LUST AUF SOZIALISMUS Mario Candeias/Barbara Fried/ Hannah Schurian (Hrsg.) - MATERIALIEN - Rosa-Luxemburg-Stiftung
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MATERIALIEN Mario Candeias/Barbara Fried/ Hannah Schurian (Hrsg.) LUST AUF SOZIALISMUS … FÜR DIE ZUKUNFT SORGEN
INHALT Vorwort 2 Mario Candeias Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 3 Bernie Sanders Der Weg, den ich demokratischen Sozialismus nenne 17 Sarah Leonard There is an Alternative 25 Johanna Bozuwa Zwölf Jahre, um alles zu verändern 28 Potenziale eines Green New Deal Verónica Gago Revolution heißt für die Zukunft sorgen 37 Étienne Balibar Für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts – vier Thesen 40 Ingar Solty Warum, darum und wie rum Sozialismus? 42 Alex Demirović Sozialismus und Zurechenbarkeit 67 Die Autor*innen 73
2 Vorwort VORWORT Lust auf Sozialismus und Zukunft? Wie in auch in Deutschland wird wieder darüber ge diesen dystopischen Zeiten noch von Sozia stritten. Wie kann ein Socialism for Future, ei lismus reden? Und wie sollte man davon ne sozial-ökologische Revolution, ein grüner schweigen? Der Kapitalismus frisst Zukunft – Sozialismus aussehen und die Sehnsüchte während die Krisen unserer Zeit immer bren der Vielen bündeln? Wie sieht eine Politik aus, nender werden, scheint ihre Lösung immer die Hoffnung macht und Veränderungen be unwahrscheinlicher. Rasende ökologische wirkt? Was tun und wo anfangen? Zerstörung, eskalierende militärische Kon Sozialismus wäre erst einmal das Selbstver flikte und der Aufstieg rechter Kräfte stellen ständliche …, aber es geht auch darum, ge genau wie die private Aneignung des gesell zielt beispielgebende, konkrete gesellschaftli schaftlichen Reichtums die Zukunft selbst che Konflikte zu produzieren und den Jammer infrage. Dass die planetarischen Grenzen er der Besitzendenklasse zu verhöhnen, wenn reicht sind, verengt den zeitlichen Horizont ihnen mal ein wenig genommen wird. Und für linke Alternativen. Immer mehr Menschen mehr natürlich – Ansätze gibt es zahlreiche, erkennen, dass eine Katastrophe droht, wenn der prominenteste der jüngsten Vorschläge sich Ökonomie und Gesellschaft nicht radikal ist sicher der Green New Deal von Alexandria verändern – Fridays for Future und die glo Ocasio-Cortez und Bernie Sanders. Das neo balen Klimastreiks stehen dafür. Manchmal liberale Mantra «There is No Alternative» hat können wir uns das Ende der Welt besser vor sich in sein Gegenteil verkehrt. Zu einer radi stellen als das Ende des Kapitalismus (Fredric kalen Veränderung gibt es keine Alternative Jameson). mehr, oder in Anlehnung an Verónica Gago: Grundsätzliche Alternativen oder System Sozialismus heißt für die Zukunft sorgen. wechsel werden gefordert, immer öfter. Gera de in den USA und Großbritannien wird das Mario Candeias, Barbara Fried von Jüngeren wieder mit der Frage nach ei und Hannah Schurian nem sozialistischen Projekt verbunden. Und Berlin, Januar 2020
Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 3 Mario Candeias ZEIT FÜR ETWAS NEUES: DARUM SOZIALISMUS Der realexistierende Sozialismus ist geschei- nur unter Aufgabe menschenrechtlicher Stan- tert. Aus guten Gründen. Der realexistierende dards. Kurz: Es handelt sich um Menschheits- Kapitalismus auch. Letzterer wird keineswegs probleme, die auch ein Scheitern des Kapita- so schnell abtreten wie der Erstere. Sozialis- lismus signalisieren, weit über die organische mus oder Barbarei hieß es einst bei Rosa Lux- Krise des neoliberalen Projekts hinaus. Aus- emburg, als die Welt zunächst in Imperialis- druck dessen ist der Aufstieg eines globalen mus, Kolonialismus, Erstem Weltkrieg und Autoritarismus. Im Interregnum ist dies die dann im Zweiten Weltkrieg und Holocaust spezifische Bearbeitungsform der Krise zur versank. Die Barbarei ist angesichts sich auf- Rückgewinnung/Sicherung von Herrschaft – türmender Menschheitsprobleme wieder zu mit unkalkulierbarem Zerstörungspotenzial. einer realen und drohenden Möglichkeit ge- Es braucht eine Alternative: einen erneuerten worden. demokratischen, einen grünen Sozialismus. Die globale Ungleichheit hat sowohl zwischen Es braucht eine Perspektive, die in einem of- den Ländern als auch innerhalb der meisten fenen und offensiven Suchprozess unsere Länder ein nie gekanntes Ausmaß erreicht, verschiedenen politischen Initiativen auf so mit dramatischen Folgen für den gesellschaft- unterschiedlichen Feldern wieder zusam- lichen Zusammenhalt, die Demokratie – und menbindet, damit nicht alles in Einzelpoliti- darüber hinaus: Akkumulation basiert weni- ken, -forderungen und -aktivitäten zerfällt. In ger auf Produktion auf erweiterter Stufenlei- Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung ist da- ter, sondern immer mehr auf Umverteilung, für eine radikale Perspektive entscheidend. Es was zugleich wirtschaftliche Entwicklung blo- geht nicht einfach um die Verteidigung des ckiert. Dazu treten die Folgen kapitalistischen Sozialstaates oder die Rückkehr zu einem na- Wachstums, die zu einer planetarischen öko- tionalstaatlichen Modell der Regulierung des logischen Krise geführt haben, die weitere Kapitalismus. Wir sollten klar sagen, dass wir soziale Verwerfungen und rasant steigende an einem Ende des Kapitalismus arbeiten, an wirtschaftliche Schäden produziert. Durch einer Gesellschaft, die Bernie Sanders unbe- die beiden eben genannten Entwicklungen kümmert Sozialismus nennt. Dazu gehören mit befördert, durch Krieg und Zerstörung, ganz selbstverständliche Dinge wie eine kos- Ressourcenausbeutung, ungleiche Handels- tenfreie Gesundheitsversorgung und Bildung abkommen und ungerechte weltwirtschaft- sowie bezahlbares Wohnen für alle; entgelt- liche Beziehungen ist die Frage der globalen freie öffentliche Dienstleistungen von Biblio- Migration zu einer nicht mehr hintergehba- theken bis zum öffentlichen Personennahver- ren Herausforderung geworden: 71 Millionen kehr; demokratische Mitsprache, die etwas Menschen sind derzeit auf der Flucht, ein Re- bewegt; der ökologische Umbau der Städte, kord. Die allermeisten Geflüchteten landen in des Verkehrs, der Energieversorgung und der Ländern des globalen Südens. Aber auch die Landwirtschaft; viel mehr Zeit füreinander und Gesellschaften des Nordens sind zu Einwan- zum Leben; Mitbestimmung und wirkliche derungsgesellschaften geworden, ob sie es Demokratie. Sozialismus wäre erst einmal das wollen oder nicht. Eine Abschottung gelingt Selbstverständliche.
