Landinfo - Ministerium für Ländlichen Raum und ...

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Ausgabe 3 | 2019

Landinfo

                                             Schwerpunktthema: Biodiversität

  Informationen für die Landwirtschaftsverwaltung
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Impressum

Herausgeber
Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung
und Ländlichen Raum (LEL)
Oberbettringer Str. 162
73525 Schwäbisch Gmünd
Telefon: 07171/ 917-100
Telefax: 07171/ 917-101

Schriftleitung
Susanne Mezger
Telefon: 07171/ 917-114
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Dr. Peter Grün, LRA Schwäbisch Hall
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Jürgen Käßer, LEL Schwäbisch Gmünd
Robert Koch, LVG Heidelberg
Marcus Köhler, LSZ Boxberg
Renate Lindner, LAZBW Baden-Württemberg
Andreas Maier, RP Karlsruhe
Uwe Michelfelder, LVWO Weinsberg
Daniela Schweikhart, ULB Heidenheim
Karl-Heinz Vollmer, KoPF Marbach

Layout
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E-Mail: birgit.haerter@lel.bwl.de

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Erscheinungsdatum
Juli 2019

ISSN 0947-9392

Titelbild
Maximilian Mezger

                                                                                            Landinfo 3 | 2019
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Editorial

Landinfo 3/2019
„Biodiversität in Gefahr - höchste Zeit zu
handeln “

Biodiversität steht für die Vielfalt der Ökosysteme, die genetische Vielfalt und den Reichtum an Arten
bei Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen. Bis vor kurzem konnten fast nur Naturwissenschaft-
ler und Naturschützer etwas mit diesem Begriff anfangen. Heute ist er in aller Munde. Biodiversitäts-
verlust ist neben Klimawandel das herausragende Thema im Umwelt- und Naturschutz.

Der Weltbiodiversitätsrat der UN (Intergovernmental Science-Policy Platform in Biodiversity and Eco-
sytem Services, kurz IPBES) kommt in seinem kürzlich veröffentlichten Zustandsbericht zu dem Er-
gebnis, dass eine Millon Arten bzw. rund ein Achtel aller Arten vom Aussterben bedroht sind. Nicht nur
die Natur ist in Gefahr, der Verlust der biologischen Vielfalt hat auch erhebliche globale ökonomische
Auswirkungen und die weitere Nutzung der Ökosysteme für die Ernährung ist in Frage gestellt. Die
Gefahren, die vom Biodiversitätsverlust ausgehen, werden inzwischen auch von politischen Entschei-
dungsträgern und von der breiten Bevölkerung als existenzielle Bedrohung wahrgenommen. Das Ver-
langen, dass sich etwas zugunsten der Biodiversität tun muss, veranlasste Hunderttausende von Men-
schen in Bayern, die Initiative „Rettet die Biene“ zu unterstützen. Es ist zu erwarten, dass auch die
entsprechende baden-württembergische Initiative Zuspruch finden wird.

Auch wenn mittlerweile Konsens ist, dass für Biodiversität ein „Weiter-so-wie-bisher“ fatal wäre, wird
doch nach wie vor allzu gerne über die Ursachen der Misere gestritten. Die Schuld und die Verantwor-
tung bzw. Zuständigkeit für das Gegensteuern wird „bei den anderen“ gesehen. Je nach Perspektive sind
das die industrielle Landwirtschaft, Emissionen von Verkehr und Industrie, Landschaftsverbrauch und
-zerschneidung, Nachtbeleuchtung, Kieselstein-Vorgärten, Fleischkonsum usw. Die Uhr tickt. Höchste
Zeit, dass sich alle Beteiligten, politische Entscheidungsträger, Wirtschaftsunternehmen, Kommunen
und Bürger aufmachen, im eigenen Bereich tätig zu werden oder besser noch gemeinsam einen Betrag
für die Biodiversität zu leisten.

Die Landesregierung Baden-Württemberg hat mit dem Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen
Vielfalt ein starkes Signal gesetzt. Die vorliegende Ausgabe der Landinfo beleuchtet verschiedene Hand-
lungsfelder des komplexen Themas für die Landwirtschaft und die Landwirtschaftsverwaltung. Sowohl
organisatorische Fragen wie Beratung, Kompensationsmaßnahmen oder Förderung als auch einzelne
Tiergruppen oder pflanzenbauliche Kulturen werden in den Blick genommen.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre und hoffe, dass Sie zur (weiteren) Unterstützung und Er-
haltung der Biodiversität angeregt werden. 

Roland Großkopf
Leiter Abteilung 3 - Ländliche Entwicklung und Landschaft

                                                                                                          Roland Großkopf
                                                                                                          LEL
                                                                                                          Tel.: 07171 917-413
                                                                                                          roland.grosskopf@lel.bwl.
                                                                                                          de

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                 3
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Inhaltsverzeichnis

Inhalt
Editorial
„Biodiversität in Gefahr - höchste Zeit zu handeln“                                                    Großkopf 3

      Aktuelles
Miteinander statt übereinander reden                                                                      Aichele     5

      Schwerpunktthema
Erhalten, was uns erhält                                                                            Haessler et al    7
Projekt Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung – Kommunikation und Bildung                              Braun     10
Rebhuhn – Quo vadis?                                                                        Greiner, Wischemann      13
Produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen in der Landwirtschaft                                      Mössner     16
Mehrjährige Blühbrachen für Biodiversität und Bienen                                                       Wurtz     21
Landschaftserhaltungsverbände sind starke Partner für die Biodiversität                                     Ebert    24
Mäh statt Mulch                                                                                            Strobl    26
Unbekannte Vielfalt sichtbar gemacht: Biodiversität in Strauchbeeren                           Zimmermann et al
Steigerung der biologischen Vielfalt in Silomaisbeständen durch blühende Gemengepartner       Schulz, Stolzenburg    32
Praxistest zu Zierpflanzen als Nahrungsquelle für Bestäuberinsekten                       Ruttensperger, Marquart    35
Die dicke Trespe - eine schützenswerte Wildpflanze                                                          Stock    38

     Mitten im Leben
Geschenke aus der Vorratshaltung – Selbstgemacht                                                    Pfaff, Czolbe    40
Personalveränderungen

    Betrieb und Markt
FAKT – Nein danke?                                                                              Schramek, Nitsch     44
Wie nachhaltig produzieren Öko-Betriebe in Baden-Württemberg?                                            Reinsch     47
So wird der Direktvermarkter zum Chef                                                                Schweikhart     49

     Pflanzen- und Tierproduktion
Optimierung von Arbeitswirtschaft und Tiergesundheit in Kälberställen                                      Schell    50
Insektenvielfalt fördern und Honigbienen gesund erhalten                                  Stock-de Oliveira Souza    54

      Gartenbau und Sonderkulturen
Die Sorte macht’s – Beispiel Tomate                                                               Reinisch, Sauer    56
Wachsen oder weichen - Die Zukunft des Obstbaues in Baden- Württemberg?                                    Bühler    59
Regional, vielfältig und verbrauchernah                                                                  Jendrich    62

       Aus den Dienststellen
Sozialpartnerschaftliche Qualifizierungsinitiative Garten- und Landschaftsbau GaLa-Q                       Selcho    64
Kulinarische Produktbörse                                                                               Hermann       66

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Redaktionsschluss der Ausgabe 4/2019:         9. September 2019

4                                                                                                     Landinfo 3 | 2019
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Aktuelles

Dominique Aichele

Miteinander statt übereinander reden
Das „Dialogforum Landwirtschaft und Naturschutz“ bringt Landwirtschaft, Verwaltung und Naturschutz
an einen Tisch.

