12/18 SOZIALVERBAND VDK DEUTSCHLAND EV
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Fachzeitschrift für Sozialpolitiker und Schwerbehindertenvertreter Sozialrecht + Praxis Schwerbehinderung Versorgungsmedizin-Verordnung Sozialversicherung Rechengrößen für das Jahr 2019 Bundessozialgericht Bildung und Teilhabe bei Hartz IV Sozialpolitik Beratende Rolle von Verbänden 12/18 28. Jahrgang GP 12025 DP AG 20811_SuP_Umschlag_Dez_2018.indd 1 11.12.2018 09:22:47
Inhalt Sozialpolitik Pflegeheimwechsel: Ablauf der Änderung der Versorgungsmedizin- Kündigungsfrist nicht bindend 792 Verordnung Die Rolle der Verbände in der Von Dorothee Czennia 751 Sozialpolitikberatung Berufskrankheiten: Früherkennung Von Sören Deister794 von Mesotheliomen möglich 768 Makuladegeneration: EuGH billigt Facharzt-Termin: Kürzere Wartezeiten Off-Label-Use von Avastin 799 für Kassenpatienten 769 Home-Office: Sturz auf der Haustreppe Neue Rechengrößen der Sozialversicherung kann Arbeitsunfall sein 800 für das Jahr 2019 Mietkaution: Hartz-IV-Empfänger Von Dieter Leopold771 müssen Betrag abstottern 802 Neue App: „DB Barrierefrei“ soll Bahnfahren einfacher machen 773 LITERATUR Kommentar: Rehabilitation und Barrierefreiheit: Einigung auf Teilhabe im SGB IX 803 European Accessibility Act 775 Ratgeber: Nachteilsausgleiche und DVfR-Kongress: Arbeit ist und Fördermittel 803 bleibt Schlüssel zur Teilhabe 776 Grundwissen: Leistungen zur Sicherung Behindertenbeauftragter: Jürgen Dusel des Lebensunterhalts 804 fordert Wahlrecht für alle 777 Bilanz Sozialwahlen: Beteiligung Gesundheitsreport 2018: Arbeitsunfähig erstmals geringfügig gestiegen 777 wegen Rückenerkrankungen 805 Arbeitshilfe: Datenschutz in der RECHT Betriebsratsarbeit 805 Vor dem Bundessozialgericht: Grundsicherung für Arbeitsuchende, SERVICE Bildung und Teilhabe, Lernförderung Basisseminar: Grundwissen für Mitgeteilt von Jörg Ungerer780 Schwerbehindertenvertretungen 806 Steuerersparnis: Bei Übernahme der BAG-Symposium: Wege zur Teilhabe Kassenbeiträge des Kindes 788 in Pflegeheimen 806 Entschädigung wegen überlanger Praxisseminar: Grundlagen beruflicher Verfahrensdauer Teilhabe 807 Von Dirk Dahm789 Sozialrechtstagung: Einzelfallgerechtigkeit Fiktive Genehmigung: Kassen vs. Gemeinwohlinteresse 807 müssen weiterhin rasch entscheiden 791 TriTeam-Projekt: Mentoring für blinde Hartz IV: Sozialgeld für Erwerbs und sehbehinderte Studierende 808 minderungsrentner792 Jahresregister 2018 810 Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Umschlag_Dez_2018.indd 2 11.12.2018 09:22:47
Sozialpolitik 751 Änderung der in der Gesellschaft. Des Weiteren wer- de durch die Möglichkeit der Befris- Versorgungsmedizin- tung das Verwaltungsverfahren ver- Verordnung einfacht. Teil A, künftig „Gemeinsame Grund- Stellungnahme des Sozialverbands sätze“ – gilt für alle ärztlichen Begut- VdK zum Referentenentwurf achtungen im Schwerbehinderten- recht und im Sozialen Entschädi- Von Dorothee Czennia gungsrecht – soll künftig folgende Struktur erhalten: Mit dem Referentenentwurf (Ref.-E.) Grundlagen (dazu 1.) £ sollen die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung Heilungsbewährung (dazu 2.) £ (VersMedV) festgelegten „Versor- Gesamt-GdB-Bildung (dazu 3.) £ gungsmedizinischen Grundsätze“ auf der Grundlage des aktuellen Stands Hilflosigkeit (wie bisher) £ der medizinischen Wissenschaft und Besonderheiten der Beurteilung der £ unter Berücksichtigung der Grundsät- Hilflosigkeit bei Kindern und Ju- ze der evidenzbasierten Medizin fort- gendlichen (wie bisher) entwickelt werden. Im Rahmen der Verfahren (dazu 4.) £ Gesamtüberarbeitung der Versor- gungsmedizinischen Grundsätze soll Wesentliche Änderung der Verhält- £ das bio-psychosoziale Modell von Ge- nisse im Sozialen Entschädigungs- sundheit und Krankheit in die ge- recht (dazu 5.) meinsamen Begutachtungsgrundsätze Künftig soll grundsätzlich diejenige implementiert werden, das der Inter- Funktionseinschränkung bei der Er- nationalen Klassifikation der Funkti- mittlung der Teilhabebeeinträchti- onsfähigkeit, Behinderung und Ge- gung berücksichtigt werden, die sich sundheit (ICF, Deutsches Institut für unter Einsatz aller Hilfsmittel und all- Medizinische Dokumentation und gemeiner Gebrauchsgegenstände des Information 2005) zugrunde liegt. täglichen Lebens ergibt. Nach dem Allgemeinen Teil der Be- Das bisherige Konstrukt der Heilungs- gründung soll der Entwurf die Begut- bewährung als pauschale Bewertung achtung von Behinderungen verbes- für begrenzte Zeit wird beibehalten. sern, unbeabsichtigte Nebenwirkun- Allerdings unterliegen nach dem gen seien nicht ersichtlich. Die Ref.-E. die Auswirkungen derjenigen Anpassung der Begutachtungsgrund- Funktionsstörungen, die mit Beginn sätze verbessere die Bewilligung von des Zeitraums der Heilungsbewäh- Nachteilsausgleichen und damit die rung eindeutig festgestellt sind und gleichberechtigte Teilhabe von Men- über den für die Heilungsbewährung schen mit Behinderungen am Leben festgesetzten Zeitraum hinaus dauer- Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 751 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 752 haft verbleiben (dauerhaft verbleiben- und rheumatische Krankheiten ent de Funktionsstörungen), nicht mehr hielt, wird stark gekürzt und künftig der pauschalen Bewertung. Der Grad nur noch Angaben zu entzünd- der Behinderung (GdB) hierfür soll lich-rheumatischen Krankheiten wie nach den Regeln der Gesamt-GdB- zum Beispiel Bechterew, Kollageno- Bildung in die Gesamtbewertung ein- sen, Vaskulitiden, nichtentzündliche fließen. Die danach neu gefassten Be- Krankheiten der Weichteile, Fibro- wertungen in Teil B sind mit einem myalgie (Nr. 18.2.1 bis 18.4), Mus- entsprechenden Hinweis versehen. kelkrankheiten (Nr. 18.6) sowie voll- Es ist vorgesehen, bei bestimmten ständige Nervenausfälle der oberen Feststellungen die Verwaltungsakte zu und unteren Gliedmaßen (Nr. 18.13 befristen. Dies soll unter anderem den und 18.14) enthalten. Verwaltungsaufwand reduzieren und Aus Teil B Nr. 18 herausgelöst und Kosten sparen. Nach Protesten im Zu- unter der neu angefügten Nr. 19 sammenhang mit einem Arbeitsent- „Muskuloskeletale Funktionen“ sollen wurf in 2016/17 ist nun im Ref.