Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein

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Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
Nr. 7/8
                                                                       Juli/August 2021
                                                                       74. Jahrgang

                                                                       Herausgegeben von
                                                                       der Ärztekammer
                                                                       Schleswig-Holstein

Diabetes
Epigenetik, Telemedizin, Lebensstil
Seiten 8 − 11

                   HIV                      Mobil gegen Corona
                   Kieler Ambulanz          Impfteams sind im ganzen
                   besteht seit 30 Jahren   Land unterwegs
                   Seiten 26 − 27           Seiten 12 − 13
Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES ÄRZTEBLATT
Schleswig-Holsteins Werbeträger für Ärzte
In 11 Ausgaben im Jahr informiert das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt über
zentrale Themen aus dem Gesundheitswesen zwischen Nord- und Ostsee. Das
Mitgliedermagazin der Ärztekammer Schleswig-Holstein erreicht neben allen
Ärzten auch Entscheidungsträger aus Gesundheitswirtschaft und -politik.

Anzeigenberatung unter 040 / 33 48 57 11 oder anzeigen@elbbuero.com

Bismarckstr. 2 | 20259 Hamburg | www.elbbuero.com
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Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
J U L I / AU G US T 2 0 2 1                                                                                       EDITORIAL 3

             Weiterbildung im Fortschritt
             Berufspolitisches Engagement, auch in der ärztlichen Selbstverwaltung, ist auf ganz
             unterschiedliche Motivationsgründe zurückzuführen: Mitwirkung in einem Berufs-
             verband oder einer Fachgesellschaft, standespolitische Interessenvertretung, Wunsch
             nach Mitgestaltung und vieles mehr. Bei mir ist es primär die Weiterbildung gewesen.
             Nachdem ich selber eine sehr breite, gute Weiterbildung erhalten hatte, wurde es als
             junger Oberarzt meine Aufgabe, mich um die Durchführung der Weiterbildung bei
             den jungen Kolleginnen und Kollegen zu kümmern, obwohl ich selber keine Befugnis
             hatte – diese war zu der Zeit noch ein rein chefärztliches Privileg. So war es ein
             naheliegender Schritt, mich auch auf Ärztekammerebene vertiefend in übergeordnete
             Weiterbildungsthemen einzuarbeiten und einzubringen.
             Weiterbildung nach Erhalt der ärztlichen Approbation und damit freier Ausübung
             der Heilkunde ist der prägendste Abschnitt in der Arztwerdung. Hier werden die
             ärztlichen Rollen, Haltungen und Kompetenzen vermittelt, letztere nicht allein in        Prof. Henrik Herrmann ist
             fachlicher, sondern auch in kommunikativer, sozialer und empathischer Hinsicht.          seit 2018 Präsident der
             Nach der Facharztprüfung werden einzelne Kompetenzen zwar weiterhin vertieft             Ärztekammer Schleswig-Holstein.
             und spezialisiert, die ärztliche Sozialisation ist jedoch weitgehend abgeschlossen. In
             dieser Zeit ist das Zusammenwirken von Weiterzubildenden und Weiterbildern am
             stärksten ausgeprägt, die Atmosphäre des Vermittelns und Lernens beeinflusst das
             weitere ärztliche Wirken. Dazu benötigen wir eine neue Weiterbildungskultur, geprägt
             von Vertrauen, Ehrlichkeit und Transparenz, die wir nur gemeinsam umsetzen
             können.
             Der bisherige Weiterbildungsweg konnte den rasanten medizinischen Fortschritt,
             die Komplexität und Spezialisierung nicht mehr widerspiegeln. Deshalb wurde es
             höchste Zeit für eine neue kompetenzbasierte Weiterbildungsordnung, die Inhalte
             vor Zeiten und Flexibilität vor starre Vorgaben stellt. Dies ist für alle Beteiligten    »Wir benötigen eine
                                                                                                      neue Weiterbildungs-
             eine große Herausforderung – für die Weiterzubildenden, die kontinuierlich die
             entsprechenden Kompetenzen aufbauen, für die Befugten, die kontinuierlich die
             Kompetenzen nicht nur vermitteln, sondern auch im eLogbuch bestätigen, für die
             Ärztekammern, die kontinuierlich den Weiterbildungsprozess begleiten. Unser
             ehrenamtlicher Weiterbildungsausschuss tagt wöchentlich, um die Umsetzung der            kultur, geprägt von
                                                                                                      Vertrauen, Ehrlichkeit
             neuen Weiterbildungsordnung zu ermöglichen, Befugniskriterien zu definieren und
             viele Fragen zu beantworten. Dafür bedanke ich mich, ebenso bei den hauptamtlichen
             Mitarbeiterinnen der Ärztekammer.
             Seit einem Jahr sammeln wir Erfahrungen mit unserer neuen Weiterbildungsordnung
             in Schleswig-Holstein, die wir kontinuierlich weiterentwickeln – eine von der
             gesamten Ärzteschaft getragene Aufgabe, die unserer Profession, der nächsten
                                                                                                      und Transparenz.«
             Ärztegeneration und letztlich den Patienten zugutekommt.

             Freundliche Grüße
             Ihr

             Prof. Henrik Herrmann
Foto: ÄKSH

             Präsident
Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
4 I N H A LT                                                                                                        J U L I / AU G US T 2 0 2 1

118                                        36                                          39

26
16                                          24                                          34

Inhalt
NAC HRICHT EN                          6
Kliniken spüren abnehmende Inzidenz   6    Auszeichnung für pädiatrischen              Termine                                           41
Mehr Adipöse in Schleswig-Holstein    6    Weiterbildungsverbund                  21
Strahlentherapie für Reinbek          6    Neuer Vorsitzender für die LVGSH       22   ME D I Z I N U N D KU N ST                         42
Weniger Antibiotika-Verordnungen      7    Palliativausweis hilft Notärzten       24
                                                                                       Wie eine Kieler Ärztin Fallada-
Kurz notiert                          7    Mundgesundheit interdisziplinär        25   Manuskripte entdeckte                             42
                                           Kieler HIV-Ambulanz:
T I TE LTHEM A                         8   Rückblick auf 30 Jahre                 26
                                           Spagat zwischen Urlaub und Corona      28
                                                                                       AN Z E I G E N                                     44
Diabetes: Epigenetik und Telemedizin 8
                                           Interview: Prof. Jörg Barkhausen       30
Interview: Prof. Henriette Kirchner  11
                                           Treatfair schafft Klinik-Transparenz   32   T E L E F O N VE R Z E I CH N I S/I MPRESSUM 50
                                           E-Rezept: Das müssen Ärzte beachten    34
                                                                                                                                                  Fotos: UKSH / Christian Wyrwa WKK / di / UKSH

GES UN DHEIT S P O LIT IK             12   Medienpreis für Organspendebeitrag     35
Mobile Impfteams schließen Lücken     12
                                                                                                                                                  Titelbild: Adobe Stock Ocskay Mark

KV zum Impfen: „Wir sind gut“         14
                                           P E R S O N A LI E N 3 6
Digitale Termine statt Warteliste     15
Neue Notfallambulanz für Kiel         16
Modellprojekt KULT-SH startet         17   FORTBILDUNGEN                          39
Generalversammlung der ÄG Nord        18   Videotipps für Medizinstudierende      39
Interview: Dr. Svante Gehring         19   Online-Fortbildung am UKSH
Sanierung am UKSH geht weiter         20   auch für niedergelassene Ärzte         40
Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
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                              42

Festgehalten
von Dirk Schnack
                              Das Glück der Forscherin
                              Prof. Johanna Preuß-Wössners Forschungsinteresse gilt einem ihrer Vorgänger als Direktorin der Kieler
                              Rechtsmedizin: Prof. Ernst Gustav Ziemke weist nicht nur einen interessanten Lebenslauf auf, sondern
                              war vor fast 100 Jahren auch Gutachter für den Untersuchungshäftling Rudolf Ditzen, alias Hans Fallada.
                              Bei der Suche nach alten Akten stieß Preuß-Wössner auf unbekannte Manuskripte des heute weltbe-
                              kannten Schriftstellers. Daraus ist inzwischen ein Buch geworden: „Lilly und ihr Sklave“.
Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
6 NEWS                                                                                                                    J U L I / AU G US T 2 0 2 1

Kliniken zwischen Lockdown und Lockerung

Daumen hoch bei den Mitarbeitern der B2 am WKK. Auch in anderen Kliniken in Schleswig-Holstein herrschte im Juni Entspannung.

