TRANSFER SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN - DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20
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TRANSFER DAS STEINBEIS-MAGAZIN 03|20 SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN
STEINBEIS: PLATTFORM FÜR ERFOLG Steinbeis ist mit seiner Plattform ein verlässlicher Partner für Unter- nehmensgründungen und Projekte. Wir unterstützen Menschen und Organisationen aus dem akademischen und wirtschaftlichen Umfeld, die ihr Know-how durch konkrete Projekte in Forschung, Entwicklung, Beratung und Qualifizierung unternehmerisch und praxisnah zur Anwendung bringen wollen. Über unsere Plattform wurden bereits über 2.000 UNTERNEHMEN gegründet. Entstanden ist ein Verbund aus mehr als 6.000 EXPERTEN 1.100 UNTERNEHMEN, die jährlich mit mehr als in rund 10.000 KUNDEN Projekte durchführen. So werden Unternehmen und Mitarbeiter professionell in der Kompetenz- bildung und damit für den Erfolg im Wettbewerb unterstützt. Und unser Verbund wächst stetig: Infos und Kontaktdaten unserer aktuell gegründeten Unternehmen finden Sie unter S TEINBEIS.DE/AKTUELLES WIR HALTEN SIE AUF DEM LAUFENDEN T RANSFERMAGAZIN.STEINBEIS.DE Das Steinbeis Transfer-Magazin liefert Einblicke in spannende Success Stories aus dem Steinbeis-Verbund. Sie möchten informiert werden, wenn unser Online-Magazin erscheint? Hier geht’s zu unserem Online-Verteiler: S TEINBEIS.DE/ONLINEVERTEILER facebook.com/Steinbeisverbund twitter.com/SteinbeisGlobal instagram.com/steinbeisverbund vimeo.com/Steinbeis youtube.com/c/steinbeisverbund
EDITORIAL 3 LIEBE LESERINNEN UND LESER, das Steinbeis Transfer-Magazin hat seit mehr als 30 Jahren eine besondere Bedeutung für die Erfüllung des Steinbeis- Stiftungszwecks, Wissen zu vermitteln: Es kommuniziert es. Magazinbeiträge der Steinbeis-Unternehmen verdeutlichen, in welchen Bereichen Steinbeis projektbezogen Wissen und Technologien transferiert. Und das zeigt auch, wo Steinbeis- Experten an der Entwicklung von Zukunftstechnologien beteiligt sind. Das Transfer-Magazin begleitete 2020 das verbundübergreifende Steinbeis-Projekt Technologie*Begreifen #techourfuture. Ziel des Projektes war es, den Menschen in Baden-Württemberg (und darüber hinaus) Inhalte und Veranstaltungsformate anzubieten, die es ihnen leicht machen sollten, sich vertieft und neutral über neue Technologien zu informieren. Dabei war und bleibt es ein Experiment heraus- zufinden, wie offen die Gesellschaft dafür ist, sich mit Zukunftstechnologien auseinanderzusetzen. Die Themen der drei im Rahmen des Projekts realisierten Events standen 2020 im Mittelpunkt der Fokusthemen- Kampagne im Steinbeis Transfer-Magazin. Das Interesse am Projekt mit seinen Ergebnissen ist seit der ersten #techourfuture-Veranstaltung zum Thema „Zukunft Autonomes Fliegen“ über den Schwerpunkt „Zukunft Gesundheit“ bis zum dritten Fokus „Zukunft Ernährung“ stetig gewachsen. Die aktuelle Ausgabe des Magazins richtet ihr Augen- merk auf diesen dritten Fokus der zukünftigen Ernährung. Der Steinbeis-Verbund und seine Expertenbeiträge spiegeln die unternehmerische Sicht in Baden-Württemberg: Start- ups im Bereich Ernährung gibt es hier nur wenige, in den Themen „autonome Mobilität“ und „Operation 4.0 – Daten- enabling in der Gesundheit“ ist weit mehr Expertise vorhanden. Deutlich wird jedoch, dass auch dem unternehmerischen Technologietransfer die gesellschaftliche Dimension inhärent ist. Dabei kann es sich lohnen, auf Themen aufmerksam zu machen, die aktuell die Menschen bewegen. Ergänzt werden sie in der aktuellen Transfer-Magazin-Ausgabe durch die Einblicke der #techourfuture-Expertinnen und -Experten inner- und außerhalb des Steinbeis-Verbundes. Darüber hinaus helfen die Auswertungen des Ferdinand- Steinbeis-Instituts im Rahmen des Projekts Technologie*Begreifen #techourfuture Aufschluss darüber zu geben, ob und wie die Gesellschaft Zukunftstechnologien annimmt und welche Aspekte aus Sicht der Bevölkerung besonders relevant sind. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre der aktuellen Ausgabe! Ihre DR. MARLENE GOTTWALD PROF. DR.-ING. DR. H.C. NORBERT HÖPTNER marlene.gottwald@steinbeis.de (Autorin) norbert.hoeptner@steinbeis.de (Autor) Marlene Gottwald und Norbert Höptner setzen seit mehreren Jahren gemeinsam das Projekt Technologie*Begreifen #techourfuture des Ferdinand-Steinbeis-Instituts um. Der vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg geförderten Initiative liegt die Frage zugrunde, wie die Bevölkerung Zukunfts- technologien gegenübersteht. Das Team arbeitet an der Entwicklung einer Vertrauensplattform, die neutral und ganzheitlich über Zukunftstechnologien informiert. Marlene Gottwald und Norbert Höptner hoffen, so den in der Bevölkerung erlebten Kontrollverlust zu mindern und es Bürgern zu ermöglichen, die Zukunft wissentlich mitzugestalten. Ferdinand-Steinbeis-Institut (Stuttgart) www.steinbeis.de/su/1212 | www.steinbeis-fsti.de | www.techourfuture.de Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
4 08 14 03 20 EDITORIAL DAS „SAUBERE“ FLEISCH AUS DEM LABOR Die Forscher an der Hochschule Reutlingen haben Tierwohl und Umweltschutz im Blick FOKUS 24 „JEDE TECHNOLOGIE MUSS IN IHRER ANWENDUNG UND IHREM NUTZEN ÜBERZEUGEN“ 08 Im Gespräch mit Dr. Helga Gruber, Managerin Forschung und DIE VERPACKUNG VON MORGEN: Entwicklung der Print2Taste GmbH ESSEN STATT WEGWERFEN Steinbeis-Experten initiieren ZIM-Netzwerkprojekt für essbare Lebensmittelbeschichtungen 26 STEINWURF! 11 „DIE LEBENSMITTELSICHERHEIT SOLLTE PRIORITÄR GEWÄHRLEISTET SEIN“ Im Gespräch mit Professor Dr. Christine Wittmann, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Transferzentrum QUERSCHNITT Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion 14 28 VON DER KÖNIGSDISZIPLIN IM #TECHOURFUTURE: PROJEKTMANAGEMENT ZUKUNFT ERNÄHRUNG – BLICK ÜBER DEN Steinbeis-Unternehmerin Dr. Karen Dittmann und TELLERRAND HINAUS parsQube-Geschäftsführer Mehrschad Zaeri im Gespräch Neue technologische Wege in der Ernährung über hybrides Projektdesign 17 30 „ALLES, WAS DIE PFLANZENZÜCHTUNG DIGITALISIEREN MIT ERFOLG: WIE MAN PRODUKTIVITÄT BESCHLEUNIGT, IST UND QUALITÄT STEIGERT EINE POSITIVE SACHE“ Steinbeis-Studierender konzipiert die Digitalisierung Im Gespräch mit Professor Dr. Thomas Miedaner, von Auftrags- und Rechnungsprozessen Leiter des Arbeitsgebiets Roggen der Landessaatzuchtanstalt an der Universität Hohenheim 34 IM FOKUS: NACHHALTIGKEIT Experten der SIBE entwickeln Zukunftsszenarien für Südtirol mit Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
