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Ausgabe 3 | 2019 Landinfo Schwerpunktthema: Biodiversität Informationen für die Landwirtschaftsverwaltung
Impressum Herausgeber Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung und Ländlichen Raum (LEL) Oberbettringer Str. 162 73525 Schwäbisch Gmünd Telefon: 07171/ 917-100 Telefax: 07171/ 917-101 Schriftleitung Susanne Mezger Telefon: 07171/ 917-114 E-Mail: susanne.mezger@lel.bwl.de Redaktionsbeirat Gottfried Bleyer, WBI Freiburg Stefanie Boos, ULB Schwarzwald-Baar-Kreis Martina Burkhardt, RP Stuttgart Dr. Michael Ernst, SfG Stuttgart-Hohenheim Dr. Peter Grün, LRA Schwäbisch Hall Jörg Jenrich, LTZ Karlruhe-Augustenberg Jürgen Käßer, LEL Schwäbisch Gmünd Robert Koch, LVG Heidelberg Marcus Köhler, LSZ Boxberg Renate Lindner, LAZBW Baden-Württemberg Andreas Maier, RP Karlsruhe Uwe Michelfelder, LVWO Weinsberg Daniela Schweikhart, ULB Heidenheim Karl-Heinz Vollmer, KoPF Marbach Layout Birgit Härter E-Mail: birgit.haerter@lel.bwl.de Hinweis Die namentlich gekennzeichneten Beiträge geben persönliche Auffassungen und Er- kenntnisse der abfassenden Personen wieder. Es wird jedoch keinerlei Gewähr für die Aktualität, Korrektheit, Vollständigkeit oder Qualität der bereitgestellten Informationen übernommen. Die Redaktion haftet nicht für außerhalb ihres Verantwortungsbereichs liegende direkte oder indirekte Verweise auf fremde Webseiten („Hyperlinks“). Eine Vervielfältigung oder Verwendung der Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung der Autorin /des Autors nicht gestattet. Erscheinungsdatum Juli 2019 ISSN 0947-9392 Titelbild Maximilian Mezger Landinfo 3 | 2019
Editorial Landinfo 3/2019 „Biodiversität in Gefahr - höchste Zeit zu handeln “ Biodiversität steht für die Vielfalt der Ökosysteme, die genetische Vielfalt und den Reichtum an Arten bei Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen. Bis vor kurzem konnten fast nur Naturwissenschaft- ler und Naturschützer etwas mit diesem Begriff anfangen. Heute ist er in aller Munde. Biodiversitäts- verlust ist neben Klimawandel das herausragende Thema im Umwelt- und Naturschutz. Der Weltbiodiversitätsrat der UN (Intergovernmental Science-Policy Platform in Biodiversity and Eco- sytem Services, kurz IPBES) kommt in seinem kürzlich veröffentlichten Zustandsbericht zu dem Er- gebnis, dass eine Millon Arten bzw. rund ein Achtel aller Arten vom Aussterben bedroht sind. Nicht nur die Natur ist in Gefahr, der Verlust der biologischen Vielfalt hat auch erhebliche globale ökonomische Auswirkungen und die weitere Nutzung der Ökosysteme für die Ernährung ist in Frage gestellt. Die Gefahren, die vom Biodiversitätsverlust ausgehen, werden inzwischen auch von politischen Entschei- dungsträgern und von der breiten Bevölkerung als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Das Ver- langen, dass sich etwas zugunsten der Biodiversität tun muss, veranlasste Hunderttausende von Men- schen in Bayern, die Initiative „Rettet die Biene“ zu unterstützen. Es ist zu erwarten, dass auch die entsprechende baden-württembergische Initiative Zuspruch finden wird. Auch wenn mittlerweile Konsens ist, dass für Biodiversität ein „Weiter-so-wie-bisher“ fatal wäre, wird doch nach wie vor allzu gerne über die Ursachen der Misere gestritten. Die Schuld und die Verantwor- tung bzw. Zuständigkeit für das Gegensteuern wird „bei den anderen“ gesehen. Je nach Perspektive sind das die industrielle Landwirtschaft, Emissionen von Verkehr und Industrie, Landschaftsverbrauch und -zerschneidung, Nachtbeleuchtung, Kieselstein-Vorgärten, Fleischkonsum usw. Die Uhr tickt. Höchste Zeit, dass sich alle Beteiligten, politische Entscheidungsträger, Wirtschaftsunternehmen, Kommunen und Bürger aufmachen, im eigenen Bereich tätig zu werden oder besser noch gemeinsam einen Betrag für die Biodiversität zu leisten. Die Landesregierung Baden-Württemberg hat mit dem Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt ein starkes Signal gesetzt. Die vorliegende Ausgabe der Landinfo beleuchtet verschiedene Hand- lungsfelder des komplexen Themas für die Landwirtschaft und die Landwirtschaftsverwaltung. Sowohl organisatorische Fragen wie Beratung, Kompensationsmaßnahmen oder Förderung als auch einzelne Tiergruppen oder pflanzenbauliche Kulturen werden in den Blick genommen. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und hoffe, dass Sie zur (weiteren) Unterstützung und Er- haltung der Biodiversität angeregt werden. Roland Großkopf Leiter Abteilung 3 - Ländliche Entwicklung und Landschaft Roland Großkopf LEL Tel.: 07171 917-413 roland.grosskopf@lel.bwl. de Landinfo 3 | 2019 3
Inhaltsverzeichnis Inhalt Editorial „Biodiversität in Gefahr - höchste Zeit zu handeln“ Großkopf 3 Aktuelles Miteinander statt übereinander reden Aichele 5 Schwerpunktthema Erhalten, was uns erhält Haessler et al 7 Projekt Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung – Kommunikation und Bildung Braun 10 Rebhuhn – Quo vadis? Greiner, Wischemann 13 Produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen in der Landwirtschaft Mössner 16 Mehrjährige Blühbrachen für Biodiversität und Bienen Wurtz 21 Landschaftserhaltungsverbände sind starke Partner für die Biodiversität Ebert 24 Mäh statt Mulch Strobl 26 Unbekannte Vielfalt sichtbar gemacht: Biodiversität in Strauchbeeren Zimmermann et al Steigerung der biologischen Vielfalt in Silomaisbeständen durch blühende Gemengepartner Schulz, Stolzenburg 32 Praxistest zu Zierpflanzen als Nahrungsquelle für Bestäuberinsekten Ruttensperger, Marquart 35 Die dicke Trespe - eine schützenswerte Wildpflanze Stock 38 Mitten im Leben Geschenke aus der Vorratshaltung – Selbstgemacht Pfaff, Czolbe 40 Personalveränderungen Betrieb und Markt FAKT – Nein danke? Schramek, Nitsch 44 Wie nachhaltig produzieren Öko-Betriebe in Baden-Württemberg? Reinsch 47 So wird der Direktvermarkter zum Chef Schweikhart 49 Pflanzen- und Tierproduktion Optimierung von Arbeitswirtschaft und Tiergesundheit in Kälberställen Schell 50 Insektenvielfalt fördern und Honigbienen gesund erhalten Stock-de Oliveira Souza 54 Gartenbau und Sonderkulturen Die Sorte macht’s – Beispiel Tomate Reinisch, Sauer 56 Wachsen oder weichen - Die Zukunft des Obstbaues in Baden- Württemberg? Bühler 59 Regional, vielfältig und verbrauchernah Jendrich 62 Aus den Dienststellen Sozialpartnerschaftliche Qualifizierungsinitiative Garten- und Landschaftsbau GaLa-Q Selcho 64 Kulinarische Produktbörse Hermann 66 Letzte Seite Biologische Vielfalt - der Reichtum der Natur 67 Redaktionsschluss der Ausgabe 4/2019: 9. September 2019 4 Landinfo 3 | 2019
