Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
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swissfuture Magazin für Zukunftsmonitoring 03/16 Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
IMPRESSUM swissfuture Nr. 3/16 Offizielles Organ der swissfuture Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung, Organe officiel de la Société suisse pour la recherche prospective 43. Jahrgang Herausgeber swissfuture Schweizerische Vereinigung für Zukunftsforschung c/o Büro für Kongressorganisation GmbH Claudia Willi Vonmattstrasse 26 6003 Luzern T: +41 (0)41 240 63 33 M: +41 (0)79 399 45 99 future@swissfuture.ch www.swissfuture.ch Co-Präsidium: Cla Semadeni, Dr. Andreas M. Walker Chefredaktion Dr. Andreas M. Walker Redaktion Andrea Mettler Autoren und Autorinnen Oliver Bendel, Andrej Cacilo, Tim Cole, Christian Egeler, Marco Feser, Markus Hoepflinger, Klaus Markus Hofmann, Oliver Kelkar, Quentin Ladetto, Erich Marte, Daniel Stanislaus Martel, Detlef W. Schmidt, Sebastian Stegmüller, Nadine Zurkinden Bildredaktion Dr. Andreas M. Walker Bilder http://de.fotolia.com: envfx, Nataliya Hora Lektorat und Korrektorat Jens Ossadnik Übersetzungen (Englisch) James Rumball Layout Andrea Mettler Druck UD Medien AG, Luzern Erscheinungsweise 4x jährlich Einzelexemplar CHF 30.- Mitgliedschaft swissfuture (inkl. Magazin) Einzelpersonen CHF 100.– Studierende CHF 30.– Firmen CHF 280.– Zielsetzung der Zeitschrift Das Magazin behandelt die transdisziplinäre Zukunftsforschung, die Früherkennung und die prospektiven Sozialwissenschaften. Es macht deren neuen Erkenntnisse der Fachwelt, Entscheidungsträgern aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich. SAGW Unterstützt durch die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW), Bern. www.sagw.ch ISSN 1661-3082
EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, fliegende und selbstfahrende Autos begleiten uns seit Jahrzehnten in Science- Fiction-Filmen. Wird uns die anstehende digitale Transformation nun in die auto- mobile Zukunft katapultieren? Werden Dank künstlicher Intelligenz alte Sicherheits- und Mobilitätsprobleme in der Smart City endlich gelöst werden? Die neuen Mög- lichkeiten des technischen Fortschritts eröffnen uns Dimensionen, die vor kurzem noch unvorstellbar waren. Grundsätzliche Themen rund um Smart Mobility, Umwelt und Gesellschaft stehen am Anfang. Christian Egeler stellt die Frage nach der Raumplanung und welche Auswirkungen die Innovationen auf unsere Lebensweise haben. Daniel S. Martel sinniert grundsätzlich über die zukünftige Existenz des Autos und was anstehende soziale Umwälzungen und ökologische Erkenntnisse an neuen Chancen bieten, um mit den Herausforderungen von Klimawandel, Zersiedelung und Mobilität umzuge- hen. Und Klaus M. Hofmann erörtert, inwiefern Digitalisierung, Verkehrswende und Shareconomy die Mobilität der Zukunft prägen werden. Oliver Kelkar konstatiert, dass das Auto der Zukunft primär ein Betriebssystem sein wird, das Daten sammeln und auswerten wird, und deshalb die Software wichtiger als die Hardware wird. Andrej Cacilo und Sebastian Stegmüller zeigen auf, welche Potentiale die Augmented-Reality-Technologie in Kombination mit der Vernetzung und Automatisierung der Fahrzeuge hat. Haftung und Risiko beim Wechsel vom menschlichen Fahrer zum Roboterauto be- gleiten uns in den folgenden Artikeln. Erich Marte fragt, welche Herausforderungen auf Versicherungsgesellschaften zukommen, wenn ein Computer das Lenkrad über- nimmt. Oliver Bendel schildert, was sein wird, wenn das vollautomatisierte Fahren den Durchbruch erlebt und das Roboterauto seinen Prototypstatus hinter sich ge- lassen hat. Nadine Zurkinden diskutiert, wer die strafrechtliche Verantwortung über- nehmen soll, wenn der Autopilot versagt. Quentin Ladetto und Markus Hoepflinger analysieren Risiko-Auswirkungen einer integrierten Mobilität aus voll vernetzten und selbstfahrenden Fahrzeugen für Sicherheit und Verteidigung. Zum Abschluss erläutert Marco Feser, welche Auswirkungen Industrie 4.0, verän- derte Mobilitätsvorstellungen und Shareconomy auf den Vertrieb von Automobilen haben werden, und Detlef W. Schmidt macht Vorschläge, wie innovative Lösungen für das urbane Parken der Zukunft aussehen könnten. Vergessen wir nicht: Vor rund 100 Jahren soll Kaiser Wilhelm II. gesagt haben: «Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.» Und auch vom deutschen Konstrukteur Gottlieb Wilhelm Daimler wird aus dem Jahr 1901 überliefert: «Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.» Aussagen zur Zukunft bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Machbarkeit und Vorstellbarkeit, oder wie Albert Einstein sagte: «Imagination is more important than knowledge. For knowledge is limited to all we now know and understand.» Dr. Andreas M. Walker, Co-Präsident swissfuture | Auto 4.0 | 1
INHALT 1 Editorial 3 Zurück aus der Zukunft | Christian Egeler 5 Der Kampf um das Ohr des Autofahrers hat begonnen | Tim Cole 6 Nicht «effizientere» Autos – überlegtere Nutzungen sind gefragt | Daniel Stanislaus Martel 9 Mobilität 4.0 – Evolution einer digitalen Mobilitätskultur | Klaus Markus Hofmann 12 Software schlägt Hardware | Oliver Kelkar 15 Das Auto der Zukunft als Schnittstelle zwischen Mensch und urbanem Lebens- und Wirtschaftsraum | Andrej Cacilo, Sebastian Stegmüller 19 Der Computer an meinem Lenkrad | Erich Marte 21 Der Roboter im Roboter | Oliver Bendel 24 Wer wird bestraft, wenn der Autopilot versagt? | Nadine Zurkinden 27 Towards integrated mobility: Security and defence perspectives of a future possible ecosystem | Quentin Ladetto, Markus Hoepflinger 31 Industrielle Revolution 4.0 und der Einfluss des veränderten Konsumentenverhaltens auf den Vertrieb von Automobilen | Marco Feser 34 Connected Parking – Innovative Lösungen für das urbane Parken der Zukunft | Detlef W. Schmidt 37 Abstracts 39 Veranstaltungen 2 | swissfuture | 03/16
