Tierwohl in der Nutztierhaltung - Agrarsoziale Gesellschaft e.V.
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A G R A R S O Z I A L E G E S E L L S C H A F T E. V. Schwerpunkt Tierwohl in der Nutztierhaltung ASG-Frühjahrstagung in Münster Eiweißanbau in Deutschland Interviews Johannes Röring Präsident Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband Thomas Schrader Präsident Deutscher Tierschutzbund H 20781 | 65. Jahrgang | 02/2014 | www.asg-goe.de
Inhaltsverzeichnis ASG 1 Am Rande notiert – ASG-Vorsitzender Dr. Martin Wille 2 ASG-Frühjahrstagung 2014 in Münster: Mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung 8 Vorstands- und Kuratoriumssitzung mit Vortrag von Dr. Juliane Rumpf: Rolle und Bedeu- tung von Netzwerken für die ländliche Entwicklungspolitik 10 Stiftung Tassilo Tröscher – Für die Menschen im ländlichen Raum: Zustiften heißt Gutes tun Agrarpolitik 12 Neues von der agrarpolitischen Bühne: Fast wie im richtigen Leben Landwirtschaft 14 EU-USA-Freihandelsabkommen in der Kritik 16 Regiomaten – Vertriebsweg für regionale Produkte 19 „Vom Acker in den Futtertrog“ – mehr Leguminosen in die Fruchtfolge Ländlicher Raum 22 Miteinander im Naturpark „Unteres Saaletal“ – Landwirtschaft und Naturschutz als Partner Schwerpunkt Tierwohl in der Nutztierhaltung 25 Eine gute Mensch-Tier-Beziehung lohnt sich 28 Indikatoren für Tiergerechtheit 32 Tiergerechtheit landwirtschaftlicher Nutztierhaltung: Verbesserungen durch ergebnis- orientierte Honorierung? 34 Interview mit Johannes Röring, Präsident Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband, und Thomas Schröder, Präsident Deutscher Tierschutzbund: Tierhaltung braucht gesell- schaftliche Akzeptanz 39 Fütterung und Tierwohl in der Geflügelhaltung 40 Tierschutz beim Transport – Wohlbefinden bei den Tieren? 42 Tierschutz und schonendes Schlachten 43 Nachhaltige Tierhaltung – Zielkonflikte zwischen Tier- und Umweltschutz Personalien 46 Imke Ettori stellvertretende Präsidentin des ASG-Kuratoriums 46 Barbara Otte-Kinast neue NLV-Vorsitzende Film- und Lesetipps 46 Film: Die schöne Krista 46 Leb wohl, Schlaraffenland. Die Kunst des Weglassens 47 Bauernhofpädagogik als Einkommens-Chance 47 Raus auf’s Land! 47 Frauen in der Landwirtschaft. Debatten aus Wissenschaft und Praxis 47 Die Zukunft der Bioenergie Aus der Forschung 48 Tierschutzrelevante Phänomene in der Mastputenhaltung 48 Verbesserung der Eiweißversorgung im Ökologischen Landbau 48 Neue Beteiligungs- und Steuerungsprozesse in der ländlichen Entwicklung Foto Titelseite: M. Busch | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
Am Rande notiert 1 Die Agrarsoziale Gesellschaft hat sich in den letzten drei Jahren mehrfach mit Fragen der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung auseinandergesetzt. Im Rahmen der Herbstta- gung 2011 ging es schwerpunktmäßig um Akzeptanzprobleme der modernen Tierhaltung im ländlichen Raum. Bei der Frühjahrstagung 2014 in Münster, über die wir in diesem Heft berichten, haben wir anknüpfend an die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD angekündigte Tierwohl-Offensive nachgefragt, wie es um die Umsetzung verschiedener Initiativen zur Verbesserung des Tierwohls steht und was dazu künftig erwartet werden kann. Ergänzend werden in dieser Ausgabe in verschiedenen Kurzbeiträgen weitere kon- troverse Fragen zur Tierhaltung beleuchtet. Wir wollen damit deutlich machen, dass wir uns mitten im Prozess eines gesellschaftlichen Dialogs befinden, der auch grundsätzliche Fragen der Tierethik berührt und an dem aus unserer Sicht möglichst viele gesellschaft- liche Gruppen beteiligt werden sollten. Welche Auswirkungen dieser Dialog auf die Nutztierhaltung der Zukunft haben wird, ist offen. Viel wird davon abhängen, wer im Diskussionsprozess die überzeugenderen Argumente haben wird und schließlich die tierschutzbewegten Bürgerinnen und Bürger als Konsumenten überzeugen kann. Immer mehr Menschen haben Zweifel am System und an den Praktiken, beginnend bei der Zucht, über die Haltung bis zu Transport und Schlachtung. Es gibt massive Kritik wegen der Umwelt- und Tierschutzprobleme, die durch große Tierbestände und regionale Viehdichten ausgelöst werden. Immer mehr Menschen lassen sich von den Bildern hochgezüchteter Tiere auf engstem Raum ab- schrecken und wollen als Vegetarier gänzlich auf Fleisch verzichten. Andere bekennen sich zur veganen Lebensweise. Sie sind der Auffassung, dass Tiere eigene Rechte haben und weder genutzt noch getötet werden dürfen. Bereits jetzt ist eine Trendumkehr bei der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung erkennbar. Die durch niedrige Schlachthoflöhne gestützte internationale Wettbewerbsfähigkeit wird mit Einführung des Mindestlohnes verlorengehen. Einer weiteren regionalen Konzentra- tion werden durch vielfältige ordnungsrechtliche Auflagen Grenzen gesetzt. Überall im Lande stellen zudem örtliche Bürgerinitiativen gegen den Bau neuer Ställe Stopp-Schilder auf. „Die Zeiten der unregulierten Massentierhaltung sind vorbei“, ruft der grüne nieder- sächsische Landwirtschaftsminister inzwischen erfreut ins Land und kündigt weitere Auf- lagen an. Bei dieser Auflagenpolitik will das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft allerdings nicht stehen bleiben. Wenn Verbraucher laut einer Emnid- Umfrage großen Wert auf Wahlfreiheit und eine klare Kennzeichnung von tierischen Erzeugnissen legen, dann solle man ihnen durch Einführung eines Tierschutzlabels die notwendige Entscheidungshilfe geben. Die Initiative der Universität Göttingen und des Deutschen Tierschutzbundes zur Einführung eines zweistufigen Labels wird deshalb seitens der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt und unterstützt. Was wird aus dieser Initiative werden? Wird sie die notwendige breite Unterstützung bekommen? Ich melde Zweifel an und blicke dabei vor allem auf die neue Tierrechtsbewegung. Sollte sie noch mehr Anhänger finden und Zulauf erhalten, dann könnten auch die Bemühungen der Tierschutz- und Umweltverbände um mehr Tierschutz im Stall und um eine naturnähere, bäuerliche Landwirtschaft ins Leere laufen. Wir von der ASG haben es daher für wichtig gehalten, auf der diesjährigen Frühjahrstagung eine Philosophin und Vertreterin der Tierrechtsbewegung in den Dialog einzubeziehen. Ihr StS a.D. Dr. Martin Wille Vorsitzender des Vorstandes der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
