EKAS MITTEILUNGSBLATT - Berufskrankheiten - Nr. 87 | November 2018
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EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 Schweizerische Eidgenossenschaft Eidgenössische Koordinationskommission Confédération suisse für Arbeitssicherheit EKAS Confederazione Svizzera Confederaziun svizra Berufskrankheiten
Berufskrankheiten sind keine Fatalität In der Arbeitswelt gelangen mitunter schädi- gende Stoffe zum Einsatz, die zu Berufskrank- heiten führen können. Auch physikalische Dr. Carmen Spycher Einwirkungen wie Strahlung, Vibrationen und Geschäftsführerin Lärm sowie schwere oder repetitive mechani- EKAS, Luzern sche Belastungen des Bewegungsapparats können berufsbedingte Erkrankungen hervor- rufen. Zuständig für die Verhütung von Berufs- krankheiten in allen Branchen ist gemäss Gesetz die Suva. Aufgabe der Präventionsarbeit und damit auch der EKAS ist, die Berufskrankheitenpro- phylaxe zu unterstützen. Sie tut dies in erster Linie, indem sie die notwendigen finanziellen Mittel der Suva für ihre Präventionsaktivitäten zur Verfügung stellt. Dazu gehören unter anderem arbeitsmedizinische Vorsorgeunter- suchungen, Nichteignungsverfügungen, Schadstoffmessungen, Gehörschadenprophy- laxe und verschiedene Kampagnen in beson- ders gefährdeten Berufskategorien. Impressum In unserem Schwerpunktthema beleuchten wir Mitteilungsblatt der Eidgenössischen Koordinationskommission für die verschiedenen Aspekte der Berufskrank- Arbeitssicherheit EKAS – Nr. 87, November 2018 heitenprophylaxe. Was ist eine Berufskrank- heit, welche Faktoren führen dazu, welche Herausgeberin Eidgenössische Koordinationskommission Schutzmassnahmen sind notwendig und wel- für Arbeitssicherheit EKAS che Sensibilisierungs- und Vorsorgeprogramme Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern Telefon 041 419 51 11, Fax 041 419 58 28 können Berufskrankheiten wirksam verhin- ekas@ekas.ch, www.ekas.ch dern? Diese und andere Fragen werden Ihnen, Verantwortliche Redaktion geschätzte Leserinnen und Leser, von Fachex- Dr. Carmen Spycher, Geschäftsführerin EKAS perten der Suva nähergebracht. Mit dem Ziel, Thomas Hilfiker, Redaktor, elva solutions, Meggen die Präventionsarbeit auch in Ihrem Unterneh- Im Mitteilungsblatt werden Autoren- men zu fördern. artikel publiziert. Die Autoren sind jeweils bei ihrem Artikel namentlich erwähnt. Wir wünschen Ihnen bei der Umsetzung Konzept und Layout Agentur Frontal AG, www.frontal.ch viel Erfolg. EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 Erscheinungsweise Erscheint 2x jährlich Auflage Deutsch: 20 500 Französisch: 7 200 Italienisch: 1500 Dr. Carmen Spycher, Verbreitung Geschäftsführerin EKAS, Luzern Schweiz Copyright © EKAS; der Nachdruck ist erlaubt unter Angabe der Quelle und nach vorgängiger Zustimmung der Redaktion. 2
4 SCHWERPUNK T 4 Berufskrankheiten – eine Zeitreise mit Tücken 9 Berufskrankheiten – Definition, Anerkennung und Prävention 13 Berufskrankheiten verhindern heisst oft: Verhalten ändern 18 Arbeitsmedizinische Vorsorge FACHTHEMEN 22 Neue EKAS-Richtlinie 6517 13 18 zur Lagerung und Nutzung von Flüssiggas 26 Praxisorientierte Präventionsinstrumente 30 «Prävention im Büro» – Dank Innovation und Zeitgeist ein Erfolg 32 Arbeitssicherheit und Gesundheits- schutz in der Fleischwirtschaft 26 32 35 Erste Berufsprüfungen für Spezialisten Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz 38 Die IALI: Eine Chance für die Arbeitsinspektion in der Schweiz 41 Landwirte vor Gesundheitsschäden durch Pflanzenschutzmittel schützen 41 VERMISCHTES 44 Neue Informationsmittel der EKAS 45 Neue Informationsmittel der Suva 49 Neue Informationsmittel des SECO 50 Menschen, Zahlen und Fakten 3
SCHWERPUNKT Berufskrankheiten – eine Zeitreise mit Tücken Wo sind heute die grössten Herausforderungen bei der Berufskrankheiten-Prophylaxe? Wo liegen die aktuellen Schwerpunkte? Was erwartet uns in der Zukunft? Wie und wo setzen wir die Ressourcen in der Prävention am besten ein? Um solche Fragen beantworten zu können, braucht es sowohl den Blick in die Vergangenheit als auch den Blick in die Zukunft. Die Statistiken der Gegenwart zeigen nur ein beschränktes und verzerrtes Bild.
Grosses Leid durch berufsbezogen erkannt werden, so Die Schwerpunkte der Berufskrankheiten werden sie auch nicht gemeldet. Je Prävention – heute D nach Situation können sich daraus ie Suva ist dieses Jahr hohe Dunkelziffern ergeben. Auch wenn die Statistiken der Berufs- 100 Jahre alt geworden. In krankheiten nicht direkt den aktuel- den Festansprachen zum Ein wesentlicher Grund dafür liegt len Präventionsbedarf aufzeigen – Jubiläum wurden sowohl darin, dass bei sehr vielen Berufs- die Kenntnis der Vergangenheit und von den Vertretern der Sozialpartner krankheiten eine vergleichsweise die daraus gezogenen Erfahrungen als auch vom Bundespräsidenten lange Zeit zwischen der krankma- sind wichtig für die Präventionsarbeit Alain Berset ausdrücklich die Berufs- chenden Exposition und dem tatsäch- der Gegenwart. unfälle und die Berufskrankheiten lichen Ausbruch der Krankheit liegt. in einem Atemzug genannt. Das ist Diese sogenannte Latenzzeit zwi- Aus arbeitsmedizinischer und arbeits- absolut berechtigt. Zwar ist die An schen Exposition und Erkrankung hygienischer Sicht sind die Schwer- zahl der Berufskrankheiten im Ver- kann mehrere Jahrzehnte betragen. punkte der Prävention dort anzuset- gleich zu den Berufsunfällen relativ Beim asbestbedingten Pleura-Meso- zen, wo insgesamt das grösste Risiko gering. Doch die Kosten und das theliom, einem bösartigen Krebs des besteht und am meisten Wirkung dadurch verursachte menschliche Brustfells, geht man davon aus, dass erreicht werden kann. Ähnlich wie bei Leid zeichnen ein anderes Bild. Noch durchschnittlich mehr als 35 Jahre den Berufsunfällen gilt es zudem, ein heute sterben in der Schweiz jährlich vergehen, bis die Krankheit ausbricht. spezielles Augenmerk auf jene Ar- mehr als 100 Personen an den Fol- (siehe Grafik S. 6) beitsplatzverhältnisse zu lenken, wo gen des Umgangs mit Asbest – deut- schwere Erkrankungen zu befürchten lich mehr als an tödlichen Berufsun- Im Falle des Pleura-Mesothelioms ist sind. Dazu gehören nebst den schwe- fällen. Und Asbest ist auch nicht die die Sachlage noch vergleichsweise ren und tödlich verlaufenden Fällen erste grosse Häufung schwerer Be- einfach. Die Ärzte wissen, dass auch jene Berufskrankheiten, die rufskrankheiten, die in der Öffentlich diese Erkrankung praktisch aus- Menschen dazu zwingen ihren ange- keit Wellen geschlagen hat. Einige schliesslich durch eine A sbest- stammten Beruf aufzugeben. Jahrzehnte früher war es die Silikose, Exposition verursacht wird. Andere eine Staublunge ausgelöst durch Erkrankungen können unterschied- Die Suva überprüft die Situation lau- hohe