-E. künftig die überarbeiteten Grundsätze eine Übergangsklausel zum Bestands- für entzündliche und degenerative Er- schutz geplant. Die Folgen der Befris- krankungen des Bewegungsapparates tungsmöglichkeit für die Betroffenen (Knochen, Muskeln, Muskelhüllen, sollen darüber hinaus mit einer Hin- Sehnen, Sehnenscheiden, Schleim- weispflicht der Behörde und einer beutel, Bänder) aufgeführt werden. Schutzklausel abgefedert werden. Die bisherige Teil A, Nr. 6 „Blindheit Bewertung des VdK und hochgradige Sehbehinderung“, Die Zielsetzung des Entwurfs, die Be- wird in Teil B Nr. 4 zu den nun ins gutachtungskriterien unter Beachtung gesamt überarbeiteten fachspezifi- des bio-psychosozialen Modells des schen Begutachtungsgrundsätzen für modernen Behinderungsbegriffs der „Sehfunktionen und verwandte Funk- WHO-Klassifikation der Funktions- tionen“ verschoben. fähigkeit Behinderung und Gesund- In Teil B Nr. 4 sind Änderungen bei heit (ICF) zu verbessern, ist grundsätz- den fachspezifischen Begutachtungs- lich zu begrüßen. grundsätzen für „Sehfunktionen und verwandte Funktionen“ vorgesehen. Der Sozialverband VdK hält es nicht für vertretbar, dass es voraussichtlich In Teil B Nr. 16 sind Änderungen bei künftig zu niedrigeren GdB-Feststel- „Funktionen des hämatologischen lungen durch die Versorgungsämter und des Immunsystems“ vorgesehen. mit den entsprechenden Nachteilen Teil B Nr. 18, der bisher zusammen- bei der Zuerkennung von Nachteils- gefasst die fachspezifischen Begut- ausgleichen kommen wird. Das hängt achtungsgrundsätze für sämtliche zum einen damit zusammen, dass die Haltungs- und Bewegungsorgane gemeinsamen Grundsätze in Teil A Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 752 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 753 verändert werden, die dann für alle und Situationen genutzt oder sind weiteren zu überarbeitenden Gesund- nutzbar und manche sind eben nicht heitsstörungen in Teil B relevant sind immer durchgehend einsetzbar. So oder noch werden. Zum anderen wer- kann ein Hörgerät für einen bestimm- den bei den jetzt überarbeiteten fach- ten Einsatzbereich optimal angepasst spezifischen Begutachtungsgrundsät- sein und dennoch im Alltag in ande- zen in Teil B Nr. 4, Nr. 16 und Nr. 19 ren Situationen nur bedingt genutzt für die verschiedenen Gesundheitsstö- werden. Es gibt Personen, die sich rungen beziehungsweise Bereiche zum Hilfsmittel, zum Beispiel aus finanzi- Teil niedrigere GdB angesetzt als der- ellen Gründen, gar nicht anschaffen. zeit. Dies gilt zum Beispiel für die Wie dem bei der Bemessung des GdB GdB-Bewertung bei den unteren Ext- Rechnung zu tragen wäre, bleibt unge- remitäten. Begründet wird das zum klärt. Die hierzu notwendige Sachver- Teil mit dem medizinischen Fort- haltsaufklärung kann von der Versor- schritt, verbesserten Behandlungs- gungsverwaltung in einem Massenver- möglichkeiten auch chronischer Er- fahren nicht geleistet werden. Die krankungen und den Möglichkeiten Neuregelung berücksichtigt nicht, moderner Hilfsmittelversorgung so- dass der Einsatz von Hilfsmitteln oft wie dem Abbau von Mobilitätsbarrie- gar keinen vollen Ausgleich von Teil- ren im öffentlichen Raum. Das alles habebeeinträchtigungen gewährleisten seien Faktoren, die sich positiv auf die kann. Teilhabe auswirkten und veränderte Der VdK begrüßt, dass formal am (häufig geringere) GdB-Werte recht- Konstrukt der Heilungsbewährung fertigten. festgehalten wird, kritisiert aber, dass Aus Sicht des VdK und mit der Erfah- künftig in den gemeinsamen Grund- rung aus den bundesweiten VdK- sätzen keine Vorgaben zu Mindest- Rechtsberatungsstellen ist dieses Er- GdB-Höhe und Mindestdauer der gebnis nicht nachvollziehbar und ent- Heilungsbewährung mehr vorgegeben spricht nicht der Lebensrealität von sind. Dies soll individuell bei den Menschen mit Behinderung. Eine einzelnen Gesundheitsstörungen in Feststellung lassen die Betroffenen in Teil B festgelegt werden. Zu befürch- der Regel nicht um ihrer selbst willen ten ist eine fortlaufende Aushöhlung treffen, sondern weil sie zur Teilhabe der Schutzfunktion der Heilungsbe- am Leben in der Gesellschaft auf die währung im Rahmen der weiteren entsprechenden Nachteilsausgleiche Über arbeitung der fachspezifischen angewiesen sind. Begutachtungsgrundsätze in Teil B. Nicht sachgerecht umsetzbar ist die Die Möglichkeit, bei bestimmten Fest- künftige Beurteilung unter dem Ge- stellungen die Feststellungsbescheide sichtspunkt Hilfsmitteleinsatz. Viele zu befristen, wird strikt abgelehnt. Hilfsmittel werden unterschiedlich Durch die Befristung werden die Be- und in bestimmten Zusammenhängen troffenen verfahrensrechtlich im Ver- Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 753 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 754 gleich zum geltenden Recht in unzu- gerung der Verrechtlichung der ehe- mutbarer Weise benachteiligt. maligen „Anhaltspunkte“ für die Be- Die vorgesehene Übergangsregelung gutachtung. mit einem nur etwa dreijährigen Be- Folge der Verbindlichkeit ist, dass im standsschutz greift zu kurz. Der VdK Feststellungsverfahren keine Abwei- fordert hier, dass ähnlich wie bei der chung nach unten erfolgen kann. Dies Überarbeitung der Anhaltspunkte sollte in der Begründung klargestellt 1996 und bei Einführung des neuen werden. Pflegebedürftigkeitsbegriffs sicherge- Bewertungsspannen bestehen immer stellt wird, dass die Versorgungsver- dann, wenn ein Mindest-GdB oder waltung aus Anlass der Änderung der ein GdB in einer Spanne etwa von VersMedV keine Überprüfung von 60 bis 80 vorgeben ist. Des Weiteren bestandskräftigen Bescheiden vor- muss trotz eines fest vorgegebenen nimmt und festgestellte GdB herab- GdB-Werts eine Abweichung nach setzt und Merkzeichen entzieht. oben möglich sein, wenn etwa das 1. Grundlagen (A 1-neu) bestmögliche Behandlungsergebnis nicht erreicht ist und deshalb eine Im Abschnitt „Grundlagen“ wird Be- höhere Teilhabebeeinträchtigung vor- zug genommen auf das bio-psycho liegt. Dies folgt wohl aus 1.3.4 und soziale Modell von Gesundheit und 1.3.5, sollte aber klargestellt werden. Krankheit, das der Internationalen In diesen Fällen ist unklar, inwieweit Klassifikation der Funktionsfähigkeit, und innerhalb welcher Spanne der Behinderung und Gesundheit (ICF, GdB zu erhöhen ist. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 1.2. Faktoren der Teilhabe 2005) zugrunde liegt. beeinträchtigung (A 1.2.1 bis 1.2.3) 1.1. Verbindliche Werte (A 1.1.3) Alle Faktoren, die die Teilhabe Die in Teil B als Maß für die Beein- beeinträchtigen, sollen bei der Er- trächtigung der Teilhabe am Leben in mittlung der Teilhabebeeinträchti- der Gesellschaft genannten Werte gung in Teil B berücksichtigt sein werden nun als „verbindlich“ festge- (A 1.2.1-neu). Bezogen auf Gesund- schrieben (A 1.1.3). Vorhandene Be- heitsstörungen sind diese Faktoren wertungsspannen sollen es ermögli- die Körperfunk tionen, die Körper- chen, den Besonderheiten des Einzel- strukturen und die Aktivitäten. Dazu falles Rechnung zu tragen. zählen insbesondere folgende mit Bewertung des VdK einer Gesundheitsstörung zusam- menhängende Faktoren: Art und Die verbindliche Festschreibung der Ausprägung der Störung, auch angegebenen Werte in Teil B ist aus Therapieaufwand und krankheitsbe- Sicht des VdK sachgerecht und ist Fol- dingt gebotene Beschränkungen. