Der Bote - Historischer Verein Herne / Wanne-Eickel
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:: Zeitschrift des Historischen Vereins Herne / Wanne-Eickel e. V. :: Der Bote Februar 2023 Schutzgebühr: 4,50 € 6. Jahrgang - Nummer 21 Februar 2023 Auch Kohlenhalde diente schon mal als Übungshang Französische Ruhrbesetzung begann 1923 am Kanal Erinnerungen an Gerd E. Schug
Die 21. Ausgabe Editorial Liebe LeserInnen, eigentlich sollte die 21. Ausgabe unseres »Boten« ja erst im März erscheinen, aber durch den plötzlichen Tod unseres sehr geschätzten Heimatfreundes und stellvertretenden Vorsitzenden Gerd E. Schug, hat sich der Vorstand dazu ent- schlossen, diese Ausgabe mit einer umfangreichen Würdigung unseres »Schweigers« um einige Wochen vorzuziehen. Dem Redaktionsteam ist es auch diesmal wieder gelungen, einen sehr informa- tiven und umfangreichen Boten, mit vielen Geschichten und Erinnerungen, herauszugeben. So stellen wir den Skiclub Herne und den ehemaligen Kinder- hort Ursula - einst eine vorbildliche Einrichtung der Zeche Friedrich der Große - vor. Wir erinnern aber auch an die Besetzung Hernes, durch die Franzosen 1923 und werfen einen Blick auf das Inflationsgeld jener Tage. Ein Sodinger, der längst in Hamburg lebt, erzählt von seiner Arbeit in Deutschlands wohl be- kanntestem Zuchthaus - dem Santa Fu. Etwas entspannter geht es dann mit den Berkeler Geschichten und einer stimmungsvollen Erinnerung an die Tanz- schule Schmidt-Hutten weiter. 36 Seiten Spannendes, Informatives und Wis- senswertes, aus dem Großraum Herne, liegen also vor euch. Am nächsten Bo- ten wird schon gearbeitet - versprochen. Mit einem herzlichen Glückauf, Friedhelm Wessel Hier können Sie unsere Arbeit unterstützen: betterplace.org/p111775 Sie können Ihre Spende von der Steuer absetzen. Ein Service von Mathias Andreas Gerdi Wolfram Dr.Peter Grunert Janik Kernbach- Ninka Piasecki Tinnemann Anna-Maria Klaus Thorsten Friedhelm Rawe Schelske Schmidt Wessel 2 Der Bote im Februar 2023
Inhalt Auch Kohlenhalde diente schon mal als Übungshang 4 1923: Inflationsgeld der »Vereinigten Herner Kaufmannschaft« 6 Französische Ruhrbesetzung begann 1923 am Kanal 8 Herner Schwergewicht Duscha gehörte einst zur Box-Elite 10 Wir treffen uns bei Tanzschule Schmidt-Hutten! 11 31 Jahre lang im berüchtigten Santa Fu 14 Forum 7- Mitbegründer Alf Rolla gestorben 15 »Gott bewahre dieses Haus...!« 16 Das Kinder-Erholungsheim der Stadt Herne, in Stapelage 18 Bomben-Jupp hinterm Tresen 20 Uwe Klein sammelt »Herner Ansichten« 20 Berkeler Geschichten 23 Kinderhort Ursula, des Steinkohlenbergwerks »Friedrich der Große« AG 24 Historischer Verein feiert im City Center 27 Corona - Gedenk - Ort 29 Nachruf für Gerd E. Schug 30 Von Freunden, Engeln, Rittern und Kammerdienern... 33 Neues vom Corona-Gedenkort 34 Erinnerungen 36 Redaktion: Mathias Grunert, Andreas Janik, Gerdi Kern- (Etliche Fotos sind oftmals nicht mit dem Namen des Foto- bach-Tinnemann, Wolfram Ninka, Dr. Peter Piasecki, Anna- grafen gekennzeichnet, sodass eine Recherche der Bildrechte Maria Rawe, Thorsten Schmidt, Marcus Schubert, Friedhelm in vielen Fällen nicht möglich war. Grundsätzlich haben wir Wessel. uns darum bemüht, alle Urheberrechte an den veröffentlich- ten Fotos und Dokumenten zu klären. Sollte dies in Einzel- Lektorat: Anna-Maria Rawe, Patricia Schubert fällen nicht gelungen sein, bitten wir, sich mit uns in Verbin- Verantwortlich für den Inhalt: Thorsten Schmidt dung zu setzen.) Titelbild: Friedhelm Wessel Wir weisen darauf hin, dass das Urheberrecht an den Arti- keln bei den jeweiligen AutorInnen liegt. Verwendung und Fotos: Seite 4 - 5: Sammlung Friedhelm Wessel - Seite 6 - 7: Abdruck in anderen Medien, auch auszugsweise, ist nur mit Sammlung Dr. Peter Piasecki - Seite 8 - 9: Sammlung Fried- deren ausdrücklicher Zustimmung gestattet. Bei Fragen helm Wessel - Seite 10: Friedhelm Wessel - Seite 11 - 13: wenden Sie sich bitte an die Redaktion. Sammlung Andreas Janik - Seite 14 - 15: Sammlung Fried- helm Wessel - Seite 16 - 17: Thorsten Schmidt, Friedhelm Wessel - Seite 18 - 19: Sammlung Wolfram Ninka - Seite 23: Druck: Archiv HVH - Seite 24 - 26: Deutsche Linoleum-Werke A.-G - Seite 27: Stadtarchiv - Seite 28: Marcus Schubert - Seite 29: Industriehstraße 17, 44628 Herne Klaus Schelske - Seite 30 - 31: Thorsten Schmidt - Seite 33: Friedhelm Wessel - Seite 34 - 35: Mathias Grunert, Anna- Kontakt: Maria Rawe - Seite 36: Thorsten Schmidt, Friedhelm Wessel Historischer Verein Herne/Wanne-Eickel e. V. Schillerstraße 18 44623 Herne E-Mail: redaktion@hv-her-wan.de Fon: (0 23 23) 1 89 81 87 Fax: (0 23 23) 1 89 31 45 Der Bote im Februar 2023 3
Auch Kohlenhalde diente schon mal als Übungshang 18 Herner gründeten 1929 den KSC Herne – umsschriften von 1975 und 2000 hervor, ließen den Kanu- und Ski-Club, der am neuen Rhein- sich einige Herner vom einem Halterner Herne-Kanal ein Domizil fand. Doch 1950 Schreiner anfertigen. Erst später konnte man trennten sich die Wege der Wassersportler und Skier auch in heimischen Sportgeschäften er- der »Brettelfans«. Es waren wiederum 18 Her- werben. ner, die am 19. Oktober den Herner Skiclub gründeten, der wie der KSC, auch heute noch Zunächst lagen die Wettkampf- und besteht. Übungsstätten des Herner Skiclubs noch im Land der 1000 Berge- im Sauerland. Hier fan- Unter den 18 Herner Skifans, die vor 73 Jah- den auch die ersten Stadtmeisterschaften statt. ren den Verein ein Gesicht gaben, gehörten die Später entdeckte Clubmitglieder auch Pisten »Vereinsikonen« Fritz Anft, Günter Schlaak, und Loipen im Ausland. So beteiligte sich Club- Paul Gerhard Vahrson und Werner Weidmann. »Damals hatte mal wohl andere Sorgen, denn Skifahrer gehörten in unserer Region wohl zu den Exoten«, erklärte der derzeitige Winter- sportwart Winfried Plaga. Zum ersten Vorsitzenden wählten die Mit- glieder 1950 Willy Breitkreuz. Es folgten unter anderem: Walter Poshöfer, Werner Tewes, Horst Schröder, Fritz Karla, Peter Mazny, Hans Maschewski, Bernd Nordemann und Gerd Schrick, der dieses Amt inzwischen seit 1997 umsichtig ausübt. Mit Gründung des Skiclubs ging es mit dem weißen Sport in Herne langsam »bergauf«. So diente sogar einst eine Kohlenhalde der ehema- ligen Zeche Shamrock einem Herner Brettelfan als Übungshang, was einer Herner Zeitung in jenen Tagen sogar eine Meldung wert war. Die ersten Skier, so geht aus dem beiden Jubilä- 4
