BEZAHLBARKEIT VON ENERGIE - ENERGIE - Verbraucherzentrale

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ENERGIE

BEZAHLBARKEIT
VON ENERGIE
Eine Studie des Marktwächters Energie zu angedrohten
beziehungsweise durchgeführten Stromsperren in Deutschland
VORWORT
Dieser Bericht wurde im Rahmen des Projekts Markt-
wächter Energie der Verbraucherzentralen und des
Verbraucherzentrale Bundesverbands e. V. verfasst,
dessen Mittelbewilligung durch das Bundesminis-
terium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV)
sich über den Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum
31. Dezember 2019 erstreckte.

Beteiligte Verbraucherzentralen:

•   Verbraucherzentrale Berlin
•   Verbraucherzentrale Hessen
•   Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz
Inhalt |   3

INHALT
VORWORT                                                                                2

ABBILDUNGSVERZEICHNIS		                                                                5

1. ZUSAMMENFASSUNG		                                                                   7

2. EINLEITUNG		                                                                        8

3. METHODISCHES VORGEHEN                                                               9
    3.1. Sektoranalyse                                                                 9
    3.2. Frühwarnnetzwerk                                                              9
    3.3. Vertiefende Erhebung in der Verbraucherberatung                              10
    3.4. Verbraucheraufruf                                                            10
    3.5. Unternehmensbefragung                                                        11
    3.6. Expertenbefragung                                                            12
    3.7. Qualitative Einzelinterviews                                                 12
    3.8. Datensätze und Untersuchungen der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz
   		    und der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen                              13
  		   3.8.1. Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz                                     13
  		   3.8.2. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen                                 14

4. DER SPERRPROZESS                                                                   15
   4.1. Höhe des Zahlungsrückstands                                                   15
   4.2. Informationspflichten der Energielieferanten                                  15
   4.3. Verhältnismäßigkeit der Unterbrechung					                                    17
   4.4. Wiederherstellung der Stromversorgung und Dauer der Unterbrechung             17
   4.5. Zwischenfazit                                                                 18

5. MÖGLICHE URSACHEN FÜR ZAHLUNGSRÜCKSTÄNDE                                           19
    5.1. Mangelnde finanzielle Ressourcen                                             20
    5.2. Abschlagszahlungen                                                           21
   		    5.2.1. Disput über Abschlagshöhe                                             21
  		   5.2.2. Vom Anbieter geschätzter Verbrauch                                      22
   5.3. Vom Kunden falsch eingeschätzter tatsächlicher Verbrauch                      22
  		    5.3.1. Mangelnde Kontrollmöglichkeiten des Stromzählers                       22
  		   5.3.2. Stromintensive Technik                                                  23
   5.4. Prozesse Sozialleistungsträger                                                24
   5.5. Unstimmigkeit Abrechnungsmodalitäten                                          25
   5.6. Persönliche Situation der Verbraucher                                         26
   5.7. Zusammenfassung                                                               27

6. EXKURS: KOSTENTREIBER NEBEN- UND FOLGEKOSTEN                                       29
4 | Inhalt

  7. TILGUNG DER ZAHLUNGSRÜCKSTÄNDE                                                    31
     7.1. Lösungsfindung mit Energielieferanten                                        31
     		      7.1.1. Kontakt mit Energielieferanten                                     31
     		      7.1.2. Individuelle Raten- und Ausgleichszahlungen                        32
      7.2. Hilfe durch Sozialbehörden                                                  33
      7.3. Hilfe durch Beratungsangebote                                               33

  8. UMGANG MIT DER STROMSPERRE                                                        35
     8.1. Wahrnehmung der Situation                                                    35
     8.2. Bewältigungsstrategien betroffener Verbraucher                               36
     8.3. Reaktion auf Stromsperre                                                     37

  9. HANDLUNGSOPTIONEN                                                                 40
     9.1. Anpassung (rechtlicher) Rahmenbedingungen                                    42
     		      9.1.1.   Prüfung der Verhältnismäßigkeit                                  42
     		      9.1.2.   Deckelung von Nebenkosten und Verlängerung von Zahlungsfristen   42
     		      9.1.3.   Schätzungen                                                      43
     		      9.1.4.   Abgestimmtes Verwaltungshandeln                                  43
     		      9.1.5.   Verweis auf bestehende Beratungsangebote                         43
     		      9.1.6.   Akteursübergreifende Austauschformate                            46
     		      9.1.7.   Energiepreise                                                    46
     		      9.1.8.   Staatliche Hilfen im Rahmen der Sicherungssysteme                47
     		      9.1.9.   Kündigung                                                        48
      9.2. Energielieferanten                                                          48
     		      9.2.1. Kundenkommunikation                                                48
     		      9.2.2. Anpassung der Zahlungsmodalitäten und -systeme                     49
     		      9.2.3. (Unterjährige) Abrechnungen und digitale Systeme                   50

  10. FAZIT                                                                            52

  11. LITERATURVERZEICHNIS                                                             53
Abbildungsverzeichnis |   5

ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1   Informationspflichten der Energielieferanten                                                16

2   Verständlichkeit Sperrandrohung                                                             16

3   Dauer Stromsperre                                                                           18

4   Gründe für die Ankündigung bzw. Durchführung einer Stromsperre (Unternehmensbefragung)      19

5   Gründe für die Ankündigung bzw. Durchführung einer Stromsperre (Verbraucherbefragung)       20

6   Maßnahmen zur Vermeidung von Stromsperren (Unternehmensbefragung)                           40

7   Maßnahmen zur Vermeidung von Stromsperren (Expertenbefragung)                               41
6|
Zusammenfassung |            7

1. ZUSAMMENFASSUNG
Im Jahr 2017 wurde in etwa 4,8 Millionen Haushalten       genzuwirken. Diese lassen sich jedoch nur im ressort-
in Deutschland eine Stromsperre angedroht. Davon          und fachübergreifenden Dialog finden, müssen doch
wurde rund 340.000 Haushalten der Strom gesperrt          technische, energie- und umwelt- als auch wohn- und
– eine in der Vergangenheit gleichbleibend hohe An-       sozialpolitische Belange sowie Vorgaben bei der Erar-
zahl. Der Marktwächter Energie der Verbraucherzent-       beitung von Lösungsvorschlägen berücksichtigt wer-
ralen und des Verbraucherzentrale Bundesverbands          den. Ein Zusammenwirken von Politik, kommunaler
e. V. geht mit der vorliegenden Untersuchung den Ur-      Verwaltung, Energiewirtschaft, Sozial- und Verbrau-
sachen des Zahlungsverzugs, den Herausforderungen         cherverbänden und weiteren Akteuren erscheint not-
bei der Lösungsfindung und den Folgen einer Sperr-        wendig, um nachhaltige Lösungsstrategien zu entwi-
androhung beziehungsweise Stromsperre in Deutsch-         ckeln und um die Bezahlbarkeit von Energie für alle zu
land aus Verbraucherperspektive auf den Grund.            gewährleisten.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Ursachen für die An-
drohung beziehungsweise Durchführung einer Strom-
sperre komplex und vielfältig sind. Viele Faktoren füh-
ren dazu, dass Verbraucher ihre Energie nicht mehr
bezahlen können. Steigende Energiepreise, gepaart
mit Faktoren wie geringem Einkommen, hohem Ener-
gieverbrauch durch unsanierte Gebäude oder ineffi-
zienten Geräten sowie zeitlich ungünstigen Abläufen
bei der Auszahlung von Sozialleistungen, können zu
Energieschulden führen. Fehlende Finanz- und Pla-
nungskompetenz, Unwissenheit über Zahlungs- und
Abrechnungsmodalitäten und kritische Lebensereig-
nisse wie eintretende Arbeitslosigkeit oder Krankheit
aufseiten der Verbraucher tragen ebenso dazu bei,
dass Energieschulden entstehen.

Ein starres und ausgeprägtes Forderungsmanagement
der Energielieferanten kann darüber hinaus die Lö-
sungsfindung erschweren. So bleiben mildere Mittel
wie Ratenzahlung mitunter ungeprüft. Erhöhen dazu
Nebenforderungen die ursprünglich ausstehenden
Positionen um ein Vielfaches, ist eine Regulierung der
Beträge für betroffene Verbraucher kaum möglich. In
diesem Zusammenhang zeigt sich, dass unabhängige
Beratungsangebote in der Praxis eine zentrale Rolle
bei der Abwendung beziehungsweise Aufhebung von
Stromsperren spielen. Als Vermittler zwischen Ver-
braucher, Energielieferant und gegebenenfalls Sozi-
albehörde finden sie zeitnahe Lösungen und tragen
langfristig zu einer verbesserten Zusammenarbeit zwi-
schen den einzelnen Akteuren bei.