4 Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus Hier scheint das Unabgegoltene vergangener schon einmal vollbracht worden – heute sind Zukünfte auf, von der Französischen Revolu- die Herausforderungen mindestens so groß tion über die Russische Revolution bis hin zu wie zu Zeiten von Krise und Kriegswirtschaft – 1968 oder 1989. Wie Corbyn sagt: «Für uns Letzteres verdeutlicht noch einmal die un- mag das seit 40 Jahren das Gleiche sein, für verzichtbare führende Rolle des Öffentlichen die junge Generation ist das brandneu.» Es dabei. Die heranrollende Rezession macht es geht um Wege im Kapitalismus, die über ihn noch deutlicher: Massive Inventionen werden hinausführen. So wird das Wort Sozialismus nötig (selbst der Bundesverband der Deut- wieder sprechbar. Die Leute sind irritiert, se- schen Industrie will die schwarze Null weg- hen bei Wikipedia nach, informieren sich. Es haben). Diese sollen nicht zum Erhalt des Al- gibt eine Auftreffstruktur dafür, den Wunsch ten, sondern zum Aufbau des Neuen genutzt nach radialerer «Systemkritik» und Alternati- werden! Gewissermaßen ein Einstiegspro- ven, nicht zuletzt nach sozial-ökologischen Al- jekt auf erweiterter Stufenleiter, denn es geht ternativen – ein Wunsch, der oft wenig kon- um nichts weniger als um ein neues Gesell- kret ist. schaftsmodell. Die gegenwärtige Krise und Wir sollten nicht dahinter zurückbleiben, un- Polarisierung bietet dafür auch ein Momen- sere Vorstellungen einer solidarischen, demo- tum angesichts schneller Bewegungen und kratischen, feministischen, antirassistischen Terrainwechsel, die Kräfteverhältnisse in die- Postwachstumsalternative bei einem neuen sem Sinne zu verschieben. Wir sollten den alten, bei einem unabgegoltenen Namen zu Moment nutzen. nennen und gemeinsam dafür zu streiten, was er bedeuten soll im 21. Jahrhundert: Sozialis- Warum Sozialismus? mus – eine gute, eine solidarische, eine ge- Die Methode rechte Gesellschaft, das Einfache, das schwer Der Begriff Sozialismus versucht die unter- zu machen scheint. Nicht alle in der Mosaik schiedlichen Interessen und Bewegungen im linken oder im dritten Pol werden dies unter- Sinne «revolutionärer Realpolitik» so zu ver- schreiben, aber es sollte als selbstverständlich knüpfen, dass sie sich nicht «nur erreichba- akzeptiert sein, dass eine Transformations- re Ziele steckt und sie mit den wirksamsten linke innerhalb des Mosaiks für Sozialismus Mitteln auf dem kürzesten Wege zu verfolgen steht. Je nach Kontext kann das «grüner», weiß», sondern «in allen ihren Teilbestrebun- «demokratischer», «feministischer» Sozialis- gen in ihrer Gesamtheit über den Rahmen der mus heißen, aber letztlich sollte es einfach um bestehenden Ordnung» hinausgehen (Luxem- «Sozialismus» sans phrase (ohne Umschwei- burg 1903: 373). fe) gehen. Welche Punkte sind das jeweils in den ein- Der Name ist nicht entscheidend, aber was zelnen Politikfeldern? An welcher Stelle kann sonst wäre ein positiver Begriff für einen Sys- ein konkreter Bruch angestrebt werden bzw. temwechsel – denn um nichts weniger geht quantitative Veränderungen so weit getrieben es. Wir sollten bewusst machen, dass die werden, dass sie einen qualitativen Umbruch oben genannten Menschheitsprobleme nicht darstellen? mit dem Drehen von Stellschrauben hie und Zunächst geht es darum, gezielt beispielge- da zu bewältigen sind: Die Eingriffstiefe und bende, konkrete gesellschaftliche Konflikte das Tempo wären zunächst mit dem New zu produzieren: wie bspw. die Beschäftigten Deal in Zeiten von F. D. Roosevelt vergleich- der Charité bei der Frage der Personalbemes- bar. Dies scheint überdimensioniert, ist aber sung oder die Initiative «Deutsche Wohnen historisch in harten Auseinandersetzungen & Co enteignen». Dabei sollte ein gezielter
Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 5 Konflikt eben an Alltagsbedürfnissen anset- Krankenhauskonzern ein auf Kosten von Pa- zen, auf unmittelbare Verbesserung für die tient*innen und Personal; wer liefert welche Einzelnen zielen und eine Dynamik für nächs- Rüstungsgüter in Krisengebiete; wer sperrt te Schritte und weitergehende Perspektiven sich mit Dieselbetrug und Korruption gegen schaffen. Dies schließt disruptive Praktiken eine ökologische Mobilitätswende etc. Hier wie Streik, Besetzung, Blockade, auch Volks- geht es um ein gezieltes blaming der Gegner. entscheid ein. Diese Selbstermächtigung So kann eine verbindende, sozialistische Klas- und ein langer Atem sind zentral zur Er- weiterung des Möglichkeitsraumes – noch vor Kurzem hätten wir gedacht, Den Jammer der Besitzenden dass eine Kampagne zur Enteignung klasse verhöhnen, wenn ihnen von Immobilienkonzernen unter keinen mal ein wenig genommen wird. Umständen Erfolg haben kann. Ein sol- cher Konflikt verleiht Sichtbarkeit, inspiriert, senpolitik herausarbeiten, weshalb Kämpfe motiviert. Eine entsprechende Kampagne um bessere Arbeitsbedingungen, Löhne und bietet Möglichkeiten, zuvor zersplitterte In- Zeit, aber auch um die Reproduktion – Ge- itiativen und Organisationen konkret zu ver- sundheit, Wohnen, Ökologie – noch immer binden. Wenn sie erfolgreich ist, verschiebt Klassenkämpfe sind – das ist nicht evident, sie den gesellschaftlichen Diskurs, mithin die weder im industriellen Sektor (Tradition der Kräfteverhältnisse, und erweitert somit den Sozialpartnerschaft, Inkorporation in den Ex- Möglichkeitsraum und erhöht die Durchset- portkorporatismus oder Digitalpakt), noch zungsfähigkeit auch anderer Forderungen weniger in den Dienstleistungsbereichen, am (beispielsweise hat die Enteignungskampag- wenigsten im Bereich öffentlicher sozialer In- ne unmittelbar das Diskursfeld für den Mie- frastrukturen oder eben in der Klimafrage. So tendeckel verbessert und inspiriert radikale ist zum Beispiel die Mär, wir säßen bei der Überlegungen auf anderen Feldern). Dass ökologischen Krise alle im selben Boot, auch Konflikte ungeheuer Spaß bereiten können, die Reichen könnten ihr nicht entfliehen, gro- sieht man schon im Kleinen bei den Stadttei- ßer Unsinn angesichts der klassenförmig ext- lorganisierungen, wenn dann eine Kampag- rem ungleichen Verteilung von Verursachung ne vor Ort fruchtet, sich mit anderen verbin- und Folgen, global wie innergesellschaftlich. det, man sich als Teil von etwas Größerem Neben dem Gegnerbezug braucht es immer fühlt. Die organisierende Arbeit – verbinden, verbindende (meist recht allgemeine) Slogans verbreitern, verankern – ist zentral, um mehr für eine Systemwende, aber auch positive zu werden. Welches sind also die drei bis vier Projekte, eine Mischung aus erreichbaren Zie- zentralen gesellschaftlichen Fragen, die ge- len und vorwärtsreibenden Forderungen und löst werden müssen und die geeignet sind, Initiativen. einen solchen, für die Linke produktiven Kon- Dabei werden alte sozialistische Problemati- flikt zu entwickeln? ken wie Macht- und Eigentumsfragen, Um- Dabei bedarf es jeweils spezifischer Gegner- verteilung, Planung und Demokratie aktu- bezüge. Taktisch wie strategisch sollte man alisiert und mit neuen Problemstellungen hier möglichst genau werden, damit der Geg- verknüpft – in der Perspektive der Erweiterung ner nicht abstrakt bleibt: also etwa mit Re- der gemeinsamen Verfügung über die un- cherchen über Hintergründe von Investo- mittelbaren Lebensbedingungen, der gesell- ren, Machenschaften eines Unternehmens, schaftlichen Produktions- und Reproduktions- wer steckt die Profite in diesem oder jenem mittel.
