Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos

Die Seite wird erstellt Franziska Geisler
 
WEITER LESEN
Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
swissfuture
          Magazin für Zukunftsmonitoring
                                   03/16

                   Auto 4.0
 Digitale Transformation und
       die Zukunft des Autos
Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
IMPRESSUM

swissfuture Nr. 3/16

Offizielles Organ der swissfuture
Schweizerische Vereinigung
für Zukunftsforschung,
Organe officiel de la Société suisse pour
la recherche prospective

43. Jahrgang

Herausgeber
swissfuture
Schweizerische Vereinigung
für Zukunftsforschung
c/o Büro für Kongressorganisation GmbH
Claudia Willi
Vonmattstrasse 26
6003 Luzern
T: +41 (0)41 240 63 33
M: +41 (0)79 399 45 99
future@swissfuture.ch
www.swissfuture.ch

Co-Präsidium:
Cla Semadeni, Dr. Andreas M. Walker

Chefredaktion
Dr. Andreas M. Walker

Redaktion
Andrea Mettler

Autoren und Autorinnen
Oliver Bendel, Andrej Cacilo, Tim Cole,
Christian Egeler, Marco Feser,
Markus Hoepflinger, Klaus Markus Hofmann,
Oliver Kelkar, Quentin Ladetto, Erich Marte,
Daniel Stanislaus Martel, Detlef W. Schmidt,
Sebastian Stegmüller, Nadine Zurkinden

Bildredaktion
Dr. Andreas M. Walker

Bilder
http://de.fotolia.com:
envfx, Nataliya Hora

Lektorat und Korrektorat
Jens Ossadnik

Übersetzungen (Englisch)
James Rumball

Layout
Andrea Mettler

Druck
UD Medien AG, Luzern

Erscheinungsweise
4x jährlich

Einzelexemplar
CHF 30.-

Mitgliedschaft swissfuture
(inkl. Magazin)
Einzelpersonen CHF 100.–
Studierende CHF 30.–
Firmen CHF 280.–

Zielsetzung der Zeitschrift
Das Magazin behandelt die transdisziplinäre
Zukunftsforschung, die Früherkennung und
die prospektiven Sozialwissenschaften. Es
macht deren neuen Erkenntnisse der Fachwelt,
Entscheidungsträgern aus Politik, Verwaltung
und Wirtschaft sowie einer interessierten
Öffentlichkeit zugänglich.

SAGW
Unterstützt durch die Schweizerische Akademie
der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW),
Bern. www.sagw.ch

ISSN 1661-3082
Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
EDITORIAL
Liebe Leserinnen und Leser,

fliegende und selbstfahrende Autos begleiten uns seit Jahrzehnten in Science-
Fiction-Filmen. Wird uns die anstehende digitale Transformation nun in die auto-
mobile Zukunft katapultieren? Werden Dank künstlicher Intelligenz alte Sicherheits-
und Mobilitätsprobleme in der Smart City endlich gelöst werden? Die neuen Mög-
lichkeiten des technischen Fortschritts eröffnen uns Dimensionen, die vor kurzem
noch unvorstellbar waren.

Grundsätzliche Themen rund um Smart Mobility, Umwelt und Gesellschaft stehen
am Anfang. Christian Egeler stellt die Frage nach der Raumplanung und welche
Auswirkungen die Innovationen auf unsere Lebensweise haben. Daniel S. Martel
sinniert grundsätzlich über die zukünftige Existenz des Autos und was anstehende
soziale Umwälzungen und ökologische Erkenntnisse an neuen Chancen bieten, um
mit den Herausforderungen von Klimawandel, Zersiedelung und Mobilität umzuge-
hen. Und Klaus M. Hofmann erörtert, inwiefern Digitalisierung, Verkehrswende und
Shareconomy die Mobilität der Zukunft prägen werden.

Oliver Kelkar konstatiert, dass das Auto der Zukunft primär ein Betriebssystem sein
wird, das Daten sammeln und auswerten wird, und deshalb die Software wichtiger
als die Hardware wird. Andrej Cacilo und Sebastian Stegmüller zeigen auf, welche
Potentiale die Augmented-Reality-Technologie in Kombination mit der Vernetzung
und Automatisierung der Fahrzeuge hat.

Haftung und Risiko beim Wechsel vom menschlichen Fahrer zum Roboterauto be-
gleiten uns in den folgenden Artikeln. Erich Marte fragt, welche Herausforderungen
auf Versicherungsgesellschaften zukommen, wenn ein Computer das Lenkrad über-
nimmt. Oliver Bendel schildert, was sein wird, wenn das vollautomatisierte Fahren
den Durchbruch erlebt und das Roboterauto seinen Prototypstatus hinter sich ge-
lassen hat. Nadine Zurkinden diskutiert, wer die strafrechtliche Verantwortung über-
nehmen soll, wenn der Autopilot versagt. Quentin Ladetto und Markus Hoepflinger
analysieren Risiko-Auswirkungen einer integrierten Mobilität aus voll vernetzten
und selbstfahrenden Fahrzeugen für Sicherheit und Verteidigung.

Zum Abschluss erläutert Marco Feser, welche Auswirkungen Industrie 4.0, verän-
derte Mobilitätsvorstellungen und Shareconomy auf den Vertrieb von Automobilen
haben werden, und Detlef W. Schmidt macht Vorschläge, wie innovative Lösungen
für das urbane Parken der Zukunft aussehen könnten.

Vergessen wir nicht: Vor rund 100 Jahren soll Kaiser Wilhelm II. gesagt haben: «Ich
glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.» Und
auch vom deutschen Konstrukteur Gottlieb Wilhelm Daimler wird aus dem Jahr 1901
überliefert: «Die weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen wird eine Million nicht
überschreiten – allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.» Aussagen zur
Zukunft bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Machbarkeit und Vorstellbarkeit,
oder wie Albert Einstein sagte: «Imagination is more important than knowledge. For
knowledge is limited to all we now know and understand.»

Dr. Andreas M. Walker, Co-Präsident swissfuture

                                                                                       | Auto 4.0 |   1
Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
INHALT
 1          Editorial

 3          Zurück aus der Zukunft | Christian Egeler

 5          Der Kampf um das Ohr des Autofahrers hat begonnen | Tim Cole

 6          Nicht «effizientere» Autos – überlegtere Nutzungen sind gefragt |
            Daniel Stanislaus Martel

 9          Mobilität 4.0 – Evolution einer digitalen Mobilitätskultur | Klaus Markus Hofmann

12          Software schlägt Hardware | Oliver Kelkar

15          Das Auto der Zukunft als Schnittstelle zwischen Mensch und urbanem
            Lebens- und Wirtschaftsraum | Andrej Cacilo, Sebastian Stegmüller

19          Der Computer an meinem Lenkrad | Erich Marte

21          Der Roboter im Roboter | Oliver Bendel

24          Wer wird bestraft, wenn der Autopilot versagt? | Nadine Zurkinden

27          Towards integrated mobility: Security and defence perspectives of a
            future possible ecosystem | Quentin Ladetto, Markus Hoepflinger

31          Industrielle Revolution 4.0 und der Einfluss des veränderten
            Konsumentenverhaltens auf den Vertrieb von Automobilen | Marco Feser

34          Connected Parking – Innovative Lösungen für das urbane Parken der Zukunft |
            Detlef W. Schmidt

37          Abstracts

39          Veranstaltungen

2   | swissfuture | 03/16
Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
ZURÜCK AUS DER ZUKUNFT
Aus Sicht des Staats stellt sich insbesondere bei der langfristigen Planung der
Verkehrssysteme die Frage, zu welchem Zeitpunkt er aktiv eingreifen soll. Aus Sicht
der Raumentwicklung interessieren weniger die technologischen Aspekte des
Autos der Zukunft, sondern vielmehr die Auswirkungen, die Innovationen auf den
Raum und unsere Lebensweise haben. Zwei Szenarien für die Mobilität 2040.

