Einblicke in Menschenrechtsarbeit - Unser Tätigkeitsbericht 2017 - Flüchtlingsrat ...
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Spendenkonto Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. GLS Gemeinschaftsbank e.G. KtoNr. 4030 460 700 BLZ: 430 609 67 IBAN: DE28 4306 0967 4030 4607 00 BIC: GENODEM1GLS Zweck: Spende Impressum Tätigkeitsbericht des Vorstandes des Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V. für das Jahr 2017 Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. Röpkestraße 12 30173 Hannover Tel.: 0511 / 98 24 60 30 Fax: 0511 / 98 24 60 31 Internet www.nds-fluerat.org www.facebook.com/Fluechtlingsrat.Niedersachsen E-Mail nds(at)nds-fluerat.org
Inhalt 1. Politischer Rückblick 5 2. Veranstaltungen 8 2.1.Treffen niedersächsischer Flüchtlingsinitiativen 8 2.2 Ausgewählte Veranstaltungen 9 3. Berichte aus der Praxis 13 3.1 Aufnahme in Niedersachsen – Zwischen Teilhabe und Ausgrenzung 13 3.2 Keine Beschulung von Kindern und Jugendlichen in EAs 15 3.3 Ausgewählte Themen und Einzelfälle aus der Beratungspraxis 18 3.4 Arbeitsmarktzugang zwischen totalem Ausschluss und partieller Öffnung 24 3.5 Frauenpower und Empowerment: Flüchtlingsfrauen* in Niedersachsen 28 3.6 Alternative Möglichkeiten der Aufenthaltsverfestigung 30 3.7 Abschiebungshaft in Niedersachsen 36 3.8 Familienzusammenführung - Familientrennungen von Staats wegen 39 3.9 Perspektiven für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge 43 3.10 Junge Geflüchtete aus Afghanistan 45 4. Arbeit der Initiativen vor Ort 48 4.1 Flüchtlingshilfe Wolfsburg e.V. 48 4.2 Panthers Veltheim - Be part of the Legend (LK Wolfenbüttel) 49 4.3 Garten der Hoffnung Otterndorf (LK Cuxhaven) 51 4.4 Refugee Network Göttingen 52 4.5 Ilsede hilft e.V. (LK Peine) 53 4.6 Caritasverband Wolfsburg e.V. 55 4.7 Göttingen: „find friends – find work“ 56 4.8 APROTO e.V. 57 4.9 „Menschen verbinden Menschen“ Das Bürgerbündnis für Hannover 59 4.10 Der Nachbarschaftskreis für Flüchtlinge in Hannover-Mitte 60 4.11 „Radeln statt am Rad zu drehen“ - Malteser Hilfsdienstes Göttingen 61 4.12 Unterstützerkreis Fallersleben/Wolfsburg 62 4.13 „Netzwerk Willkommen in Neu Wulmstorf“ 63 5. Der Flüchtlingsrat in Zahlen und Fakten 65 5.1 Geschäftsführung, Finanzen und Verwaltung 65 5.2 Projekte im Flüchtlingsrat 67 5.3 Digitale Medien 73 5.4 Veröffentlichungen 73 5.5 Rechtshilfe 73 5.6 Mitarbeit in Arbeitsgruppen auf Landesebene 73 5.7 Vorläufiger Finanzbericht Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.74 6. Dokumente 75
Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Politischer Rückblick Wagendekoration, Demonstration “We‘ll Come United“, Berlin, 16.09.17 1. Politischer Rückblick Wer die asylpolitischen Debatten der 1990er den Rechten die Stirn bietet und unsere demokra- Jahren aktiv verfolgt hat, erlebt in diesen Tagen tischen Werte hochhält. ein Déjà-vu: Wieder einmal steht die Flüchtlingsbe- Aufgeschreckt von Wahlerfolgen der rechtsradika- wegung mit dem Rücken an der Wand. Die ge- len AfD wird der Schutzanspruch von Flüchtlingen sellschaftlichen Debatten verschieben sich immer inzwischen offen infrage gestellt. Reizwörter wie weiter nach rechts, rechtspopulistische und rechts- „Gettobildung“, „Integrationsverweigerer“ oder radikale Positionen finden öffentlich vermehrt „Parallelgesellschaften“ dienen dazu, repressive Gehör und werden als legitime politische Haltun- Maßnahmen durchzusetzen und menschenrecht- gen akzeptiert, die Stimmungslage ist in Teilen der liche Standards zu unterlaufen. Dabei sind solche Gesellschaft zunehmend aggressiv. Begriffe rein politisch motiviert und inhaltlich In der Europäischen Union erleben Nationalis- fehlgeleitet, weil sie die Verantwortung für die mus und Fremdenfeindlichkeit einen Aufschwung, Integration allein Geflüchteten zuweisen und diese während Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und bereits durch die Wahl ihres Wohnortes abwerten. Menschenrechte unter Druck geraten. In dieser Tatsächlich fehlt solchen Zuschreibungen jede Gemengelage verschärft sich zusehends auch die empirische Grundlage. Geflüchtete leben keines- deutsche Flüchtlingspolitik: Immer kleinmütiger wegs in – so die Phantasie – abgeschlossenen reagiert sie auf die Angriffe der rechten Rattenfän- sozialen Räumen, um sich einer aktiven Teilhabe ger, die mit organisierten Hasskampagnen, Shit- an der Stadtgesellschaft zu verweigern. „Parallel- storms und Fake News die Gesellschaft spalten gesellschaften“ oder „Gettos“ existieren vielmehr und Flüchtlinge zu einer Gefahr für die deutsche in den Köpfen derer, die die Begriffe verwenden. Gesellschaft stilisieren. „Integrationsverweigerer“ sind in erster Linie jene, die Flüchtlingen ihre Rechte absprechen, ihnen Ignoriert wird in den Debatten nicht nur, dass es Sprachkurse, Arbeit, Bildung verweigern und sie Migrationsbewegungen zu allen Zeiten gegeben in fragwürdigen Lagern isolieren, statt ihnen eine hat, und dass diese oftmals gesellschaftliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermög- Entwicklungen bereichert und mitgestaltet haben. lichen. Zugleich wird ausgeblendet, dass die Aufnahme und der Schutz von Flüchtlingen im Grundgesetz Die derzeit dominierende Perspektive in der De- sowie in verbindlichen internationalen Abkom- batte um Flucht und Flüchtlinge zeigt sich auch men verankert sind und insofern im politischen am Begriff „Flüchtlingskrise“, mit dem die Verant- Alltagsgeschäft nicht leichtfertig abgewertet wortung für die Entwicklung dieser vermeintlichen werden dürfen. Mehr denn je brauchen wir jetzt „Krise“ den Schutzsuchenden selbst zugeschoben eine Bewegung von unten, die die 2015 zu Recht wird. Kriege, Verfolgung, Menschenrechtsver- gelobte „Willkommenspolitik“ offensiv verteidigt, letzungen und andere Fluchtursachen werden Seite 5
