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DIE KRIMINALPOLIZEI Zeitschrif t der Gewerkschaf t der Polizei Ausgabe 2/2019 Bundespolizei Bundeskriminalamt Forensisch entomologische Untersuchungen Zum Ansehen der Polizei Islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten Der Präsident der DHPol im Interview w w w.kriminalpolizei.de
EDITORIAL Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, wie bereits in der letzten Ausgabe angekündigt, geht es in der sozialwissenschaftliche Analyse möglicher Radikalisierungshinter- Kriminalpolizei 2/2019 zunächst erneut um die forensische Ento- gründe vor, blickt vergleichend in französische Haftanstalten und mologie. Dr. Frank Reckel und Dr. Jan-Eric Grunwald vom Kri- zeigt Gegenmaßnahmen unter Berücksichtigung der mit der Föde- minaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes ralismusreform I geänderten Gesetzgebungskompetenz auf. in München berichten über die Grundlagen der forensisch ento- Korrespondierend dazu ist eine Forschungsnotiz zum The- mologischen Fallarbeit und ausgewählte Forschungsprojekte. menfeld Radikalisierung und Strafvollzug beachtenswert. Der Damit bauen die Wissenschaftler auf einem Fachaufsatz von Mar- Berliner Extremismusforscher Dr. Michail Logvinov berichtet cus Schwarz und Mirko Ferch aus Leipzig auf, die in unserer Zeit- darin über einen aus seiner Sicht vielversprechenden neuen schrift 3/2018 die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der Ansatz der Risikobewertung und des Bedrohungsmanagements naturwissenschaftlichen Methode dargestellt haben und damit im Justizvollzug. auf Ihr breites Interesse gestoßen sind. Nunmehr werden exem- In weiteren Fachbeiträgen geht es um Rechtsfragen des poli- plarisch wissenschaftlich angelegte Versuche zum Auffinden von zeilichen Schusswaffengebrauchs mit strafverfolgender Zielset- Schweinekadavern mittels Wärmebildkamera sowie zum Auslegen zung (Teil 2), die Bedeutung der Einwilligung für informatio- von Tierkadavern einschließlich der Untersuchung und Doku- nelle Eingriffsmaßnahmen im Lichte der EU-Datenschutzreform mentation der Verwesungsabläufe und der Besiedlung mit Insek- sowie die Entwicklung eines Masterstudienganges Kriminalistik ten dargestellt. Wertvolle Synergieeffekte sind bei diesen Modell- an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Nicht versuchen nach Darstellung der Autoren regelmäßig auch durch zuletzt vor den Hintergrund dieses innovativen Bildungskonzep- die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen zu erreichen. tes habe ich Ende April ein Gespräch mit dem Präsidenten der So war der Wärmebildkameraeinsatz in ein Kooperationsprojekt Deutschen Hochschule der Polizei Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange der Rechtsmedizin Frankfurt am Main, der Hubschrauberstaffel in Münster-Hiltrup geführt und mir den Entwicklungsprozess und der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes sowie die aktuellen Strategien und Konzepte der universitären Nordrhein-Westfalen sowie des Bayerischen Landeskriminalamtes Hochschule erläutern lassen. Dabei ging es auch um kriminalpo- eingebunden. lizeiliche Inhalte und damit um eine mögliche spartenspezifische Die Polizei gehört zu den Institutionen, die in der Bevölkerung Schwerpunktsetzung innerhalb des Masterstudienganges. traditionell ein hohes Ansehen genießen. Zahlreiche Imagestudien Eine strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht, aktuelle Hin- belegen diese Aussage. Dies dürfte nicht zuletzt damit zu tun haben, weise aus dem Netz, Buchbesprechungen und gewerkschafts- dass sie im Konfliktfall durchgehend erreichbar ist und auf unter- politische Nachrichten runden die Zeitschrift schließlich wie schiedlichen Ebenen unmittelbare Hilfe leisten kann. Dr. Jan-Vol- gewohnt ab. ker Schwind diskutiert die Frage, ob wiederholte Berichte über ein zu kritisierendes Auftreten von Polizeibeamtinnen und -beamten Liebe Leserinnen und Leser, wir wünschen Ihnen viel Erkennt- in relevanten Einsatzsituationen, rechtswidrige Übergriffe, interne nisgewinn und Freude beim Lesen dieser Ausgabe. Wir sehen Auseinandersetzungen beispielsweise an polizeilichen Bildungsein- Ihren Rückmeldungen gespannt entgegen. richtungen und eine häufig damit verbundene skandalisierende Berichterstattung nicht nur der Boulevardmedien das Ansehen der Für das Redaktionsteam Polizei inzwischen negativ beeinflusst haben. Unser Autor ist Krimi- nologe (M.A.) und Polizeikommissar in Niedersachsen. Sein Beitrag Ihr bezieht sich auf eine empirische Untersuchung in Bochum, die er im Rahmen seiner Dissertation durchgeführt hat. Die Terroranschläge der letzten Jahre haben gezeigt, dass Justiz- vollzugsanstalten durchaus Brutstätten für islamistische Radika- lisierungsprozesse sein können. Daher muss gerade dort verstärkt Präventions- und Deradikalisierungsarbeit stattfinden. Vor diesem Hintergrund setzt sich der im Fachbereich Bundespolizei der Hoch- schule des Bundes lehrende und forschende Dr. Stefan Goertz Prof. Hartmut Brenneisen mit der islamistischen Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten auseinander. Er beschreibt die relevanten Prozesse, nimmt eine Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019 1
˘˘˘ Übersicht EHRENAMTLICHE MITARBEITER STÄNDIGE EHRENAMTLICHE MITARBEITER Baden-Württemberg Bremen Matthias Bongarth, Geschäftsführer, Landespolizeipräsident Gerhard Klotter, Ltd. Kriminaldirektor Prof. Dr. Daniel H. Heinke, Landesbetrieb Daten und Information Innenministerium Baden-Württemberg Leiter Landeskriminalamt Bremen Polizeipräsident Reiner Hamm, Präsident Martin Schatz, Polizeipräsidium Mainz Ltd. Kriminaldirektorin Andrea Wittrock, Polizeipräsidium Hochschule für Polizei BW Leiterin ZPD, Polizei Bremen Kriminaldirektor Gerald Gouasé, Polizeipräsident Thomas Köber, Kriminaldirektor Jörg Seedorf, Leiter Polizeidirektion Worms Polizeipräsidium Mannheim Ortspolizeibehörde Bremerhaven Kriminaldirektor a. D. Klaus Mohr Polizeipräsident Ekkehard Falk Polizeipräsident a. D. Hartmut Grasmück, Erster Kriminalhauptkommissar Rolf Oehmke, Polizei Bremen Polizeipräsidium Heilbronn Saarland Polizeipräsident Prof. Alexander Pick, Dr. Helmut Albert, Polizeipräsidium Reutlingen Bundespolizei Ministerium für Inneres, Bauen und Sport, Polizeipräsident Reinhard Renter, Erster Polizeihauptkommissar Edgar Stoppa, Leiter Abteilung V - Verfassungsschutz Polizeipräsidium Offenburg Bundespolizeiakademie Lübeck Generalstaatsanwalt a. D. Ralf-Dieter Sahm, Leitender Kriminaldirektor Peter Egetemaier, Leiter Kriminalpolizeidirektion Freiburg Präsident der Bundespolizeidirektion Pirna Jörg Generalstaatsanwaltschaft Saarbrücken Polizeipräsident Franz Semling, Baumbach Landespolizeivizepräsident Hugo Müller, Polizeipräsidium Freiburg Polizeidirektor Helgo Martens, Ständiger Vertreter des Leiters des Generalstaatsanwalt a. D. Klaus Pflieger Leiter der KrimB Bundespolizeiinspektion Hamburg Landespolizeipräsidiums Saarland Landespolizeipräsident a. D. Dr. Alfred Stümper, Erster Polizeihauptkommissar Polizeirat Norbert Meiners, Stuttgart Jürgen Lindemann, Landesinstitut für präventives Handeln Präsident a. D. Prof. Dr. Rainer Schulte, Bundespolizeidirektion