HEFT 2, 3 2019 NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE IN BRANDENBURG - MLUK BRANDENBURG
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Heft 2, 3 2019 Einzelverkaufspreis: 7,- € Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg Beiträge zu Ökologie und Naturschutz
2 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 Vogel des Jahres 2019 – Die Feldlerche Frühere Autoren beschrieben die Feldler- Feldraine, Ränder unbefestigter Wege, lichte beobachten. Es sind Vögel, die aus einem che als ungemein häufigen Brutvogel im Bereiche und Begleitvegetation gibt, dann ver- riesigen europäischen Verbreitungsgebiet gesamten Gebiet der Mark Brandenburg, stummt auch der Gesang der Feldlerche in der kommend, zweimal jährlich auch durch der lediglich auf den spärlichen und dürf- Landschaft. Die Aufzucht von Lerchenbruten Brandenburg ziehen, um ihre Überwinte- tigen Ackerflächen fehlte, welche sich da- mit bis zu fünf Jungvögeln ist kaum noch rungs- oder Brutgebiete aufzusuchen. mals zwischen den sperrigen Siedlungen möglich, und mit sinkender Reproduktion Viele Lerchen überleben aber ihre erste der Heidedörfer hinzogen. Heute scheinen geht auch der Bestand immer mehr zurück. Wanderung ins Winterquartier nicht. Wie sich die Vorkommen gerade auf dürftigen die Ergebnisse eines groß angelegten Be- Ackerflächen und extensiv genutztem Brachflächen waren letzte Refugien, die Nah- ringungsprogrammes zeigen, fanden Grünland zu konzentrieren. Belastbare rung und Ruhe boten und dadurch größere 77 % der Lerchen, die nach Frankreich Zahlen fehlen aus früheren Zeiten, aber al- Dichten erlaubten. Die meisten verschwanden zogen, den Tod durch Nachstellung. Den lein seit dem Beginn eines systematischen ab 2000 durch den Anbau von Pflanzen zur Atlantik sehen und sterben, so könnte das Monitorings für die häufigeren Vogelarten Gewinnung erneuerbarer Energien. Umso ma- Motto lauten, gemanagt durch einen Plan im Jahr 1995 hat der Bestand in Branden- gischer ziehen die schütter bewachsenen Frei- der EU-Kommission zur „Bewirtschaf- burg um ein Drittel abgenommen! Was ist flächen unter den tausenden Windenergiean- tung“ der Feldlerchenbestände. Das hat geschehen, dass es zu solch einer gravie- lagen Lerchen an. Doch die Idylle ist trügerisch, nichts mehr mit der Romantik zu tun, für renden Entwicklung kommen konnte? denn steigen die Männchen mit jubelndem die einst die Lerche in Shakespeares Klas- Gesang in die Rotorzone auf, um ihr Revier siker Romeo und Julia stand. Die Feldlerche ist wie viele Lerchen ei- abzugrenzen, sind sie durch Verwirbelungen gentlich ein typischer Vogel der Steppen. und Kollisionen akut gefährdet. Auch Freiflä- Die einst so häufige Feldlerche ist zwar Früher bewaldete Gebiete in Mitteleuropa chenphotovoltaikanlagen erweisen sich als noch nicht aus unserer Kulturlandschaft wurden für sie erst verfügbar, als der Rückzugsräume, obwohl Feldlerchen die Nähe verschwunden, ihr Rückgang ist aber in- Mensch die Landschaft schrittweise „öff- zu höheren Strukturen eigentlich meiden. Al- zwischen unübersehbar. Haben wir das nete“ und mit Ackerbau und Viehzucht lerdings zeigt sich die Schattenseite der Son- nötig, wollen wir wirklich in naher Zu- begann. Die Feldlerche wurde zum Kul- nenenergienutzung dann, wenn die schütter kunft den Gesang der Feldlerche nur turfolger und erschloss sich die „Kultur- bewachsenen Freiflächen zwischen den Mo- noch vom Tonträger hören? Die Feldler- steppen“. Die Landnutzung erfolgte zu- dulreihen regelmäßig gemäht oder befahren che ist zu Recht zum Vogel des Jahres ge- nächst in sehr geringer Intensität und trug werden. Unzählige Bruten werden dabei ver- kürt worden. Ihr Leidensweg zeigt uns über lange Zeiträume eher dazu bei, dass nichtet. Vermeidbar, wenn die Erbauer die Mo- unverblümt auf, wie schonungslos wir sich die Vielfalt der Tier- und Pflanzen- dule auf höhere Konstruktionen setzen wür- unser Kulturland unterwerfen und mit arten sogar erhöhte. Möglicherweise wa- den. Zu allem Übel haben Feldlerchen jetzt den Ressourcen der Natur umgehen, ren es die Bedingungen der Dreifelder- auch zunehmend mit den Folgen klimatischer nicht nur, um uns zu ernähren, sondern wirtschaft, die es den Feldlerchen in Mit- Veränderungen zu kämpfen. Starkniederschlä- auch um unseren Lebensstandard zu si- teleuropa ermöglichten, hier ihre maxima- ge vernichten lokal binnen Minuten einen chern und weiter zu „verbessern“. Hor- len Siedlungsdichten zu erreichen. Großteil der Bruten. Anhaltende Hitze und Tro- chen Sie bewusst hin, hören Sie das Lied ckenheit führen wiederum dazu, dass Nachge- der Feldlerche noch oder kennen Sie es Die Zahl der Menschen nahm zu, und sie lege oder Zweitbruten ausfallen können. gar nicht mehr? wollten mit Nahrung versorgt werden. So wurden Schritt für Schritt auch die landwirt- Zumindest im Herbst und zeitigen Frühjahr Tobias Dürr schaftlichen Produktionsverfahren vervoll- können wir alljährlich noch große Ansamm- Landesamt für Umwelt Brandenburg kommnet – ein Prozess, der bis heute an- lungen ziehender und rastender Feldlerchen Staatliche Vogelschutzwarte hält. Zunehmend setzte dies Arten wie die Feldlerche unter Druck. Die Begleitvegetati- on der Kulturarten nahm ab und mit ihr die Vielzahl der früher vorhandenen Insekten. Im Grünland wurden mehrere Schnitte pro Jahr möglich, was die Zeitfenster für Brut- und Aufzucht einengte. Die Entwicklung des Kunstdüngers ermöglichte völlig neue Dimensionen bei den landwirtschaftlichen Erträgen – die Kulturbestände wurden dich- ter und am Boden dunkler und kühler. „Pflanzenschutzmittel“ kamen hinzu, die aber nur die Kulturpflanzen schützen und alle übrigen Pflanzen und Tiere weiter dezi- mierten. In jüngerer Zeit setze eine Entmi- schung der Fruchtarten ein bei immer weni- ger Kulturarten und –sorten; für Feldvögel ungeeignete Kulturen wie Mais und Raps nahmen zu. Die Bewirtschaftungseinheiten wurden größer und größer – das muss per se für einen Offenlandbewohner wie die Feldlerche nicht nachteilig sein, aber wenn es kaum noch innere Grenzlinien, Säume, Wir haben das Schicksal der Feldlerche in der Hand Foto: T. Dürr
Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 3 Impressum Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg Herausgeber: Landesamt für Umwelt (LfU) Beiträge zu Ökologie und Naturschutz Schriftleitung: LfU, Referat N3 Natura 2000/Arten- und Biotopschutz Dr. Matthias Hille 28. Jahrgang Heft 2, 3 2019 Dr. Frank Zimmermann Beirat: Dr. Martin Flade Dr. Lothar Kalbe Dr. Thomas Schoknecht Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg – Bestände, Bestandstrends, LfU, Schriftleitung NundLBbg Anschrift: Ursachen aktueller und langfristiger Entwicklungen und Möglichkeiten für Seeburger Chaussee 2 Verbesserungen 14476 Potsdam, OT Groß Glienicke Tel. 033 201/442 220 E-Mail: Frank.Zimmermann@ Torsten Langgemach, Torsten Ryslavy, Maik Jurke, Wernfried Jaschke, Martin Flade, lfu.brandenburg.de Jörg Hoffmann, Karin Stein-Bachinger, Krista Dziewiaty, Norbert Röder, ISSN: 0942-9328 Frank Gottwald, Frank Zimmermann, Rudolf Vögel, Henrik Watzke & Norbert Schneeweiss Es werden nur Originalbeiträge veröffentlicht. Autoren werden gebeten, die Manuskriptrichtlinien, die bei der Schriftleitung zu erhalten sind, zu berücksichtigen. Inhaltsverzeichnis Zwei Jahre nach Erscheinen der gedruckten Beiträge werden sie ins Internet gestellt. http://www.lfu.brandenburg.de/cms/detail.php/ Zusammenfassung 4 bb1.c.310763.de Alle Artikel und Abbildungen der Zeitschrift unterlie- Summary 4 gen dem Urheberrecht. Die Nutzung der Geobasisdaten erfolgt mit Genehmi- gung der Landesvermessung und Geobasisinformati- 1 Einleitung 5 on Brandenburg: © GeoBasis-DE/LGB, LVE 02/09 Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbe- dingt die Meinung der Redaktion wieder. 