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Un seul monde NR. 4 DEZEMBER 2004 Un solo mondo DAS DEZA-MAGAZIN FÜR ENTWICKLUNG UND ZUSAMMENARBEIT Eine Welt www.deza.admin.ch Multilaterale Zusammenarbeit: Zu Gunsten der Ärmsten grosse Probleme gemeinsam anpacken Nepal in der politischen Sackgasse – die Rechnung bezahlen die Menschen und die Entwicklung Wie vertragen sich Islam und Entwicklungszusammenarbeit? Eine Kontroverse
DOSSIER Verheerende Falschmeldung Die DEZA führt ihr Engagement für eine journalistische Ausbildung der Medienschaffenden im Kosovo weiter 24 FORUM MULTILATERALE ZUSAMMENARBEIT Grosse Probleme gemeinsam anpacken Was bringt mehr: Bilateral oder multilateral? Die Diskussionen darüber enden oft in einer heftigen Kontroverse – zu Unrecht 6 Zusammenarbeit in Zeiten islamistischer Unruhe «Ich bin bereit, unseren Gebern auf Über die Herausforderung, Religion und Entwicklung die Zehen zu treten» unter einen Hut zu bringen Mark Malloch Brown, Direktor der UNO- Entwicklungsorganisation UNDP, im Interview 26 12 Von Völkern und Symbolen Der honduranische Schriftsteller und Journalist Julio Ein unsichtbares Heilmittel für einen Modellpatienten Escoto über den Durchhaltewillen seiner Heimat Inhalt Die Schweiz gewährt Tansania einen Grossteil seiner Hilfe über das neue Zusammenarbeitsmodell der Budgethilfe 29 14 HORIZONTE KULTUR NEPAL Dringend gesucht: Buzuki-Spieler Aufgerieben und blockiert Seit 20 Jahren widmet sich ‚Kultur und Entwicklung’ Das politisches Seilziehen zwischen König, politischen den Kulturen des Südens Parteien und Maoisten-Rebellen blockiert die Entwicklung des Himalaya-Staates fast vollständig 30 16 Zeit der freien Meinungsäusserung Die Nepalesin Manjushree Thapa über die Unmöglichkeit, das Rad der Zeit zurück zu drehen 20 Editorial 3 Periskop 4 Einblick DEZA 25 DEZA Was eigentlich ist... Geberkoordination? 25 DEZA-Direktor Walter Fust: Service 33 Bilaterale und multilaterale Hilfe ergänzen sich Impressum 35 21 Ganz unten in Indien Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Agentur Die Unberührbarkeit ist zwar offiziell abgeschafft, das der internationalen Zusammenarbeit im Eidgenössischen Departement Kastendenken jedoch existiert weiter. Ein DEZA-Projekt für auswärtige Angelegenheiten (EDA), ist Herausgeberin von «Eine Welt». Die Zeitschrift ist aber keine offizielle Publikation im engeren Sinn; in ihr setzt bei der Diskriminierung an sollen auch andere Meinungen zu Wort kommen; deshalb geben nicht 22 alle Beiträge unbedingt den Standpunkt der DEZA und der Bundesbehörden wieder. 2 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
Editorial Liebe Leserin, lieber Leser: Wissen Sie, dass… …1,2 Milliarden Menschen heute noch ihr Leben mit we- friedliche Beilegung einer wachsenden Zahl von Konflikten niger als einem Euro pro Tag bestreiten müssen? sind nur einige der Herausforderungen. …eine Schweizer Kuh mit Fr. 10.90 pro Tag subventioniert wird? Die Schweiz leistet nicht zuletzt mit ihrer Entwicklungs- …die in der UNO vereinte Staatengemeinschaft im Jahr zusammenarbeit und humanitären Hilfe einen wichtigen 2000 die Millenniums-Deklaration unterschrieben hat? Beitrag zu globaler Entwicklung, Frieden und Sicherheit. …sie gleichzeitig auch acht messbare Entwicklungsziele Die hohe Qualität unseres Engagements im Interesse der festgelegt hat, wobei eines die Halbierung der weltweiten Ärmsten dieser Welt steht dabei international ausser Armut bis ins Jahr 2015 zum Inhalt hat? Frage, wie nicht nur Mark Malloch Brown, Chef des UNO- …Ziel 8 die reichen Geberländer verpflichtet, im eigenen Entwicklungsprogramms UNDP, bestätigt (vgl. Interview Haus dafür zu sorgen, dass die benachteiligten Länder S. 12). bessere Entwicklungschancen erhalten? …die Schweiz sowohl die Millenniums-Deklaration als Bezüglich des Umfangs der Entwicklungshilfe hingegen auch die acht Ziele unterschrieben hat? steht die Schweiz weit weniger gut da. Während verschie- …der Bundesrat sich verpflichtet hat, bis ins Jahr 2010 dene Geberländer ihre Beiträge laufend erhöhen, ist in 0.4 Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Entwick- der Schweiz sogar die Erreichung des selbst erklärten lungszusammenarbeit einzusetzen? Minimalziels von 0.4 Prozent in akuter Gefahr. Dabei wird …dieses Ziel aufgrund der Budgetschwierigkeiten des leicht vergessen, dass die wirklichen Leidtragenden eines Staates grosse Gefahr läuft, nicht erreicht zu werden? Abbaus die Menschen in unseren Partnerländern im Sü- …zahlreiche andere reiche Geberländer wie Frankreich, den und Osten sind. Deutschland, Italien, Belgien etc. sich verpflichtet haben, ihre Aufwendungen für die Entwicklungszusammenarbeit Solidarität und Verantwortung sind eine Frage der Hal- markant zu erhöhen, obwohl die meisten entschieden gra- tung. Sie dürfen nicht zum Spielball innenpolitischer vierendere Budgetprobleme haben als die Schweiz? Interessen werden. Auch die Schweiz wird sich heute und morgen nicht der Rechenschaft entziehen können, ob sie Die grossen Probleme, vor denen die Welt heute steht, einen angemessenen Beitrag zur Lösung der globalen können nur durch die gemeinsamen Anstrengungen der Probleme geleistet hat und leisten wird. internationalen Staatengemeinschaft gelöst werden. Da- bei ist die Arbeit in den letzten Jahren nicht weniger ge- Harry Sivec worden, im Gegenteil. Die Ausrottung von Hunger und ex- Chef Medien und Kommunikation tremer Armut, die Bekämpfung von Terrorismus und Gewalt an ihren sozialen Wurzeln, der Kampf gegen HIV/Aids und andere Krankheiten oder die Bemühung um Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 3
Periskop zahlen Bangladeschs nieder, son- dern auch in einer verbesserten Nahrungsmittelversorgung. Den Bauern wiederum ermöglicht das zusätzlich verdiente Geld un- ter anderem den Kauf von Vieh, Abeba (Äthiopien), 75 Prozent in Abidjan (Elfenbeinküste) und 65 Prozent in Nairobi (Kenia). Energetische Mikroben (jls) Mehrere Spitäler in Samen für das kommende Jahr, Kamerun bezahlen heute tiefere den Schulbesuch ihrer Kinder, Gasrechnungen als früher, weil medizinische Betreuung und die sie eigenes Biogas erzeugen. Rückzahlung von Darlehen. Diese Energie ist nicht nur billig, sondern auch umweltfreundlich Tödliche Strassen und erneuerbar. Seit vier Jahren Andy Crump / Still Pictures (bf) Der Tod auf der Strasse hat werden im baptistischen Spital einen direkten Bezug zur Armut. von Banso, im Nordwesten des Dies beweist eine Studie, welche Landes, Kochherde,Waschma- im Auftrag der Weltgesundheits- schinen sowie die Apparate im Gekreuzte Linsen organisation WHO erstellt wur- Labor und Operationsblock mit (bf) Dank neuer Kreuzungen de. Jährlich sterben weltweit Biogas betrieben. Produziert und exotischem Keimplasma ist rund 1.2 Millionen Menschen wird mittels Faulbehälter, der