REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk

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REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
REPORT
 dezember 2020 | Nr. 54
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
INHALT
                                                                      14

                                                                                           06

                 Luftig, Geschnürt, Verwoben, Elisabeth Ritter   20	Preisverleihungen 2020
                                                                    Ausgezeichnete Mitglieder

04	Im Schulterschluss:
                                                                 24	Im Portrait: L. Morla
	mit der Allianz der freien Künste                                 Bildhauer, Musiker und Autor

06 Auf Sendung
                                                                 26	Im Portrait: Thomas B. Franz
    Mein erstes jahr als vorstand                                   Schauspieler, Sänger, Musicaldarsteller

08 Vorstandswahl 2021
                                                                 28	Eurydike tanzt
                                                                    Straßentheater in Passau
09 Die Kunst ist frei?
    Maßnahmenwirrwarr in Zeiten von Corona                       30 Eine Ausstellung entsteht
                                                                    Ruhr Museum Essen
12 Mein Corona-Stigma
                                                                 32 Warum Instagram?
14 Dialoge                                                          Brauchen wir Social Media?
    In Zeiten der Pandemie
                                                                 36	
                                                                    Wovon leben mit Baby?
14 Was Menschen berührt                                             Tipps für Selbstständige von einer Single-
    Impressionen zur Ausstellungseröffnung                          Mom

19	Grußwort                                                    44	Veröffentlichungen
    von Staatsministerin Carlona Trautner                           Neues von unseren Mitgliedern
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CORONA, CORONA
                             Corona liebe Freunde und Mitglieder, ist leider
                             für uns das alles überlagernde Thema dieses
                             Jahres geworden und wird uns sicher auch
                             noch ins nächste Jahr begleiten.

                             Wir hatten einen wunderschönen Sommer, in
                             dem wir gern unser stets geselliges Sommer-
                             fest in der Mohrvillla gefeiert hätten. Leider
                             fiel auch das den Abstandsregeln zum Opfer.      Foto: © Made Photography – Julian Madeja

                             Dennoch, liebe Freunde, nur Jammern hilft uns
                             auch nicht weiter, wenngleich wir allen Grund hätten, mit unseren Landes-
                             regierungen sowie der Bundesregierung zu hadern. Die so rasch vollmun-
                             dig versprochenen Hilfen für Künstler und Solo-Selbständige haben oft
                             mehr Verunsicherung und Durcheinander gebracht als dass sie zur Hilfe
                             wurden.

                             Manch einer von uns wurde vielleicht zum Stubenhocker. Es fehlten
                             Kontakt, der Dialog, das Lächeln der Freunde, Umarmungen und
                             Gespräche. Das macht traurig. Doch hat es auch ganz wundervolle,
                             ermunternde Erlebnisse gegeben. Eine Kollegin hat täglich, einige Wochen
Grafik von Jessica Hunold    lang, Karten mit Zeichnungen verschickt, die uns sagten: Seid nicht traurig,
                             es geht weiter, gebt nicht auf. Andere Kollegen machten sich und uns Mut,
                             bleibt kreativ, nun erst recht. Es gab phantastische Lesungen und Musik
                             vom Balkon, Kammermusik im Reihenhausgarten.
       Katharsis, L. Morla

        24
                             Peder Strux, zweiter Vorsitzender und „unser Mann im Norden“, hat
                             sich neue Wege zur virtuellen Kommunikation ausgedacht, über die er
                             in einem separaten Artikel in diesem Heft berichten wird. Daraus haben
                             sich interessante Diskussionen ergeben und ich bin sicher, dass wir im
                             nächsten Jahr auf diesem Weg noch weiter erfolgreich sein werden.

                             Und, liebe Freunde, wir können stolz sein: Unsere erste Ausstellung mit
                             dem Titel „Was Menschen berührt“ ist am 17. September 2020 erfolgreich
                             im Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales
                             gestartet. Mit großer Freude konnten wir 42 Künstler mit 79 Arbeiten
                             vorstellen. Für die Organisatoren (Henny Schlüter, Ute Belting und
                             Marion Kausche) war es eine gewaltige Aufgabe, die sich aber gelohnt
                             hat und wir danken an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich. Die
                             Zusammenarbeit mit dem Ministerium hat so viel Freude gemacht, dass
                             wir sagen können, wir haben hier eine gemeinsame Ausstellung auf die
                             Beine gestellt.

                             Die Ausstellung wird noch bis 30. Januar 2021 im Ministerium zu sehen sein.

                             Liebe Freunde, lasst Euch nicht beirren, bleibt kreativ, lasst uns gemein-
                             sam versuchen, das in diesem Jahr Entstandene, Neue, weiterzuverfolgen,
                             die Nähe auf andere, digitale Weise wahrzunehmen, vielleicht eine weitere
                             Ausstellung zu starten, hoffentlich den Stammtisch wieder aufzunehmen
                             (gerne im Internet), uns nicht aus den Augen zu verlieren, das wünscht

                             Eure Renate Hausdorf, Präsidentin seit 2019, Vereinsmitglied seit 1990

                             PS: Und vergesst nicht: Trotz Corona: Kunst wird es immer geben!
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
IM SCHULTERSCHLUSS:
DAS PAUL KLINGER KÜNSTLERSOZIALWERK
TRITT DER ALLIANZ DER FREIEN KÜNSTE BEI

Schon 2016 hat sich die Allianz der freien Künste    die Freien Künste einen substan­tiel­len Anteil
(AFK) mit dem vorrangigen Ziel formiert, die         an der zivilgesellschaftlichen Entwicklung. Bei
Aufmerksamkeit in der Politik und in der Gesell-     vielen Kreativen ver­­bin­den sich darüber hinaus
schaft auf den Arbeitsbereich der Freien Szene       künstlerisch-ästhetische Ansätze mit einer Viel-
zu lenken und die Arbeits- und Lebensbeding-         zahl von sozia­len, integrativen und interkulturel-
ungen für die in diesem Feld tätigen selbststän-     len Projekten.
digen Akteure zu verbessern. Das Bündnis will
spartenübergreifend gemeinsame, übergeordne-         Die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbe-
te Forderungen bündeln und in den kulturpoli-        dingungen jedoch, unter denen die Akteure
tischen Diskurs einbringen, dabei betreffen diese    der Freien Künste arbeiten, werden weder dem
Forderungen nicht nur die Kulturpolitik, sondern     bedeutenden gesellschaftlichen Beitrag noch
dezidiert auch die Sozial-, Renten- und Arbeits-     der Arbeitspraxis der Freien Künste gerecht. Das
marktpolitik.                                        Jahr 2020 und die mit der Corona-Pandemie
                                                     einhergehenden Einschränkungen haben diese
Wir sind froh, seit diesem Sommer Teil dieses        Situation nochmals verschärft.
offenen und genreübergreifenden Bündnisses zu
sein. Der Zusammenschluss von nunmehr 19             Es gibt keine Tarifpartner, die ihre je­weiligen
Bundesverbänden und Interessenvertretungen           Interessen miteinander aushandeln, und die von
der privatrechtlich organisierten Kunst- und         zahlreichen Verbänden empfohlenen Honorar-
Kulturschaffenden in Deutschland ist eine starke     standards sind nicht verbindlich. Trotz erfolg-
Vereinigung, deren Ausrichtung auch unseren          reicher und hoch profes­sioneller Arbeit bewegt
und Euren Belangen mehr Gewicht verleihen wird.      sich eine Vielzahl der privatrechtlich organisierten

Man kann davon ausgehen, dass die Forderungen
der AFK einen Per­sonenkreis von insge­samt
mindestens 250.000 Kunst­- und Kulturschaf-
fenden betrifft, neben den Künstlerinnen und
Künstlern auch alle, die im unmittelbaren Umfeld
der Kunstproduktion tätig sind.