2 Material und Methodik 5 Redaktionsschluss: 10.12.2019 3 Ergebnisse 10 Layout/Druck/Versand: LGB 4 Ursachen der Bestandsabnahmen 16 Heinrich-Mann-Allee 103 14473 Potsdam 4.1 Rückgangsursachen, die direkt mit der Agrarlandschaft und ihrer Nutzung Tel. 0331/88 44 - 1 23 zusammenhängen 16 Fax 0331/88 44 - 1 26 4.1.1 Allgemeine Rückgangsursachen 16 Bezugsbedingungen: 4.1.2 Rückgangsursachen von Agrarvögeln im Ackerland 22 Bezugspreis im Abonnement: 4 Hefte – 12,- € pro 4.1.2.1 Rückgangsursachen, die mit Ertragssteigerungen zusammenhängen 22 Jahrgang, Einzelheft 7,- €. 4.1.2.2 Rückgangsursachen, die nicht direkt mit Ertragssteigerungen Die Einzelpreise der Hefte mit Roten Listen sowie der thematischen Hefte werden gesondert festgelegt. zusammenhängen 31 Bestellungen: frank.zimmermann@lfu.brandenburg.de 4.1.3 Rückgangsursachen von Agrarvögeln im Grünland 34 4.2 Rückgangsursachen außerhalb der agrarischen Landnutzung 40 Titelbild: In der Umgebung des Ökodorfes Brodo- 4.3 Fazit zu den Rückgangsursachen 45 win im Biosphärenreservat Schorfheide- Chorin geht es den Vögeln der Agrarland- schaft deutlich besser als in der „Normal- 5 Ursachen von positiven Entwicklungen 45 landschaft“ 5.1 Flächenstilllegungen 45 5.2 Agrarumweltprogramme und Greening 47 Rücktitel: Der Feld-Rittersporn (Consolida regalis) ist eine typische Ackerwildkrautart, die wie 5.3 Ökologische Landwirtschaft 49 viele andere Segetalarten im Rückgang 5.4 Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen 50 begriffen ist. 5.5 Verbesserung des Landschafts-Wasserhaushaltes 51 Fotos: F. Zimmermann 5.6 Brutplatzmanagement 53 5.7 Natürliche Zunahmen 53 6 Schlussfolgerungen 54 7 Literatur 57 Anhang Bestandsentwicklung und -trends von 40 Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg 63 Kurzbeiträge Tobias Dürr Vogel des Jahres 2019 – Die Feldlerche 2 Frank Zimmermann Natur des Jahres 2020 69
4 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 „Das Artenspektrum heimischer Tiere und Pflanzen, Bodenschutz, Bodenfruchtbarkeit oder die Regulierung des Landschaftswasserhaushaltes sind mit der Art und Weise, wie Bauern ihr Land bewirtschaften, eng verbunden“ (SPD 2017) Torsten Langgemach, Torsten Ryslavy, Maik Jurke, Wernfried Jaschke, Martin Flade, Jörg Hoffmann, Karin Stein-Bachinger, Krista Dziewiaty, Norbert Röder, Frank Gottwald, Frank Zimmermann, Rudolf Vögel, Henrik Watzke & Norbert Schneeweiss Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg – Bestände, Bestandstrends, Ursachen aktueller und langfristiger Entwicklungen und Möglichkeiten für Verbesserungen Schlagwörter: Agrarlandschaft, Vogelarten, Bestandstrends, Biodiversitätsschwund, Ursachenanalyse, Chancen Keywords: Farmland, bird species, population trends, loss of biodiversity, cause analysis, opportunities Zusammenfassung genutzten Flächen hält an und hat sich mit Ursachen für positive Bestandsentwick- der Aufhebung der konjunkturellen Stillle- lungen sind umfassend untersucht und las- Nach festgelegten Kriterien wurden 40 Brut- gungen 2007 und der weiteren Entwicklung sen sich gut in agrarpolitische Rahmenbe- vogelarten der Brandenburger Agrarland- der energetischen Biomassenutzung noch dingungen und künftige Agrar-Umwelt-Pro- schaft ausgewählt und deren Bestandsent- verstärkt. Parallel dazu haben die Erträge bei gramme übersetzen. Die Funktionalität des wicklungen im Zeitraum von 1995 bis 2016 den meisten Kulturarten im Untersuchungs- ländlichen Raumes kann sich dabei auch mit analysiert und ausgewertet. Ohne Berück- zeitraum zugenommen. Davon ausgehend Vorteilen für die Landwirtschaft selbst ver- sichtigung von fünf Arten mit Bestandsstüt- wurde eine umfangreiche Ursachenanalyse bessern. zung und/oder intensivem Bruterfolgsma- der den Bestandsrückgängen zugrunde lie- nagement (Wiesenweihe, Schreiadler, Fasan, genden Faktoren durchgeführt. Im Ergebnis Großtrappe und Steinkauz) zeigten in der zeigt sich eine überaus vielfältige und kom- Summary Bilanz 22 Arten (63 %) durchschnittliche plexe Gemengelage der seit vielen Jahr- jährliche Bestandsabnahmen um mehr als zehnten stattfindenden Veränderungen. Der According to criteria described at the begin- 1,0 %, wobei 16 Arten (46 %) mit jähr- grundlegende Konflikt besteht darin, dass ning, 40 farmland bird species breeding in lichen Rückgängen zwischen 3,0 und auch die rechtskonforme Bewirtschaftung the federal state of Brandenburg were se- 13,5 % sogar stark abnahmen. Nur fünf Ar- („ordnungsgemäße Landwirtschaft“) zu lected. Population trends in the period from ten (14 %) wiesen mittlere jährliche Zunah- gravierenden Beeinträchtigungen der biolo- 1995 to 2016 were analysed and evaluated. men um mehr als 1,0 % auf, und acht Arten gischen Vielfalt führen kann. Bei zuneh- Five species with reinforcement and / or in- (23 %) waren im Bestand stabil. Der aus den menden Erträgen steigt die Wahrscheinlich- tensive nest site management (Montagu's Bestandstrends dieser 35 Arten für den keit solcher Effekte. Umso wichtiger ist es, Harrier, Lesser Spotted Eagle, Pheasant, Gre- 22-jährigen Zeitraum zusammengestellte die pflanzenbaulichen und ökologischen Zu- at Bustard and Little Owl) were excluded Agrarvogelindex zeigt eine Abnahme um sammenhänge zu verstehen. Nur so lassen from further analyses. From the remaining 2,6 % jährlich sowie um 42,2 % über den sich Schlussfolgerungen ziehen, die den 35 species, 22 species (63 %) showed an gesamten Zeitraum. Fortbestand leistungsfähiger Betriebe garan- average annual decline of more than 1.0 %, tieren und trotzdem biologische Vielfalt er- among these 16 species (46 %) with strong Der Anteil abnehmender Arten ist unter den möglichen. annual declines between 3.0 % and 13.5 %. 20 (ganzjährigen) Insektenfresser-Arten Only five species (14 %) had mean annual (90 % abnehmend) und bei den elf Feucht- Die bisher ergriffenen Maßnahmen inkl. der increases of more than 1.0 %, and eight grünland-Arten (82 % abnehmend) we- Förderung des Ökolandbaus, bei dem Bran- species (23 %) were stable in their populati- sentlich höher als im Durchschnitt aller be- denburg bundesweit an vierter Stelle ran- ons. The farmland bird index compiled from trachteten Agrarvogelarten (63 % abneh- giert, haben für eine Trendumkehr auf Lan- the population trends of these 35 species mend). Bei den Bodenbrüter-Arten (67 %; desebene bei weitem nicht ausgereicht. Da- shows a decrease of 2.6 % per year and n=24) und Langstreckenzieher-Arten her besteht dringender Handlungsbedarf, 42.2 % over the whole 22 years period. (67 %; n=18) liegt er nur leicht über dem die Situation zu verbessern. Gesamtmittel. The proportion of decreasing trends among Von den Ergebnissen unserer Analyse ausge- insectivore species (n=20, 90 % decreasing) Eine Reihe weiterer Arten ist bereits vor dem hend müssen auch Gegenmaßnahmen in- and species of wet grassland (n=11, 82 % Untersuchungszeitraum aus der branden- haltlich breit angelegt sein und auf großer decreasing) is significantly higher than the burgischen Agrarlandschaft verschwunden. Fläche konsequent sowie langfristig stattfin- average of all 35 farmland species (63 % Damit ist die Bilanz für diesen Lebensraum den, wenn sie auf Landesebene wirksam decreasing). Ground breeders (n=24, 67 % wesentlich schlechter als für die Vogelwelt sein sollen. Deutschlandweit und darüber decreasing) and long-distance migrant spe- insgesamt in Brandenburg. Der registrierte hinaus gibt es ermutigende Fallbeispiele ge- cies (n=18, 67 % decreasing) are only slight- Biodiversitätsverlust auf landwirtschaftlich meinsam mit engagierten Landwirten. Die ly above the total mean.