es Forschern in Bangladesch ge- auf der Strasse, rund eine Million sich wenige Meter von den lungen, die örtlichen Linsenarten davon – das heisst über 80 Pro- Latrinen entfernt befindet und resistenter gegen Krankheiten, zent – in Entwicklungsländern. dem der Rohstoff von den Dürren und Umwelteinflüsse «Geht der Trend weiter», sagt Sickergruben her zugeführt zu machen. Linsen sind in WHO-Generaldirektor Lee wird. «Durch den Mangel an Bangladesch ein Grundnah- Jongwook, «wird der Anteil an Sauerstoff zerlegen dort die rungsmittel, wegen ihrer vielen tödlichen Verkehrsunfällen im Mikroben die Fäkalien und Proteine und reichhaltigen Jahr 2020 um über 60 Prozent wandeln sie in Biogas um. Dieses Mikronährstoffe sehr gesund und angestiegen sein.» Bereits heute wird dann durch Rohre zu den dementsprechend gefragt. Oft stehen Verkehrsunfälle an neunter verschiedenen Verbrauchsstellen übersteigt die Nachfrage jedoch Stelle aller Todesursachen in geleitet», erklärt der Biochemiker das Angebot bei weitem. Dank Entwicklungsländern. Dabei ris- Pascal Tamba, der die Einrich- der neuen Sorte Barimasur-4’, kieren Velofahrer, Fussgänger, tung entworfen hat. Die Techno- welche auf rund 40 Prozent aller Moped- und Motorradfahrer am logie funktioniert auch mit Linsenproduktionsflächen in meisten. Ein Motorradfahrer bei- Haushaltabfällen oder tierischen Bangladesch (rund 60000 spielsweise geht ein zwanzig Mal Exkrementen. Nach der Prozedur Hektaren) angepflanzt wurde, höheres Todesrisiko ein als ein bleibt ein geruchloser Kompost konnte die letzte Ernte um Autofahrer. In Afrika stehen die zurück, der als Dünger genutzt 28000 Tonnen Linsen gesteigert Fussgänger am schlechtesten da. werden kann. Gemäss Pascal werden. Dies schlägt sich nicht Sie sind die Opfer in 89 Prozent Tamba können sich Haushalte nur in den nationalenWirtschafts- aller Verkehrsunfälle in Addis mit umgerechnet 450 Euros ihren eigenen Faulbehälter anschaffen, der ihre gesamten Bedürfnisse an Kochgas abdecke. Zweischneidiger Bambus (bf) Obwohl die 1200 verschie- denen Bambusarten in vielerlei Hinsicht verwendet werden kön- nen – etwa als Nahrungsmittel für Riesenpandas oder Gorillas, Michel Vanden Eeckhoudt / Agence Vu Baumaterial, Parfum-Zusatz oder Grundmaterial zur Papierher- stellung – scheiden sich an ihm die Geister. Bambus kann nämlich auch Hungersnöte aus- lösen, und gleichzeitig warnen 4 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
Zeichnung von Martial Leiter Der Denker Umweltspezialisten davor, dass dabei produzierten Samen ziehen 1959 Hungersnöte aus. Dem langsamten Internetwachstum sei rund ein Drittel aller Bambus- Ratten so sehr an, dass sich deren Plan, die Rattenplage mit einer vor allem die Monopolstellung gräser vom Aussterben bedroht Population explosionsartig flächendeckenden Vorblüte-Ernte der Telecomgesellschaften in den sind. Im Nordosten Indiens je- vergrössert und diese sich in zu verhindern und das gemähte meisten westafrikanischen denfalls wollen die Bauern dieses der Folge über andere Land- Gras wirtschaftlich zu nutzen, Ländern. Hunderttausende von Jahr möglichst viel der einheimi- wirtschaftsprodukte hermacht. widersetzen sich wiederum Westafrikanern surfen allerdings schen Bambusart Melocanna bam- Rattenplagen lösten in der Umweltschützer, weil Bambus in den weit verbreiteten und busoides abmähen, um sie am Region Mizoram, wo sich das ohne zu blühen abstirbt. Zudem beliebten Cybercafes.Wegen der Blühen zu hindern. Bambus Zentrum der diesjährigen Blust sei der produzierte Samen für harten Konkurrenz müssen die blüht nur alle 50 Jahre, doch die befindet, bereits 1861, 1911 und den örtlichen Wald überlebens- Betreiber ihre Internetdienste wichtig, da er massgeblich dafür mittlerweile zu einem tiefen verantwortlich sei, den Waldbo- Preis anbieten. Nigeria, der gröss- den zu regenerieren. te Internetmarkt das Kontinents nach Südafrika und Ägypten, Surfendes Westafrika beherbergt laut Schätzungen (bf) Erstmals liegen detaillierte 500000 bis eine Million Internet- Zahlen über die Internetnutzung nutzer.Wie die Mehrheit der in den 22 Ländern Westafrikas Afrikaner senden und empfan- vor. Nur Nigeria, Ghana, die gen die Nigerianer vor allem Elfenbeinküste,Togo, Guinea, E-Mails.Yahoo und Hotmail sind Kamerun und Senegal haben ge- in Nigeria deshalb die populärs- mäss dem Bericht von Balancing ten Websites. Gao Yuan / Agence Vu Act (www.balancingact-africa. com) über 10000 Internetabon- nenten. Schuld an diesem ver- Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 5
Multilateral Grosse Probleme gemeinsam anpacken Wie sollen Entwicklungsgelder eingesetzt werden? Für bila- terale oder für multilaterale Projekte? Welche sind nachhalti- ger, welche effizienter? Fragen, die oft in einer heftigen Kon- troverse um multi- contra bilateral enden. Zu Unrecht. Von Gabriela Neuhaus. Mit der grünen Revolution wurde die afrikanische die giftigsten Pestizide verbieten wollen. Landwirtschaft grosszügig mit chemischen Pflan- Im Rahmen des ASP sollen diese Beschlüsse nun zenschutzmitteln ausgerüstet. Doch der erhoffte in Afrika umgesetzt werden. Nebst verschiedenen Segen entwickelte sich zum Bumerang:Wenn nicht UNO-Organisationen beteiligen sich bilaterale fachgerecht ausgebracht, vergiften die aggressiven Geberländer, die EU sowie die Agrarindustrie und Chemikalien Böden, Wasser und Luft.Viele dieser Nichtregierungsorganisationen (NRO) am Pro- Pestizide sind bei uns verboten – im Süden hinge- gramm. «Solche Umweltprobleme können nur gen bedrohen sie bis heute Mensch, Tier und nachhaltig angegangen werden, wenn das Enga- Umwelt. gement breit abgestützt ist», sagt Jean-Bernard Im Lauf der Jahre haben sich zudem in allen Dubois. Dies führe zwar oft zu äusserst zähen und Ländern Afrikas nebst vergifteten Böden auch rie- komplizierten Verhandlungen zwischen den unter- sige Pestizidlager angehäuft, die langsam aber sicher schiedlichen Interessensgruppen, doch erst ein verrotten. Umweltorganisationen und die FAO Konsens aller Akteure ermögliche eine fruchtbare versuchen bereits seit Jahren, das Problem in den Arbeit. Griff zu bekommen. Auch die Schweiz setzt sich Die Schweiz unterstützt das ASP direkt, als bilate- innerhalb ihrer Länderprogramme für die Lösung rale Partnerin, mit einem Beitrag von 500000 US- des Pestizid-Problems ein. Der Giftberg allerdings Dollar. Ebenso wichtig sind aber die von ihr ge- wächst schneller, als er abgetragen werden kann. leisteten Beiträge an die multilateralen Organisa- «Die Probleme in diesem Bereich sind so komplex, tionen Weltbank und GEF, ohne die eine Initia- dass sie die Möglichkeiten einzelner Akteure über- tive wie das ASP nicht durchführbar wäre. Das steigen», sagt Jean-Bernard Dubois, stellvertreten- Schweizer Engagement beim ASP zeigt denn auch der Leiter des Fachbereichs