Berlin Freiburg Kriminalrätin Nadine Kunz, Inspekteur der Polizei a. D. Hartmut Lewitzki Dozentin an der Fachhochschule für Verwaltung Kriminalhauptkommissar a. D. Wolfgang Schmidt, Hamburg Schwäbisch Gmünd Kriminaloberrat André Bunkowsky, Sachsen Polizei Hamburg Prof. Dr. med. Jan Dreßler, Bayern Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, Ltd. Kriminaldirektor a. D. Gunter Hauch Hessen Universität Leipzig Ltd. Kriminaldirektor Jürgen Schermbach, Kriminaloberkommissar Lars Elsebach, Prof. Dr. Christine Erfurt, Leiter E3 – Verbrechensbekämpfung bei Polizeipräsidium Nordhessen Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin, TU PP Oberbayern Nord Dresden Erster Kriminalhauptkommissar Gerold Wiesbacher, Mecklenburg-Vorpommern Polizeipräsident Bernd Merbitz, Fortbildungsinstitut der Bayerischen Polizei, Polizeidirektion Leipzig Inspekteur der Polizei a. D. Rudolf Springstein Fachbereich Kriminalistik/Kriminologie Polizeidirektor a. D. Rainer Becker Kriminaldirektor Bernd Hackl, Leiter der KPI Rosenheim Sachsen-Anhalt Niedersachsen Kriminaldirektor Sirko Eckert, Ministerium für Inneres und Sport Berlin Ltd. Kriminaldirektor Wolfgang Rösemann, Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Leitender Kriminaldirektor Karl-Albert Grewe, Prof. Dr. Claudius Ohder, Landeskriminalamt Hochschule für Wirtschaft und Recht Fachbereich 5 Kriminaldirektor Uwe Lietzau, Kriminaldirektor Oliver Tölle, PI Braunschweig Landespolizeidirektor a. D. Rolf-Peter Wachholz HWR Berlin Polizeidirektor Volker Feige, Erster Kriminalhauptkommissar a. D. Peter Trapp, Polizeiakademie Niedersachsen Schleswig-Holstein CDU Berlin Ministerialdirigent Jörg Muhlack, Kriminaloberkommissar Thomas Spaniel, Landeskriminalamt Stab 22 Nordrhein-Westfalen Justizministerium Schleswig-Holstein Kriminalhauptkommissar Landespolizeidirektor Michael Wilksen, Dipl. Verw. Wirt Dietrich Voß, Landespolizeiamt BKA Kriminalprävention/Opferschutz Kriminaldirektor Rainer Bretsch, Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes Leitender Kriminaldirektor Jürgen Kleis MILI des Landes Schleswig-Holstein Leitende Kriminaldirektorin Sabine Wenningmann, Erster Hauptkommissar Frank Schniedermeier Polizeidirektor Frank Ritter, Bundeskriminalamt Berlin IK 12/O1511 Leitender Kriminaldirektor Dieter Kretzer MILI des Landes Schleswig-Hostein Leitender Regierungsdirektor Dr. Peter Frodl, Polizeidirektor Ralph Garschke, Bundeskriminalamt/KT 1 Landespolizeiamt Ltd. Kriminaldirektor Nikolaus Speicher, Rheinland-Pfalz Kriminaldirektor Michael Raasch, Vorsitzender Gesamtpersonalrat im Inspekteur der Polizei Jürgen Schmitt, Polizeidirektion Flensburg Bundeskriminalamt Ministerium des Innern und für Sport Generalstaatsanwalt Dr. Jürgen Brauer, Brandenburg Generalstaatsanwaltschaft Koblenz Thüringen Polizeivizepräsident Roger Höppner, Leitender Oberstaatsanwalt Harald Kruse, Vizepräsident Jens Kehr, Polizeipräsidium des Landes Brandenburg Staatsanwaltschaft Koblenz Thüringer Landeskriminalamt 2 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019
˘˘˘ Inhaltsverzeichnis / Impressum INHALTSVERZEICHNIS / IMPRESSUM Editorial 1 Forensisch entomologische Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut 4 des Bayerischen Landeskriminalamtes Von ORR Dr. Frank Reckel und ORR Dr. Jan-Eric Grunwald, München Zum Ansehen der Polizei im Fokus der öffentlichen Meinung: 7 neue Resultate aus Nordrhein-Westfalen Von Dr. Jan-Volker Schwind, Osnabrück Islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten 11 Von Dr. Stefan Goertz, Lübeck Schusswaffengebrauch unter strafverfolgender Zielsetzung (Teil 2) 16 Von Prof. Michael Knape, Berlin EU-Datenschutzreform – das Ende der Einwilligung als Rechtsgrundlage für die 22 polizeiliche Datenverarbeitung? Von PD Dirk Staack, Owschlag Masterstudiengang Kriminalistik – Brandenburg geht innovative Wege 25 Von LKD a.D. Ralph Berthel, Frankenberg/Sa. Forschungsnotiz 27 Von Dr. Michail Logvinov, Berlin Gespräch mit dem Präsidenten der Deutschen Hochschule der Polizei, 28 Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht 33 Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden Aktuelles aus dem Netz 35 Von EKHK Christian Zwick, Ludwigshafen Gewerkschaftspolitische Nachrichten 36 Von Lars-German Elsebach und Andreas Nünemann, BFA Kripo Buchrezensionen 10, 21, 32 IMPRESSUM Herausgeber: Verlag und Anzeigenverwaltung: GdP Gewerkschaft der Polizei, Bundesgeschäftsstelle Berlin, Stromstraße 4, 10555 Berlin, Telefon: 030 / 39 99 21-0, Fax: -200 Redaktion: Fachlicher Teil: LRD Prof. Hartmut Brenneisen, verantwortlicher Redakteur Forststraße 3 a, 40721 Hilden, E-Mail: brenneisen@kriminalpolizei.de Telefon: 02 11 / 7 10 4-0, Fax: -174, av@vdp-polizei.de KOR Frank Wimmel, Redakteur Betriebsstätte Worms: Rheinstraße 1, 67547 Worms, E-Mail: wimmel@kriminalpolizei.de Telefon: 0 62 41 / 84 96-0, Fax: -70, avworms@vdp-polizei.de EPHK Ass. jur. Dirk Weingarten, Redakteur Geschäftsführer: Bodo Andrae, Joachim Kranz E-Mail: weingarten@kriminalpolizei.de Anzeigenleitung: Antje Kleuker EKHK Christian Zwick, Redakteur Erscheinungsweise und Bezugspreis: E-Mail: zwick@kriminalpolizei.de Vierteljährlich im letzten Quartalsmonat c/o VERLAG DEUTSCHE POLIZEILITERATUR GmbH Anzeigenverwaltung Einzelbezugspreis 3,50 Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten, Jahresabonne- Ein Unternehmen der Gewerkschaft der Polizei ment 12,– Euro incl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten. Aufgrund des kriminalfach- Betriebsstätte Worms, Rheinstraße 1, 67547 Worms, Telefon 0 62 41 / 84 96-0 lichen Inhalts der Zeitschrift „Die Kriminalpolizei“ kann diese nur an Personen und Gewerkschaftspolitischer Teil: Institutionen ausgeliefert werden, die entsprechendes berufliches Interesse an der Oliver Malchow, GdP- Bundesvorsitzender, Zeitschrift nachweisen. „Die Kriminalpolizei“ darf nicht in Lesezirkeln geführt wer- c/o GdP-Bundesgeschäftsstelle, Stromstraße 4, 10555 Berlin, den. Bestellungen nur an den Verlag. Telefon: 030 / 39 99 21-110, Fax: -211 Herstellung: Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht die Meinung der Redaktion Griebsch & Rochol Druck GmbH, wiedergeben. Gabelsbergerstraße 1, 59069 Hamm, Manuskripte bitte ausschließlich an die Redaktion senden. Für unverlangt eingesandte Telefon: 0 23 85 / 931-0, Fax: 0 23 85 / 93 12 13, info@grd.de Manuskripte wird keine Haftung übernommen. Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Vervielfältigungen usw. sind nur mit ISSN 0938-9636 Quellenangabe und nach schriftlicher Genehmigung des Verlages gestattet. Internet-Adresse: www.kriminalpolizei.de Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019 3