D    as Artensterben in der Feldflur nimmt immer
     dramatischere Ausmaße an. Gleichzeitig sind
landwirtschaftliche Betriebe einem enormen
                                                     menarbeit mit landwirtschaftlichen Betrieben, mit
                                                     den jeweiligen Landschaftserhaltungsverbänden
                                                     sowie häufig mit den Kreisbauernverbänden ist
Druck ausgesetzt. Der Preiskampf an den Märk-        das Dialogforum noch bis März 2020 mindestens
ten ist hart, der Verwaltungsaufwand steigt und      in diesen acht Regionen anzutreffen: Bodensee-
Politik und Öffentlichkeit haben hohe Ansprüche      kreis, Böblingen, Breisgau-Hochschwarzwald,
an die Produktionsbedingungen. Die Zusammen-         Heidenheim, Karlsruhe, Main-Tauber-Kreis, Tü-
arbeit mit Naturschutzverbänden kann Landwir-        bingen und Tuttlingen.
tinnen und Landwirten teilweise als zusätzliche
Last erscheinen, auch wenn vielen von ihnen der      Im Vordergrund der Veranstaltungen stehen In-
Schutz der Biodiversität ein großes Anliegen ist.    formationen aus der Praxis. „Uns ist es wichtig,
                                                     dass sich die Landwirtinnen und Landwirte unter-
In dieser oft angespannten Situation bietet das      einander austauschen und gleichzeitig die Kennt-
NABU-Projekt „Dialogforum Landwirtschaft             nisse aus dem Naturschutz Berücksichtigung fin-
und Naturschutz“ eine Möglichkeit, gemeinsam         den. Nur so können Lösungen für die konkreten
ins Gespräch zu kommen. Es ging 2015 mit dem         Fragestellungen einer Region gefunden werden,
Ziel an den Start, die Artenvielfalt in der Agrar-   wozu auch typische Gegebenheiten wie Bodenbe-
landschaft zu stärken und dabei praktikable und      schaffenheit oder klimatische Besonderheiten ge-
ökonomisch sinnvolle Maßnahmen vorzustellen.         hören“, sagt Dominique Aichele. „Und natürlich
Zwei Jahre lang besuchten rund 1.000 Teilneh-        ist die Motivation für das Anlegen von Feldvoge-
merinnen und Teilnehmer die 30 Dialogveranstal-      linseln oder für den Erhalt und die Pflege von
tungen im Land. Gefördert von der Stiftung Na-       Feldrainen größer, wenn auch der Nachbar mit im
turschutzfonds Baden-Württemberg stellte das         Boot ist.“
Projekt in zwölf Regionen Workshops und Exkur-                                                           Treffen von Landwirten und
sionen auf die Beine. Vor Ort auf den Höfen in-      Was sollte in meiner Region für den Naturschutz     Naturschützern auf dem Elfinger
                                                                                                         Hof bei einer der 30 Dialog-
formierten sich Landwirtinnen und Landwirte,         getan werden? Und welche Fördermöglichkeiten        Forum-Veranstaltungen des
Naturschutz-Aktive und Mitarbeitende aus der         gibt es dafür? Diese Fragen beantworten im Rah-     NABU. Bild: Sebastian Schwarz
Verwaltung über schonende Bodenbearbeitung,
gestaffelte Mahd oder das Anlegen von Blühstrei-
fen. Oftmals ging es aber auch einfach darum, zu
erfahren, wo in der Region „der Schuh drückt“.
Dann war auch mal die Bewirtschaftung von
FFH-Grünland das beherrschende Thema des
Forums.

Für die zweite Projektlaufzeit von 2018 bis 2020
hat sich das Team des NABU Baden-Württem-
berg auf die Landwirtschaft in speziellen Gebie-
ten konzentriert, wie Projektleiterin Dominique
Aichele erläutert. „Wir möchten zeigen, wie die
Landwirtschaft im Einklang mit den regionalen
naturräumlichen Gegebenheiten auch in Schutz-
gebieten möglich ist und wie die Erweiterung des
Biotopverbunds gefördert werden kann. Und wir
blicken auf Artenschutzprojekte, bei denen bei-
spielsweise Maßnahmen für bedrohte Feldvögel
erarbeitet und umgesetzt werden.“ In der Zusam-

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                          5
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Aktuelles

                          men der Dialogveranstaltungen Fachleute aus den      beim Dialogforum rund 50 Gästen stolz von den
                          jeweiligen Landschaftserhaltungsverbänden, der       Erfolgen berichten.
                          Landratsämter oder der Landesinstitute. Teilweise
                          weist das „Dialogforum Landwirtschaft und Na-        „Diese Kooperation haben wir gerne vorgestellt,
                          turschutz“ auch Berührungspunkte mit der Biodi-      denn sie ist ein schönes Beispiel für die Grundidee
                          versitätsberatung des Landes Baden-Württemberg       unseres Projekts“, betont Dominique Aichele:
                          auf. So besuchte das NABU-Projekt im Mai 2019        „Naturschutz gelingt gemeinsam.“
                          den Betrieb Zibold im Landkreis Ludwigsburg.
                          Dort hatte Biodiversitätsberater Dr. Florian Wag-    Das Projekt „Dialogforum Landwirtschaft und
                          ner vor zwei Jahren festgestellt, dass die Pflege    Naturschutz“ wird gefördert durch das Ministeri-
NABU Baden-               von Hecken und Feldrainen verbessert werden          um für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft
Württemberg               kann, um wertvollen Lebensraum für den Neun-         Baden-Württemberg. 
Dominique Aichele         töter und weitere Heckenvögel zu erhalten. Ge-
Dominique.Aichele@        meinsam mit der Unteren Naturschutzbehörde           Weitere Informationen: www.NABU-BW.de/dialog-
NABU-BW.de                brachte die Betriebsleiterfamilie die empfohlenen    forumlawi
Telefon: 0711 966 72-53   Pflegemaßnahmen auf den Weg. Und konnte

                          Mehr Artenvielfalt mit                               bel für Lösungsmöglichkeiten. Jedoch ist der Ar-
                          nachwachsenden Rohstoffen                            tenschutz eine gesamt-gesellschaftliche Verpflich-
                                                                               tung, die nur gemeinsam zu stemmen ist.
                          Auf einer Biodiversitätstagung in Straubing
                          zeigten Wissenschaflter wie sich bei nach-           Im Verlauf der Tagung wurde deutlich, dass viele,
                          wachsenden Rohstoffen ökologische Vorteile           aber auch gegensätzliche Werkzeuge zur Steige-
                          mit ackerbaulicher und forstlicher Produkti-         rung der Biodiversität bereits vorhanden sind. Al-
                          on kombinieren können.                               lerdings fehlt bislang ein gesellschaftlicher Kon-
                                                                               sens, wie diese eingesetzt und welche konkreten
                          Die Jahre 2019 und 2020 will das bayerische Land-    Ziele damit erreicht werden sollen.
                          wirtschaftsressort zu „Biodiversitätsjahren“ ma-
                          chen und die Vielfalt auf dem Acker in den Mit-      Fazit der Veranstaltung: Es wird mehr Lebens-
                          telpunkt seiner Arbeit stellen. Den Startschuss      raumvielfalt in der Agrarlandschaft benötigt, die
                          dazu bildete vergangene Woche die Tagung "Da         ein räumliches und zeitliches Nutzungsmosaik
                          blüht uns was – Mehr Biodiversität durch Nach-       bietet. Das kann beispielsweise über die zielgerich-
                          wachsende Rohstoffe“ des Technologie- und För-       tete Gestaltung von Fruchtfolgen, den Anbau von
                          derzentrums (TFZ) im Herzogsschloss in Strau-        Dauerkulturen und Blühmischungen für die ener-
                          bing.                                                getische Nutzung, sowie verbindende Strukturen
                                                                               wie Gehölze oder Landschaftselemente geschaf-
                          Auf der Tagung stellen Wissenschaftler aus ver-      fen werden. Auch im Wald kann durch integrative
                          schiedenen Einrichtungen ihre aktuellen For-         Forstwirtschaft die Biodiversität erhöht werden,
                          schungsergebnisse zur Steigerung der Biodiversi-     ohne eine Trennung in Nutz- und Schutzgebiete
                          tät vor, um sie mit hochrangigen Verbandsvertre-     vorzunehmen. Ein Beispiel dafür ist die aktive
                          tern und Praktikern zu diskutieren. Ziel der Ver-    Biotoppflege durch Mittelwald-Bewirtschaftung.
                          anstaltung war es, der Landwirtschaft und
                          Beratung Kulturpflanzen vorzustellen, die neben      Acker- und Forstwirtschaft Hand in Hand mit
                          ihrer energetischen und stofflichen Verwertungs-     Ökologie
                          möglichkeit auch zur Vielfalt auf dem Acker bei-
                          tragen.                                              Insgesamt bieten Nachwachsende Rohstoffe die
                                                                               Chance, ökologische Vorteile mit ackerbaulicher
                          Landwirtschaft kann Lösungen bieten                  und forstlicher Produktion zu kombinieren. So
                                                                               stellte Dr. Maendy Fritz, Sachgebietsleiterin Roh-
                          Generell bestand Einigkeit über den aktuell beleg-   stoffpflanzen am TFZ, mehrere Energiekulturen
                          ten Artenrückgang, der neben dem hohen Flä-          vor, die als Fruchtfolgeergänzung und auf Flä-
                          chenverbrauch auch durch die Fokussierung auf        chen mit geringerer Produktionseignung angebaut
                          Produktionseffizienz in der Landwirtschaft erklärt   werden können. Ihr Credo: „Ökologie und Öko-
                          werden kann. Zwar bietet die Landwirtschaft          nomie können Hand in Hand gehen.“ 
                          durch ihre große Flächenwirkung den besten He-       Hinrich Neumann

6                                                                                                            Landinfo 3 | 2019
Landinfo - Ministerium für Ländlichen Raum und ...
Christina Haessler, Jutta Wieland, Dr. Iris Weiche                                                                          Aktuelles

Erhalten, was uns erhält
Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt

Bildautor: Joachim Haessler

Unter dem Motto: „Erhalten, was uns erhält“ verpflichtet sich das Land Baden-Württemberg zum
Erhalt der biologischen Vielfalt als Lebensgrundlage. Aus diesem Grund hat die Landesregierung im
November 2017 ein bundesweit einmaliges Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt
mit einem Volumen von insgesamt 36 Mio. Euro für die Jahre 2018/19 beschlossen. Davon entfallen
30 Mio. Euro auf Maßnahmen und Projekte, 6 Mio. Euro werden für Monitoringaufgaben
herangezogen.