Umwelt und Ressour- beispielhaft, wie multilaterale und bilaterale Ent- cen bei der DEZA. wicklungszusammenarbeit immer häufiger inein- Deshalb wird nun in grösserem Stil gehandelt: Im ander übergehen und miteinander verhängt sind. Rahmen des Africa Stockpiles Programme (ASP) «Je stärker globale Probleme wie Umwelt, Klima sollen in den kommenden Jahren rund 50 000 oder Aids der Menschheit weltweit zu schaffen ma- Tonnen Pestizidabfälle vernichtet sowie Präventions- chen, desto mehr müssen sich die Nationalstaaten arbeit geleistet werden, damit solches nie mehr vor- gemeinsam organisieren; zur Bekämpfung dieser kommt. Kostenpunkt: 250 Millionen US-Dollar. Probleme brauchen wir zwingend Koordinations- und Kooperationsmechanismen», fasst Rolf Kappel, Multilateralismus: Aktueller denn je Leiter des Nachdiplomstudiums für Entwicklungs- Unter Federführung von Weltbank und der multi- länder NADEL, die Notwendigkeit für multilate- lateralen Umweltorganisation Global Environment rale Institutionen und Netzwerke zusammen. Facility (GEF) haben sich zahlreiche und äusserst unterschiedliche Geber auf ein Programm geeinigt, Fehlende Mittel und Kompetenzen mit dem die gesteckten Ziele erreicht werden sol- Eine ganze Reihe der anstehenden Aufgaben, wie len. zum Beispiel das Erreichen der Millenniums- Die Basis für den Aktionsplan, an dem sich alle be- Entwicklungsziele, können nur in einem multilate- troffenen afrikanischen Regierungen beteiligen ralen Rahmen effizient angepackt und koordiniert Jörg Böthling / agenda können, sind die Konventionen von Basel (1989) werden. Dazu kommt, dass in der heutigen Ent- und Stockholm (2001), welche den Umgang mit wicklungszusammenarbeit institutionelle und wirt- gefährlichen Chemikalien international regeln und schaftspolitische Reformen einen wichtigen Stel- Foto gegenüber: Brückenbau in Tamil Nadu, Indien Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 7
lenwert haben. Dies sind Veränderungen, deren multilateraler Organisationen eingehen, nicht viel Bedingungen in einem Politikdialog ausgehandelt mehr seien als schöne Worte. Hier bräuchte es eine werden müssen. «Ein einzelner Geber», sagt Kappel, massive Stärkung der multilateralen Instrumente, «ist dazu nicht genügend legitimiert, hier braucht damit diese besser greifen können. Ein weiterer es eine supranationale Instanz. Zudem besteht in wichtiger Faktor, um vor allem den UNO- einem bilateralen Kontext immer die Gefahr, dass Organisationen mehr Handlungsspielraum und das Geberland vor allem seine eigenen Interessen bessere Effizienz zu ermöglichen, wäre eine finan- vorantreibt.» zielle Besserstellung, die auch mehr Unabhängig- Die Eigeninteressen der Mitgliederländer sind keit ermöglichen würde. «Die grossen Probleme und Herausforderungen für natürlich auch im Kontext des Multilateralismus die heutige Entwicklungs- ein Problem: Wenn die USA das Kyoto-Protokoll Multilaterale als Dienstleister zum Klimaschutz nicht unterzeichnen, hat das auf «Der Vorteil multilateraler Aktivitäten ist, dass Cordula Kropke / agenda zusammenarbeit können nur multilateral angegan- die globale Klimapolitik beträchtliche negative die UNO-Organisationen einen Gesamtüberblick gen werden. Dies zeigt sich insbesondere bei der Auswirkungen. Oder wenn sie der UNO-Aids- über Entwicklungsaktivitäten und -notwendigkei- Umsetzung der Milleniums- Entwicklungsziele, bei der globalen Bekämpfung von Armut sowie bei den Bestrebungen um die Harmonisierung in der Entwicklungszusammen- arbeit.» «Die bilaterale Entwick- lungszusammenarbeit darf nicht auf Kosten der multi- lateralen zurückgestuft werden, aber auch nicht umgekehrt. Wichtig ist, dass die Synergien zwi- schen multilateraler und bilateraler Entwicklungszu- sammenarbeit vermehrt genutzt werden, und zwar in beide Richtungen: Wenn unsere wertvollen bilatera- Jorgen Schytte / Still Pictures len Erfahrungen auf multi- lateraler Ebene einfliessen, gewinnen sie an Gewicht. Umgekehrt können wir dank multilateralem Enga- gement die Herausforde- rungen im bilateralen Weizenernte in Chimaltenango, Guatemala Bereich gezielter angehen und die Koordination unse- Organisation das dringend benötigte Geld zur ten haben, der eine effiziente und nachhaltige rer Entwicklungsbemü- Durchführung eines weltweiten Programms vor- Koordination und Zusammenarbeit ermöglicht», hungen verstärken.» enthalten und dafür ein eigenes, bilaterales Aids- sagt Ralph Friedländer von der Sektion UNO- «Je mächtiger ein Land ist, Projekt nach ihren eigenen Bedingungen mit den Entwicklung bei der DEZA. «Wir sind Berater vor desto grösseres Gewicht Empfängerländern aushandeln, schwächt dies das Ort, die Entwicklungsarbeit muss in den innenpo- hat es auch in der bilatera- globale Programm der supranational legitimierten litischen Prozess eines Landes integriert sein», um- len Zusammenarbeit. UNO-Organisation. schreibt er die Philosophie des UNDP. «Viele bila- Deshalb ist es insbeson- dere für ein kleines Land Diese zwei Beispiele zeigen deutlich, wie sich die terale Projekte, vor allem aber auch die Arbeit von wie die Schweiz von real existierenden Machtverhältnisse in den multi- NRO kommen oft der Bevölkerung direkter zu- Vorteil, wenn der Multila- nationalen Organisationen widerspiegeln: Es be- gute, man kann konkret sehen, was erreicht worden teralismus gestärkt wird; steht immer die Gefahr, dass die grossen Geld- ist.Wenn sie aber am Staat vorbei laufen, besteht die dies führt auch zu mehr Demokratie und besserer geber versuchen, eine Institution unter Druck zu Gefahr, dass sie nicht nachhaltig sind.» Gouvernanz in der setzen oder sie zu instrumentalisieren. Eine weitere Damit die Vorteile der UNO-Agenturen besser Shehzad Noorani / Still Pictures internationalen Entwick- Schwäche der multinationalen Organisationen ist, greifen können, müssten sie über mehr direkte lungszusammenarbeit.» dass Beschlüsse ihrer Gremien für die einzelnen Mittel verfügen. Die UNO-Entwicklungsorgani- Serge Chappatte, Leiter Entwicklungspolitik und Mitglieder rechtlich nicht bindend sind. Manchmal sation UNDP zum Beispiel erhält nur ein Drittel Multilaterale Zusammen- habe er das Gefühl, sagt ein Beobachter, dass die ge- ihres rund 3 Milliarden US-Dollar umfassenden arbeit bei der DEZA genseitigen Verpflichtungen, welche die Mitglieder Jahresbudgets in Form «echter» multilateraler Un- 8 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
