfliktthemen umgegangen? Standpunkte und notwendige Kompromisse dar- Katharina Schubert-Loy: In einem Koalitions- zustellen, ohne den Koalitionspartner bloßzustel- vertrag sollen widersprüchliche Wahlaussagen, len. Erfolge für sich alleine zu reklamieren, auch Wünsche und Zielsetzungen nicht nebeneinander wenn die Darstellung der Wahrheit entspricht, birgt Platz finden. An dieser Stelle müssen Kompromisse manchmal Sprengstoff für den Koalitionsfrieden. gefunden werden, die nicht selten schmerzhaft für Die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen wird durch den einen oder anderen sind, sonst wird der Kon- Koalitionen durchaus erschwert. flikt nur vertagt. Dissense sollten nur in extremen Ausnahmefällen im Koalitionsvertrag festgeschrie- Das Interview führte: Dunja Briese ben werden. Bei uns wurde so ein Dissens 1999 in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Er betraf den Weiterbau der DüBoDo, der allerdings auf kommunaler Ebene ohnehin nicht mehr ver- hindert werden konnte. Welche Aussagen zu personellen Zielvorstel- +++ Stadtrat Bochum kurz und knapp +++ lungen sollte ein Koalitionsvertrag enthalten? Katharina Schubert-Loy: Eine Koalitionsver- Seit 2009 sind im Stadtrat von Bochum: die einbarung muss auch personell sicher stellen, SPD (38,9 %), die CDU (27,4 %), Bündnis dass beide Partner im Verwaltungsvorstand ver- 90/Die Grünen (12,4 %), die FDP (7,7 %), treten sind. Für Grüne ist es wichtig dabei Personen Die Linke (6,9 %), die NPD (1,0 %) sowie die vorzuschlagen, mit denen es deutliche politische Wählergruppen Unabhängige Wählergemein- Schnittmengen gibt und die über die notwendige schaft Wattenscheid (3,5 %) und Soziale Liste fachliche Qualifikation verfügen, um die Stelle zum Bochum (2,1 %). Wohle der Bürgerinnen und Bürger auszufüllen. Die GRÜNEN sind seit der Kommunalwahl 2009 mit 10 Ratsmitgliedern vertreten. Der Rat Welche Regeln können zur Konfliktlösung der Stadt hat derzeit 82 Mitglieder. im täglichen Geschäft beitragen? 1/12 13
Wie habt ihr das gemacht? Ratskultur vor Ort Die wesentlichen rechtlichen Elemente des politischen Handelns für Stadt- und Gemeinderäte sind in der Gemeinde- ordnung geregelt. Die Ausführung wird durch kommunale Satzungen konkretisiert. Die Satzungshoheit obliegt den Kommunen und deren Ausgestaltung den handelnden Akteuren. Forum Kommunalpolitik interessiert sich hier einmal für die praktizierte Ratskultur vor Ort. Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuspüren haben wir VertreterInnen aus Bergisch-Gladbach, Lemgo, Altena, Menden, Arnsberg und Alfter um ihre Stellungnahme gebeten. Wie ist die Zusammensetzung des Rates? (Unabhängige Soziale Fraktion), 7 GAL, 6 SPD, 1 Einzelmitglied (Linke) und BM (SPD) Bergisch Gladbach: Es gibt in dem 62 Personen Arnsberg: 47 Mitglieder, davon 22 CDU, 15 SPD, starken Rat sieben Fraktionen (und mittlerweile 5 FDP, 4 Grüne. ein Einzelmitglied, vormals Linken-Fraktion). Alfter: Ratsmitglieder: 15 CDU, 8 Grüne, 7 SPD, Die CDU bildet mit 25 Sitzen die stärkste Fraktion 5 FDP, 4 Freie Wähler, 3 Unabhängige Wählerge- vor SPD (16) und Bündnis 90/Die Grünen (8). Es meinschaft, 1 Linke, 1 Fraktionslos. folgen FDP (6), Freie Wähler (2), Kiditiative (2), Bürger für Bergisch