Insgesamt ist ein Bündel an Maßnahmen erforderlich,
um Zahlungsrückständen und Stromsperren entge-
8 | Einleitung

  2. EINLEITUNG
  Im Jahr 2017 ging bei vielen Haushalten in Deutsch-
  land das Licht aus: Rund 340.000 privaten Haushalten
  und gewerblichen Stromkunden wurde in Deutschland
  der Strom gesperrt, nachdem circa 4,8 Millionen Kun-
  den eine Stromsperre angedroht wurde – eine in der
  Vergangenheit gleichbleibend hohe Anzahl.1 Ohne
  Strom ist ein normales Leben in Deutschland jedoch
  kaum möglich. Er wird zum Heizen, Kochen und Küh-
  len genauso gebraucht wie für die Nutzung von Wasch-
  maschine, Fernseher, Telefon und Computer. Unter an-
  derem deswegen wird die Versorgung mit Energie vom
  Bundesverfassungsgericht als Teil des „menschen-
  würdigen Existenzminimums“ angesehen.2

  Die Europäischen Staaten sind seit 2009 aufgefordert,
  „eine ausreichende Energieversorgung für schutzbe-
  dürftige Kunden [zu] gewährleisten“ (2009/72/EG,
  Nr. 53) und diese Zielgruppe zu definieren. Der Markt-
  wächter Energie der Verbraucherzentralen und des
  Verbraucherzentrale Bundesverbands e. V. (im Fol-
  genden Marktwächter Energie) betrachtet aus der Ver-
  braucherperspektive die Ursachen des Zahlungsver-
  zugs, die Herausforderungen bei der Lösungsfindung
  und die Folgen einer Sperrandrohung beziehungswei-
  se Stromsperre in Deutschland. Mit seinem mehrstu-
  figen Untersuchungsdesign und bundesweiten Daten
  von Betroffenen, Beratern und Energielieferanten
  trägt er mit der vorliegenden Untersuchung zur Prob-
  lem- und Begriffsklärung und damit zur Debatte rund
  um die Bezahlbarkeit von Energie in Deutschland bei.3

  1   Bei den von Stromsperren betroffenen Haushalten handelt es sich
      um private Haushalte und gewerbliche Stromkunden mit einem Jah-
      resverbrauch unter 10.000 kWh, denen vom Verteilernetzbetreiber im
      Auftrag des örtlichen Grundversorgers oder eines Sondervertragsliefe-
      ranten der Strom gesperrt wurde (BNetzA/BKartA 2018: S. 264, 266 f.).
  2   Urteile aus den Jahren 2010 und 2014 (1 BvL 1/09; 1 BvL 10/12).
  3   Die vorliegende Studie konzentriert sich im Folgenden allein auf die
      Untersuchung von Stromsperren und vernachlässigt die möglichen Ur-
      sachen und Folgen von Gassperren.
Methodisches Vorgehen |            9

3. METHODISCHES VORGEHEN
Sperrandrohungen und Stromsperren stellen betrof-                            sowie eine anschließende qualitative Analyse ermög-
fene Verbraucher4 vor große Herausforderungen. Um                            licht. Zudem werden die von Verbrauchern über das on-
die Situation, Ansichten und Motive der beteiligten                          line zugängliche Marktwächterformular (www.markt-
Akteure zu verstehen, wählte der Marktwächter Ener-                          waechter.de) eingegangenen Beschwerden gesichtet,
gie ein mehrstufiges Untersuchungsdesign. Zwischen                           wobei die relevanten Fälle mit in das Frühwarnnetz-
dem 11. März 2019 und dem 12. Juni 2019 wurden                               werk einfließen. Die Analyse des Frühwarnnetzwerks
neben einem Verbraucheraufruf und einer Erhebung                             hilft bei der Konkretisierung des Untersuchungsge-
in der Beratung der Verbraucherzentralen auch qua-                           genstands und generiert Fallbeispiele. Eine Quantifi-
litative Einzelinterviews mit Verbrauchern sowie eine                        zierung der Daten aus dem Frühwarnnetzwerk heraus
Experten- und eine Unternehmensbefragung durch-                              beziehungsweise ein Rückschluss auf die Häufigkeit
geführt. Darüber hinaus wertete der Marktwächter                             des Vorkommens in der Verbraucherberatung oder in
Energie vorliegende Beschwerden und Vertragsunter-                           der Gesamtbevölkerung ist aufgrund des qualitativen
lagen aus der Marktbeobachtung (Frühwarnnetzwerk,                            Charakters des Frühwarnnetzwerks nicht möglich.
siehe Kap. 3.2.) sowie von den Verbraucherzentralen
Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erstellte Da-
tensätze und Untersuchungen aus.                                                     METHODENSTECKBRIEF

           3.1. SEKTORANALYSE
                                                                               Untersuchungsmethode:
Im Vorfeld der Untersuchung führte der Marktwächter                            Auswertung des Frühwarnnetzwerks
Energie eine sogenannte Sektoranalyse durch, bei der
ausschließlich Informationen berücksichtigt wurden,                            Vorgehen:
die frei über das Internet zugänglich waren. Darunter                          Sichtung und inhaltliche Analyse sämtlicher Fall-
fallen auch Positionen und Maßnahmenvorschläge                                 beschreibungen, die im Erhebungszeitraum zum
der im Bundestag vertretenen Parteien. Alle auf die-                           Thema Bezahlbarkeit von Energie im Frühwarn-
sem Wege zusammengetragenen Informationen flos-                                netzwerk eingegangen sind
sen in die Formulierung der Fragen und in die Auswer-
tung mit ein.                                                                  Erhebungszeitraum:
                                                                               22.06.2017 bis 12.06.2019
           3.2. FRÜHWARNNETZWERK
                                                                               Grundgesamtheit:
Das Frühwarnnetzwerk ist ein Erfassungs- und Ana-                              Verbraucher, die in einer der bundesweit rund
lysesystem für auffällige5 Sachverhalte aus der Ver-                           200 Beratungsstellen der Verbraucherzentralen
braucherberatung. Grundlage stellt eine ausführliche                           die rechtliche Beratung in Anspruch nahmen
Sachverhaltsschilderung durch Beratungskräfte der                              oder die das Beschwerdeformular auf der Inter-
Verbraucherzentralen dar, die eine Kategorisierung                             netseite der Marktwächter nutzten

4   Die im weiteren Text gewählte männliche Form bezieht sich immer zu-        Betrachtete Fälle:
    gleich auf Personen aller Geschlechter. Wir bitten um Verständnis für
                                                                               33 auffällige Fallbeschreibungen aus 10 Bundes-
    den weitgehenden Verzicht auf Mehrfachbezeichnungen zugunsten
    einer besseren Lesbarkeit des Texts.                                       ländern, darunter 27 Schilderungen, die auf Be-
5   Wann ein Fall als auffällig gilt, richtet sich nach verschiedenen Kri-     ratungen der Verbraucherzentralen zurückgehen,
    terien: Neuigkeit (z. B. Anbieter, Maschen, Vertriebsmethoden),
    Rechtsrelevanz (z. B. ungeklärte Rechtslage), Häufigkeit (z. B. Prob-
                                                                               und 6 Hinweise, die über das Beschwerdeformu-
    lemhäufung bei einem Anbieter in einem kurzen Zeitraum), subjektive        lar auf www.marktwaechter.de eingingen
    Einschätzung (z. B. besonders „dreiste“ oder ungewöhnliche Fälle),
    „Dauerbrenner“ (z. B. typische Fälle), hohe Schadenssummen bzw.
    hohe Anzahl betroffener Verbraucher sowie Zielgruppenthemen (z. B.
    Betroffenheit, Ausschluss oder Ausnutzung bestimmter Zielgruppen).
10 | Methodisches Vorgehen

             3.3. VERTIEFENDE ERHEBUNG IN DER
             VERBRAUCHERBERATUNG                                                   METHODENSTECKBRIEF

   Der Marktwächter Energie ließ Gespräche mit Verbrau-
   chern, denen in den letzten drei Jahren eine Strom-                       Untersuchungsmethode:
   sperre angedroht und/oder bei denen eine Strom-                           Erhebung in der Verbraucherberatung (schriftli-
   sperre durchgeführt wurde, in den Beratungsstellen                        che beziehungsweise Onlinebefragung)
   der Verbraucherzentralen dokumentieren. Die Berater
   wurden gebeten, zum Abschluss der jeweiligen Bera-                        Vorgehen:
   tung mit Einwilligung der Verbraucher einen von den                       Strukturierte Leitfadeninterviews mit Verbrau-
   Mitarbeitern des Marktwächters Energie entwickelten                       chern durch die Beratungskräfte in den jeweili-
   Fragebogen entweder online oder als Printversion                          gen Verbraucherzentralen
   auszufüllen.
                                                                             Erhebungszeitraum:
   Im Zeitraum vom 21.03.2019 bis 17.05.2019 gingen aus                      21.03.2019 bis 17.05.2019
   5 von 16 Bundesländern insgesamt 73 komplett aus-
   gefüllte Fragebögen ein. In 28 von diesen 73 Fällen                       Grundgesamtheit:
   wurde Verbrauchern in den letzten drei Jahren schon                       Verbraucher, die in den letzten drei Jahren von
   einmal der Strom abgestellt, während es für 38 befrag-                    einer Stromsperre bedroht oder betroffen waren
   te Verbraucher bei einer Stromsperrandrohung blieb.6
   Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu berücksich-                  Nettostichprobe:
   tigen, dass diese weder für den gesamten Strommarkt                       73 Befragte, die in den letzten drei Jahren von
   in Deutschland noch für die bei den Beratungsstellen                      einer Stromsperre bedroht oder betroffen waren
   eingehenden Fälle repräsentativ sind. Da zudem die                        und die rechtliche Beratungen rund um das The-
   Anzahl der Fälle pro Bundesland nicht quotiert ist, kön-                  ma Bezahlbarkeit von Energie in einer der bun-
   nen regionale Effekte nicht ausgeschlossen werden.                        desweit rund 200 Beratungsstellen der Verbrau-
                                                                             cherzentralen genutzt haben

                                                                                   3.4. VERBRAUCHERAUFRUF

                                                                           Verbraucher erhielten über das Onlineportal des Markt-
                                                                           wächters Energie (www.marktwaechter.de/energie)
                                                                           oder vor Ort in den Verbraucherberatungsstellen die
                                                                           Möglichkeit, einen von den Mitarbeitern des Markt-
                                                                           wächters Energie entwickelten Fragebogen auszufül-
                                                                           len. Zielgruppe waren auch hier Stromkunden, denen
                                                                           in den letzten drei Jahren eine Stromsperre angedroht
                                                                           und/oder bei denen eine Stromsperrung durchgeführt
                                                                           wurde.