Quarzstaubbelastungen. Kaum lichste Ursachen haben oder multi- fend. Ergänzend zu den Statistiken und jemand weiss, dass in der Schweiz faktoriell bedingt sein. Die Abklä- Erfahrungen aus der Vergangenheit Dr. Martin Gschwind bis heute mehr Arbeitnehmende rung des arbeitsplatzbedingten braucht es dazu eine Abschätzung der Abteilungsleiter an einer Silikose gestorben sind als Anteils ist deshalb wichtig und an aktuellen Arbeitsplatzverhältnisse und Gesundheits- an Asbest. spruchsvoll. Ein separater Artikel in der Erkrankungen, die dadurch verur- schutz am Arbeitsplatz, dieser Ausgabe des EKAS-Mittei- sacht werden können, sowie der Grö- Suva, Luzern, Statistiken – ein lückenhaftes lungsblatts widmet sich gezielt die- sse und Art des Kollektivs, welches Ersatzmitglied Abbild der Vergangenheit sem Thema (siehe S. 9 –12). betroffen ist (siehe Schwerpunkte S. 7). der EKAS Bei Berufsunfällen sind die Statisti- Nebst einer latenten Unterschät- Aktuelle Prävention – ken sehr aussagekräftig und sie zei- zung der Anzahl Fälle von Berufs- der Faktor Mensch gen die aktuellen Risiken gut auf. Es krankheiten ergibt sich aus langen ist in der Regel aufgrund der Unfall- Latenzzeiten ein zweiter Effekt: Der Ansatz zur Verhütung von EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 meldungen unmittelbar klar, wo sich Nicht die heutigen Expositionsver- Berufskrankheiten lautet S-T-O-P: Unfälle – vor allem auch schwere – hältnisse führen zu den aktuell aner- • Substitution gefährlicher Stoffe; ereignen. Bei Berufskrankheiten ist kannten Berufskrankheiten. Bei den • Technische, organisatorische und dies oftmals nicht so eindeutig. Zwar meisten Berufskrankheiten zeigen persönliche Schutzmassnahmen, werden alle gemeldeten potenziellen die heute auftretenden Fälle ein Ergänzend kommen personenbezo- Berufskrankheiten differenziert ab Abbild von Arbeitsplatzverhältnis- gene Präventionsansätze hinzu: Dr. med. Claudia geklärt und klassifiziert. Alle Fälle von sen, wie sie in der Vergangenheit • Arbeitsmedizinische Massnahmen Pletscher Berufskrankheiten werden auch sta- existiert haben. Die heutigen Arbeits- (Eignungs- und Vorsorgeuntersu- Chefärztin und tistisch erfasst. Wenn jedoch Krank- platzverhältnisse können sich stark chungen); Leiterin Arbeits- medizin, Suva, heiten von den Betroffenen oder von den damaligen Verhältnissen • Förderung des gewünschten Ver- Luzern, Mitglied den behandelnden Ärzten nicht als unterscheiden. haltens des Menschen. der EKAS 5
SCHWERPUNKT Latenzzeit bei Asbest. Import von Asbest in die Schweiz – Krankheitsfälle Jahrzehnte später 26 000 130 24 000 120 22 000 110 20 000 100 Anzahl Mesotheliomfälle Asbest Import (in t) 18 000 90 16 000 80 14 000 70 12 000 60 10 000 50 8 000 40 6 000 30 4 000 20 2 000 10 0 0 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 Asbest Import (linke Skala) Mesotheliom-Fälle (rechte Skala) Prognose Mesotheliom-Fälle (beste Schätzung) Streubereich Mittelwert Quelle: Unfallstatistik UVG 2014 Gerade bei Berufskrankheiten ist es deshalb vertieft solchen Fragestel- mit grossem Einfluss. Persönliche u.a. wegen der langen Latenzzeit lungen. Im Artikel «Berufskrankhei- Ansprache der Zielgruppe auch mit für viele Arbeitnehmende schwierig, ten verhindern heisst oft: Verhalten Social-Media-Kampagnen ebenso die Gefahr objektiv einzuschätzen ändern» wird aufgezeigt, welche wie der Einsatz von Influencern, die in und ihr Verhalten entsprechend an Wege die Suva hier beschreitet den relevanten Branchen hohe Ak zupassen. So klingeln bei vielen (siehe S. 13 –17). zeptanz geniessen, öffnen hier neue Arbeitnehmenden beim Stichwort Wege. Aktuelle Beispiele, wo Kombi- Körperschonende Radioaktivität die Alarmglocken, die Fazit: Für eine optimale Prävention nationen aus einfachen Regeln und Transporthilfe Risikoakzeptanz ist extrem klein und braucht es eine optimale Kombina- verhaltensbezogenen Ansätzen zum «Walky» für die Mobilisierung der Arbeitnehmerschutz in diesem tion aus einfachen, verständlichen Einsatz gelangen, sind die Kampag- von Pflege Bereich hoch reglementiert. Das Regeln und geschickten Anreizen, nen zum Schutz vor UV-Strahlen und bedürftigen. objektive Risiko ist je- die das gewünschte Verhalten be zum Hautschutz. doch sehr klein – es gibt praktisch keine Fälle. Arbeitsmedizinische Demgegenüber wird Die Suva über- Prävention – nochmals natürliche UV-Strahlung prüft die Situation der Faktor Mensch als «normal» wahrgenom- men, obwohl jährlich rund laufend. Der Faktor Mensch spielt auch wegen 1000 Arbeitnehmende auf- seiner individuellen Veranlagung und grund beruflicher Exposition günstigen. Dies wird zunehmend Konstitution eine wichtige Rolle. gegenüber der Sonne an wichtiger in einer Welt, in der tech- Nicht jede Person reagiert beispiels- einem weissen Hautkrebs nische Präventionsmassnahmen an weise auf chemische Substanzen erkranken. ihre Grenzen stossen. Einfache, ziel- gleich. Wenn es darum geht abzuklä- gruppengerechte Sprache und bran- ren, ob jemand unter erschwerten Was bringt den Men- chenspezifische Lösungen sind in der Arbeitsbedingungen Sanierungsar- schen dazu zu tun, was Kommunikation der Präventionsmass- beiten unter Vollschutz ausführen er tun sollte? Ein besseres nahmen ebenso wichtig wie die kann, ist auch die Abklärung der indi- Verständnis dieser Zusam- Berücksichtigung der Einflussfakto- viduellen Konstitution wichtig. menhänge kann einen ren, die das gewünschte Verhalten wirksamen Beitrag zur fördern. Was wir dabei immer wieder Die Suva führt dazu für bestimmte Verhütung von Berufs- deutlich erkennen, ist die Bedeutung Gruppen von Arbeitnehmenden krankheiten leisten. der Vorbilder – seien dies der Chef, Vorsorgeuntersuchungen durch. Die Suva widmet sich die Kollegen oder andere Personen Auch die Vorsorgeuntersuchungen
Berufskrankheiten: Übersicht über die aktuellen Schwerpunkte der Prävention 1 000 Schwere körperliche Geschädigte pro Jahr Belastungen Lärm UV / So Ha nne ut 100 10 Asbest 1 1 2 3 4 5 Reversibel Schwere der Schäden Tod Asbest UV / Sonne Zwar darf angenommen werden, dass heute nicht mehr so Verschiedene Berufsgruppen leisten einen grossen Teil ihrer viele Leute wegen hohen Asbestexpositionen erkranken Arbeit im Freien. Dabei sind sie oftmals ungeschützt der werden wie während des Booms der Asbestverwendung in Sonne ausgesetzt. Basierend auf den Abschätzungen des der Schweiz in den 70er-Jahren. Dennoch muss man bei der exponierten Kollektivs der Arbeitnehmenden, die regelmä- Mehrzahl der vor 1990 errichteten Gebäude in der Schweiz ssig im Freien arbeiten, ist von ca. 1000 Fällen von beruflich davon ausgehen, dass Asbest in unterschiedlichen Anwen- bedingtem, weissem Hautkrebs pro Jahr auszugehen. Effek- dungsformen eingebaut wurde. Heute werden diese tiv statistisch erfasst werden aktuell nur wenige Fälle pro