N
    ach der langen Anspannung war in vie-      ter der Pflege und der Physiotherapie an-       „Das ist ein tolles Gefühl. Wir sind jetzt
    len Krankenhäusern in Schleswig-Hol-       strengend und belastend ist“, sagte etwa der    nicht mehr von den anderen Teilen des
    stein in den vergangenen Wochen ein        Ärztliche Direktor der Klinik Manhagen,         Hauses abgetrennt, sondern die Türen öff-
    wenig Erleichterung bei den Mitarbei-      Prof. Jörg Braun, der auch Infektiologe ist.    nen sich“, sagte Stationsleiterin Ute Glinde-
tern zu spüren. Zahlreiche Kliniken mel-       Er machte deutlich, dass die derzeitige Situ-   mann. Die Station war zu Beginn der zwei-
deten wegen sinkender Inzidenzzahlen die       ation zwischen Lockerungen und dem er-          ten Pandemiewelle zur Infektionsstation
Rückkehr in den Regelbetrieb und eine Lo-      forderlichen Schutz der Patienten ein Spa-      umgewandelt worden. Mit der Auflösung
ckerung der Besucherregeln. Zugleich wa-       gat für den stationären Sektor ist. In Man-     wurden im vergangenen Monat wieder Ka-
ren sich die Verantwortlichen in den Kran-     hagen waren nach Angaben des Hauses im          pazitäten für die Behandlung anderer inter-
kenhäusern bewusst, dass die Zahlen auch       vergangenen Monat „weit über 90 Prozent“        nistischer Erkrankungen in Dithmarschen
in Schleswig-Holstein wieder steigen könn-     der Mitarbeiter vollständig geimpft.            frei. Vorher stand allerdings eine umfang-
ten und dass weiterhin Vorsicht geboten ist        Erleichterung herrschte u. a. auch bei      reiche Reinigung und Desinfektion an.
– ein Grund sind die Virusvarianten.           den Mitarbeitern auf der Station B2 der         WKK-Geschäftsführer Dr. Martin Blümke
    „Gerade die Varianten werden uns ver-      Westküstenkliniken (WKK) in Heide, die          warnte zugleich vor Nachlässigkeiten bei
mutlich noch Kummer bereiten, weswegen         nach acht Monaten als COVID-Station mit         den Schutzmaßnahmen: „Die Schließung
z. B. die Maskenpflicht in der Klinik konse-   insgesamt 310 dort behandelten Patienten        der COVID-Station ändert nichts an unse-
quent beibehalten wird, auch wenn das Ar-      im Juni zur Behandlung allgemein-inter-         ren anderen Schutzmaßnahmen.“
beiten mit Maske gerade für die Mitarbei-      nistischer Patienten zurückkehren konnte.                                          (PM/RED)

Adipositas auf dem Vormarsch                                Neue Strahlentherapie für Reinbek

D                                                           I
     ie Zahl der adipösen Menschen in Schleswig-Hol-          n Reinbek soll eine neue Strahlentherapie entstehen, auf die sich das Kran-
     stein ist innerhalb von fünf Jahren um mehr als          kenhaus St. Adolf Stift und die angrenzende Radiologische Allianz verstän-
     30.000 auf zuletzt über 300.000 gestiegen. Diese         digt haben. Die Allianz, ein Zusammenschluss von 15 niedergelassenen
     Zahlen nannte die Barmer in ihrem Arztreport. Da-        Ärzten, investiert 18 Millionen Euro in einen Neubau auf einem klinikeige-
nach wurden 10,4 Prozent der schleswig-holsteinischen       nen Grundstück, das ihr in Erbpacht überlassen wird. Im geplanten Neubau
Bevölkerung wegen Adipositas (BMI über 30) von einem        über drei Geschosse sind eine ambulante Radiologie, eine nuklearmedizini-
Haus- oder Facharzt behandelt. 2014 betrug dieser An-       sche Behandlung und eine Strahlentherapie und -diagnostik von Patienten
teil 9,4 Prozent. Frauen erhalten die Diagnose häufiger     geplant, die in Abstimmung mit den Klinikärzten und niedergelassenen On-
als Männer. Schleswig-Holsteins Barmer-Chef Dr. rer.        kologen stattfinden soll. Bislang fahren Reinbeker Patienten laut Mitteilung
oec. Bernd Hillebrandt verwies auf die gesundheitlichen     des St. Adolf Stiftes für Strahlentherapien nach Hamburg oder Lübeck. In
Folgen sowie auf gesellschaftliche Ausgrenzung, die fett-   den Neubau wird außerdem ein histologisches Labor einziehen. Derzeit wer-
leibige Menschen nach seiner Beobachtung erfahren. Er       den die Bauanträge für den Neubau gestellt, mit der Realisierung rechnen die
                                                                                                                                                         Foto: WKK

hält es für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das Er-   Partner im kommenden Jahr. Zur Radiologischen Allianz zählen insgesamt
nährungswissen von Kindern zu fördern.          (PM/RED)   15 Standorte in und um Hamburg.                                     (PM/RED)
Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
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            Weniger Antibiotika                                                                                                        KURZ NOTIERT
                                                                                                                                       Ärztehaus für Jevenstedt
                                                                                                                                       Ein neues Ärztehaus in Jevenstedt (Kreis Rendsburg-
                                                                                                                                       Eckernförde) erhält eine Förderung in Höhe von 750.000
                                                                                                                                       Euro aus öffentlichen Mitteln. Diese Zusage gab das In-
                                                                                                                                       nenministerium des Landes Schleswig-Holstein. Ziel ist
                                                                                                                                       der Erhalt der ärztlichen Grundversorgung in der 3.000
                                                                                                                                       Einwohner-Gemeinde. Diese hat die inzwischen ge-
                                                                                                                                       schlossene Bankfiliale vor Ort erworben und will sie für
Foto: AOK

                                                                                                                                       den Betrieb von zwei Arztpraxen umbauen. Zwei Ärztin-
                                                                                                                                       nen, die dort ihre Praxen eröffnen möchten, konnten be-
            Verordnung von Medikamenten: Antibiotika sind rückläufig.
                                                                                                                                       reits gewonnen werden.                        (PM/RED)

            A
                ntibiotika-Verordnungen sind in Schleswig-Holstein stark rückläufig.
                Im vergangenen Jahr betrug der Rückgang gegenüber 2019 24,6 Prozent,
                teilte die AOK Nordwest mit. 2020 waren für alle GKV-Versicherten in                                                   Stellenwert der Versorgung steigt
                Schleswig-Holstein rund 740.000 Antibiotika-Verordnungen ausgestellt                                                   Bei einer Landtagsdebatte über die Gesundheitsversor-
            worden, ein Jahr zuvor waren es noch 981.000.                                                                              gung hat Landesgesundheitsminister Dr. rer. pol. Heiner
                Der Rückgang ist nicht allein pandemiebedingt, sondern lässt sich schon                                                Garg (FDP) seine Hoffnung geäußert, dass die Pandemie
            seit 2013 beobachten. Damals hatte es noch 1,25 Millionen Verordnungen in                                                  dazu beitragen wird, den Stellenwert und das Interesse
            Schleswig-Holstein gegeben. AOK-Vorstandschef Tom Ackermann will ei-                                                       an einer guten Gesundheitsversorgung dauerhaft zu er-
            nen zunehmend kritischeren Umgang insbesondere bei den Verordnun-                                                          höhen. Zu lange hat Gesundheitspolitik nach seiner An-
            gen für Kinder beobachtet haben. „Das ist eine positive Entwicklung, um der                                                sicht ein „Nischendasein gefristet“. Dass Schleswig-Hol-
            Neubildung von Resistenzen entgegenzuwirken“, so Ackermann. (PM/RED)                                                      stein bislang vergleichsweise gut durch die Pandemie ge-
                                                                                                                                       kommen ist, führte Garg u. a. auf „ein sehr leistungsstar-
                                                                                                                                       kes Gesundheitssystem mit hoch qualifiziertem Perso-
                                                                                                                                       nal“ zurück.                                    (PM/RED)
            © Matthias Tunger | getty images

                                                                                                                                       Großhansdorf investiert
                                                                                                                                       Die Lungenclinic Großhansdorf hat Pläne für einen
                                                                                                                                       Neubau des Bettenhauses vorgestellt. Das Haus rechnet
                                                                                                                                       mit einer öffentlichen Förderung in Höhe von 69 Milli-
                                                                                                                                       onen Euro. Ziel ist ein 2025 fertiggestelltes neues Betten-
                                                                                                                                       haus, das im laufenden Klinikbetrieb entstehen soll. An-
                                                                                                                                       stelle des früheren Schwimmbads mit Physiotherapie ist
                                                                                                                                       ein Forschungsgebäude geplant. Anfang 2022 erfolgt hier
                                                                                                                                       sowie am westlichen Ende des bestehenden Bettenhau-
                                                                                                                                       ses der erste umfangreiche Abriss, um Platz für den Neu-
                                                                                                                                       bau zu schaffen. Nach Fertigstellung des Neubaus wird
                                                                   Da kommt Freude auf!                                                im letzten Schritt das bestehende Bettenhaus abgerissen.
                                                                                                                                                                                        (PM/RED)
                                               Ein bisschen Arbeitserleichterung kann viel bewirken. Daher wird
                                               es Zeit, über eine Praxissoftware nachzudenken, die alle nötigen
                                               Funktionen bietet und trotzdem einfach zu bedienen ist. Welche                          Einsame Norddeutsche
                                               Software das ist? Na, medatixx: modern, funktional und mit                              Der Lockdown hat bei den Menschen Spuren hinter-
                                               Gute-Laune-Potenzial!
                                                                                                                                       lassen. Im März fühlten sich 46 Prozent der Norddeut-
                                               Damit auch Sie von einer effizienten Arbeitsweise profitieren                           schen, die von der TK befragt wurden, stark belastet –
                                               können, haben wir ein passendes Angebot geschnürt: Sie erhalten                         ein Jahr zuvor waren dies 40 Prozent. Wichtigste Belas-
                                               die Praxissoftware medatixx mit drei Zugriffslizenzen und die                           tungsfaktoren waren fehlende persönliche Treffen mit
                                               Online-Terminbuchung x.webtermin für 99,90 €* statt 144,90 €.                           Verwandten und Freunden (93 Prozent), Angst, dass sich
                                               Sparen Sie also ein Jahr lang jeden Monat 45,00 €.                                      Angehörige oder Freunde mit Corona infizieren könnten
                                               Sichern Sie sich das Gute-Laune-Angebot unter                                           (63 Prozent), Kita- und Schulschließungen (57 Prozent)
                                                                                                                                       sowie Stress am Arbeitsplatz (56 Prozent). 44 Prozent der
                                               gute-laune.medatixx.de                                                                  Norddeutschen fühlten sich einsamer als zuvor, bundes-
                                               * mtl./zzgl. MwSt. Mindestvertragslaufzeit 12 Monate. Die Aktion endet am 30.09.2021.
                                                                                                                                       weit sind dies nur 38 Prozent. Hinweise auf eine grund-
                                                 Angebotsbedingungen siehe shop.medatixx.de.                                           sätzliche Verschlechterung des Gesundheitszustands lie-
                                                                                                                                       fert der jüngste TK-Gesundheitsreport jedoch nicht.
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Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
8 T I T E LT H E M A                                                                                                  J U L I / AU G US T 2 0 2 1