Politischer Rückblick Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. dagegen ausgeblendet. Tatsächlich haben wir es die Überfahrt über das Mittelmeer wagen. Solan- gegenwärtig nicht mit einer „Flüchtlingskrise“, ge keine sicheren und legalen Fluchtwege nach sondern mit einer Humanitätskrise zu tun: zum Europa geschaffen werden, wird das Mittelmeer einen in den Herkunftsländern wie Syrien, Afgha- weiterhin eine tödliche Fluchtroute bleiben. nistan oder Irak mit ihren seit Jahren andauernden Jene, die es bis nach Europa schaffen, werden in Kriegen und schwersten Menschenrechtsverletzun- Griechenland und Italien unter unwürdigen Bedin- gen; zum anderen aber auch in den europäischen gungen untergebracht. Gerade auf den griechi- Aufnahmeländern. schen Inseln, insbesondere auf Lesbos, bleibt die In Deutschland wird – wie mittlerweile in der ge- Situation dramatisch. Noch immer müssen tausen- samten EU – die sinkende Zahl von Asylsuchenden de Schutzsuchende, unter ihnen viele Kinder, unter allenthalben als Erfolg gewertet, als bedeute die prekären Bedingungen auf den griechischen Inseln Abschottungspolitik, dass es weniger Flüchtlinge ausharren, während die Asylverfahren, die dort gäbe. Dabei sind Schutzsuchende, wenn sie nicht durchgeführt werden sollen, nur langsam vorange- auf einer der lebensbedrohlichen Fluchtrouten um- hen. Im Oktober 2017 warnte PRO ASYL vor einem gekommen sind, lediglich andernorts gestrandet: Kollaps der Infrastruktur, während Ärzte ohne in libyschen Camps, in denen Folter, Versklavung, Grenzen einen psychosozialen Notstand auf den Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind; in Inseln vermeldete. Dieser Notstand ist politisch miserabel ausgestatteten Hotspots auf den grie- gewollt: Die Bilder aus den Camps sollen dazu chischen Inseln oder ohne staatliche Versorgung dienen, Flüchtlinge davon abzuhalten, in Europa in provisorischen Lagern entlang der Balkanroute; Schutz zu suchen. im syrischen Kriegsgebiet, weil zum EU-Türkei-Deal Angesichts dieses humanitären Ausnahmezustan- zumindest informell auch gehört, dass die Türkei des ist es kaum mehr verwunderlich, dass sich ihre Grenze zu Syrien abgeriegelt hat. Union und SPD darauf verständigt haben, die mo- Um Fluchtbewegungen schon im Vorfeld zu verhin- natlich zugesagten – in der Praxis aber nicht ein- dern, versucht die Europäische Union, die Bewe- mal eingehaltenen – Aufnahmen aus den Camps gungsfreiheit bereits jenseits ihrer eigenen Gren- Griechenland und Italien einstellen zu wollen. zen einzuschränken und Flucht zu erschweren. In Afrika unterstützt die EU zahlreiche Regime, die schwere Menschenrechtsverletzungen begehen, Restriktive Bundespolitik mit Milliardenbeträgen und bildet deren Polizei, Statt die Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus Armeen und Milizen aus, damit diese Flüchtlingen den Hauptherkunftsländern (Syrien, Irak, Afghanis- den Weg nach Europa versperren. Während in tan) wie noch 2015 willkommen zu heißen und ihre Libyen Flüchtlinge unter Ausbeutung, Missbrauch Fluchtgründe anzuerkennen, erleben wir in den und Gewalt leiden, finanziert die Europäische letzten Jahren eine beispiellose Absenkung von Union dortige Milizen, die als „Küstenwache“ da- Schutzquoten durch das zuständige Bundesamt für sorgen sollen, dass Flüchtlinge nicht über das für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Zugleich Mittelmeer nach Europa gelangen. Es sind die- erwecken die wieder und wieder beschworenen selben oder mit ihnen verbundene Milizen, die an hohen – gleichwohl falschen – Zahlen angeblich Land Flüchtlinge in Lagern internieren, foltern und ausreisepflichtiger Personen den Eindruck, als als Sklav_innen verkaufen. Die viel beschworene seien die meisten Asylsuchenden keine „echten“ „Fluchtursachenbekämpfung“ ist damit tatsäch- Flüchtlinge, sondern illegale Migrant_innen. lich nicht mehr als der – oftmals leider erfolgreiche – Versuch, Schutzsuchende an der Flucht zu hin- Im Bereich der Familienzusammenführung sind dern. Denn es ist weit einfacher, Schutzsuchenden weitere Restriktionen bereits beschlossen. Für von Wege zu versperren und sie kollektiv zu delegiti- Tod und Folter bedrohte Menschen (in Bürokraten- mieren, als in einer komplexen, multipolaren Welt deutsch: „Subsidiär Schutzberechtigte“) ist der zu- Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und solidari- nächst ausgesetzte Rechtsanspruch auf Familien- sches Handeln tatsächlich durchzusetzen, Kriegen, zusammenführung nun abgeschafft und zu einer Armut und Elend Einhalt zu gebieten und Schutz- bloßen Ermessensentscheidung herabgestuft. bedürftige wirksam zu schützen. Die abwehrende Haltung spiegelt sich auch im Die Abschottungspolitik der Europäischen Union, Koalitionsvertrag der von SPD und CDU getrage- immerhin Friedensnobelpreisträgerin, zeigt sich nen Bundesregierung wieder. Unter dem neuen auch in der beispiellosen Kriminalisierung der Innenminister Seehofer werden Flüchtlinge dele- zivilen Seenotrettung. Dahinter verblasst, dass der gitimiert und zum neuen Feindbild erklärt. Eine Einsatz der NGOs überhaupt erst nötig geworden neue „Abschiebungsoffensive“ soll die „Willkom- ist, weil die EU ihrer Verpflichtung nicht nach- menskultur“ von einst ablösen. CDU, CSU und SPD kommt und die Abschreckung von Flüchtlingen haben sich auf die flächendeckende Einführung für wichtiger hält als die Rettung von Menschen, von AnkER-Lagern nach bayerischem Vorbild die aus Verzweifelung in untauglichen Booten verständigt, in denen alle Schutzsuchenden nach Seite 6
Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Politischer Rückblick Möglichkeit für die gesamte Dauer des Asylver- mehr auf, und ambitionierte neue Projekte sucht fahrens isoliert werden sollen. Arbeit, Sprachkur- man in der Koalitionsvereinbarung von SPD und se, Bildung, Schule sind in solchen Einrichtungen CDU vergeblich. Die Landesregierung hält sich nicht vorgesehen. Wer aus angeblich „sicheren vielmehr zurück und versucht, Konflikten auszu- Herkunftsländern“ kommt – die Liste soll stark weichen. ausgeweitet werden –, soll gar nicht mehr in die In Zeiten wie diesen ist das allerdings nicht ge- Kommunen verteilt werden und auf keinen Fall am nug. Nötig wäre eine klare Haltung, um sich dem gesellschaftlichen Leben teilnehmen dürfen, son- Rechtstrend entgegenzustemmen. dern direkt aus diesen Lagern abgeschoben wer- den. Im Ergebnis werden wir es absehbar mit mehr Flüchtlingen zu tun bekommen, die ausgegrenzt Fazit und zermürbt über lange Zeiträume in Sammella- gern ihr Leben fristen werden. Unsere Aufgabe als Flüchtlingsrat wird es sein, dem Gegenwind Stand zu halten und auf allen Ebenen für eine menschenrechtsbasierte, progres- Niedersächsische Politik sive Flüchtlings- und Integrationspolitik zu strei- ten. Wir müssen uns der zunehmend restriktiven Niedersachsen geht den Weg einer zunehmend re- Flüchtlingspolitik entgegenstellen und entschie- striktiven Flüchtlingspolitik bislang nur beschränkt den widersprechen, wenn Regierungen und Partei- mit. Rhetorisch orientiert sich die Koalitionsver- en versuchen, mit der Übernahme (rechts-)popu- einbarung der neuen Landesregierung vom 16. listischer Thesen und Positionen Wähler_innen November 2017 – entsprechend dem Zeitgeist – zurückzugewinnen. Dazu