                                                                           Im Zeitraum vom 12.03.2019 bis 30.06.2019 nahmen
                                                                           141 Verbraucher an der Befragung teil. Von diesen
                                                                           gaben 95 in der Eingangsfrage an in den letzten drei
                                                                           Jahren von einer Stromsperre bedroht oder betroffen
   6   Sieben Befragte konnten oder wollten hierzu keine konkreten Anga-
                                                                           gewesen zu sein. Die Auswertung des Verbraucherauf-
       ben machen.                                                         rufs bezieht sich ausschließlich auf diese 95 Verbrau-
Methodisches Vorgehen |                       11

cher. Aufgrund des vorselektierten Personenkreises                3.5. UNTERNEHMENSBEFRAGUNG
und der daraus resultierenden geringen Fallzahlen
sind die Befragungsergebnisse im statistischen Sin-     Weitere Erkenntnisse wurden sowohl durch eine Un-
ne nicht repräsentativ für den gesamten Strommarkt      ternehmens- als auch durch eine Expertenbefragung
in Deutschland und die bei den Beratungsstellen der     gewonnen.
Verbraucherzentralen eingehenden Fälle.
                                                        Energielieferanten, die Haushaltskunden in Deutsch-
Aufgrund der unterschiedlichen Befragungsmodi und       land beliefern wollen, müssen dies bei der Bun-
der in Teilen verschiedenen Fragebögen werden die       desnetzagentur nach § 5 Energiewirtschaftsgesetz
Erhebung in der Beratung und der Verbraucheraufruf      (EnWG) anzeigen. Nach Prüfung der vollständigen
in diesem Bericht getrennt voneinander ausgewertet      Unterlagen werden Name und Adresse des Unterneh-
und die Ergebnisse – auch bei identischen Fragefor-     mens von der Bundesnetzagentur veröffentlicht.7 Auf
mulierungen – separat dargestellt. Wenn es sich an-     diesem Wege wurden 822 Energielieferanten ermit-
bietet, wird auf ähnliche Tendenzen bei den Ergebnis-   telt (Stand 1. April 2019), im Rahmen der Unterneh-
sen verwiesen.                                          mensbefragung postalisch angeschrieben und um
                                                        Teilnahme an der Umfrage gebeten. Insgesamt nah-
                                                        men 84 Energielieferanten postalisch oder online an
        METHODENSTECKBRIEF                              der Umfrage teil, was einer Rücklaufquote von 10,2
                                                        Prozent entspricht.

  Untersuchungsmethode:                                 Die 84 befragten Energielieferanten zeichnen sich
  Untersuchung von Rückläufern eines Verbrau-           hinsichtlich des Untersuchungsthemas durch folgen-
  cheraufrufs (schriftliche beziehungsweise On-         de Charakteristika aus: 42 Energielieferanten bieten
  linebefragung)                                        ausschließlich wettbewerbliche Energieversorgungs-
                                                        verträge (Sonderverträge) und 41 befragte Energielie-
  Vorgehen:                                             feranten sowohl Sonder- als auch Grundversorgungs-
  Befragung mithilfe eines standardisierten Frage-      verträge an. Lediglich ein Energielieferant offeriert
  bogens, der von den Verbrauchern auf der Inter-       ausschließlich Verträge in der Grundversorgung. 43
  netseite der Marktwächter oder vor Ort in den Be-     von 84 Energielieferanten geben an im Jahr 2018
  ratungsstellen der Verbraucherzentralen selbst        Stromsperren in Auftrag gegeben zu haben.
  ausgefüllt wurde
                                                        Darüber hinaus wurden 18 deutsche Wohnungsunter-
  Erhebungszeitraum:                                    nehmen und Verbände der Wohnungswirtschaft, die –
  12.03.2019 bis 30.06.2019                             laut einer eigenen Webrecherche8 fast die Hälfte aller
                                                        verfügbaren Mietwohnungen in Deutschland vertreten
  Grundgesamtheit:                                      oder besitzen – angeschrieben und um Teilnahme an
  Verbraucher, die in den letzten drei Jahren von       der Umfrage gebeten. Allerdings hat sich keines dieser
  einer Stromsperre bedroht oder betroffen waren        Unternehmen beziehungsweise Verbände an der Um-
                                                        frage beteiligt und zu den Fragen des Marktwächters
  Nettostichprobe:                                      Energie zur Bezahlbarkeit von Energie Stellung genom-
  95 Befragte, die in den letzten drei Jahren von       men oder Auskunft über vorhandene Heiz- und Warm-
  einer Stromsperre bedroht oder betroffen waren        wassersysteme erteilt.
  und die aufgrund des Verbraucheraufrufs an der
  Onlinebefragung auf der Internetseite der Markt-
  wächter oder vor Ort in den Beratungsstellen teil-
  genommen haben
                                                        7   Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und
                                                            Eisenbahnen (BNetzA) (2019).
                                                        8   Laut Auskünften auf den öffentlich zugänglichen Webpräsenzen der
                                                            angeschriebenen Unternehmen und Verbände.
12 | Methodisches Vorgehen

              METHODENSTECKBRIEF                                                        METHODENSTECKBRIEF

       Untersuchungsmethode:                                                     Untersuchungsmethode:
       Unternehmensbefragung                                                     Expertenbefragung

       Vorgehen:                                                                 Vorgehen:
       Postalische und Onlinebefragung mithilfe eines                            Onlinebefragung mithilfe eines standardisierten
       standardisierten Fragebogens                                              Fragebogens

       Erhebungszeitraum:                                                        Erhebungszeitraum:
       12.04.2019 bis 12.06.2019                                                 18.04.2019 bis 12.06.2019

       Grundgesamtheit:                                                          Grundgesamtheit:
       Energielieferanten aus Deutschland                                        Ausgewählte Experten aus Politik, Wirtschaft,
                                                                                 Wissenschaft
       Nettostichprobe:
       84 Energielieferanten (Rücklaufquote: 10,2 %)                             Nettostichprobe:
                                                                                 15 Experten (Rücklaufquote: 16 %)

              3.6. EXPERTENBEFRAGUNG
                                                                                       3.7. QUALITATIVE EINZELINTERVIEWS
   Im Zuge der Expertenbefragung wurden 94 Akteure
   aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die sich mit                      Im Auftrag des Marktwächters Energie führte die INFO
   energiepolitischen Themen beschäftigen, per E-Mail                          GmbH qualitative leitfadengestützte Einzelinterviews
   angeschrieben und um Teilnahme an der vom Markt-                            mit 31 Verbrauchern aus Deutschland durch, die in
   wächter Energie erstellten Umfrage gebeten. Insge-                          den letzten drei Jahren von einer Stromsperre betrof-
   samt nahmen 15 Experten daran teil und füllten den                          fen waren, aktuell davon betroffen sind oder die eine
   Fragebogen vollständig online aus. Dies entspricht                          drohende Stromsperre kurz vor der Durchführung ab-
   einer Rücklaufquote von 16 Prozent.                                         wenden konnten. Ziel war es, ein besseres Verständ-
                                                                               nis von der Situation dieser Menschen zu erhalten
   Für 10 der 15 Befragten ist das Thema ‚Bezahlbarkeit                        und die Hintergründe, die individuell zu dieser Lage
   von Energie‘ in ihrer täglichen Arbeit ein relevantes                       geführt haben, näher zu betrachten.
   Problem, während es für 3 Befragte keine Rolle spielt.
   2 Befragte machten dazu keine Angaben. In jeweils                           Die dreißigminütigen Interviews wurden per Telefon
   4 Fällen vertreten die Befragten Verbände oder po-                          oder – in zwei Fällen – persönlich im Studio durch-
   litische Parteien. Jeweils 3 Befragte repräsentieren                        geführt. Die Teilnehmer erhielten eine Aufwandsent-
   Nichtregierungsorganisationen oder Unternehmen. In                          schädigung. Um bei der der Rekrutierung der Befrag-
   einem Fall wurde keine Zugehörigkeit angegeben.9                            ten durch die INFO GmbH möglichst viele persönliche
                                                                               Facetten zu berücksichtigen, wurde eine Quotierung
                                                                               nach soziodemografischen Merkmalen angelegt:
                                                                               Insgesamt wurden 16 Frauen und 15 Männer befragt,
                                                                               der Altersdurchschnitt betrug circa 38 Jahre. Etwa die
   9   Mit den im Zuge der Untersuchung befragten Experten wurde verein-       Hälfte der interviewten Verbraucher verfügt über die
       bart, dass keine namentliche Nennung der Person oder der Institution
       erfolgt. Aus diesem Grund verzichtet der Marktwächter Energie im Fol-   mittlere Reife, die andere Hälfte verteilt sich auf hö-
       genden auf eine namentliche Nennung.                                    here und niedrigere Bildungsabschlüsse. 5 Proban-
Methodisches Vorgehen |     13