legende Peter Mazny (1938 bis 2011), 1974 ver- wohl nach Dortmund, wo man in der Westfa- mutlich als erster Herner, am berühmten Vasa- lenhalle ein Sechs-Tage-Rennen besuchte. Die lauf in Schweden. Dieser historische Langlauf Skifreunde ließen sich nicht lumpen und stifte- durch das malerische Dalarna, führt über eine ten sogar einen Preis: Eine Staude Bananen. Strecke von 85,5 Kilometer. Er startet alljähr- Die gewann der damals sehr bekannte Rad- lich in Mora am schönen Siljansee und endet rennfahrer Rudi Altig. Diese und weitere heite- im einsamen Fjällgebiet von Sälen. re sowie nachdenkliche Episoden, machen auch heute noch die Runde, wenn sich die Skiclub- Das Vereinsleben der Herner Skifahrer wur- mitglieder treffen. de jahrzehntelang von außergewöhnlichem sportlichen und gesellschaftlichen Ereignissen Peter Mazny, »Mister 10.000 Volt« - auch geprägt. Neben den Meisterschaften auf den »Gotthilf Fischer des Skiclubs« genannt, führte Brettern, die im Hochsauerland statt fanden, im Herbst 2000 durch das Jubiläumspro- während man zum »25.Jährigen« in die Aula gramm. Der Herner Verein feierte diesmal im der Realschule an der Bismarckstraße, einlud. Kulturzentrum das »50.« mit einem zufünfti- Hier führte 1975 Al- gen Hüttenfest. Mazny, war an diesem Tag fred Zauskewitz nicht nur Regisseur und Moderator, er trat durch das Pro- auch als Chorleiter in Erscheinung. gramm. Der be- kannte Herner Be- Inzwischen ist es bei dem 1950 gegründeten rufsschullehrer bril- Verein etwas »ruhiger« geworden. Der Schnee- lierte aber auch fall auf den Hausbergen im Sauerland, wird von während des Pro- Jahr zu Jahr – bedingt durch den Klimawandel gramm mit seiner – weniger. Der Spaß an Sport und Geselligkeit magischen Show. hat aber nie nachgelassen. So gibt es weiterhin Museumsbesuche, Kegelabende, Fahrradtou- Im damaligen ren und Wanderungen. Die Treffen des Ver- Vereinsprogramm: eins, der einst durch »rauschende weiße Feste« Kaminabende, Kar- in Herne für Schlagzeilen sorgte, finden weiter- toffelbratfeste, Au- hin im Urbanushaus, an der Widumerstraße togeschicklichkeits- statt. Hier erinnert sich die Skifamilie gerne an turniere, Wande- Ausflüge, Meisterschaften und Touren, die bis rungen und Ausflü- nach Winterberg oder Wolkenstein führten. ge. Einer dieser Ausflüge führte Mit- Friedhelm Wessel te der 1960er-Jahre 5
1923: Inflationsgeld der »Vereinigten Herner Kaufmannschaft« M it Beginn des Ersten Weltkriegs Schub gegeben. Wurden im Februar noch wurde in der Stadt Herne sowie in Geldscheine mit den höchsten Nominalen den ehemaligen Ämtern Wanne, von 10.000 Mark verausgabt, so finden sich Eickel und Sodingen, Notgeld gedruckt und im Sommer in Herne bereits Geldscheine in Umlauf gebracht. Ebenso wie in vielen im Umlauf mit dem Aufdruck »500 Millio- Städten und Gemeinden im ganzen Land. nen Mark«, mit dem Ausgabedatum 1. Au- Darüber hinaus nahmen auch Unternehmen gust 1923 und der Unterschrift von Karl dieses Recht in Anspruch. Zu diesen Unter- Hölkeskamp, Beigeordneter der Stadt Her- nehmen gehörten, vor allem seit 1923 auf ne. dem Gebiet der heutigen Stadt Herne, die Bergwerksgesellschaft Hibernia, die Ma- Ein Anstoß für die Ausgabe von Notgeld schinenfabrik Baum, die Gewerkschaft des durch die Herner Kaufmannschaft erfolgte Steinkohlenbergwerks Friedrich der Große, über die Mitteilung der Reichsbank Herne die Gewerkschaft der Zeche Mont-Cenis und an die Herner Kaufmannschaft, die im Her- die Vereinigte Kaufmannschaft Herne. Wei- ner Anzeiger am 21. August 1923, unter der terhin finden sich in geringer Verausgabung Überschrift »Annahme sämtlichen Notgel- Notgeldscheine aus dem Jahre 1923, von der des«, veröffentlicht wurde. Dabei wurde Brückenbau A.G., der Zeche von der Heydt festgestellt: »Die Reichsbank Herne hat der sowie der Zeche Königsgrube (Magdeburger hiesigen Kaufmannschaft mitgeteilt, dass Bergwerks-Aktien-Gesellschaft). sie und auch das Postamt sämtliches rhei- nisch-westfälische Notgeld, also auch sol- In diesem Beitrag wird auf das am 1. Sep- ches von den auswärtigen Zechen und Wer- tember 1923 verausgabte Notgeld der Verei- ken annehmen. Diese Massnahme bedeutet nigten Kaufmannschaft Herne zurückge- eine sehr große Erleichterung im jetzigen blickt, weil diese Notgeldausgaben, im Ge- Zahlungsverkehr« (Stadtarchiv Herne, gensatz etwa zu den von der Stadt Herne Best. 306). verausgabten Geldscheinen, wenig bekannt sind. Die Herner Notgeldscheine etwa der Um die Dramatik für die Bevölkerung zu »Ritterleben-Serie«, sind heute noch weit erkennen, die mit der Hyperinflation des verbreitet und dürften sich in so manchem Jahres 1923 einherging, sollen einige Preise Herner Haushalt finden lassen. für Grundnahrungsmittel entsprechend der Festsetzung der »Richtpreiskommission« Notgeldausgaben sind Zahlungsmittel, von 20. August 1923 (Herner Anzeiger) ge- die in Krisenzeiten den Mangel an staatli- nannt werden: chem Geld ausgleichen und etwa von Kom- munen oder Firmen ausgegeben werden Schmalz 940.000 Mark pro Pfund durften. Die Notgeldausgabe seit Beginn des 1. Weltkriegs teilt die Bundesbank heute Speck 850.000 Mark pro Pfund nach Perioden ein. Die dritte Periode der Notgeldausgabe begann gegen Ende des Backöl 1.400.000 Mark pro Liter Krieges, als der Bedarf an Zahlungsmitteln sprunghaft angestiegen war. In dieser Phase Weizenmehl 200.000 Mark pro Pfund sah sich die damalige Reichsbank sogar ver- anlasst, die Städte ausdrücklich zur Ausgabe Seife 330.000 Mark für 200 Gramm von Notgeld anzuregen. Die Definition von Inflationsgeld betrifft schließlich die Veraus- In diesem Zeitraum hat der »Verein für gabungen von Geldscheinen und – in gerin- Handel und Gewerbe e. V.«, der in Herne gerem Umfang – Münzen, in Zeiten schnel- seinen Sitz in der Schulstraße 26 hatte, Not- ler und starker Geldentwertung (Mitte 1921 geld für 23 Milliarden Mark drucken lassen. – 1923), als Münzen oder Geldscheine mit Beflügelt durch die Aussage der Reichs- ungewöhnlich großer Wertangabe bis in den bank, sämtliches rheinisch-westfälische Billionenbereich in Umlauf kamen. Notgeld, auch von Zechen und Werken an- zunehmen, hat die Herner Kaufmannschaft 1923 hat die Inflation in Deutschland eine am 3. September einen Antrag zur Veraus- beispiellose Steigerung durchlaufen. Repa- gabung eigenen Notgeldes ‒ zur Verwen- rationslasten des Staates, als Folge des Ers- dung als Wechselgeld ‒ beim Reichsfinanz- ten Weltkrieges und die Ruhrbesetzung ha- ministerium gestellt. Als Begründung wird ben der Inflation bereits in der ersten Hälfte die Wechselgeldnot angeführt. Bereits An- des Jahres 1923 einen für die Volkswirt- fang September 1923 wurden die gedruck- schaft und für die Menschen dramatischen ten und mit dem Datum 1. September 1923 6 Der Bote im Februar 2023
