REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
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INHALT 14 06 Luftig, Geschnürt, Verwoben, Elisabeth Ritter 20 Preisverleihungen 2020 Ausgezeichnete Mitglieder 04 Im Schulterschluss: 24 Im Portrait: L. Morla mit der Allianz der freien Künste Bildhauer, Musiker und Autor 06 Auf Sendung 26 Im Portrait: Thomas B. Franz Mein erstes jahr als vorstand Schauspieler, Sänger, Musicaldarsteller 08 Vorstandswahl 2021 28 Eurydike tanzt Straßentheater in Passau 09 Die Kunst ist frei? Maßnahmenwirrwarr in Zeiten von Corona 30 Eine Ausstellung entsteht Ruhr Museum Essen 12 Mein Corona-Stigma 32 Warum Instagram? 14 Dialoge Brauchen wir Social Media? In Zeiten der Pandemie 36 Wovon leben mit Baby? 14 Was Menschen berührt Tipps für Selbstständige von einer Single- Impressionen zur Ausstellungseröffnung Mom 19 Grußwort 44 Veröffentlichungen von Staatsministerin Carlona Trautner Neues von unseren Mitgliedern
CORONA, CORONA Corona liebe Freunde und Mitglieder, ist leider für uns das alles überlagernde Thema dieses Jahres geworden und wird uns sicher auch noch ins nächste Jahr begleiten. Wir hatten einen wunderschönen Sommer, in dem wir gern unser stets geselliges Sommer- fest in der Mohrvillla gefeiert hätten. Leider fiel auch das den Abstandsregeln zum Opfer. Foto: © Made Photography – Julian Madeja Dennoch, liebe Freunde, nur Jammern hilft uns auch nicht weiter, wenngleich wir allen Grund hätten, mit unseren Landes- regierungen sowie der Bundesregierung zu hadern. Die so rasch vollmun- dig versprochenen Hilfen für Künstler und Solo-Selbständige haben oft mehr Verunsicherung und Durcheinander gebracht als dass sie zur Hilfe wurden. Manch einer von uns wurde vielleicht zum Stubenhocker. Es fehlten Kontakt, der Dialog, das Lächeln der Freunde, Umarmungen und Gespräche. Das macht traurig. Doch hat es auch ganz wundervolle, ermunternde Erlebnisse gegeben. Eine Kollegin hat täglich, einige Wochen Grafik von Jessica Hunold lang, Karten mit Zeichnungen verschickt, die uns sagten: Seid nicht traurig, es geht weiter, gebt nicht auf. Andere Kollegen machten sich und uns Mut, bleibt kreativ, nun erst recht. Es gab phantastische Lesungen und Musik vom Balkon, Kammermusik im Reihenhausgarten. Katharsis, L. Morla 24 Peder Strux, zweiter Vorsitzender und „unser Mann im Norden“, hat sich neue Wege zur virtuellen Kommunikation ausgedacht, über die er in einem separaten Artikel in diesem Heft berichten wird. Daraus haben sich interessante Diskussionen ergeben und ich bin sicher, dass wir im nächsten Jahr auf diesem Weg noch weiter erfolgreich sein werden. Und, liebe Freunde, wir können stolz sein: Unsere erste Ausstellung mit dem Titel „Was Menschen berührt“ ist am 17. September 2020 erfolgreich im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gestartet. Mit großer Freude konnten wir 42 Künstler mit 79 Arbeiten vorstellen. Für die Organisatoren (Henny Schlüter, Ute Belting und Marion Kausche) war es eine gewaltige Aufgabe, die sich aber gelohnt hat und wir danken an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich. Die Zusammenarbeit mit dem Ministerium hat so viel Freude gemacht, dass wir sagen können, wir haben hier eine gemeinsame Ausstellung auf die Beine gestellt. Die Ausstellung wird noch bis 30. Januar 2021 im Ministerium zu sehen sein. Liebe Freunde, lasst Euch nicht beirren, bleibt kreativ, lasst uns gemein- sam versuchen, das in diesem Jahr Entstandene, Neue, weiterzuverfolgen, die Nähe auf andere, digitale Weise wahrzunehmen, vielleicht eine weitere Ausstellung zu starten, hoffentlich den Stammtisch wieder aufzunehmen (gerne im Internet), uns nicht aus den Augen zu verlieren, das wünscht Eure Renate Hausdorf, Präsidentin seit 2019, Vereinsmitglied seit 1990 PS: Und vergesst nicht: Trotz Corona: Kunst wird es immer geben!
IM SCHULTERSCHLUSS: DAS PAUL KLINGER KÜNSTLERSOZIALWERK TRITT DER ALLIANZ DER FREIEN KÜNSTE BEI Schon 2016 hat sich die Allianz der freien Künste die Freien Künste einen substantiellen Anteil (AFK) mit dem vorrangigen Ziel formiert, die an der zivilgesellschaftlichen Entwicklung. Bei Aufmerksamkeit in der Politik und in der Gesell- vielen Kreativen verbinden sich darüber hinaus schaft auf den Arbeitsbereich der Freien Szene künstlerisch-ästhetische Ansätze mit einer Viel- zu lenken und die Arbeits- und Lebensbeding- zahl von sozialen, integrativen und interkulturel- ungen für die in diesem Feld tätigen selbststän- len Projekten. digen Akteure zu verbessern. Das Bündnis will spartenübergreifend gemeinsame, übergeordne- Die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbe- te Forderungen bündeln und in den kulturpoli- dingungen jedoch, unter denen die Akteure tischen Diskurs einbringen, dabei betreffen diese der Freien Künste arbeiten, werden weder dem Forderungen nicht nur die Kulturpolitik, sondern bedeutenden gesellschaftlichen Beitrag noch dezidiert auch die Sozial-, Renten- und Arbeits- der Arbeitspraxis der Freien Künste gerecht. Das marktpolitik. Jahr 2020 und die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Einschränkungen haben diese Wir sind froh, seit diesem Sommer Teil dieses Situation nochmals verschärft. offenen und genreübergreifenden Bündnisses zu sein. Der Zusammenschluss von nunmehr 19 Es gibt keine Tarifpartner, die ihre jeweiligen Bundesverbänden und Interessenvertretungen Interessen miteinander aushandeln, und die von der privatrechtlich organisierten Kunst- und zahlreichen Verbänden empfohlenen Honorar- Kulturschaffenden in Deutschland ist eine starke standards sind nicht verbindlich. Trotz erfolg- Vereinigung, deren Ausrichtung auch unseren reicher und hoch professioneller Arbeit bewegt und Euren Belangen mehr Gewicht verleihen wird. sich eine Vielzahl der privatrechtlich organisierten Man kann davon ausgehen, dass die Forderungen der AFK einen Personenkreis von insgesamt mindestens 250.000 Kunst- und Kulturschaf- fenden betrifft, neben den Künstlerinnen und Künstlern auch alle, die im unmittelbaren Umfeld der Kunstproduktion tätig sind. Deutschland ist ein Land der Kunst und der Kul- tur. Ein maßgeblicher Teil der Kunst- und Kultur- produktion in Deutschland wird von privatrecht- lich organisierten Kunst- und Kulturschaffenden erbracht. Die Freie Szene hält die Kultur lebendig und facettenreich und ist Motor für Innovationen. Freie Künste eröffnen ungewohnte Perspektiven, greifen gesellschaftspolitische Themen auf und hinterfragen Sicht- und Arbeitsweisen, so haben 04 | KLINGER REPORT NR. 54
SOMMERFEST 2021 Kunst- und Kulturschaffenden im unteren Ein- Wenn die Coronavorgaben es uns erlauben, kommensbereich. Eine angemessene Altersvor- wird es im kommenden Jahr natürlich wieder sorge ist flächendeckend nicht möglich und dem ein Sommerfest in der Mohrvilla geben. Doch Großteil der Künstlerinnen und Künstler droht die aktuelle Pandemielage lässt uns noch eine systembedingte Altersarmut. zögerlich mit der konkreten Terminplanung umgehen. Obwohl die Freien Künste in erheblichem Maße zur kulturellen Grundversorgung beitragen, erhal- Wie Ihr in dem Artikel zu den anstehenden ten sie lediglich einen Bruchteil der öffentlichen Vorstandswahlen lesen könnt, sind wir inten- Förderung. Die von den Verbänden empfohlenen siv mit den Vorbereitungen für unsere Jahres- Honorarstandards kommen im Bereich der hauptversammlung und dem anschließenden öffentlichen Förderung weitgehend nicht zur Sommerfest beschäftigt. Anwendung. Auch fehlt eine Ausdifferenzierung der Fördersysteme. Sobald es hier Neuigkeiten gibt, werdet Ihr über den Newsletter informiert. Diese Situation muss sich ändern! Es ist an der Zeit, dass die Politik soziale und wirtschaftliche Nun drückt alle die Daumen, dass sich die Rahmenbedingungen schafft, die der Leistung Situation entspannt und wir ohne gesund- der Freien Künste und ihrem Anteil an der Kunst- heitliche Risiken in alter Tradition gemeinsam und Kulturproduktion in Deutschland gerecht feiern können! werden. Über die Detailforderungen hinaus fordert die Allianz der Freien Künste eine grundsätzliche Stärkung der Kultur in Deutschland. Kultur und Kunst gehören zur Grundversorgung. In der konsequenten Weiterführung dieser Annahme muss Kultur als Staatsziel im Grundgesetz ver- ankert werden – so, wie es bereits die Enquete- Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ 2007 in ihrem Abschlussbericht gefordert hat. Text: Ute Belting, seit 2015 Geschäftsführerin des Paul Klinger Künstlersozialwerk e.V.