Aktuelles Dominique Aichele Miteinander statt übereinander reden Das „Dialogforum Landwirtschaft und Naturschutz“ bringt Landwirtschaft, Verwaltung und Naturschutz an einen Tisch. D as Artensterben in der Feldflur nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Gleichzeitig sind landwirtschaftliche Betriebe einem enormen menarbeit mit landwirtschaftlichen Betrieben, mit den jeweiligen Landschaftserhaltungsverbänden sowie häufig mit den Kreisbauernverbänden ist Druck ausgesetzt. Der Preiskampf an den Märk- das Dialogforum noch bis März 2020 mindestens ten ist hart, der Verwaltungsaufwand steigt und in diesen acht Regionen anzutreffen: Bodensee- Politik und Öffentlichkeit haben hohe Ansprüche kreis, Böblingen, Breisgau-Hochschwarzwald, an die Produktionsbedingungen. Die Zusammen- Heidenheim, Karlsruhe, Main-Tauber-Kreis, Tü- arbeit mit Naturschutzverbänden kann Landwir- bingen und Tuttlingen. tinnen und Landwirten teilweise als zusätzliche Last erscheinen, auch wenn vielen von ihnen der Im Vordergrund der Veranstaltungen stehen In- Schutz der Biodiversität ein großes Anliegen ist. formationen aus der Praxis. „Uns ist es wichtig, dass sich die Landwirtinnen und Landwirte unter- In dieser oft angespannten Situation bietet das einander austauschen und gleichzeitig die Kennt- NABU-Projekt „Dialogforum Landwirtschaft nisse aus dem Naturschutz Berücksichtigung fin- und Naturschutz“ eine Möglichkeit, gemeinsam den. Nur so können Lösungen für die konkreten ins Gespräch zu kommen. Es ging 2015 mit dem Fragestellungen einer Region gefunden werden, Ziel an den Start, die Artenvielfalt in der Agrar- wozu auch typische Gegebenheiten wie Bodenbe- landschaft zu stärken und dabei praktikable und schaffenheit oder klimatische Besonderheiten ge- ökonomisch sinnvolle Maßnahmen vorzustellen. hören“, sagt Dominique Aichele. „Und natürlich Zwei Jahre lang besuchten rund 1.000 Teilneh- ist die Motivation für das Anlegen von Feldvoge- merinnen und Teilnehmer die 30 Dialogveranstal- linseln oder für den Erhalt und die Pflege von tungen im Land. Gefördert von der Stiftung Na- Feldrainen größer, wenn auch der Nachbar mit im turschutzfonds Baden-Württemberg stellte das Boot ist.“ Projekt in zwölf Regionen Workshops und Exkur- Treffen von Landwirten und sionen auf die Beine. Vor Ort auf den Höfen in- Was sollte in meiner Region für den Naturschutz Naturschützern auf dem Elfinger Hof bei einer der 30 Dialog- formierten sich Landwirtinnen und Landwirte, getan werden? Und welche Fördermöglichkeiten Forum-Veranstaltungen des Naturschutz-Aktive und Mitarbeitende aus der gibt es dafür? Diese Fragen beantworten im Rah- NABU. Bild: Sebastian Schwarz Verwaltung über schonende Bodenbearbeitung, gestaffelte Mahd oder das Anlegen von Blühstrei- fen. Oftmals ging es aber auch einfach darum, zu erfahren, wo in der Region „der Schuh drückt“. Dann war auch mal die Bewirtschaftung von FFH-Grünland das beherrschende Thema des Forums. Für die zweite Projektlaufzeit von 2018 bis 2020 hat sich das Team des NABU Baden-Württem- berg auf die Landwirtschaft in speziellen Gebie- ten konzentriert, wie Projektleiterin Dominique Aichele erläutert. „Wir möchten zeigen, wie die Landwirtschaft im Einklang mit den regionalen naturräumlichen Gegebenheiten auch in Schutz- gebieten möglich ist und wie die Erweiterung des Biotopverbunds gefördert werden kann. Und wir blicken auf Artenschutzprojekte, bei denen bei- spielsweise Maßnahmen für bedrohte Feldvögel erarbeitet und umgesetzt werden.“ In der Zusam- Landinfo 3 | 2019 5
Aktuelles men der Dialogveranstaltungen Fachleute aus den beim Dialogforum rund 50 Gästen stolz von den jeweiligen Landschaftserhaltungsverbänden, der Erfolgen berichten. Landratsämter oder der Landesinstitute. Teilweise weist das „Dialogforum Landwirtschaft und Na- „Diese Kooperation haben wir gerne vorgestellt, turschutz“ auch Berührungspunkte mit der Biodi- denn sie ist ein schönes Beispiel für die Grundidee versitätsberatung des Landes Baden-Württemberg unseres Projekts“, betont Dominique Aichele: auf. So besuchte das NABU-Projekt im Mai 2019 „Naturschutz gelingt gemeinsam.“ den Betrieb Zibold im Landkreis Ludwigsburg. Dort hatte Biodiversitätsberater Dr. Florian Wag- Das Projekt „Dialogforum Landwirtschaft und ner vor zwei Jahren festgestellt, dass die Pflege Naturschutz“ wird gefördert durch das Ministeri- NABU Baden- von Hecken und Feldrainen verbessert werden um für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Württemberg kann, um wertvollen Lebensraum für den Neun- Baden-Württemberg. Dominique Aichele töter und weitere Heckenvögel zu erhalten. Ge- Dominique.Aichele@ meinsam mit der Unteren Naturschutzbehörde Weitere Informationen: www.NABU-BW.de/dialog- NABU-BW.de brachte die Betriebsleiterfamilie die empfohlenen forumlawi Telefon: 0711 966 72-53 Pflegemaßnahmen auf den Weg. Und konnte Mehr Artenvielfalt mit bel für Lösungsmöglichkeiten. Jedoch ist der Ar- nachwachsenden Rohstoffen tenschutz eine gesamt-gesellschaftliche Verpflich- tung, die nur gemeinsam zu stemmen ist. Auf einer Biodiversitätstagung in Straubing zeigten Wissenschaflter wie sich bei nach- Im Verlauf der Tagung wurde deutlich, dass viele, wachsenden Rohstoffen ökologische Vorteile aber auch gegensätzliche Werkzeuge zur Steige- mit ackerbaulicher und forstlicher Produkti- rung der Biodiversität bereits vorhanden sind. Al- on kombinieren können. lerdings fehlt bislang ein gesellschaftlicher Kon- sens, wie diese eingesetzt und welche konkreten Die Jahre 2019 und 2020 will das bayerische Land- Ziele damit erreicht werden sollen. wirtschaftsressort zu „Biodiversitätsjahren“ ma- chen und die Vielfalt auf dem Acker in den Mit- Fazit der Veranstaltung: Es wird mehr Lebens- telpunkt seiner Arbeit stellen. Den Startschuss raumvielfalt in der Agrarlandschaft benötigt, die dazu bildete vergangene Woche die Tagung "Da ein räumliches und zeitliches Nutzungsmosaik blüht uns was – Mehr Biodiversität durch Nach- bietet. Das kann beispielsweise über die zielgerich- wachsende Rohstoffe“ des Technologie- und För- tete Gestaltung von Fruchtfolgen, den Anbau von derzentrums (TFZ) im Herzogsschloss in Strau- Dauerkulturen und Blühmischungen für die ener- bing. getische Nutzung, sowie verbindende Strukturen wie Gehölze oder Landschaftselemente geschaf- Auf der Tagung stellen Wissenschaftler aus ver- fen werden. Auch im Wald kann durch integrative schiedenen Einrichtungen ihre aktuellen For- Forstwirtschaft die Biodiversität erhöht werden, schungsergebnisse zur Steigerung der Biodiversi- ohne eine Trennung in Nutz- und Schutzgebiete tät vor, um