I m Fokus steht nicht nur die Weiterentwicklung
  bisheriger Maßnahmen insbesondere der Natur-
schutzstrategie, sondern auch die Erstellung von
                                                      zwei Maßnahmen im Förderprogramm für Agra-
                                                      rumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT).
                                                      Weitere Projekte werden im Jahr 2019 begonnen.
Konzepten und die Erprobung neuer Vorhaben            Die ergriffenen Maßnahmen und Projekte sind in
und Projekte zur Stärkung der biologischen Viel-      vier Handlungsfelder eingeteilt:
falt. Umgesetzt wird das Sonderprogramm vom
Ministerium für Ländlichen Raum und Verbrau-
cherschutz, dem Ministerium für Umwelt, Klima         Förderprogramm für Agrarumwelt,
und Energiewirtschaft und dem Ministerium für         Klimaschutz und Tierwohl                           Tab. 1: Übersicht bereitgestellte
                                                                                                         Mittel des Sonderprogramms zur
Verkehr. Das Sonderprogramm zur Stärkung der          Im Handlungsfeld Förderprogramm für Agra-          Stärkung der biologischen Vielfalt
biologischen Vielfalt wird von einem unabhängi-       rumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT) wer-
gen wissenschaftlichen Fachgremium, bestehend         den zwei FAKT-Maßnahmen mit den zusätzlichen
aus acht Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-       Mitteln aus dem Sonderprogramm gefördert - die
lern, begleitet und evaluiert. Im Zuständigkeitsbe-   Erweiterung der „Brachebegrünung mit Blühmi-
reich des Ministeriums für Ländlichen Raum und        schungen“ von 5 auf 7 ha pro Betrieb ab 2018 und
Verbraucherschutz (MLR) wird das Sonderpro-           die neue FAKT-Maßnahme „Blüh-, Brut- und
gramm von den Abteilungen Landwirtschaft, Ver-        Rückzugsflächen“ für Niederwild ab dem An-
braucherschutz und Waldwirtschaft umgesetzt.          tragsjahr 2019. Diese Maßnahmen haben das Ziel,
                                                      wertvolle Lebensräume nicht nur für Insekten,
                                                      sondern auch für Feldhasen und Feldvögel zu
    Projekte und Maßnahmen der                        schaffen.
    Abteilung Landwirtschaft
                                                      Projekte aus dem Handlungsfeld FAKT untersu-
Die Abteilung Landwirtschaft fördert im Rahmen        chen Maßnahmen, aus denen gegebenenfalls neue
des Sonderprogramms aktuell 22 Projekte und           FAKT-Maßnahmen für die künftige Förderperio-

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                         7
Landinfo - Ministerium für Ländlichen Raum und ...
Schwerpunktthema

                                                                                         de generiert werden können. Dazu gehören zum          schränken. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen,
                                                                                         Beispiel die herbizidfreie Bewirtschaftung des Un-    stellen Prognosemodelle dar, die das Risiko für das
       Für Flora und Fauna.                                                              terstockbereichs im Weinbau, sowie die Diversifi-     Auftreten von Schaderregern berechnen. Im Rah-
      Mit Herz und Verstand.                                                             zierung des Maisanbaus mit blühenden Mi-              men eines Projekts werden Prognosemodelle für
                                                                                         schungspartnern (z.B. mit Steinklee, Kürbis, Ka-      den Weinbau weiterentwickelt, wobei neue Er-
                                                                                         puzinerkresse, Stangenbohne). Mais ist derzeit die    kenntnisse und technische Fortschritte einfließen.
    D A S S OND E RP RO G RAM M Z U R ST ÄRKU N G DE R BI O LO G I SCH EN V IEL FA LT.
                                                                                         am häufigsten angebaute Kulturpflanze zur Fut-
                                                                                         ter- und Biogassubstratgewinnung. In der Natur-
                                                                                         schutzstrategie Baden-Württemberg wird die Ent-       Biodiversität von Agrarlandschaften
                                                                                         wicklung naturverträglicher Alternativen zum          Mit Hilfe der Projekte des Handlungsfelds „För-
                                                                                         Maisanbau als Ziel aufgeführt.                        derung der biologischen Vielfalt in Ackerbauregi-
Begleitend zur Umsetzung des
Sonderprogramms haben die                                                                                                                      onen und Gesamtbetriebliche Biodiversitätsbera-
betreffenden Ressorts eine                                                               Zum Streuobst erarbeitet das Kompetenzzentrum         tung“ werden fachlich bedeutende Erkenntnisse
Broschüre erstellt. Sie kann im
                                                                                         Obstbau Bodensee in Bavendorf ein Schulungs-          aus wissenschaftlichen Projekten für die landwirt-
Internet henruntergeladen oder
bestellt werden                                                                          konzept für den Schnitt von Streuobstbäumen           schaftlichen Betriebe nutzbar gemacht. So wird
https://mlr.baden-wuerttemberg.                                                          sowie zur Bewirtschaftung des Unterwuchses zur        die Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung in
de/fileadmin/redaktion/m-mlr/
                                                                                         Etablierung eines artenreichen Grünlandes.            unserem Land weiter etabliert, indem insbesonde-
intern/dateien/publikationen/
Landwirtschaft/Fuer_Flora_und_                                                                                                                 re die landwirtschaftlichen Aus-, Fort- und Weiter-
Fauna.pdf.                                                                                                                                     bildungsmöglichkeiten gestärkt werden sollen.
                                                                                         Einsatz von Pflanzenschutzmitteln                     Ein Schwerpunkt ist die Erarbeitung von Lernin-
                                                                                         reduzieren                                            halten und –materialien für den Fachschulunter-
                                                                                         Das Handlungsfeld „Reduktion des Einsatzes von        richt, einschließlich didaktischer Konzepte. Ein
                                                                                         Pflanzenschutzmitteln in Baden-Württemberg“           weiteres Projekt befasst sich mit Möglichkeiten
                                                                                         befasst sich mit Projekten, die den Einsatz von       zur Förderung der Artenvielfalt im intensiv ge-
                                                                                         Pflanzenschutzmitteln sowie dessen negative Aus-      nutzten Grünland, z.B. durch Stehenlassen von
                                                                                         wirkungen auf die Umwelt reduzieren sollen.           Altgrasstreifen und blühenden Randstreifen. Auf
                                                                                                                                               den Flächen der Domäne Bettenreute wurden
                                                                                         So bietet die Digitalisierung Möglichkeiten für ei-   Versuche aus dem Projekt regenerative Landwirt-
                                                                                         ne mechanische Unkrautbekämpfung, die gleich-         schaft angelegt. Durch „Grüne-Brücke-Maßnah-
                                                                                         zeitig effizient und schonend ist. Ein Projekt be-    men“ soll eine durchgehende Bodenbedeckung
                                                                                         fasst sich beispielsweise mit der Analyse der euro-   durch vitale Pflanzen erreicht werden, die günstige
                                                                                         paweit vorhandenen digitalen Technik im Pflan-        Bedingungen für das Bodenleben bietet und die
                                                                                         zenschutz und erprobt die Praxistauglichkeit          Fruchtbarkeit des Bodens fördert. Beim Projekt
                                                                                         verschiedener Verfahren. Beim Schutz von Kul-         „Nutzung von produktionsintegrierten Kompen-
                                                                                         turpflanzen vor Krankheitserregern und Schädlin-      sationsmaßnahmen (PIK)“ sollen insbesondere
                                                                                         gen ist eine Anwendung von Pflanzenschutzmit-         Maßnahmenvorschläge und Verfahrensabläufe
Bild 2: Die FAKT-Blühmischung
bietet Nahrung für Insekten und                                                          teln unumgänglich, jedoch besteht hier das Ziel       mit der praktischen Landwirtschaft und den betei-
Vögel                                                                                    die Anwendung auf das notwendige Maß zu be-           ligten Behörden und Institutionen erarbeitet wer-
Bild: Christina Haessler
                                                                                                                                               den, um landwirtschaftlich genutzte Flächen
                                                                                                                                               durch geeignete Bewirtschaftung ökologisch auf-
                                                                                                                                               zuwerten und dennoch für die Produktion zu er-
                                                                                                                                               halten.