Grafik: © kws #kreativimkrater AUF SENDUNG MEIN ERSTES JAHR ALS VORSTAND Bei der Mitgliederversammlung verbindet und andererseits als verpasst hat, kein Problem, alle vom Paul Klinger Künstlersozial- Podium dient, das künstlerische Sendungen sind auf YouTube werk 2019 beschäftigte mich die Schaffen der Kreativen einem eingestellt. Frage „Warum kandidierst du breiteren Publikum vorzustellen. eigentlich für den Vorstand“? und ich fand für mich eine weit- RADIO reichende Antwort, wobei ich Künstlerfragen manche Herausforderung noch Schon seit vielen Jahren ist Youtube nicht einmal erahnen konnte. unsere traditionelle Radiosen- dung Künstlerfragen jeden 4. Von Anfang an war es mir ein Freitag im Monat um 19 Uhr live Künstlerfragen besonderes Anliegen, dem Ver- auf RadioLora 92.4 zu verfolgen. Podcast Anchor ein eine stärkere mediale Prä- Seit 2020 konnten wir weitere senz durch den Aufbau eines Sendeplätze für dieses Format bundesweiten Netzwerks zu bei Westküste FM, O.K. Radio verschaffen, das einerseits die und Radio Thiede in Hamburg Mitglieder enger miteinander gewinnen. Wer eine Sendung 06 | KLINGER REPORT NR. 54
YOUTUBE UND PODCAST KÜNSTLERTREFFS UND Möglichkeit, Mitglieder aus ganz KUNSTSALONS Deutschland „an einen Tisch zu Mit der Reihe Künstler fragen bringen“ verbunden durch einen Künstler habe ich ein neues Seit April finden in München bundesweit moderierten Aus- Format entwickelt. In der Gesprächs- wegen der Pandemie keine tausch zu einem vorgegebenen reihe 7 Fragen an… spreche ich Künstlertreffs mehr statt, Thema. Ein erster, erfolgreicher per Skype mit Mitgliedern des geplante Zusammenkünfte in Probelauf fand bereits statt. Vereins über deren aktuelle Situa- anderen Städten Deutschlands Einladungen für die kommen- tion in Zeiten der Corona-Pande- wurden abgesagt. Auch den den öffentlichen Termine folgen mie. Insgesamt führte ich in den angedachten Kunstsalon im zeitnah per Newsletter und auf letzten Monaten mehr als 70 Gartensalon konnten wir in unserer Website. Interviews, die meisten Aufzeich- diesem Jahr nicht umsetzen, da nungen der Kurzgespräche sind müssen wir auf bessere Zeiten Was sich im kommenden Jahr auf unserem YouTube-Kanal hoffen. Die Idee hinter dem wie entwickeln wird, wissen wir zu sehen. An dieser Stelle gilt Konzept steht in der Tradition leider noch nicht. Corona be- mein herzlicher Dank allen, die der philosophischen und lite- stimmt das kreative und soziale meinem Aufruf gefolgt sind und rarischen Salons des 18. und Handeln sicher noch eine Weile, sich trotz mancher technischer 19. Jahrhunderts. Doch im doch wir sind ein starkes Netz- Widrigkeiten auf das Abenteuer Gegensatz zu diesen privaten werk und werden neue Wege Skype-Call eingelassen haben. Salons steht unser Termin allen zum Miteinander finden. Gab es doch manchmal nur im Menschen offen, die Freude am entferntesten Gartenbereich geistreichen Gedankenaustausch unter einem Birnbaum eine über Lebenskunst und Lebens- Empfangsmöglichkeit. kultur haben. 7 Fragen Eine weitere Gesprächsreihe Die Einschränkungen durch YouTube ist gerade angelaufen: Kunst Corona rufen nach Lösungen. gefragt. Hier spreche ich mit Wir werden den Künstlersalon Mitgliedern über deren aktuellen ins Internet verlegen und einen Projekte: Ausstellungen, Buch-, bundesweiten Künstlertreff via Text: Peder W. Strux, Konzept- Musik- oder Film-Projekte, Thea- Zoom unter dem Motto #Wir- künstler, Filmemacher und Regis- ter, Performance, Tanz, der Viel- Künstler – Live entwickeln, seur, Vereinsmitglied seit 2011. falt des künstlerischen Schaffens eine weitere, hervorragende www.pederstrux.de sind keine Grenzen gesetzt. Die ersten Aufzeichnungen wurden bereits veröffentlicht. Alle, die Interesse an einer solchen Kurz- präsentation per Videointerview haben, mögen sich in der Ge- schäftsstelle des PKSW melden. Für jedes dieser Formate gibt es auch einen Podcast! 7 Fragen Podcast Anchor Foto: © Peder Strux KLINGER REPORT NR. 54 | 07
VORSTANDSWAHL 2021 Liebe Mitglieder und Freunde des Paul Klinger sie kandidiert für den neuen Vorstand, genau wie Künstlersozialwerk e. V. , Peder W. Strux, Sanne Kurz und Christian Zeitler aus unserem aktuellen Team. seit der letzten Vorstandswahl sind nun fast zwei Jahre vergangen; eine neue Präsidentin und ein Bitte meldet Euch mit Vorschlägen oder auch einer neuer Vorstand haben in den vergangenen beiden eigenen Kandidatur für das Vorstandsgremium. Jahren zusätzliche Schwerpunkte gesetzt und Pläne für die Zukunft geschmiedet. Aktuell prüfen wir verschiedene Möglichkeiten, wie die Wahl dann unter den gegebenen Umständen Satzungsgemäß stehen bei der JHV im kommen- praktisch umgesetzt werden kann. Auch hier wer- den Jahr erneut Wahlen an. Und somit stellt sich den wir Euch rechtzeitig informieren. die Frage: Vorstand oder Beirat im Künstlersozial- werk, ist das was für mich? Aus diesem Grunde Der Vorstand beruft Beiräte, die mit ihrem Fachwis- rufen wir nun unsere Mitglieder auf: meldet Euch. sen das Gremium punktuell unterstützen. Wenn Ihr Interesse und Ideen habt, wie Ihr hier Euer Know- Die Vorgaben ändern sich ständig und es ist nicht How einbringen könnt, meldet Euch. abzusehen, ob im kommenden Jahr die JHV als Präsenzsitzung durchgeführt werden kann. Wir Es ist wichtig, dass unser Verein weiterhin von sind dabei, alternative Konzepte zu entwickeln. einem Gremium gelenkt wird, das zuversichtlich und mit kreativen Ideen die Zukunft des Vereins Die amtierende Präsidentin Renate Hausdorf wird sichern kann. Gerade in schweren Zeiten sind wir ihr Amt abgeben. Dennoch möchte sie weiterhin gemeinsam stärker - wir brauchen Euch und Euer dem Gremium zur Verfügung stehen, das heißt, Engagement! 08 | KLINGER REPORT NR. 54