Jeden Tag mehr als
1.000 neue Patienten
DIABETES    Epigenetik und Telemedizin sind die Themen zweier Lübecker Wissenschaftlerinnen,
mit denen sie Schleswig-Holstein beim Deutschen Diabetes Kongress vertreten haben. Vorgestellt
wurden auch neue Erkenntnisse über den Einfluss von Diabetes auf die Krebsentstehung.

A
       ktuell gibt es mindestens acht Mil-    gung (1.001 Erwachsene zwischen 18 und       das das Wechselspiel zwischen Genen und
       lionen Betroffene mit Diabetes in      70 Jahre, Befragung im April 2021) gaben     Umwelteinflüssen untersucht und dessen
       Deutschland“, erklärte Prof. Moni-     an, seit Beginn der Corona-Pandemie zu-      aktuelle Erkenntnisse Kirchner bei der vir-
       ka Kellerer, Präsidentin der Deut-     genommen zu haben. Im Schnitt liegt die      tuellen 55. Jahrestagung der DDG vorge-
       schen Diabetes Gesellschaft (DDG),     Gewichtszunahme bei 5,6 kg, bei den Be-      stellt hat.
       zu Kongressbeginn, etwa 95 Prozent     fragten mit ohnehin höherem Gewicht und          „Die menschlichen Gene haben sich
       von ihnen mit einem Typ-2-Diabetes. BMI über 30 sind es sogar 7,2 kg. Über-         in den letzten 100 Jahren kaum verändert.
Pro Tag kämen weit mehr als 1.000 Neu-        durchschnittlich häufig haben die 30- bis    Epigenetik wiederum ist flexibel und dy-
erkrankte hinzu, bis zum Jahr 2040 wer-      44-Jährigen (48 Prozent) Gewicht zugelegt.    namisch und reagiert schnell auf Umwelt-
de sich die Zahl der Diabeteserkrankun-      „Corona befeuert damit die Adipositas-Pan-    einflüsse und den individuellen Lebensstil.
gen voraussichtlich auf zwölf Millionen be- demie“, bilanzierte Ernährungsmediziner        Deswegen spielt die Lebensweise, also wie
laufen. „Das ist eine gewaltige Herausforde- Prof. Hans Hauner.                            wir uns ernähren und bewegen, eine gro-
rung für unser Gesundheitssystem. Schon           Und die wiederum wirkt sich auf die      ße Rolle bei der Diabetesentstehung“, er-
heute müssen pro Jahr mehr als 21 Milliar-    starke Zunahme von Typ-2-Diabetes aus        läutert die Forscherin im Interview (Seite
den Euro für Diabetes und seine Begleiter- – bei der jetzigen und bei späteren Gene-       11). Das betreffe heute jeden Einzelnen per-
krankungen ausgegeben werden – das Leid rationen. Die Zusammenhänge und wel-               sönlich und morgen die Nachkommen, so
                                                                                                                                                     Foto: Adobe STock Aunging

der Betroffenen ist damit noch gar nicht      chen Einfluss Lebensstilfaktoren auf die     Kirchner: „Eltern sollte klar sein, dass sich
berücksichtigt.“                              Entstehung von Diabetes haben können,        ihr Lebensstil auf die kommende Generati-
    Kurz nach dem Kongress hat die Tech-      untersucht Ernährungswissenschaftle-         on auswirkt; epigenetische Muster können
nische Universität München weitere be-        rin und Genetikerin Prof. Henriette Kirch-   über Mutter oder Vater weitergegeben wer-
denkliche Zahlen veröffentlicht: Rund 40      ner mit ihrem Team an der Universität Lü-    den.“ Dies beziehe sich insbesondere auf
Prozent der Teilnehmer einer Onlinebefra- beck. Epigenetik heißt das Forschungsfeld,       die Entwicklung von Typ-2-Diabetes.
Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
J U L I / AU G US T 2 0 2 1                                                                                                    T I T E LT H E M A 9