versehenen Notgeld- bei die Textangaben einschließlich scheine verausgabt. der Wertangaben in schwarz darge- stellt sind. Partiell wurden die Wert- Am 12. September er- angaben in grün ergänzt. Alle Geld- hielt die Herner Kauf- scheine wurden im gleichen Größen- mannschaft dann einen format von etwa 10,3 x 8,3 cm er- ablehnenden Bescheid: stellt. Darüber hinaus erhielten die »Die Reichsbank hat mir einzelnen Geldscheine eingestem- zugesagt, Herne bei der pelte fortlaufende Nummerierungen nächsten Sendung mit und jeweils ein prägendes Gestal- Banknoten in kleinen tungselement. Abschnitten zu verse- hen. Ein Anlass zur Aus- Der Schein zu 20.000 Mark weist gabe Ihres Notgeldes Zahlenbänder mit der Wertangabe liegt daher nicht mehr 20.000, beziehungsweise 20.000 vor, und ich ersuche Sie, Mark auf. Bei dem Schein über mit der weiteren Ausga- 50.000 Mark wurde in den Eck- be aufzuhören und die punkten links oben und rechts unten ausgegebenen Stücke das Symbol »Schlegel und Eisen« unverzüglich wieder ein- aufgenommen. Die Ausgabe über zuziehen« (Stadtarchiv 100.000 Mark weist zentral in grü- Herne, Best. 306). Die- nem Druck das Wappen der Stadt ser Bitte entsprach die Herne auf, welches in der Zeitspan- Herner Kaufmanns- ne vom 30. Juli 1900 bis zum 30. chaft. Weitere Folgen im November 1937 offiziell Gültigkeit Zusammenhang mit der besaß. Interessant ist schließlich der Verausgabung der Not- 200.000-Mark-Notgeldschein, der geldscheine entstanden als zentrales Bildelement einen sog. für die Kaufleute offen- Herold- oder Merkurstab aufweist. bar nicht. Dabei bezieht sich der Name auf den römischen Gott Merkurius (Mer- Mit dem Datum »Her- kur), als Gott des Handels und des ne, den 1. September Gewerbes. Dieses Zeichen tragen als 1923«, wurden insge- Münzzeichen auch verschiedene Eu- samt vier verschiedene romünzen, wie etwa die Luxembur- Notgeldnominale in gischen Euromünzen, die zwischen Umlauf gebracht, die un- 2004 bis 2009 verausgabt wurden. ter dem Datum der Aus- gabe die Herausgeber Die Fiskalpolitik der Weimarer benennen: »Vereinigte Reichsregierung befand sich insbe- Kaufmannschaft Herne« sondere seit Anfang 1923 in einem und die Unterschriften Auflösungsprozess, der erst im No- von Albring und Ibing vember 1923 endete, als mit der tragen. Das Notgeld neuen Rentenmark die neue Wäh- wurde ‒ wie durchweg rung eingeführt wurde. Jetzt ent- alle Notgeldausgaben sprach eine Rentenmark einer Gold- von Zechen oder ande- mark und der Kurs der Goldmark ren Unternehmen ‒ mit war mit dem Dollar verknüpft: 4,20 »Gutschein« bezeichnet Goldmark entsprachen 1 Dollar. und es wurde mit den Nominalen 20.000, 50.000, 100.000 und 200.000 Mark einseitig bedruckt. Die Notgeldscheine der Herner Kaufmanns- chaft wurden auf creme- weißem Papier mit grü- nem Druck gefertigt, wo- Dr. Peter Piasecki Der Bote im Februar 2023 7
Französische Ruhrbesetzung begann 1923 am Kanal Französische Soldaten 1923 auf einem Herner Zechengelände M ein »Oppa« August war ein kluger Rhein-Herne-Kanal, sondern auch Bahnhöfe Mann. Er wurde am historischen 20. und Polizeistationen wurden von den franzö- April 1889, im saarländischen St. sisch/belgischen Truppe besetzt. Die Zivilbe- Ingbert geboren: Als Jugendlicher verließ er völkerung widersetzte sich, es kam zu Arbeits- seine Heimat und kam ins Revier. Er zog aber niederlegungen und Anschlägen. Ab dem 7. bald den grauen Rock des Kaisers an, kehrte April 1923 lag ein wichtiger westlicher Teilab- verwundet an die Ruhr zurück, sympathisierte schnitt des Rhein-Herne-Kanals, ab Henri- ‒ wie viele Kumpels um 1920 mit den Kommu- chenburg, plötzlich auf dem Trockenen. Wider- nisten, wechselte den Beruf, um der Verfolgung ständler hatten hier in einer Nacht- und Nebe- zu entkommen, um dann, als die Franzosen laktion einen Kanaldamm gesprengt. Die In- 1923 das Ruhrgebiet besetzten, die Heimkehr standsetzung der Abschnitts, mit dem Einlas- zu wagen. Er sagte mir mal: »Wenn du auf ei- sen des Wassers, zog sich über drei Monate hin, nem Trottoir mal ein Portemonnaie findest, weil Arbeitskräfte fehlten. Sie weigerten sich dann kaufe dir vom Inhalt eine Flasche Cha- für die Besatzer zu arbeiten. Die Besatzer ver- bau«. Damals, es sind Jahrzehnte her, verstand suchten mit einer gezielten Anwerbung, Ar- ich den (Un)Sinn dieses Satzes, mit vielen aus beitskräfte zu bekommen. Kräfte aus Polen, dem Französischen stammenden Worte, nicht. Tschechien, Böhmen und Österreich halfen so »Oppa« August, der bis ins hohe Rentenalter den Franzosen bei der Verladung von Kohle auffem Pütt malochte, wollte mir wohl damals und Koks im Land zwischen Ruhr und Em- klarmachen, dass Besatzer auch wesentlich un- scher. seren Wortschatz beeinflussten. Ende Mai 1923 spitzte sich die Lage in Herne Nach dem Endes des 1. Weltkrieges stellte zu. Vor allem auf den Schachtanlagen Sham- um 1922 die Reparationskommission fest: rock, von der Heydt, Friedrich der Große, »Dass Deutsche Reich hat die im Versailler- Mont-Cenis und Constantin, kam es immer Vertrag festgelegten festgeschriebenen Holz- wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Kohlelieferungen bisher nicht erfüllt.« Sozwischen Arbeitswilligen und radikalen Kom- besetzten am 11. Januar 1923 französische und munisten. Auf der Anlage von Shamrock 1/2 belgische Militäreinheiten das Revier. Vier starb an diesem denkwürdigen Wochenende Tage später erreichte eine Einheit die Schleuse der Markenkontrolleur Johannes Schmitz von 5 in Crange. Die zwei Offiziere und 52 Soldaten der Vinckestraße. Es waren auch Verletzte zu gehörten dem Regiment 147 an, das von Gene- beklagen. Weniger dramatisch verliefen an die- ral Degoutte befehligt wurde. Ihm unterstan- sem Maiwochende die Auseinandersetzungen den 50 Offiziere und 1.300 Soldaten. auf den Herner Bergwerken von der Heydt, Ju- lia, Constantin und Friedrich der Große. Auch Nicht nur wichtige strategische Punkte am hier wollten Radikale arbeitswillige Bergleute 8 Der Bote im Februar 2023