ZURÜCK AUS DER ZUKUNFT Aus Sicht des Staats stellt sich insbesondere bei der langfristigen Planung der Verkehrssysteme die Frage, zu welchem Zeitpunkt er aktiv eingreifen soll. Aus Sicht der Raumentwicklung interessieren weniger die technologischen Aspekte des Autos der Zukunft, sondern vielmehr die Auswirkungen, die Innovationen auf den Raum und unsere Lebensweise haben. Zwei Szenarien für die Mobilität 2040. Keywords: Raumentwicklung, Gesamtverkehrssystem, Mobilitätsdienstleister, Mobility-as-a-Service, Standortattraktivität, Gesamtmobilitätsoptik Christian Egeler Die Planung unserer Infrastruktur in der Schweiz den Vater jeden Morgen pünktlich vor dem Haus ab wäre deutlich einfacher, wenn wir die Zukunft ken- und fährt ihn direkt zu seinem Arbeitsplatz in der be- nen würden. Rückblicke auf frühere Zukunftsvorstel- nachbarten Agglomeration. Der Vater schätzt, dass er lungen können amüsant sein, insbesondere natürlich unterwegs die wichtigsten Dokumente ungestört le- wenn sie falsch sind. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sen, telefonieren oder sich bei lauter Musik entspan- hatte man beispielsweise in London Angst, dass man nen kann. Seit die Autobahnen ausschliesslich au- aufgrund der immer häufigeren Pferdekutschen bald tomatisierten Fahrzeugen vorbehalten sind, kommt im Pferdemist stecken bleibt. Mit der Einführung des der Verkehr dort unterdessen trotz des vielen Mehr- Autos 1.0 verschwand dieses Problem unauffällig; al- verkehrs relativ gut durch. Einige Nadelöhre wurden lerdings hätte damals wohl niemand gedacht, dass behoben und fast überall konnte wegen der Auto- man 100 Jahre später meist langsamer durch London matisierung eine zusätzliche Spur realisiert werden. fährt als zur Zeit der Pferdekutschen. Da das untergeordnete Strassennetz nicht dement- sprechend ausgebaut werden konnte, stauen sich die Die letzten 25 Jahre waren geprägt von einer stetigen Fahrzeuge oft im Bereich der Ausfahrten. Dank der Weiterentwicklung der Verkehrssysteme. Auch die Automatisierung fährt der Durchgangsverkehr an Entwicklung des Autos war evolutiv. Mit den ersten diesen Staus problemlos vorbei. Allerdings muss der Ideen des Autos 4.0 scheinen wir aber am Anfang Vater sich dann bei seiner Ausfahrt ebenfalls in eine grösserer Veränderungen zu stehen. Eines scheint si- solche Kolonne einreihen. Wenn er dringend zu einer cher: Fahrzeuge, die sich autonom bewegen, werden Sitzung muss, leistet er sich das zusätzliche Geld für die Mobilität verändern. Allerdings sind das Ausmass, einen «Fast-Exit». Diese neuartige Möglichkeit, Zeit die Geschwindigkeit und die Auswirkungen dieser zu sparen, nutzen vor allem Geschäftsleute und Nutz- Entwicklung schwierig vorauszusagen. fahrzeuge, während normale Pendler lieber anste- hen. Nach der Ankunft am Zielort fährt das Auto zu Anhand von zwei persönlichen Szenarien für das Jahr einem Parkplatz in der Nähe, von wo es abends wie- 2040 wird im Folgenden beleuchtet, wie unterschied- der startet. lich sich das Leben einer Familie mit zwei Kindern ab- spielen könnte. Gemeinsam haben die beiden Aus- Das Familien-Auto wird wie das eigene Taxi genutzt blicke, dass voll-autonome Fahrzeuge verfügbar sind und bringt alle zur Schule und Arbeit. Die ganze Fa- und dass die Familie in einem Mehrfamilienhaus in milie bestellt am Nachmittag über ihr gemeinsames einer Gemeinde in einer mittelländischen schwei- Shop&Catch-Konto die für die nächsten Tage not- zerischen Agglomeration abseits einer grossen Ver- wendigen Einkäufe, welche das Fahrzeug dann bei kehrsachse wohnt. der Abholfahrt zum Arbeitsort der Mutter an einer Shop&Catch-Station gleich mitnimmt. Szenario 1: My car is my castle! Aufgrund der günstigen Preise autonomer Fahr- Am Abend joggt der Vater jeweils vor dem Abendes- zeuge hat sich die Familie, wie viele andere Nach- sen noch eine Runde um die nahen Felder. Allerdings barn, gleich zwei solcher trendigen Fahrzeuge an- wächst die Siedlung immer schneller, weil das Woh- geschafft und gemäss den Bedürfnissen der Familie nen in dieser ruhigen und grünen Lage in den letz- individuell ausgestattet. Das eine Fahrzeug bietet ten zehn Jahren dank der autonomen Fahrzeuge sehr Platz für die ganze Familie, ist wie ein kleines Wohn- attraktiv wurde. Besuche von Stadtzentren mit dem zimmer eingerichtet und ist bei Nichtgebrauch je- Auto sind mühsam, da man in Zentrumsnähe we- weils in der Einstellhalle der Liegenschaft parkiert. gen des vielen Autoverkehrs meist nur im Schritt- Das andere steht in der Regel bei einem Parkplatz- tempo vorwärtskommt. Wegen des Mischverkehrs anbieter ausserhalb des Dorfes. Dieses Fahrzeug holt mit Oldtimern, Velos und Fussgängern können die | Auto 4.0 | 3
Verkehrsströme weniger gut optimiert werden. Viele denen der Vater viele Telefonate führen muss, nimmt Gemeinden haben – nach anfänglichem Ausweichen er jeweils gegen einen Aufpreis ein Auto zur Arbeit des Verkehrs auf untergeordnete Strassen – die Quar- und gibt an, dass er es exklusiv nutzen möchte, was tierstrassen mit einem Durchfahrtsverbot für Autos einen weiteren Zuschlag kostet. Die Mutter bucht belegt. ihre Routen meist spontan als Einzelfahrten, die ebenfalls im Basispaket enthalten sind, und wird ent- Die diesjährigen Sommerferien verbringt die Familie weder durch den Gemeindekleinbus oder durch an- in Italien und lässt sich wie jedes Jahr via Gotthard- dere Fahrzeuge abgeholt. Solche Fahrzeuge gehören tunnel fahren. In einer Volksabstimmung bestätigte meist privaten Personen, die sie via 24-7-Mobil ande- das Schweizer Volk die Beibehaltung der bisherigen ren zur Verfügung stellen, oder professionellen Fahr- Kapazität des Tunnels, obwohl mit der neuen Technik zeugprovidern, die mit unterschiedlichen Anbietern viel höhere Durchfahrtszahlen möglich wären. We- Verträge haben. gen der immer längeren Staus wurde deswegen eine Gotthard-Fahrtenbörse eingeführt. Um eine günstige Der Autoverkehr hat zwar auch in den Zentren zuge- Durchfahrt zu erhalten, reservierte die Familie einen nommen. Abseits der Hauptverkehrsachsen stieg die Slot schon im Januar; die aktuellen Preise sind drei- Attraktivität für Anwohner, Fussgänger und Velofah- mal so hoch. Vor zwei Jahren verpassten sie wegen rer aber massiv, da durch den Wegfall nicht mehr be- eines Unfalls ihren Slot am Gotthard, wurden aber nötigter Parkplätze Platz frei wurde für neue Lang- automatisch kostenfrei in einen anderen Slot umge- samverkehrsverbindungen und Aussenflächen. So ist bucht, da auch viele andere ihren Slot nicht einhal- nun ein geschlossenes Netz an sicheren Velostrassen ten konnten. Die Wartezeit auf die Durchfahrt konn- vorhanden und seit 2030 boomt das innerstädtische ten sie im grossen Shopping- und Entertainment Wohnen. Die Wohngemeinde der Familie ist eben- Center der früheren Raststätte bei Altdorf attraktiv falls sehr beliebt und auch mit dem Velo einfach er- verbringen. reichbar. Die Kinder nutzen deswegen vor allem ihre E-Bikes. Das Wachstum der Gemeinde fand dank ei- Szenario 2: Unser Mobilitätsassistent ner konsequenten Innenentwicklung und der Nut- Seit fünf Jahren hat sich die Familie vollständig vom zung nicht mehr gebrauchter Verkehrsflächen nicht eigenen Auto getrennt und ist nun Mitglied bei auf der „grünen Wiese“ statt. Seit der Gepäcktrans- 24-7-Mobil, einem der drei grossen Mobility-as-a- port an die meisten Destinationen Tür-zu-Tür auto- Service-Betreiber weltweit. Die Familie nutzt den zur matisch möglich ist, reist die Familie mit dem öffent- Wohnung zugehörigen Einstellplatz für die Elektro- lichen Verkehr in die Ferien. Via 24-7-Mobil reserviert