6 Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus Was daran ist sozialistisch? tet werden – ohne sich in Verzichtsdebatten zu Hier geht es weniger um die Beschreibung ei- verkämpfen. Mit einem solchen (nicht waren- nes fertigen Ziels als um Bestimmung einiger förmigen) Ausbau des Öffentlichen werden orientierender Elemente für die wirkliche Be- zugleich Märkte und Privatisierung zurück- wegung, die den gegenwärtigen Zustand auf- gedrängt. Das Öffentliche als Sphäre des Ge- hebt. meinsamen muss erfahrbar, der Reichtum des 1. Umverteilung: Umverteilung reicht nicht Öffentlichen herausgestellt werden. aus. Und doch ist eine radikale Umvertei- Hier gibt es diverse Ansatzpunkte für geziel- lung von Vermögen und Kapital eine wesent- te gesellschaftliche Konflikte, neben dem Be- liche Voraussetzung jeder linken Politik – hier reich Wohnen (vgl. LuXemburg 2/2019) etwa zeigt sich, wer einen Richtungswechsel ernst im Gesundheitssektor: die Abschaffung der nimmt und Vermögende wieder stärker zur Fallpauschalen (DRG) sowie gesetzliche und Finanzierung des Öffentlichen heranziehen tarifliche Regeln für die Personalbemessung, will, also das gesellschaftliche Mehrprodukt die Abschaffung der Zweiklassenmedizin und wieder der Allgemeinheit zuführt. Das ist im der privaten Krankenversicherung, die Re- engen Sinne Klassenkampf und beginnt viel- kommunalisierung bzw. Vergesellschaftung leicht bei der Einschränkung von Profitinteres- der großen Krankenhaus- und Pflegekonzer- sen – etwa der Möglichkeit, die Maximalrendi- ne, die Einrichtung von Polykliniken und loka- te bei der Veräußerung von Grund und Boden len Gesundheitszentren mit Pflege- und Ge- festzulegen – und endet bei der großen Steu- sundheitsräten. erreform. Auf pseudoökonomische Debat- Ein dringliches Feld wären konsequente ten, ob das sinkende Investitionen nach sich Schritte zu einer Mobilitätswende und «au- zöge oder nicht, sollten wir uns nicht einlas- tofreien» und begrünten Stadt, unverzicht- sen, sondern den Jammer der Besitzenden- bar schon aufgrund ökologischer Gründe, klasse verhöhnen, wenn ihnen mal ein wenig aber auch zur Wiederaneignung des öffent- genommen wird. Wir sollten jene Momente lichen Raumes. Die Elemente sind bekannt: herausstellen, in denen es aktuell gelingt (und Verlagerung des Individualverkehrs auf einen einst gelang), Besitzenden etwas wegzuneh- massiv ausgebauten und «smarten» öffentli- men, um dem Gefühl gegenzuarbeiten, dass chen Nah- und Fernverkehr (v. a. auch für die man an die sowieso nicht herankäme. Pendler*innen im «urban-ländlichen» Raum), 2. Infrastruktursozialismus – Rückgewinnung deutliche Preissenkung bis hin zum entgelt- und Ausbau des Öffentlichen, der Commons, freien ÖPNV, Rückkehr von Betrieben und In- der sogenannten «Freiheitsgüter» (Michael frastrukturen in öffentliche Hände, bessere Brie, Dieter Klein): Mit dem Ausbau des kol- Arbeitsbedingungen und Entlohnung, Vor- lektiven Konsums durch Stärkung sozialer rang von Fußgänger- und Radverkehr, Ende und anderer Infrastrukturen sowie allgemei- des Verbrennungsmotors. Das hieße, sich mit ner solidarischer Sicherungssysteme wird mächtigen Konzerninteressen und Lobbys an- die Grundlage für a) eine solidarische und de- zulegen. Es ist der richtige Moment dafür. mokratische Lebensweise gelegt und kann Insgesamt wäre der Ausbau des Öffentlichen b) die Angst und Unsicherheit vor notwendi- mit einer Stärkung der Rechte und Finanzen gen großen gesellschaftlichen Veränderun- der Kommunen zu verbinden, die in ganz we- gen genommen werden, auch der in Teilen sentlichen Bereichen für die unmittelbaren der Gewerkschaften bzw. Arbeiterklasse ver- Dinge des Lebens verantwortlich sein sollten: breiteten Fixierung auf Lohnerhöhung und von Gesundheit, Mobilität, Bildung und Ener- stofflichen Warenkonsum entgegengearbei- gie über Sicherheit und Beschäftigung bis zur
Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 7 Produktion und Zubereitung von Lebensmit- schon gar nicht ein neoliberaler Umbau von teln. Die Vision einer Stadt für alle – bzw. im öffentlichen Diensten auf Wettbewerb und rei- emphatischen Sinn der Kommune – böte je- ne betriebswirtschaftliche Effizienz waren be- ne Freiheitsgüter, die für eine angstfreie, indi- sonders emanzipativ. Ein linkes Staatsprojekt viduelle wie gemeinsame Entwicklung grund- muss also die von den (Demokratie-)Bewe- legend sind. gungen seit 2011 geforderte Erweiterung der 3. Wirkliche Demokratie, die sich sowohl Teilhabe und Transparenz realisieren – und in in Richtung Wirtschaftsdemokratie (sie- sozialistischer Perspektive auf die Absorption he Punkt 4) ausdehnt als auch in Richtung des Staates in die Zivilgesellschaft hinarbeiten, Demokratisierung des Staates, der Familie, wie es bei Gramsci heißt. Partizipation heißt der Lebensweisen. Hier gilt es gewisserma- nicht, seine Meinung äußern zu dürfen, son- ßen, ein Subsidiaritätsprinzip zurückzugewin- dern wirkliche Entscheidungen beeinflussen nen: Über die lokalen Belange beschließen zu können. Es braucht Strukturen, die nicht die Kommunen. Wo über die jeweils kleinste einfach mit einer veränderten Mehrheit wie- Ebene andere Ebenen oder Regionen mit be- der zurückgedreht werden können – wie beim troffen sind, wird die jeweils andere Region paternalistischen und letztlich passivierenden einbezogen oder die Entscheidung auf ei- sozialdemokratischen Sozialstaat. Nur wenn ne höhere Ebene verlagert. Die Repräsenta- die Subalternen sich den Staat aneignen, ihn tions- und Legitimationskrise des politischen in die Zivilgesellschaft holen, mit Leben füllen, Systems hat viel damit zu tun, dass wesent- werden sie ihn auch verteidigen, wenn ande- liche Bedürfnisse der Bevölkerung nicht be- re ihn sich unter den Nagel reisen wollen, das rücksichtigt werden, die Menschen selbst Eigentum verscherbeln oder Entscheidungen nicht mitwirken können. Jenseits und inner- abschirmen und monopolisieren. halb der Nationalstaaten hat sich eine trans- Doch wenn es gelingt, wesentliche Bereiche nationale Bourgeoisie etabliert, die nur noch zu rekommunalisieren oder zu vergesellschaf- eine «marktkonforme Demokratie» akzeptiert. ten, öffentliche und genossenschaftliche Be- Eine verselbständigte Klasse der Reichen und triebe aufzubauen, Selbstverwaltungen zu in- Superreichen, der «plutokratischen Extremis- stallieren, wie sichern wir ab, dass diese dann ten» (Piketty) entzieht sich der Finanzierung auch in der gewünschten demokratischen des Gemeinwohls, die «politische Klasse» ent- Weise arbeiten und Partizipation ermögli- koppelt sich. Der Staat erscheint vielen immer chen? weniger als Ort politischer Auseinanderset- Funktionierende demokratische Routinen zu zungen, sondern vielmehr als von ihnen ent- finden ist wichtig. Und dennoch gilt es im- fremdete (Klassen-)Macht. mer wieder, auch demokratische Institutionen Der Ausbau des Öffentlichen im Sinne einer aufzubrechen, ihre «Öffnung für die Massen» vorsorgenden Wirtschaft muss daher zugleich durch immer wieder zu erneuernde Partizipa eine radikale Demokratisierung des Staates tionsprozesse und Infragestellung der Institu- sein. Weder der «wohlmeinend» paternalisti- tionen bei drohender Bürokratisierung zu er- sche und patriarchale fordistische Wohlfahrt- wirken, die Institutionen perspektivisch immer staat noch der autoritäre Staatssozialismus, weiter in die Zivilgesellschaft und Selbsttätig- keit zu absorbieren durch Einrichtung von Selbstver- Das Öffentliche als Sphäre des Gemein waltung und Räten auf den samen muss erfahrbar, der Reichtum unterschiedlichen Ebenen. des Öffentlichen herausgestellt werden. Das gilt auch und beson-