zur Niederlegung der Arbeit zwingen. Bergarbeiter und 8.000 Eisenbahner die Pro- bleme lösen. Gleichzeitig sorgten die Besatzer In Sodingen hatte man sich dagegen ent- für eine Ausweisung streikender Eisenbahner. schlossen, die Kumpels über eine geplante Ar- In Wanne-Eickel waren 217 Eisenbahner, zu beitsniederlegung abstimmen zu lassen. Doch denen 86 Familien gehörten, davon betroffen. das Ansinnen eskalierte, Steine wurde gewor- fen, Knüppel geschwungen, Schüsse fielen, Vor allem die polenstämmige Bevölkerung denn die anwesenden 12 Polizisten standen wurde nun mit großem Argwohn beäugt, weil plötzlich einer Übermacht von mehreren Tau- Polen im 1. Weltkrieg ein Bündnispartner des send Demonstranten gegenüber. Erzfeindes Frankreich war. So sympathisierten viele Polen mit den Besatzern, und wurden so Die Französischen Besatzer, so der Anzeiger zu Verrätern, wie es in den Chroniken der Pfar- für Herne und Sodingen vom 28. Mai 1923, ver- reien St. Marien in Baukau und St. Josef in hielten sich jedoch neutral. Die Polizisten Horsthausen belegt ist. wehrten die wütende Menge ab, Schüsse fielen, zwei Tote – Hermann Wehmann und Sofie Ka- Viele Polenstämmige verließen in dieser Zeit lupnie – nebst 14 Verletzten blieben auf dem Herne, um in Frankreich eine neue Heimat und Zechenplatz von Mont-Cenis zurück. Als Flüch- Arbeit zu finden. Die Einwohnerzahl in Herne tende in das Lager der Franzosen, dass sich auf und Wanne-Eickel sank bis 1925, dem Abzugs- dem Gelände des Schulhofes an der Max-Wiet- jahr der Besatzer, in beiden Kommunen um hoff-Straße befand, Schutz suchen wollten, etwa 8.000 Einwohner. Etliche Abgewanderte wurden sie jedoch vehement zurückgedrängt. kehrten aber nach 1925 enttäuscht in die dop- pelte Kanalstadt zurück. Am 23. Juli 1923 besetzten französische Mi- litäreinheiten auch die Zeche Unser Fritz, wor- Die Lage im Revier blieb angespannt. Es auf die gesamte Belegschaft mit einem General- herrschte eine Lebensmittelknappheit. Daher streik reagierte. Sieben Tage später trafen auf sahen sich die Franzosen wohl genötigt, eigene dem Pütt 90 französische, italienische, polni- Lebensmittelversorsogungsstellen einzurich- sche und deutsche Arbeitskräfte ein, die im ten. So berichteten unter anderem die »Breis- Auftrag der Besatzer die vorhandenen Koksvor- gauer Nachrichten« aus Herne und Bochum. räte verluden. Die französischen Militärs ka- Hier wird am 19. April 1923 von der Beschlag- men daher auf die Idee, in Polen weitere Ar- nahmung mehrerer Kohlelastwagen und der beitskräfte für den Bergbau und die Eisenbahn Eröffnung von zwei Lebensmittelverkaufsstel- zu werben. So berichtete die »Wanne-Eickeler- len in Herne berichtet. Zeitung«, in ihrer Ausgabe vom 23. Juli 1923, von diesem Vorhaben. Demnach sollten 25.000 Wer sich in diesen Jahren den Anordnungen Der Bote im Februar 2023 9
der Besatzer widersetzte, bekam die ganze Här- tember 1923, also neun Monate nach dem Ein- te der Regierenden zu spüren. Verhaftungen zug der Franzosen ins Revier, kam es in der da- waren daher an der Tagesordnung. Unter ande- maligen Gaststätte »Hindenburg« an der rem nahmen die Franzosen in Herne Assessor Bahnhofstraße, zu einer Vereinsgründung. Heinz Morsbach fest, der damals für die Berg- Etwa 100 Herner waren der Einladung in den werksgesellschaft Hibernia tätig war. Auf Saal der Gaststätte an der Ecke Bahnhof-/Man- Druck des in Deutschland zuständigen italieni- teufelstraße gefolgt. Zum 1. Vorsitzenden wähl- schen Nuntius Eugenio Pacelli (der später ten die Mitglieder des neugegründeten Papst Pius XII.) wurde der 31-Jährige jedoch Schwimmvereins Neptun, Alfred Klewin. Weil bald wieder freigelassen. der junge Verein noch über kein eigenes Schwimmbad verfügte, wich man vorüberge- Die Unruhen im Revier setzten sich jedoch hend nach Gelsenkirchen aus. Der erste offiziel- bis zum Abzug der Besatzungstruppen im Juli / le Wettkampf des SV Neptun, der viele Zu- August 1925 fort. Im Mai 1924 kam es so im schauer anlockte, fand ein Jahr später im heimischen Bergbau zu einer weiteren Arbeits- Rhein-Herne-Kanal statt. Später verfügte der niederlegung, weil die Kumpels aufgefordert SV Neptun über ein eigenes Bad, im Schatten wurden, ihre Arbeitszeiten zu verlängern. der ehemaligen Zeche Mont-Cenis (zwischen Uhlenbruch und Castroper Straße). Auch die Der bekannte Herner Autor Jan Zweyer ver- Herner Radsportler traten 1923 wohl kräftig in mittelt mit seinem in Herne/Bochum spielen- die Pedale. So rief der Herner Radsportverein den Kriminalroman »Franzosenliebchen« ein »Zugvogel« zur Teilnahme an der Vereinsmeis- eindrucksvolles Bild jener Tage. terschaft auf. Das Rennen, an dem etwa 21 Ak- tive teilnahmen, wurde vermutlich auf der Vereinsgründung und Meisterschaft Bahnhofstraße gestartet. Vereinsmeister 1923 wurde Karl Mroseck. »Zugvogel« Herne gehör- Obwohl die französisch-/belgischen Besat- te damals auch dem Bund Deutscher Radfahrer zer weitgehend den Ton angaben, ging das Ver- an. Über weitere Aktivitäten der radelnden einsleben wohl weiter. Vermutlich interessier- »Zugvögel« ist leider nichts mehr überliefert. ten sich die Besatzer wohl mehr für Zechen, Werke und das Transportwesen? Am 21. Sep- Friedhelm Wessel Herner Schwergewicht Duscha gehörte einst zur Box-Elite M ehrere Jahre Boxfans das Spektakel im Ring. Den Faust- lang verdien- kampf gegen den aus Toulouse stammenden te der Herner Emile Vidal (1930 bis 2015) sahen damals, im Albert Duscha sein Geld Pariser Palais de Sport, sogar 12.000 Zuschau- als Profiboxer. Seinen er. 1964 reiste der Herner sogar nach Schwe- ersten Kampf bestritt den, um hier gegen die amerikanische Boxle- der damals 19-Jährige gende Floyd Ray Patterson (1935 bis 2006) an- am 10. Juni 1955, in der zutreten. Gegen den US-Amerikaner hatte der Dortmunder Westfalen- Schwergewichtler aus der Kanalstadt in Sunds- halle. Weitere 40 Pro- vall aber keine Chance. Patterson schlug ihn fikämpfe sollten bis KO. Boxerische Weggefährten Duschas waren 1968 folgen. Albert Du- in jenen Tagen unter anderem: Erich Schöpp- scha, der von 1936 bis ner, Hans Kalbfell und Hans-Werner »Butje« 2009 lebte, reiste einst Wohlers. Seinen letzten Faustkampf bestritt für seinen Beruf durch der Herner 1968; sein Gegner war der Krefelder halb Europa. Duscha Burghard Lembke. stand in Italien, Schwe- Albert Duscha den, den Niederlanden, Herne zählte jahrzehntelang zur Hochburg Luxemburg, Frank- des deutschen Boxsports. Faustkämpfer, wie: reich, Spanien und Belgien im Ring. Bei diesen Neusel, Stengel, Scheiba, Salewski, Andresen, Schwergewichtskämpfen musste sich der Her- Flachert, Sosznitza, Hendrix und Weimer ner Profi gegen einst so bekannte Faustkämpfer schrieben einst Sportgeschichte. Sie starteten wie Ray Patterson, Emile Vidal, Heinz Lemm entweder für den BSC 22, den BSK Herne-Ost und Burghard Lembke auseinandersetzen. So oder für SW Unser Fritz. verfolgten 1956, als Duscha und Heinz Lemm in Dortmund aufeinandertrafen, rund 10.000 Friedhelm Wessel 10 Der Bote im Februar 2023