5 20 36 35 50 STEINBEIS ENGINEERING TAG 2021: DATENGENOSSENSCHAFTEN: INTELLIGENTE VERNETZTE PRODUKTE EINE CHANCE FÜR KI IM MITTELSTAND Wenn künstliche Intelligenz auf das Internet der Dinge trifft Das Ferdinand-Steinbeis-Institut gestaltet das Genossenschaftsprinzip im digitalen Raum 36 VOM ENDE DER ZETTELWIRTSCHAFT: 54 DAS E-REZEPT ALS GAME-CHANGER MENTALE FITNESS ALS FÜHRUNGSSTÄRKE Ein Steinbeis-Team analysiert Chancen und Steinbeiser Dr. Michael Ullmann arbeitet Risiken des E-Rezeptes mit Führungskräften und Spitzensportlern an deren mentaler Stärke 39 KLEINE STRUKTUREN GROß IM BLICK 56 Mannheimer Forscherteam entwickelt DICHTHEITSPRÜFUNG UNTER Messtechnik zur strukturellen und EXTREMBEDINGUNGEN stofflichen Unterscheidung von Oberflächen Das Offenburger Steinbeis-Team führt herstellerunabhängige Prüfungen der Dichtheit durch 42 „GREEN DEAL“ UND „VOM HOF AUF DEN TISCH“: 58 EU-STRATEGIEN FÜR VERBESSERTE LEBENSMITTEL USABILITY UND USER EXPERIENCE IM FOKUS UND BIOLOGISCHE VIELFALT bwcon ist Partner des Mittelstand Das Steinbeis-Europa-Team unterstützt 4.0-Kompetenzzentrums Usability bei der EU-Antragstellung 45 60 NACH DER KRISE IST VOR DER KRISE NEUERSCHEINUNGEN IN DER STEINBEIS-EDITION Die Steinbeis Advanced Risk Technologies Group hat eine Cloud-Plattform entwickelt, die das Management 62 einer Krise ermöglicht und optimal begleitet VORSCHAU & TERMINE 48 63 ENTSCHEIDEND IST VERTRAUEN IMPRESSUM Das Digital Trust Forum fördert das Vertrauen in digitale Lösungen für physische Assets Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
SPEISEPLAN DER ZUKUNFT: WENN DIE ALGORITHMEN DAS MENÜ BESTIMMEN Wir stellen heute viel höhere Anforderungen an unsere ERNÄHRUNG als frühere Generationen. Ging es in der Vergangenheit vor allem darum satt zu werden, erwarten wir heute wesentlich mehr: Essen soll GESUND sein, BEZAHLBAR, für jeden ausreichend VORHANDEN und selbstverständlich gut SCHMECKEN. Auch die Aspekte der EFFIZIENZ UND NACHHALTIGKEIT der Lebensmittel gewinnen immer mehr an Bedeutung. Kombiniert mit der stetig wachsenden Erdbevölkerung verlangen diese Anforderungen nach neuen LÖSUNGEN im Ernährungsbereich, die nur mithilfe von DISRUPTIVEN INNOVATIONEN und NEUEN TECHNOLOGIEN, wie zum Beispiel Digitalisierung, realisiert werden können. Wie der „Speiseplan der Zukunft“ aussehen kann und welche technologischen und materiellen WERKZEUGE dabei zum Einsatz kommen, darüber berichten Experten auf den folgenden Seiten und zeigen in konkreten Projekten, was bereits jetzt möglich ist. © istockphoto.com/Kinwun © istockphoto.com/DrAfter123
8 FOKUS DIE VERPACKUNG VON MORGEN: ESSEN STATT WEGWERFEN STEINBEIS-EXPERTEN INITIIEREN ZIM-NETZWERKPROJEKT FÜR ESSBARE LEBENSMITTELBESCHICHTUNGEN Es geht nicht ohne: die Verpackung von ten entfällt auf Gemüse (26 %) und Obst Lebensmitteln. Zwar schützt sie ihren (18 %), gefolgt von Backwaren (15 %) Inhalt und erhöht dessen Haltbarkeit, und Speiseresten (12 %). [2] Aktuelle am Ende muss sie aber entsorgt wer- Studien zeigen, dass eine Halbierung der den, was die Umwelt stark belastet. Be- Lebensmittelabfälle auf Einzelhandels- rücksichtigt man noch dazu die wach- und Verbraucherebene bis 2030 (gemäß sende Weltbevölkerung und den dadurch dem Ziel der Bundesregierung) die auf steigenden Bedarf an Lebensmitteln so- den Lebensmittelkonsum in Deutsch- wie die gleichzeitige enorme Lebens- land zurückzuführenden Treibhausgas- finden, die über entsprechende Eigen- mittelverschwendung, wird deutlich, emissionen im Vergleich zu 2015 um schaften verfügen, müssen Alternativen dass wir umweltfreundliche Alternati- 9,5 % sinken lassen würde. [1] Vor die- entwickelt werden. Neben biobasierten ven brauchen, die gleichzeitig die Halt- sem Hintergrund ist es wichtig darüber und bioabbaubaren Verpackungen stel- barkeit von Lebensmitteln erhöhen. Ei- nachzudenken, wie die Haltbarkeit von len essbare Verpackungen einen neuen, ne der möglichen Lösungen kann die Lebensmitteln erhöht und damit der An- innovativen Ansatz dar. Durch die Be- essbare Verpackung sein. Hier setzt teil der Lebensmittelabfälle reduziert schichtung von Lebensmitteln mit ess- das von der Steinbeis 2i GmbH initiier- werden kann. Eine Möglichkeit hierfür baren funktionellen Überzügen wird er- te ZIM-Netzwerkprojekt an, mit dem bietet der Einsatz von neuen Verpa- reicht, dass weniger Sauerstoff in das Ziel, die optimale Rezeptur für essba- ckungen. Dazu kommt ein weiterer As- Innere gelangt und gleichzeitig weniger re Beschichtungen zu entwickeln. Der pekt, der die Notwendigkeit neuer Ver- Feuchtigkeit entweicht. Auf diese Weise Steinbeis-Experte Hartmut Welck er- packungslösungen unterstreicht: das können die Zellatmung reduziert, der klärt, warum gerade die essbaren Ver- gestiegene Umweltbewusstsein der Ver- Reifeprozess herabgesetzt und damit die packungen ein großes Potenzial besit- braucher. Denn Kunden lehnen zuneh- Produkte länger frisch gehalten werden. zen und welche Herausforderungen bei mend die Kunststoffverpackungen von der Projektumsetzung zu bewältigen zum Beispiel Obst und Gemüse ab. Durch diesen Effekt kann auch fossile sind. Verpackung eingespart werden. Hier- ESSBARE VERPACKUNG: INNOVATIV, für stehen eine Reihe an natürlichen In Deutschland werden Unmengen an UMWELTSCHONEND, EFFIZIENT Roh- und Reststoffen zur Verfügung, mit Lebensmitteln weggeworfen: Laut des denen verschiedene Schutzwirkungen Thünen Instituts landen jährlich rund Verpackungen tragen wesentlich zur erzielt werden können, wie zum Bei- 12,7 Millionen Tonnen Essen im Wert von Haltbarkeit von Lebensmitteln bei, in- spiel: über 22 Milliarden Euro im Müll. Der dem zum Beispiel Reifeprozesse und Großteil der Abfälle entsteht mit 55 % damit verbundene Qualitätsverände- Chitosan von Schalen-/Krustentieren, (7 Mio. Tonnen) in privaten Haushalten. rungen verlangsamt werden. Um neue Alginat aus Algen, [1] Der größte Teil der vermeidbaren Verpackungslösungen – vor allem als Pflanzliche Fette Lebensmittelabfälle in Privathaushal- Ersatz zu fossilen Verpackungen – zu (Lipide und Glycerolipide), Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS 9 © istockphoto.com/posteriori flanzliche Kohlenhydrate z. B. P beschichtungen durch natürliche Aus- wird gerade durch die Steinbeis 2i GmbH in Form von Fruchtzucker (Fruktose), gangsstoffe/Rohstoffe zusätzlich einen ein ZIM-Netzwerkprojekt aufgesetzt. T ierische Proteine aus z. B. Milch mechanischen Schutz vor Transport- Sein Ziel ist es, eine optimale Rezeptur bestandteilen (Casein, Molke). schäden (zum Beispiel durch natürliche zu entwickeln, die den lebensmittelzu- Wachse, Harze etc.) erhalten. lassungsrechtlichen Voraussetzungen Neben diesem biologisch-funktionellen entspricht und eine verfahrenstechni- Schutz kann auch ein antimikrobieller STEINBEIS-EXPERTEN SETZEN AUF sche und kostengünstige Umsetzung Schutz durch natürliche Rohstoffe als ESSBARE BESCHICHTUNGEN ermöglicht. Zudem sollen das Bewusst- Bestandteile einer Beschichtung erzielt sein und die Wertschätzung für Lebens- werden, wie zum Beispiel bestimmte In- Das Interesse des deutschen Lebens- mittel gesteigert und die Verbraucher haltsstoffe der Zitrone (wie Flavonoide), mitteleinzelhandels an solchen Lösun- über diese Innovation aufgeklärt wer- von Ingwer (wie Cineol) oder auch von gen zeigt sich an den ersten essbaren den, um eine entsprechende Verbrau- Knoblauch, Pfeffer