Deutschland ist ein Land der Kunst und der Kul-
tur. Ein maßgeblicher Teil der Kunst- und Kultur-
produktion in Deutschland wird von privatrecht-
lich organisierten Kunst- und Kulturschaffenden
erbracht. Die Freie Szene hält die Kultur lebendig
und facettenreich und ist Motor für Inno­vationen.
Freie Künste eröffnen ungewohnte Perspektiven,
greifen gesell­schafts­poli­ti­sche Themen auf und
hinterfragen Sicht- und Arbeitsweisen, so haben

04 | KLINGER REPORT NR. 54
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
SOMMERFEST
                                                      2021
Kunst- und Kultur­schaf­fenden im unteren Ein-        Wenn die Coronavorgaben es uns erlauben,
kommensbereich. Eine angemessene Altersvor-           wird es im kommenden Jahr natürlich wieder
sorge ist flächendeckend nicht mög­lich und dem       ein Sommerfest in der Mohrvilla geben. Doch
Großteil der Künstlerinnen und Künstler droht         die aktuelle Pandemielage lässt uns noch
eine systembedingte Altersarmut.                      zögerlich mit der konkreten Terminplanung
                                                      umgehen.
Obwohl die Freien Künste in erheblichem Maße
zur kulturellen Grundversorgung beitragen, erhal-     Wie Ihr in dem Artikel zu den anstehenden
ten sie lediglich einen Bruchteil der öffentlichen    Vorstandswahlen lesen könnt, sind wir inten-
Förderung. Die von den Verbänden emp­foh­lenen        siv mit den Vorbereitungen für unsere Jahres-
Honorarstandards kommen im Bereich der                hauptversammlung und dem anschließenden
öffentlichen Förderung weitgehend nicht zur           Sommerfest beschäftigt.
Anwendung. Auch fehlt eine Ausdifferenzierung
der Fördersysteme.                                    Sobald es hier Neuigkeiten gibt, werdet Ihr
                                                      über den Newsletter informiert.
Diese Situation muss sich ändern! Es ist an der
Zeit, dass die Politik soziale und wirtschaft­liche   Nun drückt alle die Daumen, dass sich die
Rahmenbedingungen schafft, die der Leistung           Situation entspannt und wir ohne gesund-
der Freien Künste und ihrem Anteil an der Kunst-      heitliche Risiken in alter Tradition gemeinsam
und Kulturproduktion in Deutschland gerecht           feiern können!
werden.

Über die Detailforderungen hinaus fordert die
Allianz der Freien Künste eine grund­sätz­liche
Stärkung der Kultur in Deutschland. Kultur und
Kunst gehören zur Grund­ver­sor­gung. In der
konsequenten Weiterführung dieser Annahme
muss Kultur als Staatsziel im Grundgesetz ver-
ankert werden – so, wie es bereits die Enquete-
Kom­mis­sion des Deutschen Bundestages „Kultur
in Deutschland“ 2007 in ihrem Abschlussbericht
ge­fordert hat.

Text: Ute Belting, seit 2015 Geschäftsführerin
des Paul Klinger Künstlersozialwerk e.V.
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
Grafik: © kws #kreativimkrater

AUF SENDUNG
MEIN ERSTES JAHR ALS VORSTAND

Bei der Mitgliederversammlung      verbindet und andererseits als                  verpasst hat, kein Problem, alle
vom Paul Klinger Künstlersozial-   Podium dient, das künstlerische                 Sendungen sind auf YouTube
werk 2019 beschäftigte mich die    Schaffen der Kreativen einem                    eingestellt.
Frage „Warum kandidierst du        breiteren Publikum vorzustellen.
eigentlich für den Vorstand“?
und ich fand für mich eine weit-   RADIO
reichende Antwort, wobei ich
                                                                                             Künstlerfragen
manche Herausforderung noch        Schon seit vielen Jahren ist
                                                                                             Youtube
nicht einmal erahnen konnte.       unsere traditionelle Radiosen-
                                   dung Künstlerfragen jeden 4.
Von Anfang an war es mir ein       Freitag im Monat um 19 Uhr live
                                                                                             Künstlerfragen
besonderes Anliegen, dem Ver-      auf RadioLora 92.4 zu verfolgen.
                                                                                             Podcast Anchor
ein eine stärkere mediale Prä-     Seit 2020 konnten wir weitere
senz durch den Aufbau eines        Sendeplätze für dieses Format
bundesweiten Netzwerks zu          bei Westküste FM, O.K. Radio
verschaffen, das einerseits die    und Radio Thiede in Hamburg
Mitglieder enger miteinander       gewinnen. Wer eine Sendung

06 | KLINGER REPORT NR. 54
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
YOUTUBE UND PODCAST                    KÜNSTLERTREFFS UND                Möglichkeit, Mitglieder aus ganz
                                       KUNSTSALONS                       Deutschland „an einen Tisch zu
Mit der Reihe Künstler fragen                                            bringen“ verbunden durch einen
Künstler habe ich ein neues            Seit April finden in München      bundesweit moderierten Aus-
Format entwickelt. In der Gesprächs-   wegen der Pandemie keine          tausch zu einem vorgegebenen
reihe 7 Fragen an… spreche ich         Künstlertreffs mehr statt,        Thema. Ein erster, erfolgreicher
per Skype mit Mitgliedern des          geplante Zusammenkünfte in        Probelauf fand bereits statt.
Vereins über deren aktuelle Situa-     anderen Städten Deutschlands      Einladungen für die kommen-
tion in Zeiten der Corona-Pande-       wurden abgesagt. Auch den         den öffentlichen Termine folgen
mie. Insgesamt führte ich in den       angedachten Kunstsalon im         zeitnah per Newsletter und auf
letzten Monaten mehr als 70            Gartensalon konnten wir in        unserer Website.
Interviews, die meisten Aufzeich-      diesem Jahr nicht umsetzen, da
nungen der Kurzgespräche sind          müssen wir auf bessere Zeiten     Was sich im kommenden Jahr
auf unserem YouTube-Kanal              hoffen. Die Idee hinter dem       wie entwickeln wird, wissen wir
zu sehen. An dieser Stelle gilt        Konzept steht in der Tradition    leider noch nicht. Corona be-
mein herzlicher Dank allen, die        der philosophischen und lite-     stimmt das kreative und soziale
meinem Aufruf gefolgt sind und         rarischen Salons des 18. und      Handeln sicher noch eine Weile,
sich trotz mancher technischer         19. Jahrhunderts. Doch im         doch wir sind ein starkes Netz-
Widrigkeiten auf das Abenteuer         Gegensatz zu diesen privaten      werk und werden neue Wege
Skype-Call eingelassen haben.          Salons steht unser Termin allen   zum Miteinander finden.
Gab es doch manchmal nur im            Menschen offen, die Freude am
entferntesten Gartenbereich            geistreichen Gedankenaustausch
unter einem Birnbaum eine              über Lebenskunst und Lebens-
Empfangsmöglichkeit.                   kultur haben.
                                                                                    7 Fragen
Eine weitere Gesprächsreihe            Die Einschränkungen durch                    YouTube
ist gerade angelaufen: Kunst           Corona rufen nach Lösungen.
gefragt. Hier spreche ich mit          Wir werden den Künstlersalon
Mitgliedern über deren aktuellen       ins Internet verlegen und einen
Projekte: Ausstellungen, Buch-,        bundesweiten Künstlertreff via    Text: Peder W. Strux, Konzept-
Musik- oder Film-Projekte, Thea-       Zoom unter dem Motto #Wir-        künstler, Filmemacher und Regis-
ter, Performance, Tanz, der Viel-      Künstler – Live entwickeln,       seur, Vereinsmitglied seit 2011.
falt des künstlerischen Schaffens      eine weitere, hervorragende       www.pederstrux.de
sind keine Grenzen gesetzt. Die
ersten Aufzeichnungen wurden
bereits veröffentlicht. Alle, die
Interesse an einer solchen Kurz-
präsentation per Videointerview
haben, mögen sich in der Ge-
schäftsstelle des PKSW melden.

Für jedes dieser Formate gibt es
auch einen Podcast!

            7 Fragen
            Podcast Anchor
                                                                                                    Foto: © Peder Strux

                                                                                 KLINGER REPORT NR. 54 | 07
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
VORSTANDSWAHL 2021

Liebe Mitglieder und Freunde des Paul Klinger        sie kandidiert für den neuen Vorstand, genau wie
Künstlersozialwerk e. V. ,                           Peder W. Strux, Sanne Kurz und Christian Zeitler
                                                     aus unserem aktuellen Team.
seit der letzten Vorstandswahl sind nun fast zwei
Jahre vergangen; eine neue Präsidentin und ein       Bitte meldet Euch mit Vorschlägen oder auch einer
neuer Vorstand haben in den vergangenen beiden       eigenen Kandidatur für das Vorstandsgremium.
Jahren zusätzliche Schwerpunkte gesetzt und
Pläne für die Zukunft geschmiedet.                   Aktuell prüfen wir verschiedene Möglichkeiten, wie
                                                     die Wahl dann unter den gegebenen Umständen
Satzungsgemäß stehen bei der JHV im kommen-          praktisch umgesetzt werden kann. Auch hier wer-
den Jahr erneut Wahlen an. Und somit stellt sich     den wir Euch rechtzeitig informieren.
die Frage: Vorstand oder Beirat im Künstlersozial-
werk, ist das was für mich? Aus diesem Grunde        Der Vorstand beruft Beiräte, die mit ihrem Fachwis-
rufen wir nun unsere Mitglieder auf: meldet Euch.    sen das Gremium punktuell unterstützen. Wenn Ihr
                                                     Interesse und Ideen habt, wie Ihr hier Euer Know-
Die Vorgaben ändern sich ständig und es ist nicht    How einbringen könnt, meldet Euch.
abzusehen, ob im kommenden Jahr die JHV als
Präsenzsitzung durchgeführt werden kann. Wir         Es ist wichtig, dass unser Verein weiterhin von
sind dabei, alternative Konzepte zu entwickeln.      einem Gremium gelenkt wird, das zuversichtlich
                                                     und mit kreativen Ideen die Zukunft des Vereins
Die amtierende Präsidentin Renate Hausdorf wird      sichern kann. Gerade in schweren Zeiten sind wir
ihr Amt abgeben. Dennoch möchte sie weiterhin        gemeinsam stärker - wir brauchen Euch und Euer
dem Gremium zur Verfügung stehen, das heißt,         Engagement!