Gebäude umgebaut und saniert. Dabei werden erneut Jahr. Die Betroffenen sehen die Einwirkung von UV am Asbestfasern freigesetzt. Das betroffene Kollektiv des Bau- Arbeitsplatz nicht als Berufskrankheit und melden die Fälle haupt- und Ausbaugewerbes ist sehr gross und wenn auch nicht der Unfallversicherung. Es gibt hier eine grosse Arbeitnehmende bei den Umbauarbeiten nicht ausreichend Dunkelziffer. Dies verdeutlicht auch ein Blick über die Gren- geschützt sind, ist auch künftig mit neu verursachten asbest- zen nach Deutschland. Basal-Spinaliome (weisser Haut- bedingten Todesfällen zu rechnen. krebs), verursacht durch natürliches UV-Licht, wurde dort 2015 neu als Berufskrankheit aufgenommen. Bereits 2016 wurden rund 8000 neue Fälle gemeldet und 5000 davon als Berufskrankheit anerkannt. Ein Artikel in dieser Ausgabe des EKAS-Mitteilungsblatts widmet sich vertieft dem Thema Hautschutz und UV (siehe S. 13 –17). Lärm Lärm verursacht zwar keine tödlichen Berufskrankheiten. Noch immer sind jedoch in der Industrie und auf dem Bau viele Arbeitnehmende gehörgefährdendem Lärm ausge- Schwere körperliche setzt. Die Auswirkungen einer Gehörschädigung werden Belastungen von den Betroffenen zudem stark unterschätzt. Personen mit Gehörschäden realisieren oftmals erst mit zunehmen- Hierbei handelt es sich um ein Thema mit grossem Potenzial. dem Alter, wie sehr es ihnen Mühe bereitet, Gesprächen mit Dies mag auf den ersten Blick überraschen. Bei näherer anderen Menschen zu folgen. Nicht selten erfahren sie Betrachtung wird jedoch rasch klar, weshalb dies ein dadurch eine soziale Ausgrenzung. Schwerpunkt der Berufskrankheiten-Prophylaxe ist. In unter- schiedlichsten Branchen, z. B. im Ausbaugewerbe, in der Logistik oder im Gesundheitswesen, sind Mitarbeitende hohen körperlichen Belastungen ausgesetzt. Für einzelne Branchen, wie beispielsweise dem Holzbau, zählt dies zu EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 den Hauptgründen, weshalb qualifizierte Mitarbeitende den Beruf aufgeben. Dies führt mitunter auch zu einem Fach- kräftemangel. Dieser Schwerpunkt wird in den kommenden Haut Jahren in der Berufskrankheiten-Prophylaxe verstärkt ein Hautkrankheiten sind zahlreich und gehören zu den häufig Thema sein. Geeignete Arbeitsorganisation und Hilfsmittel sten Berufskrankheiten. Oftmals sind die Schädigungen zum Umgang mit Lasten ebenso wie körperschonende reversibel. In gewissen Fällen verlaufen sie jedoch schwer und Arbeitstechniken sind hier von zentraler Bedeutung. führen dazu, dass die Betroffenen ihren Beruf aufgeben müs- sen. Typische Unternehmen, wo schwere Hauterkrankungen auftreten, sind Coiffeursalons und Betriebe, in denen mit Schmierstoffen und Epoxidharzen umgegangen wird. 7
SCHWERPUNKT Neue Risiken frühzeitig erkennen: Nanofasern unter dem Transmissions- Elektronen-Mikroskop (TEM) sind risiko- und wirkungsorientiert konzipiert. Die Vorsorgeprogramme wurden in den letzten Jahren ent- sprechend neu ausgerichtet und die- ser Umbau ist noch nicht abge- schlossen. Es werden künftig auch neue Instrumente zur besseren Erkennung des relevanten Kollektivs eingesetzt. Mit Tools wie der spezi- fischen Befragung der Arbeitneh- menden lassen sich mehr Personen erreichen und gleichzeitig wird damit eine gezieltere Auswahl derje- nigen ermöglicht, für welche eine Vorsorgeuntersuchung zweckmässig ist. Auf die arbeitsmedizinische Vor- sorge wird ebenfalls in einem sepa- raten Artikel in dieser Ausgabe des EKAS-Mitteilungsblattes eingegan- Nanofasern gen (siehe S. 18 –21). Ein Blick in die Kristallkugel – Entsprechend ist es wichtig, neue Reichen einzelne Krankheitsfälle was bringt die Zukunft? Risiken rechtzeitig zu erkennen und mit einem möglichen Bezug zu EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 bei Hinweisen auf Risiken nach dem einer bestimmten Exposition, um Die potenziell lange Latenzzeit ist Vorsorgeprinzip zu handeln. Doch ganze Technologien wie Mobilfunk auch ein wesentliches Problem bei wo liegen die Grenzwerte von Stof- oder Nanotechnologie zu verbie- der Früherkennung neuer Risiken. fen, deren Eigenschaften man noch ten? Nebst rein wissenschaftlichen Sollten plötzlich gehäuft irgendwel- nicht wirklich kennt? Für einzelne Überlegungen spielen hier u.a. che gesundheitliche Probleme auf- Fälle, wie z. B. bei Carbonnano-Fa- auch gesellschaftliche Akzeptanz- treten, von denen man berufliche sern können Analogieüberlegun- überlegungen eine Rolle. Die Zeit- Auslöser vermutet, kann dies bereits gen – hier zu Asbestfasern – zur reise geht weiter – und die Berufs- zu spät sein, um Krankheitsfälle zu Festlegung risikobasierter Richt- krankheiten-Prophylaxe wird auch verhindern. Die Erfahrung mit Asbest werte herangezogen werden. Und künftig eine grosse Herausforde- hat dies verdeutlicht. wo liegt die Verhältnismässigkeit? rung bleiben. 8
Berufskrankheiten – Definition, Anerkennung und Prävention Berufskrankheiten können durch unterschiedliche Faktoren verursacht werden. Dazu gehören chemische und biologische Schadstoffe, physikalische Einwirkungen, wie ionisierende und nichtionisierende Strahlung oder Lärm, oder auch körperliche Belastungen, wie schwere oder repetitive mechanische Belastungen des Bewegungs- apparates. Der Gesetzgeber hat für die Anerkennung von Berufskrankheiten klare Rahmenbedingungen geschaffen. Für die Prävention von berufsbedingten Erkran- kungen sind die systematische Ermittlung der Gefährdungen und die konsequente Umsetzung der Schutzmassnahmen von entscheidender Bedeutung. B erufskrankheiten werden in vielen Ländern von Eine Berufskrankheit gilt gemäss Art. 9, Abs. 3, UVG, als «normalen» Krankheiten abgegrenzt und oft ausgebrochen, sobald eine ärztliche Behandlung in auch anders entschädigt als andere Krankheiten. Anspruch genommen wird oder eine Arbeitsunfähigkeit In der Schweiz gibt das Unfallversicherungsge- eingetreten ist. setz (UVG) nebst vielen rechtlichen Angaben, die Unfälle betreffen, in Art. 9 auch vor, was eine Berufskrankheit Kausalität wird überprüft Dr. med. ist. Eine Berufskrankheit ist folglich nicht bloss eine Hanspeter Rast Krankheit, die in Zusammenhang mit der beruflichen In der Regel kann die Kausalität bei Berufskrankheiten Bereichsleiter, Abteilung Tätigkeit auftritt, sondern sie muss bestimmte weitere aufgrund spezifischer medizinischer Befunde beurteilt Arbeitsmedizin, Vorgaben erfüllen. werden. Bei multifaktoriell bedingten Krankheitsbildern Suva, Luzern ist die Beurteilung der Kausalität aufgrund medizinischer Was ist eine Berufskrankheit? Kriterien im Einzelfall nicht immer möglich. Deshalb wer- den auch Schlussfolgerungen von medizinischen Studien EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 Im Unterschied zu vielen anderen Ländern beschränkt beigezogen, um das relative Risiko bei der kollektiven sich der