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 754 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 755 Im Hinblick auf die Aktivitäten engung auf die genannten Bereiche (A 1.2.2-neu) sollen bei der GdB-Fest- und Aktivitäten überhaupt zulässig ist. setzung sämtliche Lebensbereiche Es stellt sich die Frage, ob hier zum nach ICF berücksichtigt werden. Beispiel Menschen außerhalb des schulischen und beruflichen Lebens Darüber hinaus soll neben der Anzahl wie Rentner benachteiligt werden. Es der betroffenen Lebensbereiche und fehlen auch Beurteilungskriterien. Der Aktivitäten auch die Schwere der Be- VdK bezweifelt deshalb, dass die Ver- einträchtigung der Aktivitäten berück- wendung der ICF in der hier vorge- sichtigt und mit einer Skalierung von nommenen Konzentration auf be- „mit Anstrengung durchführbar“ über stimmte Bereiche und Aktionen zu „leicht beeinträchtigt“, „stark beein- sach gerechten Ergebnissen bei der trächtigt“ „gerade noch möglich“ bis GdB-Feststellung führen kann. zu „nicht mehr möglich“ versehen werden (A 1.2.3). Der VdK bezweifelt darüber hinaus auch, dass die allgemeine ärztliche Er- Bewertung des VdK fahrung ausreicht, solche Bewertun- Der VdK hält es für konsequent, dass gen vorzunehmen. Die herkömm – im Gegensatz zum vorherigen Ar- lichen Berichte und Befunde der be- beitsentwurf – im jetzt vorliegenden handelnden Ärzte enthalten keine Verordnungsentwurf alle ICF-Lebens- Aussagen zur ICF-Bewertung. Wie bereiche vollständig aufgeführt sind können diese Informationen beschafft und sämtliche Lebensbereiche bei der werden? Wäre hier nicht eine Einzel- GdB-Festsetzung Berücksichtigung begutachtung wie bei der Pflegebegut- finden sollen. achtung notwendig? Es stellt sich dann die weitere Frage nach der Qualifikati- Die Umsetzung für die Begutachtung on der Gutachter im ICF. Der VdK erscheint aber äußerst fraglich, wenn bezweifelt deshalb auch, dass in einem man zum Beispiel die GdB-Vorgaben Massenverfahren wie der GdB-Fest- für die Bewertung von Störungen der setzung nach dem Schwerbehinder- Funktionseinheit Wirbelsäule (19.5) tenrecht diese Begutachtungsvorgaben betrachtet. So ist bei Funktionsstörun- nach ICF umsetzbar sind. gen der Halswirbelsäule ein GdB von 20 vorgesehen, wenn Aktivitäten nicht 1.3. Altersstufen (A 1.2.5) aus allen, sondern speziell den Berei- chen Mobilität sowie häusliches, schu- A 1.2.5-neu sieht vor, in Teil B den lisches oder berufliches Leben leicht GdB für einen begrenzten Zeitraum beeinträchtigt sind. Als Aktivitäten festzulegen, falls sich die Teilhabe werden genannt Überkopfarbeit, Bild- beeinträchtigung regelhaft mit dem schirmtätigkeit oder Haushaltsaufga- Erreichen bestimmter „Altersstufen“ ben. Hier stellt sich die Frage, ob die oder definierter Stadien der Gesund- Konzentration beziehungsweise Ver- heitsstörung ändert. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 755 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 756 Bewertung des VdK Eine Schlechterstellung von Men- schen mit altersbedingten Beeinträch- Die Begrenzung von Feststellungszeit- tigungen hält der VdK daher für nicht räumen anhand von „Altersstufen“ sachgerecht und im Übrigen nicht mit lehnt der VdK ab. Die Regelung geht der UN-Behindertenrechtskonven davon aus, dass sich mit Erreichen von tion (UN-BRK) vereinbar. bestimmten Altersstufen die Teilhabe- beeinträchtigung verringert und ent- Die Formulierung „Altersstufen“ ist sprechend mit einem geringeren GdB problematisch. Hier droht die Gefahr, zu bewerten ist. dass zum Beispiel Personengruppen, die mit 67 Jahren die Regelaltersgren- Schon nach der bisherigen Version der ze erreicht haben, eine automatische VersMedV setzt ein GdB eine Regel- Herabstufung des GdB erfahren könn- widrigkeit gegenüber dem für das Le- ten mit der Begründung, in bestimm- bensalter typischen Zustand voraus, ten Lebensbereichen (z. B. Lernen/ die in der Begutachtungspraxis nach Wissensvermittlung) seien sie als Einschätzung des VdK so gut wie kei- Rentnerinnen und Rentner nicht ne Anwendung fand. Hintergrund ist, mehr oder deutlich geringer teil dass Altern ein individueller Prozess habebeeinträchtigt. Dies wäre aus ist, der sich je nach Konstitution, be- Sicht des VdK nicht vereinbar mit der ruflicher Belastung, familiären und UN-BRK. Alltagsanforderungen, Lebenswandel, sportlicher Betätigung und Ernährung 1.4. Bestmögliches Behandlungs- sehr unterschiedlich gestaltet. Deshalb ergebnis (A 1.2.7) erscheint es noch schwieriger, hierfür Nach A 1.2.7-neu sollen die in Teil B pauschal feste Altersstufen festzulegen. angegebenen GdB-Werte die Teilhabe So finden sich auch weder im allge- beeinträchtigung bei „bestmöglichem meinen Teil der Begründung noch im Behandlungsergebnis“ wiedergeben. Teil B wissenschaftlich belegte Bei- Unter „bestmöglich“ wird das unter spiele für Funktionseinschränkungen, Anwendung der Kriterien der evidenz- die sich aufgrund eines alterstypischen basierten Medizin regelhaft erreichba- Zustands verringern. re Behandlungsergebnis verstanden. Insbesondere aus den Erfahrungen in Dieses schließt insbesondere das Er- der Kriegsopferversorgung ist belegt, gebnis medikamentöser, operativer dass im Alter aufgrund eingeschränk- und rehabilitativer Therapiemaßnah- ter Beweglichkeit, abnehmender Mus- men sowie die Versorgung mit Hilfs- kulatur und Multimorbidität die Fä- mitteln ein. higkeit nachlässt, Funktionseinschrän- Bewertung des VdK kungen zu kompensieren. Daraus folgt, dass sich aufgrund des Alte- Die Zugrundelegung eines „bestmög- rungsprozesses auch größere Teilhabe- lichen Behandlungsergebnisses“ ist aus einschränkungen ergeben können. Sicht des VdK abzulehnen. Darunter Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 756 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 757 wird einerseits das Ergebnis medika- Wenn demgegenüber im Feststellungs- mentöser, operativer und rehabilitati- verfahren aus praktischen Gründen ein ver Therapiemaßnahmen und gleich- bestmögliches Behandlungsergebnis zeitig nicht trennscharf die Versor- einfach unterstellt wird, sind in vielen gung mit Hilfsmitteln verstanden. Fällen Fehlentscheidungen zulasten Immerhin wird in der Begründung der Betroffenen zu befürchten. Diese des Verordnungsentwurfs klargestellt, können dann nur aufwändig