                                                                                                                                               Genetische Ressourcen sichern
                                                                                                                                               Ein weiteres Handlungsfeld ist die „Sicherung der
                                                                                                                                               genetischen Ressourcen“, insbesondere vor dem
                                                                                                                                               Hintergrund des Klimawandels und der damit ein-
                                                                                                                                               hergehenden Notwendigkeit die landwirtschaftli-
                                                                                                                                               che Produktion an die sich verändernden Umwelt-
                                                                                                                                               bedingungen anzupassen – hier gilt das Leitmotiv:
                                                                                                                                               „Schützen durch Nützen“. Projekte aus diesem
                                                                                                                                               Handlungsfeld befassen sich beispielsweise mit
                                                                                                                                               der Verbesserung der Wertschöpfungskette alter
                                                                                                                                               Sorten, damit diese für den Handel attraktiver
                                                                                                                                               werden und Verbraucher auf die Existenz und den
                                                                                                                                               Wert alter Sorten aufmerksam werden.

8                                                                                                                                                                            Landinfo 3 | 2019
Landinfo - Ministerium für Ländlichen Raum und ...
Schwerpunktthema

  Mehr Bio in der Außer-Haus-                                                           Bild 3: Widderchen
                                                                                        Bild: Hans-Peter Ulrich
  Verpflegung

Die Abteilung Verbraucherschutz
führt das Projekt „Außer-Haus-Ver-
pflegung“ durch. Mit Unterstützung
des Sonderprogramms finden ab
2018 Modellprojekte in der Gemein-
schaftsverpflegung in Schulen, Reha-
Einrichtungen, Landeskantinen,
Hochschulmensen, Kliniken und Hei-
men statt. Alle Modellprojekte unterlie-
gen einer Biozertifizierung. Im Rahmen der
Modellprojekte erhalten die Teilnehmenden
Unterstützung und Beratung durch ein individu-
elles Coaching sowie die Möglichkeit zum Erfah-      Naturschutzgerechtes
rungsaustausch und Netzwerken bei Auftakt- und       Waldmanagement
Netzwerksitzungen.                                   Das Handlungsfeld „Biodiversi-
                                                     tätsmanagement von Wäldern“
                                                     erarbeitet ein digitales Waldnatur-
  Projekte der Abteilung                             schutzinformationssystem für alle
  Waldwirtschaft                                     Waldarten. Weiterhin werden mittels
                                                     Vertragsnaturschutzmaßnahmen Anreize
Die Abteilung Waldwirtschaft fördert im Rahmen       für den Privat- und Kommunalwald geschaffen.
                                                                                                              Bild 4: Wildkatze; Verantwortungs-
des Sonderprogramms neun Projekte und zwei           Zusätzlich wird die Bedeutung temporärer Wald-           art für Ba-Wü.
Monitoringvorhaben. Die ergriffenen Maßnah-          stilllegungsflächen für die Bedeutung der Biodi-         Bild: E. Marek
men sind in vier Handlungsfelder eingeteilt.         versität untersucht.

Biodiversität in Schutzgebieten                      Monitoring von Waldlebensräumen
Im Handlungsfeld “Naturparke und Natura 2000         Das „Biodiversitätsmonitoring von Wäldern“ er-
im Wald“ konnte das Projekt „Blühende Natur-         mittelt biodiversitätsrelevante Strukturen mittels
parke“ bislang 35 Kommunen in 5 Naturparken          Fernerkundungsdaten. Zusammenhänge zwi-
zur Anlage von 292 Blühflächen auf rund 15 Hek-      schen biologischer Vielfalt, Bodeneigenschaften
tar gewinnen. Darüber hinaus werden Maßnah-          und Bewirtschaftung wird eine beispielhafte Er-
men zur Natura 2000- Umsetzung in Bewirtschaf-       fassung der Waldbodenfauna herausstellen, um so
tungsplänen für den Privat- und Kommunalwald         relevante Indikatoren und Schutzmaßnahmen zu
sowie ein entsprechendes Erhaltungsmanagement        erarbeiten.
mit allen Waldbesitzarten entwickelt.
                                                     So wichtig die verstärkten Anstrengungen inner-
                                                     halb der Landesverwaltung auch sind, sie alleine
Lebensräume verbessern                               reichen nicht aus, um den Rückgang der Arten
Projekte des Handlungsfeldes „Wildtiermanage-        aufzuhalten. Es braucht auch das kommunale und
ment“ beschäftigen sich mit der Verbesserung         private Engagement, um diese gesamtgesell-
von Lebensräumen für das Niederwild wie Reb-         schaftliche Aufgabe zu meistern. In 2019 haben
huhn und Hase und ebenso mit Beratungsmög-           wir deshalb einen Landeswettbewerb für den Er-
lichkeiten für landwirtschaftliche Betriebe im Of-   halt der biologischen Vielfalt unserer Heimat auf-
fenlandbereich. Dem Rückgang des Auerwildes          gesetzt. Der Startschuss für die Teilnahme wird
im Schwarzwald soll durch entsprechende Auf-         am 01.Juli 2019 erfolgen. Mit dem Landeswettbe-
lichtungsmaßnahmen, Schutzkonzepte sowie Be-         werb „Baden-Württemberg blüht“ will das MLR
ratungs- und Öffentlichkeitsarbeit entgegengetre-    Kooperationen sowie Konzepte und Maßnahmen
ten werden. Der Verbreitung der Wildkatze gilt als   auszeichnen, die sich vorbildlich für den Erhalt
Verantwortungsart für Baden-Württemberg be-          der biologischen Vielfalt in Ihrer Heimat engagie-       Christina Haessler
sondere Aufmerksamkeit. Hier werden flächen-         ren.                                                    MLR
konkrete Erhaltungsmaßnahmen und Vernetzun-          Weiterführende Informationen erhalten Sie unter:         Tel.: 0711 126-1026
gen von Lebensräumen in die Praxis umgesetzt.        https://mlr.baden-wuerttemberg.de/de/unsere-themen/      christina.haessler@mlr.
                                                     biodiversitaet-und-landnutzung/                          bwl.de

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                             9
Landinfo - Ministerium für Ländlichen Raum und ...
Schwerpunktthema

Sabine Braun

Projekt Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung –
Kommunikation und Bildung
Das Projekt „Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung (GBB) – Kommunikation und Bildung“ ist Teil
des Sonderprogramms zur Stärkung der biologischen Vielfalt des Landes Baden-Württemberg (siehe
hierzu auch S. 3 ff). Das Programm hat das Ziel, die biologische Vielfalt der baden-württembergischen
Kulturlandschaft zu stärken und dabei auch die Landnutzer*innen in ihren Anstrengungen zugunsten
der Biodiversität zu unterstützen. Mit dem Anliegen, Impulse für mehr Biodiversität vor allem im
Bildungsbereich zu setzen und die Biodiversitätsberatung im Land Baden-Württemberg weiter zu
etablieren, trägt das GBB-Projekt auch zur Umsetzung der Naturschutzstrategie des Landes bei.

                                    Ausgangssituation/Projektkontext                    nen, wo sie durch einen eigenen Beitrag zu einer
                                                                                        Verbesserung der Artenvielfalt und damit auch zu

                                  S    eit 2015 stellt das Land Baden-Württemberg
                                       unter der Gesamtkonzeption ‚Beratung.Zu-
                                  kunft.Land‘ (B.Z.L.) eine Vielzahl von Beratungs-
                                                                                        einer intakten Umwelt beitragen können.