Begriff «Berufskrankheit» in der Schweiz nicht Betrachtung exponierter Arbeitnehmender gegenüber bloss auf Krankheiten, die in einer Liste festgelegt sind. nicht exponierten einzuschätzen. Vielmehr hat der Gesetzgeber unter bestimmten Rah- menbedingungen für die Anerkennung einer Krankheit Zur Prüfung der Kausalität zwischen einer Krankheit und als Berufskrankheit eine Ausweitung der Definition einer beruflichen Tätigkeit kann es in bestimmten Fällen zugelassen (Art. 9, Abs. 2, UVG), weshalb man hier auch auch notwendig sein die Dauer und Höhe einer bestimm- von einer «Öffnungsklausel» spricht (siehe Kasten S. 10). ten schädlichen Einwirkung zu ermitteln resp. zu prüfen Dies bedeutet, dass bei einer Krankheit, bei der eine (technische Arbeitsplatzanamnese). Jährlich werden in der Dr. Edgar Käslin Bereichsleiter stark überwiegende berufliche Verursachung plausibel Schweiz zwischen 2000 und 2500 Berufskrankheiten als Chemie, ist, diese als Berufskrankheit anerkannt werden kann. manifeste Berufskrankheiten anerkannt. Zusätzlich werden Suva, Luzern 9
SCHWERPUNKT Kontaminationen durch infektiöse Materialien registriert, die zu weiteren Abklärungen, aber nicht zu manifesten Berufskrankheiten führen (siehe Tabelle s. 11 oben). Die häufigsten Berufskrankheiten Zahlenmässig gehören Erkrankungen des Gehörs, der Haut, des Atmungssystems, des Bewegungsapparats und Tumorerkrankungen zu den häufigsten Berufs- krankheiten (siehe Tabelle S. 11 unten). Rund 120 bis Arbeit mit Epoxidharz im Baugewerbe. 170 Fälle betreffen asbestbedingte Krebserkrankungen. Rund 350 Erkrankungen führen zu einer sogenannten Nichteignungsverfügung – die betroffenen Personen dürfen ihre Tätigkeit nicht mehr ausführen und sind zu einem Berufswechsel gezwungen. Arbeitsassoziierte Erkrankungen Abzugrenzen von den oben definierten Berufskrankheiten Gesetzliche Definition der Begriffe sind «arbeitsassoziierte Erkrankungen», multifaktoriell Berufskrankheit und Krankheit verursachte Erkrankungen, deren Entwicklung, Manifesta- tion, Beschwerdeintensität oder Behandlungsbedürftig- • Als Berufskrankheiten gelten gemäss Art. 9, keit nachweislich von Art und Intensität bestimmter Abs. 1, UVG, Krankheiten, die bei der berufli- arbeitsbedingter Belastungen oder Gesundheitsgefähr- chen Tätigkeit ausschliesslich oder vorwiegend dungen abhängig sind. Der berufliche Anteil ist hier in der durch schädigende Stoffe oder bestimmte Regel schwieriger zu beziffern, ist aber weder vorwiegend Arbeiten verursacht worden sind. noch stark überwiegend. Somit ist eine Anerkennung als • Der Krankheitsbegriff ist im Bundesgesetz über Berufskrankheit nicht möglich. Sie bilden jedoch aufgrund den allgemeinen Teil des Sozialversicherungs- des deutlich erhöhten Risikos von Arbeitsunfähigkeit rechts (ATSG) in Art. 3 definiert. Als Krankheit ebenfalls einen Schwerpunkt der arbeitsmedizinischen definiert ist jede Beeinträchtigung der körperli- Prävention. Besonders die psychosozialen Anforderungen chen, geistigen oder psychischen Gesundheit, und Belastungen an die Arbeitnehmenden haben in den die nicht Folge eines Unfalles ist und die eine letzten Jahren stark zugenommen. Je nach beruflicher medizinische Untersuchung oder Behandlung Position, Arbeitsinhalt, Persönlichkeitsfaktoren und sozia- erfordert oder eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. • Die Liste der schädigenden Stoffe und der arbeitsbedingten Erkrankungen ist in der Ver- ordnung über die Unfallversicherung (UVV) im Anhang 1 publiziert. Als Berufskrankheiten gelten gemäss Art. 9, Abs. 2, UVG, auch andere Krankheiten, von denen nachgewiesen wird, dass sie ausschliesslich oder stark über- wiegend durch berufliche Tätigkeit verursacht worden sind. • Eine vorwiegende Verursachung wird dann EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 angenommen, wenn der berufliche Anteil der Verursachung eines Krankheitsbildes über 50 % beträgt. Eine stark überwiegende Verursa- chung wird dann angenommen, wenn der berufliche Anteil der Verursachung eines Krankheitsbildes über 75 % beträgt. Nicht im UVG geregelt, aber durch bundesgerichtliche Entscheide kann unter Umständen auch eine erhebliche berufliche Verschlimmerung eines vorbestehenden Zustands als Berufskrankheit Typisches Dunstekzem am Hals und im Gesicht qualifiziert werden. bei Epoxidharzallergie. 10
Berufskrankheitsfälle 2012 – 2016 Jahr 2012 2013 2014 2015 2016 Total Jahre Mittelwert 3 873 922 3 880 112 3 944 691 3 962 920 4 010 833 19 672 478 3 934 496 Vollbeschäftigte 3 058 2 896 2 808 2 332 3 153 14 247 2 849 Anzahl BK … davon 2 461 2 400 2 152 2 062 2 368 11 443 2 289 manifeste BK … nur 565 475 620 207 693 2560 512 Kontaminationen Weitere 32 21 36 63 82 92 48 Diagnosen Anerkannte manifeste Berufskrankheitsfälle nach BK-Gruppen 2012 – 2016 Jahr BK-Gruppe 2012 2013 2014 2015 2016 Total Jahre Mittelwert 414 460 406 359 385 2 024 405 10 Atmungssystem 57 23 47 30 27 184 37 20 Auge und Anhangsgebilde 339 270 206 182 240 1 237 247 30 Bewegungs apparat 565 581 511 440 428 2 525 505 40 Haut und Unterhaut 44 27 30 25 48 174 35 50 Infektiöse Krankheiten 129 127 125 140 177 698 140 60 Neoplasien 804 820 760 800 963 4 147 829 70 Ohr und Gehör 109 92 67 86 100 454 91 99 Andere Berufskrankheiten EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 Total 2 461 2 400 2 152 2 062 2 368 11 443 2 289 Berufskrankheiten Quelle: SSUV 11
SCHWERPUNKT Starke Beanspruchung der Haut durch Kühlschmier- Einwirkung von Chemikalien und Nassarbeit bei der mittel in der Metallbearbeitung. Tätigkeit als Coiffeuse / Coiffeur. ler Unterstützung werden die gleichen Belastungen unter- Präventionsaktivitäten und arbeitsmedizinische schiedlich stark wahrgenommen und resultieren auch in Vorsorgeprogramme unterschiedlichen Beschwerdebildern. Arbeitsassoziierte Beschwerden sind auch am Bewegungsapparat häufig. Abgesehen vom grossen menschlichen Leid für die Direktbetroffenen und deren Angehörige verursachen Berufskrankheiten-Prophylaxe Berufskrankheiten Kosten von zurzeit jährlich rund 140 Millionen Franken. Die Suva führt deshalb in beson- Unterschiedliche chemische, biologische oder physikali- ders betroffenen Branchen regelmässig Präventionspro- sche Einwirkungen und auch körperliche Belastungen im gramme durch (siehe Artikel S. 13 –17). Die Suva kann beruflichen Alltag können zu Krankheiten führen. Zur laut Art. 70 der Verordnung über die Unfallverhütung Verhütung dieser Krankheiten ist eine systematische (VUV) Betriebe, Betriebsteile oder einzelne Arbeitneh- Ermittlung und Beurteilung der Gefährdungen sowie mende durch Verfügung den Vorschriften über die eine konsequente Umsetzung von Schutzmassnahmen arbeitsmedizinische Vorsorge unterstellen, um Arbeit- von entscheidender Bedeutung. Bei der Beurteilung nehmende vor Berufskrankheiten und deren