DIE KUNST IST FREI ? MASSNAHMENWIRRWARR IN ZEITEN VON CORONA „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre nicht nachvollziehen, warum Gottesdienste unter sind frei.” So steht es in Art. 5, Abs. 3 unseres Auflagen erlaubt seien, Kulturveranstaltungen Grundgesetzes, unserer Verfassung. aber weiterhin verboten. Das Recht auf Kunst- freiheit sei kein zweitrangiges Grundrecht. Ähn- War schon vor Corona trotz Institutionen wie der lich wie beim Grundrecht auf Religionsfreiheit, Künstlersozialkasse die Freiheit der Kunst dort sei nicht nur das reine künstlerische Schaffen gefährdet, wo Kulturschaffende künstlerisches geschützt, sondern auch der Wirkbereich. Wirken zurückschrauben oder unterlassen muss- ten, weil wirtschaftliche Gegebenheiten sie dazu Während man in Österreich auf die Barrikaden zwangen, brach mit Beginn der Pandemie ein ging, gab uns Rossi hier eine Steilvorlage: Nicht Großteil des Kunst- und Kulturschaffens, wie wir nur unser „Werk”, auch unser „Wirken”, also es kannten, komplett zusammen. Auftritte, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen, Performances, Filmdrehs oder Fotosessions, Veranstaltungsverbote sind sind von unserer Verfassung geschützt! Tätigkeitsverbote. Dass niemand riskieren möchte, Schuld an Leid Mit dem Lockdown wurde alles unmöglich, oder gar Tod zu sein, versteht sich von selbst. was Menschen-Gruppen oder gar Publikum ein- Trotzdem muss klargestellt werden, dass 80.000 schließt, aber auch Museen und Bibliotheken infektionsfreie Besuche bei den Salzburger wurden geschlossen, Musik zum Hochrisiko erklärt, Festspielen mitten im Corona-Sommer eine kulturelle Bildung untersagt. Reisefreiheit, klare Sprache sprechen, klarer als bayerische Religionsfreiheit, alles kam rasch zurück. Kaum „Pandemie Pilotprojekte” in der Staatsoper. diskutiert wurde, was Verbote und andauernder Warum mich das alles so maßlos ärgert? Notbetrieb mit der Kunstfreiheit machen. Wenden wir den Blick in unser Nachbarland Österreich: In diesem corona-mäßig ähnlich wie Bayern ächzenden Land ist die Kunstfreiheit erst seit 1982 in der Verfassung verankert. Schon bald nach den Veranstaltungsverboten schlossen sich dort Kreative zusammen, entwarfen Petitionen, organisierten Schweigemärsche wie „Ohne uns ist’s still”, veranstalteten 2m-Abstand-Demos und heuerten gemeinsam Anwälte an mit dem Ziel Verfassungsklage: Kunstfreiheit in Gefahr! Es gibt kein Grundrecht auf Fußball Auch hier in der BRD regte sich Widerstand. Be- reits am 11. Mai konstatierte der Augsburger Ver- fassungsrechtler Prof. Matthias Rossi, er könne KLINGER REPORT NR. 54 | 09
Hier tapsen die Verantwortlichen, von Grütters bis zu Landesfürsten, munter einher und prakti- zieren „divide et impera”: schmeiß dem Künstler ein Zuckerl hin, gib der Künstlerin ein Bonbon, dann schließen sie sich nicht zusammen sondern halten schön still. Eine Strategie, mit der schon Caesar gut fuhr. TEILE UND HERSCHE Foto: © Lambert Strehlke Seit Caesars Zeiten etabliert ist auch der Duktus der buckelnden, der den Hut demütig aufhalten- Weil ich Ungerechtigkeit nicht akzeptieren kann! den Künstler. Seit Jahr und Tag hoffen wir Künst- Die ungerechten Fakten im Corona-Herbst in lerinnen, Förderantrag um Förderantrag stellend, Bayern, wo ich im Ausschuss für Wissenschaft man möge gefallen, jemand möge etwas in eben und Kunst im Landtag sitze: Kultur in der Gast- diesen, unseren!, Hut werfen. ronomie: (Quelle: 7.Bayerische Infektionsschutz- maßnahmenverordnung (BayIfSMV), §13) in Die Festangestellten profitieren, solange es die einen Raum dürfen unbegrenzt viele Menschen. Institutionen noch gibt, bei denen sie angestellt Alle müssen 1,5 Meter Abstand halten. Masken- sind: das Kurzarbeitergeld ist ein probates, gutes pflicht beim Sitzen gibt es nicht. Das Publikum und wirksames Mittel, das auch im Kulturbereich muss an Esstischen sitzen. Eintritt darf nicht viele über die Krise rettet, ob Beschäftigte oder verlangt werden. Der Service darf für die Kultur jene, die froh sind, Personal dank Kurzarbeiter- nicht unterbrochen werden. geld halten zu können. Weiter in die Röhre Kultur auf Messe oder Kongress: (Quelle: gucken Saisonarbeitskräfte, Menschen im Minijob 7. Bayerische Infektionsschutz- maßnahmenver- oder Solo-Selbständige. ordnung (BayIfSMV), §15, Abs. 1, Satz 3) in einen Raum darf eine Person pro 10qm. Stuhlreihen Dass sich aus Applaus und Dankbarkeit keine sind erlaubt. Alle müssen 1,5 Meter Abstand Rücklagen aufbauen lassen, dass Kunst und halten. Am Platz besteht keine Maskenpflicht. Kultur eine wichtige Dienstleistung verrichten, Kultur pur: in einen Raum dürfen maximal 200 dass Mindesthonorare, Mindestgagen endlich Personen, die Publikumsgröße ist pauschal ge- gelten müssen, dass Kultur eine Pflichtaufgabe deckelt, unabhängig von der Raumgröße. Es gilt sein müsste für Kommunen - das, ja all das sind Maskenpflicht, auch am Platz. Alle müssen 1,5 strukturelle Probleme, die durch die Krise scharf Meter Abstand halten. zu Tage treten. Nicht, dass ein Pandemie-Betrieb so, wie er für andere Branchen gilt, die Rettung der Kunstfrei- Foto: © Sanne Kurz, priv. heit wäre. Auch finanzielle Hilfen sind im Not- betrieb dringend nötig, damit die Menschen und die Infrastruktur die Krise überstehen. Die pau- schale Deckelung der Publikumsgröße hat aber null-komma-null mit Infektionsschutz zu tun, ist reiner Populismus, macht dem Publikum Angst, treibt Kulturschaffende, Institutionen und Be- triebe in den Ruin und zerstört letzte Reste der kulturellen Infrastruktur. In Österreich trat am Ende die Staatssekretärin für Kultur unter dem Druck der Szene zurück. 10 | KLINGER REPORT NR. 54
Foto: © Ute Belting Probleme, die wir, wenn wir uns nicht trennen Der Artikel wurde bereits am 27.10.2020 lassen, wenn wir laut werden und laut bleiben, verfasst. Danach wurden wir wieder vom wenn wir Kunstfreiheit für Werk und Wirken Lockdown Light und den damit verbunde- einfordern, auch über die Krise hinaus bekannt nen Einschränkungen für die Kreativbranche machen können – für eine sozial nachhaltige überrollt. Verschiedene Hilfsmaßnahmen sind Kulturpolitik in Deutschland! angekündigt, Novemberhilfen / fiktiver Unter- nehmerlohn können Stand heute (11.11.2020) noch nicht beantragt werden. Aktualisierte Informationen hierzu finden Sie über die QR-Codes, links Novemberhilfen - Info Ministerium: Infos rund Quellen- „Die Eckpunkte zu den sog. November- um Corona angaben Hilfen finden Sie hier: (QR-Code Infos rund um Corona) Anträge können in Kürze über die bereits von den Überbrückungshilfen her bekannte Platt- form gestellt werden. (QR-Code Infos rund Text: Sanne Kurz, Vorstandsmitglied, Sprecherin um Corona) für Kulturpolitik und Film im Bayrischen Landtag, B‘90/Die Grünen, Mitglied des Rundfunkrates, Alle aktuellen Informationen zum Stand des Filmemacherin. Vereinsmitglied seit 2017 Verfahrens und zu weiteren Hilfsprogram- www.sanne-kurz.de men finden Sie wie immer auch auf der Internetseite www.bmwi.de