fahrräder und das Cargobike. Viele Hauseigentümer sie in der Nähe des Zielbahnhofes ein Familiens- haben ihre Einstellplätze wegen mangelnder Nach- huttle, das bei Ankunft zusammen mit dem Gepäck frage in Hobbyräume umgebaut. Auch in den Städ- bereitsteht. ten sind die Parkplätze grösstenteils aus dem öffent- lichen Raum verschwunden. Während der öffentliche Was wollen wir? Verkehr sich entlang der grossen Verkehrsachsen und Die beiden Szenarien veranschaulichen, wie unter- in den urbanen Zentren weiterentwickelte und wei- schiedlich die Zukunft trotz ähnlicher Ausgangslage terhin nach einem Fahrplan fährt, sind fast alle fahr- sein könnte. Mit dem Auto 4.0 und vielen weiteren planmässigen Buslinien abseits dieser Achsen und gesellschaftlichen und technischen Innovationen im Zentren durch nachfrageabhängige und individu- Bereich der gesamten Mobilität besteht die Möglich- ellere Angebote ersetzt worden. keit, dass sich unser Gesamtverkehrssystem grund- sätzlich verändert und an Qualität gewinnt. Es bie- Der Vater hat eine ständige Route zur Arbeitsstelle zu ten sich zahlreiche Chancen (Verkehrssicherheit, einem Basispreis eingebucht und wird am Morgen Standortattraktivität, Lebensqualität, Verbesserung zur gewünschten Zeit jeweils vom einem der beiden der Mobilitätsmöglichkeiten etc.), die wir unbedingt automatischen Gemeindekleinbusse direkt zuhause nutzen müssen. Die drohenden Risiken (Zersiede- abgeholt. Diese pendeln nach Bedarf zwischen der lung, eingeschränkter Zugang für gewisse Bevölke- Wohngemeinde und dem sieben Fahrminuten ent- rungsgruppen, Fehlinvestitionen, starke Zunahme fernten Bahnhof im Talboden. Mit der Bahn fährt er des individuellen Autoverkehrs etc.) dürfen dabei dann jeweils direkt zum Bahnhof, fünf Gehminuten nicht ausser Betracht gelassen werden. Es ist deswe- vom Arbeitsort. Früher musste er noch einmal um- gen nicht nur wichtig, die Auswirkungen von Trends steigen, aber dank der automatischen Einzelwagen- zu kennen, sondern auch zu erkennen, welche Ent- zusammenstellung am Hauptbahnhof sind viel mehr wicklungen durch die öffentliche Hand beeinflussbar Direktverbindungen möglich. Dafür muss man beim sind, und zu entscheiden, wie diese beeinflusst wer- Besteigen der Züge ein wenig besser auf die Destina- den sollen. Wichtig ist, die Raumentwicklung von An- tion des Wagens achten, aber in der Regel warnt der fang an mit einzubeziehen und eine Gesamtmobili- digitale Reiseassistent genügend früh. An Tagen, an tätsoptik einzunehmen, um damit zu gewährleisten, 4 | swissfuture | 03/16
dass unser Land von den Veränderungen profitiert Der Kampf um Das Ohr Des und nicht – nicht nur im übertragenen Sinn – unter autOfahrers hat begOnnen die Räder kommt. Die Älteren unter uns werden sich noch an die «Video Wars» der 80er-Jahre zwischen Sonys Be- Christian Egeler tamax und Matsushitas VHS-System erinnern Christian Egeler leitet im Bundesamt für Raumentwick- lung ARE die Sektion Verkehr. Der vierfache Vater und (das Philips-System Video 2000 spielte keine Verkehrsingenieur ETHZ lebt mit seiner Familie in Basel. grosse Rolle und verschwand auch schnell wie- Von 2004–2016 war er Mitglied des Grossen Rats des Kantons Basel-Stadt. der). Der Kampf wurde erbittert geführt, und am Ende setzte sich nicht etwa das bessere System (Betamax), sondern das billigere (VHS) durch. Auf einen ähnlichen System-Krieg läuft gerade die Automobilbranche zu bei der Frage, welches Internet-Betriebssystem im Auto von morgen das Sagen haben soll: Apple mit seinem 2014 vorgestellten «Carplay» oder das von Google angeführte «Open Automotive Alliance» (OAA), das mit einer Version des Betriebssystems An- droid arbeitet. Beide bieten die Möglichkeit, das Smartphone über die Fahrzeuganlage zu bedie- nen, und somit beispielsweise die Navigation, das Senden und Empfangen von Nachrichten und das Abspielen von Musik. Der Fahrer soll sich E-Mails vorlesen lassen und sie per Sprachsteu- erung beantworten, SMS diktieren und versen- den oder sich zur nächstgelegenen Tankstelle lei- ten lassen, ohne die Hände vom Steuer nehmen zu müssen. Das Auto soll also zum Zubehör von iPhone & Co. mutieren – das hoffen jedenfalls die Smartphone-Hersteller. Daimler gibt jetzt die Route in die (auto)mobile Zukunft vor: Fahrzeuge mit dem Stern werden demnächst beide Systeme unterstützen. Mit Car- play arbeiten die Stuttgarter schon seit einigen Monaten zusammen, jetzt gaben sie ihren Bei- tritt zur OAA bekannt. Autokäufer werden dann nicht mehr an eines der beiden Smartphone-Be- triebssysteme gebunden sein. Audi, General Mo- tors, Honda und Hyundai setzen dagegen ganz auf OAA, Volvo und andere sitzen dagegen fest im Apple-Lager. Interessant wird es sein zu sehen, wie die Her- steller von Autoradios reagieren. Wenn das Bei- spiel von Pioneer ein Indiz ist, werden sie wohl ebenfalls zunächst beide Systeme unterstüt- zen und abwarten, wie sich der Markt entwi- ckelt. Denn noch gibt es ausser ein paar nach- gerüsteten Mercedes und Volvos noch fast keine Fahrzeuge auf deutschen Strassen, die schon mit einem der beiden Internet-Systeme ausgerüstet sind. Erste Serienfahrzeuge kamen bereits 2015 auf den Markt. Der Krieg der Systeme kann also beginnen – möge der Bessere gewinnen! Tim Cole Tim Cole ist langjähriger Internet-Journalist, Blogger, Buchautor und Vortragsredner. Als Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins «Net Investor» begleitete er das Entstehen der New Economy, als Mode - rator der Sendung «eTalk» auf n-tv war er in ständigem Dialog mit den wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Internet-Branche. Er verfasst immer wieder Beiträge und Kommentare für bekannte deutschsprachige Medien. | Auto 4.0 | 5
NICHT «EFFIZIENTERE» AUTOS – ÜBERLEGTERE NUTZUNGEN SIND GEFRAGT Das Auto ist Teil unser aller Leben, zumindest in der Ersten Welt. Früherinnerungen an Ausflüge, Staus und Pannen leiteten über in solche an Fachsimpeleien auf dem Pausen- platz. Als Erwachsene schätzen wir es, denn es macht uns unabhängig. Erst wenn wir die monatlichen Rechnungen abbezahlen, ärgert uns sein Besitz. Die Nachhaltigkeits- diskussion hat unzählige Initiativen zur Verbesserung des Autos eingeleitet. Weit seltener sind grundsätzliche Überlegungen zu dessen Existenz. Soziale Umwälzungen und ökologische Erkenntnisse bieten Chancen, das Vierrad zu hinterfragen. Keywords: Umwelt, Klimawandel, Zersiedelung, Mobilität, Ressourcenverschwendung Daniel Stanislaus Martel «Wir haben uns daran gewöhnt, Energie einfach von Dasselbe gilt für den Ansatz, die Umweltbilanz des der Tankstelle mitzunehmen. Auch in Zukunft wird es Autos nach dessen Ableben zu verbessern. So kön- diesen Bedarf geben, es ist eine Sache der Bequem- nen die Batterien von Elektromobilen grundsätzlich