              Bisherigen Erkenntnissen zufolge nur we-        org/10.1111/pedi.13133), die wesentlichen Er-   Zu den erwachsenen Patienten: Einer Aus-
              nig mit Genetik oder Epigenetik zu tun hat      kenntnisse lauten:                              wertung der Universität Ulm zufolge lei-
             Typ-1-Diabetes, die häufigste Stoffwechse-        Große Akzeptanz: Von den circa 3.800           det inzwischen knapp jeder fünfte statio-
              lerkrankung im Kindesalter. Nach aktuel-          Videosprechstundenterminen wurden              näre Patient über 20 Jahre an Diabetes (doi:
              len Schätzungen leben in Deutschland etwa         nahezu alle wahrgenommen.                     10.3238/arztebl.m2021.0151). Analysiert
              32.000 Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre       Bessere Werte: Für die gesamte Kohorte        wurden Fallzahlen zwischen 2015 und 2017,
              mit der autoimmun bedingten Erkrankung.           zeigte sich nach einem Jahr eine signifi-      mehr als 18 Prozent der jeweils rund 16,5
              Die Erkrankungsrate steigt jedes Jahr um          kante und klinisch relevante Absenkung        Millionen stationär aufgenommenen Pati-
              drei bis vier Prozent, besonders kleine Kin-      des HbA1c.                                     enten hatten eine Haupt- oder Nebendiag-
              der sind von dem Zuwachs betroffen. „Wo-         Entlastung und Zufriedenheit: Insbeson-        nose Diabetes. Diabetes kommt im Kran-
              ran das liegt, wissen wir nicht“, sagt DDG-       dere Mütter wurden in der Therapie ent-        kenhaus nahezu doppelt so häufig vor wie
              Präsident Prof. Andreas Neu aus Tübingen.         lastet, signifikant steigende Therapiezu-      in der Gesamtbevölkerung – ein deutliches
             „Es gibt zwar Antikörper und andere Mar-           friedenheit der Eltern.                       Indiz für die hohe Morbidität. Unabhän-
              ker, die eine Vorhersage und Risikoabschät-                                                      gig vom Aufnahmegrund haben Menschen
              zung hinsichtlich der Diabetesentstehung                                                         mit Diabetes einen schlechteren Verlauf
              erlauben, bislang fehlen jedoch wirkungs-                                                        im Krankenhaus; die Krankenhaussterb-
             volle Strategien, die einen Ausbruch der Er-                                                      lichkeit ist bei Diabetikern um 32 Prozent
              krankung verhindern könnten.“                                                                    höher als in einer vergleichbaren Gruppe
                   Manchmal ist der Auslöser ein Infekt, in                                                    ohne Diabetes. Von den rund 3,1 Millionen
              anderen Fällen findet sich keine bestimm-                                                       Krankenhausfällen mit Diabetes im Jahr
              te Ursache, wenn ein bisher gesundes Kind                                                       2017 waren laut Studie mehr als 2,8 Milli-
              oder ein Jugendlicher plötzlich an Diabe-                                                        onen an einem Typ-2-Diabetes erkrankt.
              tes Typ 1 erkrankt. Wie allerdings moder-                                                       „Auffällig war, dass die Verweildauer und
              ne Diabetestechnologien Behandlungser-                                                           Sterblichkeit unter den Krankenhausfällen
              gebnisse verbessern können, wird seit Jah-                                                       mit Diabetes höher lag als bei denjenigen
              ren in der Kinderdiabetologie unter Beweis                                                       ohne Diabetes“, erklärt Prof. Reinhard W.
              gestellt. Die meisten jungen Patienten mit                                                      Holl aus Ulm. „Das verdeutlicht den erheb-
             Typ-1-Diabetes tragen ein Gerät zur konti-                                                        lichen stationären Versorgungsbedarf von
              nuierlichen Glukosemessung (CGM) und                                                             immer älter werdenden multimorbiden Di-
              eine Insulinpumpe bei sich. Die Daten von                                                        abetespatienten.“
              CGM-Systemen, Blutzuckermessgeräten                                                                  Mit dem Alter zunehmende Beschwer-
              und Insulinpumpen können unkompliziert                                                           den wie Herzkreislauferkrankungen, Nie-
              über eine App in eine Software hochgela-                                                         renschäden oder Demenz sind Folgen
              den und direkt statistisch vorausgewertet                                                        des Typ-2-Diabetes. Verantwortlich hier-
              sowie grafisch aufbereitet werden. Neue te-                                                      für sind neben den Stoffwechselstörun-
              lemedizinische Möglichkeiten, wie sie un-                                                        gen häufig chronische Entzündungsreakti-
              ter anderem in der Kinder- und Jugendme-                                                         onen. Dafür typische Entzündungsboten-
              dizin am UKSH in Lübeck seit mehreren           Dr. Simone von Sengbusch vom UKSH,               stoffe beeinträchtigen Organe oft so stark,
             Jahren angeboten werden, können die The-         Campus Lübeck, begrüßt die fortschrei-           dass sie nicht mehr ausreichend auf Insulin
              rapie weiter optimieren.                        tende Digitalisierung in der Diabetologie.       reagieren. In einer aktuellen Untersuchung
                   Die von Dr. Simone von Sengbusch ge-                                                        haben Wissenschaftler des Deutschen Di-
              leitete „Virtuelle Diabetesambulanz für                                                          abetes-Zentrums (DDZ) bei über 400 Pro-
              Kinder und Jugendliche“ (ViDiKi), eine          Ab April 2020 wurde die Studie fortge-           banden 74 Biomarker gemessen, die ein
             vom Innovationsfonds geförderte Stu-             führt und bezog auch neu erkrankte Kin-          breites Spektrum an Entzündungsprozes-
              die zur Erprobung der Videosprechstunde,        der ein. „Unsere ‚ViDiKi 2.0‘-Studie ende-       sen abdecken (doi.org/10.2337/db20-1054).
             wurde bereits vor der Corona-Pandemie            te im März 2021 und fand damit komplett         Damit lässt sich das Risiko für diabetesbe-
              erfolgreich getestet: Die Studie wurde von      während der Corona-Pandemie statt“, er-          dingte Komplikationen besser bestimmen.
             April 2017 bis März 2020 mit 240 Kindern         läutert von Sengbusch. Die Ergebnisse                Bereits zuvor hatten die Forscher im
              und Jugendlichen in Schleswig-Holstein          sollen in Kürze veröffentlicht werden. Ob       Rahmen der Deutschen Diabetes-Stu-
              und Hamburg durchgeführt (das Schles-           die Videosprechstunde in die Regelver-           die fünf Subgruppen von Diabetes mit un-
             wig-Holsteinische Ärzteblatt berichte-           sorgung überführt wird, entscheidet der          terschiedlichem Verlauf identifiziert: die
              te). Alle Teilnehmer erhielten über ein Jahr    Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA).               schwere Autoimmun-Diabetes (SAID), der
              monatliche Videosprechstunden durch ihr         Für die Kinderdiabetologin ist klar: „Die        schwere Insulinmangel-Diabetes (SIDD),
              Studienteam als ergänzende Leistung zur         jungen Patientinnen und Patienten wer-           der schwere insulinresistente Diabetes
              Regelversorgung in ihrer Diabetesambu-          den darauf nicht mehr verzichten wollen.        (SIRD), der moderate adipositasbeding-
              lanz. Danach konnten die Studienteilneh-        Das Diabetesmanagement ist mit der Vi-           te Diabetes (MOD) sowie der moderate al-
              mer noch bis zum Ende des Versorgungs-          deosprechstunde für Familien und The-            tersbedingte Diabetes (MARD).
              zeitraums weiter Telemedizin nutzen, im         rapeuten viel einfacher geworden. Letzt-             Die aktuelle Studie zeigt, dass sich die-
              Schnitt waren das zweieinhalb Jahre.            endlich ist genau das die moderne Medi-          se Subgruppen nicht nur hinsichtlich Al-
Foto: UKSH

                   Im vergangenen Oktober hat die Ober-       zin, die zur hochdigitalisierten Therapie        ter und Stoffwechseleigenschaften unter-
              ärztin die Ergebnisse veröffentlicht (doi.      passt.“                                          scheiden, sondern auch bezüglich der Bio-
Diabetes - Ärztekammer Schleswig-Holstein
10 T I T E L T H E M A                                                                                                  J U L I / AU G US T 2 0 2 1

 marker der Entzün-                                                                                                 sellage kann direkt
 dung. Die höchsten                                                                                                 Einfluss auf eine Tu-
 Blutspiegel wurden in                                                                                              morzelle nehmen und
 der Subgruppe SIRD                                                                                                 den weiteren Verlauf
 beobachtet, die durch                                                                                              auf molekularer Ebe-
 ausgeprägte Insulinre-                                                                                             ne bestimmen.“
 sistenz gekennzeich-                                                                                                   Weitere Studien
 net ist; die Subgruppe                                                                                             müssten unter ande-
 SIDD, die vor allem                                                                                                rem ergründen, wie
 durch Insulinmangel                                                                                                der systemische Stoff-
 geprägt ist, wies die                                                                                              wechsel mit dem Tu-
 niedrigsten Biomar-                                                                                                morstoffwechsel zu-
 ker-Spiegel auf. „Es                                                                                               sammenhängt und
wird noch einige Jah-                                                                                               ob der Stoffwechsel
 re dauern, bis wir aus                                                                                             das Tumorwachstum
 diesen Erkenntnissen                                                                                               nicht nur beschleu-
 eine konkrete Emp-                                                                                                 nigen, sondern auch
 fehlung für die Dia-                                                                                               initiieren kann. „Ge-
 betestherapie ableiten                                                                                             nauso wichtig ist,
 können, aber die Er-                                                                                               Menschen mit Dia-
 gebnisse sind für Dia-                                                                                             betes über ihr erhöh-
 betes-Komplikationen und ihr Verständnis       und zu Tumoren führen“, erklärte der Mo-     tes Krebsrisiko aufzuklären und ihnen Prä-
 äußerst relevant“, sagt Dr. Christian Herder   lekularbiologe. Darüber hinaus laufen so-    ventions- und Früherkennungsangebote
 aus dem DDZ. Zukünftige Studien müss-          wohl bei Übergewicht als auch bei Diabetes   aufzuzeigen“, betont Herzig. Früh erkannt
 ten untersuchen, inwieweit Unterschiede        die oben beschriebenen chronischen Ent-      seien viele Krebsarten und ihre Vorstufen
 in den Profilen der entzündungsbezogenen       zündungsprozesse in verschiedenen Orga-      mittlerweile gut behandelbar.
 Biomarker die Unterschiede zwischen den        nen ab, die ebenfalls das Tumorwachstum          Auch über die Zusammenhänge zwi-
 Diabetes-Subgruppen hinsichtlich ihres Ri-     beschleunigen können. Auch bestimmte         schen Diabetes und COVID-19 ist inzwi-
 sikos, diabetesbedingte Komplikationen zu      Fettgewebshormone, die bei Übergewicht       schen mehr bekannt; sie waren ebenfalls
 entwickeln, erklären können.                   vermehrt aus dem Fettgewebe freigesetzt      Thema beim virtuellen DDG-Kongress. Di-
     Diabetiker haben ein höheres Risiko für    werden, spielen bei der Tumorprogression     abetiker haben ein höheres Risiko für ei-
 eine Krebserkrankung, von der in Deutsch-      eine Rolle. In Studien konnte gezeigt wer-   nen schweren COVID-19-Verlauf. Meta-
 land jährlich etwa 510.000 Menschen neu        den, so Herzig, dass das Fettgewebshor-      analysen haben gezeigt, dass männliches
 betroffen sind. Epidemiologische Untersu-      mon Leptin den Fettstoffwechsel in Brust-    Geschlecht, Alter über 65 Jahre, hohe Blut-
 chungen haben eine klare Risikobeziehung       krebszellen verändern und dadurch die Tu-    glukosespiegel zum Zeitpunkt der Einliefe-
 zwischen Übergewicht und Tumorerkran-          moraggressivität sowie die Metastasierung    rung ins Krankenhaus, die chronische Be-
 kungen der Gebärmutter, der Speiseröhre,       steigern kann. „Das bedeutet, die Körper-    handlung mit Insulin sowie bestehende Be-
 der Leber, der Bauchspeicheldrüse und des      umgebung in einer bestimmten Stoffwech-      gleiterkrankungen wie Herz-Kreislauf-Er-
 Darms aufgezeigt, wie Prof. Stephan Her-                                                    krankungen oder Nierenerkrankungen als
 zig, Direktor des Helmholtz Diabetes Cen-                                                   Risikofaktoren für einen schweren CO-
 ters München, während des Kongresses er-                                                    VID-19-Verlauf gelten. Andererseits zeig-
 läuterte. Je nach Studie findet man ein bis
 zu vierfach höheres Risiko zum Beispiel für
                                                Info                                         ten die Analysen, dass eine dauerhafte Met-
                                                                                             formintherapie mit einem reduzierten Risi-
 Leberkrebs. „Bei Menschen mit Typ-2-Di-        In Deutschland gibt es nach Angaben der      ko für einen schweren COVID-19-Verlauf
 abetes kann man von einem bis zu 1,7-fach      Deutschen Diabetes Gesellschaft rund         einherging.
 erhöhten Risiko für bestimmte Tumorar-         1.100 diabetologische Schwerpunktpra-            Darüber hinaus gibt es erste Erkennt-
 ten ausgehen“, so Herzig. „Das sind Brust-,    xen, 4.266 Diabetologen, 5.050 Diabe-        nisse, dass auch eine SARS-CoV-2-Infekti-
 Darm-, Harnblasen- und Bauchspeichel-          tesberater, etwa 8.570 Diabetesassisten-     on eine Diabeteserkrankung auslösen kann.
 drüsenkrebs, bei einer entsprechenden fa-      ten, 3.520 Wundassistenten sowie 300         Verschiedene Studien haben gezeigt, dass
 miliären Vorbelastung gilt auch ein erhöh-     stationäre Einrichtungen mit einer An-       bei bis zu 15 Prozent der hospitalisierten
 tes Risiko für Darmkrebs.“                     erkennung für Typ-1- und Typ-2-Diabe-        Patienten mit COVID-19 in der Folge ein
     Die Gründe für diese Risikobeziehung       tes (Stand 2/21). Ein Hausarzt betreut im    neu aufgetretener Diabetes diagnostiziert
 sind vielfältig: Menschen mit Prädiabetes      Schnitt etwa 100 Patienten mit Diabe-        wurde. Ganz offensichtlich infizieren die
 und einem unerkannten Typ-2-Diabetes           tes, davon zwei bis fünf Typ-1-Diabetiker.   Coronaviren die Beta-Zellen der Bauch-
weisen häufig eine Insulinresistenz auf, die    Rund die Hälfte der Typ-2-Diabetiker         speicheldrüse und beeinträchtigen deren
 ihr Körper mit einer vermehrten Hormo-         wird ohne Medikamente (Ernährungs-           Funktion. Ob sich der Zuckerstoffwechsel
                                                                                                                                                       Foto: Adobe sTock dizain