Keywords: Raumentwicklung, Gesamtverkehrssystem, Mobilitätsdienstleister, Mobility-as-a-Service,
Standortattraktivität, Gesamtmobilitätsoptik

Christian Egeler

Die Planung unserer Infrastruktur in der Schweiz          den Vater jeden Morgen pünktlich vor dem Haus ab
wäre deutlich einfacher, wenn wir die Zukunft ken-        und fährt ihn direkt zu seinem Arbeitsplatz in der be-
nen würden. Rückblicke auf frühere Zukunftsvorstel-       nachbarten Agglomeration. Der Vater schätzt, dass er
lungen können amüsant sein, insbesondere natürlich        unterwegs die wichtigsten Dokumente ungestört le-
wenn sie falsch sind. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts      sen, telefonieren oder sich bei lauter Musik entspan-
hatte man beispielsweise in London Angst, dass man        nen kann. Seit die Autobahnen ausschliesslich au-
aufgrund der immer häufigeren Pferdekutschen bald         tomatisierten Fahrzeugen vorbehalten sind, kommt
im Pferdemist stecken bleibt. Mit der Einführung des      der Verkehr dort unterdessen trotz des vielen Mehr-
Autos 1.0 verschwand dieses Problem unauffällig; al-      verkehrs relativ gut durch. Einige Nadelöhre wurden
lerdings hätte damals wohl niemand gedacht, dass          behoben und fast überall konnte wegen der Auto-
man 100 Jahre später meist langsamer durch London         matisierung eine zusätzliche Spur realisiert werden.
fährt als zur Zeit der Pferdekutschen.                    Da das untergeordnete Strassennetz nicht dement-
                                                          sprechend ausgebaut werden konnte, stauen sich die
Die letzten 25 Jahre waren geprägt von einer stetigen     Fahrzeuge oft im Bereich der Ausfahrten. Dank der
Weiterentwicklung der Verkehrssysteme. Auch die           Automatisierung fährt der Durchgangsverkehr an
Entwicklung des Autos war evolutiv. Mit den ersten        diesen Staus problemlos vorbei. Allerdings muss der
Ideen des Autos 4.0 scheinen wir aber am Anfang           Vater sich dann bei seiner Ausfahrt ebenfalls in eine
grösserer Veränderungen zu stehen. Eines scheint si-      solche Kolonne einreihen. Wenn er dringend zu einer
cher: Fahrzeuge, die sich autonom bewegen, werden         Sitzung muss, leistet er sich das zusätzliche Geld für
die Mobilität verändern. Allerdings sind das Ausmass,     einen «Fast-Exit». Diese neuartige Möglichkeit, Zeit
die Geschwindigkeit und die Auswirkungen dieser           zu sparen, nutzen vor allem Geschäftsleute und Nutz-
Entwicklung schwierig vorauszusagen.                      fahrzeuge, während normale Pendler lieber anste-
                                                          hen. Nach der Ankunft am Zielort fährt das Auto zu
Anhand von zwei persönlichen Szenarien für das Jahr       einem Parkplatz in der Nähe, von wo es abends wie-
2040 wird im Folgenden beleuchtet, wie unterschied-       der startet.
lich sich das Leben einer Familie mit zwei Kindern ab-
spielen könnte. Gemeinsam haben die beiden Aus-           Das Familien-Auto wird wie das eigene Taxi genutzt
blicke, dass voll-autonome Fahrzeuge verfügbar sind       und bringt alle zur Schule und Arbeit. Die ganze Fa-
und dass die Familie in einem Mehrfamilienhaus in         milie bestellt am Nachmittag über ihr gemeinsames
einer Gemeinde in einer mittelländischen schwei-          Shop&Catch-Konto die für die nächsten Tage not-
zerischen Agglomeration abseits einer grossen Ver-        wendigen Einkäufe, welche das Fahrzeug dann bei
kehrsachse wohnt.                                         der Abholfahrt zum Arbeitsort der Mutter an einer
                                                          Shop&Catch-Station gleich mitnimmt.
Szenario 1: My car is my castle!
Aufgrund der günstigen Preise autonomer Fahr-             Am Abend joggt der Vater jeweils vor dem Abendes-
zeuge hat sich die Familie, wie viele andere Nach-        sen noch eine Runde um die nahen Felder. Allerdings
barn, gleich zwei solcher trendigen Fahrzeuge an-         wächst die Siedlung immer schneller, weil das Woh-
geschafft und gemäss den Bedürfnissen der Familie         nen in dieser ruhigen und grünen Lage in den letz-
individuell ausgestattet. Das eine Fahrzeug bietet        ten zehn Jahren dank der autonomen Fahrzeuge sehr
Platz für die ganze Familie, ist wie ein kleines Wohn-    attraktiv wurde. Besuche von Stadtzentren mit dem
zimmer eingerichtet und ist bei Nichtgebrauch je-         Auto sind mühsam, da man in Zentrumsnähe we-
weils in der Einstellhalle der Liegenschaft parkiert.     gen des vielen Autoverkehrs meist nur im Schritt-
Das andere steht in der Regel bei einem Parkplatz-        tempo vorwärtskommt. Wegen des Mischverkehrs
anbieter ausserhalb des Dorfes. Dieses Fahrzeug holt      mit Oldtimern, Velos und Fussgängern können die

                                                                                                     | Auto 4.0 |   3
Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
Verkehrsströme weniger gut optimiert werden. Viele       denen der Vater viele Telefonate führen muss, nimmt
Gemeinden haben – nach anfänglichem Ausweichen           er jeweils gegen einen Aufpreis ein Auto zur Arbeit
des Verkehrs auf untergeordnete Strassen – die Quar-     und gibt an, dass er es exklusiv nutzen möchte, was
tierstrassen mit einem Durchfahrtsverbot für Autos       einen weiteren Zuschlag kostet. Die Mutter bucht
belegt.                                                  ihre Routen meist spontan als Einzelfahrten, die
                                                         ebenfalls im Basispaket enthalten sind, und wird ent-
Die diesjährigen Sommerferien verbringt die Familie      weder durch den Gemeindekleinbus oder durch an-
in Italien und lässt sich wie jedes Jahr via Gotthard-   dere Fahrzeuge abgeholt. Solche Fahrzeuge gehören
tunnel fahren. In einer Volksabstimmung bestätigte       meist privaten Personen, die sie via 24-7-Mobil ande-
das Schweizer Volk die Beibehaltung der bisherigen       ren zur Verfügung stellen, oder professionellen Fahr-
Kapazität des Tunnels, obwohl mit der neuen Technik      zeugprovidern, die mit unterschiedlichen Anbietern
viel höhere Durchfahrtszahlen möglich wären. We-         Verträge haben.
gen der immer längeren Staus wurde deswegen eine
Gotthard-Fahrtenbörse eingeführt. Um eine günstige       Der Autoverkehr hat zwar auch in den Zentren zuge-
Durchfahrt zu erhalten, reservierte die Familie einen    nommen. Abseits der Hauptverkehrsachsen stieg die
Slot schon im Januar; die aktuellen Preise sind drei-    Attraktivität für Anwohner, Fussgänger und Velofah-
mal so hoch. Vor zwei Jahren verpassten sie wegen        rer aber massiv, da durch den Wegfall nicht mehr be-
eines Unfalls ihren Slot am Gotthard, wurden aber        nötigter Parkplätze Platz frei wurde für neue Lang-
automatisch kostenfrei in einen anderen Slot umge-       samverkehrsverbindungen und Aussenflächen. So ist
bucht, da auch viele andere ihren Slot nicht einhal-     nun ein geschlossenes Netz an sicheren Velostrassen
ten konnten. Die Wartezeit auf die Durchfahrt konn-      vorhanden und seit 2030 boomt das innerstädtische
ten sie im grossen Shopping- und Entertainment           Wohnen. Die Wohngemeinde der Familie ist eben-
Center der früheren Raststätte bei Altdorf attraktiv     falls sehr beliebt und auch mit dem Velo einfach er-
verbringen.                                              reichbar. Die Kinder nutzen deswegen vor allem ihre
                                                         E-Bikes. Das Wachstum der Gemeinde fand dank ei-
Szenario 2: Unser Mobilitätsassistent                    ner konsequenten Innenentwicklung und der Nut-
Seit fünf Jahren hat sich die Familie vollständig vom    zung nicht mehr gebrauchter Verkehrsflächen nicht
eigenen Auto getrennt und ist nun Mitglied bei           auf der „grünen Wiese“ statt. Seit der Gepäcktrans-
24-7-Mobil, einem der drei grossen Mobility-as-a-        port an die meisten Destinationen Tür-zu-Tür auto-
Service-Betreiber weltweit. Die Familie nutzt den zur    matisch möglich ist, reist die Familie mit dem öffent-
Wohnung zugehörigen Einstellplatz für die Elektro-       lichen Verkehr in die Ferien. Via 24-7-Mobil reserviert
fahrräder und das Cargobike. Viele Hauseigentümer        sie in der Nähe des Zielbahnhofes ein Familiens-
haben ihre Einstellplätze wegen mangelnder Nach-         huttle, das bei Ankunft zusammen mit dem Gepäck
frage in Hobbyräume umgebaut. Auch in den Städ-          bereitsteht.
ten sind die Parkplätze grösstenteils aus dem öffent-
lichen Raum verschwunden. Während der öffentliche        Was wollen wir?
Verkehr sich entlang der grossen Verkehrsachsen und      Die beiden Szenarien veranschaulichen, wie unter-
in den urbanen Zentren weiterentwickelte und wei-        schiedlich die Zukunft trotz ähnlicher Ausgangslage
terhin nach einem Fahrplan fährt, sind fast alle fahr-   sein könnte. Mit dem Auto 4.0 und vielen weiteren
planmässigen Buslinien abseits dieser Achsen und         gesellschaftlichen und technischen Innovationen im
Zentren durch nachfrageabhängige und individu-           Bereich der gesamten Mobilität besteht die Möglich-
ellere Angebote ersetzt worden.                          keit, dass sich unser Gesamtverkehrssystem grund-
                                                         sätzlich verändert und an Qualität gewinnt. Es bie-
Der Vater hat eine ständige Route zur Arbeitsstelle zu   ten sich zahlreiche Chancen (Verkehrssicherheit,
einem Basispreis eingebucht und wird am Morgen           Standortattraktivität, Lebensqualität, Verbesserung
zur gewünschten Zeit jeweils vom einem der beiden        der Mobilitätsmöglichkeiten etc.), die wir unbedingt
automatischen Gemeindekleinbusse direkt zuhause          nutzen müssen. Die drohenden Risiken (Zersiede-
abgeholt. Diese pendeln nach Bedarf zwischen der         lung, eingeschränkter Zugang für gewisse Bevölke-
Wohngemeinde und dem sieben Fahrminuten ent-             rungsgruppen, Fehlinvestitionen, starke Zunahme
fernten Bahnhof im Talboden. Mit der Bahn fährt er       des individuellen Autoverkehrs etc.) dürfen dabei
dann jeweils direkt zum Bahnhof, fünf Gehminuten         nicht ausser Betracht gelassen werden. Es ist deswe-
vom Arbeitsort. Früher musste er noch einmal um-         gen nicht nur wichtig, die Auswirkungen von Trends
steigen, aber dank der automatischen Einzelwagen-        zu kennen, sondern auch zu erkennen, welche Ent-
zusammenstellung am Hauptbahnhof sind viel mehr          wicklungen durch die öffentliche Hand beeinflussbar
Direktverbindungen möglich. Dafür muss man beim          sind, und zu entscheiden, wie diese beeinflusst wer-
Besteigen der Züge ein wenig besser auf die Destina-     den sollen. Wichtig ist, die Raumentwicklung von An-
tion des Wagens achten, aber in der Regel warnt der      fang an mit einzubeziehen und eine Gesamtmobili-
digitale Reiseassistent genügend früh. An Tagen, an      tätsoptik einzunehmen, um damit zu gewährleisten,