sie mit hochrangigen Verbandsvertre- vorzunehmen. Ein Beispiel dafür ist die aktive tern und Praktikern zu diskutieren. Ziel der Ver- Biotoppflege durch Mittelwald-Bewirtschaftung. anstaltung war es, der Landwirtschaft und Beratung Kulturpflanzen vorzustellen, die neben Acker- und Forstwirtschaft Hand in Hand mit ihrer energetischen und stofflichen Verwertungs- Ökologie möglichkeit auch zur Vielfalt auf dem Acker bei- tragen. Insgesamt bieten Nachwachsende Rohstoffe die Chance, ökologische Vorteile mit ackerbaulicher Landwirtschaft kann Lösungen bieten und forstlicher Produktion zu kombinieren. So stellte Dr. Maendy Fritz, Sachgebietsleiterin Roh- Generell bestand Einigkeit über den aktuell beleg- stoffpflanzen am TFZ, mehrere Energiekulturen ten Artenrückgang, der neben dem hohen Flä- vor, die als Fruchtfolgeergänzung und auf Flä- chenverbrauch auch durch die Fokussierung auf chen mit geringerer Produktionseignung angebaut Produktionseffizienz in der Landwirtschaft erklärt werden können. Ihr Credo: „Ökologie und Öko- werden kann. Zwar bietet die Landwirtschaft nomie können Hand in Hand gehen.“ durch ihre große Flächenwirkung den besten He- Hinrich Neumann 6 Landinfo 3 | 2019
Christina Haessler, Jutta Wieland, Dr. Iris Weiche Aktuelles Erhalten, was uns erhält Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt Bildautor: Joachim Haessler Unter dem Motto: „Erhalten, was uns erhält“ verpflichtet sich das Land Baden-Württemberg zum Erhalt der biologischen Vielfalt als Lebensgrundlage. Aus diesem Grund hat die Landesregierung im November 2017 ein bundesweit einmaliges Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt mit einem Volumen von insgesamt 36 Mio. Euro für die Jahre 2018/19 beschlossen. Davon entfallen 30 Mio. Euro auf Maßnahmen und Projekte, 6 Mio. Euro werden für Monitoringaufgaben herangezogen. I m Fokus steht nicht nur die Weiterentwicklung bisheriger Maßnahmen insbesondere der Natur- schutzstrategie, sondern auch die Erstellung von zwei Maßnahmen im Förderprogramm für Agra- rumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT). Weitere Projekte werden im Jahr 2019 begonnen. Konzepten und die Erprobung neuer Vorhaben Die ergriffenen Maßnahmen und Projekte sind in und Projekte zur Stärkung der biologischen Viel- vier Handlungsfelder eingeteilt: falt. Umgesetzt wird das Sonderprogramm vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbrau- cherschutz, dem Ministerium für Umwelt, Klima Förderprogramm für Agrarumwelt, und Energiewirtschaft und dem Ministerium für Klimaschutz und Tierwohl Tab. 1: Übersicht bereitgestellte Mittel des Sonderprogramms zur Verkehr. Das Sonderprogramm zur Stärkung der Im Handlungsfeld Förderprogramm für Agra- Stärkung der biologischen Vielfalt biologischen Vielfalt wird von einem unabhängi- rumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT) wer- gen wissenschaftlichen Fachgremium, bestehend den zwei FAKT-Maßnahmen mit den zusätzlichen aus acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- Mitteln aus dem Sonderprogramm gefördert - die lern, begleitet und evaluiert. Im Zuständigkeitsbe- Erweiterung der „Brachebegrünung mit Blühmi- reich des Ministeriums für Ländlichen Raum und schungen“ von 5 auf 7 ha pro Betrieb ab 2018 und Verbraucherschutz (MLR) wird das Sonderpro- die neue FAKT-Maßnahme „Blüh-, Brut- und gramm von den Abteilungen Landwirtschaft, Ver- Rückzugsflächen“ für Niederwild ab dem An- braucherschutz und Waldwirtschaft umgesetzt. tragsjahr 2019. Diese Maßnahmen haben das Ziel, wertvolle Lebensräume nicht nur für Insekten, sondern auch für Feldhasen und Feldvögel zu Projekte und Maßnahmen der schaffen. Abteilung Landwirtschaft Projekte aus dem Handlungsfeld FAKT untersu- Die Abteilung Landwirtschaft fördert im Rahmen chen Maßnahmen, aus denen gegebenenfalls neue des Sonderprogramms aktuell 22 Projekte und FAKT-Maßnahmen für die künftige Förderperio- Landinfo 3 | 2019 7
Schwerpunktthema de generiert werden können. Dazu gehören zum schränken. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, Beispiel die herbizidfreie Bewirtschaftung des Un- stellen Prognosemodelle dar, die das Risiko für das Für Flora und Fauna. terstockbereichs im Weinbau, sowie die Diversifi- Auftreten von Schaderregern berechnen. Im Rah- Mit Herz und Verstand. zierung des Maisanbaus mit blühenden Mi- men eines Projekts werden Prognosemodelle für schungspartnern (z.B. mit Steinklee, Kürbis, Ka- den Weinbau weiterentwickelt, wobei neue Er- puzinerkresse, Stangenbohne). Mais ist derzeit die kenntnisse und technische Fortschritte einfließen. D A S S OND E RP RO G RAM M Z U R ST ÄRKU N G DE R BI O LO G I SCH EN V IEL FA LT. am häufigsten angebaute Kulturpflanze zur Fut- ter- und Biogassubstratgewinnung. In der Natur- schutzstrategie Baden-Württemberg wird die Ent- Biodiversität von Agrarlandschaften wicklung naturverträglicher Alternativen zum Mit Hilfe der Projekte des Handlungsfelds „För- Maisanbau als Ziel aufgeführt. derung der biologischen Vielfalt in Ackerbauregi- Begleitend zur Umsetzung des Sonderprogramms haben die onen und Gesamtbetriebliche Biodiversitätsbera- betreffenden Ressorts eine Zum Streuobst erarbeitet das Kompetenzzentrum tung“ werden fachlich bedeutende Erkenntnisse Broschüre erstellt. Sie kann im Obstbau Bodensee in Bavendorf ein Schulungs- aus wissenschaftlichen Projekten für die landwirt- Internet henruntergeladen oder bestellt werden konzept für den Schnitt von Streuobstbäumen schaftlichen Betriebe nutzbar gemacht. So wird https://mlr.baden-wuerttemberg. sowie zur Bewirtschaftung des Unterwuchses zur die Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung in de/fileadmin/redaktion/m-mlr/ Etablierung eines artenreichen Grünlandes. unserem Land weiter etabliert, indem insbesonde- intern/dateien/publikationen/ Landwirtschaft/Fuer_Flora_und_ re die landwirtschaftlichen Aus-, Fort- und Weiter- Fauna.pdf. bildungsmöglichkeiten gestärkt werden sollen. Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Ein Schwerpunkt ist die Erarbeitung von Lernin- reduzieren halten und –materialien für den Fachschulunter- Das Handlungsfeld „Reduktion des Einsatzes von richt, einschließlich didaktischer Konzepte. Ein Pflanzenschutzmitteln in Baden-Württemberg“ weiteres Projekt befasst sich mit Möglichkeiten befasst sich mit Projekten, die den Einsatz von zur Förderung der Artenvielfalt im intensiv ge- Pflanzenschutzmitteln sowie dessen negative Aus- nutzten Grünland, z.B. durch Stehenlassen von wirkungen auf die Umwelt reduzieren sollen. Altgrasstreifen und blühenden Randstreifen. Auf den Flächen der Domäne Bettenreute wurden So bietet die Digitalisierung Möglichkeiten für ei- Versuche aus dem Projekt regenerative Landwirt- ne mechanische Unkrautbekämpfung, die gleich- schaft angelegt. Durch „Grüne-Brücke-Maßnah- zeitig effizient und schonend ist. Ein Projekt be- men“ soll eine durchgehende Bodenbedeckung fasst sich beispielsweise mit der Analyse der euro- durch vitale Pflanzen erreicht werden, die günstige paweit vorhandenen digitalen Technik im Pflan- Bedingungen für das Bodenleben bietet und die zenschutz und erprobt die Praxistauglichkeit Fruchtbarkeit des Bodens fördert. Beim Projekt verschiedener Verfahren. Beim Schutz von Kul- „Nutzung von produktionsintegrierten Kompen- turpflanzen vor Krankheitserregern und Schädlin- sationsmaßnahmen (PIK)“ sollen insbesondere gen ist eine Anwendung von Pflanzenschutzmit- Maßnahmenvorschläge und Verfahrensabläufe Bild 2: Die FAKT-Blühmischung bietet Nahrung für Insekten und teln unumgänglich, jedoch besteht hier das Ziel mit der praktischen Landwirtschaft und den betei- Vögel die Anwendung auf das notwendige Maß zu be- ligten Behörden und Institutionen erarbeitet wer- Bild: Christina Haessler den, um landwirtschaftlich genutzte Flächen durch geeignete Bewirtschaftung ökologisch auf- zuwerten und dennoch für die Produktion zu er- halten. Genetische Ressourcen sichern Ein weiteres Handlungsfeld ist die „Sicherung der genetischen Ressourcen“, insbesondere vor dem Hintergrund des Klimawandels und der damit ein- hergehenden Notwendigkeit die landwirtschaftli- che Produktion an die sich verändernden Umwelt- bedingungen anzupassen – hier gilt das Leitmotiv: „Schützen durch Nützen“. Projekte aus diesem Handlungsfeld befassen sich beispielsweise mit der Verbesserung der Wertschöpfungskette alter Sorten, damit diese für den Handel attraktiver werden und Verbraucher auf die Existenz und den Wert alter Sorten aufmerksam werden. 8 Landinfo 3 | 2019
Schwerpunktthema Mehr Bio in der Außer-Haus- Bild 3: Widderchen Bild: Hans-Peter Ulrich Verpflegung Die Abteilung Verbraucherschutz führt das Projekt „Außer-Haus-Ver- pflegung“ durch. Mit Unterstützung des Sonderprogramms finden ab 2018 Modellprojekte in der Gemein- schaftsverpflegung in Schulen, Reha- Einrichtungen, Landeskantinen, Hochschulmensen, Kliniken und Hei- men statt. Alle Modellprojekte unterlie- gen einer Biozertifizierung. Im Rahmen der Modellprojekte erhalten die Teilnehmenden Unterstützung und Beratung durch ein individu- elles Coaching sowie die Möglichkeit zum Erfah- Naturschutzgerechtes rungsaustausch und Netzwerken bei Auftakt- und Waldmanagement Netzwerksitzungen. Das Handlungsfeld „Biodiversi- tätsmanagement von Wäldern“ erarbeitet ein digitales Waldnatur- Projekte der Abteilung schutzinformationssystem für alle Waldwirtschaft Waldarten. Weiterhin werden mittels Vertragsnaturschutzmaßnahmen Anreize Die Abteilung Waldwirtschaft fördert im Rahmen für den Privat- und Kommunalwald geschaffen. Bild 4: Wildkatze; Verantwortungs- des Sonderprogramms neun Projekte und zwei Zusätzlich wird die Bedeutung temporärer Wald- art für Ba-Wü. Monitoringvorhaben. Die ergriffenen Maßnah- stilllegungsflächen für die Bedeutung der Biodi- Bild: E. Marek men sind in vier Handlungsfelder eingeteilt. versität untersucht. Biodiversität in Schutzgebieten Monitoring von Waldlebensräumen Im Handlungsfeld “Naturparke und Natura 2000 Das „Biodiversitätsmonitoring von Wäldern“ er- im Wald“ konnte das Projekt „Blühende Natur- mittelt biodiversitätsrelevante Strukturen mittels parke“ bislang 35 Kommunen in 5 Naturparken Fernerkundungsdaten. Zusammenhänge zwi- zur Anlage von 292 Blühflächen auf rund 15 Hek- schen biologischer Vielfalt, Bodeneigenschaften tar gewinnen. Darüber hinaus werden Maßnah- und Bewirtschaftung wird eine beispielhafte Er- men zur Natura 2000- Umsetzung in Bewirtschaf- fassung der Waldbodenfauna herausstellen, um so tungsplänen für den Privat- und Kommunalwald relevante Indikatoren und Schutzmaßnahmen zu sowie ein entsprechendes Erhaltungsmanagement erarbeiten. mit allen Waldbesitzarten entwickelt. So wichtig die verstärkten Anstrengungen inner- halb der Landesverwaltung auch sind, sie alleine Lebensräume verbessern reichen nicht aus, um den Rückgang der Arten Projekte des Handlungsfeldes „Wildtiermanage- aufzuhalten. Es braucht auch das kommunale und ment“ beschäftigen sich mit der Verbesserung private Engagement, um diese gesamtgesell- von Lebensräumen für das Niederwild wie Reb- schaftliche Aufgabe zu meistern. In 2019 haben huhn und Hase und ebenso mit Beratungsmög- wir deshalb einen Landeswettbewerb für den Er- lichkeiten für landwirtschaftliche Betriebe im Of- halt der biologischen Vielfalt unserer Heimat auf- fenlandbereich. Dem Rückgang des Auerwildes gesetzt. Der Startschuss für die Teilnahme wird im Schwarzwald soll durch entsprechende Auf- am 01.Juli 2019 erfolgen. Mit dem Landeswettbe- lichtungsmaßnahmen, Schutzkonzepte sowie Be- werb „Baden-Württemberg blüht“ will das MLR ratungs- und Öffentlichkeitsarbeit entgegengetre- Kooperationen sowie Konzepte und Maßnahmen ten werden. Der Verbreitung der Wildkatze gilt als auszeichnen, die sich vorbildlich für den Erhalt Verantwortungsart für Baden-Württemberg be- der biologischen Vielfalt in Ihrer Heimat engagie- Christina Haessler sondere Aufmerksamkeit. Hier werden flächen- ren. MLR konkrete Erhaltungsmaßnahmen und Vernetzun- Weiterführende Informationen erhalten Sie unter: Tel.: 0711 126-1026 gen von Lebensräumen in die Praxis umgesetzt. https://mlr.baden-wuerttemberg.de/de/unsere-themen/ christina.haessler@mlr. biodiversitaet-und-landnutzung/ bwl.de Landinfo 3 | 2019 9