den gaben keine Auskunft über ihren Schulabschluss.                   3.8. DATENSÄTZE UND UNTERSU-
Etwa jeder zweite Proband war zum Zeitpunkt der Er-                   CHUNGEN
hebung berufstätig, die nächstgrößere Gruppe bilden
die Arbeitssuchenden. Zusätzlich wurden Personen           3.8.1. Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz
befragt, die sich in einer Ausbildung oder in Elternzeit
befinden beziehungsweise Rentner sind. Jeder zwei-         Die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz betreibt eine
te Befragte erhält Leistungen nach SGB I oder SGB II.      vom rheinland-pfälzischen Umweltministerium finan-
8 Interviews wurden mit Probanden aus Ostdeutsch-          zierte Energiekostenberatung für einkommensschwa-
land (inkl. Berlin) und 23 Interviews mit Probanden        che Haushalte. Im Rahmen dieser Beratung werden
aus Westdeutschland realisiert. Mehrheitlich wohnen        umfangreiche Daten der ratsuchenden Haushalte er­-
die Befragten in Großstädten mit 100.000 (oder mehr)       hoben, anonym ausgewertet und veröffentlicht.10
Einwohnern, 10 Befragte wohnen in kleineren Städten        Da sich der vorliegende Bericht allein auf Stromsper-
beziehungsweise Gemeinden mit weniger als 100.000          ren bezieht, führte der Marktwächter Energie eine
Einwohnern.                                                gesonderte Auswertung (Sekundäranalyse) der das
                                                           Untersuchungsthema betreffenden Fälle durch. Dafür
                                                           wurde aus dem 748 Fälle umfassenden Ursprungsda-
         METHODENSTECKBRIEF                                tensatz ein Sample von 663 Fällen extrahiert, das alle
                                                           Verbraucher mit angedrohter (259 Fälle, Anteil: 39 %)
                                                           oder (zum Zeitpunkt der Beratung) bereits umgesetzter
  Untersuchungsmethode:                                    Stromsperre (187 Fälle, Anteil: 28 %) sowie Verbrau-
  Qualitative leitfadengestützte Einzelinterviews          cher mit Energieschulden (217 Fälle, Anteil: 33 %) be-
                                                           inhaltet.
  Vorgehen:
  Rekrutierung von betroffenen Verbrauchern                Die Energiekostenberatung spricht speziell einkom-
  durch das Marktforschungsinstitut INFO GmbH              mensschwache Haushalte an. Aus diesem Grund be-
  anhand der Quotierung (Screening-Fragebogen)             findet sich die Mehrzahl der im Sekundärdatensatz
  auf verschiedenen Wegen, z. B. über Mithilfe von         abgebildeten Fälle im Leistungsbezug. Von den (ku-
  Schuldnerberatungen und Sozialberatungsein-              muliert) 446 Fällen mit angedrohter oder umgesetzter
  richtungen, per Anzeige auf eBay Kleinanzeigen           Stromsperre hat mehr als die Hälfte (55 %) im Rahmen
  und/oder über andere Teststudios                         der Energiekostenberatung angegeben, Leistungen
                                                           vom Jobcenter zu erhalten. Beinahe ein Viertel dieser
  Durchführung der Interviews anhand eines Leit-           im Datensatz abgebildeten Verbraucher bezieht Ein-
  fadens durch geschulte Interviewer der INFO              kommen entweder aus einem Angestelltenverhältnis
  GmbH auf telefonischem Wege (n=29) oder per-             (22 %) oder aus einer selbstständigen Tätigkeit (1 %).
  sönlich im Studio (n=2)                                  Etwa jeder zehnte der betrachteten Ratsuchenden
                                                           (11 %) erhält Rentenleistungen. Die restlichen Ver-
  Befragungszeitraum:                                      braucher erhalten u. a. Leistungen wie ALG I (3 %) oder
  12.06.2019 bis 12.07.2019                                Krankengeld (2 %).

  Zielgruppe:                                              Wo es sich thematisch anbietet, wird – neben der
  Verbraucher, die in den letzten drei Jahren von          Sekundäranalyse – im vorliegenden Bericht an ver-
  einer Stromsperre betroffen waren, aktuell da-           schiedenen Stellen auch auf die Gesamtauswertung
  von betroffen sind oder die eine drohende Strom­-        der Energiekostenberatung der Verbraucherzentrale
  sperre kurz vor der Durchführung abwenden                Rheinland-Pfalz verwiesen. Von den 748 Ratsuchen-
  konnten                                                  den leben 40 Prozent in einem Single-Haushalt.
                                                           47 Prozent aller Befragten haben eine Ausbildung
  Anzahl der durchgeführten Interviews:                    abgeschlossen, 33 Prozent sind ohne Ausbildung
  31
                                                           10   Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz (2019).
14 | Methodisches Vorgehen

   und 20 Prozent machten dazu keine Angaben.11
   Von den 748 Befragten beziehen 56 Prozent Leistun-
   gen nach SGB II oder SGB III, 19 Prozent sind nicht und
   23 Prozent sind erwerbstätig. 2 Prozent haben weder
   Einkommen noch beziehen sie Sozialleistungen.12

   3.8.2. Verbraucherzentrale Nordrhein-
   Westfalen

   Darüber hinaus bietet die Verbraucherzentrale Nord-
   rhein-Westfalen seit Oktober 2012 eine Beratung rund
   um den Themenkomplex Energieschulden und (dro-
   hende) Versorgungsunterbrechungen an. Das vom
   Verbraucherschutzministerium des Landes Nordrhein-
   Westfalen und 13 kooperierenden Grundversorgern
   finanzierte Landesprojekt „NRW bekämpft Energiear-
   mut“ ist eine Beratungs-, Informations- und Vernet-
   zungsoffensive für Verbraucher, die aufgrund hoher
   Energiekosten, geringer Einkommen und weiterer Fak-
   toren Schwierigkeiten haben, die verbrauchte Energie
   zu bezahlen.

   Im Zeitraum 01.10.2012 bis 30.06.2019 suchten rund
   6.700 Ratsuchende wegen Zahlungsproblemen rund
   um die Energierechnung die Budget- und Rechtsbe-
   ratung Energiearmut in den elf Projektstandorten
   auf. Zu Beratungsbeginn hatten 34 Prozent der Rat-
   suchenden13 bereits Sperrandrohung erhalten, bei
   weiteren 28 Prozent war eine Sperre bereits erfolgt.
   Überwiegend wurde das Beratungsangebot von Sozi-
   alleistungsbeziehern (55 %) in Anspruch genommen.
   Der vorliegende Bericht greift im Folgenden auf die
   Ergebnisse sowie weitere von der Verbraucherzent-
   rale Nordrhein-Westfalen durchgeführte Recherchen
   zurück.14

   11   Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz (2019): S. 4 f.
   12   Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz (2019): S. 6.
   13   Da die Anzahl der in dieser Untersuchung beratenen Haushalte mit
        der Anzahl der Ratsuchenden (ein Ratsuchender repräsentiert einen
        Haushalt) korrespondiert, werden die Begriffe „Haushalte“ und „Rat-
        suchende“ hier synonym verwendet.
   14   Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2019): S. 2–4.
Der Sperrprozess |   15