Grafik: © Jessica Hunold MEIN CORONA-STIGMA „Auf ein Neues, sagte er, und dabei fiel ihm das Alte eine Kinokomödie vor der Hürde der Finanzierung ein.“ Treffender kann dieses Zitat von Gerd Fröbe stand. Die Worte „hat großes Potential“ klingen im- die gegenwärtige Zeit nicht beschreiben. Seit ei- mer noch nach. Doch dann die Ernüchterung, weil nem knappen Jahr arrangieren wir uns mit Corona. ich leider noch keinen erfolgreichen, abendfüllen- Wie lange noch unser Leben eingeschränkt wird, den Film nachweisen konnte. Das Kleingedruckte in geschweige denn, wie sich die Zukunft gestaltet, ver- den Förderbedingungen grenzte mich aus. So füllt mag niemand vorherzusagen. Stehen wir vor einem sich die Schublade, wo schon andere Bücher so Neuanfang? Setzen wir das Alte fort? Wir wissen es langsam verstauben. Das System machte etwas mit nicht. Nur eins lässt sich mit Bestimmtheit sagen: mir, was Corona zu vollenden versucht. Das Leben nach Corona wird anders sein. Natürlich Rückschläge gehören dazu und haben mich noch ist es ein subjektives Empfinden, ob das Danach nie aus der Bahn geworfen. Das wird auch diese Kri- als Verschlechterung oder Verbesserung betrach- se nicht schaffen, die mit ihrer ersten Welle mitten in tet wird. Wünsche an die Zukunft gibt es viele. Der Dreharbeiten zu einer Kurzfilm-Krimikomödie platzte, größte Wunsch ist wohl, die Kulturszene einigerma- einer Produktion, die sowieso schon viele Unterbre- ßen unbeschadet über die Krise zu retten. chungen erfahren hatte. Doch solche Zwangspausen sind eigentlich gar nicht schlecht, lässt man den Wenn ich an dieser Stelle einen persönlichen wirtschaftlichen Aspekt aus der Betrachtung heraus. Wunsch äußern darf, dann ist es der, Corona möge Man kommt zur Ruhe und findet Zeit, sich ein Stück eine Wende herbeiführen, die mir doch noch den weit neu zu erfinden. Weg zu meinem Lebensziel ebnet. Allerdings blo- ckiert mich der Gedanke, hier einen Hauch Hoff- Warum nicht eine Drehbuchlesung aus dem Wohn- nung hineinzuinterpretieren, wenn in der Presse zimmer? Eine neue Idee war geboren. Um zur Auf- zu lesen ist, dass Sparmaßnahmen im 3-stelligen lockerung Skizzen zu den Szenen zeigen zu können, Millionenbereich angedacht werden. So werden suchte ich nach einem Zeichner oder einer Zeich- wohl noch mehr Projekte an der Finanzierung nerin und fand die Hamburgerin Jessica Hunold. So scheitern. Meiner Ansicht nach, oder soll ich sagen, wachsen neue Synergieeffekte aus der Krise hervor. meiner Befürchtung nach, wird es in erster Linie Menschen neigen dazu, überwiegend das Negative Drehbuchautoren und Regisseure treffen, die nicht zu sehen. Besser ist es, das Positive herauszuarbei- über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügen. ten. So wird aus dem Alten doch etwas Neues. Vielleicht irre ich mich auch und Corona führt zu einem Umdenken. Mir persönlich wäre es ein gro- ßer Wunsch. Ähnliches habe ich in der Vergangen- Text: Martin de Wolf, Autor und Filmemacher heit schon erfahren müssen, als mein Drehbuch für Mitglied seit 2018 www.martindewolf.de 12 | KLINGER REPORT NR. 54
DIALOGE IN ZEITEN DER PANDEMIE Auch mich hat Corona kalt erwischt: Keine Filmauf- wird, was Unsicherheit schürt. Nun werden nahmen, keine Lesungen, keine Installationen und bereits Termine im nächsten Jahr abgesagt. keine Ausstellungen mehr. Auch wurden meine Vorbereitungen lassen sich nicht einfach in Dozententätigkeiten und realen Künstlerbegeg- einem Aktenordner ablegen und später wieder nungen eingestellt. Die Aussage eines Künstlers hervorholen. Eine Tournee zum Beispiel bedarf zu Beginn der Pandemie hat sich bei mir fest ein- individueller Planung oder eine Theateraufführung gebrannt: „Ich war als freischaffender Musiker und ist von vielen anderen abhängig. Ein großes Trainer noch nie so schnell arbeitslos und es trifft Unverständnis ist mir in der Form begegnet, dass mich mit voller Härte.“ In diesem „rien ne va plus“ hunderte von Menschen dicht gedrängt in einem erwachte mein Widerstandsgeist der sagte: „Jetzt Flieger sitzen, während im Theater nur ein Bruchteil erst recht!“ der verfügbaren Plätze besetzt werden dürfen. Wie hoch ist das Ansehen der Kunst und Kultur? Wenn ich keine Besuche mehr machen darf und Einige Künstler und Künstlerinnen nutzten neue niemanden zu den ERANOS Events einladen kann, Medien und unkonventionelle Bühnen, um auf sich dann hole ich mir die Künstler eben online für ein und ihre Kunst aufmerksam zu machen: Konzerte Gespräch nach Hause. Doch worüber sollten wir uns aus dem Wohnzimmer oder vom Balkon, Lesungen austauschen? Die Antwort lag auf der Hand: Covid 19. aus dem Fenster, statt Dreharbeiten das Vorlesen aus dem Drehbuch mit dem Zeigen der dazu- Was macht die Krise mit uns? gehörigen Skizzen. Von einigen war auch eine Art Demut zu vernehmen, eine neue Form von Achtsam- In über 70 Gesprächen stellte ich meinen Gesprächs- keit, Empathie und Rücksicht, sowohl im Freundes- partnern 7 Fragen. Es entstanden mehr als 40 kreis, in der Nachbarschaft und bei Künstlerkollegen. Videos. Was für wunderbare Menschen sind mir be- Genauso die Aussage, dass wir als Kreative mit gegnet. Oft entstand eine besondere Verbindung, dieser Situation kreativ umgehen müssen. von der ich bis heute zehre. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön. Was fehlt am meisten bei alle dem? Die Frage, was diese Krise mit uns Künstlern macht, wurde sehr vielfältig beantwortet. Mir haften ge- Sicher zum einen die finanzielle Sicherheit, sehr blieben sind die Existenzängste. Es gab aber auch häufig aber das Publikum, der Kontakt zu den Aussagen, wie erholsam so eine Zwangspause sein Kollegen, zu den Chor- und Bandmitgliedern und kann. Raus aus dem Hamsterrad, das einen hinter die persönlichen Begegnungen, bei denen man sich jedem Auftrag und Auftritt herjagen lässt. einfach in den Arm nehmen kann, um die Momente Ich denke oft an die Hoffnungen, die in der Sofort- des „einfach gemeinsam sein“ zu genießen. hilfe gesehen wurde. Doch für viele endete es Ich hoffe und wünsche, dass wir nicht allzu lange in Hartz IV, verbunden mit dem Rat, doch einen weiter aus der Not heraus gefordert werden, wieder „anständigen Beruf“ zu erlernen. Mehr Hohn geht und wieder etwas neu kreieren zu müssen, um mit nicht! unserer Kunst zu existieren. Die vielen Ängste und Nöte waren immer wieder Thema. Dazu die Forderungen von Finanzämtern in Text: Peder W. Strux, Konzeptkünstler, Filmema- einer Zeit, in der die Einnahmen gleich Null waren. cher und Regisseur, Vorstandsmitglied seit 2019. Niemand weiß genau, wann und wie es weitergehen www.pederstrux.de