08 | KLINGER REPORT NR. 54
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
DIE KUNST IST FREI ?
MASSNAHMENWIRRWARR IN ZEITEN VON CORONA

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre        nicht nachvollziehen, warum Gottesdienste unter
sind frei.” So steht es in Art. 5, Abs. 3 unseres   Auflagen erlaubt seien, Kulturveranstaltungen
Grundgesetzes, unserer Verfassung.                  aber weiterhin verboten. Das Recht auf Kunst-
                                                    freiheit sei kein zweitrangiges Grundrecht. Ähn-
War schon vor Corona trotz Institutionen wie der    lich wie beim Grundrecht auf Religionsfreiheit,
Künstlersozialkasse die Freiheit der Kunst dort     sei nicht nur das reine künstlerische Schaffen
gefährdet, wo Kulturschaffende künstlerisches       geschützt, sondern auch der Wirkbereich.
Wirken zurückschrauben oder unterlassen muss-
ten, weil wirtschaftliche Gegebenheiten sie dazu    Während man in Österreich auf die Barrikaden
zwangen, brach mit Beginn der Pandemie ein          ging, gab uns Rossi hier eine Steilvorlage: Nicht
Großteil des Kunst- und Kulturschaffens, wie wir    nur unser „Werk”, auch unser „Wirken”, also
es kannten, komplett zusammen.                      Auftritte, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen,
                                                    Performances, Filmdrehs oder Fotosessions,
Veranstaltungsverbote sind                          sind von unserer Verfassung geschützt!
Tätigkeitsverbote.
                                                    Dass niemand riskieren möchte, Schuld an Leid
Mit dem Lockdown wurde alles unmöglich,             oder gar Tod zu sein, versteht sich von selbst.
was Menschen-Gruppen oder gar Publikum ein-         Trotzdem muss klargestellt werden, dass 80.000
schließt, aber auch Museen und Bibliotheken         infektionsfreie Besuche bei den Salzburger
wurden geschlossen, Musik zum Hochrisiko erklärt,   Festspielen mitten im Corona-Sommer eine
kulturelle Bildung untersagt. Reisefreiheit,        klare Sprache sprechen, klarer als bayerische
Religionsfreiheit, alles kam rasch zurück. Kaum     „Pandemie Pilotprojekte” in der Staatsoper.
diskutiert wurde, was Verbote und andauernder       Warum mich das alles so maßlos ärgert?
Notbetrieb mit der Kunstfreiheit machen.

Wenden wir den Blick in unser Nachbarland
Österreich: In diesem corona-mäßig ähnlich wie
Bayern ächzenden Land ist die Kunstfreiheit erst
seit 1982 in der Verfassung verankert. Schon bald
nach den Veranstaltungsverboten schlossen sich
dort Kreative zusammen, entwarfen Petitionen,
organisierten Schweigemärsche wie „Ohne uns
ist’s still”, veranstalteten 2m-Abstand-Demos und
heuerten gemeinsam Anwälte an mit dem Ziel
Verfassungsklage: Kunstfreiheit in Gefahr!

Es gibt kein Grundrecht auf Fußball

Auch hier in der BRD regte sich Widerstand. Be-
reits am 11. Mai konstatierte der Augsburger Ver-
fassungsrechtler Prof. Matthias Rossi, er könne

                                                                             KLINGER REPORT NR. 54 | 09
REPORT dezember 2020 | Nr. 54 - Paul Klinger Künstlersozialwerk
Hier tapsen die Verantwortlichen, von Grütters
                                                              bis zu Landesfürsten, munter einher und prakti-
                                                              zieren „divide et impera”: schmeiß dem Künstler
                                                              ein Zuckerl hin, gib der Künstlerin ein Bonbon,
                                                              dann schließen sie sich nicht zusammen sondern
                                                              halten schön still. Eine Strategie, mit der schon
                                                              Caesar gut fuhr.

                                                              TEILE UND HERSCHE
                                   Foto: © Lambert Strehlke
                                                              Seit Caesars Zeiten etabliert ist auch der Duktus
                                                              der buckelnden, der den Hut demütig aufhalten-
Weil ich Ungerechtigkeit nicht akzeptieren kann!              den Künstler. Seit Jahr und Tag hoffen wir Künst-
Die ungerechten Fakten im Corona-Herbst in                    lerinnen, Förderantrag um Förderantrag stellend,
Bayern, wo ich im Ausschuss für Wissenschaft                  man möge gefallen, jemand möge etwas in eben
und Kunst im Landtag sitze: Kultur in der Gast-               diesen, unseren!, Hut werfen.
ronomie: (Quelle: 7.Bayerische Infektionsschutz-
maßnahmenverordnung (BayIfSMV), §13) in                       Die Festangestellten profitieren, solange es die
einen Raum dürfen unbegrenzt viele Menschen.                  Institutionen noch gibt, bei denen sie angestellt
Alle müssen 1,5 Meter Abstand halten. Masken-                 sind: das Kurzarbeitergeld ist ein probates, gutes
pflicht beim Sitzen gibt es nicht. Das Publikum               und wirksames Mittel, das auch im Kulturbereich
muss an Esstischen sitzen. Eintritt darf nicht                viele über die Krise rettet, ob Beschäftigte oder
verlangt werden. Der Service darf für die Kultur              jene, die froh sind, Personal dank Kurzarbeiter-
nicht unterbrochen werden.                                    geld halten zu können. Weiter in die Röhre
Kultur auf Messe oder Kongress: (Quelle:                      gucken Saisonarbeitskräfte, Menschen im Minijob
7. Bayerische Infektionsschutz- maßnahmenver-                 oder Solo-Selbständige.
ordnung (BayIfSMV), §15, Abs. 1, Satz 3) in einen
Raum darf eine Person pro 10qm. Stuhlreihen                   Dass sich aus Applaus und Dankbarkeit keine
sind erlaubt. Alle müssen 1,5 Meter Abstand                   Rücklagen aufbauen lassen, dass Kunst und
halten. Am Platz besteht keine Maskenpflicht.                 Kultur eine wichtige Dienstleistung verrichten,
Kultur pur: in einen Raum dürfen maximal 200                  dass Mindesthonorare, Mindestgagen endlich
Personen, die Publikumsgröße ist pauschal ge-                 gelten müssen, dass Kultur eine Pflichtaufgabe
deckelt, unabhängig von der Raumgröße. Es gilt                sein müsste für Kommunen - das, ja all das sind
Maskenpflicht, auch am Platz. Alle müssen 1,5                 strukturelle Probleme, die durch die Krise scharf
Meter Abstand halten.                                         zu Tage treten.

Nicht, dass ein Pandemie-Betrieb so, wie er für
andere Branchen gilt, die Rettung der Kunstfrei-                                                  Foto: © Sanne Kurz, priv.

heit wäre. Auch finanzielle Hilfen sind im Not-
betrieb dringend nötig, damit die Menschen und
die Infrastruktur die Krise überstehen. Die pau-
schale Deckelung der Publikumsgröße hat aber
null-komma-null mit Infektionsschutz zu tun, ist
reiner Populismus, macht dem Publikum Angst,
treibt Kulturschaffende, Institutionen und Be-
triebe in den Ruin und zerstört letzte Reste der
kulturellen Infrastruktur.
In Österreich trat am Ende die Staatssekretärin
für Kultur unter dem Druck der Szene zurück.