brauchen wir zunächst an den bundespolitischen Vorgaben: Mehr Polizei, einmal eine offene Diskussion über die Ursachen mehr Kontrollen, mehr Abschiebung. Das bleibt und Gründe für den relativen Erfolg der rechtsra- auch in der Praxis nicht ohne Konsequenzen: Wir dikalen Hasskampagnen. Es ist nach wie vor nur stellen fest, dass auch in Niedersachsen wieder eine Minderheit, die derzeit die gesellschaftlichen Abschiebungen stattfinden, die aus menschen- Debatten prägt und die etablierten Parteien vor rechtlicher Sicht inakzeptabel sind und uns zwei- sich hertreibt. Wir, die wir uns für Solidarität mit feln lassen, ob die Orientierung der Landespolitik Geflüchteten stark machen, sind weit stärker, als an humanitären Grundsätzen noch Gültigkeit die veröffentlichte Meinung uns derzeit glauben besitzt (Inkaufnahme von Familientrennungen, machen will. Ziel unserer strategischen Bemü- unangekündigtes Eindringen in Wohnungen zur hungen muss es sein, die politische Hegemonie Nachtzeit, Abschiebung auch schwerkranker zurückzugewinnen, die wir 2015 innehatten, und Patient_innen). Von dem vielbeschworenen „Para- die offene, solidarische Gesellschaft als ein attrak- digmenwechsel in der Abschiebungspolitik“, wie tives, lebenswertes Lebensmodell wieder in die ihn der alte und neue Innenminister Boris Pistorius öffentliche Diskussion zu bringen. Eine gute Gele- 2013 versprach, ist nicht mehr viel übrig geblie- genheit für eine entsprechende Debatte bietet die ben. Auch einer Ausweitung der Liste der sicheren Mitgliederversammlung des Flüchtlingsrats am 26. Herkunftsstaaten um die Maghreb-Staaten will Mai in der „Warenannahme“ in Hannover. Niedersachsen zustimmen. Wir freuen uns auf Euch! An Sammelabschiebungen nach Afghanistan hat sich Niedersachsen aber bislang noch nicht be- teiligt. Aus der Landespolitik ist zu hören, dass AnkER-Einrichtungen in Niedersachsen nicht notwendig seien, und dass die Landesregierung an einer Politik der Teilhabe und frühzeitigen Integ- ration von Geflüchteten, soweit gesetzlich (noch) Claire Deery (Vorstandsvorsitzende) Rechtsanwältin möglich, festhalten wolle. Gerade im Bereich der Tel. 05 51 / 4 26 10 | E-Mail: cd(at)nds-fluerat.org Integrationsangebote gibt es bislang keine Kehrt- wende: So werden z.B. die aus Mitteln der Erwach- Sigrid Ebritsch Diplom Pädagogin senenbildung finanzierten Sprachkurse weiterhin Tel: 05 11 /83 64 15 | E-Mail: sigrid(at)ebritsch.com aufrecht erhalten, und auch die Beratung von Geflüchteten erfolgt in Niedersachsen im Rahmen Anke Egblomassé Diplom Soziologin der kooperativen Migrationsarbeit auf hohem E-Mail: ae(at)nds-fluerat.org Niveau. Auch das Sprach- und Integrationsprojekt SPRINT soll weitergeführt, die Sprachförderung Dündar Kelloglu Rechtsanwalt und Integration an berufsbildenden Schulen ge- Tel.: 05 11 / 1 39 34 | E-mail: kelloglu-rauls(at)t-online.de stärkt werden. Thomas Heek Doch als Stimme für eine weltoffene, menschen- Caritasstelle Friedland freundliche Gesellschaft fällt Niedersachsen nicht Tel.: 05504 / 8561 | E-mail: th(at)nds-fluerat.org Seite 7
Veranstaltungen Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Podiumsdiskussion mit Innenminister Boris Pisto- rius auf der Mitgliederver- sammlung 2017 2. Veranstaltungen Über 30 Veranstaltungen hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. im Berichtszeitraum durchgeführt, von denen wir nachfolgend einige exemplarisch darstellen wollen. 2.1. Treffen niedersächsischer Flüchtlingsinitiativen Im Jahr 2017 hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen lingsinitiativen hat am 18. November 2017 rund drei Treffen der niedersächsischen Flüchtlingsiniti- 70 Interessierte in Hannover zusammengebracht. ativen organisiert, eines davon in Oldenburg, zwei Bei diesem Treffen war das Thema Familiennach- in Hannover. Bei diesen Treffen handelt es sich zug Schwerpunkt. um offene Veranstaltungen für alle Menschen, die Im Nachgang des Treffens richteten 54 nieder- Geflüchtete unterstützen, mit ihnen arbeiten oder sächsische Initiativen, Gruppen und Vereine Mitte dies zukünftig tun wollen. Im Vordergrund stehen Januar 2018 anlässlich des Abschlusses der Son- dabei immer der Wissensaustausch und die Ver- dierungsgespräche von CDU/CSU und SPD auf netzung. Bundesebene einen öffentlichen Appell an die Das Initiativentreffen am 06. Mai 2017 in Hanno- verantwortlichen Politiker_innen und die Bundes- ver, das gemeinsam mit der Refugee Law Clinic regierung für das Menschenrecht auf Familienzu- veranstaltet wurde, widmete sich der Frage „Wie sammenführung. (Siehe auch Kapitel 3.8) umgehen mit Rassismus?“. Ausgangspunkt des Treffens war die Tatsache, dass Geflüchtete und ihre Unterstützer_innen täglich mit rassistischen Ressentiments und rechtspopulistischen Argumen- tations- und Agitationsstrategien konfrontiert sind und es daher ungemein wichtig ist, sprach- und handlungsfähig zu bleiben. Ein weiteres Initiativentreffen wurde am 26. Au- gust 2017 in Oldenburg durchgeführt. Koopera- tionspartner war dieses Mal IBIS - Interkulturelle Arbeitsstelle e.V. Thematisch standen im Mittel- Initiati- punkt des Treffens die Situation unbegleiteter ventreffen minderjähriger Flüchtlinge, die rechtlichen Rah- nieder- menbedingungen von Aufnahme und Unterstüt- sächsischer zung sowie der Übergang in die Volljährigkeit und Flüchtlingsi- aus der Jugendhilfe. nitiativen Das dritte Treffen der niedersächsischen Flücht- Seite 8
Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Veranstaltungen 2.2 Ausgewählte Veranstaltungen Podiumsdiskussion mit Innenminister Boris Breiten Raum nahm die Debatte um den Umgang Pistorius auf der Mitgliederversammlung mit Härtefällen ein: Der Innenminister wurde für 2017 seine Entscheidung kritisiert, in einigen Fällen dem Votum der Härtefallkommission nicht zu folgen. Im Rahmen der Mitgliederversammlung 2017 des Für heftige Diskussionen sorgte auch die Weige- Flüchtlingsrats Niedersachsen e.V. gab es eine in- rung des Innenministers, einen Abschiebestopp für tensive Diskussion mit Innenminister Boris Pistori- Flüchtlinge aus Afghanistan zu verhängen. us über vier Jahre rot-grüne Flüchtlingspolitik. Podiumsdiskussion zur Bundes- und Die Vorsitzende des Flüchtlingsrats, Claire Deery, Landtagswahl 2017: „Sind Flüchtlinge in zog in der Diskussion mit Innenminister Pistorius Deutschland noch willkommen?