und Chili (wie Allicin) Beschichtungen, die beispielsweise bei cherakzeptanz und Verhaltensänderung und ebenso durch Pflanzenextrakte, wie Avocados von der US-amerikanischen zu erreichen. Dadurch soll ein Beitrag zum Beispiel von Traubenkernen. Dieser Firma Apeel Science angeboten werden. zur Reduzierung der Lebensmittelver- Aspekt gewinnt insbesondere vor dem EU- beziehungsweise deutsche Anbieter schwendung und des fossilen Plastik- Hintergrund des zunehmenden Hygiene- für solche Lösungen gibt es zurzeit noch aufkommens geleistet werden. bewusstseins der Bevölkerung an Be- nicht. Um dies zu ändern und eine deut- deutung. sche Alternative für essbare Verpackun- gen als Beschichtung von zum Beispiel Um Verpackungen auch beim Transport Obst und Gemüse mit den entsprechen- zu reduzieren, können Lebensmittel- den funktionellen Wirkungen anzubieten, Quellen [1] Thünen Institut, Lebensmittelverschwendung befeuert Klimawandel, Pressemitteilung vom 2.10.2019 [2] DLR, 2020, Lebensmittelverschwendung in Deutschland Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
10 FOKUS „DER KUNDE SOLL ORGANOLEPTISCH UND OPTISCH NICHTS MERKEN“ IM GESPRÄCH MIT HARTMUT WELCK, SENIOR PROJECT MANAGER DER STEINBEIS 2i GMBH Herr Welck, die Idee einer essbaren An dieser Stelle kommen wir mit unse- Verpackung ist an sich nicht neu, so rer essbaren Beschichtung ins Spiel: entwickelte zum Beispiel das itali- Sie soll zunächst für frisches Obst als enische Kaffeeunternehmen Lavaz- geschmacksneutraler Überzug entwi- za bereits 2003 den „Cookie Cup“ ckelt werden und nur aus lebensmittel- für seinen Espresso. Aber bis jetzt rechtlich zugelassenen natürlichen In- fand diese Art von Verpackungen haltsstoffen bestehen. Der Kunde soll keine breite Anwendung. Woran lag also organoleptisch und optisch nichts es Ihrer Meinung nach und wie wol- merken. len Sie in dem von der Steinbeis 2i initiierten Projekt die Akzeptanz da- Welche Chancen, aber auch Risiken für schaffen? bieten essbare Verpackungen? Die Lebensmittelverschwendung ist Essbare Beschichtungen können einen derzeit ein großes Thema, allein in großen Vorteil in Sachen Haltbarkeits- Deutschland werden rund 13 Millionen verlängerung, aber auch Reduktion von Tonnen Lebensmittel jährlich wegge- Verpackungsmaterial, zum Beispiel bei worfen, das sind im Durchschnitt etwa der Lagerung und beim Transport, be- 85 Kilogramm Lebensmittel pro Kopf. wirken. Die Risiken liegen eher bei der Viele von den weggeworfenen Lebens- Verbraucheraufklärung, aber auch hier mitteln sind aber weiter verwendbar, haben wir gute Argumente für essbare da oft nur das Mindesthaltbarkeitsda- Beschichtungen. Wir wollen über eine tum abgelaufen ist oder die Lebens- Lebenszyklus-Analyse aufzeigen, wie- mittel optische Fehler haben. Die weg- viel CO2 eingespart worden ist. geworfenen Lebensmittel haben zudem eine negative Implikation auf den CO2- Wo sehen Sie die größten Heraus- Ausstoß. forderungen bei der Umsetzung? Neben dem Ziel der Reduktion von Nah- Die größte Herausforderung liegt bei rungsmittelverschwendung, dem sich der Entwicklung einer optimalen For- auch die Bundesregierung verpflichtet mulierung und des exakten homogenen hat, hat sich aktuell eine klimafreund- Auftragens der essbaren Verpackung liche Ernährung – möglichst verpa- auf die unterschiedlichen Oberflächen- ckungsarm/-frei – zu einem Trend ent- gegebenheiten. Ebenso müssen bishe- HARTMUT WELCK wickelt. Dies ist nicht mit 2003, als rige Verfahren der Beschichtung, wie hartmut.welck@steinbeis.de (Autor) Lavazza die Idee des „Cookie Cups“ prä- zum Beispiel Spritz-/Sprüh-/Walz-/ Senior Project Manager sentierte, zu vergleichen. Nach einer Tauchtechnik, auf die ausgewählten Me- Bioökonomie, Ernährung, industrielle Biotechnologie und Umfrage von Statista im Jahr 2017 wol- dien angepasst beziehungsweise weiter- Innovationsmanagement len 87 % der Deutschen verpackungs- entwickelt werden. Projekte in diesem Steinbeis 2i GmbH (Stuttgart) frei einkaufen, wenn es die Möglichkeit Bereich benötigen daher immer einiges www.steinbeis.de/su/2017 dazu gäbe. an Test- und Entwicklungsaufwand. www.steinbeis-europa.de Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS 11 „DIE LEBENSMITTELSICHERHEIT SOLLTE PRIORITÄR GEWÄHRLEISTET SEIN“ IM GESPRÄCH MIT PROFESSOR DR. CHRISTINE WITTMANN, STEINBEIS-UNTERNEHMERIN AM STEINBEIS-TRANSFERZENTRUM BIOPROZESSANALYTIK IN DER LEBENSMITTELPRODUKTION © istockphoto.com/metamorworks Bio-Lebensmittel, Nudeln aus Insektenmehl oder Algenbier: Bevor wir neuartige Lebensmittel in den Ladenregalen finden, werden sie von Lebensmittelanalytikern genau unter die Lupe genommen. Welche Methoden die Wissenschaftler dabei ein- setzen, welchen Einfluss die aktuellen und zukünftigen Ernährungstrends auf diesen Bereich haben und welche Aufgaben die Lebensmittelanalytik in Zukunft übernehmen wird – diese und weitere Fragen hat die TRANSFER Professor Dr. Christine Wittmann, Steinbeis-Unternehmerin am Steinbeis-Transferzentrum Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion und Expertin für biochemische Schnelltests und Biosensoren, gestellt. Frau Professor Wittmann, nachhal- mittelindustrie, die sich zum Beispiel mit Einsatz kommen, zeichnen sich gleich tig, gesund und für möglichst viele der Herstellung von Algenbier oder Nu- mehrere Trends ab: Vegane und vege- Menschen verfügbar soll die Er- deln aus Insektenmehl beschäftigen. tarische Lebensmittel sind zunehmend nährung der Zukunft sein und setzt Gleichzeitig hat der 3D-Druck, wie Sie beliebt, so konnten sich zum Beispiel ve- dabei auf neue, unkonventionelle erwähnt haben, auch Einzug in die Le- gane und vegetarische Wurstwaren gut Nahrungsmittel wie Algenbrot, In- bensmittelherstellung gefunden, aller- etablieren. Bei einer rein vegetarischen sektenburger oder Steaks aus dem dings in erster Linie bei Süßwaren. Dort oder veganen Ernährung spielen vor al- 3D-Drucker. Wie verändern diese existieren mittlerweile auch entspre- lem der Vitamingehalt, bedingt durch Entwicklungen die Aufgaben der Le- chende Angebote für Verbraucher, um den Mangel an Vitamin B12 in pflanzli- bensmittelanalytik? beispielsweise die eigenen Weingummi- cher Rohware, und auch eine potenziel- Formen mit einem eigenen 3D-Drucker le Unterversorgung an essenziellen Es gibt seit einigen Jahren zahlreiche zu gestalten. Hinsichtlich der Rohstoffe, Spurenelementen eine wichtige Rolle. Produktentwicklungen in der Lebens- die bei der Lebensmittelherstellung zum So können unter anderem Algen wie Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