10 | KLINGER REPORT NR. 54
Foto: © Ute Belting

Probleme, die wir, wenn wir uns nicht trennen
                                                    Der Artikel wurde bereits am 27.10.2020
lassen, wenn wir laut werden und laut bleiben,
                                                    verfasst. Danach wurden wir wieder vom
wenn wir Kunstfreiheit für Werk und Wirken
                                                    Lockdown Light und den damit verbunde-
einfordern, auch über die Krise hinaus bekannt
                                                    nen Einschränkungen für die Kreativbranche
machen können – für eine sozial nachhaltige
                                                    überrollt. Verschiedene Hilfsmaßnahmen sind
Kulturpolitik in Deutschland!
                                                    angekündigt, Novemberhilfen / fiktiver Unter-
                                                    nehmerlohn können Stand heute (11.11.2020)
                                                    noch nicht beantragt werden.
                                                    Aktualisierte Informationen hierzu finden
                                                    Sie über die QR-Codes, links

                                                    Novemberhilfen - Info Ministerium:
Infos rund       Quellen-                           „Die Eckpunkte zu den sog. November-
um Corona        angaben                            Hilfen finden Sie hier: (QR-Code Infos rund
                                                    um Corona)

                                                    Anträge können in Kürze über die bereits von
                                                    den Überbrückungshilfen her bekannte Platt-
                                                    form gestellt werden. (QR-Code Infos rund
Text: Sanne Kurz, Vorstandsmitglied, Sprecherin
                                                    um Corona)
für Kulturpolitik und Film im Bayrischen Landtag,
B‘90/Die Grünen, Mitglied des Rundfunkrates,
                                                    Alle aktuellen Informationen zum Stand des
Filmemacherin. Vereinsmitglied seit 2017
                                                    Verfahrens und zu weiteren Hilfsprogram-
www.sanne-kurz.de
                                                    men finden Sie wie immer auch auf der
                                                    Internetseite www.bmwi.de
Grafik: © Jessica Hunold
MEIN CORONA-STIGMA
„Auf ein Neues, sagte er, und dabei fiel ihm das Alte   eine Kinokomödie vor der Hürde der Finanzierung
ein.“ Treffender kann dieses Zitat von Gerd Fröbe       stand. Die Worte „hat großes Potential“ klingen im-
die gegenwärtige Zeit nicht beschreiben. Seit ei-       mer noch nach. Doch dann die Ernüchterung, weil
nem knappen Jahr arrangieren wir uns mit Corona.        ich leider noch keinen erfolgreichen, abendfüllen-
Wie lange noch unser Leben eingeschränkt wird,          den Film nachweisen konnte. Das Kleingedruckte in
geschweige denn, wie sich die Zukunft gestaltet, ver-   den Förderbedingungen grenzte mich aus. So füllt
mag niemand vorherzusagen. Stehen wir vor einem         sich die Schublade, wo schon andere Bücher so
Neuanfang? Setzen wir das Alte fort? Wir wissen es      langsam verstauben. Das System machte etwas mit
nicht. Nur eins lässt sich mit Bestimmtheit sagen:      mir, was Corona zu vollenden versucht.
Das Leben nach Corona wird anders sein. Natürlich       Rückschläge gehören dazu und haben mich noch
ist es ein subjektives Empfinden, ob das Danach         nie aus der Bahn geworfen. Das wird auch diese Kri-
als Verschlechterung oder Verbesserung betrach-         se nicht schaffen, die mit ihrer ersten Welle mitten in
tet wird. Wünsche an die Zukunft gibt es viele. Der     Dreharbeiten zu einer Kurzfilm-Krimikomödie platzte,
größte Wunsch ist wohl, die Kulturszene einigerma-      einer Produktion, die sowieso schon viele Unterbre-
ßen unbeschadet über die Krise zu retten.               chungen erfahren hatte. Doch solche Zwangspausen
                                                        sind eigentlich gar nicht schlecht, lässt man den
Wenn ich an dieser Stelle einen persönlichen
                                                        wirtschaftlichen Aspekt aus der Betrachtung heraus.
Wunsch äußern darf, dann ist es der, Corona möge
                                                        Man kommt zur Ruhe und findet Zeit, sich ein Stück
eine Wende herbeiführen, die mir doch noch den
                                                        weit neu zu erfinden.
Weg zu meinem Lebensziel ebnet. Allerdings blo-
ckiert mich der Gedanke, hier einen Hauch Hoff-         Warum nicht eine Drehbuchlesung aus dem Wohn-
nung hineinzuinterpretieren, wenn in der Presse         zimmer? Eine neue Idee war geboren. Um zur Auf-
zu lesen ist, dass Sparmaßnahmen im 3-stelligen         lockerung Skizzen zu den Szenen zeigen zu können,
Millionenbereich angedacht werden. So werden            suchte ich nach einem Zeichner oder einer Zeich-
wohl noch mehr Projekte an der Finanzierung             nerin und fand die Hamburgerin Jessica Hunold. So
scheitern. Meiner Ansicht nach, oder soll ich sagen,    wachsen neue Synergieeffekte aus der Krise hervor.
meiner Befürchtung nach, wird es in erster Linie        Menschen neigen dazu, überwiegend das Negative
Drehbuchautoren und Regisseure treffen, die nicht       zu sehen. Besser ist es, das Positive herauszuarbei-
über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügen.          ten. So wird aus dem Alten doch etwas Neues.
Vielleicht irre ich mich auch und Corona führt zu
einem Umdenken. Mir persönlich wäre es ein gro-
ßer Wunsch. Ähnliches habe ich in der Vergangen-        Text: Martin de Wolf, Autor und Filmemacher
heit schon erfahren müssen, als mein Drehbuch für       Mitglied seit 2018 www.martindewolf.de

12 | KLINGER REPORT NR. 54
DIALOGE
IN ZEITEN DER PANDEMIE

Auch mich hat Corona kalt erwischt: Keine Filmauf-     wird, was Unsicherheit schürt. Nun werden
nahmen, keine Lesungen, keine Installationen und       bereits Termine im nächsten Jahr abgesagt.
keine Ausstellungen mehr. Auch wurden meine            Vorbereitungen lassen sich nicht einfach in
Dozententätigkeiten und realen Künstlerbegeg-          einem Aktenordner ablegen und später wieder
nungen eingestellt. Die Aussage eines Künstlers        hervorholen. Eine Tournee zum Beispiel bedarf
zu Beginn der Pandemie hat sich bei mir fest ein-      individueller Planung oder eine Theateraufführung
gebrannt: „Ich war als freischaffender Musiker und     ist von vielen anderen abhängig. Ein großes
Trainer noch nie so schnell arbeitslos und es trifft   Unverständnis ist mir in der Form begegnet, dass
mich mit voller Härte.“ In diesem „rien ne va plus“    hunderte von Menschen dicht gedrängt in einem
erwachte mein Widerstandsgeist der sagte: „Jetzt       Flieger sitzen, während im Theater nur ein Bruchteil
erst recht!“                                           der verfügbaren Plätze besetzt werden dürfen. Wie
                                                       hoch ist das Ansehen der Kunst und Kultur?
Wenn ich keine Besuche mehr machen darf und
                                                       Einige Künstler und Künstlerinnen nutzten neue
niemanden zu den ERANOS Events einladen kann,
                                                       Medien und unkonventionelle Bühnen, um auf sich
dann hole ich mir die Künstler eben online für ein
                                                       und ihre Kunst aufmerksam zu machen: Konzerte
Gespräch nach Hause. Doch worüber sollten wir uns
                                                       aus dem Wohnzimmer oder vom Balkon, Lesungen
austauschen? Die Antwort lag auf der Hand: Covid 19.
                                                       aus dem Fenster, statt Dreharbeiten das Vorlesen
                                                       aus dem Drehbuch mit dem Zeigen der dazu-
Was macht die Krise mit uns?                           gehörigen Skizzen. Von einigen war auch eine Art
                                                       Demut zu vernehmen, eine neue Form von Achtsam-
In über 70 Gesprächen stellte ich meinen Gesprächs-    keit, Empathie und Rücksicht, sowohl im Freundes-
partnern 7 Fragen. Es entstanden mehr als 40           kreis, in der Nachbarschaft und bei Künstlerkollegen.
Videos. Was für wunderbare Menschen sind mir be-       Genauso die Aussage, dass wir als Kreative mit
gegnet. Oft entstand eine besondere Verbindung,        dieser Situation kreativ umgehen müssen.
von der ich bis heute zehre. An dieser Stelle ein
herzliches Dankeschön.                                 Was fehlt am meisten bei alle dem?
Die Frage, was diese Krise mit uns Künstlern macht,
wurde sehr vielfältig beantwortet. Mir haften ge-      Sicher zum einen die finanzielle Sicherheit, sehr
blieben sind die Existenzängste. Es gab aber auch      häufig aber das Publikum, der Kontakt zu den
Aussagen, wie erholsam so eine Zwangspause sein        Kollegen, zu den Chor- und Bandmitgliedern und
kann. Raus aus dem Hamsterrad, das einen hinter        die persönlichen Begegnungen, bei denen man sich
jedem Auftrag und Auftritt herjagen lässt.             einfach in den Arm nehmen kann, um die Momente
Ich denke oft an die Hoffnungen, die in der Sofort-    des „einfach gemeinsam sein“ zu genießen.
hilfe gesehen wurde. Doch für viele endete es          Ich hoffe und wünsche, dass wir nicht allzu lange
in Hartz IV, verbunden mit dem Rat, doch einen         weiter aus der Not heraus gefordert werden, wieder
„anständigen Beruf“ zu erlernen. Mehr Hohn geht        und wieder etwas neu kreieren zu müssen, um mit
nicht!                                                 unserer Kunst zu existieren.
Die vielen Ängste und Nöte waren immer wieder
Thema. Dazu die Forderungen von Finanzämtern in        Text: Peder W. Strux, Konzeptkünstler, Filmema-
einer Zeit, in der die Einnahmen gleich Null waren.    cher und Regisseur, Vorstandsmitglied seit 2019.
Niemand weiß genau, wann und wie es weitergehen        www.pederstrux.de
WAS MENSCHEN
                            BERÜHRT
                            IMPRESSIONEN ZUR AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
N°061MCR, Bollmann Reiner