in Klage- dass „bestmöglich“ nicht ein theore- verfahren korrigiert werden. Die Folge tisch bestmögliches Ergebnis bedeutet wäre eine Beweislasterschwerung bezie- und zum Beispiel außergewöhnlich hungsweise Beweislastumkehr zulasten gute Ergebnisse, wie sie im Einzelfall der Betroffenen, die nicht mit dem zum Beispiel bei prothetisch versorg- Amtsermittlungsgrundsatz zu verein- ten Leistungssportlern erzielt werden, baren ist. Dies lehnt der VdK ab. nicht gemeint sind. 1.5. Berücksichtigung von Hilfsmitteln und Gebrauchs- Auch im Feststellungsverfahren nach gegenständen (A 1.2.8) dem Schwerbehindertenrecht gilt der Nach A 1.2.8-neu geben die in Teil B Amtsermittlungsgrundsatz. Dies be- angegebenen GdB die Teilhabebeein- deutet, dass die Versorgungsverwal- trächtigung wieder, die sich unter Be- tung ein bestmögliches Behandlungs- rücksichtigung des Einsatzes von ergebnis nicht einfach unterstellen Hilfsmitteln und von allgemeinen Ge- kann, sondern verpflichtet ist, von brauchsgegenständen des täglichen Amts wegen zu ermitteln, ob es tat- Lebens ergibt. sächlich gegeben ist oder im Einzelfall Abweichungen vorliegen. Es ist voll- Bewertung des VdK kommen unklar, wie die Versorgungs- verwaltung an Informationen hierzu Die Festsetzung der Teilhabebeein- kommen soll. Dies gilt umso mehr, als trächtigung unter Berücksichtigung im Verordnungsentwurf davon ausge- von Hilfsmitteln und Gebrauchs gangen wird, dass es im Verwaltungs- gegenständen des täglichen Lebens verfahren nicht zu Mehrkosten lehnt der VdK ab. Die geplante Neu- kommt. In der Praxis erfolgen die Ent- regelung berücksichtigt nicht, dass der scheidungen nach Aktenlage; eine Be- Einsatz von Hilfsmitteln oft keinen gutachtung erfolgt nur etwa in einem vollen Ausgleich von Teilhabebeein- Prozent der Fälle. In den bestehenden trächtigungen gewährleisten kann. Formblättern werden keine Behand- Dies ist je nach Lebenssituationen dif- lungsergebnisse erfasst. Die Ärzte sind ferenzierend zu beurteilen. diesbezüglich nicht geschult und be- Bei der Hilfsmittelversorgung han- handelnde Ärzte werden ungern ein delt es sich um ein sich ständig än- schlechtes Behandlungsergebnis attes- derndes Angebot. Fraglich ist zum tieren. Beispiel, ob die Festsetzung eines Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 757 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 758 GdB dann neu erfolgen müsste, wenn Ärzte müssten die Qualität der Hilfs- sich der Hilfsmittelmarkt verbessert, mittelversorgung verstärkt in ihre gut- sodass ein „veraltetes“ Hilfsmittel ei- achterlichen Stellungnahmen aufneh- nen höheren GdB ergeben müsste. men. Hierdurch würde ein erhöhter Vorstellbar ist ebenso, dass derjenige, Aufwand generiert, der ohne finanziel- der sich eine überdurchschnittlich len Rahmen zu weiteren Erschwernis- gute Hilfsmittelversorgung (Pro sen für die Antragsteller führt. Auch these, Hörgerät) leisten kann, einen niedergelassene Hausärzte werden niedrigeren GdB erhalten würde. nicht bereit sein, für die derzeit gezahl- Welche Hilfsmittelstandards inso- te Vergütung (ca. 20 Euro) einen um- weit für das „bestmögliche Behand- fangreichen Prüfkatalog abzufragen. lungsergebnis“, zu dem nach der Darüber hinaus besteht die Gefahr, Neuregelung unter anderem die Ver- dass Ärzte sich nur gegen Privatliqui- sorgung mit Hilfsmitteln zählen soll, dation bereit erklären, sich ausführ entscheidend sein sollen, bleibt licher mit dem Fall zu beschäftigen. schwer bestimmbar. Im Hinblick auf die neu eingeführten Im Antragsverfahren entsteht ein ho- „allgemeinen Gebrauchsgegenstände“ her Ermittlungsbedarf, ob im Einzel- – in Abgrenzung zu Hilfsmitteln – fall ein mangelhaftes oder ein „best- fehlen Definitionen oder Leistungsan- mögliches“ Behandlungsergebnis in- sprüche des Betroffenen. Hier wird ein klusive Hilfsmittelversorgung gegeben neuer und unbestimmter Rechtsbe- ist. Künftig wären von der Versor- griff eingeführt. Betroffene haben kei- gungsverwaltung demnach neben der ne Möglichkeit, entsprechende Leis- individuellen Krankheitsausprägung tungsansprüche auf „allgemeine Ge- auch die durchgeführte beziehungs- brauchsgegenstände des alltäglichen weise durchzuführende Therapie so- Lebens“ geltend zu machen, mit de- wie der Einsatz vorhandener und/oder nen Funktionsbeeinträchtigungen ih- tatsächlich eingesetzter Hilfsmittel zu rer Gesundheitsstörung abzumildern prüfen. wären. Perspektivisch könnten auch Es ist unklar, wie die Versorgungsver- Smartphones oder Personal Computer waltung den Stand der Hilfsmittelver- (PC) als „allgemeine Gebrauchsgegen- sorgung kennen und den konkreten stände des alltäglichen Lebens“ gelten Einzelfall dazu bewerten soll. Hierfür und, da in vielen oder den meisten sind Fachkenntnisse zum aktuellen Haushalten vorhanden, unter Teil Stand der Hilfsmittelversorgung sowie habegesichtspunkten einfach voraus- im Einzelfall ein großer Ermittlungs- gesetzt werden. aufwand erforderlich. Ob und wie die Versorgungsverwaltung dies – ange- Vor diesem Hintergrund fordert der sichts millionenfacher Feststellungs- VdK, dass die Bemessung eines GdB verfahren nach § 69 SGB IX – über- nicht vom Einsatz von Hilfsmitteln haupt leisten kann, ist fraglich. und erst recht nicht von „allgemeinen Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 758 10.12.2018 15:06:52
Sozialpolitik 759 Gebrauchsgegenständen“ abhängig Behinderung empfohlenen gesunden gemacht wird. Lebensweise hinausgeht.“ Das BSG hat also in dem Fall „über Gebühr 1.6. Gesunde Lebensführung Sport/gesunde Lebensführung“ aus- (A 1.2.10) drücklich für berücksichtigungsfähig Der Entwurf regelt in A 1.2.10-neu, gehalten. dass eine gesunde Lebensführung, Der VdK fordert deshalb, dass in den auch wenn sie aufwändig realisiert besonderen Fällen, in denen eine ge- wird, nicht zu einer Teilhabebeein- sunde Lebensführung nur mit beson- trächtigung führt. ders hohem Zeitaufwand realisiert Bewertung des VdK werden kann, eine Teilhabeeinschrän- kung vorliegt. Es ist nachvollziehbar, dass hier kein „Einfallstor geöffnet“ werden soll, mit 1.7. Störungen des psychischen dem künftig etwa „tägliche Spazier- Befindens/psychische gänge“ oder eine allgemeine „gesunde Komorbidität (A 1.2.11) Ernährung“ als teilhabemindernd gel- In A 1.2.11-neu werden Störungen tend gemacht werden sollen. des psychischen Befindens und einzel- Dennoch darf die Verordnung nach ne psychische Symptome als Begleit Ansicht des VdK keine Fallkonstellati- erscheinung einer Gesundheitsstörung onen mit extrem aufwändiger Lebens- einerseits und davon abzugrenzende führung von vornherein ausschließen. psychische Komorbiditäten