 nausschüttung zu kompensieren versucht.        umstellung, Gewichtsabnahme, Schulung        nach abgeklungener Infektion wieder nor-
 Insulin fördert aber auch das Zellwachstum.    und Bewegung) behandelt, 40 bis 50 Pro-      malisiert oder aber der Diabetes chronifi-
„Somit können Körperzellen mit einem ge-        zent erhalten blutzuckersenkende Tab-        ziert, darüber gibt es noch keine abschlie-
 netischen Defekt, der eine entgleiste Zell-    letten, mehr als 1,5 Millionen werden mit    ßenden Erkenntnisse.
 teilung bewirkt, noch schneller wachsen        Insulin behandelt.                                                      Uwe Groenewold
J U L I / AU G US T 2 0 2 1                                                                                                T I T E L T H E M A 11

             „Schaltfehler im Erbgut“
             INTERVIEW     Die Ernährungswissenschaftlerin und Genetikerin Prof. Henriette
             Kirchner untersucht mit ihrem Team am Center of Brain, Behavior and Metabo-
             lism der Universität Lübeck, welchen Einfluss Lebensstilfaktoren auf die Entste-
             hung von Diabetes haben. Unser Autor Uwe Groenewold befragte sie.

             Frau Prof. Kirchner, warum erkrankt eine                                                      denz für Diabetes so stark zunimmt, ohne
             Person an Diabetes? Sind es die Gene oder                                                     dass sich die Gene verändert haben.
             trägt eher die ungesunde Lebensweise zur
             Entstehung bei?                                                                               Können Sie das an einem Beispiel erläu-
                 Prof. Henriette Kirchner: Im Fall                                                         tern?
             des Typ-2-Diabetes, also des nicht insu-                                                          Kirchner: Auswirkungen verschiedener
             linpflichtigen und am weitesten verbrei-                                                      Hungersnöte sind gut dokumentiert, etwa
             teten Diabetes, lautet die Antwort: so-                                                       die aus dem Hungerwinter 1944 in den Nie-
             wohl als auch. Die genetische Prädisposi-                                                     derlanden. Durch die proteinarme Mange-
             tion liegt für Typ-2-Diabetes zwischen 30                                                     lernährung, der schwangere Frauen damals
             und 50 Prozent. Somit hat man eine bis zu                                                     ausgesetzt waren, hatten die Nachkommen
             50-prozentige Chance, einen Typ-2-Diabe-                                                      ein höheres Risiko für Typ-2-Diabetes und
             tes zu entwickeln, wenn ein Elternteil eben-                                                  koronare Herzerkrankungen. Bei ungesun-
             falls betroffen ist. Allerdings wurden bis-                                                   dem Lebensstil geben diese ein wiederum
             lang noch keine Gene identifiziert, die ei-                                                   schlechteres epigenetisches Profil an ihre
             nen großen Effekt auf die genetische Verer-                                                   Nachkommen weiter – ein Teufelskreis und
             bung des Typ-2-Diabetes haben.                                                                wahrscheinlich ein wichtiger Grund für die
                                                                                                           Epidemie an Typ-2-Diabetes und Überge-
             Aber es gibt aktuelle Erkenntnisse aus der                                                    wicht.
             Genetik?                                       Prof. Dr. rer. nat. Henriette Kirchner
                 Kirchner: Neueste genomweite Asso-                                                        Ist es auch möglich, dass Genetik und Epi-
             ziationsstudien zeigen, dass ungefähr 450      selrelevant sind – im Muskel, im Fettgewe-     genetik zusammentreffen?
             genetische Positionen mit Typ-2-Diabe-         be, in der Leber, in der Bauchspeicheldrüse.        Kirchner: Dazu gibt es inzwischen ers-
             tes assoziiert sind. Einige davon beeinflus-                                                  te Erkenntnisse. So wurde vor Kurzem ein
             sen besonders die Genexpression in den in-     Was hat das mit unserer Lebensweise zu         komplexes Netzwerk identifiziert, das die
             sulinproduzierenden Beta-Zellen und ver-       tun?                                           Genexpression eines wichtigen Bestand-
             mindern somit deren Funktionsfähigkeit.            Kirchner: Die menschlichen Gene ha-        teils des Insulinrezeptors in der Leber über
             Andere genetische Risikovarianten verrin-      ben sich in den letzten 100 Jahren kaum        einen genetischen Polymorphismus herun-
             gern direkt die Insulinproduktion, indem       verändert. Epigenetik wiederum ist flexi-      terreguliert. Diabetes, so viel scheint klar,
             sie die Expression des Gens für Insulin und    bel und dynamisch und reagiert schnell auf     ist eine Art Schaltfehler im Erbgut. Natür-
             wichtige Co-Faktoren beeinträchtigen.          Umwelteinflüsse und den individuellen Le-      lich können Genetik und Epigenetik allein
                                                            bensstil. Deswegen spielt die Lebenswei-       nicht vollständig erklären, wie oder warum
             Genetik ist die eine Seite, Epigenetik die     se, also wie wir uns ernähren und bewe-        Diabetes entsteht; aber sie tragen einen gro-
             andere. Bitte erklären Sie kurz den Zu-        gen, eine große Rolle bei der Diabetesent-     ßen Teil dazu bei.
             sammenhang.                                    stehung.
                  Kirchner: Es gibt eine Vererbung des                                                     Gibt es abschließend auch gute Nachrich-
             Diabetesrisikos, die epigenetisch vermittelt   Und welchen Einfluss hat das Verhalten         ten?
             ist. Epigenetik beeinflusst die Genexpressi-   der Eltern auf die Nachkommen?                     Kirchner: Epigenetische Veränderun-
             on, also ob ein Gen verstärkt an- oder aus-        Kirchner: Eltern sollte klar sein, dass    gen können rückgängig gemacht werden,
             geschaltet wird. Epigenetische Mechanis-       sich ihr Lebensstil auf die kommende Ge-       das ist durch Studien in Zellkulturen und
             men stellen das Bindeglied zwischen Ge-        neration auswirkt; epigenetische Muster        Mausmodellen gut belegt. Ein diätetischer
             nen und Umwelt dar, weil sie je nach Art       können über Mutter oder Vater weiterge-        Gewichtsverlust verändert das epigeneti-
             der aktuellen Umwelteinflüsse die Genak-       geben werden. In diesem Forschungsge-          sche Muster, eine Bewegungstherapie wirkt
             tivität beeinflussen können. Epigenetische     biet wurden in den vergangenen Jahren vie-     sich auf den Muskel aus und wirkt damit
             Veränderungen, die Typ-2-Diabetes aus-         le Erkenntnisse gewonnen, die generati-        der Insulinresistenz entgegen.
Foto: UKSH

             lösen können, finden wir bei Personen mit      onsübergreifende epigenetische Vererbung
             Diabetes in allen Organen, die stoffwech-      könnte erklären, warum die globale Inzi-                  Vielen Dank für das Gespräch.
12 G E S U N D H E I T S P O L I T I K                                                                                   J U L I / AU G US T 2 0 2 1

Mobile Teams schließen
die Impflücken
IMPFEN    In zahlreichen Orten in Schleswig-Holstein gibt es derzeit Impfangebote
in einzelnen Stadtteilen, in denen Menschen unter beengten Wohnverhältnissen
leben. Bis 14. Juli sollten die Erstimpfungen abgeschlossen sein, ab 15. Juli erfolgt
die zweite Impfung. Erstes Fazit: Die Angebote stoßen auf große Resonanz.