lichkeit. Und wenn wir auf fossile Brennstoffe verzich- in ihre Ausgangsmaterialien zurückzerlegt werden. ten müssen – sei es, weil die Vorräte zur Neige ge- Der Aufwand ist jedoch erheblich4. Vermehrt wird hen, sei es, um den Klimawandel zu bremsen –, dann auch das Cradle-to-Cradle-Prinzip auf das Auto aus- brauchen wir eine Alternative.»1 Neue Technologien geweitet. Dabei soll es, wie jedes andere Produkt, lösen die alten Probleme in der Vorstellung vieler. die Umwelt von der Herstellung bis zur Wiederver- Eine Minderheit hinterfragt das Prinzip Auto: «Ein mit wertung so wenig wie möglich belasten (Baumgart Wasserstoff angetriebener Wagen ist punkto Land- und Mc Donough 2009). Trotzdem, auch diese Be- verschleiss, Energieverbrauch, Zersiedelung einem strebungen überwinden die Nachteile des Vierrades Benzinauto nicht überlegen, er belastet bloss das Kli- nicht. ma etwas weniger» (Loderer 2015). … zum plausiblen Ansatz Wohl kaum eine andere Maschine hat die Welt so Technische Verbesserungen am Auto sind durchaus verändert wie das Auto. Unzähligen hat es Chancen sinnvoll. Dessen grundsätzliche Ineffizienz als Mobi- geboten. Nach 1945 war es Symbol der Unabhän- litätsplattform bleibt jedoch bestehen. So ist der Roh- gigkeit. Ab den 70ern wurde es zum Umweltfeind stoff- und Energiebedarf pro Sitz höher als bei einem (Cantor 1970). Heute führt die Sammelklage Herstel- Bus infolge geringer Skaleneffekte (Schweingruber lung, Betrieb und Entsorgung, Landverbrauch durch 1983). Zudem steht es durchschnittlich 90 Prozent Verkehrswege und Zersiedelung, Staus und die Ineffi- seiner Existenzzeit herum. Mehr Insassen pro Fahrt zienz eines Mehrplätzers für eine Person auf2. und intensivere Verwendung bewirken mehr für die Umwelt als technologische Optimierungen. Dazu Von Illusionen und Hoffnungen … kommen die Kollateralgewinne wie weniger Staus Die Umweltdiskussion führte zur Suche nach neuen und Abgase. Zurückgehende Nachfrage nach pri- Antrieben. Das Elektromobil galt als Ausweg (Nealer vaten Autos kann längerfristig die Anzahl der Fahr- et al. 2015), bis die Stromquelle in das Bewusstsein zeuge verringern. Dies ist wirkungsvoll, denn nur rückte. Diese sprudelt nicht immer umweltfreund- nicht erschaffene Artgenossen sind umweltneutral. lich3. Wasserstoff ist trotz Anstrengungen nicht ausge- reift (Wagner 2011). Problematisch ist unter anderem Der Weg dazu führt über das bessere Ausnützen des die Tatsache, dass er erst «gewonnen» werden muss. Vorhandenen durch Teilen. Diese alte Idee ging mit Dazu ist mehr Energie erforderlich, als er später frei- steigendem Wohlstand verloren. Ältere Semester er- setzt (Greer 2008). Die grundsätzliche Fehlentwick- innern sich noch an ihre erste Bude nach dem Aus- lung der Autokratie wie Boden- und Ressourcenver- zug aus dem Elternhaus. Manches Ehepaar war nach schwendung berichtigen beide «Alternativen» nicht. dem Abschied der Kinder um einen Zustupf froh. Durch die Vermietung «brachliegender» Zimmer ge- 1 https://www.empa.ch/documents/56164/286251/0red_010-0-09-01- de+EmpaNews-26-2009_Energieproblem.pdf/f9250205-a92e-4502-8f83- wannen beide Seiten. Die bessere Ausnützung des 7f037cf01796?version=1.0 2 http://www.yaacool-bio.de/index.php?article=1699 3 http://www.niedrigenergieforum.de/verursachen-e-autos-die-naech- 4 http://www.niedrigenergieforum.de/verursachen-e-autos-die-naech- ste-umweltkrise-t905.html ste-umweltkrise-t905.html 6 | swissfuture | 03/16
bestehenden Wohnraums senkte zudem den Bedarf weitere Effizienzsteigerung selbst für Privatbesitzer an Neubauten und machte die Siedlung kompakter sind modulare Rüstsätze. und fussgängerfreundlicher (Owyang 2015). Wie jeden Morgen besteigt Herr Gewerbler den Mi- Heute setzt ein Umdenken ein. Eingetrübte persön- nibus im Parkhaus an der Tramendstation. Zunächst liche Aussichten einerseits, die neuen Technologien bringt er damit die darin am Vorabend hinterlegten wie Internet und Smartphone andererseits führten Sendungen zur Post, ehe er die Angestellten an der zu entsprechenden Angeboten. Beispiele sind Air- S-Bahn abholt. Zehn Minuten später wird das Fahr- Bnb für temporäre Unterkünfte und Uber für private zeug zum Kleinlaster. In dieser Konfiguration liefert Taxidienste. Daraus erwuchs die Sharing Economy, es in vier Fahrten 16 Kühlschränke zur Baustelle. An- welche punktuelle Bedürfnisse und Leistungserbrin- schliessend wird ein ausfahrbarer Deckenkran fixiert, ger zusammenführt (Owyang 2015). Dieses «Nutzen an dessen Haken sodann eine Tiefkühltruhe für ein statt Besitzen» (Erlhoff 1995) ist sowohl Resultat als Restaurant eingehängt und ins Wageninnere gezo- auch Treiber eines Wertewandels bei gewissen Gü- gen. Auf dem Rückweg nimmt der Fahrer das Leergut tern (Leismann et al. 2012). zurück, ehe er den Laster wieder in ein Sammeltaxi zurückverwandelt. Am Feierabend bringt Herr Ge- Bessere Auslastung der einzelnen Autos bei gleich- werbler sein Team zur S-Bahn und stellt den Wagen zeitig weniger Gesamtverkehr lässt alle schneller vor- samt Postsendungen im Parkhaus ab. Von dort kehrt wärtskommen5. Eine erste Mitfahrzentrale entstand er per Tram heim. 1975 in London. Dabei ermutigten nicht der Um- weltgedanke, sondern der tägliche Stau und die Di- Autoteiler werden ihr Angebot zweifellos um derar- stanz zu den Haltestellen der öffentlichen Verkehrs- tige Optionen bereichern. Mittlerweile überlegen mittel (öV) die Idee. Noch weiter geht die fallweise sich Hersteller, wie sie statt Fahrzeuge Mobilitätskon- Nutzung von Autos, die einer Organisation gehö- zepte anbieten können, darunter solche durch varia- ren. In der Schweiz entstand 1987 als deren erste die bles Zubehör8. Autoteilet-Genossenschaft. Wie verkehren wir übermorgen? Der neueste Schritt ist die «Uberisierung» dieses Vor- Für etliche ist selbst jedes multimodulare Auto noch gangs. In der Schweiz erlaubt Sharoo es Privatper- eines zu viel. Die wahre Lösung liege in kompakten sonen, ihr Auto Drittpersonen zu überlassen. Dazu Siedlungen mit integralem öV9. Innerhalb der Quar- sind technische Eingriffe am Fahrzeug erforderlich. tiere käme Schusters Rappen wieder zu Ehren, Trams, Trotz vorläufiger Tücken sind Szenekenner vom Er- S-Bahnen und Züge deckten die weiträumigeren folg der Idee überzeugt6. Bedürfnisse ab. Für Privatautos wäre im wörtlichen Sinne kaum mehr Raum. Kollektive Nutzfahrzeuge Weniger Autos – mehr Mobilität dagegen fänden immer einen Parkplatz. Selbstverständlich sind sparsamere und sauberere Motoren morgen noch wichtiger als heute. Entschei- dend ist aber der von vielen bereits gefasste Ent- schluss «los vom Auto». Nur so können Staus und Ab- gase tatsächlich abnehmen. Die entsprechend motivierte Familie Muster fährt per S-Bahn zur Endstation. Von dort bringt sie ein vor- bestellter Vierplätzer zum Ausflugsziel. Am späten Nachmittag bleibt dieser am vereinbarten Ort zu- rück. Die Musters besitzen kein eigenes Auto, eben- so wenig wie das Ehepaar Echantillon. Dieses nutzt eine Stunde später das von einem velomobilen Schü- ler im Sackgeldjob überprüfte Fahrzeug für den Be- such eines Bauernhofs. Ein Gefährt macht zwei ande- re überflüssig. Natürlich funktioniert dieses Teilen nur, wenn alle die Regeln einhalten. Dies ist meistens der Fall7. Eine 5 http://www.nzz.ch/schweiz/nutzen-statt-besitzen-1.18377330 6 http://www.tdg.ch/geneve/ actu-genevoise/j-teste-location-voiture-particuliers-sharoo/sto- 8 https://www.springerprofessional.de/fahrzeugtechnik/carsharing/ ry/15821349 vom-autobauer-zum-mobilitaetsanbieter/6561608 7 http://www.unfallzeitung.de/zeitung/carsharing-nutzung-steigt-zufrie- 9 http://www.nzz.ch/schweiz/mehr-wachstum-in-staedten-auffan- denheit-sinkt gen-1.18434541 | Auto 4.0 | 7