4   | swissfuture | 03/16
Swissfuture Auto 4.0 Digitale Transformation und die Zukunft des Autos
dass unser Land von den Veränderungen profitiert                        Der Kampf um Das Ohr Des
und nicht – nicht nur im übertragenen Sinn – unter                      autOfahrers hat begOnnen
die Räder kommt.
                                                                        Die Älteren unter uns werden sich noch an die
                                                                        «Video Wars» der 80er-Jahre zwischen Sonys Be-
             Christian Egeler
                                                                        tamax und Matsushitas VHS-System erinnern
             Christian Egeler leitet im Bundesamt für Raumentwick-
             lung ARE die Sektion Verkehr. Der vierfache Vater und
                                                                        (das Philips-System Video 2000 spielte keine
             Verkehrsingenieur ETHZ lebt mit seiner Familie in Basel.   grosse Rolle und verschwand auch schnell wie-
             Von 2004–2016 war er Mitglied des Grossen Rats des
             Kantons Basel-Stadt.                                       der). Der Kampf wurde erbittert geführt, und am
                                                                        Ende setzte sich nicht etwa das bessere System
                                                                        (Betamax), sondern das billigere (VHS) durch.
                                                                        Auf einen ähnlichen System-Krieg läuft gerade
                                                                        die Automobilbranche zu bei der Frage, welches
                                                                        Internet-Betriebssystem im Auto von morgen
                                                                        das Sagen haben soll: Apple mit seinem 2014
                                                                        vorgestellten «Carplay» oder das von Google
                                                                        angeführte «Open Automotive Alliance» (OAA),
                                                                        das mit einer Version des Betriebssystems An-
                                                                        droid arbeitet. Beide bieten die Möglichkeit, das
                                                                        Smartphone über die Fahrzeuganlage zu bedie-
                                                                        nen, und somit beispielsweise die Navigation,
                                                                        das Senden und Empfangen von Nachrichten
                                                                        und das Abspielen von Musik. Der Fahrer soll sich
                                                                        E-Mails vorlesen lassen und sie per Sprachsteu-
                                                                        erung beantworten, SMS diktieren und versen-
                                                                        den oder sich zur nächstgelegenen Tankstelle lei-
                                                                        ten lassen, ohne die Hände vom Steuer nehmen
                                                                        zu müssen. Das Auto soll also zum Zubehör von
                                                                        iPhone & Co. mutieren – das hoffen jedenfalls die
                                                                        Smartphone-Hersteller.
                                                                        Daimler gibt jetzt die Route in die (auto)mobile
                                                                        Zukunft vor: Fahrzeuge mit dem Stern werden
                                                                        demnächst beide Systeme unterstützen. Mit Car-
                                                                        play arbeiten die Stuttgarter schon seit einigen
                                                                        Monaten zusammen, jetzt gaben sie ihren Bei-
                                                                        tritt zur OAA bekannt. Autokäufer werden dann
                                                                        nicht mehr an eines der beiden Smartphone-Be-
                                                                        triebssysteme gebunden sein. Audi, General Mo-
                                                                        tors, Honda und Hyundai setzen dagegen ganz
                                                                        auf OAA, Volvo und andere sitzen dagegen fest
                                                                        im Apple-Lager.
                                                                        Interessant wird es sein zu sehen, wie die Her-
                                                                        steller von Autoradios reagieren. Wenn das Bei-
                                                                        spiel von Pioneer ein Indiz ist, werden sie wohl
                                                                        ebenfalls zunächst beide Systeme unterstüt-
                                                                        zen und abwarten, wie sich der Markt entwi-
                                                                        ckelt. Denn noch gibt es ausser ein paar nach-
                                                                        gerüsteten Mercedes und Volvos noch fast keine
                                                                        Fahrzeuge auf deutschen Strassen, die schon mit
                                                                        einem der beiden Internet-Systeme ausgerüstet
                                                                        sind. Erste Serienfahrzeuge kamen bereits 2015
                                                                        auf den Markt. Der Krieg der Systeme kann also
                                                                        beginnen – möge der Bessere gewinnen!

                                                                        Tim Cole

                                                                        Tim Cole ist langjähriger Internet-Journalist, Blogger, Buchautor und
                                                                        Vortragsredner. Als Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins «Net
                                                                        Investor» begleitete er das Entstehen der New Economy, als Mode -
                                                                        rator der Sendung «eTalk» auf n-tv war er in ständigem Dialog mit
                                                                        den wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Internet-Branche.
                                                                        Er verfasst immer wieder Beiträge und Kommentare für bekannte
                                                                        deutschsprachige Medien.

                                                                                                                                | Auto 4.0 |    5
NICHT «EFFIZIENTERE» AUTOS –
ÜBERLEGTERE NUTZUNGEN SIND
GEFRAGT
Das Auto ist Teil unser aller Leben, zumindest in der Ersten Welt. Früherinnerungen an
Ausflüge, Staus und Pannen leiteten über in solche an Fachsimpeleien auf dem Pausen-
platz. Als Erwachsene schätzen wir es, denn es macht uns unabhängig. Erst wenn wir
die monatlichen Rechnungen abbezahlen, ärgert uns sein Besitz. Die Nachhaltigkeits-
diskussion hat unzählige Initiativen zur Verbesserung des Autos eingeleitet. Weit
seltener sind grundsätzliche Überlegungen zu dessen Existenz. Soziale Umwälzungen
und ökologische Erkenntnisse bieten Chancen, das Vierrad zu hinterfragen.