4. DER SPERRPROZESS
          4.1. HÖHE DES ZAHLUNGSRÜCKSTANDS                                einem Zahlungsrückstand von knapp über hundert
                                                                          Euro eine Sperre an. Wie die nachfolgenden Kapitel
Verbraucher können in Deutschland entweder einen                          zeigen, kann sich der Zahlungsrückstand für den Ver-
Sondervertrag mit einem Energielieferanten oder ei-                       braucher in einem relativen kurzen Zeitraum und auch
nen Energieversorgungsvertrag mit dem örtlichen                           unerwartet zu hohen Beträgen aufsummieren, wenn
Grundversorger abschließen. Geraten Stromkunden                           beispielsweise Abschläge jahrelang nur geschätzt
in einen Zahlungsrückstand von mehr als 100 Euro,                         wurden (siehe Kapitel 5.2.) oder die Energielieferan-
hat der Energielieferant beziehungsweise der Grund-                       ten hohe Nebenforderungen in Rechnung stellen (sie-
versorger nach § 19 Absatz 2 und 3 der Stromgrund-                        he Kapitel 5.5.).
versorgungsverordnung (StromGVV)15 das Recht, den
Strom unter bestimmten Voraussetzungen sperren zu                         In der Mehrheit der vom Marktwächter Energie un-
lassen.16                                                                 tersuchten Fälle scheinen die Sperrandrohungen der
                                                                          Energielieferanten gerechtfertigt zu sein. Die Ver-
In Deutschland drohten Energielieferanten im Jahr                         braucherzentrale Rheinland-Pfalz bat beispielsweise
2018 eine Stromsperre bei einem durchschnittlichen                        ihre Juristen die Rechtmäßigkeit der Forderungen der
Zahlungsrückstand von 117 Euro an.17 In den Sekun-                        Energielieferanten bei denjenigen Verbrauchern mit
därdaten der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz                          Strom-Zahlungsproblemen zu prüfen. Das Ergebnis:
teilt fast die Hälfte (47 %) der 446 Befragten mit ange-                  Der größte Anteil der Forderungen der Energieliefe-
drohter oder umgesetzter Stromsperre mit, dass ihnen                      ranten ist rechtmäßig (368 von 419). In 51 von 419
die Sperre (zuvor) bei Verbindlichkeiten in Höhe von                      geprüften Fällen wurden Fehler in der Rechnung oder
über 200 bis 1.000 Euro angedroht wurde. In 39 Pro-                       Rechnungsstellung gefunden, die zu einer Minderung
zent dieser Fälle lag die Höhe des geforderten Betrags                    der Forderungen führten.19
über 1.000 bis 5.000 Euro. Vier Prozent geben Beträge
über 5.000 Euro an. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt                                  4.2. INFORMATIONSPFLICHTEN DER
die Untersuchung der Verbraucherzentrale Nordrhein-                                   ENERGIELIEFERANTEN
Westfalen (n=6.315). Die offenen Forderungen lagen
dort in 36 Prozent der Fälle unterhalb von 500 Euro. In                   Eine Stromsperre muss vier Wochen im Voraus ange-
61 Prozent der Fälle lag die Forderung im Bereich von                     droht und drei Werktage vor Beginn der Unterbrechung
über 500 bis 5.000 Euro. Die Schwelle von 5.000 Euro                      angekündigt werden. Werden die offenen Forderun-
wurde lediglich bei 3 Prozent der Zahlungsrückstände                      gen nicht beglichen, beauftragt der Energielieferant
überschritten.18 Nicht zuletzt wurde im Rahmen der 31                     den zuständigen Netzbetreiber mit der Unterbrechung
qualitativen Interviews – zu gleichen Anteilen – von                      der Versorgung (§ 19 Absatz 2 StromGVV).
Beträgen zwischen 200 und 500 Euro, aber auch von
500 Euro und mehr berichtet.                                                   Abbildung 1 (nächste Seite)

Die unterschiedlichen Werte vermitteln einen Ein-                         Die Aussagen der Befragten bei den qualitativen In-
druck davon, wie verschieden die Energielieferanten                       terviews lassen darauf schließen, dass deren Ener-
in Deutschland mit dem Thema Zahlungsverzug umge-                         gielieferanten die bestehenden Informationspflich-
hen. Verschicken manche erst bei sehr hohen Beträ-                        ten einhalten: Alle 31 Interviewten erinnern sich an
gen Sperrandrohungen, kündigen andere bereits bei                         schriftliche Benachrichtigungen des Stromanbieters
                                                                          und sprechen von mehr als zwei Schreiben, die häufig
15   Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Grundversorgung
     von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung mit Elektrizität aus
                                                                          bereits mehrere Monate vor Durchführung der Strom-
     dem Niederspannungsnetz (Stromgrundversorgungsverordnung).           sperre versendet wurden. Nur eine Minderheit der
16   In § 19 GasGVV sind abweichende Voraussetzungen für eine Gassperre   Befragten wurde von der Stromsperre überrascht.
     geregelt.
17   BNetzA/BKartA (2018): S. 366.
18   Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2019).                      19   Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz (2019), S. 8.
16 | Der Sperrprozess

        1    INFORMATIONSPFLICHTEN DER ENERGIELIEFERANTEN

                     4 Wochen im Voraus:                           3 Tage im Voraus:                              Energielieferant
                     Sperrandrohung nach                           Sperrankündigung                               beauftragt Netzbetreiber
                     § 19 Abs. 2                                   nach § 19 Abs. 3                               mit Durchführung
                                                                                                                  der Stromsperre

    Darüber hinaus berichten die Interviewten nicht nur                             agieren relativ schnell auf diese. Nur wenige öffnen
    von Posteingängen vier bis sechs Wochen und wenige                              die Briefe nicht. Häufig sind dies von Krankheit Be-
    Tage vorher, sondern auch von Eingängen zwei Wo-                                troffene oder es handelt sich um stark verschuldete
    chen bis zehn Tage vor der Durchführung der Strom-                              Verbraucher (siehe auch Kapitel 5.6.).
    sperre. Scheinbar versenden ihre Energielieferanten
    zusätzlich ein weiteres Schreiben circa zwei Wochen                             Im Zuge des Verbraucheraufrufs und der Erhebung in
    vor der Durchführung der Stromsperre. In einigen Fäl-                           der Beratung wurden darüber hinaus von Stromsper-
    len scheinen die Energielieferanten auch mehrere Mo-                            ren betroffene oder bedrohte Verbraucher nach der
    nate mit der Umsetzung der Stromsperre zu warten.                               Verständlichkeit ihrer Sperrankündigungen befragt.
                                                                                    Beide Umfragen ergaben (Verbraucheraufruf: 36 von
    Darüber hinaus lesen die Befragten der qualitativen                             95 Fälle; Erhebung in der Beratung: 32 von 73 Fälle),
    Interviews in der Regel die Sperrandrohungen und re-                            dass die Sperrandrohung für Verbraucher teilweise

        2    DAS SCHREIBEN DES ENERGIEVERSORGERS, MIT DEM DIE STROMSPERRE ANGEDROHT
             WURDE, WAR IHRER MEINUNG NACH ...

                                                                    0                20              40                60                  80              100

                                  Verbraucheraufruf (n=95)                                49                                    36                5 5

                        Erhebung in der Beratung (n=73):                      28                          32             3      10
                            Auffassung des Verbrauchers

                        Erhebung in der Beratung (n=73):                            37                  15             18            3
                                  Auffassung der Berater

        sehr gut / eher gut zu verstehen   eher schlecht / gar nicht zu verstehen    schreiben nicht erhalten / lag nicht vor        weiß nicht / keine Angabe

      Basis: Dargestellt sind die Ergebnisse aus zwei Umfragen. Der obere Balken bezieht sich auf den Verbraucheraufruf (n=95). Bei der Erhebung
      in der Beratung (n=73; mittlerer und unterer Balken) wurde sowohl nach der Verbraucher- als auch der Beratersicht gefragt – beide sind hier
      abgebildet. Angaben in Absolutwerten
Der Sperrprozess |   17

nur schlecht oder gar nicht verständlich ist. Um ein     Bislang existieren keine einheitlich erfassten Daten
Gefühl für die Antworten der Befragten zu erhalten,      über die Dauer von Stromsperren. Die Ergebnisse
wurden im Rahmen der Erhebung in der Beratung            eines von im Auftrag des Bundesministeriums für
zudem die Berater gebeten, die vorliegende Sperr-        Wirtschaft und Energie erstellten Gutachtens zur Un-
ankündigung zu bewerten. Die Berater stuften diese       terbrechung der Stromversorgung nach § 19 Absatz 2
zwar grundsätzlich besser ein, fanden das Schreiben      StromGVV aus dem Jahr 201621 sowie des vom Bun-
aber in gut einem Fünftel (15 von 73) der Fälle eben-    deskartellamt und der Bundesnetzagentur erstellten
falls schwer verständlich.                               Monitoring-Berichts 201822 legen nahe, dass Strom-
                                                         sperren in vielen Fällen entweder durch kurzfristige
     Abbildung 2: Verständlichkeit Sperrandrohung        Zahlungen im Zuge der Sperrandrohung vermieden
                                                         oder kurz nach der Sperre wieder aufgehoben wer-
           4.3. VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER                 den. Hierbei handelt es sich jedoch um die Aussagen
           UNTERBRECHUNG                                 von Energielieferanten. Tatsächlich kann die Dauer
                                                         der Stromsperren stark variieren, wie die im Zuge der
Die Unterbrechung der Energieversorgung muss nach        Marktwächter Energie-Studie generierten Ergebnisse
§ 19 Absatz 2 StromGVV im Verhältnis zur Schwere         vermuten lassen.
der Zuwiderhandlung stehen. Damit sollen schutz-
bedürftige Personen vor unerträglicher Härte ge-         Laut Verbraucheraufruf musste etwa ein Drittel derje-
schützt werden. Wäre zum Beispiel die Gesundheit         nigen, denen in den letzten drei Jahren der Strom ab-
von Kranken oder Schwächeren wie kleinen Kindern         gestellt wurde, bis zu sechs Tage auf Strom verzichten
gefährdet, könnte die Versorgungsunterbrechung           (16 von 50). Ebenfalls gut ein Drittel (17 von 50) konnte
nach § 19 Absatz 2 StromGVV unverhältnismäßig            für ein bis vier Wochen und vier Befragte für fünf bis
hart sein (im Folgenden „Härtefall“ genannt). Die        acht Wochen nicht auf Strom zurückgreifen. Acht Be-
Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz stufte in ihrem      fragte hatten mehr als zwei Monate bis zu einem Jahr
Ergebnisbericht „Allein, überlastet, energiearm?“        und 5 Befragte länger als ein Jahr keinen Strom.
beispielsweise rund 30 Prozent der dort Ratsuchen-
den mit drohender oder vollzogener Versorgungsun-        Bei der Erhebung in der Beratung musste gut ein Fünf-
terbrechung beziehungsweise ohne Guthaben auf            tel (5 von 28) bis zu sechs Tage auf Strom verzichten,
dem Prepaidzähler als potenzielle Härtefälle ein.20      während ein Viertel (7 von 28) für ein bis vier Wochen
Bislang fehlt es jedoch an festen Kriterien, anhand      und drei Befragte für fünf bis acht Wochen ohne Strom
derer diese pauschal bestimmt werden können.             zurechtkommen mussten. Acht Befragte nannten Zeit-
                                                         räume von mehr als zwei Monaten bis zu einem Jahr
           4.4. WIEDERHERSTELLUNG DER                    und zwei Befragte länger als ein Jahr. Drei Befragte
           STROM­VERSORGUNG UND DAUER DER                konnten oder wollten hierzu keine Angabe machen.
           UNTERBRECHUNG