anderer- Die Nichtberücksichtigung einer auf- seits definiert. Als Begleiterscheinung wändig realisierten gesunden Lebens- werden sie im GdB zur Gesundheits- führung steht im Widerspruch zur störung berücksichtigt. Psychische Rechtsprechung des Bundessozialge- Komorbiditäten werden, wenn sie richts (BSG) zur Einstufung von Dia- nach Kapitel V der ICD-10-GM diag- betes (Urteil vom 2. Dezember 2010, nostiziert sind, gesondert bewertet B 9 SB 3/09). Nach dieser Entschei- und fließen dann in den Gesamt-GdB dung besteht eine Ausnahme dann, ein. wenn sich die medizinisch notwendige Bewertung des VdK sportliche Betätigung als nachhaltiger Einschnitt in die Gestaltung des Ta- Die getrennte Betrachtung von Stö- gesablaufs und damit in die Lebens- rungen des psychischen Befindens und führung darstellt. Dies könne bei- einzelne psychische Symptome als Be- spielsweise dann der Fall sein, wenn gleiterscheinung einer Gesundheits- die erforderliche Aktivität „aus medi- störung einerseits und davon abzu- zinischen Gründen nach Ort, Zeit grenzenden psychischen Komorbidi- oder Art und Weise festgelegt ist oder täten ist aus Sicht des VdK ihrem Umfang nach erheblich über grundsätzlich sachgerecht und trenn- das Maß einer auch Menschen ohne schärfer als die bisherige Regelung. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 759 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 760 In der Praxis stellt die Regelung die spricht nicht einer sachgerechten Betroffenen allerdings vor Probleme. Beurteilung und würde der Einstu- Es besteht bei vielen Betroffenen die fung des Schmerzgeschehens nicht ge- Hemmschwelle, bei sich selbst eine recht werden. Der VdK fordert, dass behandlungsbedürftige psychische in diesen Fällen sichergestellt wird, Gesundheitsstörung zu erkennen und dass die Begutachtung durch ausge- zu akzeptieren. Aufgrund der massi- wiesene Schmerztherapeuten erfolgt. ven strukturellen Unterversorgung im Die Formulierungen im Entwurf wer- fachärztlichen und psychotherapeuti- den darüber hinaus in der Begutach- schen Bereich haben viele die Schwie- tung häufig strittiger Krankheitsbilder rigkeit, eine Diagnose nach IDC-10- wie komplexen regionalen Schmerz- GM attestiert zu bekommen. syndromen (CRPS, synomym auch „Morbus Sudeck“ u. a.) nicht gerecht. 1.8. Schmerzen (A 1.2.12) Im gutachtlichen Kontext wird in den Bei der gutachterlichen Bewertung meisten Rechtsgebieten für den Nach- von Schmerz wird in A 1.2.12-neu un- weis einer Schädigung und der da- terschieden zwischen durch bedingten Funktionsstörungen Schmerz als Begleiterscheinung ei- £ der „Vollbeweis“ gefordert. Danach ist ner Gewebeschädigung, ein CRPS nur zu diagnostizieren, wenn zeitnah zum Schädigungsereig- Schmerz durch eine Gewebeschädi- £ nis klinische Befunde dokumentiert gung bedingt mit Verstärkung durch sind. eine psychische Komorbidität und Schmerz als Leitsymptom einer psy- £ Das Ausmaß der Beschwerden steht chischen Störung. aber häufig in einem Missverhältnis zum Schweregrad der ursprünglichen Im ersten Fall wird die Teilhabebeein- Schädigung. Die Lokalisation des trächtigung bei der Gewebeschädi- Schmerzsyndroms kann sich weit über gung, im letzten Fall bei der psychi- die betroffene Körperstelle ausweiten schen Störung berücksichtigt. Im und andere Körperstellen betreffen. zweiten Fall werden die GdB-Werte getrennt ermittelt und fließen dann in 1.9. Beeinträchtigung des den Gesamt-GdB ein. äußeren Erscheinungsbildes (A 1.2.13) Bewertung des VdK A 1.2.13-neu behandelt die Beein- Bei den geplanten Vorgaben für die trächtigungen des äußeren Erschei- gutachterliche Bewertung von nungsbildes und unterscheidet zwi- Schmerz ist die Formulierung schen solchen Gesundheitsstörungen, „Schmerzen, die über das für die Ge- die regelhaft mit einer Funktionsein- sundheitsstörung typische Maß hin- schränkung verbunden sind, und sol- ausgehen“ unbestimmt. Eine Begut- chen Beeinträchtigungen des äußeren achtung rein nach Aktenlage ent- Erscheinungsbildes ohne Funktions- Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 760 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 761 einschränkung. Dementsprechend ist Nach der Kritik am Arbeitsentwurf der GdB bei der Funktionsbeeinträch- der 6. Änderungsverordnung hatte das tigung bereits berücksichtigt oder wird Bundesministerium für Arbeit und getrennt davon bei der Gesundheits- Soziales diesen Kritikpunkt aufgegrif- störung erfasst. fen und dem VdK-Bundesverband ge- genüber schriftlich folgende Formu- Bewertung des VdK lierung vorgeschlagen: „Nur der GdB für die eigentliche Funktions- oder Die geplante Regelung zu Beeinträch- Gesundheitsstörung ist für die Verga- tigungen des äußeren Erscheinungs- be von Merkzeichen relevant.“ Diese bildes ist im Zusammenhang mit der Formulierung sollte in den Verord- in 1.3.8 vorgesehenen Regelung, dass nungsentwurf aufgenommen werden. nur der GdB für die eigentliche Funk- tionsstörung für die Vergabe von 1.10. Begutachtung bei regelhaft Merkzeichen relevant ist, problema- abnehmendem Ausmaß tisch. (A 1.3.6) A 1.3-neu legt die Grundsätze für die So ist eine der Voraussetzungen für Begutachtung fest. Nach A 1.3.6-neu das Merkzeichen RF ein GdB von we- wird bei Gesundheitsstörungen, deren nigstens 80 und der Umstand, dass Ausmaß im Verlauf regelhaft ab- jemand aufgrund seiner Behinderung nimmt, die Teilhabebeeinträchtigung ständig nicht an öffentlichen Veran- zugrunde gelegt, die der „voraussicht- staltungen teilnehmen kann. Dieser lich dauerhaft verbleibenden“ Teil Tatbestand ist unter anderem bei Per- habebeeinträchtigung entspricht. sonen erfüllt, „die durch ihre Behinde- rung auf ihre Umgebung unzumutbar Bewertung des VdK abstoßend oder störend wirken, wie zum Beispiel durch schwerste Bewe- Nach jetziger Rechtslage ist „bei ab- gungsstörungen, Anfälle, aber auch klingenden Gesundheitsstörungen“ Geruchsbelästigung und Entstellun- der Wert festzusetzen, der dem über gen“. Nach der Klarstellung in 1.3.8- sechs Monate hinaus verbliebenen neu wäre es kaum noch möglich, auf- oder voraussichtlich verbleibenden grund einer Gesundheitsstörung mit Schaden entspricht. Im Ref.