Hoher Andrang zu Beginn der Impfaktion in Glückstadt.

A
        n den vom Städteverband Schleswig-     nach fünfwöchigem Einsatz mit den Er-          gel kein Home-Office, weil der Platz nicht
        Holstein initiierten Impfaktionen      stimpfungen in den Stadtteilen fertig sein,    reicht oder die Arbeit es nicht zulässt.
        beteiligen sich auch kleinere Orte     derzeit starten die Zweitimpfungen.                 Solche Viertel gibt es in den Städten
        wie Leck, Niebüll oder Glückstadt.          Der Erfolg deutete sich schon zum Start   Kiel, Neumünster, Lübeck und Flensburg,
        Nach den ersten zwei Wochen fielen     der Aktion an: Am ersten Tag, dem 10. Juni,    aber auch in der Provinz. Genau diese Vier-
        die Resümees positiv aus. „Es kom-     war Glückstadt einer der ersten aufgesuch-     tel sind das Ziel der gemeinsamen Initia-
        men nicht nur genügend Menschen,       ten Orte. Ab 7:30 Uhr stellten sich dort die   tive von Städteverband und Landesregie-
sondern auch die aus der angestrebten Ziel-    ersten Menschen für die Impfung ohne           rung. Für die Quartiersimpfungen haben
gruppe“, sagte der zuständige Dezernent        Termin an. Ganz vorn stand Marion Bohl-        Kommunen und kreisfreie Städte Viertel
beim Städteverband Schleswig-Holstein,         mann, die wegen einer Erkrankung Priori-       benannt, die von mobilen Impfteams, von
Peter Krey, auf Nachfrage des Schleswig-       tätsgruppe zwei ist und bis dahin mit einem    der KV gesteuert, angefahren werden – laut
Holsteinischen Ärzteblattes.                   Impftermin keinen Erfolg hatte. In zwei        Landesregierung insgesamt rund 50. Die
    Landesgesundheitsminister Dr. rer.         Arztpraxen stand sie auf der Warteliste und    Befürchtung mancher Kommunen, dass
pol. Heiner Garg (FDP), der sich bei einer     über die zentrale landesweite Hotline hat-     Menschen aus anderen Regionen kommen
Impfaktion im Rendsburger Stadtteil Mast-      te sie es mehrfach vergeblich versucht. Nun    und diejenigen, für die dieses Angebot ge-
brook informierte, war begeistert. „Wir set-   wartete sie vor den Räumen der Diakonie        dacht ist, nicht zum Zuge kommen könn-
zen damit ein Zeichen, dass wir Impflücken     in Glückstadt Nord, damit sie an diesem        ten, erwies sich als unbegründet.
schließen können“, sagte Garg. Insgesamt       Tag die ersehnte Impfung gegen Corona er-           Viele der Menschen, die über die Akti-
stellte das Land 14.000 Impfdosen zur Ver-     halten konnte. Die frühere MFA wohnt in        on erreicht werden, haben allen Grund, die
fügung, die nur von den mobilen Teams bei      einem Stadtteil mit vielen Wohnblocks,         Impfung herbeizusehnen. Renate Harbe-
den Stadtteilimpfungen verimpft werden         zum Teil in beengten Verhältnissen. Men-       cke etwa saß zum Impfstart in Glückstadt
können. Laut Planung sollten sie Mitte Juli    schen, die hier wohnen, haben in aller Re-     stundenlang geduldig in der prallen Son-
J U L I / AU G US T 2 0 2 1                                                                                        G E S U N D H E I T S P O L I T I K 13

                                                                                                            danach noch Kinder bekommen, wann be-
                                                                                                            komme ich die zweite Impfung und muss
                                                                                                            das jetzt jedes Jahr sein?“ – klassische Fra-
                                                                                                            gen, die jedes Impfteam kennt und seit Jah-
                                                                                                            resbeginn mehrfach beantwortet hat.
                                                                                                                Nachdem das Team gestartet war, lief es
                                                                                                            in Glückstadt, die Warteschlange wurde ab-
                                                                                                            gearbeitet. Die Stadt erinnerte in den Fol-
                                                                                                            getagen über die sozialen Medien an die
                                                                                                            Impfaktion. Denn eine der Herausforde-
                                                                                                            rungen war es wie an jedem Standort, täg-
                                                                                                            lich die mitgeführte Menge an Impfdosen
                                                                                                            auf die Nachfrage abzustimmen.
                                                                                                                Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits 1,6
                                                                                                            Millionen Schleswig-Holsteiner ihre Er-
                                                                                                            stimpfung erhalten hatten und ein gewisser
                                                                                                            Gewöhnungseffekt mit der Gesamtsituati-
                                                                                                            on eingesetzt hatte, bleibt die Impfung für
            Die frühere MFA Marion Bohlmann in der Warteschlange in Glückstadt.                             den Einzelnen ein wichtiger Moment. Ärz-
                                                                                                            tin Lea Otte, die in Rendsburg im Einsatz
            ne, ohne ihre gute Laune zu verlieren. Die      erhielt, spürte man in der Warteschlan-         war, berichtete von der großen Freude der
            60-Jährige hatte Familienmitglieder mitge-      ge die Erleichterung – es ging voran. Je-       Menschen, die sich dort impfen ließen.
            bracht, viele von ihnen haben chronische        der in der Warteschlange hatte seine ei-            Parallel zu den Stadtteilimpfungen star-
            Erkrankungen wie MS, Diabetes und Mor-          gene Geschichte: etwa die Frau, die stän-       tete das Land Schleswig-Holstein in den
            bus Crohn.                                      dig von ihrem schon geimpften Partner in        Impfzentren Lübeck, Neumünster und Hu-
                „Wir halten uns selbstverständlich an       den Arm genommen werden musste, weil            sum am 11. Juni Sonderimpfaktionen ohne
            alle Regeln. Aber jetzt ist es Zeit, dass wir   sie grundsätzlich panische Angst vor Sprit-     Impftermine für jedermann, eine Aktion,
            geimpft werden“, sagte Harbecke. Verständ-      zen hat. „Es ist nicht die Impfung – die will   die anschließend auf weitere Standorte aus-
            lich wäre ein „endlich“, aber das benutzte      ich. Aber die Spritze…“, versuchte sie ihre     gedehnt wurde. Zu diesen Sonderaktionen
            sie nicht. So wie Harbecke und Bohlmann         Ängste zu erklären.                             wurde der Impfstoff von AstraZeneca ve-
            warteten die Menschen in einer Schlange,            Ismani ist damit vertraut. Er nahm die      rimpft, in Glückstadt-Nord und anderen
            die schnell auf fast 100 anwuchs. Ihre Ge-      Ängste der Impfwilligen ernst, fragte nach      Stadtteilen waren es die von BiontechPfizer
            duld und entspannte Haltung passte nicht        den Gründen, verwies ruhig auf den kaum         und Moderna.
            zu den Meldungen über manche aggressi-          zu spürenden Impfvorgang und schaffte es            Garg hatte beim Besuch in Rendsburg
            ven Menschen, die ihrer Enttäuschung über       ohne Probleme, dass auch diese Frau sich        schon mögliche weitere Aktionen im Blick:
            ausbleibende Impftermine Luft in Arztpra-       impfen ließ – und hinterher spürbar er-         Bis Ende des Sommers, so hoffte er Ende
            xen verschafften.                               leichtert und froh war.                         Juni, sollten möglichst auch Mitarbeiter
                In den Räumen der Diakonie organi-              Bei den Aufklärungen erwarteten Isma-       in Kindertagesstätten, Schulen und Hoch-
            sierte ein eingespieltes Impfteam die Abläu-    ni keine Fragen, die ihm noch nicht gestellt    schulen noch solche Angebote erhalten.
            fe. Arzt Florent Ismani und Pflegedienstlei-    wurden: „Wie gefährlich ist das, kann ich                                      Dirk Schnack
            terin Lisa Kliemann hatten schon bei mobi-
            len Impfungen in den Pflegeheimen zusam-
            mengearbeitet, ihnen stand an diesem Tag
            Krankenschwester Heike Eickhoff-Jasper
            aus dem Impfzentrum in Itzehoe zur Seite.
            Die drei wissen, worauf es ankommt: Erst
            müssen die Abläufe in den Räumen durch-
            gesprochen sein, damit es anschließend si-
            cher und schnell gehen kann.
                Weil es Ismani doch etwas zu beengt
            zuging, wurde kurzerhand ein angrenzen-
            der Raum – eigentlich eine kleine Gaststät-
            te – desinfiziert und für die Impfungen her-
            gerichtet. Die Glückstädter schafften auch
            das: Ordnungsamt, Feuerwehr, Menschen
            aus der Verwaltung und der Security arbei-
            teten Hand in Hand für die auf eine Woche
            angesetzten Impfungen, die täglich, auch
            am Wochenende stattfanden.
Fotos: Di

                Als Marion Bohlmann schließlich nach
            vier Stunden Wartezeit die erste Impfung        Arzt Florent Ismani bei der Aufklärung einer Patientin in Glückstadt.
14 G E S U N D H E I T S P O L I T I K                                                                                    J U L I / AU G US T 2 0 2 1

Ärzte wissen um die
Leistungen der MFA
ABGEORDNETENVERSAMMLUNG             Mitte Juni wurde in Schleswig-Holsteins
Arztpraxen auf Hochtouren geimpft. Das Thema stand auch im Mittelpunkt
der jüngsten KV-Abgeordnetenversammlung in Bad Segeberg.