2 ASG ASG-Frühjahrstagung 2014 in Münster: Mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung Minister Johannes Remmel betonte in seinem Grußwort Anteil der Vegetarier habe sich in den letzten zur Frühjahrstagung der Agrarsozialen Gesellschaft Jahren auf 2 % verdoppelt. Er appellierte daher, e.V. die Bedeutung der Ernährungswirtschaft für NRW. sich ernsthaft mit tierethischen Aspekten ausein- Mit 400 000 Arbeitsplätzen trage sie mehr zur Beschäf- anderzusetzen. tigung bei als die chemische Industrie. Die Tierhaltung werde auch in Zukunft eine hohe Bedeutung haben. Die Umsetzungsprozesse der im Koalitionsver- Häufig werde über bestimmte Aspekte der Tierhaltung trag vereinbarten Ziele stünden erst an ihrem An- – wie Eingriffe am Tier oder Gülle im Grundwasser – fang, so Dr. Katharina Kluge. Es sei beabsichtigt, diskutiert, jedoch zu wenig über das Gesamtsystem die kritische Diskussion zur Tierhaltung in der gesprochen, das sich in diesen Phänomenen zeige. Öffentlichkeit aufzunehmen und eine nationale Remmel warb für eine nachhaltige Tierhaltung, die in Tierwohloffensive zu entwickeln. Die Koalitions- einer Gesamtbetrachtung ökologische, soziale und partner hätten vereinbart, die Sachkunde von ökonomische Aspekte und den Tierschutz beinhaltet. Tierhaltern zu fördern, ein bundeseinheitliches Dies sei keine Aufgabe des einzelnen Betriebs, son- Prüf- und Zulassungsverfahren für Tierhaltungs- dern müsse gesellschaftlich und politisch gelöst werden. systeme zu erarbeiten, EU-weit einheitliche und höhere Tierschutzstandards durchzusetzen, sich Dr. Martin Wille wies darauf hin, dass seit der Grün- für ein EU-Tierschutzlabel nach deutschem Vor- dung von NEULAND vor über 25 Jahren das Thema bild einzusetzen, eine flächengebundene Nutz- Tierwohl immer mehr in das Zentrum der gesellschaft- tierhaltung anzustreben und eine tiergerechte lichen Diskussion gerückt sei. Zwischenzeitlich sei die Nutztierhaltung zu fördern. Zudem solle der wis- Käfighaltung von Legehennen verboten worden, Tier- senschaftliche Diskurs über Indikatoren für eine schützer forderten eine Agrarwende, wie sie schon tiergerechte Nutztierhaltung auf den Weg ge- 2002 von der damaligen Bundeslandwirtschaftsminis- bracht sowie die Agrarforschung besser verzahnt terin Renate Künast eingeleitet worden sei, und der und u. a. im Bereich Tierwohl verstärkt werden. Fotos: M. Busch „Die Tierhaltung steht in Nordrhein-Westfalen im Fokus „Ich bin ein bisschen enttäuscht vom Stand der der Agrarpolitik, wir haben eine Reihe von Maßnahmen DAFA-Strategie, weil ich erwartet hatte, dass damit auf den Weg gebracht.“ in vielen Bereichen der Agrarwissenschaft ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden sollte, den ich für notwendig erachte.“ Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Dr. Martin Wille, Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen Vorsitzender des Vorstandes der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
ASG 3 passungen des Ordnungsrechts seien auch beim „Nach meiner Einschätzung ist Deutschland innerhalb Immissionsschutzgesetz und bei der Nutztierhaltungs- der EU kein Vorreiter für den Tierschutz.“ verordnung anzustreben. MinR‘in Dr. Katharina Kluge, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Bonn Die aktuelle Diskussion über den Einsatz von Anti- biotika in der Tierhaltung und über Antibiotikaresis- tenzen mache deutlich, dass die konsequente Ver- Die Charta für Landwirtschaft und Verbraucher besserung der Tiergesundheit in der Zukunft von nenne verschiedene Maßnahmen: Ein Teil, wie die zentraler Bedeutung für landwirtschaftliche Betriebe Änderung des Tierschutzgesetzes mit dem Verbot sei, betonte Dr. Bernhard Schlindwein. Dies gelte der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2019 und auch für eine tiergerechtere Haltung. Im Zentrum die Einführung einer tierschutzbezogenen betrieb- der Diskussion stünden die Kastration männlicher lichen Eigenkontrolle, sei bereits umgesetzt worden. Ferkel und das routinemäßige Kürzen des Schwan- Angestrebt werde der Verzicht auf nicht-kurative zes bei Schweinen. Eingriffe, sobald Alternativen zur Verfügung stün- den. Die Grundlage für die Weiterentwicklung des Von führenden Vertretern der Landwirtschaft, der Tierschutzes stelle die Forschung dar. Um den Fleischwirtschaft und des Lebensmitteleinzelhan- Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis dels sei die „Initiative Tierwohl“ für die Geflügel- und zu fördern, würden zusätzlich 21 Mio. € für Modell- Schweinefleischerzeugung gegründet worden. Da- und Demonstrationsvorhaben zur Verfügung gestellt. mit sei ein klares Bekenntnis für eine nachhaltige Fleischerzeugung unter Berücksichtigung des Tier- wohls sowie der Tiergesundheit und des Tierschut- „In der Nutztierhaltung sind deutliche und rasche zes erfolgt. Vorreiter für die Zusammenarbeit unter- Veränderungen notwendig und keine Trippelschritte.“ schiedlicher Organisationen sei das in NRW in Gründung befindliche „Forum zur Verbesserung von Dr. Ludger Wilstacke, Abteilungsleiter im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Tiergesundheit und Tierwohl“. Ziel sei eine Vertie- Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes fung der Tiergesundheits- und Tierwohlberatung Nordrhein-Westfalen und deren flächendeckende Etablierung in der Be- standsbetreuung. Der Aufbau einer Datenbank, prä- ventive Hygienemaßnahmen und die Weiterentwick- In den Bereichen Umweltschutz, Tierschutz, Tier- lung der Beratung zum Vermeiden von Caudopha- gesundheit und bei der gesellschaftlichen Akzeptanz gie (Schwanzbeißen bei Schweinen) seien Teil des der heutigen Nutztierhaltung bestünden Defizite, be- Konzepts. Beteiligt seien die Landwirtschaftskam- tonte Dr. Ludger Wilstacke. Um dauerhafte und um- fassende Lösungen zu finden und zu implementieren und damit der Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen die Zukunft zu sichern, verfolge die Landesregierung den Ansatz einer „Nachhaltigen Nutztierhaltung“. Im Rahmen einer Gesamtstrategie würden ver- schiedene Wege erarbeitet und umgesetzt. Hierzu gehörten erstens Veränderungen im Bereich Mei- nungsbildung, die zu einem Wandel des Konsum- verhaltens führen könnten. Zweitens gäbe es För- dermaßnahmen, die die Mehrkosten der Betriebe honorierten, und Vereinbarungen zwischen unter- schiedlichen Partnern wie in der Tierwohlinitiative, die von den Wirtschaftsbeteiligten ausging. Die NRW-Erklärung zum Verzicht auf das routinemäßige Kürzen der Schwänze bei Schweinen sei dagegen von Wirtschaftsakteuren und Politik initiiert worden. „Letztlich ist es besser, nach dem Leithammelprinzip vorzugehen, d. h. es müssen die Landwirte sein, die Ein drittes Handlungsfeld sei die Weiterentwick- vorangehen.“ lung und Durchsetzung des bestehenden Rechts. Dr. Bernhard Schlindwein, Dr. Wilstacke wies in diesem Zusammenhang auf Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband e.V. das Verbot der Tötung männlicher Küken hin. An- | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
4 ASG Dr. Doris Lange Hubert Beringmeier Jörn Bender lesen lasse, ob das Ziel einer Verbesserung der „Mit der „Strategie Nutztiere“ hat die Deutsche Agrar- Nutztierhaltung erreicht worden sei. Das Cluster forschungsallianz (DAFA) ein Konzept vorgelegt, wie der „Ländlicher Raum“ widme sich u. a. der Frage, wie Sektor aus der politischen Dauerkrise geführt werden regionale Konzentrationen der Nutztierhaltung zu könnte.“ bewerten seien und wie sie ggf. im weiteren Verlauf Dr. Doris Lange, durch Politikmaßnahmen gesteuert werden könnten. Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA) Die drei Cluster „Rind“, „Schwein“ und „Geflügel“ hätten die Aufgabe, verbesserte Verfahren der Nutztierhaltung zu entwickeln. mer NRW, verschiedene Erzeugerringe, die Tierärz- Jochen Dettmer bezeichnete Tierschutzlabels als tekammern in NRW, die Tierseuchenkasse NRW, wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Tierwohls. Verbände der Landwirtschaft sowie die IQ-Agrar Eine glaubhafte Kontrolle sei jedoch notwendig. Der Service GmbH als Datenbankdienstleister. Wissen- Marktanteil in Europa sei sehr unterschiedlich: Wäh- schaftlich begleitet werde das Forum durch die rend in Deutschland Bio und Neuland zusammen Fachhochschule Südwestfalen. bei Fleischprodukten nur einen Marktanteil von 1 % hätten, trage in Frankreich 70 % des Frischgeflügels Ziel der DAFA-Strategie sei es, die Nutztierhaltung das „Label Rouge“. in Deutschland messbar zu verbessern und best- möglich mit den gesellschaftlichen Erwartungen in In Deutschland sei das zweistufige Tierschutzlabel Einklang zu bringen, so Dr. Doris Lange. Die zu des Deutschen Tierschutzbundes die erste Kenn- behandelnden Themen würden in sechs Clustern zeichnung, die auf wissenschaftlichen Erkenntnis- bearbeitet. Im ihrer Überzeugung nach wichtigsten sen basiere und sofortige Verbesserungen für die Cluster „Gesellschaft“, solle (a) ermittelt werden, Tiere mit sich bringe. Schon in der weiter verbreite- welche konkreten Erwartungen die Bevölkerung an ten Einstiegsstufe hätten die Tiere u. a. 20-50 % die Tierhaltung habe, (b) welche mehr oder weniger mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben, Schweine wichtig seien und (c) wie die Bevölkerung die Ziel- erhielten immer Stroh zur Beschäftigung und alle konflikte bewerte. Zusätzlich solle untersucht wer- Tiere hätten mehr Zeit zum Heranwachsen. Heute den, wie es in einer globalisierten Marktwirtschaft würden in 8 000 Filialen verschiedener Handelsket- überhaupt gelingen könne, Nutztiere entsprechend ten (Kaiser‘s Tengelmann, Netto, EDEKA, Lidl) Pro- der formulierten Erwartungen zu halten. Im Cluster dukte mit dem Tierschutzlabel verkauft oder könnten „Indikatoren“ werde u. a. ein Monitoring-Konzept bestellt werden. Die Premiumstufe werde zzt. aus- aufgebaut, aus dem sich im Laufe der Jahre ab- gebaut: EDEKA Minden-Hannover habe angekün- digt, die Vermarktungskette einer ihrer Bio-Eigen- marken zusätzlich für die Premiumstufe des Tier- „Die Universität Göttingen hat herausgefunden, schutzlabels zertifizieren zu lassen, und EDEKA dass der Markt für Produkte mit Tierschutzlabel in Südwest habe bereits Produkte der Premiumstufe Deutschland 20 % beträgt. Das ist ein Segment und im Sortiment. Ein Problem stelle die abwartende keine Nische mehr.“ Haltung des Handels angesichts der geplanten branchenweiten Initiative zum Tierwohl dar. Letztlich Jochen Dettmer, entscheide der Handel, was Verbraucher kaufen Bundesgeschäftsführer NEULAND e.V. könnten. | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
ASG 5 Jochen Dettmer Dr. Katharina Kluge Dr. Ludger Wilstacke Dr. Hermann-Josef Nienhoff z. B. für die Gabe von Raufutter 2 € pro Schlacht- „Wir wollen mit der branchenweiten Initiative zum schwein. In der Summe handele es sich um Tierwohl für die Gesamtheit der Verbraucher etwas 65 Mio. € im Jahr. Als nächstes seien konkrete erreichen und trotzdem konkurrenzfähig bleiben.“ Branchenvereinbarungen und Selbstverpflich- Dr. Hermann-Josef Nienhoff, tungserklärungen sowie eine Vorstellung der Geschäftsführer der QS Qualität und Sicherheit GmbH Initiativen beim Bundeskartellamt beabsichtigt. und Koordinator der Initiative zum Tierwohl. Wenn alles nach Plan laufe, könnten noch 2014 die ersten Tierwohl-Audits durchgeführt werden. Die in der Landesvereinigung Ökologischer Mit der branchenweiten Initiative zum Tierwohl Landbau NRW organisierten Ökoverbände Bio- für Schweine und Geflügel hätten sich Landwirt- kreis, Bioland, Demeter und Naturland hätten schaft, Fleischwirtschaft und Lebensmitteleinzel- 2012 beschlossen, einen verbandsübergreifen- handel (LEH) gemeinsam zur Förderung einer den Tierwohlleitfaden sowie zugehörige Bera- tiergerechten und nachhaltigen Fleischerzeugung tungschecklisten zu entwickeln, so Jörn Bender. bekannt, so Dr. Hermann-Josef Nienhoff. Voraus- Dies sei dann in einem vom Landwirtschaftsmi- setzung für die Teilnahme der Tierhalter sei die nisterium (MKULNV) NRW geförderten Projekt Erfüllung bestimmter Grundanforderungen, in der erfolgt, das bis 2014 laufe. 350 der rund 1 000 Schweinemast z. B. die Teilnahme am QS-Antibio- Verbandsbetriebe in NRW seien bereits von tikamonitoring und die Auswertung von Schlacht- qualifizierten Beratern in Augenschein genom- befunden. Hinzu käme die Anforderung, entweder men und beraten worden. Am Tier selbst könne Zugang zu Raufutter zu gewähren oder mindes- am besten festgestellt werden, ob es ihm gut tens 10 % mehr Platz anzubieten, sowie weitere gehe. Besonders beachtet würden der Ernäh- Wahlkomponenten. Der Mehraufwand der Tierhal- rungszustand, der Gesundheitszustand, der ter solle unabhängig vom Marktpreis durch den Pflegezustand und der Zustand von Stall und LEH honoriert werden. Dies sei in einer im Sep- Futter. Ziel sei erstens, besonders auffällige tember 2013 u. a. von Aldi, Lidl, Kaiser’s Tengel- Betriebe zu identifizieren und mit einem konse- mann und REWE unterschriebenen Absichtserklä- quenten Beratungskonzept zu betreuen, und rung vereinbart worden. Der Tierwohl-Beitrag des zweitens solle die Tierhaltung in allen Ökobe- LEHs von etwa 4 Cent je kg Fleisch oder Wurst trieben weiter verbessert werden. Landwirte, die werde wahrscheinlich über eine Clearingstelle an auf gutem Niveau arbeiteten, nach Einstufung die Erzeuger ausgezahlt werden. Diese erhielten durch das dreistufige System der Checkliste neben dem Basisbonus von 500 € pro Betrieb aber noch Verbesserungsbedarf aufwiesen, erhielten in einer Betriebsberatung Anregungen für eine zusätzliche Optimierung. Drittens wür- „Es geht nicht hauptsächlich darum, gesellschaft- den die Erkenntnisse aus der großen Zahl von liche Ansprüche zu erfüllen. Wir wollen mehr Tier- Betriebsbesuchen dazu genutzt, Stärken, wohl.“ Schwachstellen und Entwicklungspotenziale der ökologischen Tierhaltung zu erfassen und Jörn Bender, zu analysieren. Die Ergebnisse würden anschlie- Vorstandsmitglied der Landesvereinigung Ökologischer Landbau NRW ßend der landwirtschaftlichen Beratung und den Entscheidungsträgern zur Verfügung gestellt. | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
6 ASG Der LEH werde in den nächs- ten Jahren für voraussichtlich 30 bis 50 % der Schweine mehr Tierwohl finanzieren und dies auch kommunizieren, so Dr. Nienhoff. Er verstehe nicht die Skepsis der Erzeuger. Der Kriteriensatz sei ein Wunsch- katalog für die Landwirte. Die Sorge, dass die gesetzlichen Haltungsvorschriften nach Ein- führung der Branchenlösung verschärft werden würden, könne er den Tierhaltern nicht Hildegard Schulze-Grotthoff, nehmen, jedoch bezweifle er, Schweinehalterin aus Greven dass der Gesetzgeber gegen das Votum der Branchenver- „Wir brauchen viel mehr Aktivitäten in der Wertschöpfungs- treter handeln werde. kette, wie z. B. die Tierwohlinitiative oder das Tierschutz- label. In der Diskussion ist deutlich geworden, dass das Weitgehende Einigkeit bestand darin, dass der Vertrauen zwar wächst, sich aber noch beweisen muss.