Keywords: Umwelt, Klimawandel, Zersiedelung, Mobilität, Ressourcenverschwendung

Daniel Stanislaus Martel

«Wir haben uns daran gewöhnt, Energie einfach von                    Dasselbe gilt für den Ansatz, die Umweltbilanz des
der Tankstelle mitzunehmen. Auch in Zukunft wird es                  Autos nach dessen Ableben zu verbessern. So kön-
diesen Bedarf geben, es ist eine Sache der Bequem-                   nen die Batterien von Elektromobilen grundsätzlich
lichkeit. Und wenn wir auf fossile Brennstoffe verzich-              in ihre Ausgangsmaterialien zurückzerlegt werden.
ten müssen – sei es, weil die Vorräte zur Neige ge-                  Der Aufwand ist jedoch erheblich4. Vermehrt wird
hen, sei es, um den Klimawandel zu bremsen –, dann                   auch das Cradle-to-Cradle-Prinzip auf das Auto aus-
brauchen wir eine Alternative.»1 Neue Technologien                   geweitet. Dabei soll es, wie jedes andere Produkt,
lösen die alten Probleme in der Vorstellung vieler.                  die Umwelt von der Herstellung bis zur Wiederver-
Eine Minderheit hinterfragt das Prinzip Auto: «Ein mit               wertung so wenig wie möglich belasten (Baumgart
Wasserstoff angetriebener Wagen ist punkto Land-                     und Mc Donough 2009). Trotzdem, auch diese Be-
verschleiss, Energieverbrauch, Zersiedelung einem                    strebungen überwinden die Nachteile des Vierrades
Benzinauto nicht überlegen, er belastet bloss das Kli-               nicht.
ma etwas weniger» (Loderer 2015).
                                                                     … zum plausiblen Ansatz
Wohl kaum eine andere Maschine hat die Welt so                       Technische Verbesserungen am Auto sind durchaus
verändert wie das Auto. Unzähligen hat es Chancen                    sinnvoll. Dessen grundsätzliche Ineffizienz als Mobi-
geboten. Nach 1945 war es Symbol der Unabhän-                        litätsplattform bleibt jedoch bestehen. So ist der Roh-
gigkeit. Ab den 70ern wurde es zum Umweltfeind                       stoff- und Energiebedarf pro Sitz höher als bei einem
(Cantor 1970). Heute führt die Sammelklage Herstel-                  Bus infolge geringer Skaleneffekte (Schweingruber
lung, Betrieb und Entsorgung, Landverbrauch durch                    1983). Zudem steht es durchschnittlich 90 Prozent
Verkehrswege und Zersiedelung, Staus und die Ineffi-                 seiner Existenzzeit herum. Mehr Insassen pro Fahrt
zienz eines Mehrplätzers für eine Person auf2.                       und intensivere Verwendung bewirken mehr für die
                                                                     Umwelt als technologische Optimierungen. Dazu
Von Illusionen und Hoffnungen …                                      kommen die Kollateralgewinne wie weniger Staus
Die Umweltdiskussion führte zur Suche nach neuen                     und Abgase. Zurückgehende Nachfrage nach pri-
Antrieben. Das Elektromobil galt als Ausweg (Nealer                  vaten Autos kann längerfristig die Anzahl der Fahr-
et al. 2015), bis die Stromquelle in das Bewusstsein                 zeuge verringern. Dies ist wirkungsvoll, denn nur
rückte. Diese sprudelt nicht immer umweltfreund-                     nicht erschaffene Artgenossen sind umweltneutral.
lich3. Wasserstoff ist trotz Anstrengungen nicht ausge-
reift (Wagner 2011). Problematisch ist unter anderem                 Der Weg dazu führt über das bessere Ausnützen des
die Tatsache, dass er erst «gewonnen» werden muss.                   Vorhandenen durch Teilen. Diese alte Idee ging mit
Dazu ist mehr Energie erforderlich, als er später frei-              steigendem Wohlstand verloren. Ältere Semester er-
setzt (Greer 2008). Die grundsätzliche Fehlentwick-                  innern sich noch an ihre erste Bude nach dem Aus-
lung der Autokratie wie Boden- und Ressourcenver-                    zug aus dem Elternhaus. Manches Ehepaar war nach
schwendung berichtigen beide «Alternativen» nicht.                   dem Abschied der Kinder um einen Zustupf froh.
                                                                     Durch die Vermietung «brachliegender» Zimmer ge-
1 https://www.empa.ch/documents/56164/286251/0red_010-0-09-01-
de+EmpaNews-26-2009_Energieproblem.pdf/f9250205-a92e-4502-8f83-      wannen beide Seiten. Die bessere Ausnützung des
7f037cf01796?version=1.0
2 http://www.yaacool-bio.de/index.php?article=1699
3 http://www.niedrigenergieforum.de/verursachen-e-autos-die-naech-   4 http://www.niedrigenergieforum.de/verursachen-e-autos-die-naech-
ste-umweltkrise-t905.html                                            ste-umweltkrise-t905.html

6   | swissfuture | 03/16
bestehenden Wohnraums senkte zudem den Bedarf                             weitere Effizienzsteigerung selbst für Privatbesitzer
an Neubauten und machte die Siedlung kompakter                            sind modulare Rüstsätze.
und fussgängerfreundlicher (Owyang 2015).
                                                                          Wie jeden Morgen besteigt Herr Gewerbler den Mi-
Heute setzt ein Umdenken ein. Eingetrübte persön-                         nibus im Parkhaus an der Tramendstation. Zunächst
liche Aussichten einerseits, die neuen Technologien                       bringt er damit die darin am Vorabend hinterlegten
wie Internet und Smartphone andererseits führten                          Sendungen zur Post, ehe er die Angestellten an der
zu entsprechenden Angeboten. Beispiele sind Air-                          S-Bahn abholt. Zehn Minuten später wird das Fahr-
Bnb für temporäre Unterkünfte und Uber für private                        zeug zum Kleinlaster. In dieser Konfiguration liefert
Taxidienste. Daraus erwuchs die Sharing Economy,                          es in vier Fahrten 16 Kühlschränke zur Baustelle. An-
welche punktuelle Bedürfnisse und Leistungserbrin-                        schliessend wird ein ausfahrbarer Deckenkran fixiert,
ger zusammenführt (Owyang 2015). Dieses «Nutzen                           an dessen Haken sodann eine Tiefkühltruhe für ein
statt Besitzen» (Erlhoff 1995) ist sowohl Resultat als                    Restaurant eingehängt und ins Wageninnere gezo-
auch Treiber eines Wertewandels bei gewissen Gü-                          gen. Auf dem Rückweg nimmt der Fahrer das Leergut
tern (Leismann et al. 2012).                                              zurück, ehe er den Laster wieder in ein Sammeltaxi
                                                                          zurückverwandelt. Am Feierabend bringt Herr Ge-
Bessere Auslastung der einzelnen Autos bei gleich-                        werbler sein Team zur S-Bahn und stellt den Wagen
zeitig weniger Gesamtverkehr lässt alle schneller vor-                    samt Postsendungen im Parkhaus ab. Von dort kehrt
wärtskommen5. Eine erste Mitfahrzentrale entstand                         er per Tram heim.
1975 in London. Dabei ermutigten nicht der Um-
weltgedanke, sondern der tägliche Stau und die Di-                        Autoteiler werden ihr Angebot zweifellos um derar-
stanz zu den Haltestellen der öffentlichen Verkehrs-                      tige Optionen bereichern. Mittlerweile überlegen
mittel (öV) die Idee. Noch weiter geht die fallweise                      sich Hersteller, wie sie statt Fahrzeuge Mobilitätskon-
Nutzung von Autos, die einer Organisation gehö-                           zepte anbieten können, darunter solche durch varia-
ren. In der Schweiz entstand 1987 als deren erste die                     bles Zubehör8.
Autoteilet-Genossenschaft.
                                                                          Wie verkehren wir übermorgen?
Der neueste Schritt ist die «Uberisierung» dieses Vor-                    Für etliche ist selbst jedes multimodulare Auto noch
gangs. In der Schweiz erlaubt Sharoo es Privatper-                        eines zu viel. Die wahre Lösung liege in kompakten
sonen, ihr Auto Drittpersonen zu überlassen. Dazu                         Siedlungen mit integralem öV9. Innerhalb der Quar-
sind technische Eingriffe am Fahrzeug erforderlich.                       tiere käme Schusters Rappen wieder zu Ehren, Trams,
Trotz vorläufiger Tücken sind Szenekenner vom Er-                         S-Bahnen und Züge deckten die weiträumigeren
folg der Idee überzeugt6.                                                 Bedürfnisse ab. Für Privatautos wäre im wörtlichen
                                                                          Sinne kaum mehr Raum. Kollektive Nutzfahrzeuge
Weniger Autos – mehr Mobilität                                            dagegen fänden immer einen Parkplatz.
Selbstverständlich sind sparsamere und sauberere
Motoren morgen noch wichtiger als heute. Entschei-
dend ist aber der von vielen bereits gefasste Ent-
schluss «los vom Auto». Nur so können Staus und Ab-
gase tatsächlich abnehmen.