-E. wird Beeinträchtigung des äußeren Erschei- also ein Zeitraum definiert, ab dem ei- nungsbildes, aber ohne weitere Funk- ne Teilhabebeeinträchtigung bei einer tionsbeeinträchtigung, überhaupt auf abklingenden Gesundheitsstörung be- einen GdB von 80 und damit zum reits berücksichtigt wird. Wenn da- Merkzeichen RF zu kommen. Exemp- nach eine Besserung erfolgt, kann eine larisch sei hier eine Neurofibromatho- Herabsetzung des GdB nur durch eine se Typ 1 genannt, deren charakteristi- Neufestsetzung erfolgen. sches Symptom flächendeckende war- Das Abstellen auf eine „voraussicht- zenartige Tumore auf der Haut sind. lich dauerhaft verbleibende“ Teilhabe- Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 761 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 762 beeinträchtigung ohne zeitliche Be- denen dann Merkzeichen grundsätz- grenzung bedeutet eine deutliche Ver- lich verwehrt blieben. Die Formu schlechterung bei der Rechtsposition lierung ist daher abzuändern in des behinderten Menschen. Ohne „Funktionsstörung oder Gesundheits zeitliche Definition ist es möglich, in störung“. Teil B bei Gesundheitsstörungen un- ter Betrachtung eines mehrjährigen 1.12. Versterben des Antrag Verlaufs nur noch eine äußerst geringe stellenden (bisher A 2g) oder gar keine Teilhabebeeinträchti- Nach bisheriger Regelung kann ein gung mehr festzulegen. Der VdK lehnt GdB auch zuerkannt werden, wenn deshalb die Neuregelung ab. ein Antragsteller oder eine Antragstel- lerin innerhalb von sechs Monaten 1.11. Berücksichtigung des GdB nach Eintritt einer Gesundheitsstö- für die Vergabe von rung verstirbt. In diesen Fällen wurde Merkzeichen (A 1.3.8) der GdB angesetzt, der nach ärztlicher Für die Vergabe von Merkzeichen soll Erfahrung nach Ablauf von sechs Mo- ausschließlich der GdB für die eigent- naten nach Eintritt der Gesundheits- liche Funktionsstörung relevant sein störung zu erwarten gewesen wäre. (A 1.3.8-neu). Diese Regelung soll nach dem Ent- wurf komplett wegfallen. Bewertung des VdK Bewertung des VdK Die Regelung, nach der allein der GdB „für die eigentliche Funktionsstörung“ Der VdK fordert die Beibehaltung maßgeblich für die Merkzeichen sein dieser Regelung. Durch die posthume soll, ist inkonsequent, nicht ICF-kon- GdB-Feststellung können Rechts- form und auch nicht mit dem Teil nachfolger von Nachteilsausgleichen habeverständnis der UN-BRK verein- profitieren. bar. Während noch unter „1.2 Fakto- 2. Heilungsbewährung (A 2.1.2) ren der Teilhabebeeinträchtigung“ zutreffend ausgeführt wird, welche Die Voraussetzungen für eine Hei- Faktoren gemäß der ICF alle bei der lungsbewährung werden in A 2.1.2 Ermittlung der Teilhabebeeinträchti- neutral und ohne Bezug auf bestimm- gung zu berücksichtigen sind, erfolgt te Gesundheitsstörungen (derzeit hier eine Verkürzung zum Nachteil Krebserkrankungen und Organtrans- der Antragstellerinnern und Antrag- plantationen) definiert. steller auf eine zugrundeliegende Das Konstrukt der Heilungsbewäh- Funktions störung. Wie oben bereits rung wird grundsätzlich beibehalten bei „Beeinträchtigungen des äußeren (Ref.-E. A 2) und beinhaltet eine be- Erscheinungsbildes“ dargelegt wurde, fristete pauschale Bewertung für alle gibt es im Übrigen auch Beeinträchti- zeitlich begrenzten Auswirkungen im gungen ohne Funktionsstörung, bei physischen, psychischen und sozialen Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 762 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 763 Bereich. Dazu gehören zum Beispiel men werden, wenn diese sachgerecht auch Therapiemaßnahmen und gebo- möglich sei. tene Beschränkungen der Teilhabe, die im Einzelnen schwer nachweisbar Bewertung des VdK sind, die innerhalb eines festgesetzten Zeitraums in ihrem Ausmaß in der Der VdK begrüßt die Beibehaltung Regel abnehmen. der Heilungsbewährung. Die neutrale Beschreibung der Voraussetzung für Getrennt davon werden die Auswir- eine Heilungsbewährung ist ICF-kon- kungen derjenigen Funktionsstörun- form und konsequent. gen ermittelt, die mit Beginn des Zeit- raums der Heilungsbewährung ein- Allerdings enthält die geplante Neure- deutig festgestellt sind und über den gelung eine inakzeptable Verschlech- für die Heilungsbewährung festgesetz- terung für die Betroffenen gegenüber ten Zeitraum hinaus dauerhaft ver- der jetzigen Rechtslage. bleiben. Der GdB für diese dauerhaft Derzeit ist bei einer zeitlich befristeten verbleibenden Funktionsstörungen Heilungsbewährung ein GdB von soll dann nach den Regeln der mindestens 50 oder mehr für regelhaft Gesamt-GdB-Bildung in die Gesamt- fünf Jahre vorgesehen. Das soll künftig bewertung eingehen. Die nach dieser nicht mehr als allgemeiner Grundsatz Maßgabe neu gefassten Bewertungen der Heilungsbewährung gelten. Die sind in Teil B mit einem entsprechen- Heilungsbewährung wird dann in den Hinweis versehen. Teil B mit einer individuellen GdB- Nach Ablauf des Zeitraums der Hei- Höhe und Dauer bei der jeweiligen lungsbewährung sieht der Entwurf Gesundheitsstörung festgelegt. Formal vor, dass Auswirkungen der Gesund- wird also am Konzept der Heilungs heitsstörung oder der Therapie auf die bewährung festgehalten, gleichzeitig Teilhabe, zum Beispiel chronische kann es im Zuge der Überarbeitung Müdigkeit, Sterilität, Neuropathien, der fachspezifischen Begutachtungs- Beeinträchtigung der Entwicklung so- grundsätze in Teil B nach und nach wie Beeinträchtigung emotionaler, ko- durch deutlich geringere GdB und gnitiver und sozialer Funktionen, bei deutliche kürzere Zeiträume ausge- der Begutachtung zu beachten sind höhlt werden. So soll beispielsweise und die entsprechenden Teilhabebe- nach dem Ref.-E. eine akute Leukämie einträchtigungen im jeweiligen Funk- (Teil B Nr. 16.7.3) nach dem ersten tionssystem einzeln zu bewerten sind. Jahr der Diagnosestellung bei kom- pletter klinischer Remission unabhän- Für in Teil B nicht aufgeführte Ge- gig von der durchgeführten Therapie sundheitsstörungen, die die Voraus- eine Heilungsbewährung von drei Jah- setzungen nach 2.1.2 Ref.-E. erfüllen, ren haben. Danach wird der GdB her- soll dennoch eine Bewertung auch oh- abgestuft, je nach verbliebenen Aus- ne Heilungsbewährung vorgenom- wirkungen auf minimal GdB 30. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 763 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 764 Aus den VdK-Rechtsschutzstellen ist bei nicht in Teil B aufgeführten Ge- bekannt, dass bei Krebserkrankungen sundheitsstörungen auch ohne Hei- ein Großteil der Betroffenen um die lungsbewährung bewertet werden 50 Jahre alt ist und in der Regel im kann, obwohl die Gesundheitsstörung Berufsleben steht. Gerade diese Perso- die aufgelisteten Kriterien erfüllt. Ent- nengruppen sind in besonders starkem weder die Kriterien sind wissenschaft- Maße auf den Schwerbehindertensta- lich begründet und gelten oder sie gel- tus und damit auf die Nachteilsaus- ten nicht. Hier entsteht der Eindruck, gleiche im Arbeits- und Berufsleben diese Regelung dient allein der Ver- angewiesen (Kündigungsschutz, Ar- waltungsvereinfachung und das Kons- beitsplatzanpassung, Minderleistungs- trukt der Heilungsbewährung soll auf ausgleich etc.). Der VdK fordert daher diesem Wege zu umgehen sein und die Beibehaltung der jetzigen Rege- geschwächt werden. Dies widerspricht lung, nach der grundsätzlich für einen der Zielsetzung der Heilungsbewäh- bestimmten Zeitraum ein Mindest- rung, den Betroffenen mit einer pau- GdB von 50 und eine Mindestdauer schalen Bewertung zu entlasten. von regelhaft fünf Jahren beibehalten Zwar ist im Ref.