KRIMINALITÄT Forensisch entomologische Untersuchungen im Kriminaltech- nischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes Von ORR Dr. Frank Reckel und ORR Dr. Jan-Eric Grunwald, München1 1 Das Sachgebiet 204 – Mikrospuren/Biologie 2 Forensisch entomologische Fallarbeit Das Kriminaltechnische Institut (Abteilung II) des Bayerischen Vorab zum besseren Verständnis eine kurze Rekapitulation eini- Landeskriminalamtes (BLKA) teilt sich in elf Sachgebiete auf, ger Grundlagen forensisch entomologischer Untersuchungen. Die von denen das Sachgebiet 204 – Mikrospuren/Biologie zweifel- bekannteste und wichtigste Anwendung bei forensisch entomolo- los mit das vielfältigste Untersuchungsangebot aufweist. Neben gischen Untersuchungen ist die Abschätzung der Mindestliegezeit der Bearbeitung von biologischen Fragestellungen werden hier einer Leiche, fälschlicherweise oft auch als Todeszeitbestimmung auch materialkundliche Analysen (z.B. Glas, Asbest, Schussrück- bezeichnet. Am präzisesten lässt sich die Leichenmindestliegezeit stand) sowie textilkundliche Untersuchungen (z.B. Faserspuren, durch Altersbestimmung der ältesten an einer Leiche nachgewiese- Beschädigungen, Textil-Bild-Vergleich) durchgeführt. Hinsicht- nen Insektenstadien eingrenzen. Häufig handelt es sich dabei um lich biologischer Fragestellungen entfallen hierbei mehr als 50% die Larven (Maden und Puppen) von Schmeißfliegen. Schmeißflie- der Anträge auf vergleichende bzw. bestimmende morphologische gen spielen bei der Liegezeitabschätzung eine wichtige Rolle, da die Haaruntersuchungen (Mensch und Tier), der Rest verteilt sich auf Vertreter dieser Familie als typische Erstbesiedler eine Leiche sehr die unterschiedlichsten botanischen und zoologischen Teilberei- schnell, zumeist innerhalb weniger Stunden nach Todeseintritt, che, wie zum Beispiel die Bestimmung von pflanzlichen Drogen, besiedeln, d.h. ihre Eier ablegen, wenn äußere Umstände dies nicht bestimmende und vergleichende Untersuchungen von Holz- und verhindern. Wie bei den meisten Insekten ist auch bei Schmeißflie- Pflanzenspuren oder Fragstellungen bzgl. des Washingtoner Arten- gen die Entwicklungsgeschwindigkeit der Larvenstadien stark tem- schutzabkommens. Einen relativ jungen Untersuchungsbereich im peraturabhängig und variiert je nach Artzugehörigkeit. Folglich ist Sachgebiet 204 stellt die Forensische Entomologie dar, die offiziell für eine Abschätzung der Mindestliegezeit eine exakte Artbestim- seit dem Jahr 2004 angeboten wird. Auch wenn die Entomologie mung und – soweit möglich – eine möglichst genaue Rekonstruk- in Bezug auf das Fallaufkommen – die Fallzahlen pro Jahr liegen tion der Temperaturbedingungen am Leichenfundort für die fragli- durchschnittlich im niedrigen einstelligen Bereich – zugegebener- che Liegezeit unumgänglich. Ein wichtiger Punkt, den es zu beach- maßen eher eine untergeordnete Rolle spielt, stellt diese Disziplin ten gilt, ist, dass sich die für eine Liegezeitabschätzung relevanten trotzdem ein wichtiges und regelmäßig in Anspruch genommenes ältesten Fliegenstadien nicht zwingend auf der Leiche befinden Element im Angebot des Sachgebietes dar. Die forensisch entomo- müssen, da die Maden der meisten Schmeißfliegenarten nach der logischen Aktivitäten der Sachverständigen umfassen hierbei eine Fressphase bei anstehender Verpuppung die Leiche wieder verlassen Reihe sehr unterschiedliche Tätigkeiten: und je nach Fallumständen in der Leichenumgebung, beispielsweise f Fund- und Tatortarbeit zur Unterstützung der spurensichern- im Erdboden vergraben, zu finden sind. den Kollegen/Kolleginnen vor Ort Die Altersbestimmung kann je nach Voraussetzungen entwe- f weiterführende und auswertende kriminaltechnische Unter- der anhand von Größenmessungen der Maden oder mittels der suchungen (z.B. Erbrütung im Labor, Insektenbestimmung) sog. akkumulierten Tagesgradzahl erfolgen. Bei letzterem han- sowie Gutachtenerstellung und ggf. Vertretung vor Gericht delt es sich, vereinfacht gesagt, um die für das Erreichen eines f Beratung sowie Durchführung von Schulungen zur entomo- bestimmten Stadiums notwendige Energiedosis, resultierend aus logischen Spurensicherung dem Produkt aus Temperatur mal Zeit. Sie erlaubt eine relativ f Beteiligung an wissenschaftlichen forensisch entomologi- genaue rückwirkende Berechnung des Eiablagezeitpunktes auch schen Studien in Kooperation mit anderen Institutionen in bei variablen Temperaturbedingungen. Bei ihren Berechnungen Deutschland und Europa. sind die forensischen Entomologen auf Entwicklungsdaten ange- wiesen, die in entsprechenden Fachzeitschriften publiziert sind. Einige dieser Tätigkeiten sollen nun im weiteren Verlauf des Die Hauptaufgabe der Sachverständigen des BLKA liegt in Artikels genauer vorgestellt werden. der Fallarbeit. Auch wenn die entomologischen Fallzahlen im 4 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019
˘˘˘ Forensisch entomologische Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes KRIMINALITÄT Sachgebiet 204 im Vergleich zum übrigen Fallaufkommen eher Allerdings wurde bei forensisch entomologischen Freilandversu- gering ausfallen, gehen bei den entomologischen Sachverständigen chen festgestellt, dass durch mikrobiell bedingte Verwesungspro- jedes Jahr regelmäßig Anfragen mit insektenkundlichem Bezug zesse und vor allem durch die Aktivität leichenbesiedelnder Insek- ein. An erster Stelle stehen hierbei die Beratung und die prak- ten ein Anstieg der Temperatur verursacht werden kann. In diesem tische Unterstützung der spurensichernden Einheiten bei einer Zusammenhang spielen gerade die Maden von Schmeißfliegen eine Leichenauffindung. Die Sachverständigen des Sachgebietes 204 wichtige Rolle. Unter günstigen Bedingungen legen Schmeißfliegen können von den Angehörigen der bayerischen Polizei jederzeit zur ihre Eier in großer Zahl an einer Leiche ab. Die daraus schlüpfen- kriminaltechnischen Untersuchung und zur Unterstützung bei der den Maden bilden Fressgemeinschaften, sog. Madenmassen, die zum Spurensicherung angefordert werden. Bei Vorliegen eines Auftra- Teil aus mehreren tausend Individuen bestehen können. In diesen ges zur Bestimmung der Mindestliegezeit als Ermittlungshilfe oder Madenmassen können Temperaturen auftreten, die über längere Zeit zur Gutachtenserstellung übernehmen die Sachverständigen dann deutlich über der Umgebungstemperatur liegen, was eine Wahrneh- in enger Abstimmung mit den Kräften vor Ort die Suche und fach- mung durch eine Wärmebildkamera möglich erscheinen lässt. Auch gerechte Asservierung von insektenkundlichem Spurenmaterial wenn diese Zusammenhänge an sich bereits länger bekannt waren, sowie weitere Bearbeitung der Asservate. Dazu zählt nach Über- lagen bis vor wenigen Jahren noch keine allgemein zugänglichen führung ins BLKA je nach Bedarf auch die fachgerechte Erbrütung Erkenntnisse in Form von Publikationen vor, ein Umstand, der 2010 lebender Larven im entomologischen Labor, die weitere Präpara- im Fall des vermissten Mirco in Nordrhein-Westfalen besonders deut- tion des Spurenmaterials, die genaue Artbestimmung sowie eine lich wurde. Zwei Wochen nach seinem Verschwinden kam die Frage Altersberechnung der verschiedenen Stadien inklusive der damit nach einem möglichen Einsatz von Wärmebildkameras bei der Suche verbundenen notwendige Temperaturrekonstruktion. Die Ergeb- des Kindes auf. Hierbei zeigte sich eine große Unsicherheit bzw. nisse werden in einem Gutachten zusammengefasst, welches bei Unkenntnis darüber, wie lange nach Todeseintritt ein menschlicher Bedarf auch vor Gericht vertreten werden kann. Körper überhaupt noch eine thermographisch messbare Wärme- Seit Einführung der forensischen Entomologie im BLKA finden menge abstrahlt, das