A
        uf der einen Seite massive Fortschrit-   insgesamt 1.530 impfenden Arztpraxen           Rechts- und Haftungsunsicherheiten für
        te beim Impfen, auf der anderen Sei-     in Schleswig-Holstein, von denen „er-            die impfenden Ärzte.
        te immer wieder neue Probleme, die       staunlich viele parallel mit drei Impf-        Bis über die Grenze belastetes Personal in
        in den Medien bisweilen Dimensi-         stoffen unterwegs sind“, wie Schliffke be-       den Praxen.
        onen annahmen, die ihrem tatsäch-        richtete. Welchen Anteil die Praxen an        Schliffke sagte über die Medizinischen Fa-
        lichen Ausmaß nicht entsprachen:         den durchgängig deutlich unter Bun-           changestellten (MFA): „Wir haben gro-
        Schleswig-Holsteins KV-Vorstands-        desdurchschnitt liegenden Inzidenzen          ßen Respekt vor dem, was diese jetzt leis-
vorsitzende Dr. Monika Schliffke jeden-          im Norden haben, darüber spekulierte          ten. Wir haben kein Verständnis, dass man
falls beobachtete zwischen den realen Fort-      Schliffke zwar nicht. Fest steht aber, dass   sie bei Sonderzahlungen für Pflegekräfte
schritten beim Impfen und der medialen           die Arztpraxen die Fortschritte trotz         übergangen hat und wir hoffen alle, dass sie
Berichterstattung einen gewaltigen Unter-        exogener Probleme ermöglichen konn-           durchhalten.“
schied. Auf der einen Seite hatte innerhalb      ten. Einen Teil dieser Probleme sprach             Dass diese Haltung nicht nur für Haus-
eines Zeitraums von einem halben Jahr je-        Schliffke an:                                 ärzte gilt, unterstrich in der anschließen-
                                                                                               den Diskussion u. a. der in Bad Segeberg
                                                                                               niedergelassene Vorsitzende des Berufs-
                                                                                               verbandes der Augenärzte, Dr. Bernhard
                                                                                               Bambas. Er machte deutlich, dass er und
                                                                                               seine Kollegen sich von der Politik Wert-
                                                                                               schätzung für die MFA in Form eines Bo-
                                                                                               nus gewünscht hätten. Ähnlich hatten sich
                                                                                               in den Wochen zuvor weitere ärztliche Or-
                                                                                               ganisationen wie etwa die Ärztegenossen-
                                                                                               schaft Nord geäußert. Bis zum Redaktions-
                                                                                               schluss blieb diese Forderung auf Bundes-
                                                                                               ebene allerdings unerfüllt.
                                                                                                    Schliffke sprach aber auch an, was gut
                                                                                               lief: Neben der Leistung der Praxen zum
                                                                                               Beispiel die Abstimmung zwischen den
                                                                                               Akteuren innerhalb Schleswig-Holsteins.
                                                                                               Schliffke hob in diesem Zusammenhang
Der Vorstand der KV Schleswig-Holstein, Dr. Monika Schliffke und Dr. rer. nat. Ralph           auch die Kommunikation mit dem Lan-
Ennenbach , berichtete über Fortschritte und Probleme beim Impfen gegen Corona in              desgesundheitsministerium hervor und
Schleswig-Holstein. Ihr Urteil: „Wir sind gut.“ Unzufrieden sind Ärzte dagegen, weil den       sie betonte noch einmal ausdrücklich, dass
MFA im Gegensatz zu Pflegekräften ein Bonus nicht gewährt wird.                                die Knappheit an Impfstoffen – und damit
                                                                                               die wesentliche Ursache von vielen Proble-
der zweite Deutsche mindestens die Er-            Druck und zum Teil übersteigerte Erwar-     men der zurückliegenden Monate – nicht
stimpfung gegen Corona erhalten.. Auf der          tungshaltung der Öffentlichkeit.            im Handeln von Akteuren aus Schleswig-
anderen Seite bestimmen stets neue Proble-       Ungeduldige und in Ausnahmefällen           Holstein begründet sei.
me und vermeintliche Skandale die Nach-            auch aggressiv auftretende Patienten.            Bei der Aufarbeitung der Probleme
richten. Schliffkes Urteil über die geleiste-     Fehlende Planungsmöglichkeiten als Fol-     konnte ein Thema, das erst wenige Tage
te Arbeit der Ärzte beim Impfen wurde von          ge nicht eingehaltener Lieferungen.         vor der Versammlung publik wurde, nicht
der negativen Stimmung in den Medien je-         Hoher Organisationsaufwand für die          unerwähnt bleiben: die Vergütung für das
denfalls nicht getrübt. Für die KV-Chefin          Vergabe der Impftermine, weil nicht alle    Ausstellen von digitalen Impfzertifikaten,
steht fest: „Wir sind gut.“                        Patienten Termintreue zeigten.              die Mitte Juni fast ausschließlich von Apo-
    Diese Zwischenbilanz zog sie für die          Kommunikationsfehler über die Vek-          theken geleistet wurde. Fast unmittelbar,
                                                                                                                                                        Foto: Di

Impfzentren, die mobilen Teams und die             torimpfstoffe.                              nachdem die Nord-KV auf eine nach ih-
J U L I / AU G US T 2 0 2 1                                                                                        G E S U N D H E I T S P O L I T I K 15

                                                          Ohne Liste + Anrufe
           rer Ansicht unstimmige Relation zwischen
           dem Honorar für das Impfen selbst (20
           Euro) und dem vom Aufwand her kaum
           zu vergleichenden Ausstellen des digitalen

                                                          zum Impftermin
           Zertifikats (18 Euro) aufmerksam gemacht
           hatte, hatte Bundesgesundheitsminister
           Jens Spahn (CDU) die Absenkung dieser
           Vergütung auf sechs Euro angekündigt –
           eine erstaunliche Differenz. KV-Vorstand
           Dr. rer. nat. Ralph Ennenbach sprach in
           diesem Zusammenhang von einem „Bu-
                                                          TERMINMANAGEMENT             Impftermine online vergeben,
           benstück“, weil das Ausstellen des Impfzer-    statt sie über Telefon zu vereinbaren: Mit dieser Lösung
           tifikats zuvor schwer an Leistungserbrin-      hat sich eine üBAG in Mitteholstein viel Stress erspart.
           ger vermittelbar gewesen sei. „Ein fantasti-
           scher Bluff, wenn das vorher geplant war“,
           sagte Ennenbach. Lieber wäre ihm aller-                                                        sagte Lawrenz. Grund: Viele Patienten
           dings gewesen, wenn die unstimmige Re-                                                         kümmerten sich über mehrere Kanäle um
           lation durch eine Anhebung des Honorars                                                        einen Impftermin und sagten oft nicht ab.
           für den Impfaufwand angeglichen wor-                                                           Den Praxen erschwerte dies die Organisati-
           den wäre.                                                                                      on, weil sie oft erst, wenn sie den Patienten
                Unsicherheit herrschte zum Zeitpunkt                                                      telefonisch erreicht hatten und einbestellen
           der Versammlung noch über die Frage,                                                           wollten, erfuhren, dass dieser den Termin
           wie es mit dem Impfen weitergeht. Folgen-                                                      nicht mehr benötigte.
           de Faktoren spielen hierbei – neben den                                                            Weil die Vollstedter Praxis für die inter-
           Schwankungen in der Impfstofflieferung –                                                       ne Verwaltung mit dem System „Termini-
           eine Rolle:                                                                                    ko“ des Hamburgers Niko Boese arbeitet,
            Mitte Juni warteten noch rund eine Mil-                                                      nahm Lawrenz Kontakt zu ihm auf. Boese
              lion Schleswig-Holsteiner auf ihre erste                                                    bietet auch ein Programm zur Online-Ter-
              Impfung.                                                                                    minvergabe unter dem Namen „Terminico“
            Die urlaubsreifen Praxisteams werden                                                         an, das sich mit einem Zusatzmodul nur für
              die hohe Schlagzahl der vergangenen                                                         das Impfen ergänzen lässt. Dieses Modul
              Monate während der Ferienzeit vermut-                                                       kann zum Beispiel von einem Webdesigner
              lich etwas reduzieren müssen.                                                               in die Praxis-Website eingebunden werden.
            Fehlende verlässliche wissenschaftliche      Robert Lawrenz                                  Für die Freischaltung reichte dann ein Tele-
              Studien zur Frage, ab wann eine Auffri-                                                     fonat zwischen Boese und Lawrenz.