-E. eine Übergangs- werden. klausel zum Bestandsschutz geplant. Getrennt von der Heilungsbewährung Auch sollen die Folgen der Befris- sollen die Auswirkungen derjenigen tungsmöglichkeit für die Betroffenen Funktionsstörungen ermittelt werden, mit einer Hinweispflicht der Behörde die mit Beginn des Zeitraums der Hei- und einer Schutzklausel abgefedert lungsbewährung eindeutig festgestellt werden. Insgesamt stellt die geplante sind und über den für die Heilungsbe- Neuregelung aber eine Verschlechte- währung festgesetzten Zeitraum hin- rung für die Betroffenen dar und ist aus dauerhaft verbleiben. Hiernach abzulehnen. Nach Ansicht des VdK werden bei einer Gesundheitsstörung sollten Betroffene sich bei erfüllten eine Bewertung der Teilhabebeein- Voraussetzungen den Anspruch auf trächtigung mit und eine dauerhaft eine regelhafte Heilungsbewährung ohne Heilungsbewährung vorgenom- von fünf Jahren bei einem Mindest- men und daraus eine Gesamt-GdB GdB mit Schwerbehindertenstatus be- gebildet. Ziel der Heilungsbewährung rufen können. ist, den Betroffenen zu entlasten, die schwer einschätzbaren Gesundheits- 3. Gesamt-GdB-Bildung – störungen darlegen zu müssen. Die Keine Berücksichtigung von getrennte Ermittlung der Auswirkun- GdB 10 und 20 (A 3.2.2.3) gen ist aufwändig und fehleranfällig Gemäß A 3.2.2.3 soll bei der Prüfung, und widerspricht der Zielsetzung der ob sich das Ausmaß der Gesamtbeein- Heilungsbewährung. trächtigung der Teilhabe durch eine Überhaupt nicht nachvollziehbar ist weitere Gesundheitsstörung wesent- für den VdK die Regelung, nach der lich erhöht, ein GdB von 10 künftig Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 764 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 765 regelhaft zu keiner Erhöhung des 4. Verfahren (A Nr. 6) Gesamt-GdB und Einzel-GdB von 20 nur noch in Ausnahmefällen führen A 6.1.1 regelt die Befristung von Fest- können, die dann eingehend zu prüfen stellungsbescheiden für die Heilungs- und zu begründen sind. bewährung. Mit einer Befristung kann auch eine Feststellung über die danach dauerhaft verbleibende Teilhabebeein Bewertung des VdK trächtigung und den entsprechenden GdB verbunden werden, zum Beispiel Im Hinblick auf die geplante Neure- ein Gesamt-GdB, der eine Heilungs- gelung zur Bildung des Gesamt-GdB bewährung beinhaltet, und zusätzlich kritisiert der VdK, dass gering- und ein Gesamt-GdB, der keine Heilungs- mittelgradige Gesundheitseinschrän- bewährung mehr beinhaltet. Dies soll kungen, die mit einem GdB von 10 die Verwaltung entlasten und von oder 20 bewertet werden, bei der Bil- vornherein klarstellen, welcher GdB dung des Gesamt-GdB grundsätzlich nach Ablauf der Heilungsbewährung unberücksichtigt bleiben sollen. In verbleibt. diesem Zusammenhang wird darauf Des Weiteren gilt die Möglichkeit der hingewiesen, dass in Teil B der Befristung für Gesundheitsstörungen, VersMedV zahlreiche Einschränkun- bei denen regelhaft mit dem Erreichen gen künftig nur noch mit einem gerin- bestimmter Altersstufen oder definier- geren GdB von 10 oder 20 bewertet ter Stadien der Gesundheitsstörung die werden sollen und diese Funktionsein- Teilhabebeeinträchtigungen abneh- schränkungen dann gar keine Berück- men (s. auch 1.2.5-neu bzw.1.3.6-neu). sichtigung mehr finden würden. Der Auch in diesen Fällen soll die Versor- VdK fordert deshalb die Beibehaltung gungsverwaltung künftig die Bescheide der bisherigen Regel, wonach nur bei von vornherein befristen können. „leichten Gesundheitsstörungen“, die einen GdB von 10 bedingen, regelhaft Um zu verhindern, dass eine „Lücke“ keine Zunahme der Teilhabebeein- entsteht und Menschen wegen der Be- trächtigung anzunehmen ist oder nur fristung vorübergehend zum Beispiel bei „leichten Gesundheitsstörungen“ ihren Schwerbehindertenstatus und da- mit GdB 20 in Ausnahmefällen die mit Schutzrechte und Nachteilsausglei- Erhöhung angenommen werden che verlieren, müssten sie gemäß 6.1.2 kann. Mittelgradige Gesundheitsstö- spätestens sechs Monate vor Ablauf der rungen dürfen nach Ansicht des VdK Befristung eine Neufestsetzung bean- von diesen Ausnahmeregelungen auch tragen. Entscheidet die Behörde in die- künftig nicht miterfasst werden und sen Fällen nicht bis zum Ablauf der müssen mit einem GdB von 10 oder Befristung über den Neufeststellungs- 20 berücksichtigt werden (Beispiel: antrag, so soll der bisherige höhere GdB „mittelgradiges Stottern“, das einen bis zu einer dann entschiedenen Neu- GdB von 20 bewirkt). feststellung fortbestehen. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 765 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 766 6.1.3-neu enthält eine Hinweispflicht Begründet wird die Befristung mit für die zuständige Behörde, damit die- einer Verwaltungsvereinfachung. Bei se die Betroffenen über die sechs einer Befristung erfolgt eine Herab monatige Frist und die Rechtsfolgen setzung des GdB allein durch Frist der Befristung informiert. ablauf und damit ohne nähere Über- prüfung ihrer Berechtigung. Eine Ver- Bewertung des VdK waltungsvereinfachung kann somit im Wesentlichen nur erfolgen, wenn der Anders als im Arbeitsentwurf 2017 Betroffene etwa aus Unkenntnis oder sollen die Folgen der Befristungsmög- Furcht vor einem belastenden und auf- lichkeit für die Betroffenen nun mit wändigen Verfahren auf einen Neu einer Hinweispflicht der Behörde und feststellungsantrag verzichtet. Eine sol- der Möglichkeit, rechtzeitig eine Fest- che Verwaltungsvereinfachung ist aus stellung beantragen zu können, abge- Sicht des VdK nicht akzeptabel. Der federt werden. VdK lehnt deshalb die neu vorgesehe- Dennoch handelt es sich bei den vor- nen Befristungsmöglichkeiten strikt ab. gesehenen Befristungsmöglichkeiten um eine wesentliche Verschlechterung Weil der Bescheid entscheidend ist, gegenüber der jetzigen Rechtslage. muss nach derzeitiger Rechtslage zu- Nach geltendem Recht wird der Be- nächst eine Anhörung erfolgen. Wird scheid unbefristet erteilt und nur der eine Herabsetzung ausgesprochen, Ausweis befristet. Eine Herabsetzung bleibt durch die aufschiebende Wir- des GdB sowie der Entzug von Merk- kung des Rechtsmittels der alte Zu- zeichen können nur durch eine Neu- stand