“ eine gemischte Bilanz: Rot-Grün habe zu Beginn der Legislaturperiode eine Menge Ballast aus Anlässlich der anstehenden Bundestagswahl und dem Weg geräumt und einige wichtige Reformen der vorgezogenen Landtagswahl lud der Flücht- durchgesetzt. Beispielsweise wurde die Gutschein- lingsrat Niedersachsen e.V. Vertreter_innen der praxis beendet, die Residenzpflicht aufgehoben Parteien und von PRO ASYL am 11. September und der Härtefallkommission wesentlich mehr 2017 zu einem Podiumsgespräch unter der Über- Entscheidungsspielraum eingeräumt. Auch bei schrift „Sind Flüchtlinge in Deutschland noch der Umsetzung eines Bleiberechts für Flüchtlin- willkommen?“ Vor dem Hintergrund der seit 2015 ge mit Ausbildungsplatz habe Niedersachsen die deutlich veränderten öffentlichen Debatte um das Spielräume für eine liberale Gestaltung genutzt. Thema „Solidarität mit Geflüchteten“ wollten wir Vor dem Hintergrund der Erfolge der Rechtspopu- von Politiker_innen der im Landtag vertretenen list_innen habe sich aber auch in Niedersachsen Parteien wissen, welche Flüchtlingspolitik zukünf- die Tonlage geändert. Niedersachsen gerate im- tig zu erwarten ist, wenn ihre Partei die Wahl mer mehr in den Sog einer Bundespolitik, die das gewinnt. Flüchtlingsrecht drastisch verschärft hat und eine Auf der gut besuchten Veranstaltung, die von den härtere Gangart bei Abschiebungen fordert. Mitt- Vorstandsmitgliedern Claire Deery und Dündar lerweile komme es auch in Niedersachsen wieder Kelloglu geleitet wurde, stand zunächst die Außen- vermehrt zu skandalösen Abschiebungen, auch politik der Europäischen Union und die Politik der unter Inkaufnahme von Familientrennungen. Bundesregierung im Fokus. Staatssekretär Manke verteidigte die Forderung von Pistorius, „Anlauf- stellen in Afrika“ für Flüchtlinge unter der Kontrol- le des UNHCR einzurichten. Vor dem Hintergrund der vielen Toten im Mittelmeer sei es an der Zeit, Podiumsdis- darüber nachzudenken, wie eine Aufnahme von kussion mit Verfolgten auch in Europa anders organisiert Innenminister werden könnte. Die aktuelle Situation sei geprägt Boris Pistorius davon, dass windige Schlepperorganisationen die auf der Mitglie- Flüchtlinge auf seeuntüchtigen Nussschalen ein derversamm- paar Seemeilen in internationale Gewässer bräch- lung 2017 ten, wo sie dann von Seenotrettungsorganisati- onen aus dem Wasser gefischt würden, wenn sie Innenminister Pistorius verteidigte den härteren nicht vorher ertränken. Andrea Kothen von PRO Kurs in der Flüchtlingspolitik mit den 2015 und ASYL konterte mit dem Hinweis, dass es an Anlauf- 2016 immens gestiegenen Flüchtlingszahlen. stellen auch des UNHCR in Afrika nicht mangele: Da mehr Menschen nach Deutschland gekom- Rund 270.000 vom UNHCR als Flüchtlinge klas- men seien, die längst nicht alle als Flüchtlinge sifizierte Menschen warteten allein in Ostafrika anerkannt werden, sei es zwangsläufig auch zu bislang vergeblich auf ein Resettlement-Angebot. höheren Abschiebezahlen gekommen, auch aus Es gebe keinen Mangel an Anlaufstellen, sondern Niedersachsen. „Abschiebungen sind die Kehrsei- eine mangelhaft ausgeprägte Bereitschaft der te eines Systems, das auf Asyl baut und nicht auf europäischen Staaten einschließlich Deutschlands, Einwanderung“, sagte Pistorius. Im Übrigen habe Schutz zu gewähren. Das Relocationprogramm, die niedersächsische Landesregierung durch ihr das die Übernahme von Geflüchteten aus Italien unaufgeregtes und pragmatisches, an der Lösung und Griechenland in andere europäische Staaten der praktischen Probleme orientiertes Handeln vorsehe, sei nicht einmal zu 20% umgesetzt wor- dazu beigetragen, die Rechtspopulist_innen in den. Die Aufnahme von Kontingenten könne ein Niedersachsen klein zu halten. Statt über Abschie- zusätzlicher Weg sein, aber niemals eine Alternati- bungen solle doch besser über die Integration und ve zum individuellen Asylrecht. Teilhabe der Flüchtlinge diskutiert werden. Seite 9
Veranstaltungen Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Von links nach rechts: Jan-Christoph Oetjen, FDP; Filiz Polat, Grüne; Editha Lorberg, CDU; Stephan Manke, SPD; Pia Zimmermann, Linke; Andrea Kothen, PRO ASYL Filiz Polat von den Grünen forderte daher legale „Sind Flüchtlin- Zugangswege für Flüchtlinge und die Einführung ge in Deutsch- humanitärer Visa. Pia Zimmermann von der Links- land noch partei trat für uneingeschränkte Solidarität und willkommen?“ offene Wege für Flüchtlinge ein. Podium zur Bundes- und In der zweiten Runde wurden innenpolitische Landtagswahl Themen behandelt: Staatssekretär Manke ver- 2017 sprach, die Frage eines neuen Landesaufnahme- programms für Familienangehörige von bei uns lebenden Geflüchteten nach der Wahl erneut zu prüfen. Lorberg sicherte auf Nachfrage zu, dass die CDU im Falle einer Übernahme der Regie- rungsverantwortung die Härtefallkommission nicht antasten werde. Oetjen, Polat und Zimmer- mann kritisierten die von der Landesregierung ver- hängte Zuzugssperre für Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven scharf. Lorberg verteidigte unter Verweis auf die Stimmung in der Bevölke- rung die Absicht des Bundesinnenministers, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz auch über den 16. März 2018 hinaus weiter auszusetzen. Dies kommentierte Kothen mit dem Hinweis, dass die Gewährung und Umsetzung elementarer Grundrechte in Deutschland sich aus der deutschen Verfassung und dem internationa- len Völkerrecht ergebe und nicht mit Verweis auf die Stimmung der einheimischen Bevölkerung zur Disposition gestellt werden dürfe. Die finale Diskussion mit dem Publikum drehte sich vor allem um den Umgang mit Flüchtlingen im Mittelmeer. Vertreter_innen verschiedener Initia- tiven verwiesen darauf, dass infolge der von der europäischen Union zu verantwortenden Abriege- lung der Küste durch italienisches Militär und die mit EU-Geldern finanzierte libysche Küstenwache immer weniger Flüchtlinge es schafften, italieni- schen Boden zu erreichen. Seite 10
Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Veranstaltungen Veranstaltungsreihe informiert über die Lage der Menschenrech- te in Afghanistan Bild: © Friederike Stahlmann Veranstaltungsreihe informiert über die lichen Abschiebungsstopp in Niedersachsen. Im Lage der Menschenrechte in Afghanistan Jahr 2016 wurden zwei strafrechtlich verurteilte Personen aus Niedersachsen nach Afghanistan Anfang Dezember informierten sich rund 250 abgeschoben (sh. Landtagsdrucksache 17/7350, Interessierte im Rahmen einer Veranstaltungsrei- Seite 75). Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hält he des Flüchtlingsrats Niedersachsen „Herkunfts- Abschiebungen nach Afghanistan vor dem Hin- land Afghanistan. Fluchtursachen, die Lage der tergrund der verheerenden Sicherheits- und Men- Menschenrechte und die Situation afghanischer schenrechtslage für nicht vertretbar. Geflüchteter in Deutschland“ in Zusammenarbeit mit lokalen Kooperationspartner_innen in Göttin- gen, Hannover, Celle und Lüneburg über die Lage der Menschenrechte und die aktuelle Sicherheits- lage in Afghanistan. Friederike Stahlmann vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung Halle (Saale), Afghanistan-Expertin und Gutachte- rin für britische und deutsche Gerichte in Asylver- fahren, beschrieb eindrücklich die Lage im Land. Abgeschlossen wurde die Veranstaltungsreihe zu Afghanistan mit der Filmvorführung „True War- riors“ von Ronja von Wurmb-Seibel und Niklas Schenck im Kino im Sprengel in Hannover. Der beeindruckende und bewegende Film beschreibt, wie eine Theatergruppe in Kabul einen Anschlag während der Premiere ihres Stückes im Institut Francais Afghanistan verarbeitet und sich dem Terror der Taliban widersetzt. Die beiden Filmema- cher_innen sowie die Flüchtlingsberaterin Shakila Nawazy, die Anfang September Kabul besuchte, standen im Anschluss an den Film zu Gesprächen mit dem Publikum zur Verfügung. Die Veranstaltungsreihe traf auf insgesamt gro- ßes Interesse und sollte vor dem Hintergrund der im Oktober 2016 aufgenommenen monatlichen Sammelabschiebungen nach Afghanistan den Interessierten Informationen über die tatsächliche Lage bei einer möglichen Rückkehr in das Land liefern. Zwar hat sich Niedersachsen bisher nicht an den Sammelabschiebungen nach Afghanistan beteiligt, allerdings gibt es bis heute keinen förm- Seite 11
Veranstaltungen Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Vom Ankommen zur Teilhabe. Erfolgreicher brück. Er verortete in seinem Einstiegsvortrag Fra- Fachtag von Flüchtlingsrat und Kommuna- gen von Flucht und Aufnahme, Migration und In- len Spitzenverbänden tegration in historischer Perspektive. Im Anschluss stellten Vertreter_innen Am 31. Januar 2018 fand im Neuen Rathaus Han- niedersächsischer Kommu- nover der Fachtag „Vom Ankommen zur Teilhabe nen zu vier Themenfeldern – Flüchtlingspolitik als Aufgabe und Herausforde- Maßnahmen und Initiati- rung niedersächsischer Kommunen“ statt. Organi- ven aus der lokalen Praxis siert wurde die Veranstaltung vom Flüchtlingsrat vor. Danach sprach Dr. Niedersachsen e.V. und der Arbeitsgemeinschaft Hans-Joachim Heuer, Leiter der Kommunalen Spitzenverbände Niedersach- der Abteilung für Migration sens in Kooperation mit der Landeshauptstadt und Generationen im Nds. Hannover. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Ministerium für Soziales, Netzwerkprojekts AMBA (Aufnahmemanagement Gesundheit und Gleich- und Beratung für Asylsuchende in Niedersachsen) stellung und bot einen statt. Ausblick auf die zukünf- tige Sozialpolitik der neu konstituierten Großen Koalition in Niedersachsen. Laura Müller vom Flüchtlingsrat erläuterte im Rah- men ihrer Vorstellung der Broschüre „Zufluchtsort Kommune. Gelingende Aufnahme von Geflüchte- ten in Niedersachsen“ die zentralen Leitlinien und Anforderungen an eine nachhaltige kommunale Aufnahmepolitik. Abgerundet wurde der Fachtag mit einer Diskussi- on zu Perspektiven der niedersächsischen Integra- tionspolitik 2018 – 2022. Einigkeit bestand in der Einschätzung, dass die Kommunen in den vergan- Über 150 Praktiker_innen aus den Spitzen der genen fünf Jahren bemerkenswerte Fortschritte im kommunalen Verwaltungen der niedersächsischen Bereich der Organisation der Flüchtlingsaufnahme Landkreise, Städte und Gemeinden tauschten sich und der Ermöglichung von Teilhabe erzielt ha- mit Vertreter_innen von Ministerien, Landespolitik, ben. Ziel und Zweck aller Maßnahmen sei es, den Wohlfahrtsverbänden und Flüchtlingsunterstüt- Menschen so früh wie möglich ein eigenständiges zung über ihre bisherigen Erfahrungen bei der Leben zu ermöglichen und sie in das alltägliche Aufnahme und Teilhabe von Geflüchteten aus und Leben einzubeziehen. Eine Politik des Ausschlusses diskutierten erfolgreiche Konzepte, Praktiken und und der Verweigerung von Integrationsangeboten Maßnahmen aus der Praxis niedersächsischer wie in den 1980er und 1990er Jahren dürfe sich Kommunen. nicht wiederholen. Die gemeinsame Veranstaltung von Flüchtlingsrat und Kommunalen Spitzenverbänden stellte eine Premiere dar, wie es sie in dieser Form auch bun- desweit noch nicht gegeben hat. In Anerkennung der Leistungen, die viele Kommunen im Bereich der Entwicklung und Umsetzung von Aufnahme- konzepten und Angeboten zur Teilhabe in den letzten fünf Jahren erbracht haben, hat der Flücht- lingsrat seine „klassische“ Rolle als Mahner und Kritiker schlechter Aufnahmeeinrichtungen und fragwürdiger Abschiebungsvollzüge hier einmal verlassen und mit dieser Tagung einen Raum für die Präsentation beispielhafter Praxisansätze eröffnet. Schlaglichtartig wurden erfolgreiche Projekte und Modelle vorgestellt, die anderen Kommunen Anre- gungen für die eigene Flüchtlings- und Integrati- onspolitik geben können. Gastreferent auf der Tagung war Professor Chris- toph Rass vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osna- Seite 12
Berichte aus der Praxis Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. 3. Berichte aus der Praxis 3.1 Aufnahme in Niedersachsen – Zwischen Teilhabe und Ausgrenzung: Ein Zwischenbericht Die Mehrzahl der Kommunen in Niedersachsen fehlende Privatsphäre, Fremdbestimmung, Lärm begreift die Aufnahme und Integration von Flücht- und Unruhe sowie Langeweile und erzwungene lingen auf kommunaler Ebene inzwischen als eine Untätigkeit bei Fremdversorgung. Je nach Lage, zu bewältigende Aufgabe und organisiert nicht Größe, Gestaltung der Innenräume und Betreiber- nur Projekte und Maßnahmen für die Zielgruppe, firma werden die Bewohner_innen dieser Lager sondern bemüht sich auch um deren Einbezie- darüber hinaus mehr oder weniger gesellschaftlich hung in die Angebote der Regeldienste. Noch isoliert, zuweilen sind Gemeinschaftsunterkünfte immer werden aus Sicht des Flüchtlingsrats aber durch Zäune abgegrenzt und werden durch Si- zu viele Geflüchtete zu lange in Gemeinschaftsun- cherheitsdienste bewacht. Die oftmals markan- terkünften untergebracht. Auch in den Bereichen te Trennung zwischen den Bewohner_innen der Qualitätssicherung und Beschwerdemanagement Unterkünfte und der Nachbarschaft führt dazu, erscheinen die Fortschritte bislang überschaubar. dass Geflüchtete dauerhaft als „Fremde“ stigmati- Für kritisch halten wir es auch, dass die Landes- siert werden. Die Bewohner_innen der Unterkünfte regierung, begleitet von