Wir treffen uns bei Tanzschule Schmidt-Hutten! S o, oder so ähnlich, hatten sich Generati- Die Tanzschule Schmidt-Hutten bittet mit onen von jungen Frauen und Männern dem WDR 4 zur Tanzparty mit dem Tanzor- zwischen 1978 und 2012 verabredet. chester Hugo Strasser, am 20. April 1985, ins KUZ. Oben v.l.n.r.: Martin Klinger, Christian Auch der Schreiber dieser Zeilen hatte seine Pilgrim, Frank Stanke, Martin Kaczor, Jörg Zeit bei »Schmutten« auf der Bahnhofstraße Dobberstein, Andreas Janik, unten: Birgit 1970/1972. Ganze Jahrgänge der Alt-Herner Rennebaum, Christa und Manfred Schmidt- Schulen tummelten sich zu Tango, Jive, Walzer Hutten, Ute Dräger, Ulrike Berndt, Birgit oder Cha Cha Cha, in den Kursen. Dienstags Bussmann, Detlef Durchholz. oder donnerstags, in zwei Zeiten bis 21 Uhr, um dann von den »Erwachsenen« abgelöst zu wer- schluss mit dem letzten Lied: Dem Quickstepp den. »Feierabend«, von Peter Alexander, aufzubre- chen. Auf den umliegenden Straßen standen Diese durften auch regelmäßig samstags zu die Papas und Mamas mit ihren Autos. Man ihren Tanzabenden ran. Unvergessen war für ging zu Fuß oder die Fahrräder fuhren in Grup- viele das Oktoberfest, mit hausgemachtem Sau- pen von Tanzschülern nach Hause. erkraut und Würstchen. Aber auch die Karne- valsfeste – heute einfach legendär. Wer nach zwei Anfängerkursen noch mehr Standard und Latein wollte, konnte – wie auch Die Jugend tummelte sich sonntags zwi- heute noch in ADTV Tanzschulen üblich – schen 18 und 21 Uhr zur Disco. Kleiner Eintritt Bronze, Silber und Gold belegen. Und als das und nur mit Tanz Pass. Man wollte dazugehö- Sahnehäubchen wurde dann der Goldstar be- ren. ziehungsweise »Super Goldstar«; in drei Rän- gen mit ★, ★★ und ★★★. Ach ja, bei voller Strikt durchgeplant das Ganze: Bis 20 Uhr Punktzahl, geprüft wurde von auswärtigen aktuelles aus den Tanzsport-Charts von Hugo Tanzlehrern, gab es einen Gong. Strasser, Günther Noris und weiteren tanzba- ren Hits, abgeschlossen mit dem Welthit »Love Der Abschlussball fand natürlich im Kultur- is in the Air«, von John Paul Young, einem zentrum statt! Großer Auftritt der Tanz-Elevin- Samba, mit 3:22 Minuten besonders lang. nen und Eleven zur Anfangspolonäse ... Alles Walzer. Vorne weg, der Chef und eine der Tanz- Dann folgte die Hitparade. Wer es vergessen lehrerinnen. Es spielten immer Livekapellen. hatte: Auf der Eintrittskarte gab es drei Favori- Leider sind mir nur »Die Nachtfalter« in Erin- tenfelder zum Ausfüllen mit den temporären nerung geblieben. Ihr »Wir machen jetzt ’ne Lieblingshits. Man konnte zum Ende des Pause, setzt Euch« ist unvergesslich. Und was Abends einem Preis; anfangs eine Single (-plat- machten wir in so mancher Pause? Wir gingen te), später eine CD, gewinnen. ins Restaurant und bestellten bei Herrn Plisch- ka eine Zwiebelsuppe. Was waren wir erwach- Dann folgten noch einige Tänze, um zum Ab- sen, damals. Der Bote im Februar 2023 11
1986 feierte das Otto-Hahn-Gymnasium Der Zugang zur Tanzschule war lange Zeit sein 20-jähriges Bestehen. Die tanzenden ein dunkler Durchgang, links von Tassos La- Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen den. Eine Treppe hinauf und schon lagen zwei 12 und 13 baten Manni Schmidt-Hutten, für Garderoben links vom »Büro«. Zwei Stufen den bevorstehenden Festball eine Tanz-Perfor- nach rechts hinauf ging es zum Durchgang in manz einzustudieren. Daraus entwickelte sich den Saal 2 mit »Kuschelecken«. Auch die WCs rasch eine Standart-Formationsgruppe, gefolgt gab es hier. von einer jüngeren Schulübergreifenden Latein Formation. In den nächsten Jahren gehörten Im größeren Saal 1 befanden sich die Theke Proben und Auftritte zum Lebensalltag. Der und die Plattenanlage für die benötigte Musik. Berufliche Weg veränderte zwar die Zusam- Hier drehte sich der Plattenteller und später die mensetzung, aber der Kern blieb. CD Anlage. Bei den Discos war dies zu meiner Zeit der Spielraum der Discjockeys Frank Stan- Wir wollen auch den Tanzsportverein Rot- ke »Stanky« und Jörg Doberstein »Dobby«. Weiß Herne e. V. nicht vergessen. Dieser wurde im September 1979 gegründet und endgültig Einige schafften es bis hinein ins »Team«. am 16. Dezember 2001 aufgelöst. Bis zu seinem Als eifrige Barakteure, Saaldienstleistende, Bü- beruflichen Ausscheiden wurde dieser von rohelfer (hatte ich nur einmal machen dürfen) »Häuptling Silberlocke«, Manfred »Manni« und »Vortänzer« – offiziell Tanzlehrerassis- Schmidt-Hutten, jeden Sonntag, zwischen tent! Die Mädels bei Manni & »Mini«, damali- 16:00 Uhr und 17:30 Uhr, trainiert und so eini- ger Spitzname des Sohnes Frank, die Jungs bei ge Tanzpaare durften und konnten Turnier tan- »Tina«, Mini-Tina und Eva Kretz. zen. Heike Seidel & Ötte Böttcher, Birgit Buss- mann & Detlef Durchholz, Eva Thimm & Erich Bescheiden gebe ich zu, dass das Vortanzen Scharpenberg, Susanne Swoboda & Bernhard bei den Erwachsenen am meisten Spaß ge- Bolinius, Ute Dräger & Charly Bitter, … . Wer macht hat. Ich habe heute noch Kontakt zu ei- wollte nicht so tanzen wie diese. nigen der damaligen Kurs Teilnehmern. Verschiedene Teams wechselten sich in den Jahren ab. Ich hatte das Vergnügen unter ande- rem mit Martin Kaczor, Kiki Umberg, Christian Ball des Otto-Hahn-Gymnasiums am 21. Septem- Pilgrim, Birgit Rennebaum, Martin Klinger, ber 1985. V.l.n.r.: Claudia Ehemann, Thomas Dirk Pieper, vielen der schon oben genannten Witt, Stefanie Kalinowski, Guido Pieper, Rainer und Andrea Nahodil, zusammen ein Team bil- Haarmann, Sonja Wörmann, Uwe Plöger, Su- den zu dürfen. sanne Kaiser, Inga Wegner, Andreas Janik.