Torsten Langgemach et al.: Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg 5 An additional number of farmland bird spe- cies vanished from Brandenburg farmlands *) „Wasser und Sumpf beherbergten eine eigne Tierwelt, deren Reichtum, über den die prior to our study period. Altogether, the Tradition berichtet, allen Glauben übersteigen würde, wenn nicht urkundliche Belege balance for farmland habitats is much wor- diese Traditionen unterstützten. … Bei der Wasservogeljagd wurden in einer Nacht so se than for the breeding bird fauna altoge- viele Enten erlegt, daß man ganze Kahnladungen voll nach Hause brachte. Im Dorf Let- ther in Brandenburg. The documented loss schin trug jedes Haus drei, auch vier Storchnester. “ (Fontane 1863) of biodiversity on farmland continues and has even intensified with the abolishment of EU set-asides after 2007 and the resul- ting increase of the energetic use of bio- **) “Allein im Oktober des Jahres 1749 wurden 403.455 Lerchen nach Leipzig ge- mass. In parallel, yields for most crops in- bracht“ (vgl. Brutbestand Brandenburg Tab. 2!); ähnlich klingende Beschreibungen aus creased during the investigation period. der Nauener Gegend ohne Zahlen. Therefore, a comprehensive root cause analysis was carried out. Altogether, there is an extremely complex situation regarding the landscape and land-use changes and ***) „Einen ganz eigenartigen und tiefen Eindruck hinterlassen jene ungeheuren Luch- their implications with regard to biodiversi- flächen; welch eine reiche Fülle pflanzlichen und tierischen Lebens! .... Das Krächzen der ty over the last decades. The central conflict Seeschwalben, das Schreien und Wuchteln der Kiebitze, das Rollen und Flöten der Brach- is that farmland management according to vögel und Rotschenkel, das Jodeln der Limosen, das Meckern der Bekassinen, das Trom- every single legal rule ("proper agricul- peten der Kraniche, das Brüllen der Rohrdommeln, das Kollern der Birkhähne, das Wis- ture") can lead to serious damage to biodi- pern der Wiesenpieper, das Schwirren der Locustellen, das Schnarren und Pfeifen der versity. With increasing yields the probabili- Binsenrohrsänger, die schlichten Weisen der Braunkehlchen, – dazu dort drüben viel- ty of such effects is rising. It is therefore all leicht mehrere Ketten eilender Enten, da ein paar schwerleibige Trappen überhinfliegend, the more important to understand the agri- jenseits Sumpfohreulen bedächtig ihr Revier durchkreuzend, und da und dort schwim- cultural and ecological implications. Only menden Flugs gleich Möwen die Weihen, – und die ganzen weiten endlosen grünen this way it is possible to draw conclusions Gefilde bestrahlt von der Abendsonne – fürwahr ein köstlich Stück Natur!“ (Hesse 1910, that will guarantee both the further exi- der Text bezieht sich auf Deutschhof im Havelländischen Luch) stence of efficient agricultural farms and bi- odiversity. The measures taken so far, including the Einige Jahrzehnte später konnten Ornitho- Anknüpfend an vorherige Auswertungen promotion of organic farming in which Bran- logen in Brandenburg zwar immer noch (Ryslavy & Mädlow 2008, Langgemach & Rys- denburg ranks fourth in Germany, were far stolz darauf sein, dass Arten wie Großtrap- lavy 2010) werden im Folgenden die aktuelle from sufficient to reverse the trend at the fe- pe oder Seggenrohrsänger ihren deutschen Datenlage zur Vogelwelt der Agrarlandschaft deral state level. Therefore, there is an ur- Verbreitungsschwerpunkt hier hatten (Ge- und die Methoden der Datengewinnung de- gent need to improve the situation. walt 1959, Wawrzyniak & Sohns 1977), tailliert dargestellt. Im Anschluss daran er- doch die erste Gesamtschau über die Vo- folgt eine ausführliche Diskussion der Ursa- Based on the results of our analysis, measures gelwelt unserer Region nach Schalow chen der Bestandsentwicklungen anhand in favour of biodiversity must be comprehen- (1919) zeigte trotz deutlich gestiegener Be- verfügbarer Quellen. Auf der Basis einzelner sive, consistently and on a long-term basis in obachterdichte Rückgänge und Bestandslü- positiver Entwicklungen werden am Ende des order to become effective at the federal state cken in der Kulturlandschaft auf (Rutschke Beitrages Lösungsansätze abgeleitet. level. Germany-wide and beyond, there are 1983). Heute zählen Arten der Agrarland- plenty of encouraging case studies together schaft in ganz Deutschland zu den Sorgen- with involved farmers. The causes of positive kindern des Vogelschutzes (u. a. Wahl et al. 2 Material und Methodik development have been extensively studied 2015). and can be easily translated into agricultural Die Datengrundlagen für die Analyse von policy framework conditions and future agri- Inzwischen wird in Deutschland mehr als bis- Beständen und Bestandstrends im Zeitraum environmental programs. The functionality her in der Öffentlichkeit und in den Medien 1995 bis 2016 sind in Tab. 1 dargestellt. Die of rural areas can also improve with advan- über den Rückgang der Biodiversität debat- Erfassungsmethoden entsprechen weitge- tages for agriculture itself. tiert und insbesondere die Situation in der hend den gesamtdeutschen, mit den landwirtschaftlich genutzten Offenlandschaft Bundesämtern für Naturschutz und Statistik thematisiert. Dabei standen bisher Vögel im abgestimmten Standards des Dachver- 1 Einleitung Mittelpunkt, in jüngster Zeit zunehmend In- bandes Deutscher Avifaunisten (DDA) e. V. sekten (Hallmann et al. 2017, Schnabler (Sudfeldt et al. 2012). Der Reichtum der Vogelwelt früherer Jahr- 2017, SRU 2018, Themenheft 6/7 2019 in hunderte in Mitteleuropa ist wohl aus heu- „Natur & Landschaft“, für Brandenburg u. a. Für die Trendanalyse kamen zunächst alle tiger Zeit unvorstellbar (z. B. Fontane 1863*, Lehmann 2017, Schmitt & Habel 2017). Zu- Brutvogelarten in Betracht, deren Vorkom- Schulze-Hagen 2004/05, 2019, Klose gleich gibt es Gegenstimmen, die Zweifel an mensschwerpunkte in der Brandenburger 2005**). Noch vor einhundert Jahren haben den Daten, ihrer Gewinnung, den Zusam- Agrarlandschaft liegen. Aus dem Monitoring landwirtschaftlich genutzte Lebensräume in menhängen und den daraus abzuleitenden häufiger Brutvogelarten (MhB) wurden dabei Brandenburg eine üppige und mannigfaltige Schlussfolgerungen äußern. Teil dieses Dis- nur Arten berücksichtigt, deren Reviere in der Vogelwelt beherbergt (Hesse 1910***, puts ist, dass es durchaus Fördermaßnahmen Brandenburger