Gladbach/Die Linke (2). Wer regiert? Wer geht mit wem? Lemgo: CDU 16 + Bürgermeister, SPD 13, Bürger für Lemgo 7, Grüne 5 (4 + 1 Übertritt der Linkspar- Bergisch Gladbach: CDU und FDP bilden ein tei), FDP 4, ProNRW 1 (Einzelmitglied). Bündnis, das allerdings nur zusammen mit der Altena: CDU, SPD, GRÜNE, FDP, Soziale und Stimme des Bürgermeisters eine (hauchdünne) Demokratische Arbeitsgemeinschaft jeweils in Mehrheit besitzt. Fraktionsstärke, LINKE mit 1 RM Lemgo: Wechselnde Mehrheiten, offensichtliche Menden: Aktuell (hier muss man ja täglich mit Absprache bei Kernthemen zwischen CDU und Änderungen rechnen): 21 CDU, 9 FDP, 8 USF SPD. Wo geht es lang? Der Weg zur politischen Entscheidung ist dynamisch. 14 1/12
Altena: CDU mit absoluter Mehrheit. Wie ist der organisatorische Ablauf zur Menden: Die CDU hat 40 Prozent und braucht Vorbereitung der Ratssitzung? immer nur eine der anderen 4 Fraktionen für eine Mehrheit. Da die anderen aber ein zu breites Spek- Bergisch Gladbach: Vor einer Ratssitzung wird in trum haben, kommt es nur alle paar Jahre mal vor, der Fraktionssitzung vorberaten; davor wiederum dass es eine Mehrheit aller gegen die CDU gibt. haben in der Regel Fachausschüsse getagt, die Arnsberg: Schwarz-grünes „Gestaltungsbündnis“ wiederum von Facharbeitskreisen der Fraktion ohne feste Koalitionsbindung . vorbereitet und diskutiert worden sind. Alfter: Es gibt keine festen Koalitionen, sondern Lemgo: Fraktionssitzung am Donnerstag vorher, wechselnde Mehrheiten, Absprachen mit verschie- ggf. eine Stunde vor der Ratssitzung Treffen der denen Fraktionen sind möglich. Ratsfraktion für informelle Absprachen. Altena: Fraktionssitzung eine Woche vorher, Vor- Wie ist die Grünen-Geschäftsstelle personell besprechung eine Stunde vorher. besetzt? Menden: Es findet eine Woche vor der Ratssitzung am Montag eine so genannte Interfraktionelle Be- Bergisch Gladbach: Es gibt eine Teilzeitstelle für sprechung (IFB) statt – quasi ein Ältestenrat. Dann eine Fraktionsgeschäftsführerin. liegt die Tagesordnung gerade vor, es werden Ab- Lemgo: Eine Fraktionsgeschäftsführerin auf läufe besprochen oder Hintergrundinformationen Minijob-Basis, Fraktionsbüro in Kooperation mit von Seiten der Verwaltung gegeben. Wahlkreisbüro Ute Koczy. In der Fraktionssitzung direkt danach am Abend Altena: Es gibt keine Geschäftsstelle. und in der nächsten Woche direkt vor der Rats- Menden: Mit einem Zuschuss vom OV können sitzung können die Fraktionen dann intern alles wir uns eine Geschäftsführung auf Honorarbasis Nötige besprechen. leisten, die Orga übernimmt, Pressetexte oder Arnsberg: Kernfraktionssitzungen der Ratsmit- Anträge in Form bringt, für die Fraktion die Inter- glieder zur Vorbereitung der Fraktionssitzung, di- netseite pflegt, die Fraktionskasse führt und einen rekt vor der Ratssitzung i.d.R. weitere Vorbereitung wöchentlichen Pressespiegel für die Fraktionsmit- der Kernfraktion. glieder erstellt. Dafür haben wir ca. 4 Stunden pro Alfter: Es gibt nahezu jeden Montag eine öffentli- Woche, die sich zwei Leute aufteilen, die jeweils che Fraktionssitzung in einer Alfterer Kneipe. weit mehr als drei Stunden machen. Arnsberg: Eine Geschäftsführerin. Gibt es ratsbezogene Treffen/Besprechungen