Schwerpunktthema Sabine Braun Projekt Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung – Kommunikation und Bildung Das Projekt „Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung (GBB) – Kommunikation und Bildung“ ist Teil des Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt des Landes Baden-Württemberg (siehe hierzu auch S. 3 ff). Das Programm hat das Ziel, die biologische Vielfalt der baden-württembergischen Kulturlandschaft zu stärken und dabei auch die Landnutzer*innen in ihren Anstrengungen zugunsten der Biodiversität zu unterstützen. Mit dem Anliegen, Impulse für mehr Biodiversität vor allem im Bildungsbereich zu setzen und die Biodiversitätsberatung im Land Baden-Württemberg weiter zu etablieren, trägt das GBB-Projekt auch zur Umsetzung der Naturschutzstrategie des Landes bei. Ausgangssituation/Projektkontext nen, wo sie durch einen eigenen Beitrag zu einer Verbesserung der Artenvielfalt und damit auch zu S eit 2015 stellt das Land Baden-Württemberg unter der Gesamtkonzeption ‚Beratung.Zu- kunft.Land‘ (B.Z.L.) eine Vielzahl von Beratungs- einer intakten Umwelt beitragen können. modulen zur Verfügung. Die gesamtbetriebliche Impulse setzen für aktives Handeln Biodiversitätsberatung (GBB) wird in zwei Bera- tungsmodulen angeboten, einem Einstiegsmodul Den Landwirten*innen kommt bei der Stärkung „Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung“ und der biologischen Vielfalt eine Schlüssel- und Lö- einem Spezialmodul „Maßnahmen zur Biodiversi- sungsfunktion zu. Sie sollen für diese Funktionen tät“. Bei beiden Modulen werden 100 Prozent der gewonnen und ausdrücklich nicht als Verursacher förderfähigen Kosten, maximal bis 1.100 Euro „an den Pranger gestellt“ werden. Mit dem Kom- übernommen. In Zukunft soll dieses Angebot, munikations- und Bildungsprojekt soll ihre Ak- welches landwirtschaftlichen Betrieben aufzeigt, zeptanz für Biodiversitätsmaßnahmen weiter ge- wie sie mit oft kleinen, an ihren Betrieb angepass- fördert werden. Die landwirtschaftliche Aus-, ten Veränderungen einen Beitrag gegen das Ar- Fort- und Weiterbildung bietet erfolgsverspre- tensterben leisten können, noch stärker in den chende Ansatzpunkte bei der Sensibilisierung und Focus gerückt werden. Die öffentliche Diskussion Bewusstseinsbildung in der Landwirtschaft, wes- und Medienberichterstattung zum Themenkom- halb vor allem hier das Thema verstärkt platziert plex Biodiversität und Fragen des Tierwohls, Was- wird. serschutzes, usw. drängen viele Landwirte*innen in eine Rechtfertigungs- und Abwehrhaltung. Mit Für den Fachschulunterricht werden Lerninhalte Hilfe der GBB können sie sich aktiv mit dem The- einschließlich eines didaktischen Konzeptes erar- ma auseinandersetzen sowie in die gesellschaftli- beitet sowie Materialien unter der Berücksichti- chen Diskussionen einbringen und dabei erken- gung „digitaler Lernwege“ entwickelt. Mit der Bild 1 und 2: Aufnahmen derselben landwirtschaftlichen Fläche aus der Luft; links Normalaufnahme, rechts mit Wärmebildkamera; Fotos: Michael Ziesel, LWA Biberach 10 Landinfo 3 | 2019
Aktuelles Fachschule für Landwirtschaft in Biberach, Fach- richtung Landbau wird momentan an der Ent- wicklung eines Unterrichtsmoduls zu Biodiversi- tät und Landwirtschaft gearbeitet. Die Schule wird im Laufe des Jahres 2019 das Modul in einer Pilot- phase testen und entsprechend weiterentwickeln (Konzept Unterrichtsmodul). Teil des Unter- richtsmoduls ist neben dem klassischen Präsenz- unterricht auch der Einsatz von Webinaren, einer Selbstlernphase und ein Praxistag auf einem Schü- lerbetrieb. Für die Selbstlernphase hat die Fach- schule mit dem „Selbst-Check“ eine EDV-An- wendung zur Selbsteinschätzung der Biodiversität im eigenen Betrieb entwickelt (s. Seite 8), welche ma Biodiversität und Landwirtschaft aktiv einge- Bild 3: Landwirt und Berater besprechen mit welchen im Rahmen eines Webinars mit einem Beispielsbe- bracht. Dieses Angebot wurde zu Beginn der Pro- Veränderungen die biologische trieb vorgestellt und danach von jedem Studieren- jektlaufzeit hauptsächlich im Rahmen der Winter- Vielfalt erhöht werden kann; den im eigenen Betrieb angewendet werden soll. programme der Unteren Landwirtschaftsbehörden Bild: Sabine Braun, Landsiedlung Bei dem Praxistag wird u.a. der Einsatz einer (ULB) bzw. des Verband Landwirtschaftlicher Drohne mit Wärmebildkamera im Unterricht er- Fachbildung Baden-Württemberg e.V. (VLF) an- probt (Bilder 1 und 2). Mit der Drohne werden, genommen. Für die Sommermonate liegen erste neben der Erfassung von Saumstrukturen und Anfragen für geplante Veranstaltungen vor, bei Biotopen, Unterschiede in der Agrarstruktur und der die Erhaltung und Verbesserung der Biodiver- im Pflanzenbestand ermittelt, Nistplätze von Bo- sität thematisiert werden soll. Zusammen mit denbrütern geortet und Tiere in der Feldflur live BWagrar wird eine Weiterbildungsmaßnahme in aufgespürt, bspw. Rehkitze in Wiesen vor der Webinar-Form konzipiert. Darüber hinaus sollen Mahd. Für die vertiefte Betrachtung einzelner As- Meinungsbildner*innen und Multiplikatoren*innen pekte der Biodiversität werden in kleinen Grup- noch aktiver eingebunden werden. pen Exkursionen mit Experten angeboten, bei welchen sich die Studierenden mit der Artenviel- Das Projekt greift vorhandene Strukturen und In- falt in den Lebensräumen Äcker Wiesen, Gehölze itiativen auf und schafft entsprechende Verbin- und Gewässer näher befassen können. Das Unter- dungen. So gibt es neben den genannten Akteuren richtsmodul sowie Lerninhalte und ggf. ein Leitfa- unter anderem auch Austausch und Zusammenar- den werden nach der Pilotphase allen Fachschulen beit mit dem F.R.A.N.Z. Projekt (Für Ressourcen, zur Verfügung gestellt. Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft), BWagrar, den Landschaftserhaltungsverbänden, Das Projekt hat auch andere Fachschulen angeregt dem Evangelischen Bauernwerk in Württemberg und dabei unterstützt, das Thema Biodiversität in e.V., der Allianz für Niederwild, den Biomusterre- den Unterricht, bei Praxistagen oder im Rahmen gionen, lokalen Projektgruppen, einzelnen Be- von Exkursionen zu integrieren. So hat beispiels- rufsschulen und Agrargymnasien sowie den Orga- weise die Fachschule Emmendingen eine modell- nisatoren der Gläsernen Produktion. hafte GBB-Beratung auf einem Schülerbetrieb durchgeführt, und die Fachschule Kupferzell er- gänzt den Unterricht durch Fachvorträge von Bio- Interesse am Projekt oder einer Zusammenarbeit? Kontaktieren Sie uns: diversitätsexperten und eine entsprechende Be- triebsbesichtigung vor Ort. Projektlaufzeit: 01.08.2018 bis 31.12.2019 Bildungsträger der ländlichen Erwachsenenbil- https://landsiedlung.de/leistungen/projekt- dung können im Rahmen des Projekts Unterstüt- gesamtbetriebliche-biodiversitaetsberatung- gbb-kommunikation-und-bildung/ zung bei der Platzierung und Organisation von www.gbb.lel-bw.de Veranstaltungen erhalten und bei der Vermittlung www.beratung-bw.de erfahrener Beratungskräfte und überzeugter Praktiker*innen als Referenten*innen. Die Einbe- Projektleitung: Sabine Braun Sabine Braun ziehung der Praktiker erhöht die Authentizität Landsiedlung Baden Württemberg GmbH Landsiedlung Baden- Dienstsitz: sowie Akzeptanz der Botschaft und unterstreicht Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung Württemberg die Relevanz des Themas. Zwischen Oktober und Ländlichen Raum (LEL), Schwäbisch Tel.: 07171 917 414 2018 und März 2019 haben sich Biodiversitäts- Gmünd E-Mail: sabine.braun@ Experten in 18 Veranstaltungen rund um das The- landsiedlung.de Landinfo 3 | 2019 11