Datenbank der Linien Schalow 1919, Meisel 2003). Kurze Zeit spä- zugunsten der Biodiversität gibt (für Bran- kartierung (LK) zu über 50 % den Lebensräu- ter schreibt Hesse (1914) allerdings schon für denburg siehe MLUL 2019), diese aber vom men Ackerland und Grünland zugeordnet wa- die großen westbrandenburgischen Nieder- Umfang und der Ausrichtung her offenbar ren (Datenabfrage für den Zeitraum 2004 bis moore: nicht ausreichend waren, um eine Trendum- 2017) und die zwischen 1995 und 2016 lü- „Die einstigen Vögel der einstigen Luche kehr zu bewirken. Im Kontext dieser Debatte ckenlose Zeitreihen zur Trendberechnung auf- müsste ich eigentlich schreiben …, denn lei- gab es in Brandenburg mehrere Große und wiesen. Nicht betrachtet wurden somit alle der sind der nimmersatten Kultur nunmehr Kleine Anfragen an die Landesregierung zum weiteren MhB-Arten, deren Reviere in der LK- auch … die Luche des Havellandes … zum Vogelschutz (siehe z. B. Landesregierung Bran- Datenbank zu weniger als 50 % den Lebens- Opfer gefallen“. denburg 2017). räumen Ackerland und Grünland zugeordnet
6 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 Tab. 1 Datengrundlagen und Methoden der Auswertung von Beständen und Bestandstrends in Brandenburg Methode/Erfassungsprogramm Erläuterungen Monitoring häufiger Brutvogelarten (MhB) mit den Methoden RK: 1995-2006, bis zu 60 bearbeitete Probeflächen pro Jahr Revierkartierung (RK), Punkt-Stopp-Zählung (PS) und PS: 1995-2016, bis zu 112 bearbeitete Routen pro Jahr Linienkartierung (LK) LK: 2004-2016, bis zu 190 bearbeitete Probeflächen pro Jahr RK und PS wurden seit 2004 schrittweise durch die LK abgelöst (vgl. Ryslavy & Jurke 2007, Jurke & Ryslavy 2014), einige PS-Routen wurden beibehalten Monitoring seltener Brutvogelarten (MsB) jährliche Erfassung von ca. 50 seltenen Vogelarten seit 1991 Abb. 1 Trotz des Namens brütet weniger als die Hälfte der Feldsperlinge in der Agrarlandschaft; stattdessen liegen die Brutplätze mehr im Sied- lungsbereich. Daher wurde er in der vorliegenden Untersuchung nicht mit betrachtet. Foto: W. Püschel wurden (z. B. Heidelerche, Kuckuck, Bluthänf- (>75 bis 100 %) in der Agrarlandschaft lie- tere Arten aus der Betrachtung herausfallen, ling oder Feldsperling) oder deren Datenlage gen, wurden die Gesamttrends aus der wenn dadurch Lücken in den Zeitreihen ent- keine Trendberechnung zuließ. MsB-Arten Roten Liste verwendet. Bei Arten mit Antei- stehen, die eine Trendberechnung nicht er- wurden aufgrund ihres Lebensraums ausge- len von >50 bis 75 %, bei denen nennens- möglichen (z. B. Schwarzkehlchen). Die wählt (Brut- und Nahrungshabitat im Agrar- werte Anteile der Populationen außerhalb Trendanalysen wurden mit Hilfe der Soft- land). Zusätzlich wurden acht Arten einbezo- der Agrarlandschaft liegen, wurden nur Da- ware TRIM durchgeführt. gen, die zwar überwiegend eher am Rande ten von agrarlanddominierten Probeflächen der Agrarlandschaft brüten, deren Nahrungs- verwendet: PS-Routen oder LK-Flächen, die Für die seltenen Brutvogelarten existieren basis jedoch in starkem Maße vom benachbar- mindestens zur Hälfte aus Ackerland und/ Betreuungsstrukturen, die eine weitgehend ten Offenland abhängt (Weißstorch, Schwarz- oder Grünland bestehen (RK-Daten wurden vollständige Erfassung im Land Brandenburg milan, Rotmilan, Mäusebussard, Schreiadler, nicht nach Lebensräumen getrennt ausge- ermöglichen (MsB). Dies sind z. B. ehrenamt- Turmfalke, Kranich und Schleiereule). wertet). Bei diesen Arten wurden somit nur liche, durch das Landesamt für Umwelt koor- die für die Fragestellung relevanten Anteile dinierte Horstbetreuer sowie ehrenamtliche Für die häufigen und mittelhäufigen Arten der Population betrachtet; die ermittelten und hauptamtliche Art- oder Gebietsbetreuer flossen die Ergebnisse der drei Monitoring- Trends können daher von den brandenbur- einschließlich der Naturwacht. Für die betref- Methoden des MhB (Tab. 1) jeweils gleich- gischen Gesamttrends in der Roten Liste ab- fenden zwölf Arten Weißstorch, Wiesenwei- rangig in die Trendauswertung ein. Bei Ar- weichen. Weiterhin können aufgrund dieses he, Schreiadler, Großtrappe, Wachtelkönig, ten, deren Vorkommen zum allergrößten Teil Datenfilters Lebensraumeingrenzung wei- Tüpfelralle, Austernfischer, Uferschnepfe,
Torsten Langgemach et al.: Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg 7 Abb. 2 Zum Erhalt des Steinkauzes in Brandenburg finden Bestandsstützungen in den Belziger Landschaftswiesen und ein erfolgreiches Wiederan- siedlungsprogramm in der Nuthe-Nieplitz-Niederung statt. Foto: N. Eschholz Brachvogel, Rotschenkel, Steinkauz und Seg- Bei fünf Arten erfolgten langjährig direkte Die Klassifizierung in Trendklassen anhand genrohrsänger wurden daher für die weiter- Manipulationen des Bestandes durch Auswil- der mittleren jährlichen Veränderungen (Tab. führenden Berechnungen die absoluten Be- derung (Großtrappe, Steinkauz, Schreiadler) 3) folgt den aktuellen Kriterien des DDA für standsangaben verwendet. bzw. Aussetzung (Fasan) oder durch inten- kurzfristige Bestandsveränderungen (Sud- sives Brutplatzmanagement (Wiesenweihe, feldt et al. 2012), die auch für die neue Rote Von MsB und MhB abweichend wird ledig- Großtrappe), wodurch die Populationen po- Liste der Brutvogelarten in Brandenburg lich für die Schleiereule, deren Bestände über sitiv beeinflusst wurden. Die resultierenden übernommen wurden (Ryslavy et al. 2019). die genannten Methoden nicht erfasst wer- Trends dieser Arten zeigen den Erfolg der den können, die Anzahl der in Brandenburg Manipulation, aber nicht zwangsläufig die In den für MhB-Arten erzeugten Trendgra- beringten Erstbruten für die Trendberech- Lebensraumqualität an, selbst wenn deren fiken wird der Bestandswert für das Jahr nung verwendet. Dem liegt die Einschät- Verbesserung v. a. für die Großtrappe gut 1995 auf den Indexwert 1,0 normiert. Die zung zugrunde, dass die Zahl der Schleiereu- belegt ist (Langgemach & Watzke 2013, Litz- Werte aller nachfolgenden Jahre stellen die len-Beringer und deren Kontrollintensität im barski & Litzbarski 2015). Daher werden für Bestandsveränderungen relativ zu diesem Laufe der Jahre in etwa gleichgeblieben sind. diese fünf Arten zwar Bestandstrends ange- Jahr dar. Für MsB-Arten werden in den ent- geben, sie gehen jedoch nicht in die Berech- sprechenden Grafiken absolute Landesbe- Die Verlässlichkeit der ermittelten Arten nung des Gesamtindex bzw. in die späteren stände angegeben. Die Diagramme enthal- trends wurde anhand folgender, vom DDA gildenbezogenen Auswertungen ein. ten zusätzlich zur Trendlinie auch die sich empfohlenen Kriterien geprüft: Ein stati- aus den Daten ergebende exponentielle Re- stisch gesicherter, gerichteter Trend besteht, In die Herleitung eines Trends für die Ge- gressionskurve, die eine Glättung der Trend- wenn beide Grenzen des 95 %-Konfidenzin- samtheit der ausgewählten Agrarvogelarten richtung darstellt. Diese entspricht in etwa tervalls der mittleren jährlichen Veränderung (im Weiteren „Agrarvogelindex“ genannt) der Funktion der mittleren jährlichen Verän- (p