Multilateral Begriffs-Glossar Verteilung von Nahrungsmitteln nach Flutkatastrophe in Mosambik Multilaterale Hilfe terstützung, d.h. als Mitgliederbeiträge, die in die Die Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Ge- Allgemeine, nicht an be- zentrale Kasse fliessen und der Organisation für bern, die für ihr bilaterales Engagement unter- stimmte Projekte gebun- Administration, Koordination sowie für eigene schiedliche Bedingungen und Anforderungen stel- dene Beiträge an das Projekte und Programme zur Verfügung stehen. len, ist für die Empfänger äusserst aufwändig. Ohne Kernprogramm internatio- naler Entwicklungs- und Der weitaus grösste Teil, sowohl im Entwicklungs- Koordination der verschiedenen Projekte und Pro- humanitärer Institutionen, wie im humanitären Bereich, sind sogenannte gramme, kommt es zu Doppelspurigkeiten, Res- deren Mitglieder aus- multi-bi-Beiträge. Dies sind Gelder, die von den sourcenverschleiss, und oft sind der Korruption Tür schliesslich Staaten sind. Gebern für bestimmte Projekte gesprochen werden und Tor geöffnet. Multi-bilaterale Hilfe – so wie z.B. die Schweiz als bilaterale Partnerin die Verschiedene Initiativen, wie zum Beispiel in Mo- Multi-bilaterale Hilfe be- Entsorgung der Pestizide in Afrika im Rahmen des sambik oder Tansania (siehe S. 14), wo sich mehrere steht darin, dass ein Africa Stockpiles Programme unterstützt oder für bilaterale Geldgeber zusammengeschlossen haben Geberland wie die Schweiz die Stärkung der zentralen Regierungsstrukturen und gemeinsam die Bedingungen für Budget- resp. die Durchführung eines spezifischen Projekts oder in Pakistan in ihren eigenen Programmen mit dem Sektorhilfe mit der Regierung des Empfängerlan- Programms einer multilate- UNDP zusammenarbeitet. Eine dritte Form von des aushandeln, sind viel versprechend gestartet. ralen Organisation ganz Projekten führt das UNDP im Auftrag von Ent- Solche neuen Ansätze, wie sie heute auch von der oder teilweise finanziert. wicklungsländern durch, die selber nicht über das Weltbank und vom Internationalen Währungs- Multilaterale notwendige Know-how oder die entsprechenden fonds (IWF), die von ihren Kreditnehmern Strate- Zusammenarbeit Strukturen verfügen. giepapiere für die Armutsbekämpfung fordern, Entwicklungszusammenar- beit und Zusammenarbeit Frauen diskutieren Gesundheitsaspekte in Sind, Pakistan mit Transitionsländern, welche im Rahmen allge- meiner Programme multila- teraler Institutionen umge- setzt oder in Zusammen- arbeit mit ihnen abge- wickelt werden. Multilaterale Politik Prozess der Ausarbeitung international verbindlicher Normen und Prinzipien, der in der Regel in einer institutionalisierten Form, d.h. in einer multilateralen Institution, stattfindet. Multilaterales System System, in welchem multi- laterale Institutionen, ihre Teilhaber und Partner ge- meinsam an der Bewälti- gung von Problemen und Herausforderungen arbei- ten. Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 9
Mark Edwards / Still Pictures Cordula Kropke / agenda Krankentransport in Uganda Spielgruppe auf Spitalparkplatz, Botswana aktiv gefördert werden, wären ohne die Dienste vorgegangen ist. Diese ist auch heute eine der der multinationalen Organisationen undenkbar. wichtigsten Partnerorganisationen der schweizeri- schen Entwicklungszusammenarbeit. Engagement der Schweiz Umgekehrt ist die Schweiz für das UNDP mit ei- Die wichtigsten multilateralen Organisationen, bei nem direkten jährlichen Beitrag von rund 52 welchen die Schweiz heute Mitglied ist und mit Millionen Franken der achtgrösste Geldgeber und denen sie im Bereich der Armutsbekämpfung zu- darüber hinaus ein äusserst aktives Mitglied in des- sammenarbeitet, sind die Bretton Woods Institu- sen Verwaltungsrat. Ende der 1990er Jahre trug die Aufgeklärter tionen (Weltbank und IWF) sowie die verschiede- Schweizer Delegation massgeblich zur Reform des Multilateralismus «Wenn wir Diplomatie nen UNO-Organisationen, die sich mit Fragen UNDP bei (siehe auch S. 12). nicht nur als eine zufällige der Entwicklung befassen. Insbesondere die Zu- Mit ihrem konsequenten Engagement für eine Po- Aufeinanderfolge von sammenarbeit mit der grössten UNO-Organisa- litik der nachhaltigen Armutsbekämpfung gerät Einzelaktionen begreifen, tion, dem UNDP, hat eine lange Tradition: Im sie dabei auch ab und zu in Widerspruch zur eige- sondern als langfristige Bemühung, die internatio- Gegensatz zu anderen reichen Ländern, leistete die nen nationalen Politik: Um die Finanzierung des nalen Beziehungen immer Schweiz nach dem 2.Weltkrieg noch keine bilate- UNDP auf eine sichere Basis zu stellen, lancierte besser, immer stabiler, rale Entwicklungshilfe, beteiligte sich aber mit ei- sie eine Initiative die zum Ziel hatte, von den immer fruchtbarer zu ma- nem finanziellen Beitrag ab 1950 am UNO-Fonds Geberländern künftig Mehrjahresverpflichtungen chen, dann liegt es eigent- lich auf der Hand, dass für technische Zusammenarbeit, aus dem 1965 die zu verlangen. Im UNDP-Verwaltungsrat wurde jeder kleine multilaterale heutige UNO-Entwicklungsagentur UNDP her- diese Neuerung einstimmig beschlossen.Weil dieser Schritt in Richtung auf die- ses Ziel wertvoller ist als Frauengruppe in Velampalayam, Indien die erfolgreiche Durchset- zung eines nationalen Anliegens. Multilateralismus ist also ein Wert an sich. Und eine Regierung, die ‚konstruktive multilaterale Zusammen- arbeit’ als überwölbendes Ziel ihrer Aussenpolitik definiert und diesem Ziel gegebenenfalls auch die Durchsetzung bestimmter nationaler Ziele unterord- net, handelt in Wahrheit nicht gegen die Interessen ihres eigenen Volkes, son- dern nimmt diese in einer aufgeklärten Weise wahr.» Zitat aus einem Vortrag des deutschen Botschaf- ters Karl Th. Paschke an- lässlich einer Tagung der Konrad Adenauer Stiftung in Berlin, 2000 Jörg Böthling / agenda 10 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
Multilateral Beschluss aber für die Mitglieder rechtlich nicht breiterer Ebene Früchte tragen konnten. Die bindend ist, lässt seine Umsetzung in der Schweiz Schweiz beteiligt sich zum Beispiel an der multila- selber weiterhin auf sich warten. Die direkten teral organisierten Budgetfinanzierung in Mosam- Zuwendungen ans UNDP aus Bern werden wei- bik, weil sie aufgrund ihrer langjährigen Zusam- terhin jährlich neu bewilligt – wie in vielen ande- menarbeit mit diesem Schwerpunktland über ren Ländern auch. entsprechendes Know-how verfügt. Somit fliessen Trotzdem: Inputs und Initiativen aus der Schweiz nicht nur Geld, sondern auch viel Erfahrung und haben dank geschickter Koalitionsarbeit bei den Wissen in die aktuelle Budgethilfe, in der es kein multilateralen Organisationen Gewicht und kön- spezielles Schweizer Projekt mehr gibt. Mitteleinsatz für multila- nen Änderungen bewirken. Auch bei den Bretton Das Gleiche gilt für die Mitwirkung beim Africa terale Zusammenarbeit Woods-Institutionen, denen die Schweiz erst 1992 Stockpiles Programme, wie auch für das Engage- Im Jahr 2003 betrug die beigetreten ist, schaffte sie es innert kurzer Zeit, ment der Schweizer Expertinnen und Experten in- multilaterale Öffentliche ihre Anliegen effizient einzubringen. Weil die nerhalb der multilateralen