Alfter: Keine Geschäftsstelle. mit anderen Parteien? Sind MitarbeiterInnen der Geschäftsstelle Bergisch Gladbach: Teilweise finden solche Tref- in den Ausschusssitzungen anwesend? fen statt, gelegentlich gibt es sogar interfraktionelle Arbeitskreise zu bestimmten Themen, an denen Bergisch Gladbach: Nein. dann (fast) alle Fraktionen teilnehmen. Lemgo: Nein. Nur bei Fraktionssitzungen. Lemgo: Themen- und strategiebezogen (Antrag Menden: Nein, auf Grund der geringen Stunden- Nahmobilität mit SPD, Antrag Windkraft mit zahl. BfL und SPD; Antrag Bildungskonferenz mit BfL Arnsberg: Ja, immer in Rat und Haupt- und und FDP; wiederholt erfolgreiche Antragstellung Finanzausschuss, bei wichtigen Themen auch in mit anderen Fraktionen gemeinsam). Ab und zu Fachausschüssen. Fraktionsvorsitzenden Runde beim Bürgermeister. Wie lange dauert eine Ratssitzung in der Interfraktioneller AK zur Haushaltskonsolidierung Regel? in 2011. Altena: Je nach Anlass, ja. Bergisch Gladbach: Ein Durchschnittswert ist Menden: Es gibt die Interfraktionelle Bespre- um die drei Stunden. Natürlich gibt es deutliche chung. Einige Ausschüsse (Schule, Kultur) haben Abweichungen nach oben und nach unten. einen zusätzlichen AK eingeführt, in dem kompli- Lemgo: Zwei Stunden. ziertere Materie für die Beratungen im Ausschuss Altena: Zwei Stunden, manchmal auch drei vorbereitet werden kann. Da die ohne Öffentlich- Stunden. keit stattfinden und nicht nach Parteigröße besetzt Menden: Im Normalfall tagen wir von 17 bis ca. sind, kann man da in kleinerer Runde auch mal 20 Uhr. In Ausnahmefällen kann es aber auch mal offener reden und rumspinnen. Fest geplante oder bis 22 Uhr dauern. traditionell stattfindende Besprechungen mit an- Arnsberg: Zwei bis drei Stunden. deren Parteien gibt’s nicht. Wenn, dann selten aus Alfter: Drei bis vier Stunden. einem speziellen Anlass. 1/12 15
Arnsberg: Ja, mit CDU, oft reicht auch telefoni- Altena: Bürgerfragestunde zu Beginn und vor Ende sche Absprache der Tagesordnung. Alfter: Sehr selten. Menden: Neben dem Weg über Anregungen an die Fraktionen oder die Verwaltung gibt es zwei Wie wird die Diskussion im Rat struktu- übliche installierte Verfahrenswege: Sehr gerne riert? Gib es eine konkrete Reihenfolge bei den werden in Menden so genannte Bürgeranträge Stellungnahmen? Gibt es Redezeitbegrenzun- gestellt (nennt sich in der Gemeindeordnung wohl gen? Anregungen / Beschwerden). Davon hatten wir 2011 insgesamt 80 Stück, laut Umfrage der Ver- Bergisch Gladbach: Die Strukturierung in den waltung der absolute Rekord im Vergleich zu allen Fraktionssitzungen wird durch die Fraktionsvor- anderen dazu befragten Städten. Allerdings zählen sitzenden vorgenommen. Die Tagesordnungen dazu auch alle Anträge, die von den Parteien (also von Rat und Ausschuss geben meist auch die nicht Fraktion oder Ratsmitglied) gestellt werden. Reihenfolge der Diskussionspunkte vor, wobei Bleiben aber trotzdem locker über 50. wichtige, herausragende Themen auch isoliert In jeder zweiten Ratssitzung gibt es zu Beginn eine vorweg behandelt werden. „Fragestunde für Einwohner“. In der Regel gibt es Lemgo: Max. drei Stellungnahmen mit zehn Minu- aber kaum Fragen – nur ein Bürger macht davon ten pro Person und TOP (Ausnahme