Dr. Daniel Stanislaus Martel Dr. Daniel Stanislaus Martel ist Chefredaktor der unabhängigen Genfer Finanzzeitschrift Point de Mire (www.pointdemire.ch). Vorher war er Berater für Privatsektorentwicklung (Private Sector Development Policy Advisor) des afghanischen Ministeriums für Handel und Industrie in Kabul. Dort lancierte er unter anderem einen Inkubator für Unternehmerinnen und ein Technologiezentrum für lokale KMU und lieferte den Vorentwurf des Gesetzes über öffentlich- private Partnerschaften (Public Private Partnerships/ PPP) Afghanistans. Ferner ist er Mitglied der Preisjury der internationalen Messe für Erfindungen Genf. Zuvor unterrichtete er Risikomanagement, Strategie und Management in Kabul und Genf. Dazu ist er Fach- autor für Aviatik, Technologie und Geopolitik. Auch als Trendscout und Ideengenerator für Start-up-Unter- nehmen ist er aktiv. Daneben hält er Vorträge. Dr. Daniel Stanislaus Martel promovierte an der Universität Genf über das Airbusprogramm. Literatur Baumgart, Michael & Mc Donough, William (2009): Cradle To Cradle. Remaking The Way We Make Things, Bel Air/CA, North Point Press. Cantor, Kenneth P. (1970): Warning: The Automobile Is Dangerous To Earth, Air, Fire, Water, Mind And Body. In: De Bell, G. (ed.) The Environmental Handbook. Prepared For The First National Environmental Teach-In. New York: Ballantine Books Inc. Erlhoff, Michael (1995): Nutzen statt Besitzen, Göttingen, Seidl. Greer, John Michael (2008): The Long Descent. A Users’ Guide To The End Of The Industrial Age, Gabriola Island (BC), New Society Publishers. Leismann, Kristin; Schmitt, Martina; Rohn, Holger und Carolin Baedeker (2012): Nutzen statt Besitzen – Auf dem Weg zu einer ressourcenschonenden Konsumkultur, Berlin, Heinrich-Böll-Stiftung. Loderer, Benedikt (2015): Die Landesverteidigung. Eine Beschreibung des Schweizerzustandes, Zürich, Edition Hochparterre. Nealer, Rachael; Reichmuth, David und Don Anair (2015): Cleaner Cars From Cradle to Grave. How Electric Cars Beat Gasoline Cars on Lifetime Global Warming Emissions, Cambridge/MA, Union of Concerned Scientists. Owyang, Jeremiah (2015): 3 prédictions sur l’avenir de l’économie collaborative, https://www.salesforce.com/ fr/blog/2015/01/economie-collaborative.html. Schweingruber, Beat (1983): Umwelt, Verkehr, Umkehr: Umweltgerechtes Verkehrsleitbild für die Schweiz, Herzogenbuchsee, Verkehrsclub der Schweiz (VCS). Wagner, Hermann-Josef (2011): Was sind die Energien des 21. Jahrhunderts? Der Wettlauf um die Lagerstätten, Frankfurt am Main, Fischer Verlag. 8 | swissfuture | 03/16
MOBILITÄT 4.0 – EVOLUTION EINER DIGITALEN MOBILITÄTSKULTUR Digitalisierung, Verkehrswende und Shareconomy werden die Mobilität der Zukunft massgeblich prägen. Keywords: Digitalisierung, Shareconomy, digitale Märkte, Energie, Klimaschutz, Internet der Dinge, digitale Infrastruktur, Datensouveränität Klaus Markus Hofmann Mobilität der Zukunft wird von drei Megatrends ge- experimentelle Laborversuche ab. Digital gesteu- prägt, die sich in ihrer Wirkung wechselseitig verstär- erte Flotten habe das Potenzial, Personenbeförde- ken. 1. Digitalisierung wandelt nicht nur das Verständ- rung und Logistik auf Strasse und Schiene neu zu nis und die Nutzungsmöglichkeiten von Fahrzeugen, definieren. Bisher unbeantwortet ist die Frage, mit die zunehmende Vernetzung verändert auch tra- welchen Technologien und Geschäftsmodellen sich dierte Geschäftssysteme. 2. Die Verkehrswende folgt Mobilität 4.0 durchsetzen wird und wer im organi- der Energiewende: Zur Verringerung von klimaschäd- sierten Verkehrsmarkt von morgen die Schnittstelle lichen Verkehrsemissionen werden erneuerbare Ener- zum Kunden in seiner Hand behält und damit das gieträger ausgebaut und Energieeffizienz verbessert. Heft des Handelns. 3. Die wachsende Shareconomy: Junge Menschen sind intermodal mobil, dabei ist ihnen Nutzung wich- Autos werden zu einem Endgerät in einem zukünf- tiger als Autobesitz. Märkte werden durch Angebot tigen Mobilitätssystem. Daten sind der werthaltige und Nachfrage gestaltet, digitale Märkte durch Platt- Treibstoff für nachfragegerechte Mobilitätsange- formen als Synthese aus innovativen Technologien bote. Um bestmöglich zu antizipieren, wie sich der und attraktiven Geschäftsmodellen. Verkehrssektor durch die Digitalisierung wandeln wird, lohnt sich ein Blick auf die dynamisch gewach- Digitalisierung: Smartphone auf Rädern sene Mobilfunkbranche, die den mobilen Verkehr Im Jahr 2016 fällt es nicht schwer sich vorzustellen, von Sprache und Daten seit den 80er-Jahren mög- dass Autos, Lastwagen und Züge in einer nahen Zu- lich gemacht hat. Das Handy der 90er-Jahre hat sich kunft automatisch durch die Landschaft fahren. Ei- zum Smartphone der unbegrenzten Möglichkeiten senbahnnetze als universelle Transportplattform entwickelt. Waren zuerst Gewicht und Stand-by-Zeit waren das Internet des 19. Jahrhunderts und damit für ein Mobiltelefon kaufentscheidende Kriterien, Treiber der Industrialisierung. Die automobile Ver- wurden diese von Design, Marke und Tarifmodel- kehrsevolution im 20. Jahrhundert, die zur Massen- len abgelöst. Heute richtet der Kunde seine Kauf- motorisierung mit 1,2 Milliarden Fahrzeugen welt- entscheidung am erwarteten Nutzen von mehr oder weit geführt hat, basiert auf der Kombination von weniger intelligenten Apps und Diensten auf einem Motor und Pferdedroschke. Das Internet der Dinge Endgerät aus. Nach SMS und Internet wurden con- kündigt die nächste Evolutionsphase im Mobilitäts- tent-basierte Anwendungen wie YouTube, Instagram sektor an, das «Smartphone auf Rädern». oder Pokemon Go zu interaktiven Werttreibern im mobilen Dienste-Universum, das Kundenwünsche Autonome Fahrzeuge wurden von Forschern der überall in Echtzeit erfüllen kann. Das Endgerät ver- Stanford-Universität, Google und Tesla