Organisationen. «Es Entwicklungshilfe der Schweiz gesamthaft Schweiz als kleines und neutrales Land die Rolle wäre fatal, den Erfahrungsschatz aus der bilateralen (inklusive DEZA, seco und anderen Bundesämtern) 470.5 Millionen Franken. Das sind rund 27 Prozent der gesamten Öffentlichen Entwicklungshilfe der Schweiz. Im Betrag von 470.5 Millionen sind ge- mäss der Definition des Entwicklungshilfeaus- schusses (DAC) der OECD Beiträge der jeweiligen Mitgliedsländer an interna- tionale Entwicklungsinsti- tutionen enthalten, die vom DAC als solche identifiziert sind. Dazu gehören UNO- Organisationen, Entwick- lungsbanken sowie weitere spezialisierte multilaterale Institutionen. Institutionen wie das IKRK zählen nicht dazu – die entsprechenden Beiträge werden deshalb Nigel Dickinson / Still Pictures der bilateralen Öffentlichen Entwicklungshilfe ange- rechnet. Multilaterale Strategie «Angesichts der wachsen- Aufräumen nach dem Hurrikan Mitch in Honduras den Bedeutung der multi- lateralen Zusammenarbeit des «ehrlichen Maklers» wahrnehmen kann und Zusammenarbeit vor Ort aufzugeben. Im Gegen- will die DEZA ihren über anerkanntes entwicklungspolitisches Know- teil: bilaterale Organisationen müssen ihre Er- Ressourceneinsatz anpas- sen. Ein Drittel der Finanz- how verfüge, schätzt Rolf Kappel, habe sie inner- kenntnisse und Erfahrungen entwickeln und in die mittel der DEZA soll in der halb der multilateralen Organisationen ein sehr multilateralen Gremien einbringen können», sagt multilateralen Zusammen- gutes Image. Rolf Kappel. arbeit eingesetzt werden, Ein Thema, bei welchem die Schweiz wichtige Dies kommt heute allerdings einem Teufelskreis wobei die Zweckmässig- keit der Ressourcenauf- Spuren in der internationalen Politik hinterlassen gleich. Einerseits müssten die multilateralen Orga- teilung zwischen bilateraler habe, so Kappel, sei die Entschuldungsinitiative. nisationen mehr Gewicht und Durchsetzungskraft und multilateraler Zusam- Dank der konkreten Erfahrungen, die damit in der erhalten – das heisst konkret, sie müssten auch über menarbeit periodisch über- Schweiz gemacht worden waren, konnte sich diese mehr Mittel verfügen. Doch angesichts der be- prüft wird. Um eine aktive Rolle in der Gestaltung der Initiative schliesslich auch international durchset- schränkten Budgets, welche die OECD-Staaten für multilateralen Politik und zen. die Bekämpfung der Armut zur Verfügung stellen Zusammenarbeit zu spie- heisst dies, dass jede Stärkung des multilateralen len, wird sie ihre personel- Balance finden Bereichs auf Kosten der bilateralen Entwicklungs- len Ressourcen an der Zentrale wie im Feld ver- Nicht nur bei der Entschuldungsinitiative flossen zusammenarbeit geht. Eine Gratwanderung bei der stärken.» Erfahrungen aus der bilateralen Zusammenarbeit es gilt, die richtige Balance zwischen bi-, multi-bi- Aus «Multilaterale Strategie in die multilateralen Organisationen, wo sie auf und multilateral zu finden. ■ der DEZA», 2002 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 11
«Ich bin bereit, unseren Gebern auf die Zehen zu treten» Tiane Doan Na Champassak / Agence Vu Mark Malloch Brown ist seit 1999 Administrator der UNO-Entwicklungsorganisa- tion UNDP und leitet auch die UNO-Entwicklungs- gruppe, ein Komitee, dem alle Vorsteher von UNO- Stiftungen, -Programmen Ob für Fischer in Kerala, Indien,... und -Abteilungen ange- hören, die im Bereich Ent- Weil die UNO-Entwicklungsorganisation UNDP allen Mitglied- wicklung arbeiten. Dem Briten untersteht auch die ländern gemeinsam gehöre, sei sie unabhängiger und einfluss- Ausarbeitung einer UNO- Strategie für die Erreichung reicher als ein einzelner Staat, sagt Mark Malloch Brown. der Millenniums-Entwick- lungsziele bis ins Jahr 2015. Gabriela Neuhaus traf den Chef des UNDP in Genf. Während seiner ersten Amtszeit (1999-2003) Eine Welt: Das Misstrauen gegenüber multi- Gibt es überhaupt Bereiche, wo bilaterale führte Malloch Brown im lateraler Entwicklungszusammenarbeit ist Zusammenarbeit Sinn macht? UNDP eine grundlegende weit verbreitet.Viele setzen nach wie vor lie- Die Schweiz leistet in ausgewählten Sektoren hoch Reform durch, dank der die UNO-Entwicklungsorgani- ber auf bilaterale Zusammenarbeit, unter an- spezialisierte Entwicklungsarbeit, die sowohl von sation nach einer grossen derem mit dem Argument, diese sei effizien- uns, wie auch von der Weltbank sehr geschätzt und Krise heute in ihren 166 ter. Wie sehen Sie diesen Konflikt? unterstützt wird. Diese eigenen Programme sind Einsatzländern zielgerichte- Mark Malloch Brown: Dass Geberländer die bi- aber thematisch sehr konzentriert und auf einige ter und effizienter arbeitet. Der promovierte Historiker laterale Zusammenarbeit vorziehen, ist durchaus Schwerpunktländer beschränkt. Will man darüber und Politologe startete verständlich: Wenn man den Schweizer Steuer- hinausgehen und die Arbeit auf weitere Sektoren seine Karriere als Journalist zahlern ein Projekt zeigen kann, welches von ei- und Länder ausweiten, muss auf die multilateralen bei der Zeitschrift «The nem Schweizerkreuz geschmückt ist, tut dies seine Partner zurückgegriffen werden. Economist», arbeitete da- nach von 1979 bis 1983 Wirkung – die Leute wissen genau, wohin ihr Geld für das UNO-Flüchtlings- geflossen ist. Aber aus der Sicht der Empfänger- Zum Beispiel? hilfswerk UNHCR, dann als länder sind die multilateralen Organisationen die Das UNDP hat viele Programme im Umweltbe- internationaler Konsulent, angenehmeren und effizienteren Partner. Diese reich – die Schweiz ist hier sehr stark. Doch ihr bevor er 1994 zur Welt- bank und 1999 zum UNDP Länder wollen nämlich ihren Gesundheitssektor Programm ist auf die Schwerpunktländer der wechselte. oder das Schulwesen entwickeln. Wenn sie dafür Schweiz beschränkt.Wir hingegen arbeiten in vie- jedes einzelne Projekt mit einzelnen Partnerlän- len weiteren Ländern, wo die Schweiz nicht ist – dern aushandeln müssen, ist das viel aufwändiger, wo wir aber von ihrem Know-how profitieren komplizierter und wenig nachhaltig. Zudem ist können. Für das UNDP ist es auch viel einfacher man viel flexibler, wenn alle Unterstützungsgelder als für einen Staat wie die Schweiz, einem Land zu aus einem Topf kommen, für den es nur einen sagen, dass es ein Korruptions- oder Demokratie- Ansprechpartner gibt. problem habe. Deshalb arbeitet die Schweiz, wenn 12 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