12 FOKUS » HINSICHTLICH DER ROHSTOFFE, DIE BEI DER LEBENSMITTELHERSTELLUNG ZUM EINSATZ KOMMEN, ZEICHNEN SICH MEHRERE TRENDS AB die Spirulina-Alge einen wesentlichen Ein anderer Aspekt, bei dem die Lebens- eindeutig gesetzlich geregelt werden Beitrag zu einer nachhaltigen und ge- mittelanalytik eine große Rolle spielt, müssen. Neben der Tierhaltung sind sunden Ernährung leisten, denn sie ent- ist das gestiegene Gesundheitsbewusst- auch potenzielle Risiken für die Verbrau- hält Makro- und Mikronährstoffe sowie sein. So soll die Lebensmittelindustrie cher noch weiter zu minimieren. Es wird zusätzlich auch weitere Inhaltsstoffe wie in vielen Produkten zum Beispiel Zu- leicht vergessen, dass neben der aktuel- Phycocyanine, die eine leuchtend blaue cker- und Fettgehalt reduzieren. Mit die- len Bedrohung durch die afrikanische Einfärbung von Lebensmitteln erlauben. ser Aufgabe ist viel Forschung verbun- Schweinepest durchaus auch endemi- In diesem Zusammenhang sind auch den, die von der Lebensmittelanalytik sche Viren, wie zum Beispiel Hepatitis Insekten zu nennen, die nicht nur einen übernommen wird. Auch der Trend zu E-Viren, bei der Schweinehaltung aus- hohen Eiweiß-Anteil haben, sondern Bio-Produkten verlangt nach einer Le- geschlossen werden sollten, um auf auch zusätzlich ein interessantes Fett- bensmittelkontrolle, die durch die Le- diese Art und Weise das Risiko für Zoo- säureprofil aufweisen. An dieser Stelle bensmittelanalytik zu gewährleisten ist. nosen noch weiter zu reduzieren. Im setzt die Lebensmittelanalytik mit klas- Hinblick auf den Einsatz der Gentech- sischen und modernen Methoden zur Als Lebensmittelanalytikerin befas- nik bei Pflanzen existieren bereits zahl- näheren Charakterisierung der Inhalts- sen Sie sich vor allem mit der heute reiche Schnellmethoden um auszu- stoffe an. notwendigen Sensorik, die auch zu schließen, dass Öko-Landwirten ein einem Teil die sehr dezentrale Pro- Schaden entsteht, wenn ihre Ackerflä- Mir und natürlich den Lebensmittelher- duktion von Nahrungsmitteln be- chen an konventionell bewirtschaftete stellern geht es in erster Linie um die rücksichtigt – Stichwort „ökologi- Flächen angrenzen. Hier können vor al- Sicherheit von Lebensmitteln. Dabei sche Landwirtschaft“. Können Sie lem sogenannte Lateral Flow Assays auf spielen diese zusätzlichen Aspekte von aus Ihrem eigenen wissenschaftli- Basis spezifischer Antikörper eingesetzt neuen Nahrungsquellen keine Rolle. Es chen Umfeld einen Trend für die Zu- werden, um ein rasches Ergebnis zu er- gibt die vom Gesetzgeber vorgegebenen kunft ableiten? Werden wir eher noch halten. Dies gilt auch dann, wenn Futter- Grundlagen im Bereich Lebensmittelsi- mehr dezentrale, regionale Erzeu- mittel wie Soja-Extraktionsschrot von cherheit. Diese gesetzlichen Vorschriften ger haben – oder geht die Entwick- Öko-Landwirten zugekauft werden und müssen alle Lebensmittel erfüllen und lung hin zu wenigen großen Fabriken? die entsprechenden Erzeugnisse mit dem hier kommt die Lebensmittelanalytik ins Bio-Label gekennzeichnet werden sollen. Spiel. Wenn wir bei Algen bleiben, dann Diese Frage lässt sich nicht so einfach müssen diese zum Beispiel auf Cyano- beantworten, da nicht zuletzt bedingt Was Ihre Frage nach den Erzeugern an- toxine geprüft werden, die ab einer durch die Corona-Pandemie der Blick geht, so muss man bedenken, dass wir bestimmten Menge gefährlich werden insbesondere auf die fleischverarbeiten- in unterschiedlichen Bundesländern un- können. Wenn wir Produkte aus Insek- de Industrie noch einmal verschärft wur- terschiedliche Bedingungen haben. In ten, zum Beispiel Insekten-Burger, neh- de. Auch die Diskussion um ein zusätz- Mecklenburg-Vorpommern gibt es zum men, werden hier unter anderem der liches Label „Aktion Tierwohl“ hat die Beispiel sehr große Agrarflächen. Da- Ursprungsort, die Haltung, aber auch Verbraucher noch einmal zum Nachden- zu stehen einige Flächen unter Natur- die Tötungsart gesetzlich geregelt. Wenn ken darüber angeregt, ob neben höhe- schutz. Ich denke, dass hier der Trend es um einen ganz neuen Rohstoff für Le- ren Preisen für Lebensmittel tierischer eher zu größeren Fabriken geht. Aktu- bensmittel geht, dann muss der Herstel- Herkunft nicht auch die Haltungsbedin- ell haben wir durch die Corona-Pande- ler mithilfe zahlreicher Tests nachwei- gungen der Tiere für die Lebensmittel- mie bedingt verstärkt Rufe nach mehr sen, dass das Produkt sicher ist, dass es produktion noch weiter verbessert so- regionalen Erzeugern. Auch die steigen- zum Beispiel keine Allergiereaktionen wie bestimmte Vorgehensweisen, wie de Nachfrage nach Bio-Produkten spielt hervorrufen kann. Das sind die Aufgaben die Kastration männlicher Ferkel und eine wichtige Rolle. Ich denke, dass sich der Lebensmittelanalytik. das „Schreddern“ männlicher Küken, in der Landwirtschaft zwei extreme Ent- Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS 13 wicklungen herauskristallisieren: Zum identifizieren lassen. Neben den bereits das Fleisch von Pferden stammte, die einen die Landwirtschaft 4.0 mit viel seit Langem üblichen NIR-Methoden zur mit Tierarzneimitteln behandelt wurden. Hightech und zum anderen nachhaltig raschen Ermittlung der Hauptinhalts- Denn deren Rückstände hätten beim betriebene ökologische Landwirtschaft. stoffe eines Lebensmittels, wie Proteine, Verzehr der Lasagne ein gesundheitli- Diese beiden Entwicklungen befinden Fette, Kohlenhydrate usw., wird auch ches Problem für die Verbraucher be- sich in zwei unterschiedlichen Preis- zunehmend die Raman-Spektroskopie deutet. segmenten. Allerdings wollen immer in Handheld-Geräten genutzt. mehr Verbraucher wissen, wo Produkte Ein wesentlicher Bereich, in dem ebenso herkommen und was die Haltungsbe- Welchen Einfluss wird die persona- Verfälschungen ausgeschlossen wer- dingungen von Tieren sind. Auch die lisierte Ernährung auf Ihre Tätigkeit den müssen, ist die Gastronomie. So fin- Frage der Rentabilität für die Landwirte haben? Gibt es in Zukunft den „Sen- den sich zum Beispiel des Öfteren Ver- spielt eine große Rolle. Und man darf sor für Jedermann“? fälschungen im Bereich „Seafood“. Es natürlich die politischen Entscheidun- ist nicht leicht zu erkennen, ob ein See- gen in diesem Bereich nicht vergessen. Wünschenswert wäre es schon, wenn in zungenfilet tatsächlich das Filet dieses Ich denke, man kann die Frage nicht ab- Analogie zur individualisierten Verord- Fisches ist oder aber ob ein deutlich schließend beantworten, es wird noch nung von Arzneimitteln eine auf die spe- kostengünstigerer Plattfisch die Aus- sehr spannend werden, wohin die Rei- zifischen Anforderungen zugeschnittene gangsbasis darstellt. Dies lässt sich gut se gehen wird. Empfehlung für eine „gesunde“ Ernäh- mit Techniken auf Basis selektiver Anti- rung gegeben werden könnte, die glei- körper, mithilfe DNA-basierter Metho- Die neuen Herausforderungen ver- chermaßen körperlichen und psychi- den oder aber auch mit MALDI-TOF-MS langen zum Teil auch neue Werkzeu- schen Erkrankungen vorbeugt. Diese abklären. ge, also neue Analysemethoden Empfehlung könnte beispielsweise auf und -verfahren. Welche Trends gibt dem individuellen Mikrobiom oder der Was sehr spannend wäre, wäre wie be- es aktuell in diesem Bereich und genetischen Prädisposition basieren. Es reits erwähnt die Möglichkeit, mit den welche werden die Zukunft der