in der Kom- liert an Bindungskraft und das Mobilfunknetz wird bination von On-Board-Sensorik mit bestehenden zur anonymen Plattform im Hintergrund, die sich Netzen für mobile Kommunikation strassentauglich verschiedene Diensteanbieter teilen. Dabei liegt es gemacht und werden unsere Erwartungen an indivi- nahe, dass Hersteller, Netzbetreiber und öffentliche duelle Mobilität dauerhaft verändern. Autohersteller, Hand unterschiedliche Ziele verfolgen können und die auf proprietäre Lösungen gesetzt hatten, haben bei der Gestaltung von Mobilitätsangeboten ihre je- erkannt, dass es sich bei dieser Technologiekombi- weiligen Interessen im Auge haben. nation nicht um Spielerei handelt, sondern um eine unumkehrbare Zäsur der Mobilitätskultur, die die in- Mit den standardisierten Mobilfunknetzen existiert dustrielle Arbeitsteilung der Branche in Frage stellt. eine globale Dienste-Plattform, die teils privat, teils Marktnahe Pilotprojekte für sicheres Platooning, au- staatlich gemanagt wird, die Nutzerbeziehungen in tonomes Fahren und intelligente Infrastruktur lösen über 190 Staaten verwaltet, die die Standorte der | Auto 4.0 | 9
rund 4,5 Milliarden Endgeräte kennt und digitalen angemessene staatliche Regulierung förderlich zu Datenverkehr weltweit in Echtzeit effizient abwickelt. deren Durchsetzung. Vom System generierte Daten werden dazu genutzt, die Transporteffizienz der Netzinfrastruktur zu opti- Aber wem gehören all diese Daten? Wer eine Bohr- mieren und mit Algorithmen Mehrwerte für Kunden maschine, einen Fotoapparat oder Kühlschrank kauft, und Anbieter zu schaffen. Diese Erkenntnisse über erwirbt mit dem Produkt alle Nutzungsrechte. Bei Entwicklungen im digitalen Mobilfunk lassen sich einem Computer oder Smartphone gehört das Gerät prinzipiell auf eine vernetzte Verkehrswelt von mor- dem Kunden, die genutzte Software in der Regel gen übertragen. jedoch dem Hersteller und wird nur als Lizenz ange- boten. Wer die Nutzungsbedingungen von mobilen Die systemische Konvergenz von öffentlichem Ver- Programmen (Apps) genau liest, wird feststellen, dass kehr und Individualverkehr zu einer digital organi- Rechte an erzeugten Bildern, Standorten und per- sierten Mobilität 4.0 ist ein plausibles Szenario, das sönlichen Daten an den Diensteanbieter abgetreten eine kundenorientierte, klimaverträgliche und effi- werden. Die ubiquitäre digitale Schnittstelle macht ziente Mobilität in Europa beschreibt. Welche Vor- jedes Auto zu einem «Smartphone», das ständig Up- aussetzungen fördern oder bremsen eine solche dates erhält und Unmengen an Daten sendet. Aber- Entwicklung? tausende Premiumfahrzeuge übertragen mehr Bilder und Daten an Automobilhersteller, als Google Earth Alle Daten sind gleich, manche sind gleicher gesammelt hat. Können fahrzeugspezifische Daten Das Internet kommt ins Auto und bringt seine Spiel- wie Position, Verbrauch, Verschleiss oder Fahrverhal- regeln mit. Bluetooth und WLAN sind unverzichtbare ten zukünftig vom Hersteller oder einer Versicherung Ausstattungsmerkmale und Connectivity ist in der genutzt werden? Die Debatte über Datenschutz be- vernetzten Gesellschaft ein entscheidendes Kaufkri- züglich StreetView war nur das Präludium für den terium geworden. Für das Internet gilt Netzneutrali- notwendigen Diskurs über Sicherheit und Daten- tät als zentrales Paradigma, im Netz sind alle Daten souveränität von hypervernetzten Bürgern und Ver- gleich. Mobilität 4.0 hingegen unterscheidet drei Da- kehrsteilnehmern. Wer kann, darf oder muss mobili- tengattungen: 1. Personenbezogene Daten, identi- tätsbezogene Daten an wen liefern? täts- und transaktionsrelevant; 2. Objektspezifische, also fahrzeug- und infrastrukturbezogene Daten; Verkehrswende: Nachhaltige Mobilitätspolitik sowie 3. Raum- und verkehrsbezogene, systemrele- braucht Prioritäten vante Daten. Für jede Gattung gelten spezifische An- Das Pariser Klimaschutzabkommen (2015) verpflich- forderungen. So wäre es nicht akzeptabel, dass ein tet alle Unterzeichnerstaaten, die stetig steigenden mobiler Notruf in der Zentrale nicht rechtzeitig an- Verkehrsemissionen bis 2030 zu senken. Die gesell- kommt, weil die Funkkanäle entlang der Autobahn schaftlichen Ziele für den Verkehrssektor müssen durch Streaming-Downloads blockiert werden. Un- normativ zu Leitplanken staatlicher Energie- und In- fall- und Staumeldung, Signale und Steuerbefehle für vestitionspolitik werden. Um den Umbau zu einem Fahrzeuge sind Nachrichten, die mit Priorität durchs klimafreundlichen, nachhaltigen Mobilitätssystem Netz geschickt werden müssen. Jedes Auto, jede Am- voranzubringen, können nicht Unternehmens- oder pel oder Infrastrukturanlage erzeugt und empfängt Wahlkreisinteressen allein die Verkehrsplanung do- Daten in Echtzeit. Damit Millionen von Fahrzeugen minieren. In einer vernetzt arbeitenden sozialen in einem komplexen Mobilitätssystem miteinander Marktwirtschaft bedeutet nachhaltige Infrakultur, kommunizieren können und Warn- und Rettungs- dass Kosten und Nutzen im Verkehrssektor nicht al- systeme reibungslos funktionieren, sind kompatible lein monetär definiert werden können. Eine ver- Standards und verlässliche Spielregeln zu entwickeln. netzte Infrastruktur- und Verkehrspolitik erfordert ein Umlenken. Entsprechend ihrem Beitragspotenzi- Zur sicheren und effizienten Organisation von gros- al sind öffentliche Investitionen und Förderungen für sen Verkehrsräumen wird eine zuverlässige Infra- digitale Strassen-, Schienen- und Energieinfrastruktur struktur-Logik benötigt, die eine hinreichende Flä- systemisch zu optimieren. chendeckung mit Mobilfunk gewährleistet. Um Fahrzeuge steuern, Motoren und Verbrauch über- Die Digitalisierung eröffnet Handlungsoptionen, ne- wachen sowie Verkehrsströme in Echtzeit lenken ben der Infrastruktur auch Fahrzeuge und Mobilitäts- zu können, werden offene Standards und gesicher- nutzer in die Optimierung von Energieverbrauch und te Protokolle für M2M-Kommunikation (machine- Emissionen einzubeziehen, zum Beispiel über dyna- to-machine) für die kommenden 5G-Netze benöti- mische Anreiz- oder Mautsysteme. Scheint viel Son- gt. Für Mobilität 4.0 ist deshalb die Servicequalität ne und brummen die Windräder, bildet der Ener- der Netze, wie Latenzzeit und Bandbreiten, frühzei- giemarkt bereits negative Strompreise – das heisst, tig mit den Stakeholdern zu definieren. Wie in al- Stromabnahme wird vergütet. Wer zukünftig sein len sicherheitsrelevanten Lebensbereichen ist eine Elektrofahrzeug in einem SmartGrid zum richtigen 10 | swissfuture | 03/16