Folgen zu einer Gefährdung können (wo vorhanden) dabei u.a. schützen (weitere Erläuterungen siehe Artikel «Arbeits- auch die von der Suva publizierten Grenzwerte am medizinische Vorsorge» S. 18 – 21). Arbeitsplatz herangezogen werden (siehe Info-Box S. 12 sowie Artikel «Fünfzig Jahre Grenzwertliste der Suva», EKAS Mitteilungsblatt Nr. 86, April 2018, S. 28 – 31). Die umzusetzenden Massnahmen folgen dem sogenann- ten S-T-O-P-Prinzip; d. h. der Ersatz (Substitution) von gesundheitsgefährdenden Stoffen und der Einsatz von technischen Mitteln ist organisatorischen und personenbe- zogenen Massnahmen in jedem Fall vorzuziehen, weil die Wirksamkeit der Massnahmen in der Reihenfolge S-T-O-P abnimmt. Zur Bewältigung besonderer Gefährdungen gemäss Anhang 1 der EKAS Richtlinie 6508 «Beizug von Weiterführende Informationen zum Thema Arbeitsärzten und anderen Spezialisten der Arbeitssicher- Berufskrankheiten: EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 heit» (ASA-Richtlinie, siehe Info-Box) wie zum Beispiel • Materialien, Dokumentationen, Factsheets, Fallbeispiele gesundheitsgefährdende Stoffe, bestimmte Mikroorganis- und vieles mehr zum Thema Berufskrankheiten sind zu men, ionisierende Strahlung oder auch gehörgefährdender finden unter: www.suva.ch > Stichwort «Berufskrank- Lärm ist zudem in den Betrieben spezifisches Wissen nötig. heiten und deren Verhütung» im Suchfeld eingeben. Der Betrieb muss Arbeitsärzte und andere Spezialisten der • Statistische Angaben: www.unfallstatistik.ch Arbeitssicherheit beiziehen, wenn dies zum Schutz der • Grenzwerte am Arbeitsplatz: www.suva.ch/grenzwerte Arbeitnehmenden notwendig ist und der Betrieb nicht • Liste der besonderen Gefährdungen: EKAS Richtlinie 6508 (ASA-Richtlinie) «Beizug von Arbeitsärzten und über das notwendige Know-how verfügt. Der Betrieb kann anderen Spezialisten der Arbeitssicherheit», Anhang 1: sich das Wissen auch über den Beitritt zu einer Branchen- www.ekas.ch > Dokumentation > Richtlinien lösung erwerben und damit von der Expertise der Spezia- listen aus dem entsprechenden ASA-Pool profitieren. 12
Berufskrankheiten verhindern heisst oft: Verhalten ändern Wie bringt man Coiffeusen dazu, beim Haarewaschen Handschuhe zu tragen? Wie überzeugt man Bauarbeiter davon, dass sie im Sommer an ihrem Helm einen Nacken- schutz anbringen, um sich vor den UV-Strahlen der Sonne zu schützen? Die Suva geht im Rahmen ihrer Berufskrankheiten-Kampagnen verschiedene und mitunter auch neue Wege, um die exponierten Personen zu sensibilisieren.
SCHWERPUNKT Prävention mit Augenzwinkern: Komiker Sergio Sardella erinnert daran, wie wichtig es ist, sich regelmässig einzucremen sowie die Lippen zu schützen. Schutz vor UV-Strahlen bei Suva zur Aufgabe gemacht, aus all die- Diese Regeln hat die Suva in Form der Arbeit im Freien sen Erkenntnissen möglichst einfache einer Infografik aufgearbeitet (siehe H und wirkungsvolle Verhaltensregeln Abbildung Seite 15). Diese Grafik autkrebs entsteht nicht nur für Outdoor-Worker abzuleiten. Die setzt vor allem auf visuelle Elemente. am Strand – sondern oft als Regeln sind klar und verständlich, Neben den eigentlichen Regeln wird Folge der Arbeit im Freien. dass sie gut im Arbeitsalltag umge- auch die Vorbildrolle unter den Jährlich erkranken in der setzt werden können: Arbeitskollegen thematisiert. Wer ein Schweiz etwa 25 000 Personen neu Profi ist, schützt sich vor der UV-Strah- an Hautkrebs, davon sind über • Häufig geht der Sonnenschutz lung und geht so den Kollegen, die 1000 Fälle berufsbedingt. Arbeitneh- Anfang Jahr, wenn die Tempera- oben ohne arbeiten, mit guten Bei- mende im Freien sind aufgrund ihrer turen noch nicht so hoch sind, spiel voran. In den Monaten Juni und UV-Exposition einem sehr hohen vergessen. Schutzmassnahmen Juli müssen das Gesicht, die Ohren Risiko ausgesetzt, an weissem Haut- sind bereits ab April und bis und der Nacken zusätzlich geschützt krebs zu erkranken. Zu den gefähr- September notwendig (bei Sonne werden. Die Arbeitgeber müssen die Franziska Fürholz MSc Physics, deten Berufsgruppen zählen Bauar- und teilweiser Bewölkung). erforderlichen Schutzmassnahmen TL Dosimetrie, beiter, Dachdecker, Gartenbauer und • Textilien schützen viel besser als treffen und persönliche Schutzaus- Suva, Luzern alle anderen Outdoor-Worker. Sonnencreme. Deshalb möglichst rüstung (PSA) zur Verfügung stellen alle Hautstellen mit Kleidern und dafür sorgen, dass die Mitarbei- Wie gross die UV-Belastung im Ein- abdecken. An den anderen Stel- tenden die Regeln befolgen. zelfall ist, ist abhängig von vielen ver- len regelmässig Sonnencreme schiedenen Einflussfaktoren wie der auftragen. Auch die Lippen soll- Breite Sensibilisierung durch Jahres- oder Tageszeit, der Bewöl- ten geschützt werden. UV-Kampagne EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 kung, der Atmosphäre, der Höhe • Gesicht, Kopf, Nacken und Ohren oder der Reflexion. In der Umgebung sind punkto Hautkrebs besonders Um möglichst viele Betroffene zu von metallenen Flächen beispiels- gefährdete Stellen. Deshalb müs- erreichen und auf verschiedenen weise ist die Intensität der UV-Strah- sen sie im Juni und Juli zusätzlich Ebenen für das Thema zu sensibili- len um ein Vielfaches grösser. Auch geschützt werden. Sei dies mit sieren, hat die Suva im Rahmen der vereinzelte Wolken reflektieren die Nackenschutz und Stirnblende, UV-Kampagne diverse Aktivitäten Dr. Vittorio Sacchetti UV-Strahlung und tragen so dazu bei, beispielsweise am Bauhelm, der lanciert. Rechtzeitig vor der UV-Spit- Gesundheits- dass die Belastung um 15 Prozent Beschattung des Arbeitsplatzes zenbelastung wurden Ende Mai schutz am zunimmt. Die Wissenschaft liefert eine oder Optimierung der Arbeits Arbeitgeber und Bevölkerung via Arbeitsplatz, Bereich Chemie, Fülle von Informationen betreffend der zeiten zur Reduktion der UV- Medieninformation auf die Wichtig- Suva, Luzern UV-Belastung. Deshalb hat es sich die Spitzenbelastung. keit des Sonnenschutzes bei der 14