Multilateral es um gute Regierungsführung geht, meist mit uns zusammen. Weil die multilateralen Organisationen über mehr Macht verfügen als die Schweizer Re- gierung? Es geht weniger um Macht als um moralische Autorität und um Vertrauen. Wenn ein Land ein anderes der Korruption oder schlechten Regie- rungsführung beschuldigt, wird’s bald ziemlich hässlich. Bei zwischenstaatlichen Beziehungen pflegt man sich deshalb nicht zu kritisieren. Wir hingegen, als UNO-Entwicklungsorganisation, ge- hören allen Ländern.Wir gehören Nigeria ebenso wie der Schweiz. Deshalb können wir die Nigeria- ner, falls nötig, in einer Art und Weise auf Probleme aufmerksam machen, wie es die Schweiz niemals könnte. Bernard Descamps / Agence Vu Das UNDP gehört allen – doch wird das Verhalten aller Mitglieder gleichermassen unter die Lupe genommen? Gerade die rei- chen Länder bekennen sich einerseits zu den Millenniumszielen, sobald aber mögliche ... oder für Minen-Arbeiter in Madagaskar: Handelsschranken hindern die Entwicklung Massnahmen den nationalen Interessen wi- dersprechen, zum Beispiel in der Landwirt- Mauer nach, der Schuldenerlass wurde möglich. schaft oder in der Handelspolitik, werden sie Ich bin überzeugt, dass mit den Handelsschranken inkonsequent und schützen ihre Wirtschaft – und Schutzzöllen das gleiche geschehen wird. Schweiz als grosse zum Schaden der ärmsten Länder. Schliesslich wird eine Kombination von Überzeu- Stütze Die Vorsteher verschiedener Entwicklungsagen- gungsarbeit und Bedrohung zum Politikwechsel «Seit ich dem UNDP vor- turen – nicht nur ich, sondern auch der Weltbank- führen. Das dauert wohl noch einen Moment, doch stehe, war die Schweiz immer Mitglied unseres direktor, der Direktor des Internationalen Wäh- die tektonischen Platten haben bereits angefangen, Verwaltungsrats. DEZA- rungsfonds IWF und andere – haben bis zur sich zu bewegen. Direktor Walter Fust war Peinlichkeit darauf insistiert, dass nun etwas ge- stets ein wichtiger Wort- schehen müsse! Weltweit leben über eine Milliarde Das heisst, die Leute werden mit der fort- führer, als es während der Reform darum ging, die Menschen mit weniger als einem Dollar im Tag, schreitenden Globalisierung auch eher mul- Verpflichtungen fair zu ver- während jede einzelne Kuh in Europa täglich mit tilateral denken? teilen und sicherzustellen, drei Dollars subventioniert wird. Nächstes Jahr Ich denke nicht, dass es ein naiver eindimensiona- dass das UNDP gegenüber werden wir eine Grossoffensive für die Millenni- ler Multilateralismus oder Globalismus ist. Wenn den internationalen Finanz- instituten wie der Weltbank ums-Entwicklungsziele starten – dabei werden die wir diese internationalen Instrumente durch ein gut bestückt wird; die Handelsschranken ein wichtiges Thema sein. Da starkes nationales Prisma anschauen, erkennen wir, Schweiz war eine grosse bin ich durchaus auch bereit, unseren Gebern auf dass diese multilaterale Dimension im Interesse des Stütze beim Wiederaufbau die Zehen zu treten und diesen Widerspruch anzu- eigenen Landes liegt. Die Erkenntnis wird kom- der Finanzierung, über- haupt ist sie sehr darauf sprechen, in dem die Schweiz und so viele ihrer men, dass ein Land seine Probleme nicht mehr im bedacht, die Finanzierung Nachbarn stecken. Alleingang lösen kann, weil diese schlicht nicht längerfristig zu sichern. Die brav an der Grenze Halt machen. Doch das heisst Schweizer Delegation in- Was hat das UNDP für Möglichkeiten, seine nicht, dass man deshalb alle nationalen Regierun- nerhalb des UNDP ist sehr einflussreich, sie verfügt Forderungen durchzusetzen? gen wegfegen soll – im Gegenteil. Wenn man die über enge Beziehungen Anfänglich stiess der Schuldenerlass für die Ärms- zu lösenden Probleme genauer anschaut, erkennt und ergreift oft das Wort – ten auf wenig Begeisterung. Bewegung in die man, dass es zwei oder gar drei Ebenen braucht: kurz, zwischen dem UNDP Sache brachten schliesslich hartnäckige und orga- eine lokale, eine nationale und eine globale und der Schweiz besteht eine starke Partnerschaft.» nisierte Lobbyarbeit sowie die Zusammenarbeit Regierung. ■ Mark Malloch Brown zur mit NRO, kirchlichen Gruppen und anderen die Rolle der Schweiz innerhalb stiessen, stiessen, stiessen. Und schliesslich gab die (Aus dem Englischen) des UNDP Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 13
Unsichtbares Heilmittel für Modellpatienten Wie viele andere Geldgeber gewährt die Schweiz einen Gross- teil ihrer Hilfe an Tansania über das nationale Budget. Dieses neue Zusammenarbeitsmodell bedingt eine gezielte Koordi- nierung zwischen den bilateralen und multilateralen Gebern so- wie einen ständigen politischen Dialog mit der Regierung des Empfängerlandes. Von Jane-Lise Schneeberger. Doppelt prioritär Tansania ist ein Schwer- punktland der DEZA und des Staatssekretariats für Wirtschaft (seco). Das ge- meinsame Programm für die Jahre 2004 bis 2010 soll die Lebensbedingun- Beni Güntert / DEZA (2) gen der Armen verbes- sern. Dazu konzentriert es sich auf drei Bereiche: Gute Regierungsführung, Wirtschaftswachstum und das sowohl physische wie Der Verkauf von selbst gefangenem Fisch... soziale Wohlbefinden der Bevölkerung. Vorgesehen Jedes sechste tansanische Kind stirbt, bevor es fünf Gesundheitswesens aus. Auf Initiative der DEZA ist ein Gesamtbetrag von Jahre alt wird. Die anderen haben eine Lebens- verpflichteten sich sechs bilaterale Geber sowie die 28 Millionen Franken pro erwartung von gerade mal 43 Jahren. 1990 lag sie Weltbank, ab 1998 die Umsetzung dieser Reform Jahr. Rund 60 Prozent der noch bei 52 Jahren. Dieser Rückschritt ist zu einem zu unterstützen. Sie beschlossen, schrittweise auf Programme werden auf nationaler, der Rest auf lo- grossen Teil eine Folge der dramatischen Zunahme bestimmte bilaterale Projekte zu verzichten und kaler Ebene durchgeführt, von Aids, welches nach Malaria die zweithäufigste ihre Beiträge in einen gemeinsamen Topf zu wer- vor allem in einer Region Todesursache ist. Der schlechte Gesundheitszu- fen, aus dem das Budget des Gesundheitsministe- entlang einem zentralen stand der Bevölkerung ist zugleich Ursache und riums aufgestockt wurde. Korridor, zwischen Morogoro und Shinyanga. Die wich- Folge der Armut. Die DEZA ist in diesem Bereich Die Agenturen treffen sich regelmässig, um ihre tigsten Investitionen für aktiv, seit sie Ende der 1960er Jahre die Zusam- Aktivitäten zu koordinieren und die Reform zu 2004 betreffen die allge- menarbeit mit Tansania aufgenommen hat. Ihre gewährleisten. Sie stehen in ständigem Dialog mit meine Budgethilfe (8 Millio- Aktivitäten verliefen lange nach dem klassischen dem Ministerium. Wer die Gruppe präsidiert, was nen Franken) und die sek- torielle Hilfe für das Gesund- Hilfe-Schema, wonach die Zusammenarbeitsagen- in einem jährlichen Turnus geschieht, übernimmt heitswesen (6 Millionen). tur einem staatlichen oder nichtstaatlichen Partner auch die Rolle des Sprechers. Daneben realisiert die das nötige Geld für die Durchführung eines von ihr Aufgrund dieses sektoriellen Vorgehens, bekannt Schweiz aber viele andere definierten Projekts gab. unter der Abkürzung SWAP (sector wide ap- Projekte in Bereichen wie Strassenbau, Unterstützung proach), können die Geber nicht mehr präzis nach- der Zivilgesellschaft, Kampf Rationellere Hilfe vollziehen, wie ihre Gelder eingesetzt werden. gegen verchiedene Die Hilfslandschaft in Tansania veränderte sich Deshalb verzichten einige lieber auf eine ihrer Infektionskrankheiten, Ende der 1990er Jahre, als die Regierung Mass- Ansicht nach nicht ausreichend «sichtbare» Praxis. Überwachung der PRSP sowie eine technische Hilfe nahmen zur Harmonisierung ihrer Beziehungen Für Ilaria Dali-Bernasconi vom Kooperations- für das Finanzministerium zu den Gebern ergriff. Insbesondere arbeitete sie büro der DEZA in Dar es Salaam ist aber die sek- und die Bank von Tansania. mit diesen ein Programm für eine Reform des torielle Budgethilfe rationeller als die herkömmli- 14 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