Der Grundversorger hat nach § 19 Absatz 4 StromGVV
die Grundversorgung unverzüglich wiederherstellen
zu lassen, sobald „die Gründe für ihre Unterbrechung
entfallen sind und der Kunde die Kosten der Unterbre-
chung und Wiederherstellung der Belieferung ersetzt
hat“. Die Aussagen der Befragten in den qualitativen
Interviews deuten allerdings darauf hin, dass zwischen
der Tilgung der Rückstände und der Entsperrung in der
Praxis mehrere Tage vergehen können. Nur vereinzelt
gaben die Befragten an, dass die Sperre binnen weni-
ger Stunden aufgehoben wurde.
                                                         21 Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz (2019): S. 10.
20 Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz (2019): S. 10.    22 Heindl/Löschel (2016): S. 18 f.
18 | Der Sperrprozess

        Abbildung 3: Dauer Stromsperre                               Informationspflichten nach, zeigt sich, dass die von
                                                                     ihnen verschickten Sperrandrohungen mitunter nur
    Jeweils jeder Dritte der Befragten der qualitativen In-          schlecht oder gar nicht verständlich sind. Auch re-
    terviews konnte darüber hinaus den eigenen Strom-                agieren Energielieferanten unterschiedlich auf den
    anschluss entweder einige Tage, ein bis vier Wochen              Zahlungsverzug des Kunden: Während manche erst
    oder ein bis zwei Monate nicht nutzen. Vier Betroffene           bei sehr hohen Beträgen Sperrandrohungen verschi-
    hatten sogar länger als zwei Monate keinen Strom.                cken, kündigen andere bereits bei einem Zahlungs-
    Von den Verbrauchern der Sekundärauswertung der                  rückstand von knapp über hundert Euro eine Sperre
    Daten der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, de-               an. Darüber hinaus scheint die Verhältnismäßigkeit
    nen der Strom gesperrt wurde (n=187), mussten 40                 der Stromsperre nicht immer im ausreichenden Maße
    Prozent bis zu vier Wochen und 22 Prozent ein bis                geprüft zu werden. Es fehlt an festen Kriterien, anhand
    zwei Monate auf Strom verzichten. Ein Viertel (25 %)             derer sogenannte Härtefälle festgemacht werden kön-
    erhielt länger als zwei Monate bis zu einem Jahr kei-            nen. Die Dauer der Stromsperren selbst variiert zwi-
    nen Strom, während etwa jeder Zehnte (12 %) sogar                schen wenigen Tagen und mehreren Monaten bezie-
    über ein Jahr ohne Strom auskommen musste.                       hungsweise über einem Jahr.

              4.5. ZWISCHENFAZIT

    Insgesamt scheinen die Sperrandrohungen der Ener-
    gielieferanten sowie die durchgeführten Stromsper-
    rungen in der Mehrheit der untersuchten Fälle recht-
    mäßig zu sein. Kommen die Energielieferanten ihren

         3    FÜR WIE LANGE WURDE DER STROM ABGESTELLT?
              Filter: Jeweils nur diejenigen, denen in den letzten drei Jahren schon einmal der Strom abgestellt wurde*

                              0                      10         20                              0                     10   20

                  1–6 Tage                                16                        1–6 Tage                  5

              1–4 Wochen                                   17                   1–4 Wochen                        7

              5–8 Wochen                 4                                      5–8 Wochen               3

       mehr als 2 Monate                         8                       mehr als 2 Monate                            8
                bis 1 Jahr                                                        bis 1 Jahr

          länger als 1 Jahr                  5                              länger als 1 Jahr       2

               weiß nicht/        0                                             weiß nicht/          3
             keine Angabe                                                     keine Angabe

       Basis: Verbraucheraufruf (n=50)                               Basis: Erhebung in der Beratung (n=28)
       Angaben in Absolutwerten
Mögliche Ursachen für Zahlungsrückstände |                      19

5. MÖGLICHE URSACHEN
FÜR ZAHLUNGSRÜCKSTÄNDE

     4    AUS WELCHEN GRÜNDEN KÜNDIGT IHR UNTERNEHMEN BEI HAUSHALTSKUNDEN
          STROMSPERREN AN BZW. FÜHRT DIESE DURCH?

                                                                    0    10        20        30   40   50    60            70

                      Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung                                                        62
                                   aus den fälligen Abschlägen

                  Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung aus                                                   58
            der Jahresabrechnung, da diese eine Nachzahlung
                   aufgrund nicht gezahlter Abschläge enthielt

     Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung aus der Jahres­-                                              54
     abrechnung, da diese eine Nachzahlung aufgrund eines
      höheren Verbrauchs als durch die Abschlagszahlungen
                                          abgedeckt enthielt

             Nichtleistung der geforderten Sicherheitsleistung                13

                                                      Sonstiges                         20

                               weiß nicht / k. A. / nicht bekannt             12

   Basis: Unternehmensbefragung (n=84)
   Angaben in Absolutwerten
   Mehrfachnennungen möglich

Zahlungsrückstände beim Energielieferanten kön-                     lieferanten geben eine Nichterfüllung der Zahlungs-
nen grundsätzlich entweder unterjährig (monatliche                  verpflichtung aus der Jahresabrechnung an, die eine
Abschläge können nicht beglichen werden) oder mit                   Nachzahlung aufgrund eines höheren Verbrauchs als
Erhalt der Jahresrechnung (Nachzahlungen können                     durch die Abschlagszahlungen abdeckte, enthält.
nicht beglichen werden) entstehen.
                                                                        Abbildung 4: Gründe für die Ankündigung bzw.
62 von 84 Energielieferanten (Mehrfachnennungen                     Durchführung einer Stromsperre (Unternehmensbe-
möglich) erklären beispielsweise, dass Stromsperren                 fragung)
aufgrund einer Nichterfüllung der Zahlungsverpflich-
tung aus den fälligen Abschlägen angekündigt bezie-                 Auch 49 von 95 Befragten des Verbraucheraufrufs und
hungsweise durchgeführt werden. 58 von 84 nennen                    39 von 73 Befragten der Erhebung in der Beratung ga-
die Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung aus der                ben an, die aus einer Jahresabrechnung resultierende
Jahresabrechnung, die eine Nachzahlung aufgrund                     Nachzahlung nicht oder nur unvollständig beglichen
nicht gezahlter Abschläge enthält, als Grund für den                zu haben. 54 von 95 Befragten des Verbraucherauf-
Versand einer Sperrandrohung. 54 von 84 Energie-                    rufs und 48 von 73 Befragten der Erhebung in der Be-
20 | Mögliche Ursachen für Zahlungsrückstände

          5    WARUM WURDE IHNEN / DEM VERBRAUCHER EINE STROMSPERRE ANGEDROHT
               BZW. DER STROM ABGESTELLT?

                                 0             20          40           60                             0            20   40        60

       Ich habe die monat-                                              54        Verbraucher hat                             48
          lichen Abschläge                                                        die mo­nat­lichen
        nicht oder unregel­-                                                      Abschläge nicht
             mäßig bezahlt.                                                          oder unregel­-
                                                                                   mäßig bezahlt.
         Ich konnte die Jah­­-                                     49
       resabrechnung nicht                                                            Verbraucher                        39
            pünktlich / voll-                                                   konnte die Jahres-
          ständig bezahlen.                                                      abrechnung nicht
                                                                                  pünktlich / voll-
                 Ich habe die        0                                          ständig bezahlen.
          ge­forderte Sicher-
                heitsleistung                                                     Verbraucher hat          1
               nicht bezahlt.                                                      die geforderte
                                                                                  Sicherheitsleis-
                   Sonstiges              13                                   tung nicht bezahlt.

           weiß nicht / k. A.        3                                                   Sonstiges             14

                                                                                 Verbraucher weiß          1
                                                                                    es nicht / k. A.