Die entsprechend motivierte Familie Muster fährt per
S-Bahn zur Endstation. Von dort bringt sie ein vor-
bestellter Vierplätzer zum Ausflugsziel. Am späten
Nachmittag bleibt dieser am vereinbarten Ort zu-
rück. Die Musters besitzen kein eigenes Auto, eben-
so wenig wie das Ehepaar Echantillon. Dieses nutzt
eine Stunde später das von einem velomobilen Schü-
ler im Sackgeldjob überprüfte Fahrzeug für den Be-
such eines Bauernhofs. Ein Gefährt macht zwei ande-
re überflüssig.

Natürlich funktioniert dieses Teilen nur, wenn alle
die Regeln einhalten. Dies ist meistens der Fall7. Eine

5 http://www.nzz.ch/schweiz/nutzen-statt-besitzen-1.18377330
6 http://www.tdg.ch/geneve/
actu-genevoise/j-teste-location-voiture-particuliers-sharoo/sto-          8 https://www.springerprofessional.de/fahrzeugtechnik/carsharing/
ry/15821349                                                               vom-autobauer-zum-mobilitaetsanbieter/6561608
7 http://www.unfallzeitung.de/zeitung/carsharing-nutzung-steigt-zufrie-   9 http://www.nzz.ch/schweiz/mehr-wachstum-in-staedten-auffan-
denheit-sinkt                                                             gen-1.18434541

                                                                                                                                  | Auto 4.0 |   7
Dr. Daniel Stanislaus Martel

                    Dr. Daniel Stanislaus Martel ist Chefredaktor der
                    unabhängigen Genfer Finanzzeitschrift Point de Mire
                    (www.pointdemire.ch). Vorher war er Berater für
                    Privatsektorentwicklung (Private Sector Development
                    Policy Advisor) des afghanischen Ministeriums für
                    Handel und Industrie in Kabul. Dort lancierte er unter
                    anderem einen Inkubator für Unternehmerinnen
                    und ein Technologiezentrum für lokale KMU und
                    lieferte den Vorentwurf des Gesetzes über öffentlich-
                    private Partnerschaften (Public Private Partnerships/
                    PPP) Afghanistans. Ferner ist er Mitglied der Preisjury
                    der internationalen Messe für Erfindungen Genf.
                    Zuvor unterrichtete er Risikomanagement, Strategie
                    und Management in Kabul und Genf. Dazu ist er Fach-
                    autor für Aviatik, Technologie und Geopolitik. Auch
                    als Trendscout und Ideengenerator für Start-up-Unter-
                    nehmen ist er aktiv. Daneben hält er Vorträge.
                    Dr. Daniel Stanislaus Martel promovierte an
                    der Universität Genf über das Airbusprogramm.

                    Literatur

                    Baumgart, Michael & Mc Donough, William (2009):
                    Cradle To Cradle. Remaking The Way We Make Things, Bel
                    Air/CA, North Point Press.

                    Cantor, Kenneth P. (1970): Warning: The Automobile Is
                    Dangerous To Earth, Air, Fire, Water, Mind And Body. In:
                    De Bell, G. (ed.) The Environmental Handbook. Prepared
                    For The First National Environmental Teach-In. New York:
                    Ballantine Books Inc.

                    Erlhoff, Michael (1995): Nutzen statt Besitzen, Göttingen,
                    Seidl.

                    Greer, John Michael (2008): The Long Descent. A Users’
                    Guide To The End Of The Industrial Age, Gabriola Island
                    (BC), New Society Publishers.

                    Leismann, Kristin; Schmitt, Martina; Rohn, Holger und
                    Carolin Baedeker (2012): Nutzen statt Besitzen – Auf dem
                    Weg zu einer ressourcenschonenden Konsumkultur,
                    Berlin, Heinrich-Böll-Stiftung.

                    Loderer, Benedikt (2015): Die Landesverteidigung. Eine
                    Beschreibung des Schweizerzustandes, Zürich, Edition
                    Hochparterre.

                    Nealer, Rachael; Reichmuth, David und Don Anair
                    (2015): Cleaner Cars From Cradle to Grave. How Electric
                    Cars Beat Gasoline Cars on Lifetime Global Warming
                    Emissions, Cambridge/MA, Union of Concerned
                    Scientists.

                    Owyang, Jeremiah (2015): 3 prédictions sur l’avenir de
                    l’économie collaborative, https://www.salesforce.com/
                    fr/blog/2015/01/economie-collaborative.html.

                    Schweingruber, Beat (1983): Umwelt, Verkehr, Umkehr:
                    Umweltgerechtes Verkehrsleitbild für die Schweiz,
                    Herzogenbuchsee, Verkehrsclub der Schweiz (VCS).

                    Wagner, Hermann-Josef (2011): Was sind die Energien
                    des 21. Jahrhunderts? Der Wettlauf um die Lagerstätten,
                    Frankfurt am Main, Fischer Verlag.

8   | swissfuture | 03/16
MOBILITÄT 4.0 – EVOLUTION
EINER DIGITALEN
MOBILITÄTSKULTUR
Digitalisierung, Verkehrswende und Shareconomy werden die Mobilität der
Zukunft massgeblich prägen.

Keywords: Digitalisierung, Shareconomy, digitale Märkte, Energie, Klimaschutz, Internet der Dinge,
digitale Infrastruktur, Datensouveränität

Klaus Markus Hofmann

Mobilität der Zukunft wird von drei Megatrends ge-          experimentelle Laborversuche ab. Digital gesteu-
prägt, die sich in ihrer Wirkung wechselseitig verstär-     erte Flotten habe das Potenzial, Personenbeförde-
ken. 1. Digitalisierung wandelt nicht nur das Verständ-     rung und Logistik auf Strasse und Schiene neu zu
nis und die Nutzungsmöglichkeiten von Fahrzeugen,           definieren. Bisher unbeantwortet ist die Frage, mit
die zunehmende Vernetzung verändert auch tra-               welchen Technologien und Geschäftsmodellen sich
dierte Geschäftssysteme. 2. Die Verkehrswende folgt         Mobilität 4.0 durchsetzen wird und wer im organi-
der Energiewende: Zur Verringerung von klimaschäd-          sierten Verkehrsmarkt von morgen die Schnittstelle
lichen Verkehrsemissionen werden erneuerbare Ener-          zum Kunden in seiner Hand behält und damit das
gieträger ausgebaut und Energieeffizienz verbessert.        Heft des Handelns.
3. Die wachsende Shareconomy: Junge Menschen
sind intermodal mobil, dabei ist ihnen Nutzung wich-        Autos werden zu einem Endgerät in einem zukünf-
tiger als Autobesitz. Märkte werden durch Angebot           tigen Mobilitätssystem. Daten sind der werthaltige
und Nachfrage gestaltet, digitale Märkte durch Platt-       Treibstoff für nachfragegerechte Mobilitätsange-
formen als Synthese aus innovativen Technologien            bote. Um bestmöglich zu antizipieren, wie sich der
und attraktiven Geschäftsmodellen.                          Verkehrssektor durch die Digitalisierung wandeln
                                                            wird, lohnt sich ein Blick auf die dynamisch gewach-
Digitalisierung: Smartphone auf Rädern                      sene Mobilfunkbranche, die den mobilen Verkehr
Im Jahr 2016 fällt es nicht schwer sich vorzustellen,       von Sprache und Daten seit den 80er-Jahren mög-
dass Autos, Lastwagen und Züge in einer nahen Zu-           lich gemacht hat. Das Handy der 90er-Jahre hat sich
kunft automatisch durch die Landschaft fahren. Ei-          zum Smartphone der unbegrenzten Möglichkeiten
senbahnnetze als universelle Transportplattform             entwickelt. Waren zuerst Gewicht und Stand-by-Zeit
waren das Internet des 19. Jahrhunderts und damit           für ein Mobiltelefon kaufentscheidende Kriterien,
Treiber der Industrialisierung. Die automobile Ver-         wurden diese von Design, Marke und Tarifmodel-
kehrsevolution im 20. Jahrhundert, die zur Massen-          len abgelöst. Heute richtet der Kunde seine Kauf-
motorisierung mit 1,2 Milliarden Fahrzeugen welt-           entscheidung am erwarteten Nutzen von mehr oder
weit geführt hat, basiert auf der Kombination von           weniger intelligenten Apps und Diensten auf einem
Motor und Pferdedroschke. Das Internet der Dinge            Endgerät aus. Nach SMS und Internet wurden con-
kündigt die nächste Evolutionsphase im Mobilitäts-          tent-basierte Anwendungen wie YouTube, Instagram
sektor an, das «Smartphone auf Rädern».                     oder Pokemon Go zu interaktiven Werttreibern im
                                                            mobilen Dienste-Universum, das Kundenwünsche
Autonome Fahrzeuge wurden von Forschern der                 überall in Echtzeit erfüllen kann. Das Endgerät ver-
Stanford-Universität, Google und Tesla in der Kom-          liert an Bindungskraft und das Mobilfunknetz wird
bination von On-Board-Sensorik mit bestehenden              zur anonymen Plattform im Hintergrund, die sich
Netzen für mobile Kommunikation strassentauglich            verschiedene Diensteanbieter teilen. Dabei liegt es
gemacht und werden unsere Erwartungen an indivi-            nahe, dass Hersteller, Netzbetreiber und öffentliche
duelle Mobilität dauerhaft verändern. Autohersteller,       Hand unterschiedliche Ziele verfolgen können und
die auf proprietäre Lösungen gesetzt hatten, haben          bei der Gestaltung von Mobilitätsangeboten ihre je-
erkannt, dass es sich bei dieser Technologiekombi-          weiligen Interessen im Auge haben.
nation nicht um Spielerei handelt, sondern um eine
unumkehrbare Zäsur der Mobilitätskultur, die die in-        Mit den standardisierten Mobilfunknetzen existiert
dustrielle Arbeitsteilung der Branche in Frage stellt.      eine globale Dienste-Plattform, die teils privat, teils
Marktnahe Pilotprojekte für sicheres Platooning, au-        staatlich gemanagt wird, die Nutzerbeziehungen in
tonomes Fahren und intelligente Infrastruktur lösen         über 190 Staaten verwaltet, die die Standorte der