Zeitpunkt auflädt – oder Strom ins Netz zurückspeist –, Wirklichkeit wird. Autonom rollende Drohnen von könnte damit Geld verdienen. Eine intelligente Mo- Starship können die Lieferlogistik von Supermärkten, bilitätspolitik und sektorverbindende Infrakultur tra- Gastronomie und Versandhandel revolutionieren. gen so zu einer Verkehrswende im Sinne der verein- Studien zu Hyperloop belegen, dass ein innovatives barten Klimaziele bei. Transportsystem – ausserhalb Europas – neue Mobi- litätsmärkte eröffnen kann. Shareconomy: Mobilitäts-Plattformen schaffen Synergien Mit dem Eintritt innovativer Player wie Uber und Kaum ein Reisender käme auf die Idee, einen Zug, Moovel in den Milliardenmarkt der organisierten Mo- ein Flugzeug oder eine Tram zu kaufen, um von A bilität erreicht der digitale Wettbewerb um Kunden nach B zu gelangen. Öffentliche Mobilität, die mit und tragfähige Geschäftsmodelle eine neue Dimen- den Postkutschen lange vor dem modernen Indivi- sion. Im interdependenten Zusammenwirken von dualverkehr begründet wurde, bietet allen die Mög- Nachfrage, Technologie und Angeboten wird Mobili- lichkeit, mobil zu sein, auch ohne ein eigenes Auto. tät 4.0 zum Synonym für eine nachhaltige Kultur-Re- Musste der Automobilist dafür bisweilen auf Flexibi- volution unserer Mobilitätsgewohnheiten. lität und ein rollendes Reisewohnzimmer verzichten, können smarte Apps und individuelle Mobilitätspro- Klaus Markus Hofmann file die strukturellen Defizite der Sharing-Dienste di- Klaus Markus Hofmann ist Senior Research Fellow am gital kompensieren. Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaft- lichen Wandel, InnoZ Berlin, und Leiter des NETWORK Institute für Nachhaltigkeit und Infrakultur. Als Berlin ist mit einer Flotte von rund 10’000 Fahrzeu- Konzernführungskraft und Berater hat er digitale Transformationsprozesse mitgestaltet. Nach Studium gen die Carsharing-Welthauptstadt. Tausende von der Wirtschaftswissenschaften und Humanökologie in Göteborg, Stuttgart und Leipzig forscht er zur Kunden nutzen täglich die Zeitauto-Angebote ver- Entwicklung von Mobilitätssystemen und nimmt schiedener Betreiber (DriveNow, Car2Go, Flinkster, Lehraufträge in Deutschland und der Schweiz wahr. MultiCity u. a.), die flexibel und stationsgebunden ge- bucht werden können. Dadurch kommt die Stadt in Bewegung, denn ein Carsharing-Fahrzeug ersetzt bis zu 11 private PKW, die sonst über 90 % der Zeit unge- nutzt blieben und öffentlichen Parkraum blockieren. Die sogenannte Shareconomy bietet wirtschaftliche, umweltspezifische und verkehrliche Vorteile, um mit geeigneten Mobilitätsplattformen urbane und länd- liche Verkehrsangebote nachhaltiger zu gestalten. In Deutschland war das Auto lange DAS Statussym- bol. Inzwischen haben Fahrerlaubnis und Autobe- sitz an Attraktivität verloren. Mit digitalen Dienste- Plattformen wie BlaBlaCar, DB Navigator, Flinkster, Mobility oder Uber können komplexe Mobilitätsbe- dürfnisse zukünftig bequem und preiswert erfüllt werden. Es ist absehbar, dass regionale Verkehrsträger in na- her Zukunft öffentliche Flotten von autonomen Fahr- zeugen bereitstellen, um Kinder zur Schule, Auszu- bildende in Betriebe, Touristen in Urlaubsorte oder Kranke zum Arzt zu bringen. 2’000 vernetzte Elektro- fahrzeuge könnten beispielsweise den Nahverkehr eines mittleren Kantons fahrplanunabhängig, um- weltfreundlich und wirtschaftlicher bewältigen als Busse oder Züge. Digitale Mobilitätskultur Aktuelle Mobilitätsprojekte wie SmartShuttle in Sit- ten (Wallis), bei dem von PostAuto fahrerlose Elek- trokleinbusse im Linienverkehr eingesetzt werden, zeigen, dass Mobilität 4.0 durch die Vernetzung der drei eingangs beschriebenen Megatrends bereits | Auto 4.0 | 11
SOFTWARE SCHLÄGT HARDWARE Das Auto der Zukunft ist kein Auto – sondern ein Betriebssystem: Smarte Software sammelt Daten, wertet diese aus und schafft massgeschneiderte Angebote für die Nutzer. Die zunehmende Relevanz der Software hat nicht nur eine Konvergenz der Branchen zur Folge, sondern schafft völlig neue Wertschöpfungsketten: schnell, global vernetzt und multifunktional. Keywords: Software, Digitalisierung, Industrie 4.0, Vernetzung, Neue Geschäftsmodelle, Nachhaltigkeit, Zweites Maschinenzeitalter, Digitale Disruption Oliver Kelkar Software determiniert das Produkterlebnis Software ist schneller als Hardware Differenzierende und wettbewerbsentscheidende Der allgemeine Trend zur Individualisierung und zu Merkmale in nahezu allen Produkten entstehen kürzeren Produktlebenszyklen kann durch Software durch Software. Hardware ist längst zum analogen wesentlich besser bedient werden als durch Hard- Vehikel geworden, das den digitalen Mehrwert zum ware. Ein Paradebeispiel sind Smartphones. Während Nutzer transportiert. So ist selbst für vermeintlich der Hardwarelebensdauer wird das Betriebssystem komplexe Produkte eine Vielzahl an fertigen phy- mehrfach aktualisiert. Der Nutzer erhält neue Funkti- sischen Komponenten verfügbar. Sie müssen nur neu onalität, teilweise wird sogar bereits verbaute Hard- komponiert und mit smarter Software zusammen- ware – zum Beispiel ein spezieller Gyrosensor – erst gekittet werden. In vielen Fällen entsteht so ein völ- nach dem Kauf aktiviert und so beispielsweise für lig neues Produkterlebnis und -verständnis. Parade- Sporttracking nutzbar. Und: Kein Smartphone gleicht beispiel dafür ist das iPhone: Apple hat weder den dem anderen. In der greifbaren Hardware sehr wohl. UMTS-Standard noch das MP3-Format erfunden, kei- Die Nutzer gestalten aber das Bildschirmdesign nach ne Touchscreens und auch keine Batterietechnolo- ihren Vorstellungen, konfigurieren das Device so, wie gie. Aber Apple hat die verschiedenen Komponenten es für sie am besten ist, und sie schaffen mit Apps aus sehr elegant zusammengeführt und mit einer seiner- dem Ökosystem einen Funktionsumfang ganz nach zeit neuartigen Software zu einem ganz neuen Pro- den eigenen Interessen. dukterlebnis gemacht. Auch in der Produktion ist Software schneller. Sie Die Liste solcher Neuerfindungen herkömmlicher kann durch Wiederverwendung, durch Modularisie- Produkte lässt sich mühelos fortsetzen: Zahnbürs- rung und dank global verteilter Entwicklungszentren ten, die durch eine Bluetooth-Verbindung zum sehr schnell realisiert werden. Und sie lässt sich über Smartphone ein neues Lifestyle-Produkterlebnis digitale Kanäle in kürzester Zeit in grosser Anzahl an schaffen. Fernseher, die zum Multifunktionstermi- die Kunden und Anwender ausliefern. Sicherheitsup- nal werden. Telefonanlagen, die mit vier Tasten und dates und neue Funktionalitäten werden bereits heu- einem Display mehr leisten als Grossanlagen mit te binnen weniger Tage via kabelgebundenem oder über 100 Tasten. Dongles für Videoangebote und mobilem Internet an Millionen von Anwendern ver- Einkaufserlebnisse. Spielzeug, das sich mit den Lern- teilt. Tesla beispielsweise hatte nach Batteriebränden, fähigkeiten der Kleinen mitentwickelt. Online-Zei- die durch Unterbodenbeschädigungen