heißt, ein Sucheinsatz mittels Wärmebildka- sich regelmäßig Fälle, bei denen die entomologischen Gutachten mera demnach überhaupt noch sinnvoll ist. ihren Beitrag bei der Aufklärung von Straftaten geleistet haben. Um diese Zusammenhänge genauer zu untersuchen, wurde ein Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass die Forschungsprojekt in Kooperation zwischen der Rechtsmedizin Aufträge mit insektenkundlichem Bezug im Sachgebiet nicht Frankfurt, der Hubschrauberstaffel NRW, der Fachhochschule für allein auf Leichenfunde beschränkt sind. So sind in den vergange- öffentliche Verwaltung NRW und dem Bayerischen Landeskrimi- nen Jahren auch entsprechende Gutachten bei Fällen von Erpres- nalamt initiiert. Dabei wurden in bislang drei Versuchsstaffeln zu sung in der Gastronomie, bei Branddelikten sowie allgemein zur unterschiedlichen Jahreszeiten auf einem für die Öffentlichkeit regionalen oder zeitlichen Eingrenzung von Straftaten ergangen. unzugänglichen Versuchsgelände tote Schweine ausgelegt. In den Versuchen wurden verschiedene Fall- und Ablageszenarien simu- liert. Einige Schweine lagen beispielsweise unbekleidet oberfläch- 3 Ausgewählte forensisch entomologische lich frei, andere dagegen bekleidet, ein Teil wurde mit Ästen abge- Forschungsprojekte deckt usw. Abgesehen von der Dokumentation der Insektenbesie- delung mit entsprechender Probennahme sowie regelmäßigen Tem- Um zu gewährleisten, dass ihr Fachwissen auf dem aktuellen peraturmessungen auf und in den Kadavern wurden die Schweine Stand bleibt, nehmen die forensisch entomologischen Sachver- ständigen unter anderem regelmäßig an jährlich stattfindenden Laborvergleichsuntersuchungen und entsprechenden Fachkon- ferenzen teil. Darüber hinaus beteiligen sie sich auch an foren- sisch entomologischen Forschungsprojekten auf nationaler und internationaler Ebene, von denen an dieser Stelle stellvertre- tend zwei Projekte vorgestellt werden. 3.1 Versuche zur Auffindung von Schweinekada- vern mittels Wärmebildkamera Abb. 1: Thermografische Nachtaufnahme von vier frei liegenden Schweineka- davern aus dem Helikopter nach ca. acht Tagen Liegezeit, rote Markierungen: Bereits seit vielen Jahren kommt bei der Suche nach Straftä- unbekleidet, gelbe Markierungen: bekleidet; Die hell aufleuchtenden Flächen tern und Vermissten die Wärmebildkamera (FLIR, Forward Loo- repräsentieren die Bereiche der Schweine mit erhöhter Wärmeentwicklung king InfraRed) vom Hubschrauber aus standardmäßig zum Ein- und -abstrahlung aufgrund von Madenmassen (m.f.G.d. KOK Lars Weidlich, SG satz. Hierbei macht man sich zunutze, dass der Körper einer 43.2, Flugeinsatzgruppe Düsseldorf). lebenden Person in der Regel eine höhere Temperatur aufweist als seine Umgebung. Die daraus resultierende unterschiedlich starke Wärmeabstrahlung wird durch die Wärmebildkamera in ein Graustufenbild umgewandelt. Diese Art des bildgebenden Verfahrens wird auch als Thermographie bezeichnet. Aber wie stellt sich die Sachlage bei bereits verstorbenen Personen oder Opfern von Tötungsdelikten dar? Üblicherweise gleicht sich die Körpertemperatur nach Todeseintritt allmählich der Umgebungs- temperatur an. Je nach Jahreszeit geschieht dies unterschiedlich schnell, aber prinzipiell ist zu erwarten, dass eine Leiche schon nach einigen Stunden bis spätestens etwa zwei Tagen nicht mehr mithilfe Abb. 2: Detailaufnahme eines bekleideten Schweines nach einer Liegezeit von ca. 10 Tagen. Deutlich ist die aufgrund fortgeschrittener Madenaktivi- einer Wärmebildkamera thermographisch wahrgenommen und somit tät großflächige Wärmeabstrahlung erkennbar (helle Bereiche) erkennbar auf diese Weise aufgefunden werden kann. (m.f.G.d. KOK Lars Weidlich, s.o.). Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019 5
˘˘˘ Forensisch entomologische Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes KRIMINALITÄT Es ist geplant, in einer letzten Versuchsstaffel die Möglich- keiten der Thermographie im Winter zu untersuchen, d.h. ob und wie lange eine Darstellung der Kadaver möglich ist, wenn eine Besiedelung durch Insekten nahezu ausgeschlossen wer- den kann. Möglicherweise reicht die mikrobielle Aktivität allein zumindest für ein schwaches Temperatursignal bereits aus. Nach Abschluss der Auswertung aller Versuchsstaffeln ist eine Ver- öffentlichung der gesammelten Erkenntnisse angedacht, um den Entscheidungsträgern eine Entscheidungshilfe bei zukünftigen Lei- Abb. 3: Chrysomya albiceps, eine ursprünglich subtropische bis tropische chen- oder Vermisstensuchen an die Hand geben zu können. Schmeißfliegenart, die inzwischen bereits mehrfach auch in Deutschland nachgewiesen werden konnte. 3.2 Versuche zur Abfolge der Besiedelung von Kadavern (Sukzessionsversuche) In unregelmäßigen Abständen führen die Entomologen des BLKA auch sog. Sukzessionsversuche durch, bei denen Tierkadaver aus- gelegt werden und die Abläufe der Verwesung und der Besiedelung mit Insekten untersucht und dokumentiert werden. Üblicherweise werden für diese Versuche Schweine verwendet, da sie von ihrer Behaarung und Ernährung dem Menschen am nächsten kommen, und daher allgemein als Modelltiere anerkannt sind. Mit der Durch- führung eigener Sukzessionsversuche lässt sich z.B. überprüfen, Abb. 4: Typischer Versuchsaufbau für eine Sukzessionsstudie des BLKA: Aus- ob die in der Fachliteratur publizierten Daten auch auf das hei- bringung eines bekleideten, frischen Schweinekadavers in München. Der Käfig dient dem Schutz des Studienobjektes vor größeren Aasfressern. An vier Seiten mische „Einsatzgebiet“ anwendbar sind. Zusätzlich gewinnen die um den Käfig befinden sich Bodenfallen zur Erfassung von Bodeninsekten. Entomologen einen aktuellen Überblick über die heimische foren- sisch relevante Insektenfauna, und nicht zuletzt kann die hausei- gene Vergleichssammlung des BLKA ergänzt und erweitert werden. So wurde wiederholt bei Sukzessionsstudien mit Chrysomya albi- ceps (Abb. 3) eine subtropische bis tropische Schmeißfliegenart in Bayern nachgewiesen, die sich jetzt wohl immer mehr nach Nor- den ausbreitet – vermutlich auch im Zuge der Klimaerwärmung.3 Abb. 4 zeigt den typischen Aufbau eines Sukzessionsversuchs, in Abb. 5 ist die Abwanderung der ersten Besiedelungswelle von Schmeißfliegen im fortgeschrittenen Verwesungszustand zu sehen. Häufig finden diese Versuche in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen statt, z.B. mit dem Nationalpark Bayerischer Wald oder mit der Zoologischen Staatssammlung München (ZSM). Bei sol- Abb. 5: Die Abwanderung von Schmeißfliegenmaden im „Post-Feeding“-Sta- dium von einem unbekleideten Schweinekadaver an Tag 12 nach Beginn eines chen Kooperationen ergeben sich immer wieder wertvolle Synergie- Sukzessionsversuches (Larven der ersten Besiedelungswelle). effekte, wie z.B. im Jahr 2016 die Weiterentwicklung der moleku- largenetischen Bestimmung leichenbesiedelnder Insekten durch die ZSM. Ein Teil dieser Ergebnisse wurde bereits publiziert, eine weitere weitgehend sich selbst überlassen. An festgelegten Tagen erfolg- Veröffentlichung ist gerade in Arbeit. Es ist abzusehen, dass diese ten über einen Zeitraum von ca. drei Wochen überwiegend nachts Methode in der Zukunft Erleichterungen für