Le- gibt aber auf diesem Gebiet noch jede Lebensmitteln gezielt gegen bestimm- bensmittelanalytik aus Ihrer Sicht Menge Forschungsbedarf sowohl hin- te Mangelerscheinungen oder sogar Er- bestimmen? sichtlich des individuellen Genoms, Me- krankungen vorzugehen. Jeder kennt die taboloms sowie vor allem auch des Mik- Joghurts, deren Bakterien im Darm an- Wir beschäftigen uns bereits seit Langem robioms und der Auswirkungen auf die gekommen das Mikrobiom positiv be- mit der Entwicklung von Antikörper- so- langfristige Gesundheit. Ferner stellt sich einflussen sollen. Ob dies tatsächlich so wie DNA-basierten Testsystemen, die in die Frage nach den Kosten beziehungs- funktioniert, ist die andere Frage, denn unterschiedlichen Formaten, zum Bei- weise der Kostenübernahme für solche jeder Mensch hat ein eigenes Mikro- spiel als Biosensor, auf Teststreifenba- Tests. biom. Und es ist aktuell noch unklar, sis als innerhalb weniger Minuten aus- ob die Bakterien lebend im Darm an- lesbarer Lateral Flow Assay sowie auch Schon heute muss die Lebensmittel- kommen. Aber die Idee an sich ist sehr in verschiedenen Mikrotiterplattenfor- analytik oft die Frage beantworten, interessant, da es wissenschaftlich be- maten für zahlreiche Proben parallel, ob ein bestimmtes Lebensmittel Ori- wiesen ist, dass die Ernährung bei be- angewendet werden können. Dabei sind ginal oder Fälschung ist. Wird dieses stimmten Erkrankungen eine wichtige gemeinsam mit der Firma Biometec in Problem in Zukunft noch größer wer- Rolle spielt. Das Problem bei der Rea- Greifswald zahlreiche spezifische mo- den? Und wenn ja, welche Anforde- lisierung besteht darin, dass die Um- noklonale Antikörper entwickelt worden, rungen stellt es an die Analyseme- setzung sehr individuell sein muss, an- unter anderem für den Nachweis von thoden? gepasst an den einzelnen Menschen, RR-Soja, Bt-Mais, Schimmelpilzen so- was viel Forschung erfordert und na- wie diversen Allergenen, die für diese Die Authentizität von Lebensmitteln ist türlich sehr kostenintensiv ist. Testformate als Ausgangsmaterialien nach wie vor von großer Bedeutung bereitstehen. Daneben gewinnen zuneh- neben dem zunächst aus meiner Sicht PROF. DR. CHRISTINE WITTMANN mend auch instrumentell-analytische ungleich wichtigeren Aspekt der Le- christine.wittmann@steinbeis.de (Autorin) Methoden wie MALDI-TOF-MS an Be- bensmittelsicherheit. Die Lebensmittel- Steinbeis-Unternehmerin deutung, mit denen sich neben Mikro- sicherheit sollte prioritär gewährleistet Steinbeis-Transferzentrum organismen auch Schimmelpilze sowie sein. Das war gut beim „Pferdefleisch- Bioprozessanalytik in der Lebensmittelproduktion Tierarten und Fischspezies mit relativ Skandal“ zu erkennen: Zunächst muss- (Neubrandenburg) geringem Probenvorbereitungsaufwand te einmal ausgeschlossen werden, dass www.steinbeis.de/su/0766 Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
14 FOKUS #TECHOURFUTURE: ZUKUNFT ERNÄHRUNG – BLICK ÜBER DEN TELLERRAND HINAUS NEUE TECHNOLOGISCHE WEGE IN DER ERNÄHRUNG Vom 15. Oktober bis zum 5. November 2020 fanden im Steinbeis-Haus für Management und Technologie (SHMT) in Stuttgart und online die finalen drei Veranstaltungen zum dritten Schwerpunktthema des #techourfuture Technologie*Begreifen-Projektes statt. Unter dem Motto „Zukunft Ernährung – Blick über den Tellerrand hinaus“ präsentierten führende Experten aus Wissen- schaft und Wirtschaft verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Technologie im Bereich Ernährung. Alle drei Veranstaltungen wurden live über den YouTube-Kanal des Ferdinand-Steinbeis-Instituts übertragen. Angeregt diskutiert wurden dabei nicht nur Fragen des Geschmacks, sondern auch Chancen und Risiken für die Gesellschaft. Welchen Einfluss hat Technologie auf un- SPEISEPLAN DER ZUKUNFT – kurzen Umfrage zu Beginn der Veran- sere Ernährung? Welche Rolle spielt die ESSEN AUS DEM 3D-DRUCKER staltung, dass sie hinter der Technolo- Gen-Schere CRISPR in der Pflanzen- gie durchaus einen gesellschaftlichen zucht? Drucken wir unser Mittagessen Im Fokus des ersten Events stand die Nutzen vermutet. Dr. Helga Gruber, bald mit dem 3D-Drucker? Wird Fleisch Frage, ob es sich bei 3D-gedruckten Managerin Forschung und Entwicklung in Zukunft künstlich hergestellt und mit Nahrungsmitteln nur um eine Spiele- der Print2Taste GmbH, erklärte nicht welchen Auswirkungen? Antworten auf rei für Hobbyköche handelt oder ob die nur die Funktionsweise der 3D-Food diese und weitere Fragen gab das Team Anwendung des additiven Fertigungs- Printer, sondern führte auch aus, dass des Ferdinand-Steinbeis-Instituts mit verfahrens im Bereich der Ernährung Essen aus dem 3D-Drucker beispiels- #techourfuture, einem vom Ministerium einen tatsächlichen Nutzen für die Ge- weise Menschen mit Kau- und Schluck- für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau sellschaft hat. Die überwiegende Mehr- beschwerden eine individuelle und an- Baden-Württemberg geförderten Projekt. heit der Teilnehmer bestätigte in einer sprechende Versorgung ermöglichen Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS 15 kann. Ihre Kollegin Teresa Dufter, Lei- men, sondern auch außergewöhnliche gen und effizienter machen können. Der terin des F&E-Bereichs für Lebensmit- Geschmackserlebnisse zu schaffen. Unterschied zwischen den verschiede- tel und Anwendungen, zeigte live, wie nen Methoden besteht darin, dass ent- 3D-gedrucktes Essen auf den Teller PFLANZENZÜCHTUNG weder auf der Basis des gesamten Ge- kommt. Wie das schmeckt, darüber DER ZUKUNFT – VON MENDEL noms Auslese betrieben werden kann konnte sich die kleine Anzahl derjeni- BIS ZUR GENOM-EDITIERUNG oder einzelne Gene aus der Natur in gen, die vor Ort teilgenommen hatten, Kulturpflanzen eingebracht oder mit- selbst ein Bild machen. Zu probieren Nach den Veränderungen durch neue tels Genom-Editierung gezielt verän- gab es kleine Kostproben aus Schoko- Technologien im Bereich der Lebens- dert werden können, um beispielsweise lade sowie ein Mittagsmenü mit Brok- mittelverarbeitung richtete Teil 2 der die Krankheitsresistenzgene von „an- koli, Karotte und Leberkäse. Die rund Veranstaltungsreihe den Fokus auf fällig“ auf „resistent“ umzuprogrammie- 50 online zugeschalteten Teilnehmer den Anfang der landwirtschaftlichen ren. Diskutiert wurde unter anderem die interessierte vor allem die Haltbarkeit Produktionskette. Professor Dr. Tho- Effizienz dieser Verfahren, aber auch ih- der 3D-gedruckten Speisen und ob es mas Miedaner, Leiter des Arbeitsgebiets re Auswirkungen auf die genetische Viel- möglich sei, mit mehr als einer Zutat Roggen der Landessaatzuchtanstalt an falt der Pflanzen sowie die Artenvielfalt gleichzeitig zu drucken. Helga Gruber der Universität Hohenheim, nahm die selbst und deren Rolle im Klimawandel. erklärte, dass neben der Reduzierung Teilnehmer mit auf eine Reise durch die Das zu Beginn und zum Ende der Veran- der Produktionszeit auch daran gear- Pflanzenzüchtung der Zukunft. Er erläu- staltung