“ LEH die entscheidende Rolle für den Erfolg der Dr. Ludger Schulze Pals, Tierwohlinitiative und des Tierschutzlabels spiele. Chef-Redakteur von „top-agrar“ Während Dr. Nienhoff jedoch von einer vertrauens- vollen Zusammenarbeit sprach, ging Jochen Dett- mer davon aus, dass der LEH Brancheninitiative und Tierschutzlabel gegeneinander ausspiele. Diskussion Uneinigkeit bestand ebenso in der Frage, inwieweit die Verbraucher/-innen auf ihr widersprüchliches Auf Nachfrage von Moderator Dr. Ludger Schulze Verhalten – Tierwohl zu fordern und billige tierische Pals erläuterte Dr. Wilstacke das Vorgehen zum ge- Produkte zu kaufen – aufmerksam gemacht werden planten Verzicht auf das routinemäßige Schwänze- sollten. Während Hubertus Beringmeier, Vorsitzen- kupieren in NRW. Nach einer Informations- und Be- der des Veredelungsausschusses des Westfälisch- ratungsoffensive für Schweine haltende Betriebe Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV), die und die Tierärzteschaft im Jahr 2014, würden 2015 Mündigkeit der Konsumenten betonte, plädierte betriebsindividuelle Maßnahmenpläne und erste Dr. Clemens Dirscherl für einen geringeren Fleisch- Umsetzungsschritte folgen. Eine flächendeckende konsum und Jörn Bender äußerte die Befürchtung, Anwendung der Maßnahmen sei für 2016 geplant, dass die Tierwohlinitiative zum Alibi für Verbraucher/ sofern deren Erprobung erfolgreich verlaufe. Das -innen werden könnte. Ministerium begrüße die Tierwohlinitiative, inwieweit die Tierhaltung hierdurch verbessert werde, sei je- Georg Freisfeld wider- doch noch nicht abschätzbar und hänge von deren sprach der Auffassung, Entwicklungsfähigkeit, ihrer Marktdurchdringung und dass es in der Tierhal- von verlässlichen Kontrollen ab. tung eine 30-jährige Fehlentwicklung gege- Während es nach Dr. Schlindweins Ansicht noch ben habe: Die Verluste keine Lösung für das multifaktoriell bedingte Schwanz- in der Schweinehaltung beißen gibt, wies Dr. Kluge auf eine Reihe von For- seien in den letzten schungsergebnissen zu diesem Thema hin, die eine Jahren stark verringert Grundlage für die Beratungsinitiative der Bundesre- worden, was die Ver- gierung seien. Hildegard Schulze-Grotthoff stand besserungen zeige. der Tierwohlinitiative kritisch gegenüber. Die Ver- Er plädiere für Leis- braucher/-innen könnten nicht erkennen, woher das tungsdaten als Tier- Produkt komme, ihre (gute) Tierhaltung werde nicht Georg Freisfeld, stellv. wohlindikator. Geschäftsführer des deutlich und der Auszahlungsbetrag sei zu gering, Erzeugerrings Westfalen zudem befürchte sie hohe Verwaltungskosten. | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
ASG 7 Der Forderung Dr. Willes nach einem Paradigmen- das Töten, das ohne guten Grund (z. B. Schutz des wechsel in der Forschung widersprach Dr. Wilstacke, eigenen Lebens) moralisch nicht begründbar sei. da es keinen Konsens darüber gebe, wie das neue Paradigma aussehen solle und Veränderungen in Ge- Sezgin kritisierte den Begriff „Nutztier“, der das sellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft in der Regel Recht zur Nutzung zu implizieren scheine. Gleich- langsam verliefen. Es sei auch nicht notwendig, erst zeitig verbinde der Mensch mit diesem Begriff das die großen Lösungen zu finden, bevor mit Verände- Recht, Nutztieren mehr zuzumuten als anderen rungen begonnen werden könne. Die Diskrepanzen Haustieren. Hielten wir Katzen und Hunde auf die- zwischen dem Wissensstand in der Forschung und selbe Weise, würde es als Tierquälerei angesehen. dem in der Beratung und weiter zu einem Teil der landwirtschaftlichen Praxis und der Nahrungsmittel- Moderator Dr. Clemens Dirscherl industrie seien erheblich. Eine bessere Vernetzung gab zu bedenken, dass die Ent- sei notwendig, aber nicht als Selbstzweck, wie es in wicklung der menschlichen Zivili- den letzten zehn Jahren manchmal den Anschein ge- sation auf der Nutzung von Tieren habt habe. Wenn neue formalisierte Abläufe geschaf- beruhe, denen nach biblischem fen würden, käme man nicht schnell genug voran. Verständnis innerhalb der Schöp- Auch Jochen Dettmer forderte, keine neuen Gremien fungsordnung nicht der gleiche zu schaffen, sondern zusätzliche Mittel im Rahmen Rang zukomme wie dem Men- bestehender Initiativen wie dem Tierschutzplan Nieder- schen. Er kritisierte, dass der Ver- sachsen oder dem runden Tisch in Bayern einzusetzen. zicht auf Nutzung einen Kulturver- lust bedeute, entweder in Form von Esskultur oder von bestimm- After-Dinner-Speech ten menschlichen Existenzformen Hilal Sezgin forderte die Ta- wie z. B. nomadischen Viehzüch- Dr. Clemens Dirscherl, Beauf- gungsgäste beim After-Dinner- terkulturen. Dem widersprach tragter für agrarsoziale Fragen Speech auf, das Thema Nutz- Sezgin: Nicht alles, was die der Evangelischen Kirche in tierhaltung und Tierwohl noch Menschheit je hervorgebracht Deutschland einmal grundlegend zu überden- habe, müsse um jeden Preis er- ken, indem sie die Frage stellte halten werden. Manche Dinge, wie z. B. die Haltung – und moralphilosophisch be- von Sklaven, die der Menschheit große Fortschritte gründete –, ob wir Tiere über- ermöglicht habe und von der sie heute noch profitiere, haupt nutzen dürften und wenn sei für uns völlig inakzeptabel. Die Menschen hätten ja, wie. Die bisherige Diskussion auch das Tier als Arbeitskraft und Nahrungsquelle über Tierwohl sei ihrer Meinung lange benötigt, inzwischen wären sie darauf aber nach zu begrenzt: Sie betrachte nicht mehr angewiesen. Gleichzeitig stellte sie klar, den Ist-Zustand, erkenne Ver- dass ihre Forderungen nicht pauschal für alle Kul- besserungsbedarf und gebe „ein turen der Welt gelten, sondern ein Appell an die Hilal Sezgin, Philosophin und Publizistin, Autorin des Buches bisschen was dazu“. Jeder, der westlichen Industrieländer seien, ihren Umgang „Artgerecht ist nur die Freiheit“ mit Tieren lebe oder arbeite, wis- mit Tieren zu überdenken. se, dass Tiere empfindungsfähi- ge Wesen seien, die Gefühle wie Neugier, Langeweile Während Dr. Dirscherl die Ansicht vertrat, dass oder Angst kennen. Moral bestehe für sie deshalb da- Tiere sowohl für die Erschließung von Grünland- rin, auf das Wohl, die Interessen und die Gefühle eines flächen für die menschliche Ernährung als auch anderen Rücksicht zu nehmen und nicht nur das zu für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit wichtig seien, tun, was einem selbst bequem sei, gleichgültig, ob wies Sezgin darauf hin, dass es einen Gülleüber- der andere dadurch leide. Die drei größten morali- schuss gebe und fehlender tierischer Dünger der- schen Probleme der heutigen Nutztierhaltung seien zeit kein Problem sei, auch wenn die Nutztierzahl aus ihrer Sicht: in Deutschland reduziert werde. das durch Züchtung und die Lebensbedingungen in Auf die Frage, wie es denn mit der emotionalen den Ställen verursachte konkrete Leiden der Tiere, Nutzung von Tieren stehe, antwortete Sezgin, dass der Mensch einen emotionalen Gewinn aus dem die Tatsache, dass wir ihnen kein vollständiges Zusammenleben mit Tieren ziehe, der moralisch Leben ermöglichten – zu einem vollständigen relevante Punkt sei jedoch, ob er das Tier dabei Leben gehöre z. B. das Ausleben des ganzen seinen Interessen unterwerfe oder nicht. Verhaltensrepertoires, | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
8 ASG Rolle und Bedeutung von Netzwerken für die ländliche Entwicklungspolitik Dr. Juliane Rumpf In unserem beruflichen und privaten Leben erhalten Netzwerke eine immer stärkere Bedeutung. Auch im sozialen Miteinander im ländlichen Raum nutzen wir die Vorteile von Netzwerken. Dies habe ich anhand von zwei praktischen Beispielen aus Schleswig-Holstein bei einer gemeinsamen Sitzung von Vorstand und Kuratorium der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. in Frankfurt/M. verdeutlicht. Beispiel 1: Zukunftsstrategie tung sind. Weitere Handlungsfelder Beispiel 2: MarktTreffs Daseinsvorsorge im Amt ergeben sich aus den Workshops mit landesweitem Hüttener Berge in den Gemeinden, es sind u. a. Partner-Netzwerk Nahversorgung, ärztliche Versor- Die demografische Entwicklung gung, bauliche Entwicklung, Nachbar- Das zweite Beispiel beschreibt der Bevölkerung ist für die ländli- schaftshilfe/Ehrenamt, dörfliche den MarktTreff, die neue Art der chen Räume die große Heraus- Gemeinschaft, Kindergärten, Feuer- Grundversorgung aus Schleswig- forderung der kommenden Jahre. wehr. Die Teilnehmer der Work- Holstein. MarktTreffs sind leben- Zur Bewältigung der damit ver- shops beantworteten die Fragen dige