                                  modulen zur Verfügung. Die gesamtbetriebliche           Impulse setzen für aktives Handeln
                                  Biodiversitätsberatung (GBB) wird in zwei Bera-
                                  tungsmodulen angeboten, einem Einstiegsmodul          Den Landwirten*innen kommt bei der Stärkung
                                  „Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung“ und       der biologischen Vielfalt eine Schlüssel- und Lö-
                                  einem Spezialmodul „Maßnahmen zur Biodiversi-         sungsfunktion zu. Sie sollen für diese Funktionen
                                  tät“. Bei beiden Modulen werden 100 Prozent der       gewonnen und ausdrücklich nicht als Verursacher
                                  förderfähigen Kosten, maximal bis 1.100 Euro          „an den Pranger gestellt“ werden. Mit dem Kom-
                                  übernommen. In Zukunft soll dieses Angebot,           munikations- und Bildungsprojekt soll ihre Ak-
                                  welches landwirtschaftlichen Betrieben aufzeigt,      zeptanz für Biodiversitätsmaßnahmen weiter ge-
                                  wie sie mit oft kleinen, an ihren Betrieb angepass-   fördert werden. Die landwirtschaftliche Aus-,
                                  ten Veränderungen einen Beitrag gegen das Ar-         Fort- und Weiterbildung bietet erfolgsverspre-
                                  tensterben leisten können, noch stärker in den        chende Ansatzpunkte bei der Sensibilisierung und
                                  Focus gerückt werden. Die öffentliche Diskussion      Bewusstseinsbildung in der Landwirtschaft, wes-
                                  und Medienberichterstattung zum Themenkom-            halb vor allem hier das Thema verstärkt platziert
                                  plex Biodiversität und Fragen des Tierwohls, Was-     wird.
                                  serschutzes, usw. drängen viele Landwirte*innen
                                  in eine Rechtfertigungs- und Abwehrhaltung. Mit       Für den Fachschulunterricht werden Lerninhalte
                                  Hilfe der GBB können sie sich aktiv mit dem The-      einschließlich eines didaktischen Konzeptes erar-
                                  ma auseinandersetzen sowie in die gesellschaftli-     beitet sowie Materialien unter der Berücksichti-
                                  chen Diskussionen einbringen und dabei erken-         gung „digitaler Lernwege“ entwickelt. Mit der
Bild 1 und 2: Aufnahmen
derselben landwirtschaftlichen
Fläche aus der Luft; links
Normalaufnahme, rechts mit
Wärmebildkamera; Fotos: Michael
Ziesel, LWA Biberach

10                                                                                                                   Landinfo 3 | 2019
Aktuelles

Fachschule für Landwirtschaft in Biberach, Fach-
richtung Landbau wird momentan an der Ent-
wicklung eines Unterrichtsmoduls zu Biodiversi-
tät und Landwirtschaft gearbeitet. Die Schule wird
im Laufe des Jahres 2019 das Modul in einer Pilot-
phase testen und entsprechend weiterentwickeln
(Konzept Unterrichtsmodul). Teil des Unter-
richtsmoduls ist neben dem klassischen Präsenz-
unterricht auch der Einsatz von Webinaren, einer
Selbstlernphase und ein Praxistag auf einem Schü-
lerbetrieb. Für die Selbstlernphase hat die Fach-
schule mit dem „Selbst-Check“ eine EDV-An-
wendung zur Selbsteinschätzung der Biodiversität
im eigenen Betrieb entwickelt (s. Seite 8), welche   ma Biodiversität und Landwirtschaft aktiv einge-     Bild 3: Landwirt und Berater
                                                                                                          besprechen mit welchen
im Rahmen eines Webinars mit einem Beispielsbe-      bracht. Dieses Angebot wurde zu Beginn der Pro-      Veränderungen die biologische
trieb vorgestellt und danach von jedem Studieren-    jektlaufzeit hauptsächlich im Rahmen der Winter-     Vielfalt erhöht werden kann;
den im eigenen Betrieb angewendet werden soll.       programme der Unteren Landwirtschaftsbehörden        Bild: Sabine Braun, Landsiedlung
Bei dem Praxistag wird u.a. der Einsatz einer        (ULB) bzw. des Verband Landwirtschaftlicher
Drohne mit Wärmebildkamera im Unterricht er-         Fachbildung Baden-Württemberg e.V. (VLF) an-
probt (Bilder 1 und 2). Mit der Drohne werden,       genommen. Für die Sommermonate liegen erste
neben der Erfassung von Saumstrukturen und           Anfragen für geplante Veranstaltungen vor, bei
Biotopen, Unterschiede in der Agrarstruktur und      der die Erhaltung und Verbesserung der Biodiver-
im Pflanzenbestand ermittelt, Nistplätze von Bo-     sität thematisiert werden soll. Zusammen mit
denbrütern geortet und Tiere in der Feldflur live    BWagrar wird eine Weiterbildungsmaßnahme in
aufgespürt, bspw. Rehkitze in Wiesen vor der         Webinar-Form konzipiert. Darüber hinaus sollen
Mahd. Für die vertiefte Betrachtung einzelner As-    Meinungsbildner*innen und Multiplikatoren*innen
pekte der Biodiversität werden in kleinen Grup-      noch aktiver eingebunden werden.
pen Exkursionen mit Experten angeboten, bei
welchen sich die Studierenden mit der Artenviel-     Das Projekt greift vorhandene Strukturen und In-
falt in den Lebensräumen Äcker Wiesen, Gehölze       itiativen auf und schafft entsprechende Verbin-
und Gewässer näher befassen können. Das Unter-       dungen. So gibt es neben den genannten Akteuren
richtsmodul sowie Lerninhalte und ggf. ein Leitfa-   unter anderem auch Austausch und Zusammenar-
den werden nach der Pilotphase allen Fachschulen     beit mit dem F.R.A.N.Z. Projekt (Für Ressourcen,
zur Verfügung gestellt.                              Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft),
                                                     BWagrar, den Landschaftserhaltungsverbänden,
Das Projekt hat auch andere Fachschulen angeregt     dem Evangelischen Bauernwerk in Württemberg
und dabei unterstützt, das Thema Biodiversität in    e.V., der Allianz für Niederwild, den Biomusterre-
den Unterricht, bei Praxistagen oder im Rahmen       gionen, lokalen Projektgruppen, einzelnen Be-
von Exkursionen zu integrieren. So hat beispiels-    rufsschulen und Agrargymnasien sowie den Orga-
weise die Fachschule Emmendingen eine modell-        nisatoren der Gläsernen Produktion. 
hafte GBB-Beratung auf einem Schülerbetrieb
durchgeführt, und die Fachschule Kupferzell er-
gänzt den Unterricht durch Fachvorträge von Bio-       Interesse am Projekt oder einer
                                                       Zusammenarbeit? Kontaktieren Sie uns:
diversitätsexperten und eine entsprechende Be-
triebsbesichtigung vor Ort.                            Projektlaufzeit: 01.08.2018 bis 31.12.2019

Bildungsträger der ländlichen Erwachsenenbil-          https://landsiedlung.de/leistungen/projekt-
dung können im Rahmen des Projekts Unterstüt-          gesamtbetriebliche-biodiversitaetsberatung-
                                                       gbb-kommunikation-und-bildung/
zung bei der Platzierung und Organisation von          www.gbb.lel-bw.de
Veranstaltungen erhalten und bei der Vermittlung       www.beratung-bw.de
erfahrener Beratungskräfte und überzeugter
Praktiker*innen als Referenten*innen. Die Einbe-       Projektleitung: Sabine Braun                       Sabine Braun
ziehung der Praktiker erhöht die Authentizität         Landsiedlung Baden Württemberg GmbH                Landsiedlung Baden-
                                                       Dienstsitz:
sowie Akzeptanz der Botschaft und unterstreicht        Landesanstalt für Landwirtschaft, Ernährung
                                                                                                          Württemberg
die Relevanz des Themas. Zwischen Oktober              und Ländlichen Raum (LEL), Schwäbisch              Tel.: 07171 917 414
2018 und März 2019 haben sich Biodiversitäts-          Gmünd                                              E-Mail: sabine.braun@
Experten in 18 Veranstaltungen rund um das The-                                                           landsiedlung.de

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                       11
Schwerpunktthema

      Projekt Gesamtbetriebliche Biodiversität - Der Selbst-Check für Landwirte im Landkreis Biberach

      Der Selbst-Check besteht aus 2 Arbeitsblättern: die Hofstelle und die landwirtschaftlich genutzte Fläche.
      Bitte bearbeiten Sie die grün hinterlegten Zellen und geben Sie am Ende das Verhältnis Ackerfläche:Grünlandfläche an.
      Wenn Sie beide Arbeitsblätter ausgefüllt haben, können Sie unter "Auswertung" Ihr Gesamtergebnis sehen.
      Ganz rechts finden Sie weitere Informationen und hilfreiche Links zu den jeweiligen Kategorien. Viel Spaß beim Ausfüllen!