                                                                                                        | Auto 4.0 |   9
rund 4,5 Milliarden Endgeräte kennt und digitalen        angemessene staatliche Regulierung förderlich zu
Datenverkehr weltweit in Echtzeit effizient abwickelt.   deren Durchsetzung.
Vom System generierte Daten werden dazu genutzt,
die Transporteffizienz der Netzinfrastruktur zu opti-    Aber wem gehören all diese Daten? Wer eine Bohr-
mieren und mit Algorithmen Mehrwerte für Kunden          maschine, einen Fotoapparat oder Kühlschrank kauft,
und Anbieter zu schaffen. Diese Erkenntnisse über        erwirbt mit dem Produkt alle Nutzungsrechte. Bei
Entwicklungen im digitalen Mobilfunk lassen sich         einem Computer oder Smartphone gehört das Gerät
prinzipiell auf eine vernetzte Verkehrswelt von mor-     dem Kunden, die genutzte Software in der Regel
gen übertragen.                                          jedoch dem Hersteller und wird nur als Lizenz ange-
                                                         boten. Wer die Nutzungsbedingungen von mobilen
Die systemische Konvergenz von öffentlichem Ver-         Programmen (Apps) genau liest, wird feststellen, dass
kehr und Individualverkehr zu einer digital organi-      Rechte an erzeugten Bildern, Standorten und per-
sierten Mobilität 4.0 ist ein plausibles Szenario, das   sönlichen Daten an den Diensteanbieter abgetreten
eine kundenorientierte, klimaverträgliche und effi-      werden. Die ubiquitäre digitale Schnittstelle macht
ziente Mobilität in Europa beschreibt. Welche Vor-       jedes Auto zu einem «Smartphone», das ständig Up-
aussetzungen fördern oder bremsen eine solche            dates erhält und Unmengen an Daten sendet. Aber-
Entwicklung?                                             tausende Premiumfahrzeuge übertragen mehr Bilder
                                                         und Daten an Automobilhersteller, als Google Earth
Alle Daten sind gleich, manche sind gleicher             gesammelt hat. Können fahrzeugspezifische Daten
Das Internet kommt ins Auto und bringt seine Spiel-      wie Position, Verbrauch, Verschleiss oder Fahrverhal-
regeln mit. Bluetooth und WLAN sind unverzichtbare       ten zukünftig vom Hersteller oder einer Versicherung
Ausstattungsmerkmale und Connectivity ist in der         genutzt werden? Die Debatte über Datenschutz be-
vernetzten Gesellschaft ein entscheidendes Kaufkri-      züglich StreetView war nur das Präludium für den
terium geworden. Für das Internet gilt Netzneutrali-     notwendigen Diskurs über Sicherheit und Daten-
tät als zentrales Paradigma, im Netz sind alle Daten     souveränität von hypervernetzten Bürgern und Ver-
gleich. Mobilität 4.0 hingegen unterscheidet drei Da-    kehrsteilnehmern. Wer kann, darf oder muss mobili-
tengattungen: 1. Personenbezogene Daten, identi-         tätsbezogene Daten an wen liefern?
täts- und transaktionsrelevant; 2. Objektspezifische,
also fahrzeug- und infrastrukturbezogene Daten;          Verkehrswende: Nachhaltige Mobilitätspolitik
sowie 3. Raum- und verkehrsbezogene, systemrele-         braucht Prioritäten
vante Daten. Für jede Gattung gelten spezifische An-     Das Pariser Klimaschutzabkommen (2015) verpflich-
forderungen. So wäre es nicht akzeptabel, dass ein       tet alle Unterzeichnerstaaten, die stetig steigenden
mobiler Notruf in der Zentrale nicht rechtzeitig an-     Verkehrsemissionen bis 2030 zu senken. Die gesell-
kommt, weil die Funkkanäle entlang der Autobahn          schaftlichen Ziele für den Verkehrssektor müssen
durch Streaming-Downloads blockiert werden. Un-          normativ zu Leitplanken staatlicher Energie- und In-
fall- und Staumeldung, Signale und Steuerbefehle für     vestitionspolitik werden. Um den Umbau zu einem
Fahrzeuge sind Nachrichten, die mit Priorität durchs     klimafreundlichen, nachhaltigen Mobilitätssystem
Netz geschickt werden müssen. Jedes Auto, jede Am-       voranzubringen, können nicht Unternehmens- oder
pel oder Infrastrukturanlage erzeugt und empfängt        Wahlkreisinteressen allein die Verkehrsplanung do-
Daten in Echtzeit. Damit Millionen von Fahrzeugen        minieren. In einer vernetzt arbeitenden sozialen
in einem komplexen Mobilitätssystem miteinander          Marktwirtschaft bedeutet nachhaltige Infrakultur,
kommunizieren können und Warn- und Rettungs-             dass Kosten und Nutzen im Verkehrssektor nicht al-
systeme reibungslos funktionieren, sind kompatible       lein monetär definiert werden können. Eine ver-
Standards und verlässliche Spielregeln zu entwickeln.    netzte Infrastruktur- und Verkehrspolitik erfordert
                                                         ein Umlenken. Entsprechend ihrem Beitragspotenzi-
Zur sicheren und effizienten Organisation von gros-      al sind öffentliche Investitionen und Förderungen für
sen Verkehrsräumen wird eine zuverlässige Infra-         digitale Strassen-, Schienen- und Energieinfrastruktur
struktur-Logik benötigt, die eine hinreichende Flä-      systemisch zu optimieren.
chendeckung mit Mobilfunk gewährleistet. Um
Fahrzeuge steuern, Motoren und Verbrauch über-           Die Digitalisierung eröffnet Handlungsoptionen, ne-
wachen sowie Verkehrsströme in Echtzeit lenken           ben der Infrastruktur auch Fahrzeuge und Mobilitäts-
zu können, werden offene Standards und gesicher-         nutzer in die Optimierung von Energieverbrauch und
te Protokolle für M2M-Kommunikation (machine-            Emissionen einzubeziehen, zum Beispiel über dyna-
to-machine) für die kommenden 5G-Netze benöti-           mische Anreiz- oder Mautsysteme. Scheint viel Son-
gt. Für Mobilität 4.0 ist deshalb die Servicequalität    ne und brummen die Windräder, bildet der Ener-
der Netze, wie Latenzzeit und Bandbreiten, frühzei-      giemarkt bereits negative Strompreise – das heisst,
tig mit den Stakeholdern zu definieren. Wie in al-       Stromabnahme wird vergütet. Wer zukünftig sein
len sicherheitsrelevanten Lebensbereichen ist eine       Elektrofahrzeug in einem SmartGrid zum richtigen