WAS MENSCHEN BERÜHRT IMPRESSIONEN ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG N°061MCR, Bollmann Reiner 14 | KLINGER REPORT NR. 54
Da kann man richtig stolz sein, was die Mitglieder des Paul Klinger Künstersozialswerks auf die Beine gestellt haben und das in Coronazeiten unter dem Druck der Hygiene- und Abstandsauf- lagen. Unter dem Motto „Was Menschen berührt“ zeigt der Verein 79 Werke von 42 Künstlern aus ganz Deutschland in den Räumen des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Sozia- les unter der Schirmherrschaft der Staatsminis- terin Carolina Trautner. Es ist die erste Ausstel- lung, die der Verein für seine Künstlermitglieder organisiert. Normalerweise kümmert er sich um die eher lebenspraktischen Probleme, die Künst- ler aller Sparten von Musikern, Schauspielern, Schriftstellern bis Sängern in ihrem Leben begegnen. Und das schon seit über 45 Jahren. Gegründet wurde der Verein von den beiden Künstlern Trude Haefelin und Jürgen Scheller 1974 unter dem Eindruck der Lebensphilosophie des befreundeten Schauspielers Paul Klinger. Dieser war der Meinung, dass Künstler zusam- menarbeiten und sich in unterschiedlichen Lebenslagen unterstützen sollen. Inzwischen zählt der Verein gut 1200 Mitglieder in ganz Deutschland und bietet Beratung zu verschiedenen sozialen, bürokratischen und Vorsorgethemen, darunter die Künstlersozial- kasse, Förderungs- und Weiterbildungsmaß- nahmen und Rechtsberatung. Die Ausstellung ist nun eine gute Gelegenheit, den Austausch zwischen den Bildenden Künstlern zu fördern. So wundert es nicht, dass sich viele Künstler auch zur Vernissage am 17. September 2020 in den Räumen des Staatsministeriums in der Win- zererstraße einfanden und in der großen Kantine den Begrüßungsreden lauschten. Den Anfang macht Vorstandsmitglied Peder W. Strux, den viele aus der Radiosendung „Künstler- fragen“ kennen, in der Strux Künstlerkollegen zu Connecting News - Paper Gestures, Ines Seidel ihrer Arbeit befragt. In fein geschliffenen Worten bedankte sich Strux bei dem Ministerium und al- len Mithelfern, darunter die Geschäftsführerin Ute Belting, Mitglieder wie Henny Schlüter und Marion Kausche für das Gelingen der Ausstellung. So ein Mammutprojekt lässt sich nicht allein auf die Bei- ne stellen. Ihm folgte der dynamische Amtschef des Ministeriums, Dr. Markus Gruber, der für seine Chefin Carolina Trautner eingesprungen war, die KLINGER REPORT NR. 54 | 15
Foto: © Nikolaus Leonhard sich leider entschuldigen musste. Gruber hatte schwieriger Aussichten die gefahrvolle Reise die Zeit vor der Eröffnung genutzt, um sich antreten und dafür sogar ihr kostbarstes Gut – ausgiebig in der Ausstellung umzuschauen und ihre Kinder – riskieren. gleich mehrere Kunstwerke gefunden, die ihm ge- Den Abschluss des Redereigens bildete die fallen. So berührte ihn das Werk „Heart – oder die Kunsthistorikerin Vivien Rathjen, die die mehr Kunst abzugeben“ der Kölnerin Mechthild Loh- künstlerische Seite der Ausstellung beleuchtete. manns. In der schwungvollen Tuschezeichnung Kein einfaches Unterfangen bei so vielen unter- stellt die Künstlerin ein Paar dar, das sich gegen- schiedlichen Positionen und Techniken; denn von seitig stützt. Gruber freute sich, dass Lohmanns Öl- und Acrylgemälden, Zeichnungen, Foto- hier ein schönes Bild für den zwischenmensch- grafien und Skulpturen waren auch viele Werke lichen Zusammenhalt gefunden hatte. vertreten, in denen Künstler ihre ganz eigene Technik erfanden. Dazu gehören etwa die Arbei- Des Weiteren fühlte sich der Amtschef stark von ten von Reiner Bollmann, der mit Pigmenten auf der imposanten Marmorskulptur „Esperanza“ des Zellulose arbeitet oder die Künstlerin Ines Seidel, Münchner Bildhauers Wolfgang Gottschalk die aus Zeitungspapier, Wachs und Fäden zarte berührt. Der Künstler hatte aus dem Stein einen Gespinste entwickelt. Schiffskörper geformt, der gerade von Wellen zum Kentern gebracht wurde. In seinem Inneren Dass es eine vielfältige Ausstellung würde, deren befinden sich Kleinigkeiten, die man einem Kind Bandbreite von figürlichen bis abstrakten Farb- mitgeben würde, wie Schnuller und Kleidungs- spielen reicht, war den Jurymitgliedern schon stücke. Gottschalk möchte mit seinem Werk den bei ihrer ersten Sitzung klar. Unterstützt wurden Bootsflüchtlingen ein Denkmal setzen, die trotz sie übrigens von zwei Mitgliedern des Staats- 16 | KLINGER REPORT NR. 54
Foto: © Nikolaus Leonhard Foto: © Nikolaus Leonhard ministeriums, Maximilian Weiderer und Susanne Hartinger, die ihre anfängliche Schüchternheit ablegten und bald kräftig mitdiskutierten, wenn es um die Umsetzung des Themas „Was Men- schen berührt“ ging. Denn obwohl das Wort Berührung definitiv die haptische Fähigkeit des Menschen betrifft, geht es in der Ausstellung nicht darum, die Kunstwerke anzufassen, son- dern sich emotional ergreifen zu lassen. Dazu hatte die Kunsthistorikerin sechs Bereiche herausgearbeitet, mit deren Hilfe die Besucher selbst einordnen konnten, in welchem Lebensbe- reich ein Kunstwerk sie gerade emotional an- sprach. Dazu gehörten die Bereiche „Zwischen- menschliches“, „Mensch und Natur“ sowie „Gesellschaft und Politik“ und Werke, die sich mit der eigenen Gefühls- und Denkwelt auseinandersetzen und – last but not least – die einfach nur Vergnügen bereiten. Wie dieses „Sich berühren lassen“ aussehen könnte, zeigte die Schauspielerin und Tänzerin Monika Herzing in KLINGER REPORT NR. 54 | 17