bedenklichen Debatten, fühlen sich ausgegrenzt und sind zudem abhängig Zuzugssperren für drei niedersächsische Kommu- von Betreuer_innen und Wachpersonal, das – viel- nen verfügt, also weitere Restriktionen für Schutz- fach unkontrolliert – über weitreichende Befugnis- suchende eingeführt hat. se verfügt und eine direkte wie indirekte soziale Kontrolle ausübt. Diese schwierigen Lebensbe- Gemeinschaftsunterkünfte dingungen, die Ausgrenzung, die strukturellen Leider bestehen in vielen niedersächsischen Kom- Gegebenheiten des Asylsystems und der Verlust munen noch immer sogenannte „Gemeinschafts- an Autonomie fördern Konflikte und Spannungen unterkünfte“, deren Beschaffenheit stark variiert. in den Unterkünften. Trotz Wachdiensten in den Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das un- Unterkünften kann die Sicherheit der Bewohner_ freiwillige Zusammenleben von Menschen, die sich innen, insbesondere von Frauen und Kindern, in nicht kennen und von denen nicht wenige unter Gemeinschaftsunterkünften oftmals nicht hinrei- Traumatisierungen leiden, auf beengtem Raum chend gewährleistet werden. und für eine unbestimmte Dauer für viele eine Solange Gemeinschaftsunterkünfte aufgrund des psychosoziale Belastung darstellt. Hinzu kommen Seite 13
Berichte aus der Praxis Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. schwierigen Wohnungsmarkts noch unumgänglich Beschwerden der Bevölkerung ausgelegt, nicht sind, kann eine gelingende kommunale Planung aber auf die spezifischen Frage- und Problem- dazu beitragen, einige dieser Beeinträchtigungen stellungen im Bereich von Aufnahme, Unterbrin- abzumildern, Lebensbedingungen zu verbessern gung, Orientierung, Beratung und Versorgung von und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Geflüchteten. Hinzu kommt, dass sich Geflüchtete Da in Niedersachsen im Gegensatz zu mehreren aus vielerlei Gründen oftmals davor scheuen, auf anderen Bundesländern keine landesweit verbind- die üblichen kommunalen Meldestellen zurück- lichen Standards für Gemeinschaftsunterkünfte zugreifen: Viele haben schlechte Erfahrungen existieren, unterscheiden sich die Bedingungen, mit staatlichen Stellen in ihren Heimatländern unter denen Geflüchtete in solchen Einrichtungen gemacht und befürchten negative Auswirkungen leben, von Ort zu Ort. Bis solche einheitlichen und auf ihr Asylverfahren und ihren Aufenthaltsstatus, verbindlichen Vorgaben bundesweit oder zumin- auf Sozialleistungen oder auf die Form der Unter- dest auf Landesebene eingeführt sind, ist es nicht bringung, wenn sie sich beschweren. Zudem sind zuletzt menschenrechtlich geboten, diese auf kom- solche Stellen zumeist nicht bekannt und aufgrund munaler Ebene zu entwickeln und umzusetzen. fehlender Verknüpfung mit Sprachmittler_innen Solche Standards dürfen sich nicht nur auf bau- nicht zugänglich. Gerade für Flüchtlinge muss es rechtliche Vorgaben und Regelungen zum Brand- folglich niedrigschwellige Anlaufstellen geben, die und Infektionsschutz beziehen, sondern müssen ohne Hürden jederzeit aufgesucht werden kön- ein Mindestmaß an Sicherheit und Wohnqualität nen, damit sie Schwierigkeiten oder Missstände in garantieren. Unterkünften ansprechen, auf Konflikte beispiels- weise auch mit Sozialarbeiter_innen oder Wach- Qualitätssicherung und Beschwerdema- personal hinweisen oder Gewaltvorfälle melden nagement können. Im Bereich der Qualitätssicherung und des Be- Dabei ist darauf zu achten, dass die Beschwer- schwerdemanagements sind niedersachsenweit destelle allen Geflüchteten bekannt ist und kei- auch 2017 keine klaren Verfahren und Standards ne Barrieren (Sprache, Anfahrt, Kosten) bei der eingeführt worden. In den Kommunen wird die Kontaktaufnahme bestehen. Betroffene müssen Qualitätskontrolle unterschiedlich gehandhabt; außerdem die Sicherheit haben, dass ihnen eine niedrigschwellige Ombudsstellen wurden nirgend- Beschwerde nicht zum Nachteil ausgelegt wird. wo geschaffen. Neben Geflüchteten muss eine solche Stelle auch Notwendig wären solche Standards, Maßnahmen Sozialarbeiter_innen und freiwilligen Unterstüt- und Anlaufstellen nicht zuletzt deshalb, weil Inte- zer_innen offen stehen. gration und Teilhabe von Geflüchteten entschei- Um erfolgreich zu sein, müssen Beschwerde- oder dend von der sozialen Praxis vor Ort geprägt sind. Ombudsstellen daher neutral und weisungsunab- Dass im Falle von Gemeinschaftsunterkünften die hängig sein. Sie sollten nicht mit dem Träger von kommunalen Vorgaben tatsächlich eingehalten Einrichtungen verbunden und auch nicht Teil der werden, lässt sich nur durch eine regelmäßige kommunalen Verwaltungsstrukturen, jedoch mit Kontrolle der Betreiberfirmen, der Sicherheits- allen relevanten Institutionen vernetzt sein. Nur dienste und sonstiger Dienstleister_innen gewähr- dann werden sie als unabhängige Instanz wahr- leisten. Wichtige Aspekte, die im Rahmen von genommen, sind aber dennoch in der Lage, Sach- Kontrollen zu prüfen wären, betreffen die Aus- verhalte aufzuklären, auf Missstände hinzuweisen stattung, die angemessene soziale Betreuung, die und Problemlösungen aufzuzeigen. Wahrung der Rechte der Bewohner_innen und die Gewährleistung der Teilhabe. Kontrollen können Wohnsitzauflagen und Zuzugssperren dazu beitragen, etwaige Missstände und Fehlent- Seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes im wicklungen bei der Unterbringung und Betreuung August 2016 sind neu anerkannte Flüchtlinge aufzudecken, Lösungen zu erarbeiten und kon- verpflichtet, für drei Jahre ihren Wohnsitz in jenem krete Verbesserungen zu erzielen. Eine besondere Bundesland zu nehmen, dem sie während des Aufgabe ist es dabei, strukturelle Risikofaktoren zu Asylverfahrens zugewiesen worden sind. Während erkennen und entsprechend auf sie zu reagieren. einige Bundesländer darüber hinausgehende Res- Darüber hinaus sind unabhängige, niedrigschwelli- triktionen eingeführt haben, konnten anerkannte ge Ombuds- oder Beschwerdestellen ein zentrales Flüchtlinge, die Niedersachsen zugewiesen worden Element, um die Rechte von Geflüchteten zu wah- waren, hier ihren Wohnsitz frei wählen. Angesichts ren. Denn grund- und menschenrechtliche Stan- des vorgezogenen Landtagswahlkampfs ver- dards können nur dann gesichert werden, wenn schärfte sich im Laufe des Jahres 2017 aber auch bestehende Rechte auch durchsetzbar sind und in Niedersachsen der Ton. deren (mögliche) Einschränkung oder Missachtung Wenige Tage vor der Landtagswahl setzte das nie- gemeldet werden kann. Hierfür reichen die be- dersächsische Ministerium für Inneres und Sport stehenden kommunalen Meldestellen bei weitem (MI) am 09. Oktober 2017 mit einem Runderlass nicht aus. Diese sind auf allgemeine Anfragen und Seite 14