                            14 | KLINGER REPORT NR. 54
Da kann man richtig stolz sein, was die Mitglieder
des Paul Klinger Künstersozialswerks auf die
Beine gestellt haben und das in Coronazeiten
unter dem Druck der Hygiene- und Abstandsauf-
lagen. Unter dem Motto „Was Menschen berührt“
zeigt der Verein 79 Werke von 42 Künstlern aus
ganz Deutschland in den Räumen des Bayerischen
Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Sozia-
les unter der Schirmherrschaft der Staatsminis-
terin Carolina Trautner. Es ist die erste Ausstel-
lung, die der Verein für seine Künstlermitglieder
organisiert. Normalerweise kümmert er sich um
die eher lebenspraktischen Probleme, die Künst-
ler aller Sparten von Musikern, Schauspielern,
Schriftstellern bis Sängern in ihrem Leben
begegnen. Und das schon seit über 45 Jahren.
Gegründet wurde der Verein von den beiden
Künstlern Trude Haefelin und Jürgen Scheller
1974 unter dem Eindruck der Lebensphilosophie
des befreundeten Schauspielers Paul Klinger.
Dieser war der Meinung, dass Künstler zusam-
menarbeiten und sich in unterschiedlichen
Lebenslagen unterstützen sollen.
Inzwischen zählt der Verein gut 1200 Mitglieder
in ganz Deutschland und bietet Beratung zu
verschiedenen sozialen, bürokratischen und
Vorsorgethemen, darunter die Künstlersozial-
kasse, Förderungs- und Weiterbildungsmaß-
nahmen und Rechtsberatung. Die Ausstellung
ist nun eine gute Gelegenheit, den Austausch
zwischen den Bildenden Künstlern zu fördern.
So wundert es nicht, dass sich viele Künstler
auch zur Vernissage am 17. September 2020 in
den Räumen des Staatsministeriums in der Win-
zererstraße einfanden und in der großen Kantine
den Begrüßungsreden lauschten.

Den Anfang macht Vorstandsmitglied Peder W.
Strux, den viele aus der Radiosendung „Künstler-
fragen“ kennen, in der Strux Künstlerkollegen zu
                                                                                  Connecting News - Paper Gestures, Ines Seidel

ihrer Arbeit befragt. In fein geschliffenen Worten
bedankte sich Strux bei dem Ministerium und al-
len Mithelfern, darunter die Geschäftsführerin Ute
Belting, Mitglieder wie Henny Schlüter und Marion
Kausche für das Gelingen der Ausstellung. So ein
Mammutprojekt lässt sich nicht allein auf die Bei-
ne stellen. Ihm folgte der dynamische Amtschef
des Ministeriums, Dr. Markus Gruber, der für seine
Chefin Carolina Trautner eingesprungen war, die

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Foto: © Nikolaus Leonhard

sich leider entschuldigen musste. Gruber hatte        schwieriger Aussichten die gefahrvolle Reise
die Zeit vor der Eröffnung genutzt, um sich           antreten und dafür sogar ihr kostbarstes Gut –
ausgiebig in der Ausstellung umzuschauen und          ihre Kinder – riskieren.
gleich mehrere Kunstwerke gefunden, die ihm ge-       Den Abschluss des Redereigens bildete die
fallen. So berührte ihn das Werk „Heart – oder die    Kunsthistorikerin Vivien Rathjen, die die mehr
Kunst abzugeben“ der Kölnerin Mechthild Loh-          künstlerische Seite der Ausstellung beleuchtete.
manns. In der schwungvollen Tuschezeichnung           Kein einfaches Unterfangen bei so vielen unter-
stellt die Künstlerin ein Paar dar, das sich gegen-   schiedlichen Positionen und Techniken; denn von
seitig stützt. Gruber freute sich, dass Lohmanns      Öl- und Acrylgemälden, Zeichnungen, Foto-
hier ein schönes Bild für den zwischenmensch-         grafien und Skulpturen waren auch viele Werke
lichen Zusammenhalt gefunden hatte.                   vertreten, in denen Künstler ihre ganz eigene
                                                      Technik erfanden. Dazu gehören etwa die Arbei-
Des Weiteren fühlte sich der Amtschef stark von       ten von Reiner Bollmann, der mit Pigmenten auf
der imposanten Marmorskulptur „Esperanza“ des         Zellulose arbeitet oder die Künstlerin Ines Seidel,
Münchner Bildhauers Wolfgang Gottschalk               die aus Zeitungspapier, Wachs und Fäden zarte
berührt. Der Künstler hatte aus dem Stein einen       Gespinste entwickelt.
Schiffskörper geformt, der gerade von Wellen
zum Kentern gebracht wurde. In seinem Inneren         Dass es eine vielfältige Ausstellung würde, deren
befinden sich Kleinigkeiten, die man einem Kind       Bandbreite von figürlichen bis abstrakten Farb-
mitgeben würde, wie Schnuller und Kleidungs-          spielen reicht, war den Jurymitgliedern schon
stücke. Gottschalk möchte mit seinem Werk den         bei ihrer ersten Sitzung klar. Unterstützt wurden
Bootsflüchtlingen ein Denkmal setzen, die trotz       sie übrigens von zwei Mitgliedern des Staats-

16 | KLINGER REPORT NR. 54
Foto: © Nikolaus Leonhard

                                                           Foto: © Nikolaus Leonhard

ministeriums, Maximilian Weiderer und Susanne
Hartinger, die ihre anfängliche Schüchternheit
ablegten und bald kräftig mitdiskutierten, wenn
es um die Umsetzung des Themas „Was Men-
schen berührt“ ging. Denn obwohl das Wort
Berührung definitiv die haptische Fähigkeit des
Menschen betrifft, geht es in der Ausstellung
nicht darum, die Kunstwerke anzufassen, son-
dern sich emotional ergreifen zu lassen.

Dazu hatte die Kunsthistorikerin sechs Bereiche
herausgearbeitet, mit deren Hilfe die Besucher
selbst einordnen konnten, in welchem Lebensbe-
reich ein Kunstwerk sie gerade emotional an-
sprach. Dazu gehörten die Bereiche „Zwischen-
menschliches“, „Mensch und Natur“ sowie
„Gesellschaft und Politik“ und Werke, die sich
mit der eigenen Gefühls- und Denkwelt
auseinandersetzen und – last but not least – die
einfach nur Vergnügen bereiten. Wie dieses „Sich
berühren lassen“ aussehen könnte, zeigte die
Schauspielerin und Tänzerin Monika Herzing in