      Kategorie                   Erläuterung                                          Mindestkriterien                         Erfüllt?
                                                                                       Gelände bis zum Umkreis von 200 m, zählt
      1. Hofstelle                Gebäude mit Stall, inkl. Garten
                                                                                       nicht zur landw. Fläche
      1.1 Nistmöglichkeiten
      Schwalbennester             an geeigneter Stelle anbringen                       Naturnester oder Nisthilfen                   Ja

      Vogelnisthilfe groß         z.B. für Turmfalke, Eulen, auch Storchennest         Naturnester oder Nisthilfen                   Ja

      Vogelnistkasten klein       bis Amselgröße und kleiner                           Naturnester oder Nisthilfen                   Ja

      Wildbienennisthilfe         Naturnester oder Nisthilfen                          Mindesttiefe 15 cm                            Ja
                                  bieten natürlichen Lebensraum für verschiedene       2 Bäume mit mind. 30 cm
      Alte Bäume/ Totholz                                                                                                            Ja
                                  Tiere, z.B. Wildbienen                               Durchmesser
                                                                                       Einflugöffnungen freihalten
                                                                                       oder mind. 2                                  Ja
      Fledermausquartier          z.B. Holzscheunen, Fensterläden, Gewölbekeller
                                                                                       Fledermauskästen an
                                                                                       geeigneter Stelle
                                                                                       Link zu Bauanleitungen:
      1.2 Verzicht auf Herbizide und Insektizide                                       komplette Hofstelle                           Ja
      1.3 Fallen vermeiden
      Amphibien                   Abdeckung oder Ausstieghilfen von Schächten, Wassertrögen,
                                                                                     kompletteusw.
                                                                                                Hofstelle                            Ja
      Vögel                       Vogelschlag-Schutz an großen Glasfronten                                                           Ja
      Insekten                    insektenschonende Beleuchtung                      z.B. warmweiße LEDs                             Ja

      1.4 Strukturelemente
      Trockenmauer                                                                   ohne Fugen                                      Ja
      Stein-, Sand- oder Laubhaufen, offene Bodenstellen/Lehm                        mind. 1 Jahr lang                               Ja
      Feuchtlebensräume           Teiche, Tümpel oder Gräben                                                                         Ja
      1.5 Dächer und Fassade
      Strangfalzziegel oder
                                  dienen Wildbienen als Nistplatz                    Mind. 10 m2                                     Ja
      Schindeldach
      Begrünung                   z.B. Wilder Wein, Spalierobst                      Mind. 10 m2                                     Ja

      Holzverkleidung             Unterschlupf für Tiere                             Mind. 10 m2                                     Ja

                                                                                     Mit Hohlräumen, Mind. 10
      Unverputzte Mauer           Hohlräume als Unterschlupf
                                                                                     m2                                              Ja

      1.6 vielfältiger Garten
      Heimische Sträucher                                                            mind. 10 Stück                                  Ja
      lebendiger Weidenzaun       z.B. Gerüst für Weinreben, Wildrose (Weide braucht
                                                                                     Mind. 10 m Länge                                Ja
      oder Pergola                kein Gerüst)
      Blühende Hecke              z.B. Schlehen, Liguster, …                         Mind. 10 m2                                     Ja

      Wildblumenwiese             möglichst mehrjährige, heimische Arten             Mind. 15 m2                                     Ja
      „Wilde Ecke“ für Falter     z.B. Hochstauden wie Brennesseln, Disteln, …         Mind. 15 m2                                   Ja
      Streuobstwiese                                                                   Mind. 5 Obstbäume                             Ja
      Mischung von Zier- und      alle Pflanzen im Garten                              Mind. 25 verschiedene
                                                                                                                                     Ja
      Nutzpflanzen                                                                     Pflanzen
      Komposthaufen               fördert das Bodenleben                               mind. einer                                   Ja

                                                                                                                     Summe:                 0
                                                                                                                                  von 25
      Gold                        Mind. 18                                                                       72 %             Punkten
      Silber                      Mind. 10                                                                       40 %
      Bronze                      Mind. 8                                                                        32 %

     Screenshot der Excel-Anwendung „Selbst-Check“

12                                                                                                                        Landinfo 3 | 2019
Schwerpunktthema

 René Greiner, Anne Wischemann

 Rebhuhn – Quo vadis?
 Um die Arten der offenen Agrarlandschaft ist es derzeit schlecht bestellt. Das Erschreckende: Es
 betrifft nicht nur zahlreiche Insektenarten, sondern auch ehemalige Allerweltsarten, allen voran das
 Rebhuhn. In der Roten Liste Baden-Württemberg wird das Rebhuhn in der Kategorie 1 (vom
 Aussterben bedroht) geführt und steht somit symptomatisch für den Verlust der Biodiversität in der
 Agrarlandschaft. Der Bestand des Rebhuhns ist europaweit seit 1980 um 94 Prozent zurückgegangen,
 Baden-Württemberg ist von dieser negativen Entwicklung nicht ausgenommen.

                                                                                                                         Foto: privat/LJV

D     och woran liegt es? Den Finger nur gegen die
      Landwirtschaft zu erheben wäre deutlich zu
kurz gegriffen und würde nicht die Komplexität
                                                     ser Einflussfaktoren wird deutlich, dass andere
                                                     zusätzliche Faktoren das Fass oftmals zum Über-
                                                     laufen bringen, da die Bestände diese nicht kom-
des Problems wiederspiegeln. Natürlich hat sich      pensieren können. Durch Witterungsextreme, vor
die Landbewirtschaftung in den letzten Jahrzehn-     allem zur Brut- und Setzzeit, oder permanente
ten stark verändert und damit auch die Lebens-       Störung in den wenigen Rückzugsbereichen ist
raumqualität für Wildtiere im Offenland. Doch        den Offenlandarten eine erfolgreiche Reprodukti-
neben der Landwirtschaft gibt es noch eine ganze     on oft nicht in ausreichendem Maße möglich.
Reihe anderer Faktoren, die berücksichtigt werden
müssen. Der Flächenverbrauch durch Siedlungs-
und Gewerbebau sowie Infrastrukturmaßnahmen            Das Projekt
findet nach wie vor statt. Zwar ist der Trend der-
zeit rückläufig, aber es wird dennoch jeden Tag im   Um dieser komplexen Problemlage etwas entge-
Land Fläche verbraucht, was den Druck auf die        genzusetzen, wurde im Jahr 2016 das Kooperati-
verbliebenen Freiflächen verschärft. Zumal die       onsprojekt „Allianz für Niederwild“ der Wildfor-
Landwirtschaft in der Regel zweimal Fläche ver-      schungsstelle des Landes Baden-Württemberg am
liert – durch den Eingriff selbst und die damit      LAZBW und des Landesjagdverbandes Baden-
verbundenen Ausgleichsmaßnahmen, mit denen           Württemberg gestartet, das durch das Ministerium      Rotationsbrache:
                                                                                                           „Eines wird bei der neuen
Offenlandarten wie das Rebhuhn nur allzu oft         für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz aus
                                                                                                           FAKT-Maßnahme schnell deutlich:
nicht wirklich etwas anfangen können. Hinzu          Mitteln der Jagdabgabe und dem Sonderpro-             Die Strukturvielfalt wird auf
kommt, dass Beutegreifer wie der Rotfuchs in den     gramm Biologische Vielfalt gefördert wird. Wol-       Schlagebene erhöht, da in den
                                                                                                           Folgejahren im Wechsel nur die
letzten Jahren im Bestand stark zugenommen ha-       len Lösungen für die beschriebenen Probleme
                                                                                                           Hälfte neu angelegt wird.“
ben. In den 70er- und 80er-Jahren wurde durch die    gefunden werden, braucht es ein breites Bündnis
landesweite Tollwut-Immunisierung ein natürli-       aller Akteure in der Agrarlandschaft, eine „Allianz
ches Regulativ beim Rotfuchs ausgeschaltet.          für Niederwild“. Sie ist ein breites Bündnis von
Kombiniert mit seiner Anpassungsfähigkeit an         Jägern, Naturschützern, Kommunen, Landwirten,
unsere heutige Kulturlandschaft und neue Le-         Grundeigentümern, Behörden und Forschungs-
bensräume verschärft er, gemeinsam mit anderen       einrichtungen im Land. In einem Leitbild haben
Beutegreifern, die Situation der Offenlandarten      sich die verschiedenen Akteure auf eine gemein-
zusätzlich. Vor allem bodenbrütende Vogelarten       same Position zum Rückgang der Artenvielfalt im
sind hiervon betroffen. Vor dem Hintergrund die      Agrarraum und zu den übergeordneten Zielen des

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                       13
Schwerpunktthema