Haushalt). Im in jeder Sitzung, dann aber mit gleich mehreren Allgemeinen ist erst die große Fraktion am Wort. Fragen, Gebrauch. Da die aber selten zielführend Antragsteller haben Erstrederecht. und konstruktiv gemeint sind, nimmt ihn keiner Menden: Die einzige Befristung ist eine Regelung im Rat mehr wirklich ernst. Die Fragestunde haben in der GO: „Ein Redebeitrag soll zehn Minuten einige Ausschüsse für sich übernommen. nicht überschreiten“. Eine Reihenfolge gibt es Arnsberg: Es gibt Bürgeranträge von Einzelperso- nicht, es geht einfach nach Meldung. Von beidem nen, die in die Fachausschüsse verwiesen werden. wird nur in Sonderfällen eine Ausnahme gemacht, Der/die Antragsteller werden informiert über die bisher hab ich es nur bei den Haushaltsreden erlebt, Sitzungen. dass es eine Reihenfolge gab und auch etwas mehr Alfter: Über Bürgeranträge, die zunächst im Redezeit. Haupt- und Finanzausschuss diskutiert werden. Zu Arnsberg: Bisher kaum Notwendigkeit für struk- Beginn jeder Ratssitzung gibt es eine Bürgerfrage- turierende Maßnahmen außer einer Rednerreihen- stunde, in der die Bürger Fragen an Bürgermeister folge, die sich meist einfach an der Fraktionsgröße und Verwaltung richten können. orientiert. Altena: Es gibt eine Begrenzung der Redebeiträge auf maximal drei Beiträge pro Ratsmitglied. Die zeitliche Begrenzung der Beiträge ist zehn Minu- Wie nutzt ihr das Instrument der Anfrage ten. In der Praxis spielt das keine Rolle! politisch? Alfter: Diskutiert wird nach Eingang der Wort- meldungen, die Beiträge sind befristet auf drei Lemgo: Vorbereitung späterer Anträge (Infor- Minuten. mationsbeschaffung, Thema platzieren). Pres- seaufmerksamkeit auf ein Thema lenken, eigene Wie werden bürgerschaftliche Interessen in Position klar stellen. Bestimmte Informationen den Rat eingebracht? öffentlich machen. Altena: Um Informationen zu Themen zu bekom- Bergisch Gladbach: Es gibt regelmäßig eine Ein- men, die uns beschäftigen. Gelegentlich geben wir wohnerfragestunde bei den Ratssitzungen sowie Anfragen auch der Presse bekannt. einen gesonderten Ausschuss für Anregungen und Menden: Anfragen gibt es als TOP am Ende jeder Beschwerden nach §24 GO NRW. Rats-/Ausschusssitzung. Theoretisch wäre es mög- Lemgo: Bürgerantrag oder Bürgeranregung. lich, hier mit einem entsprechenden Vorlauf eine Einflussnahme durch Pressure-Groups (Vereine, schriftliche Anfrage und dann auch eine schriftli- informelle Zirkel), Bürgermeister- und Partei- che Antwort zu bekommen, macht aber eigentlich ensprechstunden. Konkrete Bürgerbeteiligungs- niemand. Üblich ist es, hier nochmal mündliche verfahren existieren nicht, Bürgerbeteiligung Fragen zu stellen zu Aspekten, die nicht schon am Haushalt (Grüner Antrag) nachträglich und in der Tagesordnung behandelt wurden: „Wie ist stiefmütterlich organisiert. Ortsausschüsse für In- eigentlich die Entwicklung zu …?“, „Mir ist in der teressen der Ortsteile. Die angebliche „Bürgerpar- Stadt folgendes aufgefallen: …“, „Wann bekom- tei“ Bürger für Lemgo ist auf Partikularinteressen men wir endlich …“. Das kann man natürlich gut fixiert. Leserbriefe in Monopolpresse. nutzen, um nachzuhaken oder auch mal schnell 16 1/12
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