Marktplätze zum Einkaufen, bundenen Probleme hat das Amt für Dienstleistungen, als Treff- Hüttener Berge im Kreis Rends- 1. Was ist in unserem Dorf punkt – maßgeschneidert für das burg-Eckernförde mit seinen 16 besonders gut (Stärken)? jeweilige Dorf. Nach einem Drei- Gemeinden eine Zukunftsstrate- Säulen-Modell der gemeinsamen 2. Was bereitet mir Sorge gie Daseinsvorsorge entwickelt. Verantwortung entscheiden Be- (Schwächen)? Herzstück bilden 25 Workshops treiber, Gemeinde und Bürgerin- in allen Gemeinden des Amtes, in 3. Was muss besser werden? nen und Bürger, welche Priorität denen rund 800 interessierte Bür- und welches Gewicht gerinnen und Bürger, Gemeinde- Die Antworten wurden Hand- vertreter, Akteure aus Wirtschaft, lungsfeldern zugeordnet (s. Über- 1. das Kerngeschäft der Ver- und Entsorgung sowie Mitar- sicht) und erste Lösungsansätze Nahversorgung, beiter des Amtes – moderiert entwickelt. Sie werden jetzt in 2. der Bereich der Dienst- durch eine Unternehmensbera- gemeindeübergreifenden und ge- leistungen und tung – in einem Dialog Kernpunk- meindeinternen Arbeitsgruppen te erarbeitet haben. In jeder Ge- weiter ausgearbeitet. Eine Liste 3. der Bereich Treffpunkt meinde wurden zunächst die Er- guter Beispiele aus der Praxis gebnisse einer kleinräumigen dient dabei als wertvolle Hilfe. in der Ausgestaltung ihres Markt- Bevölkerungsprognose für den Erste konkrete Ergebnisse wie Treffs künftig einnehmen sollen. Zeitraum 2009 bis 2025 vorge- eine Nachbarschaftshilfe-Börse Im Laufe der Zeit hat sich eine stellt. Die Ergebnisse sind über- werden bereits umgesetzt. Besonderheit entwickelt: Die raschend unterschiedlich und MarktTreffs werden von einem zeigen unterschiedliche Hand- Dieses erste Beispiel zeigt, dass landesweiten Partner-Netzwerk lungsbedarfe auf. Diskussionen viele Akteure, hier Bürgerinnen unterstützt. Dazu gehören neben wurden zunächst zu den Hand- und Bürger, Gemeindevertreter, Akteuren aus dem ländlichen lungsfeldern Innenentwicklung Anbieter von kommunalen Leis- Raum wie dem Bauernverband und ÖPNV/Mobilität geführt, die tungen, Ver- und Entsorger, im auch Sozialdienstleister wie für alle Gemeinden von Bedeu- Dialog vielfältige Informationen AWO-Landesverband und Diako- erhalten und geben können. Die nie, Bildungseinrichtungen wie Akteure formulieren auf der einen Volkshochschulen und Bücherei- Dr. Juliane Rumpf Seite ihre unterschiedlichen Be- verein und viele mehr. Sie alle Ministerin für Landwirtschaft, dürfnisse und tragen auf der an- sind Sprachrohr, Beteiligte, Fach- Umwelt und ländliche Räume deren Seite ihre Kompetenzen, leute, die ihr Wissen über das Foto: Foto Wagner des Landes Schleswig-Hol- Ideen und Lösungsansätze zu- Netzwerk, den Beirat, einbringen. stein a.D., Sehestedt sammen. Daraus entwickeln sie Tel. (04357) 712 effektiv und effizient sowohl die Die MarktTreff-Betreiber treffen ju-rumpf@t-online.de Herausforderungen als auch die sich zweimal jährlich an wech- Problemlösungen. selnden MarktTreff-Standorten | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
ASG 9 zum Erfahrungsaus- Es fällt nicht schwer, sich diese Art zeigt, wie bereichernd ein Netzwerk tausch, z. B. über Nahver- von Netzwerk auch bundesweit vor- unterschiedlicher Partner bei der sorgung und Marketing. zustellen, um die Handlungsbedar- strategischen Weiterentwicklung und Die MarktTreff-Gemein- fe und Lösungsansätze zu definie- Problemlösung sein kann. Die neue den diskutieren einmal ren. Es sind viele kompetente Ak- Förderperiode der Europäischen Ge- jährlich über ehrenamtli- teure – haupt- und ehrenamtlich – meinschaft bietet Hilfen und Chancen ches Engagement, Dorf- in der ländlichen Entwicklungspolitik zur Weiterentwicklung unserer ländli- entwicklung u. ä. Der tätig. Sie alle definieren aus ihrer chen Räume. Diese Hilfen sollten wir Beirat aller MarktTreff- Kompetenz heraus die Herausfor- mit Hilfe eines großen Netzwerkes Partner berät einmal jähr- derungen der Zukunft und machen annehmen, die Chancen ergreifen lich Themen wie Konzept- Lösungsvorschläge. Insbesondere und aus der gemeinsamen Arbeit he- Weiterentwicklung oder das erste hier beschriebene Bei- raus kompetente Ansprechpartner für bestimmte Kooperations- spiel zeigt, dass die Bedürfnisse oft offizielle Einrichtungen des Bundes projekte. Ständige Schnitt- an ganz anderer Stelle liegen als und Europas sein. Die Agrarsoziale stelle und Koordinator von Politik und Verwaltung vermu- Gesellschaft ist die ideale Einrichtung bildet das MarktTreff- tet. Der Dialog mit den Betroffenen in dem Prozess, als „Spinne im Netz“ Projektmanagement. macht Sinn! Das zweite Beispiel mit einer koordinierenden Rolle. Dieses Beispiel zeigt, Übersicht der Handlungsbedarfe und Themenschwerpunkte dass Netzwerke gema- nagt werden müssen. Sie Innenent- wicklung Mobilität/ Nachbar- (Betreuungs-) Angebote Seniorenan- Ärztliche Nahversor- Sonstige Schwerpunktthe- brauchen Regeln und schaftshilfe/ Feuerwehr und bauliche ÖPNV für Kinder/ gebote Versorgung gung men Ehrenamt Entwicklung Jugendliche Rahmen, regelmäßige Treffen und konkrete Ver- Ahlefeld-Bistensee ³ ! ! ! ³ ³ Finanz- und Wirtschaftsent- wicklung abredungen. Und sie Ascheffel ! ! ³Ș ³Ș ³Ș Was kann das Dorf? brauchen Veränderung Borgstedt ³ ³ ! ³Ș ³ ³ ³ ³ Jugendbeteiligung und Belebung durch neue Brekendorf ! ! ³Ș ³ ³ Attraktivität der Gemeinde Mitwirkende, sie müssen Bünsdorf ³ ! ! ! ³ ³ Tourismus erneuert und aktualisiert Damendorf ³ ! ³ ! ³ ³ Attraktivität der Gemeinde werden. Dabei sollten Groß Wittensee ! ³ ! ! ! ³ ³ Kosten und Nutzen aus- Haby ³ ! ! ! ! ³ ³ gewogen und die Win-win- Holtsee ³Ș Ș ! ! ³ ³Ș Werterhalt von Immobilien, der Holtsee Situation erhalten bleiben. Holzbunge ! ³ ! ³ ³ ³Ș Natur-/ Wanderwege Hütten ! ³Ș ³ ³Ș ³Ș Freizeit Bundesweites Netz- Klein Wittensee ³ Ș ! ! ! ³ ³ Nachnutzung Feuerwehrgerä- tehaus ! ! werk sollte bei Weiter- Neu Duvenstedt ³ ³ ³ ³ ³ ³ Nachnutzung landwirtschaftli- cher Gebäude ! ! ! ! ! entwicklung ländlicher Osterby ³Ș ³Ș ³Ș ! ! Räume helfen Owschlag ³ ³ ³ ³ ³ ³ Attraktivität der Gemeinde Beide Beispiele verdeut- Sehestedt ³ ! ! ³Ș ³Ș ! lichen die Rolle und Be- Summe 2 12 12 8 11 1 0 10 deutung von Netzwerken Summe ! 4 5 12 8 10 0 0 2 im ländlichen Raum so- Summe ³ 11 4 3 5 2 15 16 6 wohl auf regionaler als = bereitet der Gemeinde Sorge ³= Kein Handlungsbedarf auf Workshops angezeigt auch auf Landesebene. Ș= Handlungsbedarf nur von BürgermeisterIn angezeigt ! = Themenschwerpunkt im Workshop Quelle: zukunftsstrategie Daseinsvorsorge für die Gemeinden des Amtes Hüttener Berge Literatur Institut Raum & Energie: Zukunftsstrategie Daseinsvorsorge für die Gemeinden des Amtes Hüttener Berge, Wedel, Oktober 2013 (siehe auch unter www.amt-huettener-berge.de). Lorig, A.: Netzwerke – Innovationsmotoren lernender ländlicher Räume in Bund-Länder-Gemeinschaft, in: Dokumen- tation der Begleitveranstaltungen der ArgeLandentwicklung, 7. Zukunftsforum Ländliche Entwicklung, 22. Januar 2014: Netzwerke, Interkommunale Kooperationen, S. 6-10. Michael, M.: Konkreter Nutzen von Netzwerken und Kooperationen für die Regionalentwicklung, und Mariétan, G.: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen von Netzwerken und Kooperationen, in: Netzwerke und Kooperationen in der Regionalentwicklung, regiosuisse – Netzwerkstelle Regionalentwicklung, Praxisblatt 03/13. Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, |MarktTreff, ASG | Ländlicher Raum |ews Projektmanagement 02/2014 | group, Lübeck.