die Fallarbeit bringen Überflüge in Verbindung mit thermographische Messungen durch wird, gerade im Hinblick auf die – morphologisch sehr anspruchs- einen mit einer Wärmebildkamera ausgestatteten Helikopter. Die volle – Bestimmung früher Larvenstadien von Fliegen. Ergebnisse der ersten Versuchsstaffel 2014 wurden vorab bereits im Ein zusätzlicher Vorteil der Durchführung von Sukzessionsver- Jahr 2017 veröffentlicht.2 Hierbei zeigte sich, dass die auftreten- suchen ist der Gewinn an Praxiserfahrung. Die Bearbeitung eines den Madenmassen an den Schweinen Temperaturen generierten, solchen Experiments deckt die gesamte Bandbreite der entomo- die teilweise bis zu 10°C über der Umgebungstemperatur lagen. logischen Fallpraxis ab: von der Dokumentation, Temperatur- Dies führte dazu, dass die beiden Versuchsschweine bzw. deren messung und Spurensicherung am „Tatort“ bis zur Bebrütung, Überreste auch noch nach drei Wochen Liegezeit (!) thermogra- Konservierung und Bestimmung von Insektenmaterial im Labor. fisch auffindbar und darstellbar waren. Diese Übung kommt nicht nur den Entomologen selbst zugute: Die vollständige Auswertung der Ergebnisse der nachfolgenden So haben ca. 50 spurensichernde Beamte der Bayerischen Polizei beiden Versuchsstaffeln aus den Jahren 2017 und 2018 dauert im Jahre 2016 die Gelegenheit genutzt, im Verlauf eines Suk- noch an. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeichnet sich eine grund- zessionsversuchs eine praxisnahe Fortbildung in entomologischer sätzliche Bestätigung der Ergebnisse aus der ersten Versuchsstaf- Spurensicherung zu erhalten und dabei selbst Hand anzulegen. fel ab, wobei bestimmte Ablageszenarien durchaus die Darstell- Dabei sind die Entomologen des BLKA nicht ausschließlich barkeit und Auffindbarkeit mittels Wärmebildkamera beeinträch- national aktiv. Als Mitglieder der European Association for Foren- tigen oder gänzlich verhindern können. Des Weiteren bewirkte sic Entomology (EAFE) befinden sie sich in regem Austausch mit die Umstellung der Hubschrauberstaffel NRW auf das neue FLIR internationalen Fachkollegen. Bisheriger Höhepunkt in dieser Star Safire 380-HD System im Jahre 2017 eine enorme Verbesse- Hinsicht war die Organisation der EAFE-Jahrestagung 2018 bei rung der Bildqualität und der Darstellbarkeit gegenüber 2014, der etwa 80 Delegierte in München begrüßt werden konnten. was thermografische Aufnahmen von beeindruckender Auflösung und Schärfe ermöglichte (Abb. 1, 2). Bildrechte: Autoren und Lars Weidlich. 6 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019
˘˘˘ Forensisch entomologische Untersuchungen im Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes KRIMINALITÄT Anmerkungen 1 Dr. Frank Reckel (rechtes Foto) und Dr. Jan Grunwald sind Sachverständige für bio- – a forensically important blow fly new for Bavaria. Mitt. Münch. Ent. Ges. 102, 99-103. logische und textile Mikrospuren im Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen 4 Chimeno, C., Morinière, J., Podhorna, J., Hardulak, L., Hausmann, A., Reckel, F., Landeskriminalamtes. Grunwald, J., Penning, R., Haszprunar, G., 2019, DNA Barcoding in Forensic Entomo- 2 Amendt, J., Rodner, S., Schuch, C.-P., Sprenger, H., Weidlich, L., & Reckel, F., 2017, Helicop- logy – Establishing a DNA Reference Library of Potentially Forensic Relevant Arthro- ter thermal imaging for detecting insect infested cadavers. Science and Justice 57, 366-372. pod Species. J Forensic Sci 64(2), 593-601. 3 Kotrba, M., Reckel, F., Grunwald, J., Balke, M., Swoboda, S., 2012, Chrysomya albiceps Zum Ansehen der Polizei im Fokus der öffentlichen Meinung: neue Resultate aus Nordrhein-Westfalen Von Dr. jur. Jan-Volker Schwind M.A., Osnabrück1 Die Polizei gehört zu den Institutionen, die in der deutschen Begründung, die Polizei habe die Lagen nicht mehr im Griff, Bevölkerung traditionell ein hohes Ansehen genießen. Dazu offenbaren, dass die Personaldecke, die in den letzten Jahren ergab 2004 eine Umfrage des Meinungsumfrageinstituts forsa, verkleinert wurde, für das Spektrum ständig zunehmender Auf- dass 81% der Deutschen der Polizei vertrauen.2 Rund zehn gaben nicht mehr ausreicht.8 So geraten z.B. immer mehr Prob- Jahre später (2015) nahm die Polizei im „Vertrauensindex“ der leme in den Blickpunkt, die sich auf den Flüchtlingsstrom (seit GfK-Gruppe mit 85% Zustimmung immer noch einen Spitzen- 2015) beziehen. Hunsicker weist in diesem Zusammenhang dar- platz ein.3 Dass das so ist, dürfte zunächst damit zu tun haben, auf hin, dass die Polizei bei der „Mehrzahl der Täter mit Migra- dass „die Polizei im Konfliktfall oft der erste unmittelbare Kon- tionshintergrund ein geringes Ansehen hat, weil diese in ihren takt des Bürgers mit dem Staat, die einzige Rund-um-die-Uhr Herkunftsländern korrupt oder gewalttätig ist“.9 verfügbare Hilfe bei Problemen und damit ein zentrales Element demokratischer Gesellschaften“ ist.4 Die Polizei ist (mit anderen Worten) dazu da, „das Gewaltmonopol des Staates zu sichern“.5 1.2 Die (deutsche) Polizei in der „Opferrolle“? Darüber hinaus hat sich die polizeiliche Öffentlichkeitsarbeit um weitere Imageverbesserungen bemüht. Dazu sind z.B. zu Inzwischen macht die Polizei auch in einer neuen Rolle Schlag- rechnen: das Leitbild „bürgernahe Polizei“, die schrittweise zeilen: in der Opferrolle. In Berlin gibt es nach Angaben der Qualitätsverbesserung in der Ausbildung, die vermehrte Einstel- GdP10 „durchschnittlich neun Angriffe auf Polizisten pro Tag, lung von Frauen in den Polizeidienst sowie die Bemühungen um bei denen drei Beamte mehr oder weniger schwer verletzt wer- Bewerber mit Migrationshintergrund. den“. Die „Beamten würden oft nicht mehr ernst genommen“, betont Zick vom Bielefelder Institut für Gewaltforschung.11 Die Angriffe reichen von Pöbeleien und Beleidigungen bis hin zu 1 Stimmt diese Lagebeurteilung noch? Attacken mit Fäusten und Messern.12 Die IMK hatte daraufhin das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) Allerdings wird die Polizei heute kritischer beurteilt als das frü- mit einer Untersuchung der „Gewalt gegen Polizeibeamtinnen her der Fall war. Jahresberichte von amnesty international und und Polizeibeamte“ (bezogen auf die Jahre 1995 bis 2000)13 anderen kritischen Medien bis zu Veröffentlichungen in neuen betraut mit folgendem Resultat: Die Täter waren zu großen Medien wie youtube üben vor dem Hintergrund von Fehlverhal- Teilen alkoholisiert und fast zur Hälfte bereits polizeibekannt: ten kontinuierlichen Druck aus. 30,5% empfinden „Feindschaft zur Polizei“ bzw. gegenüber dem Staat. 1.1 Fehlverhalten am Pranger 2 Ergebnisse zum Ansehen der Polizei nach der Insbesondere Berichte der Printmedien (Zeitungen oder Zeit- Bochum IV-Studie schriften), aber auch Bildmedien (Fernsehen) über das Auf- treten der Polizei in polizeirelevanten Krisensituationen, über Mit dem Ansehen der Polizei in der Bevölkerung haben sich z.B. (angebliche) Übergriffe, aber auch Informationen über Skandale auch eine Reihe von Dunkelfeldbefragungen beschäftigt, die seit (z.B. in der Berliner Polizeiakademie6) oder erkennbare Überfor- 2013 die nördlichen Landeskriminalämter Schleswig-Holstein14, derungen der Polizei z.B. in der Silvesternacht 2015 (etwa in Niedersachsen15 und Mecklenburg-Vorpommern16 initiiert haben. Köln) können das Image der Polizei beeinflusst haben.7 Aktu- Im Flächenstaat Nordrhein-Westfalen sind solche Projekte seit elle Diskussionen über den Einsatz von Hilfspolizisten mit der Mitte der 1970er Jahre insbesondere an der Ruhr-Universität Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019 7