8 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 Tab. 2 Bestände (nach Ryslavy et al. 2019), ökologische Merkmale und Datenquellen der 40 betrachteten Arten der Agrarlandschaft in Branden- burg. Arten mit direkter Beeinflussung von Bestand und Bruterfolg sind farblich hervorgehoben (s. Text). „AL/GL“ steht in der letzten Spalte für Arten, für die bei der Trendauswertung nur ackerland- und grünlanddominierte Flächen bzw. Routen berücksichtigt wurden (siehe Text). Weitere Abkürzungen siehe Tab. 1. Art und überwiegend Bestand 2015/16 Langstrecken- Insekten- Datenquelle Rote-Liste-Kategorie Bodenbrüter Feucht- (Brutpaare/Reviere) zieher fresser* für Trends 2019 grünland Weißstorch 3 1.360 - 1.480 X MsB Wiesenweihe 2 45 - 55 X X MsB Schwarzmilan 1.100 - 1.350 X MhB Rotmilan 1.600 - 1.800 MhB Mäusebussard V 5.700 - 6.800 MhB Schreiadler 1 22 - 23 X MsB Turmfalke 3 2.150 - 2.600 MhB Rebhuhn 1 600 - 800 X X MhB Wachtel 2.000 - 3.500 X X X MhB Fasan 5.000 - 7.500 X X MhB Großtrappe 1 197 - 232 Ex. X X MsB Wachtelkönig 2 80 - 120 X X X X MsB Tüpfelralle 1 35 - 50 X X X X MsB Kranich 2.700 - 2.900 X MhB Austernfischer R 15 - 17 X MsB Flussregenpfeifer 1 400 - 500 X X X MhB Kiebitz 2 1.400 - 1.750 X X MhB Bekassine 1 600 - 750 X X X MhB Uferschnepfe 1 3-4 X X X X MsB Brachvogel 1 35 - 41 X X X MsB Rotschenkel 1 52 X X X MsB Schleiereule 1 100 - 250 Beringungsdaten Steinkauz 2 23 - 25 X MsB Feldlerche V 280.000 - 380.000 X X MhB Wiesenpieper 2 2.600 - 3.700 X X X MhB Schafstelze 11.000 - 15.000 X X X MhB Braunkehlchen 2 4.500 - 7.500 X X X MhB Wacholderdrossel 1.900 - 2.400 X MhB (AL/GL) Feldschwirl V 2.000 - 3.000 X X X X MhB (AL/GL) Seggenrohrsänger 1 0 X X X X MsB Schilfrohrsänger 3 5.500 - 6.500 X X X X MhB (AL/GL) Sumpfrohrsänger 18.000 - 30.000 X X X MhB Gelbspötter 3 20.000 - 35.000 X X MhB (AL/GL) Sperbergrasmücke 2 2.000 - 2.800 X X MhB (AL/GL) Dorngrasmücke V 35.000 - 60.000 X X MhB (AL/GL) Neuntöter 3 15.000 - 18.000 X X MhB Goldammer 65.000 - 120.000 X X MhB (AL/GL) Ortolan 3 4.100 - 4.900 X X X MhB Rohrammer 22.000 - 35.000 X X X MhB (AL/GL) Grauammer 8.000 - 11.000 X X MhB * „Insektenfresser“ = zur Brut- und Aufzuchtzeit in hohem Maße auf Insekten angewiesen / fett = ganzjährig überwiegend Insektenfresser. Im wei- teren Text wird vereinfachend nicht explizit zwischen Insekten und der umfangreicheren Gruppe der Arthropoden unterschieden.
Torsten Langgemach et al.: Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg 9 unter Ausschluss der Arten mit Bestandsstüt- Mittelwert der Faktoren aller dem Index zu- zung. Zu diesem Zweck erfolgt eine Mittel- grunde liegenden Arten stellt so den Faktor wertberechnung der Faktoren, die sich für dar, um den sich der Gesamtindex Jahr für jede Art als Summe aus 1,0 plus mittlerer Jahr ändert. Es ergibt sich auf diese Weise ei- jährlicher Veränderung ergibt. Weist die ne Kurve, deren Startjahr (ebenfalls 1995) Feldlerche z. B. eine jährliche Veränderung auf 1,0 normiert ist und deren weitere Werte von -1,9 % auf, so errechnet sich für diese sich als Funktion aus (Faktor-Mittelwert Art ein Faktor von 1,0 plus -0,019 = 0,981. hoch Anzahl Jahr-zu-Jahr-Veränderungen) Für im Bestand zunehmende Arten erfolgt minus 1,0 errechnen lassen. Die Anzahl der dies in gleicher Weise, hier ergeben sich Fak- Jahr-zu-Jahr-Veränderungen liegt im vorlie- toren größer 1,0 (z. B. Wacholderdrossel mit genden Berechnungszeitraum 1995 bis 2016 2,4 % pro Jahr: 1,0 plus 0,024 = 1,024). Der bei 21. Trendklasse Erläuterung starke Abnahme mehr als 3 % mittlere jährliche Abnahme; Trend verlässlich moderate Abnahme mehr als 1 % mittlere jährliche Abnahme; Trend verlässlich stabil 1 % mittlere jährliche Abnahme bis 1 % mittlere jährliche Zunahme; Trend verlässlich Tab. 3 Trendklassen aufgrund der mittleren moderate Zunahme mehr als 1 % mittlere jährliche Zunahme; Trend verlässlich jährlichen Bestandsveränderungen sowie starke Zunahme mehr als 3 % mittlere jährliche Zunahme; Trend verlässlich weiterer statistischer Kennziffern gemäß DDA-Kriterien. Abb. 3 Aus den Daten des Monitorings häufiger Brutvogelarten ermittelter Bestandstrend am Beispiel der Feldlerche. Schwarz dargestellt ist die exponentielle Regressionskurve des zugrundeliegenden Trends. Abb. 4 Die Feldlerche ist der häufigste unserer „Feldvögel“. Sie brütet nicht nur auf Feldern, sondern auch im Grünland. Foto: W. Püschel
10 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 3 Ergebnisse Einige weitere Arten sind aus der Agrarland- Für den errechneten Agrarvogelindex auf schaft als Brutvögel weitestgehend ver- Basis der verbleibenden 35 Agrarvogelarten Bereits vor dem hier betrachteten Zeitraum schwunden, kommen aber noch in anderen ergibt sich eine mittlere jährliche Verände- sind in Brandenburg mehrere Arten, die frü- Lebensräumen vor. Dazu gehören z. B. meh- rung von -2,6 % bzw. für den gesamten her im Bereich landwirtschaftlich genutzter rere Entenarten, die früher zu den Charak- Zeitraum 1995 bis 2016 ein Rückgang um Flächen lebten, ausgestorben oder kommen terarten des Feuchtgrünlandes zählten, so- 42,2 % (Abb. 9). Demnach liegt der Index- heute nur noch ausnahmsweise vor. Bei eini- wie Saatkrähe und Haubenlerche, die einst wert für das Jahr 2016 bei 57,8 % gegen- gen Arten liegt das regionale Verschwinden auch in Ackerlandschaften zuhause waren, über dem Jahr 1995. schon länger zurück, bei anderen erfolgte es mittlerweile jedoch fast nur noch im Sied- erst in der jüngeren Vergangenheit: lungsraum zu finden sind. Nach Gilden unterteilt ergibt sich eine Bilanz, die in Abb. 10 dargestellt ist. Unter den 35 Spießente – seit 1999 nur noch unregelmä- Tab. 4 gibt eine Übersicht über die Trends Arten gab es demnach Abnahmen bei ßiger Brutvogel; letzte Brutverdachtsfälle der hier betrachteten Brutvogelarten im • 