ihrer Performance, die den Reden folgte. In meh- mit einer unbeschwerten Note, inspiriert durch reren Stationen nahm die Tänzerin das Publikum das Werk und die Lebenseinstellung des Künst- mit auf eine Reise durch die Ausstellung, bei der lers Dieter de Harju: hinter der geschlossenen sie ausgesuchte Werke tänzerisch interpretierte. Glastür schnitt die Tänzerin dem Publikum Sie begann, mit einem Schöpfungsakt vor dem lustige Fratzen, wie es kein dreijähriger Bengel „Weltei“ der Bildhauerin Barbara Oppenrieder besser könnte. Ein fast vergessenes Talent in Zei- und nutzte dabei die idyllische Gartenszenerie ten der umfassenden Maskenpflicht. Nach soviel des kleinen Innenhofes. Eindrücken und Anregungen nutzten die Gäste den restlichen Abend für ausführliche Gesprä- Nach einer schönen Szene zum Thema che bei gutem Wein und leckeren Häppchen, die „Zwischenmenschliches“ vor den Werken von vom netten Cateringpersonal gereicht wurden. Oleg Bogomolov und Ricarda Blank, folgte ein Mit viel Abstand und entsprechend ungestört kleines Intermezzo im Bereich „Mensch und schlenderte man von Werk zu Werk und ließ die Natur“ vor dem Gemälde von Erika Huslig-Haupt schönen Arbeiten auf sich wirken. Nebenher und eine laszive Hommage an Marilyn Monroe wurden Bekanntschaften geschlossen, denn vor dem Werk der Künstlerin Susanne Pirkel- obwohl viele Künstler schon seit Jahren Mitglied bauer. Die Karikatur von Erik Liebermann nutzte im Paul Klinger Künstlersozialwerk e.V. sind, gibt Herzing um schon einmal das „Probeliegen“ zu es nicht so oft Gelegenheit zum persönlichen üben. Ihr Performance beendete Herzing dann Austausch. Eigentlicher Star des Abends war übrigens nicht die Kunst oder die Künstler, son- Weltenei, Barbara Oppenrieder dern ein kleiner roter Punkt. Dieser wird norma- lerweise auf das Namensschildchen neben dem Kunstwerk geklebt, wenn sich ein Käufer gefun- den hat. Es war sehr erfreulich zu sehen, dass bereits einige Kunstwerke einen neuen Besitzer gefunden hatten; denn von der Kunst allein kann kein Künstler leben, wie man so schön sagt. Der Punkt ist für Künstler ein bittersüßer Anblick: einerseits beweist er, dass jemand das Werk so schön fand, dass er es mit nach Hause nehmen möchte; andererseits heißt es auch Abschied- nehmen und das ist immer auch mit Trennungs- schmerz verbunden. Nicht umsonst sprechen viele Künstler von ihren Werken als „ihre Kinder“. Und wer wird nicht ein bisschen emotional, wenn die Kinder endgültig das Haus verlassen? Ein echt berührender Moment an einem sehr berührenden Abend – trotz Abstandsregeln. Text: Vivien Rathjen, Kunsthistorikerin und Philo- sophin, Vereinsmitglied seit 2020 www.kontext-werk.de 18 | KLINGER REPORT NR. 54
GRUSSWORT VON STAATSMINISTERIN CAROLINA TRAUTNER Staatsministerin Carolina Trautner Foto: © StMAS Kunstwerke schaffen einen ganz besonderen Zauber. Viele Ideen sind äußerst hintergründig. Manchmal Sie sind wie Spiegel: Was wir in ihnen sehen, hängt sind die Motive ernst und anklagend, manchmal davon ab, wer sie anschaut. heiter und humorvoll. Sie alle aber eint, dass sie Wenn wir mit anderen Menschen ein Bild an- die Menschen berühren. Sie erzählen sinnliche sehen, denken alle etwas anderes darüber. Gerade Geschichten, die niemanden kaltlassen. Da ist zum das macht Gespräche über Kunst so wertvoll. Erst Beispiel die Szene, in der ein Taschendieb unbeob- im gegenseitigen Austausch entfaltet ein Bild sei- achtet zwei junge Frauen bestiehlt. Oder der Lie- ne ganze Kraft. Ausstellungen bringen Menschen besbeweis eines Mannes, der seiner Angebeteten auf wunderbare Weise zusammen und stärken spielerisch die Sterne an den Nachthimmel malt. In den gesellschaftlichen Diskurs. der Kunst ist die Fantasie die große Schwester der Realität. Und gerade, wenn sich Kunstwerke nicht Ich freue mich daher ganz besonders, dass die gleich auf den ersten Blick voll erschließen, regen Ausstellung „Was Menschen berührt“ des Paul sie zum Nachdenken an. Viele geben ihr Innerstes Klinger Künstlersozialwerk e.V. bei uns im Baye- erst nach einiger Zeit preis. Wenn wir die Werke rischen Sozialministerium zu sehen ist. 83 Werke Tag für Tag vor Augen haben, kann sich ihre Be- von 43 Künstlerinnen und Künstlern verwandeln deutung mit der Zeit ändern. Dann vollbringt die unser Ministerium in eine abwechslungsreiche Kunst das, was die Kunstschaffenden oft am meis- Galerie. Die Bilder und Objekte reichen von ten freut: einen Perspektivwechsel beim Beobach- Gemälden und Zeichnungen über Cartoons ter zu erzeugen, der vielleicht sogar zu einer neuen und Collagen bis hin zu Skulpturen. Haltung führt. Die ausgestellten Werke faszinieren. Manche Bilder wecken persönliche Erinnerungen Die Verbindung von Politik und Kunst finde ich an das eigene Leben. Sommernächte und Winter- dabei besonders spannend, denn natürlich erken- abende, Küsse und Tränen, Lachen, Lieben und Le- ne ich in den Werken viele Verbindungen zu den ben – die Welt der Kunst prägt auch unsere eigene Themen unseres Hauses. Die Motive der Künst- Geschichte. lerinnen und Künstler zeigen Menschen in all ihrer Vielfalt – mal als verletzliche Persönlichkeiten in Ich bin sehr gerne Schirmherrin der Ausstellung intimen Portraits, mal in vertrauter Geborgenheit und wünsche ihr viel Erfolg. Besonders danke ich von Familie und Partnerschaft. Andere Bilder legen dem Künstlersozialwerk und allen, die zum Gelin- schonungslos offen, wie ein Mensch zu einem ein- gen der Ausstellung beitragen. Ich hoffe, dass sich samen, anonymen Teil einer Masse werden kann. die Gäste in unserem Haus von den Werken berüh- Solche kritischen Reflexionen können unser täg- ren lassen. liches Tun stärken. Sie zeigen, dass unser Einsatz für die Schwachen in der Gesellschaft richtig und Text: Carolina Trautner, Trautner, MdL Staatsministerin für notwendig ist. Familie, Arbeit und Soziales www.stmas.bayern.de KLINGER REPORT NR. 54 | 19
PREISE, FÖRDERUNGEN UND STIPENDIEN DIETRICH-OPPENBERG- MEDIENPREIS Alexandra Rudat ist für ihre herausragende journalistische Berichterstattung mit dem Dietrich-Oppenberg-Medienpreis 2020 aus- gezeichnet worden. In ihrem für Radio LORA produzierten Rundfunkbeitrag „Der Vorlesefriseur“ nähert sie sich der Persönlichkeit des Friseurs und Künstlers Danny Beuerbach, der Kindern einen Foto: © Dominik Parzinger kostenlosen Haarschnitt verpasst, wenn sie ihm etwas vorlesen. Die Jury begründete ihre Ent- scheidung unter anderem damit, dass Alexandra GEDOK Rudat ihre ausführlichen Interviews durch wissen- LITERATURFÖRDERPREIS schaftliche Hintergrundinformationen, originelle Kommentare, Vorlesepassagen der Kinder und Autorin, Bühnenpoetin und Performerin Franziska die Einschätzungen der stolzen Eltern ergänzt. Ruprecht ist mit dem GEDOK Literaturförderpreis Hervorgehoben werden auch die O-Töne, die von 2020 ausgezeichnet worden. Sie überzeugte die einer großen Authentizität und Tiefe zeugen. Der Jury mit ihren unangepassten, experimentellen nach dem Gründer und langjährigen Herausgeber Texten, die klug, unterhaltsam und erfreulich der NRZ Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung erfrischend den nicht immer einfach zu bewerk- in Essen benannte Preis wurde von der Stiftung stelligen Alltag von zumeist jüngeren Frauen Lesen und der Stiftung Presse-Haus NRZ ins beschreiben. „Ihre Texte entstehen aus der Leben gerufen, um eine lebendige Zeitungskultur Beobachtung des Lebens, aus Inspiration und zu fördern, und ein Zeichen für die Bedeutung Emotion. Dabei verfügt die junge Autorin über des Lesens in einer freien Gesellschaft zu setzen. eine eigene Sprache, die mal lyrisch geprägt ist, mal flapsig-alltäglich daherkommt. Aufgrund dieser sprachlich gelungenen Mischung entstehen oft ungewöhnliche Bilder“. Die GEDOK gilt als ältestes und europaweit größtes Netzwerk für Künstlerinnen aller Disziplinen. 1926 wurde sie von der Frauen- rechtlerin und Kunstförderin Ida Dehmel als „Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“ in Hamburg gegründet. Mit ihrem Literaturpreis würdigt die GEDOK literarische Spitzenleistungen von Frauen im deutschen Sprachraum. Foto: © Stiftung Presse-Haus NRZ / Lukas 20 | KLINGER REPORT NR. 54