Multilateral che Zusammenarbeit: «SWAP schränkt die Auf- Armut oder zur Unterdrückung der Korruption splitterung von Projekten ein und verteilt die Hilfe geführt haben, gilt Tansania heute als ein gut ge- gerechter. Es erleichtert die Arbeit des Ministe- führtes und politisch stabiles Land. Diese Trümpfe riums, das nicht mehr mit einer ganzen Reihe von halfen mit, dass die Geber ihre Budgethilfe auf- Partnern mit unterschiedlichen Forderungen ver- stockten. Die Regierung, die deutlich gemacht handeln muss.Vor allem aber stärkt dieses System hatte, dass sie diese Art Hilfe bevorzugt, ist begeis- die eigene Handhabung des Prozesses durch die tert. Sie räumt aber ein, dass viele Geber ihr Behörden, welche die Ressourcen nach ihren Prio- Aktivitäten-Portefeuille mit der Finanzierung ver- ritäten verteilen.» mischen möchten. Ein Tag im Leben der Armen Für einmal sind es nicht Fachleute aus Wirtschaft oder Soziologie, die über Armut sprechen, sondern die Armen selber. Ende 2002 erhielten Befrager und Befragerinnen von der DEZA den Auftrag, sich mit 26 Familien in der tansani- ...oder der Kauf neuer Fischerboote (hier die Feier) lindern die Armut und fördern die Gesundheit schen Region Morogoro zu treffen, um herauszufinden, Neben der sektoriellen Hilfe gewährt die Schweiz Dies ist auch bei der Schweizer Zusammenarbeit wie die Armen ihre eigene Tansania eine allgemeine Budgethilfe. Das Staats- der Fall. Zwar wurde die Unterstützung des Ge- Situation beurteilen. Sie sekretariat für Wirtschaft (seco) ist Teil einer Gruppe sundheitsbudgets in den letzten Jahren beträchtlich verbrachten einen Tag mit von elf bilateralen und multilateralen Geldgebern, erhöht, doch die DEZA setzt nach wie vor die jeder Familie, befragten sie über die wirtschaftli- welche so die 2001 verabschiedete Strategie zur Hälfte ihrer Hilfe für konventionelle Projekte ein chen Schwierigkeiten, ihre Armutsbekämpfung (PRSP) unterstützen. «Die und will dieses Verhältnis beibehalten. Im Weiteren Erfahrungen, Ziele und Budgethilfe ist kein Blankoscheck», versichert will sie «Synergien zwischen den nationalen Pro- Sorgen. Die Mitglieder die- Monica Rubiolo, wissenschaftliche Mitarbeiterin grammen und ihren Erfahrungen im Feld schaf- ser benachteiligten Haus- halte wurden aufgefordert, im seco. Dank einem von der DEZA mitfinanzier- fen», wie Rémy Duiven ausführt, der für das Pro- über alle Aspekte ihres ten Überwachungsdispositiv kann die Umsetzung gramm in Tansania verantwortlich ist. Alltags zu sprechen: der PRSP verfolgt werden. Gleichzeitig führen Dieser Wille zeigt sich auch in der Lancierung ei- Ernährung, Ausbildung, Gebergemeinschaft und Regierung einen politi- nes neuen Projekts, das die Kapazitäten der ausge- Verkehr, Zugang zu den Märkten, zu den Gesund- schen Dialog. grenzten Gemeinschaften im Gesundheitswesen heitsdiensten, zu Wasser stärken soll. Die in diesem Rahmen erhaltenen und Abwasser, Familien- Den politischen Dialog anregen Daten regen den politischen Dialog mit dem bande usw. Die so gesam- «Ein Nullrisiko gibt es nicht. Am wichtigsten sind Gesundheitsministerium an. «Nur durch die Arbeit melten Informationen wur- den im Mai 2003 in einer jedoch der Reformwille der Partnerregierung und in den Dörfern können wir überprüfen, ob die Broschüre mit dem Titel die Qualität des politischen Dialogs, den wir mit ihr Reform des Gesundheitswesens auf die wirklichen Views of the Poor veröf- führen», fügt Rubiolo bei. Diesen Willen haben die Bedürfnisse der Bevölkerung eingeht», sagt Duiven. fentlicht. Sie galten als tansanischen Behörden klar gezeigt, als sie 1995 ei- «Gegebenenfalls intervenieren wir auf nationaler Grundlage für die Ausar- beitung des Programms nen wirtschaftlichen und strukturellen Reform- Ebene, um die Prioritäten zu korrigieren.» ■ 2004-2010 der Schweizer prozess einleiteten. Auch wenn die Massnahmen Zusammenarbeit in noch nicht zu einem wesentlichen Rückgang der (Aus dem Französischen) Tansania. Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 15
H O R I Z O N T E Lars Tunbjork / Agence Vu (2) Aufgerieben und Das Seilziehen zwischen dem König, den politischen Parteien und den Maoisten-Rebellen blockiert die Entwicklung des Himalaya-Staates Nepal seit geraumer Zeit fast vollständig. Um nur einigermassen zu überleben, verlassen viele nepalesi- sche Männer ihre Heimat Richtung Indien und unterhalten von dort aus ihre zurückgebliebenen Familienangehörigen. Von Deepak Thapa*. Von Nepal wird oft gesagt, dass es dem 20. Jahr- König schliesslich dazu, Parlamentswahlen durch- hundert erst nach der Halbzeit beigetreten sei. Bis zuführen, doch dauerte der Versuch mit der parla- 1951 regierten die autokratischen Rana-Minister- mentarischen Demokratie keine zwei Jahre, bis der präsidenten mit eiserner Faust und begrenzten je- König wieder die Kontrolle über den Staat über- den Kontakt mit der Aussenwelt. Wegen der nahm. Verarmung floh ein grosser Teil der Landbevölke- 30 Jahre lang war der König Alleinherrscher, rung und suchte in Britisch-Indien eine bessere bis erneute Unruhen durch politische Parteien, ein- Zukunft. Aus dieser nepalesischen Diaspora in schliesslich der Nepali Congress und einer Vereini- Indien kam die Opposition gegen die Ranas. gung kommunistischer Parteien, König Birendra Das Ende der 104jährigen Rana-Herrschaft 1951 1990 zu einer Einigung zwangen. Die Mehrpar- hätte auch eine partizipatorische Demokratie ein- teiendemokratie wurde wieder hergestellt, und der leiten sollen. Aber weil die Anti-Rana-Bewegung König erhielt nur noch konstitutionellen Status. die Monarchie wieder an die Macht brachte, konnte der König die ehrgeizigen und kurzsichti- Politisches Chaos gen Politiker manipulieren und die Bildung jegli- Seither ist die Politik in Nepal ein absolutes Chaos. cher repräsentativer Regierungen hinauszögern. Das Land hat seit 1990 15 Regierungen gesehen, Zwar brachten die politischen Parteien 1959 den Politik und Wirtschaft des Landes sind ein einziges 16 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