Schwerpunktthema Projekt Gesamtbetriebliche Biodiversität - Der Selbst-Check für Landwirte im Landkreis Biberach Der Selbst-Check besteht aus 2 Arbeitsblättern: die Hofstelle und die landwirtschaftlich genutzte Fläche. Bitte bearbeiten Sie die grün hinterlegten Zellen und geben Sie am Ende das Verhältnis Ackerfläche:Grünlandfläche an. Wenn Sie beide Arbeitsblätter ausgefüllt haben, können Sie unter "Auswertung" Ihr Gesamtergebnis sehen. Ganz rechts finden Sie weitere Informationen und hilfreiche Links zu den jeweiligen Kategorien. Viel Spaß beim Ausfüllen! Kategorie Erläuterung Mindestkriterien Erfüllt? Gelände bis zum Umkreis von 200 m, zählt 1. Hofstelle Gebäude mit Stall, inkl. Garten nicht zur landw. Fläche 1.1 Nistmöglichkeiten Schwalbennester an geeigneter Stelle anbringen Naturnester oder Nisthilfen Ja Vogelnisthilfe groß z.B. für Turmfalke, Eulen, auch Storchennest Naturnester oder Nisthilfen Ja Vogelnistkasten klein bis Amselgröße und kleiner Naturnester oder Nisthilfen Ja Wildbienennisthilfe Naturnester oder Nisthilfen Mindesttiefe 15 cm Ja bieten natürlichen Lebensraum für verschiedene 2 Bäume mit mind. 30 cm Alte Bäume/ Totholz Ja Tiere, z.B. Wildbienen Durchmesser Einflugöffnungen freihalten oder mind. 2 Ja Fledermausquartier z.B. Holzscheunen, Fensterläden, Gewölbekeller Fledermauskästen an geeigneter Stelle Link zu Bauanleitungen: 1.2 Verzicht auf Herbizide und Insektizide komplette Hofstelle Ja 1.3 Fallen vermeiden Amphibien Abdeckung oder Ausstieghilfen von Schächten, Wassertrögen, kompletteusw. Hofstelle Ja Vögel Vogelschlag-Schutz an großen Glasfronten Ja Insekten insektenschonende Beleuchtung z.B. warmweiße LEDs Ja 1.4 Strukturelemente Trockenmauer ohne Fugen Ja Stein-, Sand- oder Laubhaufen, offene Bodenstellen/Lehm mind. 1 Jahr lang Ja Feuchtlebensräume Teiche, Tümpel oder Gräben Ja 1.5 Dächer und Fassade Strangfalzziegel oder dienen Wildbienen als Nistplatz Mind. 10 m2 Ja Schindeldach Begrünung z.B. Wilder Wein, Spalierobst Mind. 10 m2 Ja Holzverkleidung Unterschlupf für Tiere Mind. 10 m2 Ja Mit Hohlräumen, Mind. 10 Unverputzte Mauer Hohlräume als Unterschlupf m2 Ja 1.6 vielfältiger Garten Heimische Sträucher mind. 10 Stück Ja lebendiger Weidenzaun z.B. Gerüst für Weinreben, Wildrose (Weide braucht Mind. 10 m Länge Ja oder Pergola kein Gerüst) Blühende Hecke z.B. Schlehen, Liguster, … Mind. 10 m2 Ja Wildblumenwiese möglichst mehrjährige, heimische Arten Mind. 15 m2 Ja „Wilde Ecke“ für Falter z.B. Hochstauden wie Brennesseln, Disteln, … Mind. 15 m2 Ja Streuobstwiese Mind. 5 Obstbäume Ja Mischung von Zier- und alle Pflanzen im Garten Mind. 25 verschiedene Ja Nutzpflanzen Pflanzen Komposthaufen fördert das Bodenleben mind. einer Ja Summe: 0 von 25 Gold Mind. 18 72 % Punkten Silber Mind. 10 40 % Bronze Mind. 8 32 % Screenshot der Excel-Anwendung „Selbst-Check“ 12 Landinfo 3 | 2019
Schwerpunktthema René Greiner, Anne Wischemann Rebhuhn – Quo vadis? Um die Arten der offenen Agrarlandschaft ist es derzeit schlecht bestellt. Das Erschreckende: Es betrifft nicht nur zahlreiche Insektenarten, sondern auch ehemalige Allerweltsarten, allen voran das Rebhuhn. In der Roten Liste Baden-Württemberg wird das Rebhuhn in der Kategorie 1 (vom Aussterben bedroht) geführt und steht somit symptomatisch für den Verlust der Biodiversität in der Agrarlandschaft. Der Bestand des Rebhuhns ist europaweit seit 1980 um 94 Prozent zurückgegangen, Baden-Württemberg ist von dieser negativen Entwicklung nicht ausgenommen. Foto: privat/LJV D och woran liegt es? Den Finger nur gegen die Landwirtschaft zu erheben wäre deutlich zu kurz gegriffen und würde nicht die Komplexität ser Einflussfaktoren wird deutlich, dass andere zusätzliche Faktoren das Fass oftmals zum Über- laufen bringen, da die Bestände diese nicht kom- des Problems wiederspiegeln. Natürlich hat sich pensieren können. Durch Witterungsextreme, vor die Landbewirtschaftung in den letzten Jahrzehn- allem zur Brut- und Setzzeit, oder permanente ten stark verändert und damit auch die Lebens- Störung in den wenigen Rückzugsbereichen ist raumqualität für Wildtiere im Offenland. Doch den Offenlandarten eine erfolgreiche Reprodukti- neben der Landwirtschaft gibt es noch eine ganze on oft nicht in ausreichendem Maße möglich. Reihe anderer Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Der Flächenverbrauch durch Siedlungs- und Gewerbebau sowie Infrastrukturmaßnahmen Das Projekt findet nach wie vor statt. Zwar ist der Trend der- zeit rückläufig, aber es wird dennoch jeden Tag im Um dieser komplexen Problemlage etwas entge- Land Fläche verbraucht, was den Druck auf die genzusetzen, wurde im Jahr 2016 das Kooperati- verbliebenen Freiflächen verschärft. Zumal die onsprojekt „Allianz für Niederwild“ der Wildfor- Landwirtschaft in der Regel zweimal Fläche ver- schungsstelle des Landes Baden-Württemberg am liert – durch den Eingriff selbst und die damit LAZBW und des Landesjagdverbandes Baden- verbundenen Ausgleichsmaßnahmen, mit denen Württemberg gestartet, das durch das Ministerium Rotationsbrache: „Eines wird bei der neuen Offenlandarten wie das Rebhuhn nur allzu oft für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz aus FAKT-Maßnahme schnell deutlich: nicht wirklich etwas anfangen können. Hinzu Mitteln der Jagdabgabe und dem Sonderpro- Die Strukturvielfalt wird auf kommt, dass Beutegreifer wie der Rotfuchs in den gramm Biologische Vielfalt gefördert wird. Wol- Schlagebene erhöht, da in den Folgejahren im Wechsel nur die letzten Jahren im Bestand stark zugenommen ha- len Lösungen für die beschriebenen Probleme Hälfte neu angelegt wird.“ ben. In den 70er- und 80er-Jahren wurde durch die gefunden werden, braucht es ein breites Bündnis landesweite Tollwut-Immunisierung ein natürli- aller Akteure in der Agrarlandschaft, eine „Allianz ches Regulativ beim Rotfuchs ausgeschaltet. für Niederwild“. Sie ist ein breites Bündnis von Kombiniert mit seiner Anpassungsfähigkeit an Jägern, Naturschützern, Kommunen, Landwirten, unsere heutige Kulturlandschaft und neue Le- Grundeigentümern, Behörden und Forschungs- bensräume verschärft er, gemeinsam mit anderen einrichtungen im Land. In einem Leitbild haben Beutegreifern, die Situation der Offenlandarten sich die verschiedenen Akteure auf eine gemein- zusätzlich. Vor allem bodenbrütende Vogelarten same Position zum Rückgang der Artenvielfalt im sind hiervon betroffen. Vor dem Hintergrund die Agrarraum und zu den übergeordneten Zielen des Landinfo 3 | 2019 13