BAYERISCHER FILMPREIS + DEUTSCHER KAMERAPREIS Der Dokumentarfilm „Walchensee Forever“ der Regisseurin Janna Ji Wonders feierte seine Pre- miere auf der 70. Berlinale 2020. Er wurde unter anderem mit dem Bayerischen Filmpreis (Bester Dokumentarfilm), dem deutschen Kamerapreis (Bester Schnitt) ausgezeichnet und ist für den European Film Award (Bester Dokumentarfilm) nominiert. Die Jury des 33. Wiesbadener Ex- ground-Filmfests kürte „Walchensee Forever“ zum besten deutschen Langfilm. Anhand unzähliger persönlicher Dokumente erzählt die Regisseurin Janna Ji Wonders in ihrem Film vom bewegten Leben der außergewöhnlichen Frau- en in ihrer eigenen Familie. Entstanden ist ein aufrichtiges, emanzipiertes und warmherziges Familienporträt am titelgebenden Walchensee. Janna Ji Wonders, die an der Hochschule für Foto: © Mark Zammit Cordina Fernsehen und Film München studierte, erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihre Regieleistun- gen. Der Kinostart von „Walchensee Forever“ ist für den 28. Januar 2021 geplant. FÖRDERUNG DURCH DAS GOETHE-INSTITUT Joel Frederiksen hat eine Förderung durch das Goethe-Institut erhalten. Mit der Ausschreibung einer Virtuellen-Partner-Residenz reagiert das Goethe-Institut auf die durch Corona veränderten Arbeitsbedingungen in der Musikszene, um den internationalen Austausch und die Zusammen- arbeit aufrechtzuerhalten und zu stärken. Ge- meinsam mit Domen Marincic ˇ ˇ wird Frederiksen in Ljubljana an einem Musikprogramm arbeiten, das eine Verbindung zwischen den Liedern Leonard Cohens und der Alt-Renaissance herstellt. Joel Frederiksen studierte Gesang und Laute in New York und Michigan, wo er seinen Masterabschluss machte. Der international anerkannte Musiker und Liebhaber der Alten Musik gründete 2003 das Ensemble Phoenix Munich. Seit 2007 präsentiert das Ensemble eine Konzertreihe im Bayerischen Nationalmuseum, München und tritt auf führen- den internationalen Festivals auf. CD-Einspie- lungen des EPM sind bei harmonia mundi France und SONY / DHM erschienen. KLINGER REPORT NR. 54 | 21
Foto: © Michael Nguyen DREHBUCHFÖRDERUNGEN AUS HAMBURG UND NIEDERSACHSEN Gleich zweimal gute Nachricht für den Autor, Filmemacher und Übersetzer Nikolaus von Uthmann: Seine deutsch-deutsche Spielfilmko- mödie DIE KUH VOM EIS erhält Drehbuchförde- rung aus Niedersachsen/Bremen von nordmedia. Als Produzenten fungieren SkalarFilm in Kolla- boration mit Junifilm. Die Geschichte basiert auf einer wahren Anekdote aus der Zeit des geteilten Deutschlands in den 1980er Jahren. Außerdem unterstützt die Filmförderung Hamburg / Schleswig-Holstein im Bereich „High End“-Drehbuchförderung Nikolaus von Uthmanns Pilotbuch und Konzept für die Anima- tionsserie JOHNNY SINCLAIR: GEISTERJÄGER. PX3 - PRIX DE LA PHOTO- Die Produktion dieser Fantasy-Action-Komödie GRAPHIE PARIS IN SILBER übernimmt Youngfilms. Die Trickserie basiert auf den Jugendbüchern von Sabine Städing – die wiederum ein Spin-Off der langjährigen Grusel- Michael Nguyen erhielt in Paris neben zehn romanreihe von Jason Dark sind. weiteren Auszeichnungen den begehrten „Px3 - Prix de la Photographie Paris" in Silber für sein Bild „Lockdown“ in der Kategorie „Fine Art/Digi- tally Enhanced". Für den Fotokünstler ist das die bisher höchste und angesehenste Anerkennung seiner Arbeiten. Nguyen gelang es mit seinem prämierten Bild, die Stimmung während der Co- rona-Krise einzufangen, die Menschen in der Zeit des Lockdowns zwang, zuhause zu bleiben, Ab- stand zu bewahren und Sozialkontakte zu mini- mieren. Treffen außerhalb des privaten Bereiches waren unmöglich, weil alle Restaurants, Cafés und Kneipen geschlossen waren. Nguyen foto- grafierte durch ein Fenster die leeren Stuhlreihen im Münchner Lokal Brenner, die digitale Nach- bearbeitung des entstandenen Bildes unterstrich die düstere Atmosphäre. Der 2007 ins Leben gerufene „Prix de la Photo- graphie Paris" zählt zu den renommiertesten Fotowettbewerben Europas. Die Hauptaufgabe besteht in der Förderung der Wertschätzung der Fotografie und der Entdeckung aufstrebender Talente. 22 | KLINGER REPORT NR. 54
EHRENPREIS DER MÜNCHNER KÜNSTLER- GENOSSENSCHAFT 1868 Am 28. Februar 2020 nahm Frau Renate Haus- dorf, Präsidentin des Paul Klinger Künstlersozial- werk e.V., im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst (München) freudestrahlend die Medaille entgegen, die ihr der Präsident der Münchner Künstlergenossenschaft MKG 1868, Herr Nikos Dettmer, reichte. Dieser Preis wird seit einigen Jahren an Persönlichkeiten und Institutionen vergeben, die sich um die Münchner Kultur ver- dient gemacht haben und mit ihrer Leistung die Lebenswelt Münchens bereichert haben. Ausge- zeichnet wird damit der unermüdliche Einsatz des Paul Klinger Künstlersozialwerk e.V. für die Interes- sen von Künstlern und Kreativschaffenden, denn das Künstlersozialwerk setzt sich nun schon seit über 46 Jahren tatkräftig für seine Mitglieder ein. Die Ausgaben werden ausschließlich über Mit- gliedsbeiträge und Spenden finanziert. Laudator war Maximilian Dorner, deutscher Schriftsteller und Dramaturg. Für seinen Debüt- roman „Der erste Sommer“ erhielt Maximilian Dorner den Bayerischen Kunstförderpreis. 2006 wurde bei Dorner Multiple Sklerose diagnosti- ziert – seit 2010 ist er auf einen Rollstuhl angewiesen. 2019 gründete der Schriftsteller das Aktionsbündnis WHEELCHAIRS FOR FUTURE. Text: Vera Conrad, Kultur- und Kommunikations- fachfrau, Mitglied seit 2006 #kreativimkrater