                                                          B
              schungsimpfung erforderlich sein wird.                                                          Neben der Lizenzgebühr in Höhe von
           Die vielen Unsicherheiten und Probleme                 is zu 800 Menschen standen in der       200 Euro für das Modul und den Stunden-
           könnten auch dazu führen, dass nicht jede              überörtlichen Beraufsausübungsge-       sätzen für die Arbeitsstunden fielen keine
           impfende Arztpraxis dieses Angebot auf-                meinschaft (üBAG) mit Standorten        weiteren Kosten für die Praxis an. Termini-
           rechterhält. Der Kieler Abgeordnete Wolf-              in Groß Vollstedt, Nortorf und Au-      co wird nach Angaben Boeses von rund 40
           gang Schulte am Hülse befürchtet, dass                 krug zwischenzeitlich auf einer War-    Arztpraxen im deutschsprachigen Raum
           manche Kollegen die Regelversorgung be-                teliste, um sich impfen zu lassen.      genutzt, von denen bis Mitte Juni erst acht
           droht sehen und deshalb beim Impfen aus-               Zwei externe Mitarbeiterinnen wur-      das Zusatzmodul für das Impfen einsetzten.
           steigen: „Viele werden die Faxen dicke ha-     den zusätzlich benötigt, um die Termine zu      Auch einige größere Unternehmen bieten
           ben.“ Erschwert wird die Situation weiter      koordinieren. Für die Vereinbarung von 80       Lösungen für die Online-Terminvergabe.
           durch die mangelnde Wertschätzung für          Impfterminen mussten 600 Telefonate ge-             Für die Patienten ist das Einbuchen ein-
           die Vektorimpfstoffe. Allgemeinmediziner       führt werden.                                   fach: Auf der Praxis-Website werden sie
           Jörg Schulz-Ehlbeck (Neumünster) berich-            Im Juni nahm der Stress am Standort        auf das Modul geführt, wo sie ihre per-
           tete, dass er kürzlich erstmals zwei Impf-     Groß Vollstedt deutlich ab, nachdem Pra-        sönlichen Daten eingeben und sich für ei-
           dosen trotz vielfacher Bemühungen nicht        xispartner Robert Lawrenz eine Online-          nen freien Termin entscheiden. Pro Imp-
           verimpfen konnte.                              Terminvergabe nur für Impftermine in-           fung sind dies fünf Minuten. Jeder Impfarzt
                 Trotz solcher Probleme kamen auch        stallieren ließ. Die bestehende Wartelis-       schaltet für eine zweistündige Impf-Session
           die Abgeordneten zum Schluss auf das Po-       te wurde nur noch abgearbeitet, alle wei-       24 Termine frei. Das System generiert nach
           sitive. Hausarzt Björn Steffensen aus Nord-    teren Impfwilligen trugen sich ein, sobald      der Anmeldung eine Mail, die dem Patien-
           friesland mahnte: „Wir erzählen nur von        sie freie Termine in der Praxis fanden. Zum     ten den Termin bestätigt. Stornierungen
           Problemen, dabei ist das Impfen ein toller     Erscheinen dieser Ausgabe dürfte die War-       sind genauso einfach. Wieder frei geworde-
           Erfolg.“ Weil die heute diskutierten Prob-     teliste abgearbeitet sein.                      ne Termine werden nach bisherigen Erfah-
           leme morgen nach aller Erfahrung durch-             Realisiert wurde die digitale Lösung in-   rungen innerhalb einer halben Stunde von
           gestanden sind, empfiehlt er: Weiter imp-      nerhalb weniger Tage. „Als die Priorisie-       neuen Interessenten belegt – ohne weiteren
           fen.                                           rung aufgehoben wurde war klar, dass et-        Aufwand für das Praxispersonal.
Foto: Di

                                         Dirk Schnack     was in der Terminvergabe passieren muss“,                                      Dirk Schnack
16 G E S U N D H E I T S P O L I T I K                                                                                J U L I / AU G US T 2 0 2 1

KV und Klinik steuern
Patienten gemeinsam
VERSORGUNG          Das gemeinsame Notfallzentrum der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein (KVSH) und des Städtischen Krankenhauses Kiel (SKK) ist eröffnet.
Ziel ist es, die Klinik-Notaufnahme zu entlasten und die Wartezeiten zu verkürzen.

N
        ach fast einem Jahr Umbauzeit ste-   Notfallzentrum wurde diese Zusammen-          samen Zentrum vereint sein. „So wird die
        hen die neuen gemeinsamen Räum- arbeit nun ausgebaut und „in Beton gegos-          ambulante und stationäre Notfallversor-
        lichkeiten des Städtischen Kran-     sen“.                                         gung aus Patientensicht zu einer Einheit“,
        kenhauses Kiel und der Kassenärzt-       Die Voraussetzungen und der An-           gratulierte Landesgesundheitsminister Dr.
        lichen Vereinigung für die Versor-   spruch an die Notfallversorgung haben         rer. pol. Heiner Garg zur Eröffnung. Von
        gung ambulanter Notfallpatienten     sich stetig weiterentwickelt, der Bau eines   den 1,1 Mio. Euro Baukosten für die neuen
        bereit. In der sektorenübergreifen-  gemeinsamen Zentrums war die logische         Räumlichkeiten kamen 90 Prozent als För-
den Einrichtung werden künftig Notfallpa- Schlussfolgerung dieser Entwicklungen.           derung vom Land.
tienten, die eigenständig in die Notaufnah- „Damit wurde die Pandemiezeit konstruk-            „65 bis 70 Prozent der Patienten kom-
me des SKK kommen, der ambulanten und tiv genutzt“, meinte Dr. Monika Schliff-             men in der Tat zu Fuß in die Notaufnah-
stationären Versorgung zugeführt. So lasse   ke, Vorstandsvorsitzende der KVSH. „Das       me“, sagte Dr. Malte Raetzell, Leiter Erlös-
sich die Notaufnahme entlasten und die Pa- ist aber kein Status, auf dem wir uns ausru-    management im SKK. Doch nicht jeder die-
tienten erhalten eine ihrer Diagnose ent-    hen möchten.“                                 ser Patienten muss zwangsläufig stationär
sprechende Behandlung mit kürzeren War-          Bisher laufen die Patientenströme noch    behandelt werden. „Wer eine akute Harn-
tezeiten.                                    getrennt voneinander. Neben den neu-          wegsinfektion mit 39 Grad Fieber hat, ist
    „Bereits 1999 wurde die erste Anlaufpra- en Praxisräumen im SKK entstehen der-         auch ein Notfall, braucht aber in der Regel
xis der KVSH auf dem Gelände des SKK er- zeit noch ein gemeinsamer Eingang und             keine stationäre Versorgung“, so Schliffke.
richtet. Das war die erste Anlaufstelle in   das neue Gebäude der Notaufnahme. Im          Ein KV-Arzt wird daher die Patienten sich-
Deutschland, in der die sektorenübergrei-    vierten Quartal dieses Jahres werden die      ten und entscheidet, ob die Person ambu-
fende Zusammenarbeit umgesetzt wurde“,       Notaufnahme und die Praxisräumlichkei-        lant in der Praxis oder stationär im Kran-
berichtete Dr. Roland Ventzke, Geschäfts-    ten nur wenige Meter voneinander entfernt     kenhaus behandelt werden muss. Für die
führer des SKK. Mit dem gemeinsamen          und unter einem Dach in einem gemein-         Diagnostik können die KV-Ärzte auch
                                                                                           die Medizintechnik der Klinik auf kurzem
                                                                                           Wege in Anspruch nehmen. Sollte eine sta-
                                                                                           tionäre Aufnahme infrage kommen, müs-
                                                                                           sen Ärzte aus dem SKK zur Sichtung hinzu-
                                                                                           gezogen werden, um die Entscheidung zu
                                                                                           bestätigen und die Weiterbehandlung in der
                                                                                           Klinik einzuleiten.
                                                                                                In den Praxisräumen kommen ein all-
                                                                                           gemeinmedizinischer und ein kinderärztli-
                                                                                           cher Dienst zum Einsatz. „Hierbei handelt
                                                                                           sich um rotierende Poolärzte, die entweder
                                                                                           niedergelassen, bei der Bundeswehr, in Kli-
                                                                                           niken oder auch privatärztlich tätig sind“,
                                                                                           erklärte Dennis Kramkowski, Notdienstko-
                                                                                           ordinator der KVSH. Des Weiteren werden
                                                                                           auch MFA über die KV angestellt.
                                                                                                Die kommende Herausforderung be-
                                                                                           trifft den Datenschutz und dreht sich um
                                                                                           die Frage, wie die Notfalldaten sinnvoll zu-
                                                                                           sammengefügt und zugänglich gemacht
                                                                                           werden können, um eine angemessene Ver-
Gemeinsame Sache: KV-Notdienstkoordinator Dennis Kramkowski, SKK-Geschäftsführer           sorgung zu ermöglichen und beide Sekto-
                                                                                                                                                    Foto: SG

Dr. Roland Ventzke, KV-Vorstandsvorsitzende Dr. Monika Schliffke und der Leiter            ren weiter miteinander zu verbinden.
Erlösmanagement im SKK, Dr. Malte Raetzell.                                                                        Stephan Göhrmann
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