10   | swissfuture | 03/16
Zeitpunkt auflädt – oder Strom ins Netz zurückspeist –,   Wirklichkeit wird. Autonom rollende Drohnen von
könnte damit Geld verdienen. Eine intelligente Mo-        Starship können die Lieferlogistik von Supermärkten,
bilitätspolitik und sektorverbindende Infrakultur tra-    Gastronomie und Versandhandel revolutionieren.
gen so zu einer Verkehrswende im Sinne der verein-        Studien zu Hyperloop belegen, dass ein innovatives
barten Klimaziele bei.                                    Transportsystem – ausserhalb Europas – neue Mobi-
                                                          litätsmärkte eröffnen kann.
Shareconomy: Mobilitäts-Plattformen
schaffen Synergien                                        Mit dem Eintritt innovativer Player wie Uber und
Kaum ein Reisender käme auf die Idee, einen Zug,          Moovel in den Milliardenmarkt der organisierten Mo-
ein Flugzeug oder eine Tram zu kaufen, um von A           bilität erreicht der digitale Wettbewerb um Kunden
nach B zu gelangen. Öffentliche Mobilität, die mit        und tragfähige Geschäftsmodelle eine neue Dimen-
den Postkutschen lange vor dem modernen Indivi-           sion. Im interdependenten Zusammenwirken von
dualverkehr begründet wurde, bietet allen die Mög-        Nachfrage, Technologie und Angeboten wird Mobili-
lichkeit, mobil zu sein, auch ohne ein eigenes Auto.      tät 4.0 zum Synonym für eine nachhaltige Kultur-Re-
Musste der Automobilist dafür bisweilen auf Flexibi-      volution unserer Mobilitätsgewohnheiten.
lität und ein rollendes Reisewohnzimmer verzichten,
können smarte Apps und individuelle Mobilitätspro-
                                                                       Klaus Markus Hofmann
file die strukturellen Defizite der Sharing-Dienste di-
                                                                       Klaus Markus Hofmann ist Senior Research Fellow am
gital kompensieren.                                                    Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaft-
                                                                       lichen Wandel, InnoZ Berlin, und Leiter des NETWORK
                                                                       Institute für Nachhaltigkeit und Infrakultur. Als
Berlin ist mit einer Flotte von rund 10’000 Fahrzeu-                   Konzernführungskraft und Berater hat er digitale
                                                                       Transformationsprozesse mitgestaltet. Nach Studium
gen die Carsharing-Welthauptstadt. Tausende von                        der Wirtschaftswissenschaften und Humanökologie in
                                                                       Göteborg, Stuttgart und Leipzig forscht er zur
Kunden nutzen täglich die Zeitauto-Angebote ver-                       Entwicklung von Mobilitätssystemen und nimmt
schiedener Betreiber (DriveNow, Car2Go, Flinkster,                     Lehraufträge in Deutschland und der Schweiz wahr.

MultiCity u. a.), die flexibel und stationsgebunden ge-
bucht werden können. Dadurch kommt die Stadt in
Bewegung, denn ein Carsharing-Fahrzeug ersetzt bis
zu 11 private PKW, die sonst über 90 % der Zeit unge-
nutzt blieben und öffentlichen Parkraum blockieren.
Die sogenannte Shareconomy bietet wirtschaftliche,
umweltspezifische und verkehrliche Vorteile, um mit
geeigneten Mobilitätsplattformen urbane und länd-
liche Verkehrsangebote nachhaltiger zu gestalten.

In Deutschland war das Auto lange DAS Statussym-
bol. Inzwischen haben Fahrerlaubnis und Autobe-
sitz an Attraktivität verloren. Mit digitalen Dienste-
Plattformen wie BlaBlaCar, DB Navigator, Flinkster,
Mobility oder Uber können komplexe Mobilitätsbe-
dürfnisse zukünftig bequem und preiswert erfüllt
werden.

Es ist absehbar, dass regionale Verkehrsträger in na-
her Zukunft öffentliche Flotten von autonomen Fahr-
zeugen bereitstellen, um Kinder zur Schule, Auszu-
bildende in Betriebe, Touristen in Urlaubsorte oder
Kranke zum Arzt zu bringen. 2’000 vernetzte Elektro-
fahrzeuge könnten beispielsweise den Nahverkehr
eines mittleren Kantons fahrplanunabhängig, um-
weltfreundlich und wirtschaftlicher bewältigen als
Busse oder Züge.

Digitale Mobilitätskultur
Aktuelle Mobilitätsprojekte wie SmartShuttle in Sit-
ten (Wallis), bei dem von PostAuto fahrerlose Elek-
trokleinbusse im Linienverkehr eingesetzt werden,
zeigen, dass Mobilität 4.0 durch die Vernetzung der
drei eingangs beschriebenen Megatrends bereits

                                                                                                           | Auto 4.0 |   11
SOFTWARE SCHLÄGT HARDWARE
Das Auto der Zukunft ist kein Auto – sondern ein Betriebssystem: Smarte Software
sammelt Daten, wertet diese aus und schafft massgeschneiderte Angebote für
die Nutzer. Die zunehmende Relevanz der Software hat nicht nur eine Konvergenz
der Branchen zur Folge, sondern schafft völlig neue Wertschöpfungsketten: schnell,
global vernetzt und multifunktional.

Keywords: Software, Digitalisierung, Industrie 4.0, Vernetzung, Neue Geschäftsmodelle, Nachhaltigkeit,
Zweites Maschinenzeitalter, Digitale Disruption

Oliver Kelkar

Software determiniert das Produkterlebnis                   Software ist schneller als Hardware
Differenzierende und wettbewerbsentscheidende               Der allgemeine Trend zur Individualisierung und zu
Merkmale in nahezu allen Produkten entstehen                kürzeren Produktlebenszyklen kann durch Software
durch Software. Hardware ist längst zum analogen            wesentlich besser bedient werden als durch Hard-
Vehikel geworden, das den digitalen Mehrwert zum            ware. Ein Paradebeispiel sind Smartphones. Während
Nutzer transportiert. So ist selbst für vermeintlich        der Hardwarelebensdauer wird das Betriebssystem
komplexe Produkte eine Vielzahl an fertigen phy-            mehrfach aktualisiert. Der Nutzer erhält neue Funkti-
sischen Komponenten verfügbar. Sie müssen nur neu           onalität, teilweise wird sogar bereits verbaute Hard-
komponiert und mit smarter Software zusammen-               ware – zum Beispiel ein spezieller Gyrosensor – erst
gekittet werden. In vielen Fällen entsteht so ein völ-      nach dem Kauf aktiviert und so beispielsweise für
lig neues Produkterlebnis und -verständnis. Parade-         Sporttracking nutzbar. Und: Kein Smartphone gleicht
beispiel dafür ist das iPhone: Apple hat weder den          dem anderen. In der greifbaren Hardware sehr wohl.
UMTS-Standard noch das MP3-Format erfunden, kei-            Die Nutzer gestalten aber das Bildschirmdesign nach
ne Touchscreens und auch keine Batterietechnolo-            ihren Vorstellungen, konfigurieren das Device so, wie
gie. Aber Apple hat die verschiedenen Komponenten           es für sie am besten ist, und sie schaffen mit Apps aus
sehr elegant zusammengeführt und mit einer seiner-          dem Ökosystem einen Funktionsumfang ganz nach
zeit neuartigen Software zu einem ganz neuen Pro-           den eigenen Interessen.
dukterlebnis gemacht.
                                                            Auch in der Produktion ist Software schneller. Sie
Die Liste solcher Neuerfindungen herkömmlicher              kann durch Wiederverwendung, durch Modularisie-
Produkte lässt sich mühelos fortsetzen: Zahnbürs-           rung und dank global verteilter Entwicklungszentren
ten, die durch eine Bluetooth-Verbindung zum                sehr schnell realisiert werden. Und sie lässt sich über
Smartphone ein neues Lifestyle-Produkterlebnis              digitale Kanäle in kürzester Zeit in grosser Anzahl an
schaffen. Fernseher, die zum Multifunktionstermi-           die Kunden und Anwender ausliefern. Sicherheitsup-
nal werden. Telefonanlagen, die mit vier Tasten und         dates und neue Funktionalitäten werden bereits heu-
einem Display mehr leisten als Grossanlagen mit             te binnen weniger Tage via kabelgebundenem oder
über 100 Tasten. Dongles für Videoangebote und              mobilem Internet an Millionen von Anwendern ver-
Einkaufserlebnisse. Spielzeug, das sich mit den Lern-       teilt. Tesla beispielsweise hatte nach Batteriebränden,
fähigkeiten der Kleinen mitentwickelt. Online-Zei-          die durch Unterbodenbeschädigungen verursacht
tungen und -Zeitschriften, die sich an unsere Inter-        wurden, mit einem Update reagiert. Dieses sorgt
essen und Lesegewohnheiten anpassen. Und auch               dafür, dass das Fahrzeug auf Schnellstrassen einige
vor den klassisch hardwarezentrierten Branchen wie          Millimeter höher über dem Boden liegt. Die Wahr-
dem Maschinen- und Anlagenbau oder der Auto-                scheinlichkeit einer Beschädigung sinkt. Automobil-
mobilindustrie macht die Software nicht halt. Die           hersteller könnten künftig Probleme und Millionen
Bedeutung für den Anwender verschiebt sich zu-              aufwändiger Rückrufe ähnlich elegant lösen.
nehmend von der hardwaretechnischen Ingeni-
eurskunst zum Softwaredesign: Fernkonfigurierbare           Solange Scottys Beam noch Fiktion ist – mit den
CNC-/Bearbeitungszentren. Fahrzeuge, welche das             Möglichkeiten der 3-D-Drucker könnte das aber in
Cockpitdesign und die Innenraumbeleuchtung den              einer nicht ganz fernen Zukunft Realität werden –,
Vorlieben der Nutzer oder die Ausleuchtung der              schlägt Software Hardware: sowohl in der Entwick-
Fahrbahn den Umgebungsbedingungen anpassen.                 lungsgeschwindigkeit als auch in der Verteilung auf
All dies wird nur durch Software möglich.                   den Märkten.