über Mentimeter abgefragte beitet werde, den Drucker mit mehre- terte, dass in Anbetracht der wachsen- Stimmungsbild über die verschiedenen ren Düsen auszustatten, um das gleich- den Weltbevölkerung, des Klimawan- Methoden zeigte, dass die Mehrheit der zeitige Drucken mit verschiedenen dels und der globalen Verbreitung von Teilnehmer die klassische Pflanzen- Zutaten zu ermöglichen. Dass in einer Krankheitserregern die Pflanzenzüch- züchtung weiterhin als zulässigen Ein- Profiküche zukünftig 3D-Drucker die tung auch in Zukunft unverzichtbar sein griff in die Natur einstuft. Rund 50 Pro- „Chefs“ ersetzen, hielten beide Exper- wird. Anhand anschaulicher Beispiele zent der Befragten empfinden auch die tinnen für unwahrscheinlich. Die Food aus der Roggen- und Maiszüchtung er- neueren Methoden wie die Genom-Edi- Printer bieten jedoch bereits nach dem klärte Thomas Miedaner die Funktions- tierung ebenfalls als zulässigen Eingriff heutigen Stand der Technik gänzlich weise neuer Technologien, wie DNS- in die Natur. Dass die Vorbehalte gegen- neue Möglichkeiten, Lebensmittel zu ver- Markertechniken, Gentechnologie oder über neuen Technologien abnehmen, be- arbeiten, beispielsweise Schokolade im Genom-Editierung, die den langwierigen, stätigte auch Thomas Miedaner. Bereich des Konditorhandwerks, und zwischen sechs und zehn Jahre dauern- mittels 3D-Druck nicht nur neue For- den Prozess der Züchtung beschleuni- Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
16 FOKUS » AUS PROJEKTSICHT IST ES NUN AN DER ZEIT, DIE IM LAUFE DER VERGANGENEN ZWEI JAHRE EXPERIMENTELL UMGESETZTEN FORMATE MITEINANDER ZU VERGLEICHEN CLEAN MEAT – del ein. In den YouTube Live-Chat ein- nen Blickwinkeln zu diskutieren sowie FLEISCH AUS DEM LABOR gebrachte Teilnehmerfragen umfassten eigene Zukunftsvisionen einzubringen. Aspekte der gesunden Ernährung, der Nach der ganztägigen Präsenzveran- Der dritte und letzte Teil der #techour- Marktreife und des Preises, der Ver- staltung zur Zukunft des autonomen future-Reihe „Zukunft Ernährung“ wid- wendung tierischer Stammzellen sowie Fliegens (November 2019) und den rei- mete sich der Frage, welchen Einfluss des Kochverhaltens. Wenngleich in der nen Online-Veranstaltungen zur Zukunft neue Technologien auf die Fleischer- Diskussion Vorbehalte gegenüber der unserer Gesundheit (Juni/Juli 2020) war zeugung haben können. 2013 stellte der Verwendung von tierischem Wachstums- es geplant, den dritten Themenblock als niederländische Forscher Professor serum deutlich wurden, schätzte die Hybridevent zu realisieren, bei dem In- Mark Post den ersten im Labor gezüch- Mehrheit der Teilnehmer das Labor- teressierte zwischen der Teilnahme vor teten Hamburger vor – umgerechnet für fleisch als klimafreundliche Alternative Ort und der Teilnahme online wählen einen Preis von rund 250.000 Euro. Tech- gegenüber der Massentierhaltung ein. konnten. Bei Teil 1 und 2 gelang dies, bei nisch ist es also möglich, Fleisch in der Teil 3 dagegen war aufgrund der aktu- Petrischale heranwachsen zu lassen. TECHNOLOGIE*BEGREIFEN: ellen Situation nur die Online-Teilnahme Aber wie wird das sogenannte Clean INFORMIEREN, DISKUTIEREN, möglich. Die Teilnehmeranzahl ist von Meat genau hergestellt? Was benötigt VERSTEHEN Veranstaltung zu Veranstaltung gestie- man dazu? Und schmeckt das im La- gen. Die #techourfuture-Veranstaltung bor gezüchtete Fleisch wie konventio- Das durch das Ministerium für Wirt- zu „Zukunft Ernährung“ hatte die bisher nelles Fleisch? Zu Beginn der Veran- schaft, Arbeit und Wohnungsbau Ba- größte Reichweite. Wie sich diese Ent- staltung ging knapp die Hälfte der den-Württemberg geförderte Pilotpro- wicklung erklären lässt und welche Teilnehmer davon aus, dass der Ge- jekt nähert sich damit dem Ende seiner Rolle hierbei das jeweilige Thema so- schmack ähnlich sei. Die verschiedenen Laufzeit (lesen Sie hierzu auch das Edi- wie das Veranstaltungsmedium spiel- Schritte zur Herstellung von Fleisch im torial auf S. 3). Aus Projektsicht ist es ten, gilt es nun auszuwerten. Ein erster Labor erläuterte Professor Dr. Petra nun an der Zeit, die im Laufe der vergan- Rückschluss kann jedoch bereits jetzt Kluger, Vizepräsidentin Forschung und genen zwei Jahre experimentell umge- gezogen werden: Die Formatentwick- Professorin für Tissue Engineering und setzten Formate noch einmal genauer lung wird auch in Zukunft neben der Biofabrication an der Hochschule Reut- zu untersuchen und miteinander zu ver- inhaltlichen Ausrichtung und der Ziel- lingen, die mit ihrem Team seit 2019 an gleichen, um somit dem Projektziel von gruppe die realen aktuellen gesell- der Züchtung von tierischem Gewebe #techourfuture Technologie*Begreifen schaftlichen Bedingungen berücksich- arbeitet und forscht. In ihrem Vortrag gerecht zu werden: ein Format zu ent- tigen. ging sie auch auf derzeitige Herausfor- wickeln, das in einem Vertrauensraum derungen sowie einen möglichen ge- sachlich über Zukunftstechnologien in- sellschaftlichen Mehrwert des Fleischs formiert und es gleichzeitig ermöglicht, aus der Petrischale mit Blick auf die den Einsatz dieser Technologien kri- Massentierhaltung und den Klimawan- tisch zu hinterfragen, aus verschiede- DR. MARLENE GOTTWALD marlene.gottwald@steinbeis.de (Autorin) Senior Research Fellow Veranstaltung verpasst? Alle Aufzeichnungen der #techourfuture- Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) (Stuttgart) Veranstaltungsreihe „Zukunft Ernährung“ finden Sie auf dem YouTube-Kanal des Ferdinand-Steinbeis-Instituts: bit.ly/3pdgwNN www.steinbeis.de/su/1212 www.steinbeis-fsti.de www.techourfuture.de Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS 17 „ALLES, WAS DIE PFLANZENZÜCHTUNG BESCHLEUNIGT, IST EINE POSITIVE SACHE“ IM GESPRÄCH MIT PROFESSOR DR. THOMAS MIEDANER, LEITER DES ARBEITSGEBIETS ROGGEN DER LANDES- SAATZUCHTANSTALT AN DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM Für oder gegen Gentechnik? Dass diese Frage die Gesellschaft in zwei Lager spaltet, weiß Professor Dr. Thomas Miedaner, Leiter des Arbeitsgebiets Roggen der Landes- saatzuchtanstalt an der Universität Hohenheim, ganz genau. Warum das so ist, ob und wie man dieser Spaltung entgegenwirken kann und um welche Risiken, aber auch Chancen es sich eigentlich bei den neuen Technologien in der Pflanzenzüch- tung handelt, hat die TRANSFER bei ihm als weiterem #techourfuture-Experten nachgefragt. Herr Professor Miedaner, seit Jahr- die Pflanzenzüchtung deutlich zu be- tausenden bilden Pflanzen die schleunigen, was gerade im Hinblick Grundlage der menschlichen Er- auf die von Ihnen genannten Probleme nährung und werden auch in Zu- natürlich von Vorteil wäre. Was die kon- kunft unverzichtbar sein. Allerdings krete Zeitersparnis angeht, so hängt das stellen die wachsende Weltbevöl- vom Merkmal ab: Geht es um eine ein- kerung, der Klimawandel sowie der fach vererbbare Krankheitsresistenz, Trend der nachhaltigen und gesun- kann das schneller realisiert werden, den