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ihrer Performance, die den Reden folgte. In meh-               mit einer unbeschwerten Note, inspiriert durch
reren Stationen nahm die Tänzerin das Publikum                 das Werk und die Lebenseinstellung des Künst-
mit auf eine Reise durch die Ausstellung, bei der              lers Dieter de Harju: hinter der geschlossenen
sie ausgesuchte Werke tänzerisch interpretierte.               Glastür schnitt die Tänzerin dem Publikum
Sie begann, mit einem Schöpfungsakt vor dem                    lustige Fratzen, wie es kein dreijähriger Bengel
„Weltei“ der Bildhauerin Barbara Oppenrieder                   besser könnte. Ein fast vergessenes Talent in Zei-
und nutzte dabei die idyllische Gartenszenerie                 ten der umfassenden Maskenpflicht. Nach soviel
des kleinen Innenhofes.                                        Eindrücken und Anregungen nutzten die Gäste
                                                               den restlichen Abend für ausführliche Gesprä-
Nach einer schönen Szene zum Thema                             che bei gutem Wein und leckeren Häppchen, die
„Zwischenmenschliches“ vor den Werken von                      vom netten Cateringpersonal gereicht wurden.
Oleg Bogomolov und Ricarda Blank, folgte ein                   Mit viel Abstand und entsprechend ungestört
kleines Intermezzo im Bereich „Mensch und                      schlenderte man von Werk zu Werk und ließ die
Natur“ vor dem Gemälde von Erika Huslig-Haupt                  schönen Arbeiten auf sich wirken. Nebenher
und eine laszive Hommage an Marilyn Monroe                     wurden Bekanntschaften geschlossen, denn
vor dem Werk der Künstlerin Susanne Pirkel-                    obwohl viele Künstler schon seit Jahren Mitglied
bauer. Die Karikatur von Erik Liebermann nutzte                im Paul Klinger Künstlersozialwerk e.V. sind, gibt
Herzing um schon einmal das „Probeliegen“ zu                   es nicht so oft Gelegenheit zum persönlichen
üben. Ihr Performance beendete Herzing dann                    Austausch. Eigentlicher Star des Abends war
                                                               übrigens nicht die Kunst oder die Künstler, son-
                               Weltenei, Barbara Oppenrieder
                                                               dern ein kleiner roter Punkt. Dieser wird norma-
                                                               lerweise auf das Namensschildchen neben dem
                                                               Kunstwerk geklebt, wenn sich ein Käufer gefun-
                                                               den hat. Es war sehr erfreulich zu sehen, dass
                                                               bereits einige Kunstwerke einen neuen Besitzer
                                                               gefunden hatten; denn von der Kunst allein kann
                                                               kein Künstler leben, wie man so schön sagt.

                                                               Der Punkt ist für Künstler ein bittersüßer Anblick:
                                                               einerseits beweist er, dass jemand das Werk so
                                                               schön fand, dass er es mit nach Hause nehmen
                                                               möchte; andererseits heißt es auch Abschied-
                                                               nehmen und das ist immer auch mit Trennungs-
                                                               schmerz verbunden. Nicht umsonst sprechen
                                                               viele Künstler von ihren Werken als „ihre Kinder“.
                                                               Und wer wird nicht ein bisschen emotional, wenn
                                                               die Kinder endgültig das Haus verlassen? Ein echt
                                                               berührender Moment an einem sehr berührenden
                                                               Abend – trotz Abstandsregeln.

                                                               Text: Vivien Rathjen, Kunsthistorikerin und Philo-
                                                               sophin, Vereinsmitglied seit 2020
                                                               www.kontext-werk.de

18 | KLINGER REPORT NR. 54
GRUSSWORT VON
                                                          STAATSMINISTERIN
                                                          CAROLINA TRAUTNER
Staatsministerin Carolina Trautner        Foto: © StMAS

Kunstwerke schaffen einen ganz besonderen Zauber.         Viele Ideen sind äußerst hintergründig. Manchmal
Sie sind wie Spiegel: Was wir in ihnen sehen, hängt       sind die Motive ernst und anklagend, manchmal
davon ab, wer sie anschaut.                               heiter und humorvoll. Sie alle aber eint, dass sie
Wenn wir mit anderen Menschen ein Bild an-                die Menschen berühren. Sie erzählen sinnliche
sehen, denken alle etwas anderes darüber. Gerade          Geschichten, die niemanden kaltlassen. Da ist zum
das macht Gespräche über Kunst so wertvoll. Erst          Beispiel die Szene, in der ein Taschendieb unbeob-
im gegenseitigen Austausch entfaltet ein Bild sei-        achtet zwei junge Frauen bestiehlt. Oder der Lie-
ne ganze Kraft. Ausstellungen bringen Menschen            besbeweis eines Mannes, der seiner Angebeteten
auf wunderbare Weise zusammen und stärken                 spielerisch die Sterne an den Nachthimmel malt. In
den gesellschaftlichen Diskurs.                           der Kunst ist die Fantasie die große Schwester der
                                                          Realität. Und gerade, wenn sich Kunstwerke nicht
Ich freue mich daher ganz besonders, dass die             gleich auf den ersten Blick voll erschließen, regen
Ausstellung „Was Menschen berührt“ des Paul               sie zum Nachdenken an. Viele geben ihr Innerstes
Klinger Künstlersozialwerk e.V. bei uns im Baye-          erst nach einiger Zeit preis. Wenn wir die Werke
rischen Sozialministerium zu sehen ist. 83 Werke          Tag für Tag vor Augen haben, kann sich ihre Be-
von 43 Künstlerinnen und Künstlern verwandeln             deutung mit der Zeit ändern. Dann vollbringt die
unser Ministerium in eine abwechslungsreiche              Kunst das, was die Kunstschaffenden oft am meis-
Galerie. Die Bilder und Objekte reichen von               ten freut: einen Perspektivwechsel beim Beobach-
Gemälden und Zeichnungen über Cartoons                    ter zu erzeugen, der vielleicht sogar zu einer neuen
und Collagen bis hin zu Skulpturen.                       Haltung führt. Die ausgestellten Werke faszinieren.
                                                          Manche Bilder wecken persönliche Erinnerungen
Die Verbindung von Politik und Kunst finde ich            an das eigene Leben. Sommernächte und Winter-
dabei besonders spannend, denn natürlich erken-           abende, Küsse und Tränen, Lachen, Lieben und Le-
ne ich in den Werken viele Verbindungen zu den            ben – die Welt der Kunst prägt auch unsere eigene
Themen unseres Hauses. Die Motive der Künst-              Geschichte.
lerinnen und Künstler zeigen Menschen in all ihrer
Vielfalt – mal als verletzliche Persönlichkeiten in       Ich bin sehr gerne Schirmherrin der Ausstellung
intimen Portraits, mal in vertrauter Geborgenheit         und wünsche ihr viel Erfolg. Besonders danke ich
von Familie und Partnerschaft. Andere Bilder legen        dem Künstlersozialwerk und allen, die zum Gelin-
schonungslos offen, wie ein Mensch zu einem ein-          gen der Ausstellung beitragen. Ich hoffe, dass sich
samen, anonymen Teil einer Masse werden kann.             die Gäste in unserem Haus von den Werken berüh-
Solche kritischen Reflexionen können unser täg-           ren lassen.
liches Tun stärken. Sie zeigen, dass unser Einsatz
für die Schwachen in der Gesellschaft richtig und         Text: Carolina Trautner,
                                                                         Trautner, MdL Staatsministerin für
notwendig ist.                                            Familie, Arbeit und Soziales www.stmas.bayern.de

                                                                                    KLINGER REPORT NR. 54 | 19
PREISE, FÖRDERUNGEN
UND STIPENDIEN
DIETRICH-OPPENBERG-
MEDIENPREIS

Alexandra Rudat ist für ihre herausragende
journalistische Berichterstattung mit dem
Dietrich-Oppenberg-Medienpreis 2020 aus-
gezeichnet worden. In ihrem für Radio LORA
produzierten Rundfunkbeitrag „Der Vorlesefriseur“
nähert sie sich der Persönlichkeit des Friseurs und
Künstlers Danny Beuerbach, der Kindern einen                                                         Foto: © Dominik Parzinger

kostenlosen Haarschnitt verpasst, wenn sie ihm
etwas vorlesen. Die Jury begründete ihre Ent-
scheidung unter anderem damit, dass Alexandra
                                                                    GEDOK
Rudat ihre ausführlichen Interviews durch wissen-                   LITERATURFÖRDERPREIS
schaftliche Hintergrundinformationen, originelle
Kommentare, Vorlesepassagen der Kinder und
                                                                    Autorin, Bühnenpoetin und Performerin Franziska
die Einschätzungen der stolzen Eltern ergänzt.
                                                                    Ruprecht ist mit dem GEDOK Literaturförderpreis
Hervorgehoben werden auch die O-Töne, die von
                                                                    2020 ausgezeichnet worden. Sie überzeugte die
einer großen Authentizität und Tiefe zeugen. Der
                                                                    Jury mit ihren unangepassten, experimentellen
nach dem Gründer und langjährigen Herausgeber
                                                                    Texten, die klug, unterhaltsam und erfreulich
der NRZ Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung
                                                                    erfrischend den nicht immer einfach zu bewerk-
in Essen benannte Preis wurde von der Stiftung
                                                                    stelligen Alltag von zumeist jüngeren Frauen
Lesen und der Stiftung Presse-Haus NRZ ins
                                                                    beschreiben. „Ihre Texte entstehen aus der
Leben gerufen, um eine lebendige Zeitungskultur
                                                                    Beobachtung des Lebens, aus Inspiration und
zu fördern, und ein Zeichen für die Bedeutung
                                                                    Emotion. Dabei verfügt die junge Autorin über
des Lesens in einer freien Gesellschaft zu setzen.
                                                                    eine eigene Sprache, die mal lyrisch geprägt ist,
                                                                    mal flapsig-alltäglich daherkommt. Aufgrund
                                                                    dieser sprachlich gelungenen Mischung
                                                                    entstehen oft ungewöhnliche Bilder“.
                                                                    Die GEDOK gilt als ältestes und europaweit
                                                                    größtes Netzwerk für Künstlerinnen aller
                                                                    Disziplinen. 1926 wurde sie von der Frauen-
                                                                    rechtlerin und Kunstförderin Ida Dehmel als
                                                                    „Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer
                                                                    Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen“ in
                                                                    Hamburg gegründet. Mit ihrem Literaturpreis
                                                                    würdigt die GEDOK literarische Spitzenleistungen
                                                                    von Frauen im deutschen Sprachraum.
                         Foto: © Stiftung Presse-Haus NRZ / Lukas