        Basis: Verbraucheraufruf (n=95)                                        Basis: Erhebung in der Beratung (n=73)
        Mehrfachnennungen möglich                                              Mehrfachnennungen möglich
        Angaben in Absolutwerten                                               Angaben in Absolutwerten

    ratung vermochten darüber hinaus ihre monatlichen                          dass Verbraucher ihre Stromrechnung oder Abschläge
    Abschläge nicht oder nur teilweise zu zahlen.23                            nicht (beziehungsweise nicht pünktlich) begleichen.

        Abbildung 5: Gründe für die Ankündigung bzw.                                     5.1. MANGELNDE FINANZIELLE
    Durchführung einer Stromsperre (Verbraucherbefra-                                    RESSOURCEN
    gung)
                                                                               Zu den Umständen, warum die Forderungen der Ener-
    Der Bericht geht im Folgenden der Frage genauer                            gielieferanten nicht oder nur teilweise beglichen
    nach, welche Faktoren potenziell dazu führen können,                       werden konnten, machen 28 Prozent (187 von 663
                                                                               Fällen) der von der Verbraucherzentrale Rheinland-
                                                                               Pfalz befragten Verbraucher konkrete Angaben. 27
    23 Diese Ergebnisse werden von der Auswertung der Sekundärdaten der
                                                                               Prozent dieser 187 Verbraucher geben an, den For-
       Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz gestützt. Dort werden von 61 Pro-
       zent der Verbraucher Nachzahlungen beziehungsweise nicht oder nur       derungen der Energielieferanten aufgrund gestiege-
       teilweise gezahlte Abschläge, im Zusammenhang mit dem Auftreten         ner Belastungen und möglicherweise weiterer Zah-
       von Energieschulden genannt. Zum Beispiel wurden Abschläge, die
       nicht oder nur teilweise bezahlt werden konnten, mit einem Anteil von
                                                                               lungsverpflichtungen nicht mehr nachgekommen zu
       jeweils 26 und 18 Prozent als Begründung genannt.                       sein. Ferner begründen 11 Prozent dieser Verbraucher
Mögliche Ursachen für Zahlungsrückstände |              21

entstandene Energieschulden mit einer gescheiter-                           Möglichkeit gewesen, diese Situation zu vermeiden.
ten Selbstständigkeit und weitere 7 Prozent mit Ein-                        Das ergaben die qualitativen Interviews.
kommenseinbußen aufgrund von Arbeitslosigkeit.24
                                                                                    5.2. ABSCHLAGSZAHLUNGEN
Die vorhandenen finanziellen Mittel der Verbraucher
scheinen die Aufwendungen für den von ihnen ver-                            Wie bereits erwähnt, versenden etwa zwei Drittel (54
brauchten Strom nicht abzudecken. Die Ergebnisse                            von 84) der befragten Energielieferanten Sperrandro-
der statistischen Erhebungen der von der Verbrau-                           hungen, weil die monatlichen Abschlagszahlungen
cherzentrale Nordrhein-Westfalen bereitgestellten                           nicht mit dem tatsächlichen Verbrauch der Kunden
Beratungsfälle offenbart beispielsweise, dass die                           übereinstimmen. Wird die in der Folge vom Energie-
Ratsuchenden häufig nur über ein geringes Einkom-                           lieferanten geforderte Begleichung des tatsächlichen
men verfügen. Des Weiteren waren die erhobenen                              Stromverbrauchs nicht geleistet und beträgt die Sum-
Einkommen in 85 Prozent der Fälle unpfändbar.25                             me im Strom-Bereich mehr als 100 Euro, kann der
                                                                            Energielieferant eine Sperrandrohung verschicken.
Die Bundesbank, die unter dem Titel „Private Haus-                          Gründe, warum Verbraucher den Forderungen bezüg-
halte und ihre Finanzen (PHF)“ Haushalte in Deutsch-                        lich der Nachzahlungen der Abschläge nicht nach-
land unter anderem zu ihren Schulden befragt, kam                           kommen, werden im Folgenden beleuchtet.
zu dem Schluss, dass rund ein Drittel der Haushalte
(32 %) mit einem jährlichen Nettoeinkommen unter                            5.2.1. Disput über Abschlagshöhe
13.200 Euro verschuldet sind.26 Ein ebenso hoher An-
teil der Haushalte (33 %) kann überraschend anfallen-                       Unstimmigkeiten über die angemessene Abschlags-
de Ausgaben von etwa 1.000 Euro nicht begleichen.27                         höhe können ein Grund dafür sein, dass Verbraucher
Aufgrund der nur begrenzt zur Verfügung stehenden                           den Zahlungsaufforderungen der Energielieferanten
finanziellen Mittel kann es dazu kommen, dass die                           zunächst nicht nachkommen, weswegen es zu Rück-
Forderungen der Energielieferanten nicht (pünktlich)                        ständen von über 100 Euro kommen kann.
bezahlt werden, sind sie doch finanziell kaum zu
stemmen.                                                                         FALLBEISPIEL FRÜHWARNNETZWERK:
                                                                                 Der monatliche Abschlagsbetrag wird durch den
Die Vermutung liegt nahe, dass sich von Strom­     -                             Anbieter auf 182 Euro festgesetzt und per Last-
sperren betroffene Haushalte durch ein geringes Ein-                             schrift eingezogen. Der Verbraucher legt Wider-
kommen auszeichnen.28 Das lassen auch die Ergeb-                                 spruch ein und verweist auf sein Guthaben aus
nisse der Experteninterviews erahnen. Unter anderem                              der letzten Jahresabrechnung mit bisheriger
danach gefragt, welche Aspekte sich ihrer Meinung                                Abschlagszahlung von 126 Euro. Der Anbieter
nach am stärksten auf die Bezahlbarkeit von Energie                              bezieht sich auf eine angeblich vom Netzbetrei-
auswirken, wählen diese das Einkommensniveau in                                  ber neu kalkulierte Jahresverbrauchs­prognose,
9 von 15 Fällen aus (Mehrfachnennungen möglich).                                 der wiederum gegenüber dem Verbraucher an-
Nicht zuletzt führen auch die 31 Befragten in den                                gibt, diese Kalkulation nicht vorgenommen zu
qualitativen Interviews ausstehende Zahlungen fast                               haben, weswegen der Verbraucher den Anbieter
immer auf ein (zu) geringes Einkommen und eine fi-                               auffordert, die monatliche Abschlagszahlung
nanziell schwierige Situation zurück. Die Halbierung                             auf 125 Euro zu korrigieren. Der Anbieter re-
der Stromkosten oder eine um 100 Euro größere Haus-                              agiert nicht. Der Verbraucher bucht die erhöh-
haltskasse wären dagegen für einige Betroffene eine                              ten Abschläge zurück und entzieht die Einzugs-
                                                                                 ermächtigung. In der Folge droht der Anbieter
24 Für mehr als ein Drittel der Verbraucher (36 %) waren die genauen Um-         mit Sperrung und bucht erneut vom Konto ab.
   stände unklar oder sie konnten hierzu keine eindeutig klare Antwort
   geben (7 %). Zusätzlich gaben 111 der 663 Verbraucher „sonstige Um-
   stände“ an, die jedoch nicht näher konkretisiert wurden.
25 Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (2019): S. 3f.
26 Vgl. Deutsche Bundesbank (2019): Monatsbericht.
27 Vgl. Heindl/Löschel (2016).
28 Vgl. Heindl/Löschel (2016).
22 | Mögliche Ursachen für Zahlungsrückstände