Aus den Tanzpaaren entwickelten sich Geschafft, erste Reihe, v.l.n.r.: Eva Kretz, Man- manchmal mehr als nur sportliche Interessen. fred Schmidt-Hutten, ?, Susanne Rottmann, Pilgrims, Böttcher, Durchholz, Scharpenberg, Kerstin Haak, Andreas Janik, Uwe Plöger, Mo- Bolinius … sind verheiratet, wie ich seit mehr nika Grey, Sabine Freiwald, Martin Klinger, als 26 Jahren mit meiner Andrea Nahodil. Thomas Hocevar. »Schmutten« sei Dank. Wir sind bestimmt nicht die Einzigen, da bin ich mir ganz sicher. mit seiner damaligen Frau und nach einer er- folgreichen Tanzlaufbahn 1963, seine eigene In den rund 10 Jahren meiner aktiven Zeit, Tanzschule an der Oberen Münsterstraße, in habe ich viele Menschen getroffen und kennen- Castrop-Rauxel. 1978 übernahm er zusätzlich lernen dürfen. Meine besten Freunde hab ich in Herne die alteingesessene Tanzschule Diel- hier gefunden. Und wenn sich auch die Lebens- Funkenberg an der Stammstraße 46. Die Verle- wege auseinander dividierten, so ist mein lang- gung der Schule in die Räume der alten Schau- jährigster Freund aus damaliger Zeit - Thomas burg an der Bahnhofstraße erfolgte alsbald. Mit Witt - heute Domkapitular und Pfarrer in und seiner später geschiedenen Frau hatte er zwei um Paderborn und damals ein begabter Tänzer. Kinder. Frank, der 1995 die Castroper Tanz- schule übernahm und Martina »Tina«, die Her- Noch heute trifft man den einen oder ande- ne bis Ende Dezember 2012 führte. ren wieder. Man kennt sich halt von Schmidt- Hutten. Manfred Schmidt-Hutten übersiedelte mit seiner Christa nach Winterberg-Siedlinghau- Sie lesen hier meine ganz persönlichen Erin- sen und starb leider schon nach wenigen Jah- nerungen. Haben Sie auch welche? Schreiben ren, im September 2002. Sie uns einfach mal. Wir freuen uns auf Ihre Er- innerungen. Aus der Tanzschule Schmidt-Hutten kamen das Ehepaar Wiemers nach Herne, um – in Und ganz aktuell: Im November 2022 wurde Konkurrenz – Ihre eigene Tanzschule zu er- eine ehemalige Tanz-Elevin Schmidt-Huttens öffnen. Seit 2014 ist die »Tanzschule Tanz- Weltmeisterin im Discofox: Nadine Schulze. pott«, vom Let’s Dance erprobten Sergiy Herzlichen Glückwunsch. Plyuta, in den Räumen an der Bahnhofstraße ansässig. 1933 gründet Fred »Schmidt-Hutten« in Pankow eine Tanzschule. Sein im selben Jahr Gehen Sie tanzen! Denn Tanzen verbindet! geborener Enkel Manfred Schmidt-Hutten übersiedelt nach Westdeutschland und gründet Andreas Janik Der Bote im Februar 2023 13
31 Jahre lang im berüchtigten Santa Fu Helmut Mayer vor dem Eingang zu Santa Fu A ls Helmut Mayer 1965 seine Sachen erinnert sich Helmut Mayer noch sehr gut, packte, um in Norddeutschland seinen obwohl der Ausbrecherkönig aus Sicherheits- Dienst bei der Bundeswehr anzutre- gründen, nur wenige Monate in Santa Fu blieb. ten, dachte der Sodinger noch nicht daran, dass er einmal den größten Teil seines Lebens im Der gebürtige Sodinger wurde in seiner berüchtigten Zuchthaus von Hamburg-Fuhls- Dienstzeit in Fuhlsbüttel einmal selbst von büttel verbringen würde. Von 1973 bis 2004 einem »schweren Jungen« als Geisel genom- war der 1944 in Sodingen geborene Helmut men. Er hatte sich aus Rasierklingen eine Waffe Mayer nämlich als Justizvollzugsbeamter in gebastelt und den Justizvollzugsbeamten damit Santa Fu tätig. bedroht. Nach zwei Stunden gab der Schwer- verbrecher, nach Verhandlungen mit einem In Hamburg absolvierte der Herner Diakon, auf. Als Grund für die Geiselnahme gab zunächst 1965 seine Grundausbildung bei der der Zuchthäusler Verbesserungen der Haftbe- Bundeswehr. In dieser Zeit lernte er auch seine dingungen an. Danach gab es auch eine Verän- spätere Frau kennen. Es folgte ein kurzer derung für die Insassen von Santa Fu. Es gab Standortwechsel nach Husum. Doch hier blieb keine Rasierklingen mehr, wer sich unbedingt er nicht lange. Der junge Berufssoldat kehrte an nass rasieren wollte, erhielt die neuartigen, die Elbe und zu seiner Verlobten Brigitte ungefährlichen Einmalrasierer. zurück. Acht Jahre versah er in der Hafenstadt seinen Dienst in einer Instandsetzungskompa- Der Sodinger von der Uhlandstraße ist stolz nie in Rahlstedt. Danach bewarb sich der Fami- darauf, den »Blauen«, wie die Hamburger lienvater für den Vollzugsdienst und wurde Justizbeamten auch genannt werden, angehört angenommen. zu haben. Doch in Uniform hat ihn seine Familie nie gesehen, denn die blieb aus nahelie- Seit dieser Zeit wohnt die Familie Mayer genden Gründen nach dem Dienst immer im auch im Schatten des bereits 1879 erbauten Spind von Santa Fu. Zu groß war die Angst, von Zuchthauses von Fuhlsbüttel. Während seiner schweren Jungs außerhalb der schützenden langen Dienstzeit in Santa Fu hat Helmut Mauern des Zuchthauses entführt zu werden. Mayer so manchen bekannten Häftling kennengelernt. In der Abteilung; ihr gehörten Auch heute noch pflegt Helmut Mayer, zeitweise 270 schwere Jungs an, saßen unter dessen Vater einst als Steiger auf der Zeche anderem der bekannte Ausbrecherkönig und Mont-Cenis tätig war, rege Kontakte mit Polizistenmörder von Bottrop, Alfred Lecki ehemaligen Schul- und Jugendfreunden, rund (1938 bis 2000), der St. Pauli-Killer Mucki um das ehemalige Denkmal. Und wenn er seine Pinzner (1947 bis 1986) und Mitglieder der alte Heimat besucht, trifft er sich gerne mit RAF, wie Dellwo, Rössner und Tauber. alten Bekannten und erzählt Geschichten von Schulte im Dorf, der Kreidler-Gang und den Besonders an Alfred Lecki, der 1969 legendären Kirmesbesuchen. Aber auch an die während einer Flucht einen Polizisten erschoss, Besuche im legendären Stadtion Glück Auf, 14 Der Bote im Februar 2023
oder an Pöhlrunden auf dem ehemaligen Mark- Gerd Harpers gehörte damals zu den Lieb- platz am Bunker erinnert sich der Sodinger lingsspieler von Helmut Mayer. »Eines Tages, gerne. »Einmal war Rot-Weiß Essen zu Gast in ich pöhlte gerade mit Freunden auf dem Platz 1957 wurde Sodingen. Nach dem in derSpieldamaligen stiegen alleGaststätte Rotwei- hatte. vor demAlsBunker, Knappe tauchte gehörte Harpers der Sodinger dem auf und »Wieschermühle« an ßen, unter ihnen der legendäre der Schillerstraße/Ost- Boss Rahn, in Piepenfritz-Förderrevier an, war hier auch zeigte uns ein paar Tricks. Wenig später beglei- zeit- bachBus. den der Ich FC Herne wollte gegründet. aber unbedingt »Eigentlich ein Auto- hät- weise tete erals unsAnschläger an einem Blindschacht in den Gysenberg. Dort, auf der tä- te der Verein aber FC Uhlenbruch gramm. Doch der Boss öffnete das Busfenster heißen müs- tig, Nach sieben Jahren wechselte er den großen Wiese, kickte er ebenfalls mit uns. Nach Beruf sen«, und lacht»Kannst fragte: Theo Jost,Du mirder eine jahrzehntelang Bockwurst am für – er wurde etwa Maschinenführer 20 Minuten bei dersich verabschiedetet bekannten Gerdi den Herner Fußballverein die Würstchenstand holen«, Helmut Meier sagte Stiefel schnürte, Herner Firma Benkert. Als Gewerkschaftler von uns und fuhr mit dem Fahrrad nach »denn von natürlich den 11 sofort zu.Mitgliedern »Hier hastder Dudamaligen eine Mark,1. vertrat der Gerthe, wo ergelernte Bergmann ja wohnte. hier lange Gearbeitet hat erals Mannschaft stammten acht gibt mir aber deine Mütze, dann kannst aus dem Umfelddu Betriebsrat – und Vorsitzender – die Interessen damals wohl bei der Herner Stadtverwaltung. der Straße ›Im Uhlenbruch‹ – etliche schneller laufen«, meinte der Essener Kicker. dieser Ki- der Mitarbeiterschaft. Sein Arbeitsplatz befandVor 20inJahren sich ging erim jenen Tagen in cker waren sogar Bergleute, Helmut tauschte das Markstück gegen die sie fuhren auf den Ruhestand. Fotos, Wimpel, Ehrennadeln Sodinger Amtshaus«, erinnert sich der Sodin- Mont-Cenis Mütze oder Piepenfritz und rannte, ein.