90 % der ganzjährigen Insektenfresserar- 2009/10/11, 2016 im Unteren Odertal Zeitraum von 1995 bis 2016. Alle 40 Arten ten bzw. 74 % der Insektenfresserarten und Havelland, weisen statistisch verlässliche Trends auf. zur Brutzeit, Birkhuhn – in den Havelländischen Nieder- • 82 % der Feuchtgrünlandarten, mooren Mitte der 1970er Jahre ausge- Unter den neun zunehmenden Arten sind • 67 % der bodennah brütenden Arten storben, letzter Nachweis in Branden- allein vier mit Bestandsstützung und/oder und burg 1994 in der Niederlausitz, intensiver Brutplatzbetreuung. Bei der fünf- • 67 % der Langstreckenzieherarten Schlangenadler – Brutnachweise bis 1896, ten „gemanagten“ Art, dem Schreiadler, im 20. Jahrhundert ausnahmsweise Brut- deutet sich trotz langfristig abnehmender Ausgehend vom Gesamtanteil abnehmender verdacht, Reproduktion seit 2015 eine Trendumkehr Arten (63 %) liegen demnach die Anteile Kornweihe – letzter Brutnachweis 1993 im an, die bis 2019 anhält. Dies stützt die An- abnehmender Arten bei den (ganzjährigen) Havelland, nahme, dass bei allen fünf „gemanagten“ Insektenfresser- und Feuchtgrünlandarten Kampfläufer – letzter Brutverdacht 2006 im Arten der Trend durch das Management sehr deutlich, dagegen bei den Langstre- Havelland, zumindest beeinflusst ist und sie daher eher ckenzieher- und Bodenbrüterarten nur leicht Triel – Brutverdacht bzw. Brutzeitbeobach- nicht in die Bewertung des Lebensraumes darüber. tungen noch 1982, 1985 und 1992 in Agrarlandschaft einbezogen werden der Niederlausitz und im Havelland, sollten. Die Lage der Arten des Feuchtgrünlandes Sumpfohreule – nur noch unregelmäßiger hat sich gegenüber der letzten Auswertung Brutvogel, Von den 35 Arten ohne Bestandsmanipula (Langgemach & Ryslavy 2010) weiter ver- Blauracke – letzter Brutnachweis 1991 in der tion sind schlechtert, vor allem bei Uferschnepfe, Niederlausitz, • 16 Arten stark und sechs Arten moderat Brachvogel, Bekassine, Seggenrohrsänger, Schwarzstirnwürger – dokumentierte Brut- abnehmend (zusammen 63 %), Feldschwirl, Wiesenpieper, Braunkehlchen nachweise bis 1921, danach nur noch • acht Arten stabil (zusammen 23 %) und und Rohrammer (Tab. 4 und Anhang). Die ausnahmsweise erscheinend (dabei • drei Arten moderat und zwei Arten stark gesamte Gruppe der wiesenbrütenden Li- 2005 ein Revierpaar). zunehmend (zusammen 14 %). mikolen ist in Gefahr, mittelfristig aus Bran- Abb. 5 und 6 Fast im selben Jahr verschwanden Kornweihe (links) und Wiesenweihe (rechts) als Brutvogel in Brandenburg. Während die Wiesenweihe nach einjähriger Abwesenheit wieder zunahm, spielt die Kornweihe nur noch im Winterhalbjahr eine Gastrolle bei uns. Die Wiesenweihe brütet nach ihrem „Comeback“ mehr auf Feldern als auf Wiesen. Die Fotos zeigen männliche Vögel. Fotos: W. Püschel
Torsten Langgemach et al.: Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg 11 Tab. 4 Mittlere jährliche Bestandsänderungen und Gesamtbestandsänderung der 40 betrachteten Brutvogelarten der Brandenburger Agrarland- schaft im Zeitraum von 1995 bis 2016; Klassifizierung nach Trendrichtung und -stärke entsprechend den DDA-Kriterien. Die fünf Arten mit Bestandsstützung sind farblich hervorgehoben. Art mittlere jährliche Bestandsänderung Gesamtbestandsänderung 1995 bis 2016 Starke Abnahme: Seggenrohrsänger -13,5 % -95 % Uferschnepfe -12,7 % -94 % Schleiereule -7,5 % -81 % Wiesenpieper -7,0 % -78 % Flussregenpfeifer -6,4 % -75 % Brachvogel -6,3 % -74 % Bekassine -5,9 % -72 % Rebhuhn -5,3 % -68 % Kiebitz -4,3 % -61 % Rohrammer -3,8 % -55 % Feldschwirl -3,5 % -53 % Schafstelze -3,5 % -52 % Braunkehlchen -3,5 % -52 % Sumpfrohrsänger -3,0 % -47 % Neuntöter -3,0 % -47 % Sperbergrasmücke -3,0 % -47 % Moderate Abnahme: Rotschenkel -2,4 % -40 % Turmfalke -2,2 % -37 % Wachtelkönig -2,0 % -34 % Feldlerche -1,9 % -33 % Schreiadler -1,7 % -30 % Gelbspötter -1,7 % -30 % Mäusebussard -1,1 % -21 % Stabil: Rotmilan -0,5 % -11 % Goldammer -0,3 % -7 % Dorngrasmücke -0,3 % -7 % Ortolan -0,3 % -6 % Schilfrohrsänger +0,1 % +3 % Weißstorch +0,1 % +3 % Wachtel +0,2 % +5 % Tüpfelralle +0,2 % +5 % Moderate Zunahme: Grauammer +1,1 % +25 % Steinkauz +2,1 % +54 % Schwarzmilan +2,1 % +55 % Fasan +2,3 % +61 % Wacholderdrossel +2,4 % +65 % Starke Zunahme: Austernfischer +3,3 % +99 % Kranich +5,0 % +181 % Großtrappe +5,8 % +226 % Wiesenweihe +6,7 % +289 %
12 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 Abb. 7 In der Agrarlandschaft sieht man Steinschmätzer bei uns fast nur noch zur Zugzeit, aber kaum noch als Brutvogel. Foto: W. Püschel denburg zu verschwinden; die Uferschnep- fe steht – nach dem Kampfläufer – kurz davor. Hinzu kommen einige weitere Brut- vogelarten. Auch bei den anderen betrach- teten Gilden haben sich die Rückgänge fortgesetzt. Arten, die schon vor 1995 aus Brandenburg verschwunden waren (z. B. Birkhuhn, Kornweihe) oder fast nur noch in anderen Lebensräumen außerhalb der Agrarlandschaft vorkommen (z. B. Hauben- lerche, Steinschmätzer), sind in der jetzigen Betrachtung gar nicht mehr enthalten. Der bisherige Verlust an Vogelartenvielfalt in der Agrarlandschaft ist daher noch größer als die vorgenannten Zahlen erkennen las- sen. Dass unter den Agrarvögeln überdurch- schnittlich viele Arten im Bestand gefähr- det sind, zeigt auch die aktuelle Rote Liste (Ryslavy et al. 2019): Unter den 206 Brut- vogelarten in Brandenburg (ohne 15 be- reits ausgestorbene Arten) befinden sich 31 % in den Kategorien 1, 2 oder 3. Ein- schließlich der Arten der Vorwarnliste sind es 43 %. Bei den 40 hier betrachteten Agrarvogelarten sind es jedoch 60 % bzw. unter Einbeziehung der Vorwarnliste sogar 70 % (Abb. 11). Abb. 8 Für den Seggenrohrsänger gibt es in Brandenburg seit 2015 keine Nachweise zur Brutzeit mehr. Damit ist das letzte Brutvorkommen in Deutschland verwaist. Das Foto stammt aus dem früheren Brutgebiet am Rietzer See, zeigt jedoch einen dort am 28.07.2006 gefange- nen Durchzügler. Foto: G. Sohns