12   | swissfuture | 03/16
Wertschöpfung durch Software                                              und über die Nutzer liefern. Elon Musk von Tesla ant-
Als Folge der Eigenschaften von Software als Be-                          wortete auf die Frage, wann mit einer verbesserten
standteil von Produkten erfolgt auch die Wert-                            Version des Autopiloten zu rechnen ist: jeden Tag,
schöpfung zunehmend mit oder durch Software.                              denn Tesla macht sein Auto auf Basis der gewon-
Eindrucksvoll nachvollziehen lässt sich das am Ver-                       nenen Daten jeden Tag ein bisschen besser3.
gleich von Apple und Samsung. Samsung liefert die
Hardware und Apple auch noch das Betriebssystem.                          Daten erlauben gepaart mit intelligenten Algorith-
Wenngleich Samsung einen höheren Marktanteil hat,                         men ein sehr genaues Verständnis der Nutzer. Das
so verdient Apple neunmal mehr an einem Gerät als                         wiederum ist die Basis für massgeschneiderte Ange-
Samsung1.                                                                 bote und Werbung. Dieses «Profiling» setzte bislang
                                                                          auf Daten der Vergangenheit und war sozusagen ein
Wertschöpfung erfolgt aber nicht nur ‹mit› Software,                      Blick in den Rückspiegel. Mit künstlicher Intelligenz
sondern auch ‹durch› Software. Ohne Software und                          und durch die Anreicherung der eigentlichen Daten-
Vernetzung wären Geschäftsmodelle wie bei Uber,                           basis mit Informationen aus anderen Quellen sind
facebook oder Airbnb nicht denkbar. Ein Prinzip ist                       bereits heute sehr gute Prognosen zum künftigen
bei diesen Geschäftsmodellen fast immer, dass die                         Verhalten des Produktes und seiner Nutzer möglich.
digitalen Assets den Zugang zu Leistungen eröffnen
– häufig in der analogen Welt. Ein zweites Prinzip: Vor                   Als Beispiel haben wir eine MagicBox, bestückt mit
allem die jungen Unternehmen aus dem Silicon Val-                         zahlreicher Sensorik, in Fahrzeuge nachgerüstet. Wir
ley richten ihr Angebot nicht auf einzelne Regionen                       konnten anhand der gewonnenen Daten in Echtzeit
aus, sie zielen immer gleich auf die gesamte Welt.                        den Verschleiss von Reifen, Bremsscheiben und Öl er-
Und das aus gutem Grund: Denn Software ist am ge-                         mitteln. Unter Berücksichtigung der Jahreszeiten, der
winnträchtigsten, wenn sie global skaliert. Vernet-                       Wetterprognose, dem Kalender des Nutzers mit den
zung und Software bereiten (noch) den nahezu bar-                         geplanten Reisezielen und einigen weiteren Quellen
rierefreien Zugang zu den Märkten.                                        ist es möglich, die Beanspruchung mit einer erstaun-
                                                                          lich geringen Unsicherheit vorherzusagen und so
Zu beobachten ist eine Konvergenz der Branchen.                           den Austauschtermin nahe an den Zeitpunkt der Ver-
Unter dem Label Industrie 4.0 wachsen Maschinen-                          schleissgrenze heranzuführen. Das Material wird auf
bau und IT-Industrie zusammen, durch das Con-                             diese Weise bestmöglich genutzt, Verschwendung
nected Car die Automotive-Branche und die IT- sowie                       vermieden, das Portmonee und die Zeit des Nutzers
Telekommunikationsindustrie. Sobald die Fahrzeuge                         werden geschont.
autonom unterwegs sind (Level 52), kommen weitere
Industrien wie zum Beispiel die Medienindustrie oder                      Wer die Datenhoheit hat, hat die Produkthoheit –
der Handel hinzu. So ist etwa vorstellbar, dass das                       und damit den Customer Touchpoint. Es wird immer
Auto um Virtual-Reality-Technologien erweitert wird                       deutlicher, dass diese Erkenntnis der Konsumgüter-
und so zu einem Tante-Emma-Laden mit individu-                            industrie auch für die Investitionsgüterindustrie gilt.
ellem Angebot wird, in dem wir unsere Einkäufe wäh-
rend der Robotaxi-Fahrt erledigen. Die Lieferung der                      Software wiegt nichts
bestellten Waren erfolgt dann mit einem anderen Ro-                       Software wiegt nichts und hat dennoch ein enormes
botaxi, also quasi mit einem «Uber for goods».                            Gewicht. Gerade für die Mobilität der Zukunft spielt
                                                                          reales Gewicht eine besondere Rolle, insbesondere
Ein weiterer Aspekt: Wenn das Auto die Fahrt über-                        hinsichtlich der Emissionsmengen bzw. der Reich-
nimmt, steht uns Fahrern «neue» Zeit zur Verfügung.                       weite. Komfort- und Sicherheitsmerkmale werden
Zeit, die etwa von der Medienindustrie durch auf den                      bereits heute durch softwarebasierte Systeme in
individuellen Arbeitsweg zugeschnittene Serien ge-                        modernen Automobilen bestimmt. Diese Systeme
füllt werden könnte. Die zukünftigen Wertschöp-                           reduzieren nicht oder nur marginal die Reichwei-
fungsketten werden folglich nicht nur horizontal,                         te von Elektrofahrzeugen und erhöhen auch nicht
sondern auch vertikal verlaufen.                                          die Emissionen. In Zeiten des Leichtbaus ist das ein
                                                                          ökologisch bedeutender Faktor. Software kann künf-
Datenhoheit = Produkthoheit                                               tig sogar dafür sorgen, dass Treibstoffverbrauch und
Software in herkömmlichen Produkten wie Medien-                           Emissionen um 15 bis 20 % sinken, indem das Fahr-
geräten, Autos oder industriellen Bearbeitungszen-                        profil automatisch der Topologie angepasst wird.
tren in den Fabriken wird besonders beflügelt durch                       Bereits heute gibt Software LKW-Fahrern Empfeh-
die Vernetzung. Produkte erzeugen eine Menge an                           lungen zu Beschleunigung und Verzögerung. Das
Daten. Daten, die Aufschluss über deren Nutzung                           Ergebnis ist ein um 10 % reduzierter Treibstoffver-
1 https://curved.de/news/apple-verdient-pro-smartphone-neun-              brauch. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern
mal-mehr-als-samsung-162513, 31.10.14
2 Level 5 = voll autonomes Fahren ohne Eingreifen eines Passagiers,       3 Tech Insider: Elon Musk had a killer quote about the new feature coming
ohne Lenkrad und Pedalerie, s. https://de.wikipedia.org/wiki/Autonomes_   to Teslas. 15.10.2015, http://www.techinsider.io/elon-musk-explains-tes-
Fahren, 12.9.16                                                           la-autopilot-2015-10, 12.9.16

                                                                                                                                    | Auto 4.0 |   13
Sie können auch lesen