Eine Magnettafel erinnert Outdoor-Worker an die Regeln, wie man sich wirksam vor UV-Strahlen schützt. Weitere Informationen zur UV-Kampagne der Suva unter: www.suva.ch/sonne Nackenschutz und Stirnblende, welche die Sicht nicht einschränken: Modell «Sunity». Wie kann man Verhalten nachhaltig ändern? Ob UV oder Chemikalien: Bei vielen Kampagnenthemen der Suva steht das Verhalten der Menschen im Vordergrund. Wie kann es gelingen, ihre Einstellung und ihr Verhalten so zu verändern, dass sie Arbeit aufmerksam gemacht. Den die entsprechende Schutzausrüstung tragen? Die Suva hat sich sozial ganzen Sommer über wurden die psychologische Erkenntnisse zu Nutze gemacht und eine Methode Kampagneninhalte auch via soziale angewendet, mit welcher sich Verhaltensänderungsstrategien syste- Medien verbreitet. Via Facebook matisch analysieren und entwickeln lassen. Das Modell trägt den Titel wurden verschiedene Videoclips, Bil- Ranas, was für «Risk, Attitudes, Norms, Abilities und Self-Regulation» der und kurze Botschaften an die steht. Entwickelt wurde es von Prof. Dr. Hans-Joachim Mosler an der Zielgruppe gebracht. Für einen Teil Eawag, dem Wasserforschungsinstitut der ETH. Bis anhin wurde der der Videoclips und Facebook-Bot- Ranas-Ansatz vor allem im Entwicklungskontext angewendet bei Pro- schaften stand der Komiker Sergio jekten mit Fokus auf sanitäre Einrichtungen, Hygiene oder Trinkwas- Sardella Pate. Er erinnerte auf unter- ser. Die Suva hat das Modell erstmals in der Schweiz im Bereich haltsame Art daran, sich auch bei Gesundheitsschutz angewendet. der Arbeit vor der Sonne zu schüt- zen. Im Juni und Juli wurden auf Dabei wurden die psychosozialen und kontextualen Determinanten über 200 Baustellen Informationen eruiert, welche Outdoor-Worker dazu veranlassen, sich mit Nacken- zum Sonnenschutz verteilt und schutz und Stirnblende vor der Sonne zu schützen. Es hat sich gezeigt: den Bauarbeitern wurde auch ein Handhabungsaspekte, Normen und Emotionen haben den grössten Nackenschutz mit Stirnblende für Einfluss auf das Verhalten. Hingegen spielte das Wissen über die den Bauhelm sowie Sonnencreme Gefahr eine untergeordnete Rolle: Die betroffenen Personen kennen abgegeben. Jedes Unternehmen er- den Zusammenhang zwischen UV-Strahlung und Hautkrebs bereits hielt ausserdem eine Magnettafel sehr gut. Und sie wissen auch, dass sie dem Risiko ausgesetzt sind. mit den Verhaltensregeln zum UV- Aufgrund dieser Erkenntnisse hat die Suva bei der UV-Kampagne Schutz. Mit dieser Aktion wurden andere Inhalte thematisiert wie: EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 rund 5000 Mitarbeitende im Bereich • Vorbildrolle von Vorgesetzten und Kollegen, Hochbau erreicht. • negative Emotionen (Peinlichkeit, Scham) oder • praktische Eigenschaften des Nackenschutzes (kühlt, ist bequem). Auch andere Branchen, wie Dach- Dank dieser Massnahmen konnte erreicht werden, dass der Nacken- decker, Fassadenbauer und Baus- schutz wesentlich häufiger getragen wurde und sich bei den involvier- pengler, hat die Suva direkt kontak- ten Mitarbeitenden die Absicht gefestigt hat, dies auch in Zukunft tiert. In diesen Sparten führte die zu tun. Die Erkenntnisse der Ranas-Studie werden in die weitere Suva bei interessierten Betrieben im Präventionsarbeit der Suva zum Thema UV und zu weiteren Schwer- Rahmen eines wissenschaftlichen punkten einfliessen. begleiteten Projekts (siehe Kasten S. 15) Workshops durch. Ziel dieser Weitere Informationen zum Ranas-Modell: www.ranasmosler.com 15
SCHWERPUNKT Hauterkrankungen sind im Coiffeurgewerbe besonders häufig. Wirksam dagegen sind Handschuhe. Workshops war es, die Mitarbeiten- ventionsschwerpunkt der Suva. Das mitteln, auf dem Bau beim Umgang den zu sensibilisieren und sie zum grösste Organ des Menschen – die mit Epoxidharzen sowie Coiffeusen Tragen des Nackenschutzes und der Haut – ist während Lebzeiten vielen bzw. Coiffeure besonders häufig Stirnblende zu motivieren. äusseren Faktoren ausgesetzt. Die betroffen sind. Die Hauptursache für Exposition gegenüber reizenden Hauterkrankungen in diesen Berufs- Im Rahmen der UV-Kampagne hat Stoffen ist besonders gross, wenn feldern ist auf die oft vorkommen- das Tragen des Nackenschutzes in den diese ungehindert auf die Haut den und verwendeten Stoffe zurück- Monaten Juni und Juli Anlass zu Dis- gelangen. Der übermässige Kontakt zuführen, welche beim Kontakt mit kussionen gegeben. Unter anderem mit solchen Stoffen kann in Kombi- der Haut Sensibilisierungen und Aller- deshalb, weil lange kein Nacken- nation mit mangelnder Pflege zu gien auslösen oder generell Hautrei- schutz-Modell auf dem Markt erhält- Erkrankungen der Haut führen. zungen verursachen können. Weiter lich war, welches über die notwendi- kann auch die Kombination aus gen Schutzeigenschaften verfügt Feuchtarbeit, mangelnder Arbeitshy- und gleichzeitig Tragekomfort bietet. Das Verhalten des giene oder ungenügender Pflege die Die Suva hat im Vorfeld viele Modelle Haut schädigen. Menschen ist auch getestet und aufgrund dieser Er- kenntnisse sowie Rückmeldungen beim Hautschutz Coiffeurgewerbe besonders aus Betrieben und Verbänden eine entscheidend. gefährdet externe Firma beraten, die ein Modell entwickelte, welches die Sicht nach Spitzenreiter bei den Hauterkrankun- oben und zur Seite nicht einschränkt Betroffene begleitet oft eine lange gen ist in der Schweiz das Coiffeurge- und dennoch Kopf und Gesicht gut Leidensgeschichte: Häufig führt die werbe. Der Grund dafür ist im häufi- EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 vor UV-Strahlung schützt (siehe Bild Erkrankung zu Arbeitsausfällen oder gen Haarewaschen zu finden. Bei S. 15). gar zu erzwungenen Berufswech- jeder Haarwäsche entfettet das Sham- seln. Mit der richtigen Arbeitshygi- poo die Haut und schwächt die Hautschutz als ene am Arbeitsplatz könnte dies in natürliche Schutzbarriere. Die feuchte Präventionsschwerpunkt vielen Fällen verhindert werden. Umgebung in Kombination mit wei teren aggressiven Stoffen in den Bei der Prävention von Berufskrank- Die Analysen der von der Suva an- verwendeten Produkten können zu heiten steht häufig das Verhalten erkannten berufsbedingten Haut ungewünschten Hauterkrankungen von Mitarbeitenden im Zentrum. erkrankungen zeigen, dass Men- führen. Studien zeigen, dass nur ein Dies ist auch beim Thema Haut- schen im metallverarbeitenden kleiner Teil solcher Hauterkrankungen schutz der Fall, einem weiteren Prä- Gewerbe beim Umgang mit Schmier den Unfallversicherungen gemeldet 16
Für die Haarwäsche geeignet sind passgenaue Einweg-Handschuhe, z. B. aus Nitril. Diese beeinträchtigen den Tastsinn kaum, rupfen nicht an den Haaren und schützen vor Stoffen, welche der Haut zusetzen können. Weitere Infos: www.suva.ch/coiffure werden. Untersuchungen in der Schweiz konnten Coiffeure / Coiffeusen mit- der insgesamt drei geplanten Haut- lassen vermuten, dass dies in ähnli- tels Informationsbroschüren und schutzkampagnen lanciert. Die Suva chem Ausmass auch hierzulande der kurzen Videosequenzen für die Pro- setzt weiterhin alles daran, um auch Fall ist.1 blematik des Hautschutzes sensibili- in diesen Branchen mit Aufklärung siert werden. Mit verschiedenen und einfachen Massnahmen weitere Im Sinne der Berufskrankheitsprä Aktivitäten in den sozialen Medien berufsbedingte Hauterkrankungen zu vention hat die Suva 2017 im Coif- (Facebook und YouTube) wurde vermeiden. Damit möglichst alle mit feurgewerbe eine Hautschutzkampa- zudem eine Diskussion innerhalb der einer gesunden Haut leben können. gne gestartet mit der einfachen Branche ausgelöst. Die zur Verfü- Botschaft: Schützen Sie ihre Hände gung