Schwerpunktthema Blühbrache (1): „Nur ein feingrümeliges Saatbett, oberflächiges Blühbrache (2): „Frisch eingesäte Flächen können wertvolle Ausbringen der Saat und anschließendes Anwalzen sorgen für ein Nahrungsflächen sein.“ sauberes Auflaufen der Blühmischung.“ Projekts geeinigt. Erklärtes Frage nach den aktuellen Umsetzungsmöglichkei- Ziel des Projektes ist es, Offen- ten auf und hier wurde klar: Im Förderprogramm landarten durch Erhalt und für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl Verbesserung ihrer Lebensräu- (FAKT) sind bisher nur einjährige und überjährige me zu fördern. Eine kleinpar- Blühmischungen möglich. Was vor allem das Reb- zellierte, extensiv ausgerichtete huhn (und damit viele andere Offenlandarten) Landwirtschaft, wie sie bis zur braucht, fehlt hingegen, nämlich Brachestruktu- Mitte des 20. Jahrhunderts üb- ren als Brutplatz im kleinräumigen Wechsel mit lich war, gehört der Vergangen- geeigneten Nahrungsflächen. Im Nachgang zu heit an. Die veränderten Rah- dem Eröffnungstermin wurden die Wildfor- menbedingungen erfordern schungsstelle und der Landesjagdverband vom neue Ansätze für den Schutz Ministerium für Ländlichen Raum und Verbrau- von sensiblen Offenlandarten cherschutz aufgefordert, eine niederwildfreundli- und deren Lebensräume. Was che Fördermaßnahme für das FAKT auszuarbei- Blühbrache (5): „Im Herbst und wir brauchen, ist eine moderne ten. Ab 2019 wird es eine solche Maßnahme unter Winter bietet die gesamte Fläche Versteckmöglich-keiten für viele Landwirtschaft mit integrierten Rückzugsräumen. dem Titel „Blüh-, Brut- und Rückzugsflächen“ Arten.“ Diese Rückzugsräume könnten durch Agrarum- geben. Bild: R. Greiner weltmaßnahmen realisiert werden. Durch Bera- tung und Aufklärung werden die Potentiale beste- Mit der neu eingeführten FAKT-Maßnahme för- Blühbrache (6): „Der entschei- hender Agrarförderprogramme genutzt. Umge- dert das Land Baden-Württemberg Landwirte, die dende Vorteil: Im Frühjahr und Frühsommer ist bereits Vegetation kehrt dienen die Erfahrungen aus der Praxis, den auf ihren Flächen mehrjährige Lebensräume für auf der Fläche, die als Brutplatz lokalen Projekten und den offiziellen Modellregi- Feldhase, Feldvögel und Insekten schaffen. Die dienen kann.“ onen des Projekts der gezielten Weiterentwick- Bewirtschaftung ist einfach erklärt: Im ersten Bild: R. Greiner lung von Agrarförderprogram- Standjahr wird die komplette Fläche mit einer men. Blühmischung eingesät. In den Folgejahren wird im Wechsel die Hälfte der Blühfläche stehengelas- sen und die andere Hälfte umgebrochen und neu Neue FAKT-Maßnahme eingesät. Dadurch wird die Strukturvielfalt auf Blüh-, Brut- und Schlagebene erhöht und ein Nebeneinander von Rückzugsflächen Deckung (Brut- und Setzplatz) und Nahrungsha- bitat geschaffen. Mit dieser Maßnahme sollen ne- Dies gelang dem Projekt erst- ben dem Niederwild vor allem auch Blütenbesu- mals im Oktober 2017 bei der cher, insbesondere Wildbienen, und landwirt- Eröffnung der ersten Modell- schaftliche Nützlinge, wie z.B. Spinnen oder Lauf- region durch Minister Peter käfer, gefördert werden. Dies wirkt sich positiv Hauk auf der Filderebene nahe auf die Bestäubungsleistung unserer Wild- und Stuttgart. Bei der Besichtigung Kulturarten aus. Auch unter der Erde entfaltet einer Rotationsbrache kam die sich Positives. So kommen unter Blühflächen mit 14 Landinfo 3 | 2019
Schwerpunktthema Bilder: R. Greiner, LJV Blühbrache (3): „Das Nebeneinander von Brutplatz und neuer Blühfläche Blühbrache (4): „Auch im zweiten Standjahr entwickelt sich ein sorgt für Vielfalt auf dem Acker.“ artenreicher und schöner Blühaspekt.“ über 200 Regenwürmern/m2 rund dreimal mehr • Anrechnung als „Ökologische Vorrangfläche“ Regenwürmer vor, als unter klassisch bewirtschaf- ist nicht möglich teten Ackerflächen. Neben den agrar- und wild- • Die jährliche Ausgleichsleistung beträgt 540 €/ ökologischen Vorteilen für zahlreiche Wildtiere ha/Jahr (Kalkulationsgrundlage: Durchschnitt- kommt ein weiterer Faktor hinzu: Der Blüten- liche Deckungsbeitragsverluste) reichtum wird vom Menschen wahrgenommen. Blühflächen werden daher als positiver Beitrag der Im Land bewegt sich was Landwirtschaft betrachtet und von den Bürgern sehr geschätzt. Darüber hinaus stellen Agrarum- Die Allianz für Niederwild begleitet derzeit 7 Lo- weltmaßnahmen auch ein alternatives Einkom- kalprojekte in Baden-Württemberg beim Pro- men für Landwirte dar und im letzten Antragsjahr jektaufbau, der Flächenakquise und –auswahl so- wird der Vorfruchtwert des Ackers gesteigert – ein wie bei der Maßnahmenumsetzung. Darüber hin- weiterer Vorteil der Maßnahme. aus bearbeitet die LAZBW-Wildforschungsstelle und der Landesjagdverband B-W vier Modellregi- Wie im Förderprogramm FAKT üblich, ist die onen selbst, um so wertvolle Erkenntnisse in der Zahlung der Ausgleichsleistung an bestimmte Be- praktischen Maßnahmenumsetzung gewinnen zu dingungen bei der Maßnahmenumsetzung gekop- können. In den Modellregionen werden lebens- pelt: raumverbessernde Maßnahmen umgesetzt, die René Greiner zum Teil noch nicht förderfähig sind und es wer- Landesjagdverband • Aussaat mit FAKT-Blühmischung M3 bis spä- den neue Ansätze im Wildtiermonitoring durch- Baden-Württemberg e.V. testens 15. Mai (10 kg/ha) geführt. Durch die Vernetzung der einzelnen Pro- Tel: 0711 268436 23 • Einhaltung einer Winterruhe bis 15. Januar im jekte konnten wichtige Synergieeffekte genutzt greiner@ Folgejahr, danach auf ca. ½ der Fläche Mulchen werden und so, gemeinsam mit dem MLR und landesjagdverband.de und Bodenbearbeitung zur Vorbereitung der dem UM, offene Fragen im Bereich der Agrar- Neuansaat möglich und Naturschutzförderung geklärt werden. • Spätestens bis 15. Mai auf der Hälfte (mind. 1/3 bis max. 2/3) der Fläche Neuansaat der Blühmi- Klar ist aber: Es gibt noch genug zu tun, wenn es schung, Querteilung empfohlen um die Weiterentwicklung der Agrarförderpro- • In den folgenden Antragsjahren wechseln Neu- gramme mit geeigneten Maßnahmen geht oder die ansaat und Bracheteil jährlich Anpassung agrarrechtlicher Vorgaben an die Ziele • Kein Einsatz von Pflanzenschutz- und Dünge- des Sonderprogramms Biologische Vielfalt, wie mitteln. Im letzten Antragsjahr ist eine acker- zum Beispiel das Überdenken der Mindesttätig- bauliche Nutzung (Vorbereitung einer Folge- keit. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, wenn kultur) auf der Förderfläche wieder ab dem wir die Biologische Vielfalt im Agrarraum langfris- Anne Wischemann 01.09. möglich tig erhalten wollen, den es sich aber zu gehen lohnt WFS • Mindestgröße 0,5 ha, Mindestbreite 10 m – für Mensch und Wildtier. Tel: 07525 942-491 • Die Maßnahme ist 5 Jahre auf der gleichen Flä- anne.wischemann@ che durchzuführen lazbw.bwl.de Landinfo 3 | 2019 15