10 ASG Stiftung Tassilo Tröscher – Für die Menschen im ländlichen Raum: Zustiften heißt Gutes tun Die Lebens- und Arbeitssituation der Menschen in den ländlichen Regionen zu verbessern, diesem Bestre- ben hat Tassilo Tröscher sein berufliches Engagement gewidmet und verlieh ihm auch privat mit der Grün- dung einer Stiftung dauerhafte Wirkung. Die gemeinnützige Stiftung Tassilo Tröscher kann dem Die Stiftung Tassilo Tröscher finanziert mit den Erträ- Anliegen ihres Gründers umso besser gerecht werden, gen aus dem Stiftungsvermögen die Preisgelder des je größer ihr Stiftungsvermögen ist. Deshalb sind, ne- seit 1995 alle zwei Jahre veranstalteten Wettbewerbs ben Spenden, auch Zustiftungen von großer Bedeu- und erfüllt auf diese Weise ihren Zweck, herausragende tung, denn anders als Spenden, die zeitnah für konkre- Initiativen zu unterstützen, die ihrem Umfeld neue Im- te Projekte ausgegeben werden müssen, werden Zustif- pulse geben. Bisher wurden 23 Projekte ausgezeichnet. tungen dem Stiftungskapital zugeführt und bleiben dort Darunter finden sich u. a. Initiativen aus den Bereichen erhalten. Je höher das Kapital ist, desto höher können Naturschutz, Kultur und Daseinsvorsorge, Projekte der auch die ausgeschütteten Erträge sein. Über eine Zu- Dorfentwicklung, der Kinder- und Jugendbildung oder stiftung nachzudenken, lohnt vor allem dann, wenn sich auch Einzelpublikationen und bewusstseinsbildende jemand für einen bestimmten Zweck engagieren möch- Kampagnen. Bei vier von ihnen haben wir nachgefragt, te, jedoch ohne den Gründungsaufwand einer eigenen wie es nach der Preisvergabe weiterging. Diese stellen Stiftung zu betreiben. wir im Folgenden vor. Günter Brack Stiftung – Für Umwelt und Kultur in Rauenthal Für die Idee, mit Hilfe einer Stiftung und der Arbeit von Ehrenamtlichen den Landschaftsplan der Stadt Eltville in die Tat umzusetzen, im Zuge dessen Landschaftspflegemaßnahmen durchzuführen und ökologische Ausgleichsprojekte auch zugunsten der Weinbergsflurneuordnung zu übernehmen, wurde die Günter Brack Stiftung 2007 ausgezeichnet. Schwerpunkt der Stiftungsarbeit blieb in den ersten drei Jahren nach der Preisverleihung die Rekultivierung brachgefallener und verbuschter Streuobstwiesen nach den Vorgaben des Landschaftsplanes mit dem Ziel, artenreiche Biotope zu schaffen und die historisch gewachsene Land- schaftsstruktur auch für die nächsten Generationen zu erhalten. Weiter wur- de ein Wanderwegenetz entwickelt und gefördert. Damit dürfte im Bundes- gebiet das erste Beispiel geschaffen worden sein, dass eine Stiftung den Landschaftsplan einer Kommune auf ehrenamtlichem Weg umgesetzt hat. Foto: J. Schnepf 2009 wurde in die Stiftungssatzung zusätzlich die Förderung der außer- schulischen Umweltbildung aufgenommen. Erste geförderte Projekte waren eine Natur AG der Grundschule und die Einrichtung eines Gartens der hei- Stifter mit Natur AG der Grundschule mischen Vielfalt als Lernort für die außerschulische Umweltbildung. Das Fa- zit aus zwölf Jahren Stiftungsarbeit: Eine Stiftung bietet große Chancen kreativ, innovativ, flexibel und politisch unabhängig zu planen sowie effektiv zu gestalten. Foto: Einheitsgemeinde Stadt Bismark Generationenübergreifendes Wohnen in Kläden Ziel des Projektes, für das Kläden (heute Teil der Einheitsgemeinde Stadt Bismark (Altmark)) 2009 den Preis erhielt, ist das Wohnen bzw. Wohnen bleiben älterer und jüngerer Menschen in der Gemeinde. Kern des Vor- habens war die Umnutzung des seit 2005 leerstehenden Sekundarschul- gebäudes zu einem seniorengerechten Wohnhaus mit Begegnungsmög- lichkeiten für alle Generationen. Ab 1. Juli 2011 konnten die insgesamt zehn barrierefreien Wohnungen be- zogen werden und waren in kürzester Zeit vermietet. Wie geplant, hat auch Feierliche Einweihung 2011 die Volkssolidarität einen Stützpunkt im Gebäude eingerichtet. Darüber hin- | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
ASG 11 aus sind Unterkünfte für Touristen entstanden sowie eine Teestube, in der die Bewohner des Hauses einmal in der Woche gemeinsam frühstücken. Bei dieser Gelegenheit kommen auch alte Freunde und Nachbarn vorbei und bestehende Kontakte können weiterhin gepflegt werden. Die Aula dient jetzt als Raum für gemeinsame Ver- anstaltungen wie Adventsfeiern oder Buchlesungen und wird auch vom Stadtrat der Einheitsgemeinde für Sit- zungen genutzt. Außerdem sind die Kinder der örtlichen Kita oder des Vereins „Kinderwünsche-Kinderträume e.V.“ dort immer wieder mit kleinen Darbietungen oder bei gemeinsamen Feiern zu Gast. In dem nun als „Medi- endorf“ bezeichneten Raum befindet sich eine kleine Bibliothek, deren Bestand in Zusammenarbeit mit der Bib- liothek in Bismark von Zeit zu Zeit ausgetauscht wird. Die Wandlung der alten Schule zum neuen sozialen Orts- mittelpunkt gab Rückenwind für weitere Projekte, wie z. B. die komplette Sanierung der in direkter Nachbar- schaft gelegenen Kegelbahn. Grüne Schule grenzenlos e.V. Foto: C. Weidensdorfer 2011 wurde der Verein Grüne Schule grenzenlos e.V. für sein großes eh- renamtliches Engagement und seine Aktivitäten zur Wiederbelebung des Ortes Zethau/Sachsen ausgezeichnet. Der Verein betreibt eine außerschu- lische Jugendbildungsstätte mit Schwerpunkt Umwelterziehung, Waldpäda- gogik sowie internationalen Begegnungen und trägt mit zahlreichen Projek- ten gleichzeitig zur Dorfentwicklung bei. Von Anfang an stützte sich der Verein dabei auf die ehrenamtliche Hilfe der Zethauer. Dieses Engagement besteht ungebremst fort. Beispielsweise wurde mit zahllosen Ehrenamtsstunden über mehrere Jahre hinweg das historische Zethauer Oehmehaus zu einem Flachsmuseum umgestaltet. Flachs ist auch das Leitmotiv, unter dem Zethau zu einem Themendorf wei- terentwickelt und auf diese Weise das touristische Angebot in der Region erweitert werden soll. Zuletzt gewann der Ort im Oktober 2013 für dieses Themendorf-Konzept den ersten Preis im Wettbewerb „Lebendige Gemein- Flachsverarbeitung zum Anfassen den im Silbernen Erzgebirge“, ausgeschrieben vom Verein „Landschaf(f)t Zukunft“, Träger der Integrierten Ländlichen Entwicklung im ILE-Gebiet „Silbernes Erzgebirge. Gemeinde Duchroth im Kreis Bad Kreuznach/Rheinland-Pfalz Eine weitere Auszeichnung ging 2011 an die Gemeinde Duchroth und ihre Bürger/-innen für ihre kreativen Ideen und umfangreichen Eigenleistungen im Kampf um den Verfall landwirtschaftlicher Bausubstanz und um die Wie- Foto: B. Backes derbelebung des Ortes. Kernstück der Bewerbung war der Umbau eines denkmalgeschützten leerstehenden Anwesens zum Künstlerhaus und Dorf- treff, dessen Förderung im Rahmen des rheinland-pfälzischen Dorferneue- rungsprogramms vor kurzem bewilligt wurde. Den baren Eigenanteil von ca. 12 000 € konnte die Gemeinde nur mit Hilfe von Spenden und Preisgeldern Ausstellungen im Künstlerhaus (auch dem der Tassilo Tröscher-Stiftung) erbringen. 