Blühbrache (1): „Nur ein feingrümeliges Saatbett, oberflächiges               Blühbrache (2): „Frisch eingesäte Flächen können wertvolle
Ausbringen der Saat und anschließendes Anwalzen sorgen für ein                Nahrungsflächen sein.“
sauberes Auflaufen der Blühmischung.“

                                                       Projekts geeinigt. Erklärtes          Frage nach den aktuellen Umsetzungsmöglichkei-
                                                       Ziel des Projektes ist es, Offen-     ten auf und hier wurde klar: Im Förderprogramm
                                                       landarten durch Erhalt und            für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl
                                                       Verbesserung ihrer Lebensräu-         (FAKT) sind bisher nur einjährige und überjährige
                                                       me zu fördern. Eine kleinpar-         Blühmischungen möglich. Was vor allem das Reb-
                                                       zellierte, extensiv ausgerichtete     huhn (und damit viele andere Offenlandarten)
                                                       Landwirtschaft, wie sie bis zur       braucht, fehlt hingegen, nämlich Brachestruktu-
                                                       Mitte des 20. Jahrhunderts üb-        ren als Brutplatz im kleinräumigen Wechsel mit
                                                       lich war, gehört der Vergangen-       geeigneten Nahrungsflächen. Im Nachgang zu
                                                       heit an. Die veränderten Rah-         dem Eröffnungstermin wurden die Wildfor-
                                                       menbedingungen erfordern              schungsstelle und der Landesjagdverband vom
                                                       neue Ansätze für den Schutz           Ministerium für Ländlichen Raum und Verbrau-
                                                       von sensiblen Offenlandarten          cherschutz aufgefordert, eine niederwildfreundli-
                                                       und deren Lebensräume. Was            che Fördermaßnahme für das FAKT auszuarbei-
Blühbrache (5): „Im Herbst und                         wir brauchen, ist eine moderne        ten. Ab 2019 wird es eine solche Maßnahme unter
Winter bietet die gesamte Fläche
Versteckmöglich-keiten für viele     Landwirtschaft mit integrierten Rückzugsräumen.         dem Titel „Blüh-, Brut- und Rückzugsflächen“
Arten.“                              Diese Rückzugsräume könnten durch Agrarum-              geben.
Bild: R. Greiner                     weltmaßnahmen realisiert werden. Durch Bera-
                                     tung und Aufklärung werden die Potentiale beste-        Mit der neu eingeführten FAKT-Maßnahme för-
Blühbrache (6): „Der entschei-       hender Agrarförderprogramme genutzt. Umge-              dert das Land Baden-Württemberg Landwirte, die
dende Vorteil: Im Frühjahr und
Frühsommer ist bereits Vegetation
                                     kehrt dienen die Erfahrungen aus der Praxis, den        auf ihren Flächen mehrjährige Lebensräume für
auf der Fläche, die als Brutplatz    lokalen Projekten und den offiziellen Modellregi-       Feldhase, Feldvögel und Insekten schaffen. Die
dienen kann.“                        onen des Projekts der gezielten Weiterentwick-          Bewirtschaftung ist einfach erklärt: Im ersten
Bild: R. Greiner
                                                      lung von Agrarförderprogram-           Standjahr wird die komplette Fläche mit einer
                                                       men.                                  Blühmischung eingesät. In den Folgejahren wird
                                                                                             im Wechsel die Hälfte der Blühfläche stehengelas-
                                                                                             sen und die andere Hälfte umgebrochen und neu
                                                         Neue FAKT-Maßnahme                  eingesät. Dadurch wird die Strukturvielfalt auf
                                                         Blüh-, Brut- und                    Schlagebene erhöht und ein Nebeneinander von
                                                         Rückzugsflächen                     Deckung (Brut- und Setzplatz) und Nahrungsha-
                                                                                             bitat geschaffen. Mit dieser Maßnahme sollen ne-
                                                         Dies gelang dem Projekt erst-       ben dem Niederwild vor allem auch Blütenbesu-
                                                         mals im Oktober 2017 bei der        cher, insbesondere Wildbienen, und landwirt-
                                                         Eröffnung der ersten Modell-        schaftliche Nützlinge, wie z.B. Spinnen oder Lauf-
                                                         region durch Minister Peter         käfer, gefördert werden. Dies wirkt sich positiv
                                                         Hauk auf der Filderebene nahe       auf die Bestäubungsleistung unserer Wild- und
                                                         Stuttgart. Bei der Besichtigung     Kulturarten aus. Auch unter der Erde entfaltet
                                                         einer Rotationsbrache kam die       sich Positives. So kommen unter Blühflächen mit

14                                                                                                                            Landinfo 3 | 2019
Schwerpunktthema

                                                                                                                                                    Bilder: R. Greiner, LJV
Blühbrache (3): „Das Nebeneinander von Brutplatz und neuer Blühfläche         Blühbrache (4): „Auch im zweiten Standjahr entwickelt sich ein
sorgt für Vielfalt auf dem Acker.“                                            artenreicher und schöner Blühaspekt.“

über 200 Regenwürmern/m2 rund dreimal mehr                • Anrechnung als „Ökologische Vorrangfläche“
Regenwürmer vor, als unter klassisch bewirtschaf-           ist nicht möglich
teten Ackerflächen. Neben den agrar- und wild-            • Die jährliche Ausgleichsleistung beträgt 540 €/
ökologischen Vorteilen für zahlreiche Wildtiere             ha/Jahr (Kalkulationsgrundlage: Durchschnitt-
kommt ein weiterer Faktor hinzu: Der Blüten-                liche Deckungsbeitragsverluste)
reichtum wird vom Menschen wahrgenommen.
Blühflächen werden daher als positiver Beitrag der           Im Land bewegt sich was
Landwirtschaft betrachtet und von den Bürgern
sehr geschätzt. Darüber hinaus stellen Agrarum-           Die Allianz für Niederwild begleitet derzeit 7 Lo-
weltmaßnahmen auch ein alternatives Einkom-               kalprojekte in Baden-Württemberg beim Pro-
men für Landwirte dar und im letzten Antragsjahr          jektaufbau, der Flächenakquise und –auswahl so-
wird der Vorfruchtwert des Ackers gesteigert – ein        wie bei der Maßnahmenumsetzung. Darüber hin-
weiterer Vorteil der Maßnahme.                            aus bearbeitet die LAZBW-Wildforschungsstelle
                                                          und der Landesjagdverband B-W vier Modellregi-
Wie im Förderprogramm FAKT üblich, ist die                onen selbst, um so wertvolle Erkenntnisse in der
Zahlung der Ausgleichsleistung an bestimmte Be-           praktischen Maßnahmenumsetzung gewinnen zu
dingungen bei der Maßnahmenumsetzung gekop-               können. In den Modellregionen werden lebens-
pelt:                                                     raumverbessernde Maßnahmen umgesetzt, die                 René Greiner
                                                          zum Teil noch nicht förderfähig sind und es wer-          Landesjagdverband
• Aussaat mit FAKT-Blühmischung M3 bis spä-               den neue Ansätze im Wildtiermonitoring durch-             Baden-Württemberg e.V.
  testens 15. Mai (10 kg/ha)                              geführt. Durch die Vernetzung der einzelnen Pro-          Tel: 0711 268436 23
• Einhaltung einer Winterruhe bis 15. Januar im           jekte konnten wichtige Synergieeffekte genutzt            greiner@
  Folgejahr, danach auf ca. ½ der Fläche Mulchen          werden und so, gemeinsam mit dem MLR und                  landesjagdverband.de
  und Bodenbearbeitung zur Vorbereitung der               dem UM, offene Fragen im Bereich der Agrar-
  Neuansaat möglich                                       und Naturschutzförderung geklärt werden.
• Spätestens bis 15. Mai auf der Hälfte (mind. 1/3
  bis max. 2/3) der Fläche Neuansaat der Blühmi-          Klar ist aber: Es gibt noch genug zu tun, wenn es
  schung, Querteilung empfohlen                           um die Weiterentwicklung der Agrarförderpro-
• In den folgenden Antragsjahren wechseln Neu-            gramme mit geeigneten Maßnahmen geht oder die
  ansaat und Bracheteil jährlich                          Anpassung agrarrechtlicher Vorgaben an die Ziele
• Kein Einsatz von Pflanzenschutz- und Dünge-             des Sonderprogramms Biologische Vielfalt, wie
  mitteln. Im letzten Antragsjahr ist eine acker-         zum Beispiel das Überdenken der Mindesttätig-
  bauliche Nutzung (Vorbereitung einer Folge-             keit. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, wenn
  kultur) auf der Förderfläche wieder ab dem              wir die Biologische Vielfalt im Agrarraum langfris-       Anne Wischemann
  01.09. möglich                                          tig erhalten wollen, den es sich aber zu gehen lohnt      WFS
• Mindestgröße 0,5 ha, Mindestbreite 10 m                 – für Mensch und Wildtier.                               Tel: 07525 942-491
• Die Maßnahme ist 5 Jahre auf der gleichen Flä-                                                                    anne.wischemann@
  che durchzuführen                                                                                                 lazbw.bwl.de