Richard Mössner Aktuelles Produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen in der Landwirtschaft Die Landwirtschaft Baden-Württemberg verliert durch Siedlungsentwicklung und Infrastruktur- maßnahmen täglich Produktionsflächen. Die Eingriffsregelung nach dem Bundesnaturschutzgesetz gebietet, Eingriffe in Naturhaushalt und Landschaft mittels Ausgleichs-und Ersatzmaßnahmen zu kompensieren, also die Funktion des Naturhaushalts oder Landschaftsbildes wieder herzustellen. Nach Erlass der Ökokontoverordnung hat sich ein funktionsfähiges System auf Basis von Ökopunkten für Bewertung, Planung und Handelbarkeit etabliert. Bisher werden aber zur Durchführung dieser naturschutzfachlichen Kompensationsmaßnahmen meist landwirtschaftlich genutzte Flächen vollständig aus der Nutzung herausgenommen bzw. stark extensiviert. Die Praktiker sprechen dann häufig davon, dass sie durch einen Eingriff zweimal Fläche verlieren. Produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen (PiK) stellen nun einen Weg dar, landwirtschaftlich genutzte Flächen mit geeigneten Maßnahmen ökologisch aufzuwerten und dennoch weiterhin landwirtschaftlich zu nutzen. E s sind nicht allein agrarstrukturelle Belange, die die Notwendigkeit neuer Wege in der Kompensationspraxis anzeigen. Verschiedene kuhlen, welche für viele Rote Liste Arten wichtige Strukturelemente in ihren Lebensräumen darstel- len, befördert ihr Verschwinden (Kunz et al., Studien zu gut erforschten Taxa, wie den Schmet- 2014). Eine durch Markteinflüsse und technologi- terlingen und charakteristischen Wildbienenarten sche Entwicklungen getriebene Intensivierung der (Hallmann et al., 2017; Sánchez-Bayo und Wyck- Landwirtschaft unter Einbezug von ehemals un- huys, 2019) lassen Tendenzen zur Abnahme der genutzten Flächen in die Bewirtschaftung, Sied- Artenbestände bei Insekten erkennen. Die öko- lungs- und Infrastrukturausbau tragen zu diesem systemare Bedeutung von Insekten kann nicht Verlust von Sonderstandorten insbesondere bei. überschätzt werden, denn neben der Bestäu- Auch Lichtverschmutzung ist ein Faktor (Grubisic bungsleistung sind sie ein wichtiger Bestandteil et al., 2018). des Nährstoffkreislaufs und stellen die Nahrungs- grundlage für einen Großteil der höheren Stufen Die hier beschriebene Umformung unserer Ag- der Nahrungskette dar. Gründe für den Rückgang rarlandschaft führt auch zum signifikanten Rück- sind vielgestaltig und keinesfalls auf einen Faktor gang der charakteristischen Offenlandvogelarten reduzierbar. Wildkrautfreie Äcker, ermöglicht wie Feldlerche, Goldammer und Feldsperling durch lückenlose Bestände und effizienten Dün- u.a.(Abb. 1). ge- und Pflanzenschutzmitteleinsatz, entziehen insbesondere Spezialisten die Nahrungsgrundla- Interessanterweise sind es vor allem stark vom ge. Der Verlust von Sonderstandorten, beispiels- Menschen überformte Standorte auf denen sich weise karge offene Flächen, Rohböden, Sandflä- eine hohe Artenvielfalt insbesondere auch von chen und Abbruchkanten, Pfützen und Schlamm- Rote-Liste-Arten nachweisen lässt, beispielsweise 16 Landinfo 3 | 2019
Schwerpunktthema ehemalige Tagebaustandorte, Truppenübungs- plätze und Munitionsdepots, wie z.B. in Bracht. Offenlandflächen, sich selbst überlassen, ver- schwinden durch natürliche Sukzession und mit ihnen die typischen Arten. Will man diese Offen- landarten in Ihrem Bestand erhalten, so müssen Strukturen simuliert werden, wie es sie vor der agrarindustriellen Revolution gab. Abgrenzung der Begriffe Bei der Frage, welcher Zielsetzung eine bestimmte Maßnahme dient, müssen die Begriffe Natur- schutz, Artenschutz und Umweltschutz deutlich voneinander abgegrenzt werden. Würde man den Begriff Naturschutz sehr strikt auslegen, so müss- te man sich nur auf die Unterlassung jedes menschlichen Eingriffes an einem Standort be- schränken und sich die standortabhängige natürli- che Lebensgemeinschaft von Arten entwickeln lassen. Der Naturschutz wäre also reiner Prozess- schaftlichen Betrieben häufig weitere Produkti- Abb. 1: Bestandsindex von Feldlerche, Feldsperling und schutz (Schmitt, T. 2016). Mit Natur bezeichnen onsfläche dauerhaft. Eine beliebte Ausgleichs- Goldammer. Entwicklung von wir aber im weiteren Sinne auch die naturnahe maßnahme war und ist in Baden-Württemberg das 1999 bis 2014. Kulturlandschaft, deren Konservierung wir aus Anlegen von Streuobstwiesen. Die Herstellungs- Quelle: Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg berechtigten Gründen für erstrebenswert halten. kosten lassen sich leicht abbilden, der erzielte Der Erhalt der Kulturlandschaft geht mit diversen Kompensationswert pro Flächeneinheit ist relativ Zielkonflikten einher: der Bedarf an Wohnraum hoch. Oft wird dabei jedoch der hohe Pflegeauf- und Infrastruktur, die Produktion hochwertiger wand, den eine Streuobstwiese für Mahd und Nahrungsmittel in der Region und die Aufgabe Baumschnitt benötigt, nicht eingeplant bzw. ein- traditioneller Nutzungsformen bestimmter Land- gepreist. Viele Streuobststandorte befinden sich schaftstypen machen Naturschutz zu einem kost- im stark pflegebedürftigen Zustand (Schmieder et spieligen Unterfangen, zumal heimische Landwir- al, 2011) und erzielen dadurch nicht die ökosyste- te mit Produzenten weltweit am Absatzmarkt mare Leistung, wie es bei angemessener Pflege konkurrieren. . möglich wäre. Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) defi- niert in §14 ob ein Eingriff in den Naturhaushalt Wenig Akzeptanz für Flächenverluste Abb. 2 Flächenerhebung in vorliegt. §15 regelt die Rechtsfolgen eines tatbe- Baden-Württemberg standlichen Eingriffs. Die Eingriffsregelung soll Die Akzeptanz der Landwirtschaft, Produktions- Verkehrsfläche seit 2000. Quelle: Flächenerhebung – Stat. die Kosten für die nachteilige Inanspruchnahme flächen für teils ineffiziente, teils vernachlässigte Landesamt B-W, eigene des Naturhaushaltes durch ein Vorhaben auf den oder vergessene Kompensationsmaßnahmen ent- Darstellung Vorhabenträger internalisieren (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2001, NuR, 352). Wo gebaut wird, muss kompensiert werden Baden-Württemberg besteht zu ca. 83 % aus land- und forstwirtschaftlich genutzter Fläche. Städte und Gemeinden sind siedlungshistorisch bedingt fast immer von fruchtbaren Äckern und Grünland umgeben, weshalb für Wohnbau- und Gewerbe- flächen in der Hauptsache landwirtschaftliche Flä- chen umgewidmet werden. Die für Bauvorhaben nötige Kompensation entzieht den landwirt- Landinfo 3 | 2019 17
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