Ernährung die Pflanzenzüch- während dieser Prozess bei komplexen heitserreger dar. Wie kann dieses tung vor Herausforderungen. Mit Merkmalen, wie zum Beispiel Trocken- gelöst werden? welchen neuen Technologien können toleranz, mit Sicherheit Jahrzehnte dau- die Menschen diese bewältigen? ert. Ein großes Problem besteht darin, Wie gesagt, es gibt Krankheitsresisten- dass viele Merkmale, mit denen wir uns zen, die nur durch ein einziges Gen ver- Pflanzenzüchtung ist ein zeitlich sehr beschäftigen, komplex, also durch vie- erbt werden. Diese sind relativ einfach aufwendiges Verfahren. Wir rechnen mit le Gene, vererbt werden. Und auch mit zu bearbeiten, was aber oft keinen dau- acht bis zehn Jahren, um eine neue Sor- Gentechnik und Genom-Editierung kann erhaften Effekt hat. Das heißt, der Krank- te zu konzipieren und zu züchten. Des- man zunächst nur einzelne Gene ver- heitserreger ist oft in der Lage sich an wegen können wir in der Züchtung nicht ändern oder hinzufügen. Hier stellt sich diese Resistenz relativ schnell anzupas- kurzfristig reagieren. Und deshalb ist die Frage, ob man Regulationsgene fin- sen, weil sich auch die Krankheitser- alles, was die Pflanzenzüchtung be- det, die wirklich komplexe Merkmale reger wieder verändern. Wenn ich also schleunigt, eine positive Sache. Dazu ge- verändern. Das ist im Moment nicht der eine sehr einfache ererbte Krankheits- hören zum Beispiel die vor über 100 Jah- Fall. Wir können aktuell damit nicht die resistenz habe, kann diese entweder ren entwickelte Hybridzüchtung, aber perfekte Sorte züchten, weder mit Gen- zehn Jahre funktionieren oder nach drei auch die neuen Technologien, wie bei- technik noch mit Genom-Editierung. Jahren wieder unwirksam werden. Wenn spielsweise Markertechniken, mit denen man mit den sogenannten quantitativen ich mich im Wesentlichen beschäftige, Ein großes Problem in der Pflanzen- Resistenzen arbeitet, dann werden fünf, Gentechnik und Genom-Editierung. Die- züchtung stellt die globale Verbrei- zehn oder zwanzig Gene gleichzeitig ver- se Technologien können dazu beitragen, tung der bereits erwähnten Krank- erbt, von denen jedes einen kleinen Bei- Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
18 FOKUS trag liefert. Diese sind zwar dauerhaft, viel einfacher in dem kleinen Genom zu verändern will, verändert wird, sondern aber der Aufwand ist natürlich sehr viel finden sind. Auf diese Weise werden noch weitere Gene im Genom, die man höher. An dieser Stelle wollen wir mit neue Eigenschaften erzeugt, die es bis- eigentlich nicht beeinflussen will. Aber den DNS-Markertechniken den Prozess her in diesen Pflanzen nicht gab, wie alle Pflanzen, ob verändert oder normal verbessern, da wir damit mehrere Gene zum Beispiel Herbizid- oder Insekten- gezüchtet, müssen erst im Gewächs- gleichzeitig selektieren können. resistenz. An dieser Stelle will ich er- haus und dann im Feld geprüft werden wähnen, dass gentechnisch veränder- und hier fallen solche Defekte natür- DNS-Markertechniken, Gentechno- te Pflanzen inzwischen weltweit seit 25 lich auf. Wir brauchen am Ende immer logie oder Genom-Editierung – mit Jahren auf riesigen Flächen internati- eine Feldprüfung. Sonstige Risiken se- diesen Technologien kann die Pflan- onal angebaut werden. Bis heute wur- he ich bei dieser Methode nicht. zenzüchtung beschleunigt und effi- den die erwarteten beziehungsweise be- zienter gestaltet werden. Was sind fürchteten Risiken, beispielsweise der Aktuell wird viel von der CRISPR/ deren Chancen und Risiken? Zusammenbruch von Ökosystemen, Cas-Methode gesprochen. Könnten nicht festgestellt. Allerdings können Sie uns möglichst einfach erklären, Diese drei Techniken muss man getrennt sich nur sehr gut aufgestellte, multina- wie diese Methode funktioniert? betrachten, weil sie verschiedene Grund- tionale Konzerne die Gentechnik wegen lagen haben. Die DNS-Markertechniken der hohen Kosten und der sehr aufwen- Im Prinzip geht es dabei um ein kleines sind zum Beispiel reine Diagnoseverfah- digen Genehmigungsverfahren leisten. Stück einer RNs-Sequenz, das dafür ren: Wir suchen im Genom einer Pflanze sorgt, dass das zu verändernde Gen ge- nach den günstigen Ausprägungen, zum Im Gegensatz zur Gentechnologie han- zielt angesteuert wird. Hier liegt der Beispiel nach Krankheitsresistenzen delt es sich bei der Genom-Editierung um große Unterschied zur herkömmlichen oder früher reifenden Pflanzen. Dabei eine Methode, die auch von mittelständi- Gentechnik, denn dort werden Gene in wird das Genom gescannt und mithilfe schen Unternehmen in Zusammenarbeit die Pflanze eingebracht, aber man kann relativ aufwendiger Rechenverfahren mit Wissenschaftlern technisch umge- nicht beeinflussen, wo genau diese lan- festgestellt, welche Bereiche im Genom setzt werden kann. In Deutschland ist es den. Und dann gibt es die Cas-Enzyme, für diese Eigenschaft verantwortlich bereits die gängige Praxis, dass Wissen- die einen Doppelstrangbruch verursa- sind. Wir können uns dann die günstigen schaft und Pflanzenzüchtung sehr eng chen, sodass die DNS genau an der Stel- Varianten heraussuchen und mithilfe der zusammenarbeiten. Bei der Genom-Edi- le, die man über die RNs-Sequenz ange- DNS diese Varianten bereits im Keim- tierung werden keine fremden Gene ein- steuert hat, geschnitten wird. Das ergibt lingsstadium im Labor auswählen. Der gebracht, sondern die in der Pflanze einen Bruch und die Zelle hat zwei Mög- große Vorteil ist, dass an der Pflanze bereits vorhandenen Gene durch Aus- lichkeiten diesen zu reparieren: Ent- selbst nichts verändert wird, sondern tausch von einzelnen DNS-Bausteinen weder sie packt andere Basenpaare in wir sie ganz normal züchten, der Pro- verändert. Und das ist das Besondere diesen Bruch, was in der Regel dazu zess wird lediglich um die DNS-Diag- an diesem Verfahren. Ein schönes Bei- führt, dass das Gen nicht mehr funkti- nose ergänzt. Daher sehe ich hier auch spiel dafür kommt aus Israel: Dort ist oniert, oder man bietet der Pflanze eine keine Risiken. es Wissenschaftlern gelungen, durch Reparatursequenz an. Und genau darin die Veränderung eines einzigen Gens besteht die CRISPR/Cas-Methode: Ent- Bei der Gentechnologie haben wir eine eine Resistenz gegen drei verschiedene weder man schaltet Gene aus, macht ganz andere Situation, denn hier wer- Pflanzenviren zu erzeugen. Wenn Sie sie also funktionsunfähig, oder man ver- den komplette Gene aus anderen Or- jetzt nach Risiken fragen: Natürlich gibt ändert sie in einzelnen Bestandteilen. ganismen in Pflanzen eingebracht. Das es Risiken, dass etwas schiefgeht, die Allerdings bedarf dieses Verfahren noch geschieht meistens mit bakteriellen Ge- gibt es immer. Es kann zum Beispiel pas- weiterer Forschung, bis es jedes Labor nen, weil diese einfacher organisiert und sieren, dass nicht nur das Gen, das man anbieten kann. » PFLANZENZÜCHTUNG IST EIN ZEITLICH SEHR AUFWENDIGES VERFAHREN Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