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. Berichte aus der Praxis eine Zuzugssperre für Salzgitter um. Der Erlass gilt 3.2 Keine Beschulung von Kindern für Personen, die dem Anwendungsbereich des § 12a Abs. 1 AufenthG unterliegen und die nach und Jugendlichen in Erstaufnahme- Inkrafttreten des Erlasses als Flüchtling in Nieder- einrichtungen sachsen anerkannt werden bzw. eine der in § 12a Ankunftszentren und Erstaufnahmeeinrichtungen Abs. 1 AufenthG genannten Aufenthaltserlaub- (EAE) sind eigentlich für einen vorübergehen- nisse erhalten. Diese Personengruppe darf, von den Aufenthalt vor der kommunalen Verteilung Härtefällen abgesehen, nicht mehr nach Salzgitter vorgesehen. Der Gesetzgeber hat jedoch in den umziehen. Mit einem weiteren Runderlass hat das vergangenen zwei Jahren Maßnahmen ergriffen, MI am 14. November 2017 Zuzugssperren auch für um Flüchtlinge längerfristig in Landesaufnahme- Delmenhorst und Wilhelmshaven umgesetzt. einrichtungen unterzubringen: Seit dem 24. Ok- Die Grundlage solcher Entscheidungen ist die tober 2015 gilt das so genannte „Asylverfahrens- Annahme, dass allein die Anwesenheit von „zu vie- beschleunigungsgesetz“, mit dem die maximale len“ Flüchtlingen an einem Ort problematisch sei Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen und eine „Belastung“ für die Kommune darstelle. für alle Asylsuchenden auf bis zu sechs Mona- In einer solchen Lesart werden alle Schutzsuchen- te ausgedehnt wurde. Darüber hinaus sieht das den zu einer homogenen Gruppe „Flüchtlinge“ Gesetz vor, dass Flüchtlinge aus den sogenannten zusammengefasst. Dabei wird ausgeblendet, dass „sicheren Herkunftsstaaten“ gar nicht mehr auf es sich um höchst unterschiedliche Menschen han- die Kommunen verteilt werden, was schon jetzt delt. Allein die Herkunft der Menschen reicht aus, in Einzelfällen zu einem Aufenthalt von einem um sie pauschal als „Problemgruppe“ zu konstitu- Jahr und mehr mehr in einer EAE führt. Das am ieren. Probleme der jeweiligen Stadt werden ver- 02. Juni 2017 vom Bundesrat gebilligte „Gesetz einfachend diesen Menschen zugeschrieben, die zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ z.B. mit dem Vorwurf konfrontiert werden, „man- ermöglicht ferner für weitere Gruppen (Flüchtlin- gelnde Integrationsbereitschaft“ zu zeigen. Struk- ge mit ungeklärter Identität, Dublin-Fälle sowie turprobleme, wie sie sich in manchen Stadtteilen Flüchtlinge mit einer „geringen Bleibeperspektive“) von Salzgitter, Delmenhorst oder Wilhelmshaven eine unbefristete Unterbringung in Erstaufnahme- stellen, bestanden lange vor dem Zuzug Geflüch- einrichtungen. teter, werden diesen jetzt aber zugeschrieben. Fra- CDU und SPD haben in ihrer Koalitionsvereinba- gen des sozialen Wohnungsbaus, der Ausstattung rung für den Bund nicht etwa einen schrittweisen mit Kindergärten und Schulen und andere kom- Rückbau der Erstaufnahmeeinrichtungen, son- munale Herausforderungen eines Strukturwandels dern einen Ausbau von Lagern beschlossen. In müssen gesamtgesellschaftlich gelöst werden. sogenannten „AnKER-Zentren“ sollen Flüchtlinge Für die öffentliche Debatte ist dasVerknüpfen von nach den Vorstellungen der Koalitionäre bis zu 24 „Flüchtlingen“ mit „Problemen“ in Zeiten eines Monate untergebracht werden. Flüchtlinge aus wachsenden Rechtspopulismus verheerend. so genannten „sicheren Herkunftsländern“ sollen Selbstverständlich stehen Städte mit hohen Zu- überhaupt nicht verteilt werden. zügen vor besonderen Herausforderungen. Maß- Diese Regelungen sind besonders problematisch nahmen wie Wohnsitzauflagen und Zuzugssperren für Kinder. Solange die Unterbringung in der Erst- sind aber nicht geeignet, um die damit verbunde- aufnahme fortbesteht, würden sie in Niedersach- nen Ziele zu erreichen. Entscheidend ist vielmehr sen, wo eine Schulpflicht erst mit der kommunalen eine an konkreten Bedarfen orientierte Sozialpo- Verteilung begründet wird, nicht schulpflichtig litik, die Mittel dort bereitstellt, wo sie benötigt werden (vgl. § 47 Abs. 1a AsylG). werden, statt Menschen Wege zu versperren. Tatsächlich sinnvoll sind daher die im Rahmen des Dieser Daueraufenthalt führt ohne eine geregel- Soforthilfeprogramms der Landesregierung be- te Form der Beschulung und Betreuung zu einer schlossenen zusätzlichen Finanzmittel für Städte Gefährdung des Kindeswohls, das neben dem wie Salzgitter und Delmenhorst, die es zielgerich- geistigen Wohl ebenso den Anspruch auf eine ge- tet einzusetzen gilt. Zuzugssperren sind dagegen sunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen reine Symbolpolitik: sie erlauben Politiker_innen, umfasst, die auch durch die Beschulung gesteuert den Anschein zu erwecken, sie würden handeln. wird. Ein geregelter Schulalltag mit ausreichenden Dies geschieht allerdings auf Kosten von Flücht- altersangepassten Lerngelegenheiten dient der lingen, die ohnehin von Restriktionen und Aus- kognitiven Entwicklung von Kindern und Jugendli- grenzung bedroht sind. Die Folge ist, dass etwa chen. in Salzgitter zahlreiche Wohnungen leer stehen, Eine kind- und jugendgerechte Betreuung und Be- während andernorts in Niedersachsen Flüchtlinge schulung ist an den Standorten der Erstaufnahme- angesichts fehlenden Wohnraums weiterhin unter einrichtungen in Niedersachsen nur unzureichend oft schwierigen Bedingungen in Großunterkünften gegeben. Die Folge ist eine Desintegration durch verharren müssen. Nicht-Beschulung, es entstehen in Deutschland Seite 15