˘˘˘ Zum Ansehen der Polizei im Fokus der öffentlichen Meinung: neue Resultate aus Nordrhein-Westfalen POLIZEI Bochum (RUB) vom Lehrstuhl für Kriminologie durchgeführt wor- konnte. Immerhin fällt aber auf, dass sich das Ansehen der den, und zwar im zeitlichen Abstand von jeweils rund 12 Jahren: Polizei über die Jahre hinweg tendenziell erhöht hat, und zwar Bochum I 197817, Bochum II 198918 und Bochum III 200119. Man nicht nur in Bochum, sondern z.B. auch im Flächenstaat Nieder- kann also vergleichen und prüfen, ob das Ansehen der Polizei sachsen. Auffällig ist jedoch, dass zugleich die Kriminalitäts- abnimmt und womit das zu tun hat. Die Ergebnisse der Bochum furcht zunimmt; diese bezieht sich, was in der Berichterstat- IV Online-Befragung (2015/2016) sind 2018 publiziert worden; tung der Medien oft übersehen wird, auch auf das Dunkelfeld einige sollen in diesem Beitrag kurz beschrieben werden.20 der Kriminalität. Steigende Kriminalitätszahlen (im Hellfeld), Dunkelfeld und Kriminalitätsfurcht sowie das Ansehen der Poli- zei hängen über Rückkopplungen miteinander zusammen.21 2.1 Vermuteter Ruf der Polizei in der Bevölkerung 2.2.2 Zur Rolle der Polizei selbst In der Bochum IV-Untersuchung wurde zunächst nach dem vermu- teten „Ruf der Polizei in der Bevölkerung“ gefragt (vgl. Übersicht 1): Die Bewertung der polizeilichen Arbeit könnte auch unter den Aspekten der Umgangsformen und der entsprechenden Erfahrung, die die Bürger mit der Polizei gemacht haben, relevant sein. Als weitere Einflussfaktoren kommen neben Persönlichkeitsmerkma- len und Erfahrungen im Bekanntenkreis aber auch Berichterstat- tungen in den Medien in Betracht. Auffällig ist die hohe Zahl der Probanden, die die Frage „nach dem Ruf der Polizei“ nicht beant- worten konnten oder nicht beantworten wollten. Die Antwort auf die Frage nach verschiedenen Eigenschaften der Polizei gibt die Übersicht 3. Grundsätzlich hielten die Befrag- ten die Bochumer Polizei für hilfsbereit, kompetent und höflich. Genauer: 82,7% der Befragten erlebten die Polizei als (eher) hilfs- bereit, 76,2% für (eher) kompetent und 79,7% für (eher) höflich. Bei der Höflichkeit fällt jedoch auf, dass ein relativ hoher Pro- zentsatz (12,9%) die Polizei für (eher) unhöflich hält. Aus der Übersicht 1 ergibt sich, dass über die Hälfte der im Jahr 2016 in Bochum Befragten (17,3 plus 35,5% = 52,8%) davon ausgehen, dass die Polizei immer noch über einen (eher) guten Ruf verfügt. Das zeigt auch der Zeitvergleich (vgl. Übersicht 2). 2.2 Daraus resultierende Fragen Vor diesem Hintergrund wurden in Bochum (und anderswo) drei Im Zeitvergleich haben sich die Einschätzungen verändert. Der Fragen gestellt: Vergleich ergibt (vgl. Übersicht 4), dass im Jahr 2016 82,7% der f Haben sich polizeirelevante Ereignisse aus den letzten Jahren Probanden den typischen Polizeibeamten als (eher) hilfsbereit auf das Ansehen (den Ruf der Polizei) negativ ausgewirkt? einschätzten. Im Jahr 1998 (Bochum III) lag dieser Wert sogar f Welche Rolle spielt die Polizei selbst? Etwa durch ihr Auftre- noch etwas höher (bei 85,6%). Einen auffälligen Rückgang hat ten bzw. Verhalten oder durch ihr Outfit? die Kategorie „Kompetenz“ zu verzeichnen. 1998 erachteten f Welche Maßnahmen der polizeilichen Gegensteuerung kom- noch 82,1% der Befragten die Polizei als (eher) kompetent; men aus kriminalpolitischer Sicht in Frage? 2016 nur noch 76,2%. Dieselbe Tendenz weist auch die aktuelle Befragung auf, wenn nach der Höflichkeit gefragt wird. Waren es 1998 noch 84,1% der teilnehmenden Bürgerinnen und Bür- 2.2.1 Auswirkungen polizeirelevanter ger, die die Polizei als (eher) höflich empfanden, sind es 2016 Ereignisse? nur noch 79,9%. Die abnehmende Tendenz könnte mit Erzie- hungsdefiziten bzw. Ausbildungsmängeln zu tun haben. Diese Frage ist so vielschichtig, dass sie im Rahmen der Bochum Die Antworten auf die Frage, ob der Proband der Meinung ist, IV-Untersuchung nicht mehr vertretbar beantwortet werden dass ein Polizist eine „Respektsperson“ sei, fielen vergleichsweise 8 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019
˘˘˘ Zum Ansehen der Polizei im Fokus der öffentlichen Meinung: neue Resultate aus Nordrhein-Westfalen POLIZEI das Ansehen der Polizei.26 Unklar ist, ob der Wechsel der Uni- formfarbe von grün auf dunkel (in nahezu allen Bundeslän- dern umgesetzt) den Respekt vor der Polizei erhöht hat. Der Verfasser, der langjährig im Streifendienst eingesetzt war, hält das für möglich. 3 Möglichkeiten der staatlichen Gegensteuerung Die Möglichkeiten der staatlichen Gegensteuerung hängen von den Ursachen bzw. Einflussfaktoren ab, die sich auf das Anse- hen der Polizei auswirken können. positiv aus. 1998 hatten auf die Frage erst 65,7% der Befragten zustimmend geantwortet; 2016 waren es 88,1%. Dieses Ergebnis 3.1 Verhalten und Erscheinungsbild der Polizei ist deshalb auffällig, weil innerhalb der Polizei eher der abneh- mende Respekt der Bevölkerung diskutiert wird.22 Wie man sich in Uniform zu benehmen hat, lernt der Polizei- beamte spätestens auf der Polizeiakademie. Die Ergebnisse der Bochumer Untersuchung zeigen, dass die ganz überwiegende 2.2.3 Sonstige Einflussfaktoren Zahl der Befragten mit ihrer Polizei insoweit zufrieden ist, also grundsätzlich kein Regelungsbedarf besteht. Diskutiert werden Zu den „sonstigen Einflussfaktoren“ gehört z.B. das „Outfit“ sollten aber z.B. vor allem in der polizeilichen Ausbildung die der (Streifen-)Beamten. Dazu hat die Polizeifachhochschule Ergebnisse zur Höflichkeit und zur vermuteten Kompetenz. Sulzbach-Rosenberg in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg ermittelt: 23 Bei der Frage nach der Akzeptanz ver- schiedener polizeilicher Erscheinungsbilder kam heraus, dass 3.2 Erosion des staatlichen Gewaltmonopols als überwiegend extreme Haarschnitte, sichtbare Piercings und Schwächesignal? Tätowierungen sowie Drei-Tage-Bart und Ohrringe von fast allen Befragten abgelehnt wurden. Künstliche lange Finger- Mit dem Phänomen allgemein zunehmender Gewalt in unserer nägel möchten 40% der Befragten an den Beamtinnen nicht Gesellschaft hat sich bereits Ende der 1980er Jahre ausführ- sehen. Was Tattoos anbelangt, wird die Zulässigkeit in den lich die sog. Anti-Gewaltkommission der Bundesregierung Bundesländern unterschiedlich geregelt. In Bayern kom- befasst.27 Damals spielte das Phänomen der verbalen und kör- men Tattoos für Polizeibeamte generell nicht in Betracht. perlichen Angriffe auf Polizeibeamte vergleichsweise aber noch Die Vertreter des Freistaates argumentierten vor dem Bay- keine Rolle. Heute ist das anders: die Akzeptanz des staatlichen rischen Verwaltungsgerichtshof, der Vorsprung an Respekt, Gewaltmonopols nimmt offensichtlich ab. den ihre Uniform Polizisten verschaffe, werde durch sicht- bare Tätowierungen nivelliert.24 Eine Studie der Hochschule der