FOKUS 19 Wenn es um Gentechnologie geht, ist die Skepsis oft groß. Welche Vor- behalte begegnen Ihnen in Ihrer Ar- beit und wie gehen Sie damit um? Als Wissenschaftler würde man natür- lich sofort sagen, dass Aufklärung enorm wichtig ist, denn wir müssen den Men- schen erklären, worum es sich bei einer neuen Technologie, einem neuen Ver- fahren handelt. Andererseits wird ge- nau das bereits seit mehr als 20 Jahren gemacht. Es steht allerdings fest, dass sich die Fronten ideologisch sehr stark verhärtet haben. Ich vermute, dass es viele Leute gibt, die sich nicht um das Thema kümmern. Aber es gibt auch Ak- tivisten, die grundsätzlich dagegen sind und die mit sachlichen Argumenten nicht mehr zu überzeugen sind. Wenn wir das Thema Genom-Editierung als Beispiel nehmen, ist hier der größte Streitpunkt die Frage, wie ich die Genom- #techourfuture-Experte Thomas Miedaner im Gespräch mit Moderatorin Marlene Gottwald. Editierung einordne. Der Europäische Gerichtshof hat gesagt, dass das das- selbe wie Gentechnik und daher genau wie diese zu regulieren ist. Das bedeu- tet, dass die Genom-Editierung in Euro- Für die jüngere Generation ist es natür- rig. Hinzu kommt eine Tatsache, die für pa nicht kommerziell durchgeführt wer- lich wichtig, diese umfassend zu infor- uns, die mit Pflanzen arbeiten, sehr den wird, weil die Auflagen sehr hoch mieren. Wenn wir aber über die Men- schwer verständlich ist, dass zum Bei- sind und das Produkt als gentechnisch schen sprechen, die bereits ihre negative spiel moderne Medikamente zum gro- verändert gekennzeichnet werden muss. Meinung über bestimmte Technologien ßen Teil mithilfe gentechnisch verän- Andere Länder gehen einen anderen gebildet haben, dann stellt sich aus mei- derter Bakterien erzeugt werden. Auch Weg: In den USA beispielsweise wird das ner Sicht die schwierige Frage, ob wir Vitamine, ganz viele Zusatzstoffe, die Ergebnis von der staatlichen Seite ge- diese überhaupt noch erreichen können Sie in Lebensmitteln finden, werden prüft und wenn die Veränderung keine und ob sie erreicht werden wollen. mithilfe von gentechnisch veränderten fremde, sondern nur pflanzeneigene Bakterien hergestellt. Das interessiert DNA enthält und wenn Merkmale her- Dazu will ich anmerken, dass ich es irre- überhaupt niemanden, nur bei Pflan- vorgerufen werden, die es auch natür- führend finde, wenn auf allen möglichen zen ist es immer ein ganz großes Dis- licherweise in der Pflanze gibt, dann ist Produkten „ohne Gentechnik“ steht, weil kussionsthema. das keine Gentechnik und kann ohne in Europa, außer auf kleinen Flächen in Einschränkungen angewendet, ange- Spanien, überhaupt keine gentechnisch baut und auch vermarktet werden. Das veränderten Pflanzen angebaut werden. sind die zwei unterschiedlichen Auf- Die gibt es weder auf dem Acker noch fassungen, die es derzeit gibt. auf dem Markt, sodass es überhaupt PROF. DR. THOMAS MIEDANER keine Produkte aus gentechnisch ver- thomas.miedaner@uni-hohenheim.de (Autor) Wie können Ihrer Meinung nach die änderten Pflanzen geben kann. Aber Leiter des Arbeitsgebiets Roggen Wissenschaftler die Bevölkerung er- wenn auf einigen Produkten „ohne Gen- der Landessaatzuchtanstalt reichen, um deren Hemmschwelle in technik“ steht, impliziert das, dass es der Universität Hohenheim (Stuttgart) Bezug auf die neuen Technologien zu welche mit Gentechnik gibt. Dies macht senken? den Umgang mit dem Thema schwie- www.uni-hohenheim.de Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
20 FOKUS DAS „SAUBERE“ FLEISCH AUS DEM LABOR DIE FORSCHER AN DER HOCHSCHULE REUTLINGEN HABEN TIERWOHL UND UMWELTSCHUTZ IM BLICK Fleisch genießen, ohne Tiere zu töten – diese Herausforderung an die Forschung ist aktueller denn je. Denn erschreckende Bilder aus der Massentierhaltung, Skandale in der Fleischindustrie sowie die dramatischen Folgen der Fleischer- zeugung für das Klima erfordern eine nachhaltige und zukunftsfähige Lösung. Prof. Dr. Petra Kluger, Vizepräsidentin Forschung an der Hochschule Reutlingen, stellt sich dieser Herausforderung und arbeitet im Labor daran, künstliches Fleisch aus isolierten tierischen Zellen zu züchten. Im Mittelpunkt ihrer Forschung stehen die Fragen, wie eine erfolgreiche Massenproduktion gelingen und wie gesundes künstliches Fleisch aussehen kann. Davon berichtet hat sie als Exper- tin der #techourfuture-Veranstaltungsreihe „Zukunft Ernährung”. Alles begann mit Petra Klugers Vorle- natürliches Schweine- oder Rindfleisch chen Fleischversorgung dar. Dieses sungen in Tissue Engineering, also dem aus, ein Tier muss dafür nicht geschlach- ‚saubere Fleisch‘, vom englischen ‚Clean Züchten von Gewebe, in denen auch das tet werden. Das mit Enzymen aufgespal- Meat‘, kommt zudem dem Tierwohl zu- Fleisch aus dem Labor Thema war. Das tene Fleisch wird durch Siebe gegeben, gute und birgt weniger gesundheitliche große Interesse der Studierenden und um die kleineren Stammzellen von grö- Risiken, die bei der konventionellen ihr Eröffnungsvortrag bei der interna- ßeren Bestandteilen zu trennen. Die auf Fleischherstellung vor allem durch den tionalen Cultured Meat Konferenz 2018 diese Weise isolierten Zellen wachsen Einsatz von Antibiotika in der Massen- in Maastricht motivierten die studierte im Reutlinger Labor bei 37 Grad Celsius tierhaltung entstehen.“ Biologin, selbst die Forschung zu die- in einem Inkubator. Danach kommen sem Thema aufzunehmen. Bevor sie 2019 sie in einen 3D-Drucker und werden dort Aktuell arbeitet die Reutlinger Forscher- mit der Züchtung von Fleisch aus dem zu einem essbaren Stück Fleisch beste- gruppe daran, das Fleisch aus dem 3D- Labor begann, beschäftigte sie sich mit hend aus Muskel- und Fettgewebe auf- Drucker zur Marktreife zu bringen. Da- der Züchtung von menschlichem Gewe- gebaut, das in jede beliebige Form ge- bei steht die Kostenfrage der Massen- be für biomedizinische Fragestellungen bracht werden kann. produktion im Mittelpunkt. Im Mai 2020 an der Hochschule Reutlingen. Inzwi- startete ein von der Avina Stiftung geför- schen forscht die Arbeitsgruppe aus Petra Kluger ist vom Potenzial ihrer For- dertes Gemeinschaftsprojekt der Hoch- Doktoranden, Wissenschaftlern und Stu- schung überzeugt: „Fleisch aus dem La- schule Reutlingen mit der Universität dierenden um Petra Kluger in mehre- bor benötigt im Vergleich zur konventio- Hohenheim mit dem Ziel, Lösungen für ren Projekten an diesem Thema. nellen Fleischgewinnung viel weniger die Überführung in industrielle Maßstä- Ressourcen – wie etwa Wasser oder be zu entwickeln. „Wir untersuchen We- Um die zur Fleischzucht im Labor benö- Landflächen – und produziert weniger ge, um die Produktion in industriellen tigten Stammzellen zu erhalten, reicht Treibhausgase. Deshalb stellt es eine Maßstäben voranzubringen. Dafür op- den Forschern ein kleines Stückchen nachhaltige Alternative zur bisher übli- timieren wir die Herstellungsprozesse, Technologie.Transfer. Anwendung. TRANSFER 03|2020
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