« um die gewünschte Bock- undder ger, Ehrenurkunden aber schon seiterinnern den einst Jahrzehnten begeis- in Fuhls- Dabei, so erinnert sich wurst zu besorgen. Nach der Rückkehrder 1938 in Hernezum Bus ge- terten Kicker, büttel lebt. der noch nie ein Bundesligaspiel borene FCer, ging der Verein erhielt der junge Sodinger von Boss Rahn die wohl aus einem hautnah miterlebt hat, an seiner glorreiche und Kegelclub Mütze, hervor,Trinkgeld ein dickes der auf der undBahn der Gast- als Belohnung erlebnisreiche Zeit beim FC 57. stätte Fuhrmann (später Bosk/Goethe-Eck) noch ein Autogramm des bekannten 54er-WM- an der Ecke Mont-Cenis-/Goethe-Straße Spielers obendrauf. in die Friedhelm Wessel Vollen warf. Vermutlich vom damals in Herne grassierenden Fußballfieber, ausgelöst durch Forum 7- Mitbegründer Alf Rolla gestorben den SV Sodingen und Westfalia Herne – schlüpften die Uhlenbrucher Kegelbrüder in Trikots und trafen Alf sich Rollazuseit Heimspielen auf der O bwohl Jahrzehnten in legendären Hippenwiese am Stadtgarten. den Rheinmetropolen Düsseldorf und Im Oktober 1957 riss Köln lebte, stießsein Theo Jost, der Kontakt zuvor in seine jahrelang für Schüler- und Jugendteams Geburtsstadt Herne nie ab. Am 19. November des SV Sodingen gekickt hatte, zu dem 2022 ist der Autor, Journalist und Mitbegrün- neuen Verein. »Hier der des waren wir alle legendären Freunde, kannten Krankenhausfunks Forumuns gut«, verriet Jost, der in der Stammelf 7, nach langer Krankheit, im Alter von 69 Jah- des FC 57 den Posten des linken Läufers ren, in Köln gestorben. Alf Rolla stammte aus übernahm. »Unser Vorstopper Sodingen. Sein Vaterwar Heinz Rezepka, arbeitete als Bergmann der ja 1965 beim Grubenunglück auf Mont-Cenis auf der dortigen Zeche Mont-Cenis. Unweit sei- mit acht weiteren Bergleuten sein nes Elternhauses befand sich einst die Trink-Leben ließ«, er- zählt Jost weiter, der noch fast halle, die von SVS-Legende Hännes Adamik be- alle Namen sei- ner Mitspieler trieben wurde. Hierkennt: Paul Leister, lauschte der junge Willi Her- Sodin- schaft, Werner Fröschke, Urich ger früher den Gesprächen der dortigen Kubiak, Fried- helm Alhorn,die Stammgäste, Karl-Heinz sich meistRezepka um denund Paul Re- heimischen Fußball drehten. Nach dem Schulbesuchsich zepka. »Bei Paul Rezepka handelte es um absol- den Bruder des tödlich Verunglückten vierte Alf Rolla zunächst eine Ausbildung bei und Zu den Lieblingsinterviewpartner des Herners Karl-Heinz Krupp, um war dannein Vetter 1972, einder beiden Brüder«, Volontariat beim Alf Rolla (rechts) gehörte einst der »Weltstar« Verlag Lensing-Wolff in Dortmundso erläutert Theo Jost, der später, zu erzählt absolvie- er Freddy Quinn, der mehrmals im damaligen Stu- weiter, auch mit dem erst kürzlich ren. Danach wurde er von den Ruhr Nachrich- verstorbe- dio an der Albert-Klein-Straße zu Gast war. nenals ten Grubenwehrmann Redakteur übernommen Otto Wenzek, und war derineben- ver- falls 1965 zum großen MC-Retterteam schiedenen Lokalredaktionen tätig. gehörte, hausfunkes Forum 7. 25 Jahre lang moderierte inSchon einer Mannschaft als Junge wusste spielte. Rolla, was er einmal er hier wöchentlich verschiedene Sendungen, An seine Zeit beim werden wollte: RundfunksprecherSV Sodingenoder erinnert Redak-sich dafür reiste der gebürtige Sodinger sogar ein- der Zeitzeuge von der Kirchstraße teur bei einem Sender. Bis es soweit war, dauer- ebenfalls mal in der Woche, aus seiner Wahlheimat Köln, tegerne. es aber»Hännes noch einige Adamik Jahre.hatNachuns manchmal seiner Tages- an. trainiert, und Anton Rengel war zeitungsära wechselte der Herner in die Bildre-der Jugendlei- Als Ruheständler widmete sich Alf Rolla da- ter. Auch daktion an Hans nach Essen.Artin Später erinnre erfolgteichein mich ganz Wech- nach verstärkt der Schriftstellerei. So veröffent- gut, der war aber besonders streng«, sel zu einer Illustrierten nach Düsseldorf, um erzählt lichte er 1999 den ersten deutschen Online-Kri- Jost endlich dann weiter, für derRadio sogarLuxemburg das legendäre Vorrun- zu arbeiten. mi. Er stellte »Abgebrüht« kostenlos ins Netz. denspiel um die Deutsche Meisterschaft Danach gab es erneut ein Wechsel zur Bildzei- gegen Weitere neun Bücher folgten. So »Die Eintags- Kaiserslautern am 22. Mai 1955 tung. Diesmal ging es aber an den Rhein. In in Gelsenkir- fliege«, »Alles außer Erotik«, »Kommse anne chen miterleben Düsseldorf durfte. in Köln übernahm er und später Bude«, »Gehse auffe Kirmes«, »Mord ist keine Leitungsaufgaben und berichtetehatte »Unsere Jugendmannschaft Freikar- von kleinen Lösung« und »Hasse schon gesehen?«. An sei- und größeren Ereignissen aus den beidenBörnig ten. Mit dem Zug ging es ab Bahnhof gro- ner Beisetzung, auf dem Friedhof an der Wies- nach Schalke, ßen wo wir zusammen NRW-Rheinmetropolen. mit etwa Krankheits- cherstraße beteiligten sich auch etliche Ehema- 60.000 ging bedingt FansAlfdasRolla 2:2 indannder Kampfbahn Mitte der 1990er- Glück- lige des Forum 7-Teams, darunter Gründer auf hautnah miterlebten«, Jahre in den Vorruhestand. erzählt Theo Jost, Claus Schmidberg. der 1953 eine bergmännische Ausbildung Rolla gehörte in Herne, ab 1971, zu den Mit- auf der Zeche Friedrich der Große begründern des einst sehr bekannten Kranken- 1/2 begonnen Friedhelm Wessel Der Bote im Februar 2023 15
Das Backhaus auf dem Hof Werth in Börnig »Gott bewahre dieses Haus...!« Z wischen Altenhöfen und Baukau, So- Heute weist die offizielle Denkmalliste der dingen und Crange war einst Bauern- Stadt 17 Objekte auf. Doch der Schein trügt, land. Fachwerkbauten mit den oft denn im Laufe der vergangenen Jahre wurden kunstvollen Giebeln und geschnitzten Tennen- Fachwerkgebäude aus Crange, Sodingen und balken prägten jahrhundertelang die Bauern- Oestrich erfasst. Fast alle Gebäude, die Decker schaften, die langsam zu einer Großstadt zu- 1927 noch beschrieb, sind verschwunden. sammenwuchsen. Viele dieser alten Häuser mussten der neuen Zeit weichen. So auch wohl So stand einst ein Fachwerkgebäude auf der eines der ältesten Herner Gebäude, das 1753 an Kirchhofstraße. Es handelte sich um ein Rest- der Rottbruchstraße 2 entstand. Die Eheleute gebäude des alten Bergelmannschen Hofes, aus Heinrich Port und Anna Schefer zogen dort den Jahren 1789 bis 1821. Der Hof musste in nach ihrer Hochzeit ein. Doch dieses und weite- den 1960er-Jahren, aus planungstechnischen re 21 Gebäude aus der Zeit von 1753 bis 1880, Gründen, aus dem Herner Ortskern verschwin- die der Herner Chronist Johannes Decker 1927 den. So gab es in der alten Ortsmitte rund um noch ausführlich beschrieb, sind verschwun- die neue evangelische Kirche noch bis in die den. 1960er-Jahre etliche alte Fachwerkhäuser im Der Klutenhof in Börnig Torbalken am heutigen Hof Schulte-G