Polizei in Rheinland-Pfalz kommt zu einem vergleichba- 3.2.1 Gesellschaftliche Auflösungsprozesse? ren Resultat.25 Deren Fazit lautete: Wenn ein Polizist sicht- bar tätowiert oder gepierct ist, sinken Respekt und Vertrauen Heitmeyer28 hat ganz allgemein insoweit von „gesellschaftli- der Bürger. Zugleich steige das Einsatzrisiko des Beamten, chen Auflösungsprozessen“ gesprochen, die sich auch auf die weil sich manche Bürger eher widersetzen könnten. Eine Umgangsformen, wie Respekt vor Autoritäten, Ordnung und gepflegte Uniform erwartete jeder zweite Befragte bei einem Disziplin auswirken würden. Polizisten. Offene Uniformjacke und Schlips „auf Halbmast“ mindern hingegen die Achtung vor den Beamten und damit 3.2.2 Kriminalpolitische Weichen Der Staat versucht gegenzusteuern, z.B. durch die Heraufsetzung der Strafdrohungen gegenüber Störern bzw. Straftätern in den §§ 113/114 StGB;29 der Gesetzgeber erwar- tet Abschreckung. Abschreckung setzt aber voraus, dass auch das Misserfolgsrisiko der Angreifer, gefasst und verurteilt zu werden, so groß ist, dass Täter nach einer Kosten- Nutzen-Abwägung Abstand von ihrer Straftat nehmen. Ein solches Misserfolgsrisiko besteht für die potentiellen Täter aber nur dann, wenn die Polizei von ihrer Ausstattung aber auch personell in die Lage versetzt wird, ihre (zunehmenden) Aufgaben optimal zu erfüllen. Insoweit besteht allerdings Nachholbedarf.30 Fußstreifen unterstreichen das Leitbild einer bürgernahen Polizei. Bildrechte: Redaktion. Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019 9
˘˘˘ Zum Ansehen der Polizei im Fokus der öffentlichen Meinung: neue Resultate aus Nordrhein-Westfalen POLIZEI Anmerkungen 1 Jan-Volker Schwind ist M.A.-Kriminologe und Polizeioberkommissar in Osnabrück; der Bericht zu Kernbefunden der Studie, Hannover 2016. Beitrag bezieht sich auf eine empirische Untersuchung des Autors zum Thema „Sicher- 16 LKA Mecklenburg-Vorpommern: Erste Untersuchung zum Dunkelfeld der Kriminalität heit und Sicherheitsgefühl in der Stadt Bochum 2015/2016“ („Bochum IV“)“, Bochu- in Mecklenburg-Vorpommern, Abschlussbericht, o.O. 2017. mer Schriften zur Rechtsdogmatik und Kriminalpolitik, Band 47, zugleich Diss. iur. 17 Schwind, H.-D. et al.: Empirische Kriminalgeographie (Kriminalitätsatlas Bochum), (Bochum), Holzkirchen/Obb. 2018. BKA-Forschungsreihe Band 8, Wiesbaden 1978. 2 Polizei-Extrablatt 2004, 1. 18 Schwind, H.-D. et al.: Dunkelfeldforschung in Bochum 1986/87 – eine Replikations- 3 GfK-Studie: Global Trust Report 2017, unter URL: https://www.gfk-verein.org/ studie, BKA-Forschungsreihe Band 21, Wiesbaden 1989. presse/vertrauen-der-deutschen-sicherheitskraefte-waechst-weiter-automobilbran- 19 Schwind, H.-D. et al.: Kriminalitätsphänomene im Langzeitvergleich am Beispiel einer che-starken (10.12. 2018). deutschen Großstadt, Bochum 1975 – 1986 – 1998, BKA-Reihe: Polizei + Forschung 4 Feltes: Die diskursive Rechtfertigung von Gewaltanwendung durch Polizeibeamte, in: Band 3, Neuwied 2001. Akzeptanz des Rechtsstaates in der Justiz. Texte und Ergebnisse des 37. Strafvertei- 20 Schwind, J.-V.: Sicherheit und Sicherheitsgefühl in der Stadt Bochum 2015/2016 digertages Freiburg, Berlin 2014, 121. (Bochum IV), Bochumer Schriften zur Rechtsdogmatik und Kriminalpolitik, Band 47, 5 Feltes a.a.O. zugleich Diss. iur. (Bochum), Holzkirchen/Obb. 2018. 6 Vgl. Der Spiegel 49/2017, 45. 21 Schwind, H.-D.: Kriminologie, Heidelberg 2016, 64. 7 Weitere Beispiele bei Hunsicker: Wie kann Deutschland seine Polizei vor Angriffen 22 Hermanutz: Gewalt gegen Polizisten – sinkender Respekt und steigende Aggressio- von Störern wirksam(er) schützen? Möglichkeiten, Grenzen und Forderungen 2018. nen? Eine Beleuchtung der Gesamtumstände, Baden-Baden 2015, 3f. 8 Zit. nach Süddeutsche Zeitung 27.6.2016, 1. 23 Zit. nach Focus 51/2009, 14. 9 Hunsicker a.a.O. 39. 24 Zit. nach NOZ vom 13.07.2018, 25. 10 Zit. nach WAZ 10.2 2009, 1. 25 Zit. nach NOZ a.a.O. 11 WAZ a.a.O. 26 Dazu Schwind, J.-V.: Zum Ansehen der Polizei und seiner Bedeutung für die polizeili- 12 Befragung von 18500 Polizeibeamten 2011 in NRW durch die Universität Kiel, zit. che Arbeit, in: Die Kriminalprävention 1/2007, 23 f. nach WAZ 3.12.2013, 1. 27 Schwind, H.-D. et al.: Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt, Berlin 1990. 13 Dazu Ohlemacher et al.: Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und -beamte 1985-2000. 28 Heitmeyer: in: Recht und Politik 08.06.1993, 3. Eine kriminologische Analyse, Baden-Baden 2003 und Ellrich et al.: Gewalt gegen Poli- 29 Dazu krit. Wagner-Kern: Schutzbedürftige Staatsgewalt? Über Grundströmungen zeibeamte. Befunde zu Einsatzbeamten, Situationsmerkmalen und Folgen von Gewalt- der Reform des Normenprogramms zur Bestrafung von Gewalt gegen Polizeibeamte, übergriffen (KFN-Forschungsbericht Nr. 3) Hannover 2011. in: Recht und Politik 1/2018, 7-18; vgl. auch Reuter: Quo vadis lus poenale? Vom 14 Dreißigacker: Befragung zu Sicherheit und Kriminalität: Kernbefunde der Dunkelfeld- Sinn und Unsinn der Strafrechtsverschärfung des § 114 StGB, in: Die Kriminalpolizei studie 2015 des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein (KFN-Forschungsbericht Nr. 1/2018, 19-23. 129). Hannover 2016. 30 Hunsicker a.a.O. 44 ff./ 174 ff.w 15 LKA Niedersachsen: Befragung zu Sicherheit und Kriminalität in Niedersachsen, Abschlussbericht zur ersten Befragung im Frühjahr 2013, Hannover 2015 und LKA Niedersachsen: Befragung zu Sicherheit und Kriminalität in Niedersachsen 2015, REZENSION Selbstbestimmung, zur Unterbringung nach den §§ 63 ff. StGB, Schönke/Schröder, Straf- zur Strafbarkeit des Sportwettbetrugs, zur strafrechtlichen Ver- gesetzbuch, Kommentar. mögensabschöpfung sowie zur Strafbarkeit nicht genehmigter 30. Auflage 2019 Kraftfahrzeugrennen umfassend und systematisch aufbereitet. Viele dieser Themen sind gerade auch für den Polizeivollzugs- Der „Schönke/Schröder“ als dienst in Theorie und Praxis von hoher Bedeutung. Klassiker unter den Kom- Die Vorteile des Kommentars liegen nach Darstellung des mentaren zum materiel- Verlages in der optimalen Verknüpfung von Wissenschaft- len Strafrecht liegt in der lichkeit und Praxisnähe, einem Höchstmaß an Informatio- 30. Auflage vor. Seit Jahr- nen in einem Band, einer klaren Struktur und guten Lesbar- zehnten bietet das Werk keit. Diese positiven Eigenschaften können bei Durchsicht eine verlässliche Hilfe bei uneingeschränkt bestätigt werden. Die Auseinandersetzung der Lösung strafrechtlicher mit den Inhalten ist durchweg gewinnbringend und führt Problemstellungen. zu neuen Erkenntnissen. Einzelne normbezogene Stichwort- Begründet von Adolf verzeichnisse (vgl. z.B. §§ 242 ff. und § 263 StGB) ermögli- Schönke (1. bis 6. Auflage) und fortgeführt von Horst chen zusätzlich eine besonders schnelle Orientierung. Schröder (7. bis 17. Auflage) liegt die Gesamtredaktion Dem Kommentar kommt zweifellos eine führende Position in heute in der Hand von Prof. Dr. Albin Eser. Weitere Bearbei- der strafrechtlichen Literatur zu. Er ist gerade für die wis- ter sind Walter Perron, Bernd Hecker, Frank Schuster, Detlev senschaftliche Arbeit sehr gut geeignet. Sternberg-Lieben, Jörg Kinzig, Bettina Weißer, Jörg Eisele, Nikolaus