aufrechterhalten. feststellung erfolgen. Vorher ist eine Anhörung erforderlich. Eine Herab- Durch die Neuregelung wird ein Teil setzung des GdB wird erst mit Unan- unbefristet festgestellt (die dauerhaft fechtbarkeit des herabsetzenden Be- verbleibende Schädigung), der andere scheids wirksam, dies bedeutet, bei Teil aber befristet (je nachdem, welche Einlegung von Rechtsmitteln erst mit Veränderungen zu erwarten sind). Der Rechtskraft des klageabweisenden Ur- Ausweis, mit dem Nachteilsausgleiche teils. Wenn sich der GdB auf weniger geltend gemacht werden können, wird als 50 verringert, gilt ein besonderer aber im Regelfall befristet ausgestellt. Schutz: Die Herabsetzung wirkt erst Unklar ist, wie die Betroffenen, solan- am Ende des dritten Kalendermonats ge aufgrund der fehlenden Entschei- nach Eintritt der Unanfechtbarkeit dung über die Neufestsetzung seitens des die Verringerung feststellenden der Behörde, Nachteilsausgleiche mit Bescheides (§ 199 SGB IX). Bei einer einem befristeten und daher „abgelau- Befristung wird diese starke verfah- fenen“ Schwerbehindertenausweis rensrechtliche Stellung des Betroffe- und einem befristeten und „abgelaufe- nen ausgehebelt. nen“ Bescheid geltend machen sollen. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 766 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 767 5. Wesentliche Änderung der 5.2. Übergangsfrist und Verhältnisse (A 6.2) Bestandsschutz (A 6.4) Eine wesentliche Änderung der Ver- Nach A 6.4 soll eine Übergangsrege- hältnisse wie in A 6.2 besteht, wenn lung mit Bestandsschutz bis zum ein veränderter Gesundheitszustand 31. Dezember 2022 eingeführt wer- mehr als sechs Monate angehalten hat den für die Personen, bei denen vor oder voraussichtlich anhalten wird Inkrafttreten dieser 6. Änderungsver- und wenn die entsprechende Ände- ordnung bereits ein Gesamt-GdB fest- rung des GdB mindestens 10 beträgt. gestellt wurde, wenn dieser Gesamt- Diese Regelung entspricht der jetzigen GdB durch eine Neufeststellung Rechtslage. (selbst beantragt oder von Amts wegen Darüber hinaus liegt eine wesentliche durchgeführt) zu einem geringeren Änderung der Verhältnisse vor, wenn Gesamt-GdB führen würde. In diesen der Zeitraum der Heilungsbewährung Fällen bleibt der vorherige, höhere oder ein festgesetzter begrenzter Zeit- GdB erhalten. raum abgelaufen ist oder Vorausset- Die Übergangsregelung soll allerdings zungen für weitere Leistungen im nicht in Fällen gelten, in denen der Sozialen Entschädigungsrecht für Zeitraum einer Heilungsbewährung Nachteilsausgleiche erfüllt sind oder oder ein festgesetzter begrenzter Zeit- entfallen. raum bereits abgelaufen ist. Bewertung des VdK Bewertung des VdK Dies entspricht der bisherigen Rechts- lage. Ergänzend wurde die Möglich- Mit der vorgesehenen Übergangsrege- keit eines begrenzten festgesetzten lung und dem Bestandsschutz wird Zeitraums mit aufgenommen. zumindest vermieden, dass Betroffene, die ohne Kenntnis der geänderten 5.1. Neubewertung (A 6.3) Rechtslage und veränderten fachspezi- Nach Ablauf der Heilungsbewährung fischen Begutachtungsgrundlagen in oder nach Ablauf eines festgesetzten Teil B eine Neufeststellung („Ver- begrenzten Zeitraums ist auch bei schlimmerungsantrag“) beantragen, gleichbleibenden Symptomen eine einen geringeren GdB als vorher erhal- Neubewertung des GdB nach A 6.3 ten. zulässig. Da die Regelung nach dem Wortlaut Bewertung des VdK nur bei einem festgestellten Gesamt- GdB greift, würde sie bei Feststellung Dies entspricht der bisherigen Rechts- eines Einzel-GdB in einem Funktions- lage. Ergänzend wurde die Möglich- bereich nicht gelten. Dies wäre nicht keit eines begrenzt festgesetzten Zeit- sachgerecht. Der VdK fordert hier raums mit aufgenommen. eine Klarstellung. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 767 10.12.2018 15:06:53
Sozialpolitik 768 Des Weiteren greift die Regelung mit tik der gesetzlichen Unfallversiche- einem nur etwa dreijährigen Bestands- rung auf Asbest zurück. Bislang ist die schutz zu kurz. Der VdK fordert hier, Behandlung nur sehr eingeschränkt dass ähnlich wie bei der Überarbei- möglich, da das Mesotheliom meist tung der Anhaltspunkte 1996 und bei erst in einem späten Stadium entdeckt Einführung des neuen Pflegebedürf- wird. tigkeitsbegriffs sichergestellt wird, dass die Versorgungsverwaltung aus Anlass Biomarker für erfolgreiche der Änderung der VersMedV keine Sekundärprävention Überprüfung von bestandskräftigen Das Institut für Prävention und Ar- Bescheiden vornimmt und festgestell- beitsmedizin der Deutschen Gesetzli- te GdB herabsetzt und Merkzeichen chen Unfallversicherung, Institut der entzieht. ¦ Ruhr-Universität Bochum (IPA) ver- Stellungnahme des Sozialverbands VdK öffentlichte nun im Open Access Deutschland e. V. zum Referentenent- Journal „Scientific Reports“ die Er- wurf der Sechsten Verordnung zur Än- gebnisse der kombinierten Blutana derung der Versorgungsmedizin-Verord- lyse für die Mesotheliom-spezifischen nung (VersMedV) vom 28. September Biomarker Calretinin und Mesothe- 2018. lin. „Biomarker sind Substanzen, die im Körper als Folge von bestimmten Berufskrankheiten Erkrankungen oder sogar bereits schon im Vorfeld einer Erkrankung Früherkennung von auftreten können“, erklärt Dr. Joh- nen, Leiter des Kompetenzzentrums Mesotheliomen möglich Molekulare Medizin am IPA. „Sie Das maligne Mesotheliom gehört zu sind deshalb so besonders wertvoll, da den gefährlichsten Asbest-Erkrankun- sie meist in leicht zugänglichen Kör- gen. Es ist kaum frühzeitig zu erken- perflüssigkeiten wie Blut oder Urin nen, bisher unheilbar und führt meist nachgewiesen werden können. nach kurzer Krankheit zum Tod. Ob- Erstmalig wurde ein Verfahren zur wohl die Verwendung und das Inver- Früherkennung von Mesotheliomen kehrbringen von Asbest bereits vor validiert, bei dem die Patienten nicht mehr als 25 Jahren in Deutschland durch invasive Eingriffe oder Strah- verboten wurden, sind die Zahlen As- lung belastet werden. Bei nur zwei best verursachter Berufskrankheiten Prozent falschpositiven Befunden (BK) weiter hoch. Die Ursache hierfür können in bestimmten Hochrisiko- liegt in der langen Latenzzeit zwischen gruppen nahezu 50 Prozent der Versi- der Exposition gegenüber Asbest und cherten, die ein Mesotheliom entwi- dem Ausbruch der Krebserkrankun- ckeln, bis zu einem Jahr vor der klini- gen. Mehr als die Hälfte der Todesfäl- schen Diagnose erkannt werden“, so le aufgrund von BK gehen laut Statis- Johnen weiter. Sozialrecht+Praxis 12/18 20811_SuP_Inhalt_Dez_2018.indd 768 10.12.2018 15:06:53
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