verursacht tungen und -Zeitschriften, die sich an unsere Inter- wurden, mit einem Update reagiert. Dieses sorgt essen und Lesegewohnheiten anpassen. Und auch dafür, dass das Fahrzeug auf Schnellstrassen einige vor den klassisch hardwarezentrierten Branchen wie Millimeter höher über dem Boden liegt. Die Wahr- dem Maschinen- und Anlagenbau oder der Auto- scheinlichkeit einer Beschädigung sinkt. Automobil- mobilindustrie macht die Software nicht halt. Die hersteller könnten künftig Probleme und Millionen Bedeutung für den Anwender verschiebt sich zu- aufwändiger Rückrufe ähnlich elegant lösen. nehmend von der hardwaretechnischen Ingeni- eurskunst zum Softwaredesign: Fernkonfigurierbare Solange Scottys Beam noch Fiktion ist – mit den CNC-/Bearbeitungszentren. Fahrzeuge, welche das Möglichkeiten der 3-D-Drucker könnte das aber in Cockpitdesign und die Innenraumbeleuchtung den einer nicht ganz fernen Zukunft Realität werden –, Vorlieben der Nutzer oder die Ausleuchtung der schlägt Software Hardware: sowohl in der Entwick- Fahrbahn den Umgebungsbedingungen anpassen. lungsgeschwindigkeit als auch in der Verteilung auf All dies wird nur durch Software möglich. den Märkten. 12 | swissfuture | 03/16
Wertschöpfung durch Software und über die Nutzer liefern. Elon Musk von Tesla ant- Als Folge der Eigenschaften von Software als Be- wortete auf die Frage, wann mit einer verbesserten standteil von Produkten erfolgt auch die Wert- Version des Autopiloten zu rechnen ist: jeden Tag, schöpfung zunehmend mit oder durch Software. denn Tesla macht sein Auto auf Basis der gewon- Eindrucksvoll nachvollziehen lässt sich das am Ver- nenen Daten jeden Tag ein bisschen besser3. gleich von Apple und Samsung. Samsung liefert die Hardware und Apple auch noch das Betriebssystem. Daten erlauben gepaart mit intelligenten Algorith- Wenngleich Samsung einen höheren Marktanteil hat, men ein sehr genaues Verständnis der Nutzer. Das so verdient Apple neunmal mehr an einem Gerät als wiederum ist die Basis für massgeschneiderte Ange- Samsung1. bote und Werbung. Dieses «Profiling» setzte bislang auf Daten der Vergangenheit und war sozusagen ein Wertschöpfung erfolgt aber nicht nur ‹mit› Software, Blick in den Rückspiegel. Mit künstlicher Intelligenz sondern auch ‹durch› Software. Ohne Software und und durch die Anreicherung der eigentlichen Daten- Vernetzung wären Geschäftsmodelle wie bei Uber, basis mit Informationen aus anderen Quellen sind facebook oder Airbnb nicht denkbar. Ein Prinzip ist bereits heute sehr gute Prognosen zum künftigen bei diesen Geschäftsmodellen fast immer, dass die Verhalten des Produktes und seiner Nutzer möglich. digitalen Assets den Zugang zu Leistungen eröffnen – häufig in der analogen Welt. Ein zweites Prinzip: Vor Als Beispiel haben wir eine MagicBox, bestückt mit allem die jungen Unternehmen aus dem Silicon Val- zahlreicher Sensorik, in Fahrzeuge nachgerüstet. Wir ley richten ihr Angebot nicht auf einzelne Regionen konnten anhand der gewonnenen Daten in Echtzeit aus, sie zielen immer gleich auf die gesamte Welt. den Verschleiss von Reifen, Bremsscheiben und Öl er- Und das aus gutem Grund: Denn Software ist am ge- mitteln. Unter Berücksichtigung der Jahreszeiten, der winnträchtigsten, wenn sie global skaliert. Vernet- Wetterprognose, dem Kalender des Nutzers mit den zung und Software bereiten (noch) den nahezu bar- geplanten Reisezielen und einigen weiteren Quellen rierefreien Zugang zu den Märkten. ist es möglich, die Beanspruchung mit einer erstaun- lich geringen Unsicherheit vorherzusagen und so Zu beobachten ist eine Konvergenz der Branchen. den Austauschtermin nahe an den Zeitpunkt der Ver- Unter dem Label Industrie 4.0 wachsen Maschinen- schleissgrenze heranzuführen. Das Material wird auf bau und IT-Industrie zusammen, durch das Con- diese Weise bestmöglich genutzt, Verschwendung nected Car die Automotive-Branche und die IT- sowie vermieden, das Portmonee und die Zeit des Nutzers Telekommunikationsindustrie. Sobald die Fahrzeuge werden geschont. autonom unterwegs sind (Level 52), kommen weitere Industrien wie zum Beispiel die Medienindustrie oder Wer die Datenhoheit hat, hat die Produkthoheit – der Handel hinzu. So ist etwa vorstellbar, dass das und damit den Customer Touchpoint. Es wird immer Auto um Virtual-Reality-Technologien erweitert wird deutlicher, dass diese Erkenntnis der Konsumgüter- und so zu einem Tante-Emma-Laden mit individu- industrie auch für die Investitionsgüterindustrie gilt. ellem Angebot wird, in dem wir unsere Einkäufe wäh- rend der Robotaxi-Fahrt erledigen. Die Lieferung der Software wiegt nichts bestellten Waren erfolgt dann mit einem anderen Ro- Software wiegt nichts und hat dennoch ein enormes botaxi, also quasi mit einem «Uber for goods». Gewicht. Gerade für die Mobilität der Zukunft spielt reales Gewicht eine besondere Rolle, insbesondere Ein weiterer Aspekt: Wenn das Auto die Fahrt über- hinsichtlich der Emissionsmengen bzw. der Reich- nimmt, steht uns Fahrern «neue» Zeit zur Verfügung. weite. Komfort- und Sicherheitsmerkmale werden Zeit, die etwa von der Medienindustrie durch auf den bereits heute durch softwarebasierte Systeme in individuellen Arbeitsweg zugeschnittene Serien ge- modernen Automobilen bestimmt. Diese Systeme füllt werden könnte. Die zukünftigen Wertschöp- reduzieren nicht oder nur marginal die Reichwei- fungsketten werden folglich nicht nur horizontal, te von Elektrofahrzeugen und erhöhen auch nicht sondern auch vertikal verlaufen. die Emissionen. In Zeiten des Leichtbaus ist das ein ökologisch bedeutender Faktor. Software kann künf- Datenhoheit = Produkthoheit tig sogar dafür sorgen, dass Treibstoffverbrauch und Software in herkömmlichen Produkten wie Medien- Emissionen um 15 bis 20 % sinken, indem das Fahr- geräten, Autos oder industriellen Bearbeitungszen- profil automatisch der Topologie angepasst wird. tren in den Fabriken wird besonders beflügelt durch Bereits heute gibt Software LKW-Fahrern Empfeh- die Vernetzung. Produkte erzeugen eine Menge an lungen zu Beschleunigung und Verzögerung. Das Daten. Daten, die Aufschluss über deren Nutzung Ergebnis ist ein um 10 % reduzierter Treibstoffver- 1 https://curved.de/news/apple-verdient-pro-smartphone-neun- brauch. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern mal-mehr-als-samsung-162513, 31.10.14 2 Level 5 = voll autonomes Fahren ohne Eingreifen eines Passagiers, 3 Tech Insider: Elon Musk had a killer quote about the new feature coming ohne Lenkrad und Pedalerie, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Autonomes_ to Teslas. 15.10.2015, http://www.techinsider.io/elon-musk-explains-tes- Fahren, 12.9.16 la-autopilot-2015-10, 12.9.16 | Auto 4.0 | 13
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