Nepal blockiert Durcheinander. Schuld sind zu einem grossen Teil Parteien und Maoisten zu einem Ende kommt. die politischen Führer. Zu sehr waren sie in klein- In Nepal leben rund 100 verschiedene soziale liche Politkämpfe und Korruption verwickelt, statt Gruppen – einige stammen aus dem mongoli- ein Land zu regieren, das nach der Wiederherstel- schen, andere aus dem indogermanischen Raum. lung der Demokratie grosse Hoffnungen auf sie Die kulturelle Mischung ging aus den engen setzte. Beziehungen hervor, welche die verschiedenen Die Krise war zum Teil auch Folge eines Aufstan- Bevölkerungsgruppen über die Jahrhunderte ent- des, den die Kommunistische Partei Nepals (Maois- wickelten, und führte zu einer einzigartigen nepa- ten) 1996 startete. Der Konflikt hat bis heute über lesischen Kultur. Darin gibt es vorab viele Ähn- 10 000 Todesopfer gefordert. Zunächst waren die lichkeiten mit indischen Bräuchen, doch auch mit Maoisten nur eine von vielen kleinen kommunisti- anderen kulturellen Traditionen. Das gilt auch für schen Gruppierungen, doch wegen der grossen die Religion eines grossen Teils der Bevölkerung, Armut und der Unfähigkeit der Regierung, für die einen hinduistischen, buddhistischen oder ani- einen Grossteil der Bevölkerung zu sorgen, konn- mistischen Glauben lebt. ten sie sich in vielen Landesteilen als glaubhafte Die Vielfalt der Bevölkerung Nepals spiegelt sich Drohung dem Staat gegenüber verankern. Die Re- auch in den verschiedensten Sprachen wieder. In gierung war nicht fähig zu antworten, ausser mit der Volkszählung von 2001 wurden insgesamt 106 bewaffneter Gewalt, was bisher zu nichts führte. unterschiedliche Sprachen gezählt, viele aus der ti- betisch-burmesischen und der indogermanischen 100 Ethnien, 106 Sprachen Familie. Aufgrund der geschichtlichen Entwick- Im Oktober 2002 nahm die Monarchie diese lung herrscht das Nepali vor, das heute offizielle politische Krise zum Anlass, erneut aktiv in der Landessprache ist. Es ist auch Muttersprache von Politik mitzumischen. Seither ist zwischen König fast der Hälfte der Bevölkerung und dient als Ver- Gyanendra und den politischen Parteien ein an- bindungssprache zwischen den verschiedenen nepa- und abschwellender Kampf um die politische lesischen Bevölkerungsgruppen. Macht im Gang. Im Hintergrund geht die maoisti- In jüngster Zeit steht das soziale Gefüge Nepals sche Rebellion weiter, und zur Zeit ist unklar, aber unter Druck. Einige Gruppen klagen, dass der wann das Gerangel zwischen König, politischen Staat seit Jahrhunderten Nepali, die Sprache der Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004 17
Lars Tunbjork / Agence Vu Hindus hoher Kasten, gefördert habe. Die Kritik den letzten fünf Jahren fast um das Dreifache an- kommt vor allem von den tibetisch-burmesisch gestiegen sind. Sprechenden und den «niederklassigen» Dalits, die Entgegen der Erwartungen ging das Land aber eine bessere Vertretung in der Regierung und nicht unter, wurde nicht zu einem «gescheiterten einen angemessenen Anteil an den Ressourcen ver- Staat». In städtischen Gebieten scheint die Wirt- Jörg Böthlinh / agenda langen. Die Forderungen nach Einbezug der aus- schaft so stark zu sein wie je. Die Bautätigkeit gegrenzten Gruppen sind ein Eckpfeiler der maoi- boomt. Zum Teil ist das darauf zurück zu führen, stischen Rebellion, und man ist sich heute weit- dass viele Menschen – durch die Kämpfe auf dem gehend darüber einig, dass die historischen Nach- Land – in die Städte geflüchtet sind. Doch verdankt Das Ding im Alltag teile überwunden werden müssen. Fortschritte in die Wirtschaft ihre Widerstandskraft auch den Der Dhaka topi dieser Richtung gehen allerdings nur sehr mühsam Überweisungen emigrierter Nepali aus der ganzen Etwas vom Speziellsten in Nepal ist sicher der Dhaka voran. Welt. topi, ein farbenfroher, von Nepali sind in unruhigen Zeiten immer ausgewan- Männern getragener Hut. Konflikt beeinträchtigt Wirtschaft dert – doch der maoistische Aufstand förderte diese Er stammt aus den zentral- Nepal zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Über Not noch. Im Inland gibt es nicht viele neue nepalesischen Hügeln und wird heute im ganzen Land die Hälfte der Bevölkerung lebt von der Landwirt- Stellen, ausserdem wurden auch Normalbürger zu getragen, wenn auch schaft, und diese hängt zu einem grossen Teil von Opfern der Kämpfe. Die meisten Nepali gehen weniger in den heissen den Jahreszeiten und vom Wetter ab. Die wenigen einfach über die offene Grenze nach Indien, um Ebenen von Nepal Tarai. Industrien im Land sind stark beeinträchtigt vom Arbeit zu finden. Doch wer sich eine Flugreise und Der Dhaka topi hat die Form eines Berges und ist maoistischen Konflikt, viele mussten gar deswegen die Agentenprovision leisten kann, wandert in den Teil der Landestracht für schliessen. Die Kämpfe haben den Tourismus, eine Golf oder nach Malaysia aus. Männer. Auf dem Land der Haupteinkommensquellen für Devisen, voll- Laut jüngsten Zahlen arbeiten über 300000 Nepali wischen sich die Männer ständig zum Erliegen gebracht, aber auch Export- im Ausland (die Hunderttausende in Indien nicht oft den Schweiss damit ab oder stülpen ihn um und sektoren wie Kleidungs- und Teppichindustrie lit- eingerechnet). Die Migrantinnen und Migranten füllen ihn mit geröstetem ten sehr darunter. dürften nahezu eine Milliarde US-Dollar pro Jahr Mais oder anderen Die stark von Gebern abhängige Regierung steht heimschicken – fast so viel wie das Jahresbudget Snacks. Vorab in den unter Druck, Strukturänderungen einzuführen, um (1,3 Milliarden Dollar) des Landes beträgt. ■ Städten tragen immer we- niger Leute den Hut täg- auf die maoistische Forderung nach Wandlung lich, doch spielt er immer zu reagieren. Die Geber-Länder sind nicht allzu (Aus dem Englischen) noch eine wichtige Rolle im glücklich darüber, dass ihre Arbeit fast in ganz Leben der Männer. Das Nepal vollständig zum Erliegen kam. Nur einige * Deepak Thapa ist Schriftsteller und Herausgeber bei Tragen eines Dhaka topi ist obligatorisch auf Fotos für Nichtregierungsorganisationen können ungehin- Himal Books, Kathmandu. Zu seinen Werken gehören offizielle Bürgerdokumente dert arbeiten. Zwar hat die Regierung Reform- ‘A Kingdom under Siege: Nepal’s Maoist Insurgency, und bei religiösen Zeremo- bemühungen unternommen, viel mehr Energie 1996-2003’ (mit Bandita Sijapati), ’Understanding nien wie Hochzeiten. und Geld wird aber in den Kampf gegen die the Maoist Movement of Nepal’ und ‘An Other Voice: Aufständischen gesteckt. English Literature from Nepal’ (bearbeitet mit Kesang Das Sozialwesen hat gewaltig gelitten, da viel Geld Tseten). in die Verteidigung geflossen ist, dessen Ausgaben in 18 Eine Welt Nr.4 / Dezember 2004
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