gestellten Informationen auf Weitere Informationen unter: beim Haarewaschen! Mit nur zwei der Website der Suva wurden rege www.suva.ch/hautschutz einfachen Massnahmen kann ein benutzt. Im November 2018 startet wirkungsvoller Schutz gewährleistet die neue Etappe im Coiffeurgewerbe werden: Beim Haarewaschen Hand- und für die folgenden Jahre sind schuhe tragen oder Hautschutz- weitere Aktionen geplant. creme benutzen. Hautschutzkampagne Dass diese einfachen Verhaltensre- geht weiter geln wirken, hat ein fünfwöchiger Test in mehreren Coiffeurgeschäften Eine weitere Hautschutzkampagne erhärtet. Die beteiligten Mitarbeite- der Suva ist in den Startlöchern: rinnen und Mitarbeiter bestätigten Darin geht es um die Sensibilisierung EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 trotz anfänglich grosser Vorbehalte: gegenüber reizenden Inhaltsstoffen Haare können mit Handschuhen in Schmiermitteln für die metallverar- gewaschen werden. Bei richtiger beitende Industrie. Diese Kampagne Auswahl der Handschuhe schränkt wird im kommenden Jahr Schwer- das die Arbeit der Coiffeure nicht ein punkt des Gesundheitsschutzes sein. und wird auch von der Kundschaft Ebenso laufen Vorbereitungen für gut akzeptiert. Und vor allem tut es eine Kampagne bei Bodenlegern für den Händen gut. die Prävention von berufsbedingten Der Test war Teil der Hautschutzkam- Hauterkrankungen bei der Benut- pagne welche dieses Jahr das erste zung von Epoxid-Harzen. Voraus- Etappenziel erreicht hat. Dabei sichtlich wird im Jahr 2019 die letzte 1 Jenny, U., Dissertation USZ, 2011. 17
SCHWERPUNKT Abläufe in der arbeits- medizinischen Vorsorge 4 Ergebnisse Entscheid 5 Eignung (VUV Art. 78) Vorsorge- untersuchung (VUV Art. 71–74) 1 3 Suva Arbeitsmedizin 2 Unterstellung (VUV Art. 70) Branchen, Betriebe / Betriebsteile, einzelne Arbeitnehmer
Arbeitsmedizinische Vorsorge Arbeitgeber, Durchführungsorgane der Arbeitssicherheit und Versicherer sind ver- pflichtet, der Suva Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Problemen zu melden, die bei bestimmten Arbeiten durch ein erhöhtes Unfall- und Gesundheitsrisiko gefähr- det sind. Die Abteilung Arbeitsmedizin der Suva kann zur Verhütung von Berufs- unfällen und Berufskrankheiten Arbeitnehmern bestimmte Tätigkeiten verbieten. Sie kann zudem in allen Betrieben der Schweiz arbeitsmedizinische Vorsorgeunter- suchungen durchführen, wenn gemäss der Risikoanalyse Gefährdungen bestehen und diese sich mit Schutzmassnahmen nicht vollständig ausschliessen lassen. Nichteignungsverfügung und bedingte • Mineralöle und Mineralöladditive (meist in Eignungsverfügung Kühlschmiermitteln) G • Stoffen, die in Coiffeursalons zum Einsatz emäss Art. 78 der Verordnung über die Verhü- kommen tung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV) • Industrielle Reinigungsmittel kann die Suva einen Arbeitnehmer von einer • Anstrichstoffe (Farben, Lacke). gefährdenden Arbeit ausschliessen (Nichteig- nung) oder seine Beschäftigung bei dieser Arbeit unter Die Voraussetzungen für eine Nichteignungsverfügung bestimmten Bedingungen zulassen (bedingte Eignung), sind auch gegeben, wenn bei Arbeitnehmern Krankhei- wenn bei der weiteren Ausübung der Tätigkeit eine ten und funktionelle Einschränkungen vorliegen, die das erhebliche gesundheitliche Gefährdung besteht. Gemäss Unfallrisiko (Selbstgefährdung) erheblich erhöhen. Bei Art. 79 VUV sind Arbeitgeber, Durchführungsorgane der Bewusstseins- oder Gleichgewichtsstörungen besteht Arbeitssicherheit und Versicherer verpflichtet, der Suva häufig eine erh öhte Absturzgefahr bei Arbeiten auf Dr. med. Mattias entsprechend gefährdete Arbeitnehmer zu melden. Dächern, Gerüsten, Leitern und Podesten, die Gefahr, Tschannen von einer laufenden Maschine erfasst zu werden, in Bereichsleiter Arbeitsmedizini- Die Fachärzte für Arbeitsmedizin der Suva beurteilen Flüssigkeitsbecken zu fallen oder Stromschläge zu erlei- sche Vorsorge, anhand von Anamnese, medizinischen Befunden und den. Bei Seh- oder Höreinschränkungen besteht eine Suva, Luzern der Arbeitsplatzsituation, ob die Kriterien für eine Nicht- erhöhte Unfallgefahr bei Arbeiten, bei welchen Gefah- eignungsverfügung oder eine bedingte Eignungsverfü- ren visuell oder akustisch erkannt werden müssen, z. B. gung erfüllt sind, d. h. die Suva kann einer Person beim Führen von Fahrzeugen auf dem Betriebsgelände. bestimmte Tätigkeiten verbieten oder mit Auflagen wei- Die Frage der Fahrtauglichkeit im Strassenverkehr hinge- ter erlauben. Von einer erheblichen gesundheitlichen gen fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der Suva. Gefährdung ist auszugehen, wenn arbeitsabhängige Solche Fälle beurteilt die zuständige kantonale Behörde. EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 Symptome trotz ausgeschöpfter Behandlungsmöglich- keiten und Schutzmassnahmen wiederholt zu länger Bedingte Eignungsverfügungen werden meistens bei dauernden Arbeitsunfähigkeiten führen. Dies ist häufig Personen mit Anzeichen einer beruflichen Lärmschädi- dann der Fall, wenn Allergene sich am Arbeitsplatz nicht gung erlassen. Die Arbeitnehmer werden damit ver- vermeiden lassen und eine Zunahme der Symptome zu pflichtet, bei Lärmarbeit ein Gehörschutzmittel dauernd beobachten ist. In den vergangenen drei Jahren wurden und richtig zu tragen. Dr. med. Claudia Pletscher Nichteignungsverfügungen am häufigsten für Arbeiten Chefärztin und mit Exposition gegenüber folgenden Stoffen oder Pro- Ziel der Untersuchungsprogramme Leiterin Arbeits- dukten erlassen: medizin, Suva, Luzern, • Getreidemehlstaub Arbeitgeber müssen bei Verdacht einer vermehrten Mitglied der • Epoxidharze Gefährdung eines Arbeitnehmers arbeitsmedizinische EKAS 19
SCHWERPUNKT Neues Audiomobil Vorsorgeuntersuchungen bei der Abteilung Arbeitsmedi- tion und somit in der Regel bis zum 40. Lebensjahr der zin der Suva beantragen (Art. 71.1 VUV). Wenn gemäss Arbeitnehmer gelegt, da ein Hörschaden hauptsächlich der Risikoanalyse Gefährdungen bestehen und sich diese durch die berufliche Lärmexposition in dieser Zeitspanne mit technischen, organisatorischen und personenbezoge- entsteht. Die Suva legt zudem grossen Wert auf Infor- nen Schutzmassnahmen nicht vollständig ausschliessen mation, Sensibilisierung und Instruktion und Kontrolle lassen, kann die Suva Vorsorgeuntersuchungen anordnen. des korrekten Tragens des Gehörschutzes. Ziel der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen Arbeitnehmerbefragung ist es, bei Arbeitnehmern berufsbedingte Krankheiten frühzeitig zu erkennen. Es wird auch überprüft, ob Im Rahmen eines Pilotprojektes wird zurzeit ein neues Arbeitnehmer aufgrund des Gesundheitszustandes Vorsorgeprogramm bei Arbeitnehmern mit Expositionen geeignet sind, gefährdende Tätigkeiten auszuüben. Bei gegenüber atemwegsgefährdenden Stoffen erprobt. Die