    5.2.2. Vom Anbieter geschätzter Verbrauch                         nungen jeweils aufgrund von Schätzungen er-
                                                                      stellt worden waren.
    Gemäß § 11 Absatz 3 StromGVV darf der Grundversor-
    ger, wenn er oder der Netzbetreiber das Grundstück                Fallbeispiel Frühwarnnetzwerk: Das Unterneh-
    oder die Räume des Kunden zum Zwecke der Ablesung                 men hat für den Zeitraum Oktober 2016 bis
    nicht betreten kann, den Verbrauch auf der Grundlage              Oktober 2018 den Verbrauch geschätzt und for-
    der letzten Ablesung unter angemessener Berücksich-               dert nun eine Nachzahlung in Höhe von 1.800
    tigung der tatsächlichen Verhältnisse schätzen. In der            Euro und einen Abschlag von 103 Euro. Es gibt
    Praxis treten aber auch Fallgestaltungen auf, bei de-             jedoch einen Zählerstand von Juni 2019, aus
    nen der Energielieferant den Verbrauch über mehre-                dem sich ein geringerer Verbrauch ergibt. Das
    re Jahre schätzt, ohne dass ein Ausnahmetatbestand                Unternehmen akzeptiert diesen aber nicht und
    vorliegt. Dies führt aber nicht dazu, dass der Energie-           bezieht sich weiter auf die geschätzten Zahlen.
    lieferant nicht mehr abrechnen kann. Vielmehr muss
    er lediglich den der Schlussrechnung zugrunde geleg-
    ten, bestritten Verbrauch nachweisen.                                5.3. VOM KUNDEN FALSCH EINGE-
                                                                         SCHÄTZTER TATSÄCHLICHER
    Der Energielieferant kann bei Schätzungen noch Jah-                  VERBRAUCH
    re später eine korrigierte Rechnung erstellen und die
    Kosten für den tatsächlichen Verbrauch nachfordern.       Die Mehrheit der vom Marktwächter Energie im Rah-
    Das heißt, dass Verbraucher die monatlichen Ab-           men des Verbraucheraufrufs befragten Verbraucher,
    schläge zwar pünktlich in der geforderten Höhe ge-        die ihre Jahresabrechnung nicht pünktlich oder nicht
    zahlt haben, die Abschläge aber nicht dem tatsäch-        vollständig bezahlen konnten (49 von 95 Befrag-
    lichen Verbrauch entsprachen. Dadurch kann sich auf       ten), gibt an von der Höhe des eigenen Verbrauchs
    Grundlage einer eventuell zu niedrig berechneten mo-      überrascht worden zu sein. Für 19 von 49 Befragten
    natlichen Abschlagshöhe ein (vergleichsweise hoher)       ist der Verbrauch in diesem Zusammenhang uner-
    Nachzahlungsbetrag ergeben, dessen Regulierung            klärlich hoch und für 12 von 49 Befragten höher als
    bisweilen nur schwer möglich ist. Dem Marktwächter        ursprünglich erwartet. In der Erhebung in der Be-
    Energie liegt ein Fall aus dem Frühwarnnetzwerk vor,      ratung geben 10 der 39 Verbraucher, die die Jahres-
    in dem der Energielieferant die Rechnungen für die        abrechnung nicht oder nicht vollständig bezahlen
    Jahre 2012 bis 2019 nachträglich korrigierte und der      konnten, an, dass ihr Verbrauch unerklärlich hoch
    Verbraucher knapp 7.760 Euro nachzahlen musste. In        beziehungsweise höher als ursprünglich erwartet ge-
    einem anderen Fall musste eine Verbraucherin sogar        wesen sei. Nicht zuletzt kommt die Verbraucherzent-
    über 13.370 Euro nachzahlen.                              rale Rheinland-Pfalz zu dem Ergebnis, dass 57 Prozent
                                                              aller Ratsuchenden ihren Stromverbrauch als mit-
          FALLBEISPIEL FRÜHWARNNETZWERK:                      tel und niedrig einschätzen, wobei der tatsächliche
          Der Verbrauch wurde in den Jahren 2013 bis          Stromverbrauch bei mehr als der Hälfte dieser Ratsu-
          2017 nur geschätzt, obwohl der Zähler außer-        chenden im erhöhten bis sehr hohen Bereich liegt.29
          halb des Wohnhauses steht und der Messstel-
          lenbetreiber ausdrücklich für die Ablesung zu-      5.3.1. Mangelnde Kontrollmöglichkeiten
          ständig ist. Anfang 2019 erhält der Verbraucher     des Stromzählers
          eine korrigierte, rückwirkende Rechnung für
          die Jahre 2014 bis 2017 mit einer Nachzahlung       Die Fehleinschätzungen des eigenen Verbrauchs
          in Höhe von rund 6.000 Euro.                        könnten auf mangelnde Kontrollmöglichkeit durch den
                                                              Verbraucher selbst zurückzuführen sein. In der Allge-
          Fallbeispiel Frühwarnnetzwerk: Der Anbieter         meinbevölkerung haben beispielsweise zwei Prozent
          fordert in der Schlussrechnung eine Nachzah-        der Verbraucher keinen und weitere sechs Prozent
          lung in Höhe von rund 1.000 Euro für rückstän-
          dige Beträge der letzten 10 Jahre. Begründet
          wird die Nachforderung damit, dass die Abrech-      29 Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz (2019): S. 9.
Mögliche Ursachen für Zahlungsrückstände |                                   23

nur eingeschränkten Zugang zum eigenen Zähler.30                  INTERVIEW 25:
Auch 14 von 95 Befragten des Verbraucheraufrufs                   „Als der Strom gesperrt wurde, kam eine im-
geben an, keinen beziehungsweise – bei 5 von 95                   mens hohe Nachzahlung. Ich wusste auch
Befragten – nur einen eingeschränkten Zugang zum                  nicht, woher die kam. Es hat sich dann schluss-
eigenen Zähler zu besitzen. In der Erhebung in der Be-            endlich herausgestellt, dass wir einfach ex­
ratung können 5 von 73 den eigenen Stromzähler nur                treme Stromfresser in der Wohnung hatten. Es
mithilfe der Hausverwaltung oder des Eigentümers                  gab eine, wie nennt man das, wenn das Wasser
ablesen, während 11 von 73 überhaupt keinen Zugang                nachts aufgeheizt wird? Diese, was quasi über
zum eigenen Stromzähler haben.31                                  den Strom rennt, völlig bescheuert.“

5.3.2. Stromintensive Technik                                     INTERVIEW 11:
                                                                  „Wenn ich wüsste, wo der Strom hinfließt, wa-
Stromintensive Technik wie elektrische Warmwasser-                rum es angeblich so viel verbraucht (…). Wir
aufbereitungsanlagen, elektrisch betriebene Heizun-               haben überall LED-Lampen drinnen mit vier
gen oder alte Kühlschränke kann den Stromverbrauch                Watt, die relativ starken haben sieben Watt.
(unbemerkt) in die Höhe treiben. Wurden die gezahl-               Wir haben drei PCs und einen Fernseher und
ten Abschläge nicht an den tatsächlichen Stromver-                Kühlschrank und ein Eisfach. Ansonsten läuft
brauch angepasst, kann es zu Nachzahlungen in der                 eigentlich nichts. Kann eigentlich nur der Boi-
Jahresabrechnung kommen.32                                        ler sein, der wahnsinnig viel frisst.“

Mehr als die Hälfte (50 von 95) der von Stromsperren      Auch 8 von 15 Experten sehen stromintensive Technik
bedrohten oder betroffenen Verbraucher des Verbrau-       wie elektrische Warmwasseraufbereitungsanlagen
cheraufrufs geben in diesem Zusammenhang an, ihr          und 6 von 15 Experten die Art des Heizsystems (zum
Wasser elektrisch mithilfe eines Durchlauferhitzers       Beispiel elektrische Heizungen) als Faktor an, der sich
oder Boilers zu erhitzen. Bei der Erhebung in der         auf die Bezahlbarkeit von Energie auswirkt.35 6 von 15
Beratung sind es etwas mehr als ein Drittel (29 von       Experten erachten zudem die Energieeffizienz vorhan-
73). Auch in der Auswertung der Sekundärdaten der         dener Haushaltsgeräte als einen weiteren Faktor, der
Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz zeigt sich, dass      den Stromverbrauch und damit die Kosten in die Höhe
über die Hälfte (54 %) der 663 befragten Verbraucher      treiben kann. Eine Vermutung, die die Auswertung
ihr Warmwasser ganz oder teilweise über Haushalts-        der Sekundärdaten der Verbraucherzentrale Rhein-
strom zubereitet. In der Gesamtbevölkerung erhitzen       land-Pfalz zu stützen scheint. Etwa ein Drittel (230
24 Prozent ihr Warmwasser ganz und 6 Prozent teil-        von 663 Fällen) der Berater der Verbraucherzentrale
weise über Haushaltsstrom.33                              Rheinland-Pfalz machte Angaben über die möglichen
                                                          Strom-Schwachstellen im Haushalt der von Strom-
Darüber hinaus geben 11 von 95 Befragten des Ver-         sperren bedrohten beziehungsweise betroffenen Ver-
braucheraufrufs und 13 von 73 Befragten der Erhebung      braucher. Mehr als jeder Zehnte (11 %) davon verweist
in der Beratung, die eine Sperrandrohung erhalten         in diesem Zusammenhang auf ineffiziente Kühl- und
beziehungsweise von einer Stromsperre betroffen wa-       Gefriergeräte und 7 Prozent auf ineffiziente Trockner.
ren, an mit Radiatoren, Nachtspeicher- oder Infrarot­
heizungen oder Heizlüftern zu heizen. In der Gesamt-      Drei von zehn der von der Verbraucherzentrale Rhein-
bevölkerung liegt dieser Anteil bei sechs Prozent.34      land-Pfalz befragten Verbraucher geben jedoch auch
                                                          an, die genauen Schwachstellen bezüglich des hohen
                                                          Stromverbrauchs nicht gesucht zu haben (12 %) oder
                                                          dass diese unklar seien (17 %). Auch 11 von 95 Befrag-
                                                          ten beim Verbraucheraufruf und 9 von 73 Befragten
30   Dünnhoff/Palm (2016): S. 11, 21.                     der Erhebung in der Beratung wollen oder können kei-
31   Weitere Ausführungen dazu siehe Kapitel 9.4.2.3.
32   Siehe auch Kahlheber (2016).
33   Dünnhoff/Palm (2016): S. 11, 21.                     35 Siehe auch Steuwer et al. (2018): S. 14 und Verbraucherzentrale Rhein-
34   Dünnhoff/Palm (2016): S. 11.                            land-Pfalz (2019): S. 19.
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