Bosch und Ulrike Schittenhelm, alle Universitäts- Prof. Hartmut Brenneisen professoren und damit für die kommentierende Tätigkeit besonders berufen. Inhaltlich kann der fundierte Kommentar erneut überzeu- Autor: Albin Eser, Walter Perron, Bernd Hecker, gen. Er geht deutlich über schnelle Definitionen, kurze Prü- Frank Schuster, Detlev Sternberg-Lieben, fungsschemata sowie die Dokumentation vorliegender Judi- Jörg Kinzig, Bettina Weißer, Jörg Eisele, kate hinaus und ermöglicht eine nachhaltige Auseinander- Nikolaus Bosch, Ulrike Schittenhelm setzung mit der Rechtslage auf sehr hohem Niveau. Dazu Titel: Strafgesetzbuch, Kommentar, trägt die breite und zum Teil auch kritische Auseinanderset- 30. Auflage 2019 zung mit der Rechtsprechung und dem vorliegenden Schrift- Format: 3361 Seiten, 24,5 x 16,5 cm, Hardcover tum bei. Positiv herauszustellen sind weiterhin die Klarheit, Preis: 179,00 Euro Ausgewogenheit und Objektivität des Werkes. ISBN: 978-3-406-70383-6 Die Neuauflage greift rund 200 Gesetzesänderungen seit der Verlag: Verlag C. H. Beck oHG Vorauflage auf. Dabei werden insbesondere die Erläuterun- gen zur Korruptionsbekämpfung, zum Schutz der sexuellen 10 Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019
WISSENSCHAFT Islamistische Radikalisierung in Justizvollzugsanstalten Von Dr. Stefan Goertz, Lübeck1 1 Einleitung den Justizvollzugsanstalten finden sich viele Inhaftierte, die anfällig sind für extremistische Ideologien und Überzeugungen. Zahlreiche Erkenntnisse aus Deutschland und dem europäischen In Berlin sorgte im Jahr 2017 der Fall des Libanesen Moham- Ausland verweisen seit einigen Jahren darauf, dass ein großer Teil med A. für Aufsehen. Der Inhaftierte, der wegen schweren Rau- der bei islamistischen Anschlägen beteiligten Terroristen zuvor ein- bes drei Jahre in der Justizvollzugsanstalt Tegel einsaß, hatte schlägige Hafterfahrungen aufgewiesen hatte. Aktuelle Beispiele für sich offenbar dort islamistisch radikalisiert und die Berliner islamistische Radikalisierungsprozesse in europäischen und deut- Polizei stufte ihn als islamistischen Gefährder ein. Mohammed schen Justizvollzugsanstalten gibt es in großer Zahl. Der islamisti- A. hatte angekündigt, nach seiner Entlassung einen Terroran- sche Attentäter Chérif Chekatt beispielsweise – französischer Staats- schlag begehen zu wollen. Noch aus seiner Zelle heraus hatte bürger mit marokkanischem Migrationshintergrund – tötete am der Islamist mit einem eingeschmuggelten Handy islamistische 11.12.2018 auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt vier Menschen Propaganda in sozialen Medien verbreitet. und verletzte 14, einige von ihnen schwer. Islamistisch radikalisiert Der Ausländeranteil an den Inhaftierten in der Schweiz soll sich der Attentäter Chekatt in deutschen Justizvollzugsanstal- beträgt 74,2%, in Griechenland 63,2%, in Österreich 46,8%, ten haben.2 Insgesamt existieren dem französischen Generalstaats- in Belgien 42,5%, in Schweden 31,5%, in Deutschland 27,9% anwalt zufolge 27 Gerichtsurteile gegen Chekatt. Seit 2015 wurde und in Niederlande 21%.5 Auf das gesamte deutsche Bundesge- Chekatt als potenzieller islamistischer Gefährder eingestuft und von biet gerechnet ist fast jeder vierte Inhaftierte Muslim, was über da an in Frankreich überwacht. Auch der islamistische Attentäter 12.000 Inhaftierte ausmacht.6 des Terroranschlags auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breit- Die Zahl islamistischer Straftäter wird in naher Zukunft scheidplatz am 19.12.2016 – Anis Amri – hatte sich in Haftanstal- ansteigen. Besonders zurückkehrende sog. Jihad-Reisende aus ten radikalisiert. Nach dem islamistischen Attentat von Kopenhagen Syrien und dem Irak mit europäischem Pass werden die Situ- 2015, bei dem zwei Menschen erschossen wurden, sagten Wegge- ation in den europäischen Haftanstalten verschärfen. Sofern fährten des Attentäters, dass dieser ein anderer Mensch gewesen sei, der Verdacht der Unterstützung einer oder Beteiligung an einer als er rund zwei Wochen zuvor aus der Haftanstalt entlassen worden terroristischen Gruppierung im Ausland (§ 129b StGB) wie bei- war. Statt über Autos und Frauen zu sprechen, habe er über Religion spielsweise dem „Islamischen Staat“ begründet werden kann, monologisiert, über die Opfer im Gazastreifen und das Paradies.3 werden diese Jihad-Reisende bzw. Jihad-Rückkehrer zumindest Die Vorstellung, dass zukünftige terroristische Anschläge von für die Untersuchungshaft in deutschen Justizvollzugsanstalten einem ehemaligen Inhaftierten einer deutschen Justizvollzugs- inhaftiert und finden dort ein großes Rekrutierungsfeld vor. anstalt begangen werden könnten und sich retrospektiv heraus- Die Bundesanwaltschaft hat allein im Jahr 2017 rund 1.000 Ter- stellt, dass der Ursprung der Radikalisierung erst in der Zeit im rorismus-Verfahren eingeleitet und mehrere Hundert Fälle bereits Justizvollzug begann, ist ein vorstellbares Szenario, das es aus an die Staatsanwaltschaften der Länder abgegeben.7 Das Spektrum Sicht der Sicherheitsbehörden unbedingt zu verhindern gilt. aktueller und künftiger Inhaftierter reicht von „Hasspredigern“ Die Thematik „from jail to jihad“ ist für europäische Sicher- über erfolgreiche und gescheiterte Attentäter bis hin zu kampfer- heitsbehörden und Justizvollzugsanstalten spätestens seit dem probten Syrien/Irak-Rückkehrern und Kriegsverbrechern. islamistisch-terroristischen Anschlag auf den Madrider Haupt- Das Hauptthema dieses Beitrages ist die in Justizvollzugs- bahnhof im Jahr 2004 – dabei wurden 191 Menschen getötet anstalten erhöhte Gefahr einer islamistischen Radikalisierung und über 2000 Menschen verletzt – präsent. Der islamistische durch Personen des islamistischen Spektrums bzw. durch isla- Attentäter des Anschlags auf das jüdische Museum in Brüssel am mistische Inhalte. Genauer untersucht werden a) Islamistische 24.5.2014, bei dem vier Menschen starben, hatte sich in einer Radikalisierung als Prozess, b) Die sozialwissenschaftliche Ana- französischen Haftanstalt islamistisch radikalisiert. Die islamis- lyse möglicher islamistischer Radikalisierungshintergründe, c) tischen Terroristen Chérif Kouachi und Amédy Coulibaly, die Der Blick ins europäische Ausland – Haftanstalten in Frankreich für den islamistischen Anschlag auf die Redaktion von „Char- sowie d) Maßnahmen von Prävention und Deradikalisierung. lie Hebdo“ am 7.1.2015 verantwortlich waren, hatten sich zuvor während ihrer Haft kennengelernt. Dort kamen sie in Kontakt mit dem Islamisten Jamel Beghal, der ihr ideologischer Mentor 2 Islamistische Radikalisierung als Prozess wurde. Beghal wiederum war wegen der Anstiftung zu einem islamistischen Anschlag auf die US-Botschaft in Paris inhaftiert.4 Die definitorische Grundlage von Radikalisierung in diesem Bei- Die Gefahr, die von islamistischen Straftätern ausgeht, stellt trag ist folgende: Politik, Justiz und Polizei vor erhebliche Herausforderungen Ein Radikalisierungsprozess ist jeweils individuell, in seinem und sie macht auch nicht vor Gefängnistoren halt. Gerade in Verlauf übernehmen Individuen extreme politische, religiöse Die Kriminalpolizei Nr. 2 | 2019 11
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