der Suva kommen verschiedene Untersuchungspro- Arbeitnehmer füllen persönlich einen Online-Fragebo- gramme zur Anwendung: Untersuchungsprogramme gen aus. Im Anschluss werden nur diejenigen Arbeitneh- mit ärztlicher Untersuchung, Untersuchungsprogramme mer ärztlich untersucht, die im Fragebogen signifikante mit Biomonitoring und Programme zur Gehörscha- berufsbezogene Atemwegsbeschwerden angeben. den-prophylaxe (siehe Kasten S. 21). Wenn sich das beschriebene Vorsorgeprogramm bewährt, kann dieses auf neue, bisher nicht überwachte Neuausrichtung und Aktualisierung der Arbeitsbereiche und Personengruppen ausgeweitet wer- Untersuchungsprogramme den (z. B. Arbeitnehmer mit hautbelastenden Arbeiten). Die Abteilung Arbeitsmedizin der Suva passt die Pro- Arbeitsmedizinische Beratung für gramme der arbeitsmedizinischen Vorsorge laufend den verstärkte Primärprävention veränderten Risiken in der Arbeitswelt und dem Fortschritt der wissenschaftlichen Kenntnisse an. Von 2015 bis 2016 Die Suva will die Schadensverhütung und speziell den Men- wurden die Vorsorgeuntersuchungen für ionisierende schen und sein Verhalten verstärkt ins Zentrum rücken. Bei Strahlen eingestellt, weil sich die Sicherheitsstandards Vorsorgeuntersuchungen soll die arbeitsmedizinische Bera- stark verbessert haben und viele Jahre keine strahlenindu- tung der Arbeitnehmer mehr Gewicht erhalten. Besonders EKAS MITTEILUNGSBLATT Nr. 87 | November 2018 zierten Berufskrankheiten mehr festgestellt wurden. Mit Chemiearbeiter sind risikoreichen, manchmal toxikologisch der Dosimetrie verfügt die Arbeitsmedizin über eine unbekannten, nicht selten krebserzeugenden Arbeitsstof- zuverlässige Methode der Belastungsmessung. Wegen fen ausgesetzt. Bei solchen Vorsorgeuntersuchungen ist besseren Schutzmassnahmen zur Verminderung von neben einer körperlichen Untersuchung zur Früherkennung Quarzstaubexpositionen werden auch bei Gleisbauern von Krankheitszeichen (Sekundärprävention) auch eine keine Vorsorgeuntersuchungen mehr durchgeführt. arbeitsmedizinische Beratung zwecks Schadensverhütung (Primärprävention) von zentraler Bedeutung. Neukonzept der Gehörschadenprophylaxe Zur arbeitsmedizinischen Beratung gehören neben Infor- Seit 2017 wird der Schwerpunkt der Gehöruntersuchun- mation und Sensibilisierung der Arbeitnehmer gegen- gen auf die ersten 20 Jahre der beruflichen Lärmexposi- über Gefahrstoffen am Arbeitsplatz auch eine individu- 20
Arbeitsmedizinische Untersuchungsprogramme Bei Gefährdungen durch physikalische Einwirkungen der Suva werden aktuell Untersuchungsprogramme für Druckluft (Unterwasserarbeiten, Arbeiten in Überdruck) und für • Untersuchungsprogramme mit ärztlicher Hitzearbeit im Untertagbau angeordnet. Untersuchung Die Arbeitsmediziner der Suva erstellen Untersuchungs- • Untersuchungsprogramme mit Biomonitoring formulare mit Fragen, die auf die spezifischen Gefähr- Die Einwirkungen gesundheitsgefährdender Substan- dungen am Arbeitsplatz abgestimmt sind. Zudem zen am Arbeitsplatz können auch durch Biomonitoring bestimmen sie Zeitpunkt und Intervall der Untersuchun- überwacht werden. Die Überwachung erfolgt durch gen. Die Untersuchungen beinhalten eine Befragung zu Bestimmung von Arbeitsstoffen, Metaboliten oder tätigkeitsbezogenen Beschwerden und, abhängig von körpereigenen durch den Arbeitsstoff beeinflussten den Gefährdungen, körperliche und technische Unter- Parametern im biologischen Material wie Blut oder suchungen (Blutdruck / Puls, Lungenfunktion, Röntgen Urin. Die bei den Arbeitnehmern mittels Laborunter- der Lunge, Blut, Urin, Haut, Elektrokardiogramm, Ult- suchungen gemessenen Konzentrationen werden mit raschall, Untersuchung der Nerven u.a.). Die Arbeitneh- dem biologischen Arbeitsstofftoleranzwert (BAT-Wert) mer gehen für die Untersuchung zu einem von der Suva verglichen. Zurzeit gibt es für ca. 100 Arbeitsstoffe beauftragten Arzt. einen BAT-Wert. In besonderen Fällen kann ein Biomo- nitoring auch bei Arbeitsstoffen ohne BAT-Wert durch- Aktuell werden Untersuchungsprogramme für folgende geführt werden, zum Beispiel wenn Schutzmassnah- chemisch-toxischen Arbeitsstoffe und Stäube durchge- men eingeführt werden und man den Verlauf führt: Asbest, atemwegsgefährdende Stoffe, Benzol, beurteilen möchte. Blei, Carbon Nanotubes, Chemiearbeit, Chromsäure, Hartmetallstaub, Nanopartikel, Nitroglykol / Nitroglyze- Aktuell laufen Untersuchungsprogramme mit Biomo- rin, organische Lösungsmittel, polychlorierte Biphenyle nitoring für folgende Arbeitsstoffe: (PCB), Quarzstaub, Quecksilber, Tetrachlordibenz-p- • diverse Metalle (Aluminium, Arsen, Beryllium, Blei, Dioxin, Trotyl und verschiedene Stäube. Cadmium, Chrom-VI-Verbindungen, Cobalt, anorga- nische Fluorverbindungen, Nickel, Quecksilber, Bei Expositionen mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen Vanadium) werden gemäss Art. 74 VUV Nachuntersuchungen • organische Lösungsmittel (Aceton, Benzol, Dichlor- auch nach Aufgabe der Tätigkeit durchgeführt. Dies methan, Dimethylformamid, Ethylbenzol, Methy- betrifft z. B. Arbeitnehmer mit früheren Expositionen lethylketon, Nitrobenzol, Propanol, Styrol, Toluol, gegenüber Asbest (Lungenkarzinogene), aromatischen Trichlorethen, Tetrachlorethen, Xylol) Aminen (Blasenkarzinogene), Teer, Pech und polyzykli- • Insektizide (Parathion). schen aromatischen Kohlenwasserstoffe (Hautkarzino- gene), Vinylchlorid (Leberkarzinogene) oder Benzol • Gehörschadenprophylaxe (Blutkarzinogene). Im Rahmen des CT-Tu- Personen, die bei ihrer Arbeit chronisch einem Lärm- morscreening Asbest wird Arbeitneh- belastungspegel von 85 dB(A) oder mehr ausgesetzt mern mit stark erhöhtem Lungen- sind, werden periodisch auf ihre Eignung für Arbeiten karzinom-Risiko eine jährliche im Lärm untersucht und über das persönliche Hörver- Früherkennungsuntersuchung mit- mögen, die Gefährdung bei Arbeiten im Lärm und die tels Low-Dose-Computertomo- entsprechenden prophylaktischen Massnahmen infor- graphie angeboten. miert. Die Gehöruntersuchungen und Beratungen erfolgen in Suva-eigenen Audiomobilen. Diese sind mit allen für die Gehörkontrolle notwendigen Einrich- tungen ausgestattet. Blut- und Urinuntersuchung bei arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen elle Aufklärung und Beratung bei Fragen zu Gesundheit Laut Art. 71.3 VUV sind arbeitsmedizinische Untersu- und Gesundheitsschutz. Symptome und abnorme Unter- chungen bei fachlich geeigneten Ärzten durchzuführen. suchungsergebnisse müssen im Kontext zur Arbeitssitu- Aufgrund der genannten Überlegungen wird die Suva in ation beurteilt werden. Mängel beim Gesundheitsschutz Zukunft insbesondere für Chemie-Vorsorgeuntersuchun- müssen erkannt und dem Arbeitgeber gemeldet werden. gen vermehrt Fachärzte für Arbeitsmedizin beauftragen. 21
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