2015 soll die Sanierung voraussichtlich zum Abschluss kommen. Doch bereits seit 2012 sind die Duchrother hier aktiv und haben das Gebäude mit inzwischen über 2 000 Stunden Eigenleistung soweit hergestellt, dass es für Ausstellungen und Dorffeste genutzt werden kann und wird. Junge Künstler der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main, denen die Gemeinde seit 2009 im Rahmen des Kunstprojekts „landschaft“ eine Plattform bietet und denen das Haus als Arbeitsstätte vor Ort zur Verfügung stehen soll, haben ebenfalls ihre Ideen in dieses Projekt eingebracht. Um engagierte Menschen, deren Ideen und Begeiste- wichtige Projekte im ländlichen Raum. Zustiftungen rung einen ganzen Ort oder eine Region bewegen, in sind, wie Spenden, als Sonderausgaben steuerlich ab- Zukunft noch besser unterstützen zu können, bittet Sie zugsfähig. Die Tassilo Tröscher Stiftung kann auch un- die Stiftung Tassilo Tröscher um Zustiftungen. Eine ein- terstützt werden, indem sie im Testament bedacht wird, malige Zustiftung bedeutet eine dauerhafte Unterstüt- beispielsweise im Rahmen eines Vermächtnisses oder zung für die Stiftung Tassilo Tröscher und damit für durch Einsetzung als Allein- oder Miterbe. Kontakt und weitere Informationen: Hans Jörg Tröscher, Lahnstr. 44d, 65195 Wiesbaden, Tel. (0611) 40 15 02, hansjoerg.troescher@arcor.de | ASG | Ländlicher Raum | zu Informationen 02/2014 | allen Preisträgern finden Sie unter: www.asg-goe.de/preistraeger.shtml
12 Agrarpolitik Neues von der agrarpolitischen Bühne: Fast wie im richtigen Leben Vom Auf und Ab einer flotten Dreierbeziehung, nicht eingelösten Drohungen und einer glücklichen Fügung Wer bislang geglaubt hatte, die Herkunft, gelang es den agrarpoliti- Priesmeier verzweifelt, aber hilflos, Große Koalition sei lediglich eine schen Sprechern von CDU/CSU Holzenkamp enttäuscht, verärgert aus kühlen Machterwägungen und SPD, Franz-Josef Holzenkamp und zum Äußersten entschlossen begründete und einem unklaren und Wilhelm Priesmeier, mit ihrem – das Direktzahlungen-Durchfüh- Wahlergebnis geschuldete Zweck- jeweiligen Gefolge überraschend rungsgesetz – und mit ihm gar die gemeinschaft mit eingebautem schnell, den gordischen Knoten durch- Große Koalition (?) – stand nach Verfallsdatum, wurde zuletzt eines zuhauen und ein versandfertiges Informationen aus gewöhnlich gut Besseren belehrt. Liebe und Lei- Kompromisspaket zu schnüren. unterrichteten Kreisen am Abgrund. denschaft, Verrat und Versöhnung, Greening ja, aber nicht zu grün, Herzeleid und Happy End – CDU, Zwischenfrüchte ja, aber nur mit Weil aber so viel Dramatik ums CSU und SPD auf den Spuren von guter Gülle und nicht mit bösem Greening in einer nicht alle Einzel- Romeo und Julia, Harry und Sally, Kunstdünger, chemischer Begleit- heiten durchschauenden und ge- Laurel und Hardy. Amour fou statt schutz für Leguminosen und schließ- wöhnlich nur punktuell agrarisch Vernunftehe aus Staatsräson, of- lich absoluter Bestandsschutz für interessierten Öffentlichkeit mögli- fenkundig geworden am Direktzah- Grünland in FFH-Gebieten und cherweise nicht ohne Weiteres und lungen-Durchführungsgesetz – weitgehende Sicherung außerhalb in allen Landstrichen hätte nach- wer hätte das gedacht? lauteten die Grundlinien der gera- vollzogen werden können und Koa- dezu als historisch empfundenen litionen in der Politik wie im Leben Die nationale Umsetzung der Einigung. Beseelt von dem erreich- gemeinhin letztendlich an neuen wahlweise von unabhängiger Seite ten Ausdruck an großkoalitionärer Partnern und nicht an ökologischen als Murks oder Riesenmurks cha- Harmonie ließen die Protagonisten Vorrangflächen scheitern, zogen rakterisierten jüngsten Reform der sogleich die ganze Welt per Presse- die Familienoberhäupter in Person Gemeinsamen Agrarpolitik lieferte mitteilung an ihrem Glück teilhaben. der Fraktionsvorsitzenden Volker den Rahmen für die Ménage-à-trois Kauder und Thomas Oppermann mit allen dafür notwendigen Zuta- Die allerdings ist, wie sollte es an- sowie der CSU-Landesgruppenvor- ten. Nur vordergründig hatten die ders sein, nicht nur gut, sondern sitzenden Gerda Hasselfeldt die Länderagrarminister mit ihrem Ein- mitunter voller Neid und Missgunst. Notbremse und nahmen ihre Zög- stimmigkeitsbeschluss im letzten Vom liebestrunkenen Priesmeier linge in die Pflicht. Die ergaben sich Herbst den Weg für die Anwendung nicht höchstpersönlich unter vier der Zwangsbeglückung ohne Wi- der Wünsch-dir-was-Reform geeb- Augen bei Wein und Grünkern- derworte, aber unter vernehmba- net. In Wahrheit waren die großen Schnitzel ins Bild gesetzt und oben- rem Murren der Unionisten ob der Entscheidungen nicht getroffen drein von berufsmäßig notorisch Unzuverlässigkeit des anvertrauten worden und blieben – wie sollte es unzufriedenen und politisch mäch- SPD-Partners und besiegelten den auch anders sein – der Großen Ko- tigen Umweltverbänden getrieben, Bund ein weiteres Mal. alition vorbehalten. Greening oder stemmten sich die SPD-Umwelt- growing as usual auf ökologischen politiker unter ihrem Wortführer Insgeheim sollen die Vertreter von Vorrangflächen, grünes Licht oder Matthias Miersch dem Liebesglück CDU und CSU allerdings überaus rote Karte für Zwischenfrüchte, entgegen und verlangten Genug- erleichtert über die Entwicklung ge- chemischer Pflanzenschutz für tuung. Beeindruckt von derlei wesen sein. Hatten sie doch mehr Leguminosen oder die Ackerbohne innerfamiliärer Widerspenstigkeit als einmal und mit finsteren Mienen im freien Wettbewerb mit dem wurde Priesmeier zuerst reu- und das Scheitern des Gesetzes ange- Unkraut? Mit diesen und anderen dann wankelmütig. In einem kurz- droht, sollte der sozialdemokrati- Grundfragen der hiesigen Landwirt- fristig anberaumten Paargespräch sche Partner den Bogen überspan- schaft im 21. Jahrhundert sahen bekräftigten die schwarzen und ro- nen. Man stelle sich vor, den voll- sich die schwarz-roten Unterhänd- ten Partner unter weiter verschärf- mundigen Worten hätte die Tat ler konfrontiert, als sie unlängst ten Bedingungen beim Grünland folgen müssen. Mancher CDU- daran gingen, Antworten zu finden. ihren Treueeid. Allerdings kann Agrarier hätte die dann ausbleiben- bekanntlich der Frömmste nicht in de Umschichtung in die 2. Säule Offenkundig getragen von ihrer Frieden leben, wenn es dem bösen womöglich ebenso klammheimlich gemeinsamen niedersächsischen Nachbar immer noch nicht gefällt. begrüßt wie den Verzicht auf eine | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