20 | KLINGER REPORT NR. 54
BAYERISCHER FILMPREIS +
DEUTSCHER KAMERAPREIS

Der Dokumentarfilm „Walchensee Forever“ der
Regisseurin Janna Ji Wonders feierte seine Pre-
miere auf der 70. Berlinale 2020. Er wurde unter
anderem mit dem Bayerischen Filmpreis (Bester
Dokumentarfilm), dem deutschen Kamerapreis
(Bester Schnitt) ausgezeichnet und ist für den
European Film Award (Bester Dokumentarfilm)
nominiert. Die Jury des 33. Wiesbadener Ex-
ground-Filmfests kürte „Walchensee Forever“
zum besten deutschen Langfilm. Anhand
unzähliger persönlicher Dokumente erzählt die
Regisseurin Janna Ji Wonders in ihrem Film vom
bewegten Leben der außergewöhnlichen Frau-
en in ihrer eigenen Familie. Entstanden ist ein
aufrichtiges, emanzipiertes und warmherziges
Familienporträt am titelgebenden Walchensee.
Janna Ji Wonders, die an der Hochschule für                                         Foto: © Mark Zammit Cordina

Fernsehen und Film München studierte, erhielt
zahlreiche Auszeichnungen für ihre Regieleistun-
gen. Der Kinostart von „Walchensee Forever“
ist für den 28. Januar 2021 geplant.
                                                   FÖRDERUNG DURCH DAS
                                                   GOETHE-INSTITUT

                                                   Joel Frederiksen hat eine Förderung durch das
                                                   Goethe-Institut erhalten. Mit der Ausschreibung
                                                   einer Virtuellen-Partner-Residenz reagiert das
                                                   Goethe-Institut auf die durch Corona veränderten
                                                   Arbeitsbedingungen in der Musikszene, um den
                                                   internationalen Austausch und die Zusammen-
                                                   arbeit aufrechtzuerhalten und zu stärken. Ge-
                                                   meinsam mit Domen Marincic  ˇ ˇ wird Frederiksen in
                                                   Ljubljana an einem Musikprogramm arbeiten, das
                                                   eine Verbindung zwischen den Liedern Leonard
                                                   Cohens und der Alt-Renaissance herstellt. Joel
                                                   Frederiksen studierte Gesang und Laute in New
                                                   York und Michigan, wo er seinen Masterabschluss
                                                   machte. Der international anerkannte Musiker und
                                                   Liebhaber der Alten Musik gründete 2003 das
                                                   Ensemble Phoenix Munich. Seit 2007 präsentiert
                                                   das Ensemble eine Konzertreihe im Bayerischen
                                                   Nationalmuseum, München und tritt auf führen-
                                                   den internationalen Festivals auf. CD-Einspie-
                                                   lungen des EPM sind bei harmonia mundi France
                                                   und SONY / DHM erschienen.

                                                                             KLINGER REPORT NR. 54 | 21
Foto: © Michael Nguyen

                                                             DREHBUCHFÖRDERUNGEN
                                                             AUS HAMBURG UND
                                                             NIEDERSACHSEN
                                                             Gleich zweimal gute Nachricht für den Autor,
                                                             Filmemacher und Übersetzer Nikolaus von
                                                             Uthmann: Seine deutsch-deutsche Spielfilmko-
                                                             mödie DIE KUH VOM EIS erhält Drehbuchförde-
                                                             rung aus Niedersachsen/Bremen von nordmedia.
                                                             Als Produzenten fungieren SkalarFilm in Kolla-
                                                             boration mit Junifilm. Die Geschichte basiert auf
                                                             einer wahren Anekdote aus der Zeit des geteilten
                                                             Deutschlands in den 1980er Jahren.
                                                             Außerdem unterstützt die Filmförderung
                                                             Hamburg / Schleswig-Holstein im Bereich
                                                             „High End“-Drehbuchförderung Nikolaus von
                                                             Uthmanns Pilotbuch und Konzept für die Anima-
                                                             tionsserie JOHNNY SINCLAIR: GEISTERJÄGER.
PX3 - PRIX DE LA PHOTO-                                      Die Produktion dieser Fantasy-Action-Komödie
GRAPHIE PARIS IN SILBER                                      übernimmt Youngfilms. Die Trickserie basiert auf
                                                             den Jugendbüchern von Sabine Städing – die
                                                             wiederum ein Spin-Off der langjährigen Grusel-
Michael Nguyen erhielt in Paris neben zehn
                                                             romanreihe von Jason Dark sind.
weiteren Auszeichnungen den begehrten „Px3 -
Prix de la Photographie Paris" in Silber für sein
Bild „Lockdown“ in der Kategorie „Fine Art/Digi-
tally Enhanced". Für den Fotokünstler ist das die
bisher höchste und angesehenste Anerkennung
seiner Arbeiten. Nguyen gelang es mit seinem
prämierten Bild, die Stimmung während der Co-
rona-Krise einzufangen, die Menschen in der Zeit
des Lockdowns zwang, zuhause zu bleiben, Ab-
stand zu bewahren und Sozialkontakte zu mini-
mieren. Treffen außerhalb des privaten Bereiches
waren unmöglich, weil alle Restaurants, Cafés
und Kneipen geschlossen waren. Nguyen foto-
grafierte durch ein Fenster die leeren Stuhlreihen
im Münchner Lokal Brenner, die digitale Nach-
bearbeitung des entstandenen Bildes unterstrich
die düstere Atmosphäre.
Der 2007 ins Leben gerufene „Prix de la Photo-
graphie Paris" zählt zu den renommiertesten
Fotowettbewerben Europas. Die Hauptaufgabe
besteht in der Förderung der Wertschätzung der
Fotografie und der Entdeckung aufstrebender
Talente.

22 | KLINGER REPORT NR. 54
EHRENPREIS DER
MÜNCHNER KÜNSTLER-
GENOSSENSCHAFT 1868

Am 28. Februar 2020 nahm Frau Renate Haus-
dorf, Präsidentin des Paul Klinger Künstlersozial-
werk e.V., im Staatlichen Museum Ägyptischer
Kunst (München) freudestrahlend die Medaille
entgegen, die ihr der Präsident der Münchner
Künstlergenossenschaft MKG 1868, Herr Nikos
Dettmer, reichte. Dieser Preis wird seit einigen
Jahren an Persönlichkeiten und Institutionen
vergeben, die sich um die Münchner Kultur ver-
dient gemacht haben und mit ihrer Leistung die
Lebenswelt Münchens bereichert haben. Ausge-
zeichnet wird damit der unermüdliche Einsatz des
Paul Klinger Künstlersozialwerk e.V. für die Interes-
sen von Künstlern und Kreativschaffenden, denn
das Künstlersozialwerk setzt sich nun schon seit
über 46 Jahren tatkräftig für seine Mitglieder ein.
Die Ausgaben werden ausschließlich über Mit-
gliedsbeiträge und Spenden finanziert.
Laudator war Maximilian Dorner, deutscher
Schriftsteller und Dramaturg. Für seinen Debüt-
roman „Der erste Sommer“ erhielt Maximilian
Dorner den Bayerischen Kunstförderpreis. 2006
wurde bei Dorner Multiple Sklerose diagnosti-
ziert – seit 2010 ist er auf einen Rollstuhl
angewiesen. 2019 gründete der Schriftsteller das
Aktionsbündnis WHEELCHAIRS FOR FUTURE.