Torsten Langgemach et al.: Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg 13 Abb. xxx Abb. xxx Agrarvogelindex für Brandenburg im Zeitraum 1995 bis 2016 auf Basis der mittleren Agrarvogelindex für Brandenburg jährlichen Veränderungen für 35im Zeitraum 1995 Brutvogelarten bis der 2016 auf Basis der Agrarlandschaft mittleren (geglätteter jährlichen Veränderungen Indexverlauf). für 35 Brutvogelarten der Agrarlandschaft (geglätteter Indexverlauf). Nach Gilden unterteilt ergibt sich eine Bilanz, die in Abb. 3 dargestellt ist. Unter den 35 Arten NachesGilden gab unterteilt demnach ergibt sich Abnahmen bei eine Bilanz, die in Abb. 3 dargestellt ist. Unter den 35 Arten gab es demnach Abnahmen bei • 90 % der ganzjährigen Insektenfresserarten bzw. 74 % der Insektenfresserarten zur • 90 % der ganzjährigen Insektenfresserarten bzw. 74 % der Insektenfresserarten zur Brutzeit, Brutzeit, • 82 % der Feuchtgrünlandarten, • 82 % der Feuchtgrünlandarten, • 67 % der bodennah brütenden Arten und Abb. 9 • 67 % der bodennah brütenden Arten und • 67 % der Langstreckenzieherarten Agrarvogelindex für Brandenburg im Zeit- • 67 % der Langstreckenzieherarten raum 1995 bis 2016 auf Basis der mittleren Ausgehend vom Gesamtanteil abnehmender Arten (63 %) liegen demnach die Anteile jährlichen Veränderungen für 35 Brut Ausgehend abnehmender vom Gesamtanteil Arten abnehmender bei den (ganzjährigen) Arten (63 %)und Insektenfresser- liegen demnach die Anteile Feuchtgrünlandartenvogelarten sehr der Agrarlandschaft (geglätteter abnehmender Arten bei den (ganzjährigen) Insektenfresser- und Feuchtgrünlandarten sehr Indexverlauf). deutlich, dagegen bei den Langstreckenzieher- und Bodenbrüterarten nur leicht darüber. deutlich, dagegen bei den Langstreckenzieher- und Bodenbrüterarten nur leicht darüber. Insektenfresser, ganzjährig (20) 18 2 0 Insektenfresser, ganzjährig (20) 18 2 0 Insektenfresser zur Brutsaison (27) 20 5 2 Insektenfresserganzjährig Insektenfresser, zur Brutsaison (20) (27) 18 20 20 5 2 Insektenfresser, ganzjährig (20) 18 20 Feuchtgrünlandarten (11) 9 2 0 Feuchtgrünlandarten Insektenfresser zur Brutsaison (27) (11) 9 20 2 0 5 2 Insektenfresser zur Brutsaison (27) 20 5 2 Abb. 10 Bodenbrüter (24) 5 3 Feuchtgrünlandarten (11) (24) Bodenbrüter 9 216 0 16 5 3 Bilanzierung der Bestandstrend Feuchtgrünlandarten (11) 9 20 1995 bis 2016 bei Insektenfresserarten, Arten des Feuchtgrünlandes, bodennah Langstreckenzieher Bodenbrüter (24) (18) 1612 5 51 3 Langstreckenzieher (18) 12 5 1 brütenden Arten und Langstreckenziehern. Bodenbrüter (24) 16 5 3 Dargestellt ist jeweils die Anzahl der im Langstreckenzieher (18) 0 12 5 10 5 15 1 20 25 30 Bestand abnehmenden, stabilen und 0 5 10 15 20 25 30 zunehmenden Arten, bezogen auf die Langstreckenzieher (18) Abnahme12 Stabil Zunahme 5 1 35 Arten ohne Bestandsmanipulation. In 0 Abnahme 5 Stabil 10 Zunahme 15 20 25 30 Klammern ist die Artenzahl für die 0 Abnahme 5 Stabil 10 Zunahme 15 20 25 30 einzelnen Gilden angegeben. Abb. xxx Abb. xxx Bestandstrend 1995 bis 2016 beiAbnahme Insektenfressern, Stabil Arten des Feuchtgrünlandes, bodennah Zunahme brütenden Arten1995 Bestandstrend und bis 2016 bei Insektenfressern, Langstreckenziehern. Arten Dargestellt desAnzahl ist die Feuchtgrünlandes, bodennah der im Bestand stabilen sowie der stark und sehr stark ab- oder zunehmenden 35 Arten. In Klammernstabilen brütenden Arten und Langstreckenziehern. Dargestellt ist die Anzahl der im Bestand ist die sowie derfür Artenzahl stark und sehr Gilden die einzelnen stark angegeben. ab- oder zunehmenden 35 Arten. In Klammern ist die Artenzahl für die einzelnen Gilden angegeben. RL-R Rote Liste 2019 (206 Arten) RL-R Rote Liste 2019 (206 Arten) Agrarvögel (40 Arten) Abb. 11 Agrarvögel (40 Arten) Anteil der Rote-Liste-Arten in Brandenburg (Kategorie 1 „vom Aussterben bedroht“, Kategorie 2 „stark gefährdet“, Kategorie 3 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% „gefährdet“, Kategorie R „extrem seltene RL-1 0% RL-2 10% RL-3 20%Vorwarnliste 30% 40% 50% 60% 70%bzw.80% Nicht gefährdet RL-R 90% 100% Arten mit geografischer Restriktion“) zuzüglich der Vorwarnliste – oben bei allen RL-1 RL-2 RL-3 Vorwarnliste Nicht gefährdet bzw. RL-R derzeitigen Brutvogelarten (nach Ryslavy et al. 2019) und unten bei den 40 Agrarvogelarten (vorliegende Auswertung).
14 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 Wiesenschaumkraut (M. Putze), Sommer-Adonisröschen, Ackerglockenblume (J. Hoffmann), Blutströpfchen auf Witwenblume (T. Langgemach), Acker-Wachtelweizen, Kornrade, Acker-Schwarzkümmel (J. Hoffmann), Schwebfliege auf Lattich (T. Langgemach)
Torsten Langgemach et al.: Vogelarten der Agrarlandschaft in Brandenburg 15 Frankfurter Ringelspinner, Sechsfleck-Widderchen, Gefleckter Schmalbock, Gemeine Sichelschrecke, Gemeiner Langbeinkäfer, Schierlingsrüssler, Großer Kohlweißling Fotos: W. Jaschke
16 Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 28 (2, 3) 2019 4 Ursachen der erzeugen einen erheblichen Überschuss an Mit dem Rückgang der Arten der Ackerbe- Bestandsabnahmen Stickstoff in der Landschaft. Der durch- gleitflora nimmt auch die daran gebundene schnittliche „Stickstoffüberschuss“ in Insektenvielfalt sowie -abundanz ab (Heyde- Vogelarten der Agrarlandschaft gehören zu Deutschland hat sich von 25 kg/ha und Jahr mann & Meyer 1983, Litzbarski & Litzbarski den am stärksten gefährdeten Vogelarten in in den 1950er Jahren auf rund 110 kg je ha 1996). Dazu trägt auch die Veränderung des Deutschland (Grüneberg et al. 2015, 2017). und Jahr im Jahr 2005 erhöht (Ellenberg & Mikroklimas bei, welches durch den starken Dies trifft auch auf Brandenburg zu (Ryslavy Leuschner 2010). Die neusten Zahlen des und dichten Aufwuchs der Kulturarten in der et al. 2019) – trotz des hohen Flächenanteils UBA (2019) nennen einen „Gesamtbilanz bodennahen Luftschicht kühler, feuchter an Europäischen Vogelschutzgebieten (22 %) überschuss“ von 94 kg/ha und Jahr bei leicht und schattiger wird. Habitat-Heterogenität sowie Nationalen Naturlandschaften (32 %), abnehmender Tendenz. Für Brandenburg geht dadurch zunehmend verloren, und mit zu deren Zielen eine Harmonisierung der zeigen Karten des Umweltbundesamtes in der allgemeinen Nivellierung der Standort- Landnutzung mit dem Schutz der Natur zählt. großen Teilen des Landes Überschreitungen bedingungen verschwinden die vielen Spezi- Mehr als 60 % der Brutvogelarten der Agrar- der ökologischen Belastungsgrenzen für Eu- alisten unter den Pflanzen- und Tierarten landschaft nehmen im Bestand ab, etliche trophierung zwischen 10 und 40 % bei (Meyer et al. 2013a, b). Im Grünland sind vor weitere sind bereits ganz verschwunden. Die- „Überschüssen der Stickstoff-Flächenbilanz“ allem die wärmeliebenden Insekten wie ses Schicksal teilen die Vögel mit anderen Ar- zwischen 51 und 70 kg/ha in den meisten Heuschrecken, Laufkäfer oder Tagfalter be- tengruppen der Agrarlandschaft, z. B. der Landkreisen (UBA 2014). Im globalen Maß- troffen - produktive, dichte Pflanzenbestän- Ackerbegleitflora („Segetalflora“) (Meyer et stab zählt die Stickstoffbelastung der Bio- de sind generell arten- und individuenarm al. 2013a,b, BfN 2017, 2018b), aber auch sphäre zu den Umweltbereichen, in denen (Ingrisch & Köhler 1998, Richert 1999). den Biotoptypen, unter denen im agrarisch die Grenzen der ökologischen Tragfähigkeit genutzten Offenland besonders viele gefähr- bereits überschritten sind (Rockström et al. Die Folgen für die Vogelwelt beschreiben det sind. In der aktuellen Roten Liste der Bio- 2009, Will et al. 2015). In Deutschland Litzbarski & Litzbarski (1996) am Beispiel der toptypen Deutschlands hat gegenüber der stammen knapp 80 % der Stickstoffeinträge Großtrappe: Nahrungsmangel, Verschlech- vorigen der ohnehin hohe Anteil mit nega- in die Oberflächengewässer und über 50 % terung des Mikroklimas und starke Ein- tiver Entwicklungstendenz noch einmal deut- der Stickstoffemissionen in die Luft aus der schränkung der Beweglichkeit durch die lich zugenommen (Riecken et al. 2010, Finck Landwirtschaft (BfN 2019), wobei der Trend dichten Pflanzenbestände. In der Folge ver- et al. 2017, Vischer-Leopold et al. 2017b). anders als beim Verkehr kaum abnimmt hungern oder verklammen die Küken. Im Unter allen regelmäßig bewerteten terrestri- (UBA 2014). Grünland erhöht der starke Aufwuchs zu- schen Lebensraumbereichen in Deutschland dem Nutzungsdruck und -frequenz (Sturm ist die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft am Was bewirkt die Eutrophierung? Sie führt zu et al. 2018). Auf samenfressende Vogelarten stärksten rückläufig bei anhaltend negativem schnell aufwachsenden, hohen und dichten wirkt sich der Rückgang der Ackerbegleitflo- Trend (BfN 2017). In den Agrarlebensräumen Pflanzenbeständen bei Förderung stick- ra und ihrer Vielfalt direkt aus. Von jeder in Brandenburg, die fast die Hälfte der Lan- stoffliebender oder zumindest -toleranter Pflanzenart hängen zudem ca. sieben bis desfläche ausmachen, ist die Situation analog Pflanzenarten. In erster Linie sind dies die er- zwölf phytophage Tierarten ab (Heydemann (Zimmermann 2012). Besonders besorgniserre- wünschten Kulturpflanzen, denn die natürli- & Meyer 1983, Zimmermann 2012); daher gend sind der anhaltend starke Rückgang che Vegetation besteht zum größten Teil aus geht auch die Vielfalt der Insekten zurück – und die zunehmende Gefährdung nahezu al- Arten, die an Nährstoffmangel angepasst mit Folgen für die weitere Nahrungskette. ler geschützten Lebensräume des Grün- sind. Unter den Pflanzen der brandenbur- Bei Brutvögeln reduziert sich das Nahrungs landes. Dabei gehören insbesondere Trocken- gischen Roten Liste (Ristow et al. 2006) be- angebot, dadurch ihre Kondition und somit rasen und Wiesen zu den artenreichsten Le- finden sich ebenso wie in der gesamtdeut- schon in dieser Phase der Bruterfolg. Insek- bensräumen unserer Landschaft überhaupt schen Roten Liste (BfN 2018b) zu einem tenfressende Singvögel und ihr Nachwuchs (Zimmermann et al. 2012, Zimmermann 2016). großen Teil konkurrenzschwache Arten, die sind betroffen, jedoch auch viele Arten, die eher zu den „Hungerkünstlern“ gehören. zu den Samenfressern zählen, aber während Es liegt nahe, bei der Suche nach den Ursa- Auf deren Schutzbedürftigkeit wurde schon der Aufzuchtzeit ihrer Jungen auf Insekten- chen dieser Entwicklungen zunächst die anlässlich der ersten Roten Liste der bran- nahrung angewiesen sind. Insektenfressende Agrarlandschaft selbst und ihre Nutzung zu denburgischen Moose, Farn- und Blüten- Vogelarten in Brandenburger Agrarland- betrachten. Im Weiteren werden auch mög- pflanzen vor vier Jahrzehnten hingewiesen schaften sind nach den hier ausgewerteten liche Ursachen außerhalb der Agrarlandschaft (Vorwort zu Benkert 1978). Nach einer Lang- Daten überproportional vom Rückgang be- diskutiert. Themen, die gegenwärtig eher lo- zeituntersuchung in Mitteldeutschland (inkl. troffen. kal von Bedeutung sind, wie der Anbau von einer Fläche in Brandenburg) hat die Arten- Gemüse-Sonderkulturen unter Folie, werden zahl der Ackerbegleitflora seit den 1950er Besonders sensibel gegenüber hohen Nähr- hier nicht betrachtet, auch wenn sie vor allem und 1960er Jahre dramatisch abgenommen; stofffrachten und ihren Folgen sind neben für Schutzgebiete Beeinträchtigungen mit ihre Deckung sank in dieser Zeit um 90 % der Großtrappe vor allem der Steinschmät- sich bringen können (Langgemach et al. 2018). (Meyer et al. 2013b). Die Innenbereiche von zer, die Haubenlerche, die Würgerarten und Ackerflächen sind heute extrem artenarm, selbst die Feldlerche (z. B. Schön 2004). und selbst früher häufige Ackerbegleitarten Nahrungsmangel und eingeschränkte Zu- 4.1 Rückgangsursachen, die direkt mit der sind vielerorts verschwunden. Die zuneh- gänglichkeit zu der noch vorhandenen Nah- Agrarlandschaft und ihrer Nutzung mende Anzahl von Arten, die höhere Stick- rung spielt jedoch auch für Vogelarten, wel- zusammenhängen stoff-Zeigerwerte nach Ellenberg et al. (1992) che die Nutzflächen nur zur Nahrungsauf- haben, wird als wesentlicher Indikator dieser nahme aufsuchen, eine wichtige Rolle, etwa 4.1.1 Allgemeine Rückgangsursachen Entwicklung angesehen (Meyer et al. 2013a). verschiedene Insektenfresser oder auf Klein- Daneben spielen aber auch Herbizide und säuger angewiesene Greifvogelarten. Mit den Folgen der Anreicherung von Nähr- weitere noch zu besprechende im Komplex stoffen, der Eutrophierung, für die Biodiversi- wirkende Faktoren eine Rolle. Ausführliche Die Eutrophierung steht auch bei den tät beschäftigen sich viele Wissenschaftler Ursachendiskussionen für die Verarmung der Biotop typen an einer der vorderen Stellen und Institutionen ausführlich (z. B. UBA Segetalarten-Vegetation seit etwa 1950 lie- bei den Gefährdungsursachen (Riecken et al. 2014 und ohne Jahr, SRU 2015a, Bach et al. fern Meisel (1983), Hilbig & Bachthaler 2010, Finck et al. 2017) und wird vom Sach- 2016, Kunz 2017, Dahms et al. 2017, BMUB (1992) sowie Meyer & Leuschner (2015). verständigenrat für Umweltfragen als eine 2017). Die Hauptrolle spielt dabei der Stick- Auch im Grünland besteht ein direkter nega- der Hauptursachen für den Verlust der biolo- stoff. Immissionen aus der Landwirtschaft, tiver Zusammenhang zwischen Stickstoff-Ni- gischen Vielfalt in Deutschland angesehen der Industrie und aus Verbrennungsmotoren veau und Artenzahl (Stevens et al. 2004). (SRU 2007).
Sie können auch lesen