Der Hof Borg in Börnig Bereich der Schmiedestraße, am Alten Kirch- Als Heimatforscher Decker 1927 auf Spuren- platz, im Bereich Wiescherstraße/Steinweg und suche ging, fand er auch Gebäude, die es heute an der Düngelstraße. noch gibt. So die Hofstelle Drögenkamp, gebaut um 1852, an der Hertener Straße und eine sel- Dort, wo sich einst der städtische Fuhrpark tene Hofstelle aus dem Jahre 1879, an der befand, ließen 1804 die Eheleute Johann Dün- Wiescherstraße. Erhalten blieb ein Teil des gelmann und Klara Kremer ihr Haus bauen, Bauernhofes Werth, in Börnig aus dem Jahre das 1927 noch von Johann Decker beschrieben 1744. Es ist Teil einer Hofanlage, die einst aus wurde. Die Tennenbalkeninschrift lautete: Haupthaus, Torhaus, Backhaus, Dörrhaus, »Gott bewahre dieses Haus vor Wasser und Stallgebäuden und Obstgarten bestand. Weite- und Brand und auch das ganze Vaterland«. re in Crange, Baukau, Holthau- Die Stadtverwaltung ließ das Bauwerk aus sen und Börnig. Platzgründen später abreißen. Ebenfalls ver- schwunden ist ein vermutlich historisch einma- ligen Gebäude, das sich einst auf dem Gelände der ehemaligen Zeche von der Heydt befanden. In dem Fachwerkhaus, um 1880 erbaut, lebte Maschinenfahrsteiger Wiechert. Friedhelm Wessel Göcking Dorf Crange Auf dem Hof Werth in Börnig
Das Kinder-Erholungsheim der Stadt Herne, in Stapelage N ach ausgiebiger Recherche im Inter- pflegung in der Einrichtung war für die frühen net, landete ich bei wiki.hv-her-wan. fünfziger Jahre sehr gut. Neben Frühstück, de. Beim »Buddeln« in meinem per- Mittag- und Abendessen; inclusive des Löffels sönlichen Archiv kam mir die Idee, einen Arti- Lebertrans, gab es dann auch noch an manchen kel über das Erholungsheim der Stadt Herne zu Nachmittagen ein Stückchen Kuchen, mit einer schreiben, denn in den Jahren 1952 und 1954 Tasse Milch oder einem Schlückchen »Mucke- war ich dort für jeweils sechs Wochen Kinder- fuck« Lindes, als Milchkaffee. gast. Unsere Schlafräume mit vier Betten (zwei Es ist das Jahr 1951, ich war damals 9 Jahre Doppelbetten), befanden sich im Anbau hinter alt und in der dritten Jungenklasse der ev. dem Haupthaus, im Dachgeschoss. Die Sanitär- Volksschule an der Schulstraße. Eine Untersu- einrichtungen, Wasch- und Toilettenräume, chung durch den Schularzt ergab, dass ich für eine Etage tiefer. mein Alter untergewichtig war. Meine Mutter schaltete das städtische Gesundheitsamt ein Bei guten Wetterverhältnissen gingen wir als und meldetet mich für eine sechswöchige Erho- Gruppe durch den Ort sowie durch Wiese, Wald lung in der Einrichtung in Stapelage an. Die Be- und Feld. Zum Spielen war auch die große Gar- stätigung kam dann für das Jahr 1952. Es war tenfläche hinter dem Speisesaal da. Langeweile etwas ganz Neues für mich, denn Ferien- oder kam jedenfalls nicht auf, denn dafür sorgten die Erholungsreisen waren in unserer Familie zu uns liebevoll umsorgenden »Frolleins«. dieser Zeit kein Thema. Wir waren froh, ein »Dach über dem Kopf« zu haben und dass die Die sechs Wochen Erholung näherten sich Versorgung mit einfachen Lebensmitteln durch dem Ende und alle Kinder wurden wieder ge- Kauf, aber auch durch Selbstversorgung aus ei- wogen. Ich hatte ein Erfolgserlebnis, denn in nem Gartengrundstück, funktionierte, das mei- der Heimzeit hatte ich drei Kilogramm zuge- nen Eltern von der Hibernia AG, beziehungs- legt. weise der Zeche Shamrock I/II gepachtet hat- ten. Dort wuchsen die gängigen Gemüsesorten. Kurz berichten möchte ich auch von einem In einem kleinen Stall wurden Hühner und Ka- Aufenthalt in einem Kindererholungsheim in ninchen gehalten. Bad Rothenfelde, im Jahr 1952, das von der Fa- milienbetreuung der Hibernia AG, beziehungs- Nun zurück zum Erholungsheim. Das Ge- weise Shamrock I/II betrieben wurde. Hier war bäude lag ganz idyllisch in der Ortsmitte und die Verpflegung absolut unter Standard. Meist unweit des Gebäudes stand die evangelische gab es Bohnengerichte, mit verholzten Schoten Kirche, umsäumt von großen Bäumen. Die Ver- und zum Nachtisch »verschrumpeltes Obst«. Gruppenfoto in Rothenfelde
Außenansicht 2022 Wurde der Teller nicht geleert, kam der Essens- Auf dem Gruppenfoto im Gymnastikraum rest abends wieder auf den Tisch. des Heimes sind die ganze »Stamm-Besat- zung« des Heimes und wir Kinder zu sehen. Es herrschte ein Schreckensregiment. So zog Unter anderem auch das liebe Fräulein Pryhs, der Heimleiter in Schaftstiefeln und mit einer aber auch ein Mädel, Gerda St., in die ich mich Gerte bewaffnet, zu Beginn der Mittagsruhe als Pubertierender »verknallte«. Da sie fast durch die Schlafräume, um uns Kinder zum zwei Jahre älter war als ich, blieb es nur beim Schlafen anzuhalten. Die Heimbibliothek war freundlichen Zuwinken, bei der Verabschie- überhaupt nicht kindergerecht ausgestattet. dung. Sollte es Gerda heute noch geben, dann Erst einige Jahre später kam mir die Erleuch- herzliche Grüße von mir. tung, dass der Bücherbestand aus der NS-Zeit stammen musste. An eine Broschüre kann ich Im November 2022 wollte ich meine Erinne- mich bestens erinnern, da dort das MG 42, das rungen noch einmal auffrischen und fuhr spon- Maschinengewehr der »Deutschen Wehr- tan von Hannover nach Stapelage. Der Anblick macht« ausführlich beschrieben wurde. An- des Heimes war doch sehr trostlos, weil die strengend war auch das Badeprogramm im So- Durchgangsstraßen Währentruper Str., Stape- lebadhaus. In den Holzbadewannen ging es lager Str. nach Hörste und Müssen fast an die rein und raus und in Windeseile. Dieser Auf- Haustür des Gebäudes reichte. Von der einsti- enthalt in Bad Rothenfelde machte sich auch gen Idylle, den gepflegten Grundstücken und bei der Gewichtskontrolle bemerkbar, denn den angrenzenden landwirtschaftlichen Gebäu- nach den sechs Wochen hatte ich ein Kilo abge- den, war nicht viel wiedererkennbar und so nommen. fuhr ich doch etwas enttäuscht nach Hannover zurück. Es war das Jahr 1953. Mein besonderer Wunsch an meine Mutter war, mich doch noch einmal für eine Erholung in Stapelage anzumel- den. Es klappte tatsächlich ein Jahr später, dass ich zwölfjährig dort noch einmal sechs Wochen verbringen durfte. Wieder erlebte ich eine schöne Zeit, mit Waldspaziergängen und Wan- derungen, die bis an die verbotene Zone »Sen- ne« führten, dem Truppenübungsplatz. Unsere Gruppenleiterin war die junge Erzieherin Fräu- lein Pryhs (?), die uns Jungen zwischen 11 und 14 Jahren doch einige Abenteuer erleben ließ. Dieser Spaß machte sich auch auf meine Kon- stitution bemerkbar, denn ich konnte eine Zu- nahme von fast vier Kilogramm vermelden. Wolfram Ninka Der Bote im Februar 2023 19
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