Text: Vera Conrad, Kultur- und Kommunikations-
fachfrau, Mitglied seit 2006

                                                        #kreativimkrater
INTUITION ALS
WEGWEISER
BILDHAUER, MUSIKER UND AUTOR L. MORLA

                                            Ein bisschen scheu kommt er           schon mal etwas mau im Magen
                                            daher – der 26 jährige Bild-          werden. Aber Lob und Anerkennung
                                            hauer L. Morla – mitten im Auf-       perlt dann später auch wie Sekt.
                                            bautrubel zur Ausstellung „Was
                                            Menschen berührt“, als er die         Nicht der gerade Weg
                                            schwere Bronzefigur „Katharsis“
                                            auf den Sockel im Innenhof des        Wer ist nun dieser L. Morla?
                                            Bayerischen Staatsministeriums        Auf jeden Fall niemand, der die
                                            für Familie, Arbeit und Soziales      schnurgeraden Pfade liebt oder,
                         Foto: © L. Morla
                                            hievt. Dreht seinen Männerakt         der es sich einfach macht. Schaut
                                            solange bis er damit zufrieden ist.   man sich sein Leben an, dann
                                            Fragen müssen geklärt werden,         hat er trotz seines Alters schon
                                            bevor die Ausstellungsbesucher        einiges an Erfahrung gesammelt.
                                            das Werk zu Gesicht bekommen:         Der Wunsch, Bildhauer zu werden,
                                            Wohin soll der Bronzemann             stand nicht von Anfang an fest –
                                            schauen? Stimmt die Patina auch       im Gegenteil. Sein Lebensweg führte
                                            im Tageslicht? Wackelt der Sockel     ihn nach dem Abitur zuerst ins
                                            nicht? Stimmt die Beschriftung?       Ausland – Lateinamerika, Ostafrika
                                            Alle, die selbst einmal den Anfang    und Israel, um nur einige Orte zu
                                            im Kunstbetrieb gewagt haben,         nennen. Besonders der beginnende
                                            kennen das Gefühl, wenn man sich      Syrienkrieg, den er bei seinem
                                            zum erste Mal als Künstler der        Israel-Aufenthalt 2013 miterlebte,
                                            Welt zeigt und sein Werk in einer     hat ihn zutiefst erschüttert und
                                            richtigen Kunstausstellung neben      in ihm den Wunsch geweckt, sich
                                            Werken von anderen, älteren und       in den Studiengang „Naher und
                                            bekannteren Künstlern bestehen        Mittlerer Osten“ an der Ludwig-
                                            muss. Denn diesmal zeigt man          Maximilians-Universität in München
                                            keine Auftragsarbeit, in der die      einzuschreiben. Doch daraus wurde
                                            Wünsche des Auftragsgebers im         nichts. Stattdessen entdeckte Morla
                                            Vordergrund standen. Kein Lehr-       die Holzbildhauerei. An der Berufs-
                                            stück, das hauptsächlich von Aus-     fachschule für Holzschnitzerei und
                                            bildern und Freunden bewertet         Schreinerei in Berchtesgaden nahm
                                            wird. Nein, die Entscheidung          man ihn an und gab seinem künst-
                                            dieses Werk zu zeigen, hat man        lerischen Talent die notwendige
                                            allein getroffen. Man weiß, mit       handwerkliche Grundlage. Nach
                                            diesem Stück wird man später          seinem Abschluss letztes Jahr
                                            identifiziert werden. Da kann einem   konnte er dann auch schon einige

24 | KLINGER REPORT NR. 54
Beides Fähigkeiten, die man als         Ein Leben ohne Musik könnte sich
                                            Bildhauer braucht.                      Morla nicht vorstellen. Sie ist viel-
                                                                                    leicht sogar wichtiger als die Bild-
                                            Die Gleichheit der Dinge                hauerei. Denn: „Musik ist spontan
                                                                                    und universell verständlich. Und
                                            Fragt man L. Morla, was ihm die         man macht sie miteinander.“
                                            Bildhauerei bedeutet, dann ist es       Insofern ist sie das ideale Gegen-
                                            die Gleichheit der Dinge, die ihn       stück zur Bildhauerei, in der alles
                                            fasziniert. Ein Bildhauer hinterlässt   von Anbeginn geplant werden
                                            etwas; schafft Denkmäler, die für       muss. Seit 15 Jahren spielt der
                                            sich selbst sprechen, ohne dass der     Künstler nun Gitarre und Klavier
                                            Künstler danebenstehen muss. Und        und setzt sein Talent in verschie-
                                            es ist eine Arbeit an und mit der       denen Bands – etwa bei „Jesper
                                            Zeit. Denn in der Bildhauerei geht      Munk“ oder als Duo mit Freund
                                            es langsam zu. Am Ende wird man         Osono – ein. Es sind zwei Seiten
                                            mit einem greifbaren Objekt be-         einer Medaille, die L. Morla lebt:
                         Foto: © L. Morla
                                            lohnt, das gleichwertig neben den       hier die geduldige Arbeit als
öffentliche Aufträge ergattern. So          schon vorhandenen Dingen in der         Bildhauer, dort die Spontanität
wacht inzwischen an der Sonnen-             Welt steht. Zu seinen Vorbildern        und Vergänglichkeit der Musik.
promenade hinter dem Berchtes-              zählt er neben seinem Meister           Wen wundert es, dass auch beim
gadener Friedhof ein geschnitzter           Hannes Stellner, der sich dem er-       Folgeprojekt in Jerusalem, nach
Gänsegeier über die Beziehung               staunlichen Kosmos der Ohrenbild-       der Arbeit am riesigen Totempfahl,
zwischen Bauern und National-               hauerei verschrieben hat, auch den      Musik gemacht wird. Ein Kreislauf,
parks.                                      rumänischen Bildhauer Constantin         der sich gegenseitig bedingt.
                                            Brancusi mit seinen zarten, asketi-     Dazu passt, dass der Künstler sich
Aug in Aug mit dem Axolotl                  schen Werken wie der unendlichen        gerade mit der indischen Musik
                                            Säule. An Brancusi schätzt Morla        auseinandersetzt. „Die indische
Überhaupt spielt die Natur eine             vor allem dessen klare Formen-          Notation ist kreisförmig, nicht linear
große Rolle in seinem Schaffen.             sprache und seine Symbolik. Er be-      wie die Westliche. Die Stücke fol-
Morla liebt Tiere. Als Kind spielte         wundert die, bis zum Feinsten, ge-      gen einem klaren Muster und sind
er mit Fröschen, Molchen und                schliffenen Skulpturen aus Bronze       oft repetitiv.“
Nacktschnecken. Inzwischen teilt            und Marmor. Eine Arbeit, die unend-     Wie sieht die Zukunft aus? Neben
er sich sein WG-Zimmer mit drei             liche Geduld erfordert.Dazu passt       den laufenden, bildhauerischen
Axolotl – einer Lurchart, die aus           auch der Name „Morla“, ein Pseudo-      Projekten widmet sich Morla
dem Larvenstadium nicht heraus-             nym, dass sich der Künstler gewählt     gerade einem Buchprojekt. Danach
kommt, selbst wenn sie erwach-              hat und mit dem er auf die uralte       wird weitergelernt – wie und wo,
sen ist. Sein Verhalten wundert             Schildkröte in Michael Endes Roman      wird sich noch herausstellen.
nicht, wenn man weiß, dass sein             „Die unendliche Geschichte“ an-         Schön wäre es, wenn sich ein
Vater als Biologe mit den Elefan-           spielt. Dabei geht es ihm um die        kleines Atelier mit viel Grün drum
ten im Münchner Tierpark Hella-             Freiheiten, die man mit einem Künst-    herum finden würde. Eben eine
brunn arbeitete und über Fleder-            lernamen gewinnt, jenseits seiner       richtige „Kreativhütte“ in der all
mauskommunikation forschte. Der             Alltagspersönlichkeit. Es ist eine      die Facetten seines Schaffens
Bildhauer begleitete ihn gerne bei          geschaffene Identität, die man          ihren Ausdruck finden können.
seiner Feldarbeit. Im Sommer zog            selbst kontrolliert und entwickelt.
die Familie, mit Zelten ausgerüs-
tet, durch ganz Europa und erkun-           Kreisende Kreisläufe                    Text: Vivien Rathjen,
dete die alten Kulturstätten. Hier                                                  Kunsthistorikerin und Philosophin
schulte Morla seinen Blick und              Das zweite prägende Element             Vereinsmitglied seit 2020
sein Gefühl für Formen im Raum.             in seinem Leben ist die Musik.          www.kontext-werk.de

                                                                                              KLINGER REPORT NR. 54 | 25
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