Berichte aus der Praxis Flüchtlingsrat Nidersachsen e.V. Presseinformation, 08. September 2017 Geschäftsstelle: Röpkestraße 12 Plakatives Wahlkampfmanöver – Zuzugssperre für 30173 Hannover Flüchtlinge ist integrationshemmend und diskriminierend Laura Müller Der Flüchtlingsrat Niedersachsen protestiert gegen die heutige lm@nds-fluerat.org Entscheidung der niedersächsischen Staatskanzlei, für Flüchtlinge eine Sascha Schießl Zuzugssperre nach Salzgitter zu verhängen und eine solche für sas@nds-fluerat.org Delmenhorst und Wilhelmshaven in Aussicht zu stellen. Tel: 0511 – 85 64 54 59 „Bei der Zuzugssperre handelt es sich um den bedenklichen Versuch, eine Fax: 0511 – 98 24 60 31 Bevölkerungsgruppe anhand fragwürdiger, rassistischer Kategorien zu reglementieren,“ erläutert Laura Müller von Flüchtlingsrat. „Diese Zuzugssperre suggeriert, dass Flüchtlinge allein aufgrund ihrer Herkunft und ihres Status eine Belastung oder gar eine Gefahr für den sozialen Frieden seien.“ Eine solche Annahme weist der Flüchtlingsrat entschieden zurück. Die Vorstellung von anerkannten Flüchtlingen als homogener Gruppe, die es zu beschränken gilt, und das Denken in „Kulturkreisen“ ist nicht haltbar und widerspricht allen Erkenntnissen von Wohlfahrtsverbänden, Flüchtlingsräten und Wissenschaft. Mit dem heutigen Beschluss entfernt sich der Ministerpräsident von einer humanitären und maßvollen Flüchtlingspolitik. Der Flüchtlingsrat betont, dass Zuzugssperren oder Wohnsitzauflagen keine geeigneten Mittel sind, um die Integration und Teilhabe von Geflüchteten zu erleichtern. Zuzugssperren und Wohnsitzauflagen schränken nicht nur Freiheitsrechte in unverhältnismäßiger Weise ein und führen zu Frustration bei Geflüchteten, sondern bedeuten zugleich einen erheblichen Verwaltungsaufwand für die ausführenden und kontrollierenden Behörden. Integration und Teilhabe von Geflüchteten werden durch Maßnahmen wie diese gerade nicht gefördert, sondern deutlich erschwert. Flüchtlinge ziehen vermehrt nach Salzgitter und in andere Städte, weil sie dort eigenen Wohnraum finden, einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt erkennen und auf soziale Netze der Unterstützung zählen können. Diese selbständige Gestaltung ihres Lebensumfeldes ist der beste Beleg für eine fortschreitende Integration von Geflüchteten und daher ausdrücklich zu begrüßen. Dass sich Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven der Herausforderung gegenüber sehen, die Neuzugezogenen in die lokale Gesellschaft zu integrieren, ist verständlich. Die aus diesem Umstand resultierenden Maßnahmen müssen aber andere sein. Dort, wo viele Geflüchtete leben, müssen – unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsstatus – die vorhandenen finanziellen Mittel eingesetzt werden, um Kindergartenplätze zu schaffen, Beratungsstellen besser auszustatten, Stellen für Sozialarbeiter_innen einzurichten, Vereine und Initiativen bei ihrer Integrationsarbeit zu unterstützen und Projekte der Quartiers- und Gemeinwesenarbeit zu fördern. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Flüchtlingsrat, dass das Land zusätzliche Mittel bereitstellt, um die Integrationsarbeit der Kommunen zu unterstützen. Plakative Scheininstrumente wie Wohnsitzauflagen und Zuzugssperren sind dagegen allein dem Wahlkampf geschuldet und einer sozialdemokratisch geführten Regierung unwürdig. Es scheint, als wolle Ministerpräsident Weil schon jetzt die Weichen für eine Große Koalition auf Landesebene stellen. Hintergrund Ministerpräsident Weil hat heute ein Soforthilfeprogramm vorgestellt zur Untersützung der Städte Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven. Neben einem Integrationsfonds zur Soforthilfe in den drei Städten im Umfang von insgesamt 20 Mio. EUR in zwei Jahren zur Stärkung der lokalen Integrationsarbeit umfasst dieses auch eine Zuzugssperre für anerkannte Flüchtlinge nach Salzgitter. Anerkannten Flüchtlingen, die bisher ihren Wohnsitz innerhalb Niedersachsens frei wählen können, soll zukünftig nicht mehr erlaubt werden, nach Salzgitter umzuziehen. Eine Ausweitung einer solchen Auflage auch auf die Städte Delmenhorst und Wilhelmshaven wird vom zuständigen Innenministerium geprüft. 1 Seite 16
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. Berichte aus der Praxis große Brüche in den Bildungsbiographien der Kin- dass die bisherige Form der Kinder- und Jugendbe- der und Jugendlichen. treuung in der Landesaufnahmebehörde interna- tionalen Verpflichtungen nicht genügt und keinen Die Frage der Beschulung bzw. des Rechts auf Ersatz für einen Schulbesuch darstellt. Schule findet ihre Grundlage nicht nur in der natio- nalen bzw. niedersächsischen Gesetzgebung, son- Im Dezember 2017 haben die beteiligten Orga- dern auch in höherrangigem Recht. Das Recht auf nisationen ihre Kritik noch einmal erneuert und Bildung ist niedergelegt in Artikel 26 der Allgemei- spezifiziert nen Erklärung der Menschenrechte. Laut Artikel https://www.nds-fluerat.org/26783/pressemit- 28 der UN-Kinderrechtskonvention darf es einen teilungen/weiterhin-monatelang-keine-beschu- völligen Ausschluss von der Beschulung nicht lung-fuer-kinder-und-jugendliche-in-erstaufnah- geben. Darüber hinaus ist in Artikel 14 der EU-Auf- meeinrichtungen/ nahmerichtlinie ausdrücklich festgelegt, dass Kin- der nach drei Monaten ein Recht auf Schulbesuch So erfreulich es ist, dass das Konzept der „Inter- haben. Eine Umsetzung der EU-Richtlinie ist also kulturellen Lernwerkstatt“ im Herbst 2017 aus- auch für die Erstaufnahmeeinrichtungen zwingend geweitet wurde und ein regelmäßiger Einsatz der geboten. Lehrer_innen vorgesehen ist, so wenig werden dadurch die eigentlichen Probleme gelöst. Der Es ist nicht akzeptabel, dass Bildungsbiographien Aufenthalt von Geflüchteten in der Erstaufnahme von Kindern ausgerechnet in Deutschland bzw. in dauert zu lange, und Kinder erhalten während der Niedersachsen für solch lange Zeit unterbrochen Zeit in der Erstaufnahme keine reguläre Beschu- oder gar nicht erst begonnen werden. Viele Kinder lung. Auch das überarbeitete Konzept der Inter- konnten während der Flucht schon über längere kulturellen Lernwerkstatt stellt keine Form der Zeit keine Schulen besuchen. Umso bedeutsamer Beschulung dar, sondern kann als pädagogisches ist es, dass unmittelbar nach Ankunft in Deutsch- Konzept vielmehr weiterhin nur der Vorbereitung land und unabhängig von Aufenthaltsperspektiven auf den Regelunterricht dienen. Das vorliegende ein regulärer Schulbesuch möglich ist. Ferner sind Konzept ist im Wesentlichen auf Alphabetisierung Asylsuchende grundsätzlich zügig kommunal zu und Spracherwerb fokussiert, der Lernstoff der verteilen. Eine Verpflichtung zu einem Leben in üblichen Unterrichtsfächer wird überhaupt nicht der Erstaufnahme, wie er bundesrechtlich schon vermittelt. Sobald die Kinder und Jugendlichen festgeschrieben und zukünftig geplant ist, darf hinreichend deutsch sprechen, um dem Unterricht jedenfalls dann nicht umgesetzt werden, wenn das folgen zu können, muss auch eine reguläre Be- Wohl der Kinder darüber gefährdet wird. schulung in verschiedenen Fächern gewährleistet sein. In ihrer Stellungnahme zur Beschulung geflüchte- ter Kinder in der Landesaufnahmebehörde Nieder- sachsen haben der Flüchtlingsrat Niedersachsen, das Netzwerk AMBA und die Landesarbeitsge- meinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Nieder- sachsen bereits im Juli 2017 darauf hingewiesen, Seite 17
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