Agrarpolitik 13 Umverteilung zugunsten der ersten Bundestagswahl ihre liberale Eine europäische Entscheidung Hektare. In der CSU wäre dies mit Speerspitze abhandengekommen über eine als „Opt-out-Regelung“ Sicherheit ganz anders gesehen ist. Nicht zuletzt im Windschatten bekannt gewordene Möglichkeit, worden, wären auf diese Weise der FDP-Agrarsprecherin Christel dass Mitgliedsstaaten den Anbau doch nicht mehr als 90 Mio. € zu- Happach-Kasan, die die Rolle der von zugelassenen gentechnisch sätzlich an die bayerischen Bauern gentechnischen Kettenhündin ohne veränderten Pflanzen auf ihrem geflossen. Unter Geschwistern sol- Furcht und mit erkennbarem per- Hoheitsgebiet untersagen können, len schon nichtigere Anlässe zu un- sönlichen Genuss ausfüllte, lebte steht seit zwei Jahren aus. Die widerruflichen Zerwürfnissen ge- es sich nicht schlecht als potenziell Bundesregierung hatte dies stets führt haben. Vier Jahrzehnte nach der Gentechnik freundlich gesonne- im Schulterschluss mit Belgien, Kreuth nun Greening? Geschichte ner Landwirtschaftspolitiker der Frankreich und Großbritannien zu wiederholt sich nicht. CDU. Denen gelang es in den verhindern gewusst und zuletzt jüngsten Koalitionsverhandlungen „Prüfvorbehalte“ als Begründung Dabei war das junge Glück kurz mit den in dieser Frage bereits voll- für Stimmenthaltung angeführt. zuvor bereits einmal auf die harte ständig gegreenten Sozialdemokra- Zwischenzeitlich hatte Großbritan- Probe gestellt worden. Im Mittel- ten und Christsozialen nur vorüber- nien allerdings signalisiert, dass punkt dabei die CDU und deren all- gehend mit größter Mühe, einiger man einer Opt-out-Regelung auf mählicher, aber zielgerichteter Ab- Prosa und Rückendeckung von der Grundlage eines Vorschlages schied von ehemals Unumstößli- ganz oben, einen vorzeitigen Abge- der griechischen Ratspräsident- chem. Gewisse Auflösungserschei- sang auf die Grüne Gentechnik in schaft zustimmen könnte. Damit nungen in ihren Reihen waren im der Koalitionsvereinbarung abzu- fehlt es an der notwendigen Stim- Hinblick auf die einst in Stein ge- wenden. Allzu tragfähig war das je- menzahl gegen Opt-out. Im Klartext meißelte Lobpreisung der Grünen doch nicht, wie sich mittlerweile ge- bedeutete das: Eine qualifizierte Gentechnik als „die Zukunftstech- zeigt hat. Der Grund: Anstehende Mehrheit für eine nationale Aus- nologie des 21. Jahrhunderts“ be- Entscheidungen auf Brüsseler Ebe- stiegsregelung in der EU käme zu- reits seit geraumer Zeit unverkenn- ne über die Möglichkeit zum natio- stande, auch wenn Deutschland bar gewesen, ohne jedoch zum nalen Ausstieg aus dem GVO-An- sich mit Händen, Füßen und sonsti- Durchbruch zu kommen. Allerdings bau erforderten unangenehme gen Körperteilen dagegen sperrt. ist den Christdemokraten zugute Festlegungen. zu halten, dass sie sich in der Mei- Politisch vor die Wahl gestellt, nungsfindung zum einen generell Die undankbare Rolle des Abräu- weiter in Brüssel gegen das nicht schwerer tun als etwa ihre territorial mers vor der Abwehr fiel in dieser mehr Abwendbare zu kämpfen und beschränkte bayerische Schwester- Frage einmal mehr dem CDU-Quo- für ohnehin nur noch rudimentär partei. Zum anderen verfügen sie tenkönig Franz-Josef Holzenkamp vorhandene eigene Prinzipien zu zu ihrem eigenen Leidwesen auch zu. Umzingelt von Gentechnik-Geg- streiten oder kurzerhand eine sich über keinen Seehofer, Horst. Der nern in der eigenen Regierungsko- abzeichnende Niederlage in einen hatte dereinst bereits wenige Mo- alition, pausenlos attackiert von Sieg umzudeuten, entschied man nate nach seiner Berufung zum in Sachen Gentechnik erfolgsver- sich in der CDU aus verständlichen Bundeslandwirtschaftsminister wöhnten Umweltverbänden, nicht Gründen für das Letztere. In einem messerscharf erkannt, dass mit unterstützt von einem Bundesland- gemeinsamen Antrag mit SPD und Gentechnik kein öffentlichkeits- wirtschaftsminister, der in seinen CSU bekennt sich die Partei mittler- wirksamer Blumentopf zu gewinnen ersten Amtswochen neben Akten- weile zu einem Selbstbestimmungs- sei und seine Partei frei nach dem studium überwiegend damit be- recht der Mitgliedsstaaten beim Motto „Was stört mich mein Ge- schäftigt war, sich und seinem Um- GVO-Anbau. Im Ergebnis nimmt schwätz von gestern?“ fortan auf feld bewusst zu machen, dass er die CDU die Vorbehalte der Bevöl- einen solch strammen Anti-Kurs jetzt Minister und damit Chef ist, kerung gegen die Grüne Gentech- getrimmt, dass die Grünen seither unter Druck gesetzt von Abgeord- nik ernst, löste die Brüsseler Blo- um ihr Leib- und-Magen-Thema netenkollegen, denen Gentechnik- ckade und sorgte für eine vernünf- fürchten müssen. gegner in den Wahlkreisen aufs tige europäische Regelung. SPD Dach steigen, und schließlich kri- und CSU können ihrerseits mit Da hat es die von einer gelernten tisch beäugt von der Großen Vor- einigem Recht für sich reklamieren, Naturwissenschaftlerin geführte sitzenden und ihrem forschungs- die Koalition nach vorn gebracht CDU zweifellos ungleich schwerer. freundlichen Gefolge, stand der und einen zunächst uneinsichtigen Dies gilt umso mehr, als den im Südoldenburger vor einer schier Koalitionspartner auf den richtigen Agrarbereich in der Mehrzahl ten- unlösbaren Aufgabe. Aber: Wenn Pfad geführt zu haben. Ende gut, denziell gentechnikfreundlichen du denkst, es geht nicht mehr, alles gut. Rainer Münch Christdemokraten mit der letzten kommt von irgendwo ein Lichtlein her! | ASG | Ländlicher Raum | 02/2014 |
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