INTUITION ALS WEGWEISER BILDHAUER, MUSIKER UND AUTOR L. MORLA Ein bisschen scheu kommt er schon mal etwas mau im Magen daher – der 26 jährige Bild- werden. Aber Lob und Anerkennung hauer L. Morla – mitten im Auf- perlt dann später auch wie Sekt. bautrubel zur Ausstellung „Was Menschen berührt“, als er die Nicht der gerade Weg schwere Bronzefigur „Katharsis“ auf den Sockel im Innenhof des Wer ist nun dieser L. Morla? Bayerischen Staatsministeriums Auf jeden Fall niemand, der die für Familie, Arbeit und Soziales schnurgeraden Pfade liebt oder, Foto: © L. Morla hievt. Dreht seinen Männerakt der es sich einfach macht. Schaut solange bis er damit zufrieden ist. man sich sein Leben an, dann Fragen müssen geklärt werden, hat er trotz seines Alters schon bevor die Ausstellungsbesucher einiges an Erfahrung gesammelt. das Werk zu Gesicht bekommen: Der Wunsch, Bildhauer zu werden, Wohin soll der Bronzemann stand nicht von Anfang an fest – schauen? Stimmt die Patina auch im Gegenteil. Sein Lebensweg führte im Tageslicht? Wackelt der Sockel ihn nach dem Abitur zuerst ins nicht? Stimmt die Beschriftung? Ausland – Lateinamerika, Ostafrika Alle, die selbst einmal den Anfang und Israel, um nur einige Orte zu im Kunstbetrieb gewagt haben, nennen. Besonders der beginnende kennen das Gefühl, wenn man sich Syrienkrieg, den er bei seinem zum erste Mal als Künstler der Israel-Aufenthalt 2013 miterlebte, Welt zeigt und sein Werk in einer hat ihn zutiefst erschüttert und richtigen Kunstausstellung neben in ihm den Wunsch geweckt, sich Werken von anderen, älteren und in den Studiengang „Naher und bekannteren Künstlern bestehen Mittlerer Osten“ an der Ludwig- muss. Denn diesmal zeigt man Maximilians-Universität in München keine Auftragsarbeit, in der die einzuschreiben. Doch daraus wurde Wünsche des Auftragsgebers im nichts. Stattdessen entdeckte Morla Vordergrund standen. Kein Lehr- die Holzbildhauerei. An der Berufs- stück, das hauptsächlich von Aus- fachschule für Holzschnitzerei und bildern und Freunden bewertet Schreinerei in Berchtesgaden nahm wird. Nein, die Entscheidung man ihn an und gab seinem künst- dieses Werk zu zeigen, hat man lerischen Talent die notwendige allein getroffen. Man weiß, mit handwerkliche Grundlage. Nach diesem Stück wird man später seinem Abschluss letztes Jahr identifiziert werden. Da kann einem konnte er dann auch schon einige 24 | KLINGER REPORT NR. 54
Beides Fähigkeiten, die man als Ein Leben ohne Musik könnte sich Bildhauer braucht. Morla nicht vorstellen. Sie ist viel- leicht sogar wichtiger als die Bild- Die Gleichheit der Dinge hauerei. Denn: „Musik ist spontan und universell verständlich. Und Fragt man L. Morla, was ihm die man macht sie miteinander.“ Bildhauerei bedeutet, dann ist es Insofern ist sie das ideale Gegen- die Gleichheit der Dinge, die ihn stück zur Bildhauerei, in der alles fasziniert. Ein Bildhauer hinterlässt von Anbeginn geplant werden etwas; schafft Denkmäler, die für muss. Seit 15 Jahren spielt der sich selbst sprechen, ohne dass der Künstler nun Gitarre und Klavier Künstler danebenstehen muss. Und und setzt sein Talent in verschie- es ist eine Arbeit an und mit der denen Bands – etwa bei „Jesper Zeit. Denn in der Bildhauerei geht Munk“ oder als Duo mit Freund es langsam zu. Am Ende wird man Osono – ein. Es sind zwei Seiten mit einem greifbaren Objekt be- einer Medaille, die L. Morla lebt: Foto: © L. Morla lohnt, das gleichwertig neben den hier die geduldige Arbeit als öffentliche Aufträge ergattern. So schon vorhandenen Dingen in der Bildhauer, dort die Spontanität wacht inzwischen an der Sonnen- Welt steht. Zu seinen Vorbildern und Vergänglichkeit der Musik. promenade hinter dem Berchtes- zählt er neben seinem Meister Wen wundert es, dass auch beim gadener Friedhof ein geschnitzter Hannes Stellner, der sich dem er- Folgeprojekt in Jerusalem, nach Gänsegeier über die Beziehung staunlichen Kosmos der Ohrenbild- der Arbeit am riesigen Totempfahl, zwischen Bauern und National- hauerei verschrieben hat, auch den Musik gemacht wird. Ein Kreislauf, parks. rumänischen Bildhauer Constantin der sich gegenseitig bedingt. Brancusi mit seinen zarten, asketi- Dazu passt, dass der Künstler sich Aug in Aug mit dem Axolotl schen Werken wie der unendlichen gerade mit der indischen Musik Säule. An Brancusi schätzt Morla auseinandersetzt. „Die indische Überhaupt spielt die Natur eine vor allem dessen klare Formen- Notation ist kreisförmig, nicht linear große Rolle in seinem Schaffen. sprache und seine Symbolik. Er be- wie die Westliche. Die Stücke fol- Morla liebt Tiere. Als Kind spielte wundert die, bis zum Feinsten, ge- gen einem klaren Muster und sind er mit Fröschen, Molchen und schliffenen Skulpturen aus Bronze oft repetitiv.“ Nacktschnecken. Inzwischen teilt und Marmor. Eine Arbeit, die unend- Wie sieht die Zukunft aus? Neben er sich sein WG-Zimmer mit drei liche Geduld erfordert.Dazu passt den laufenden, bildhauerischen Axolotl – einer Lurchart, die aus auch der Name „Morla“, ein Pseudo- Projekten widmet sich Morla dem Larvenstadium nicht heraus- nym, dass sich der Künstler gewählt gerade einem Buchprojekt. Danach kommt, selbst wenn sie erwach- hat und mit dem er auf die uralte wird weitergelernt – wie und wo, sen ist. Sein Verhalten wundert Schildkröte in Michael Endes Roman wird sich noch herausstellen. nicht, wenn man weiß, dass sein „Die unendliche Geschichte“ an- Schön wäre es, wenn sich ein Vater als Biologe mit den Elefan- spielt. Dabei geht es ihm um die kleines Atelier mit viel Grün drum ten im Münchner Tierpark Hella- Freiheiten, die man mit einem Künst- herum finden würde. Eben eine brunn arbeitete und über Fleder- lernamen gewinnt, jenseits seiner richtige „Kreativhütte“ in der all mauskommunikation forschte. Der Alltagspersönlichkeit. Es ist eine die Facetten seines Schaffens Bildhauer begleitete ihn gerne bei geschaffene Identität, die man ihren Ausdruck finden können. seiner Feldarbeit. Im Sommer zog selbst kontrolliert und entwickelt. die Familie, mit Zelten ausgerüs- tet, durch ganz Europa und erkun- Kreisende Kreisläufe Text: Vivien Rathjen, dete die alten Kulturstätten. Hier Kunsthistorikerin und Philosophin schulte Morla seinen Blick und Das zweite prägende Element Vereinsmitglied seit 2020 sein Gefühl für Formen im Raum. in seinem Leben ist die Musik. www.kontext-werk.de KLINGER REPORT NR. 54 | 25
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