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                              15
Richard Mössner
Aktuelles

Produktionsintegrierte Kompensationsmaßnahmen in
der Landwirtschaft

Die Landwirtschaft Baden-Württemberg verliert durch Siedlungsentwicklung und Infrastruktur-
maßnahmen täglich Produktionsflächen. Die Eingriffsregelung nach dem Bundesnaturschutzgesetz
gebietet, Eingriffe in Naturhaushalt und Landschaft mittels Ausgleichs-und Ersatzmaßnahmen zu
kompensieren, also die Funktion des Naturhaushalts oder Landschaftsbildes wieder herzustellen.
Nach Erlass der Ökokontoverordnung hat sich ein funktionsfähiges System auf Basis von Ökopunkten
für Bewertung, Planung und Handelbarkeit etabliert. Bisher werden aber zur Durchführung dieser
naturschutzfachlichen Kompensationsmaßnahmen meist landwirtschaftlich genutzte Flächen
vollständig aus der Nutzung herausgenommen bzw. stark extensiviert. Die Praktiker sprechen dann
häufig davon, dass sie durch einen Eingriff zweimal Fläche verlieren. Produktionsintegrierte
Kompensationsmaßnahmen (PiK) stellen nun einen Weg dar, landwirtschaftlich genutzte Flächen mit
geeigneten Maßnahmen ökologisch aufzuwerten und dennoch weiterhin landwirtschaftlich zu nutzen.

                       E    s sind nicht allein agrarstrukturelle Belange,
                            die die Notwendigkeit neuer Wege in der
                       Kompensationspraxis anzeigen. Verschiedene
                                                                             kuhlen, welche für viele Rote Liste Arten wichtige
                                                                             Strukturelemente in ihren Lebensräumen darstel-
                                                                             len, befördert ihr Verschwinden (Kunz et al.,
                       Studien zu gut erforschten Taxa, wie den Schmet-      2014). Eine durch Markteinflüsse und technologi-
                       terlingen und charakteristischen Wildbienenarten      sche Entwicklungen getriebene Intensivierung der
                       (Hallmann et al., 2017; Sánchez-Bayo und Wyck-        Landwirtschaft unter Einbezug von ehemals un-
                       huys, 2019) lassen Tendenzen zur Abnahme der          genutzten Flächen in die Bewirtschaftung, Sied-
                       Artenbestände bei Insekten erkennen. Die öko-         lungs- und Infrastrukturausbau tragen zu diesem
                       systemare Bedeutung von Insekten kann nicht           Verlust von Sonderstandorten insbesondere bei.
                       überschätzt werden, denn neben der Bestäu-            Auch Lichtverschmutzung ist ein Faktor (Grubisic
                       bungsleistung sind sie ein wichtiger Bestandteil      et al., 2018).
                       des Nährstoffkreislaufs und stellen die Nahrungs-
                       grundlage für einen Großteil der höheren Stufen       Die hier beschriebene Umformung unserer Ag-
                       der Nahrungskette dar. Gründe für den Rückgang        rarlandschaft führt auch zum signifikanten Rück-
                       sind vielgestaltig und keinesfalls auf einen Faktor   gang der charakteristischen Offenlandvogelarten
                       reduzierbar. Wildkrautfreie Äcker, ermöglicht         wie Feldlerche, Goldammer und Feldsperling
                       durch lückenlose Bestände und effizienten Dün-        u.a.(Abb. 1).
                       ge- und Pflanzenschutzmitteleinsatz, entziehen
                       insbesondere Spezialisten die Nahrungsgrundla-        Interessanterweise sind es vor allem stark vom
                       ge. Der Verlust von Sonderstandorten, beispiels-      Menschen überformte Standorte auf denen sich
                       weise karge offene Flächen, Rohböden, Sandflä-        eine hohe Artenvielfalt insbesondere auch von
                       chen und Abbruchkanten, Pfützen und Schlamm-          Rote-Liste-Arten nachweisen lässt, beispielsweise

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Schwerpunktthema

ehemalige Tagebaustandorte, Truppenübungs-
plätze und Munitionsdepots, wie z.B. in Bracht.
Offenlandflächen, sich selbst überlassen, ver-
schwinden durch natürliche Sukzession und mit
ihnen die typischen Arten. Will man diese Offen-
landarten in Ihrem Bestand erhalten, so müssen
Strukturen simuliert werden, wie es sie vor der
agrarindustriellen Revolution gab.

  Abgrenzung der Begriffe

Bei der Frage, welcher Zielsetzung eine bestimmte
Maßnahme dient, müssen die Begriffe Natur-
schutz, Artenschutz und Umweltschutz deutlich
voneinander abgegrenzt werden. Würde man den
Begriff Naturschutz sehr strikt auslegen, so müss-
te man sich nur auf die Unterlassung jedes
menschlichen Eingriffes an einem Standort be-
schränken und sich die standortabhängige natürli-
che Lebensgemeinschaft von Arten entwickeln
lassen. Der Naturschutz wäre also reiner Prozess-    schaftlichen Betrieben häufig weitere Produkti-         Abb. 1: Bestandsindex von
                                                                                                             Feldlerche, Feldsperling und
schutz (Schmitt, T. 2016). Mit Natur bezeichnen      onsfläche dauerhaft. Eine beliebte Ausgleichs-
                                                                                                             Goldammer. Entwicklung von
wir aber im weiteren Sinne auch die naturnahe        maßnahme war und ist in Baden-Württemberg das           1999 bis 2014.
Kulturlandschaft, deren Konservierung wir aus        Anlegen von Streuobstwiesen. Die Herstellungs-          Quelle: Landesanstalt für Umwelt
                                                                                                             Baden-Württemberg
berechtigten Gründen für erstrebenswert halten.      kosten lassen sich leicht abbilden, der erzielte
Der Erhalt der Kulturlandschaft geht mit diversen    Kompensationswert pro Flächeneinheit ist relativ
Zielkonflikten einher: der Bedarf an Wohnraum        hoch. Oft wird dabei jedoch der hohe Pflegeauf-
und Infrastruktur, die Produktion hochwertiger       wand, den eine Streuobstwiese für Mahd und
Nahrungsmittel in der Region und die Aufgabe         Baumschnitt benötigt, nicht eingeplant bzw. ein-
traditioneller Nutzungsformen bestimmter Land-       gepreist. Viele Streuobststandorte befinden sich
schaftstypen machen Naturschutz zu einem kost-       im stark pflegebedürftigen Zustand (Schmieder et
spieligen Unterfangen, zumal heimische Landwir-      al, 2011) und erzielen dadurch nicht die ökosyste-
te mit Produzenten weltweit am Absatzmarkt           mare Leistung, wie es bei angemessener Pflege
konkurrieren. .                                      möglich wäre.

Das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) defi-
niert in §14 ob ein Eingriff in den Naturhaushalt      Wenig Akzeptanz für Flächenverluste
                                                                                                             Abb. 2 Flächenerhebung in
vorliegt. §15 regelt die Rechtsfolgen eines tatbe-                                                           Baden-Württemberg
standlichen Eingriffs. Die Eingriffsregelung soll    Die Akzeptanz der Landwirtschaft, Produktions-          Verkehrsfläche seit 2000.
                                                                                                             Quelle: Flächenerhebung – Stat.
die Kosten für die nachteilige Inanspruchnahme       flächen für teils ineffiziente, teils vernachlässigte
                                                                                                             Landesamt B-W, eigene
des Naturhaushaltes durch ein Vorhaben auf den       oder vergessene Kompensationsmaßnahmen ent-             Darstellung
Vorhabenträger internalisieren (vgl. BVerwG, U.v.
23.11.2001, NuR, 352).

  Wo gebaut wird, muss kompensiert
  werden

Baden-Württemberg besteht zu ca. 83 % aus land-
und forstwirtschaftlich genutzter Fläche. Städte
und Gemeinden sind siedlungshistorisch bedingt
fast immer von fruchtbaren Äckern und Grünland
umgeben, weshalb für Wohnbau- und Gewerbe-
flächen in der Hauptsache landwirtschaftliche Flä-
chen umgewidmet werden. Die für Bauvorhaben
nötige Kompensation entzieht den landwirt-

Landinfo 3 | 2019                                                                                                                          17
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