8 Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus ders für linke Staatsprojekte. Die Eigensin- tungen) und Investitionen ausüben. Generell nigkeit von unten mag nicht immer der Logik sollten Schlüsselbetriebe in öffentliches oder (linker) Staatsprojekte entsprechen, bewahrt genossenschaftliches Eigentum überführt jedoch vor Verselbstständigung der Appara- werden. Staatliche Fördergelder sollten auch te. Hier wären die munizipalistischen Ansätze als Hebel eingesetzt werden, um Beschäftig- weiterzutreiben, Nachbarschaftsräte und par- tenrechte, Partizipation und andere Eigen- tizipative Haushalte zu verknüpfen und zu ent- tumsformen durchzusetzen. Die Aktivitäten wickeln. von Unternehmen haben tief greifende Be- 4. Wirtschaftsdemokratie: Dabei geht es nicht deutung, Wirkungen und Konsequenzen für nur um das Öffentliche des Staates, sondern die betreffenden Kommunen, Regionen und auch um die Demokratisierung der Wirt- darüber hinaus – es handelt sich daher der Sa- schaft: Die «Leistungen» von Management che nach nicht um private Angelegenheiten. Wenn die Märkte ihre Investitionsfunktion nicht wahrnehmen, dann muss diese weitaus stärker zur öffentlichen, partizipativ organisierten Aufgabe werden. und Shareholder-value-Konzepten in der Un- 5. Unumkehrbarkeit? Die Eigentumsfrage: ternehmensführung sind angesichts von Kurz- Die Frage der Vergesellschaftung ist wieder fristdenken, Finanzkrise, exorbitanten Mana- sprechbar geworden. Diese Öffnung sollte ge- gergehältern, Steuerhinterziehung, Pleiten zielt genutzt werden: Wie beim Thema Woh- und Massenentlassungen sowie wachsender nen hat dies noch ohne Erreichung des ei- ökologischer Zerstörung und (Diesel-)Skanda- gentlichen Ziels den Diskurs verschoben und len in Zweifel geraten. Auch die klassische be- mehr Möglichkeiten eröffnet. Diese Erfahrung triebliche Mitbestimmung konnte dem Druck lässt sich konkret übertragen, um die Hinder- transnationaler Konkurrenz und finanzdomi- nisse bei der Entwicklung von Gesundheitsin- nierter Kontrolle nicht ausreichend begeg- frastrukturen (Krankenhaus- und Pflegekon- nen, geriet manchmal selbst in Verwicklun- zerne), bei der Sicherung privater Daten und gen von Kollaboration und Korruption. Es ist digitaler Infrastrukturen (Facebook & Co), bei also Zeit für eine über die klassische Mitbe- der Mobilitätswende (Automobilkonzerne stimmung hinausgehende Demokratisierung und die Bahn AG) oder beim Wohnungsbau der Wirtschaft, für eine weitreichende Parti- (informelle Kartelle in der Bauwirtschaft) zu zipation von Beschäftigten, Gewerkschaften, überwinden. Die Vergesellschaftung zentraler Verbänden und Initiativen, Bevölkerung/Kon- materieller und sozialer Infrastrukturen sowie sument*innen und anderen Stakeholdern an zentraler Produktionsstrukturen in öffentliche Entscheidungen in Betrieben (und zwar ent- Unternehmen oder Genossenschaften (beide lang der gesamten, transnationalen Produk- gesteuert von Räten, die aus Beschäftigten, tionskette). Beschäftigte sollten Mitwirkungs- Nutzer*innen, Betroffenen und Politiker*innen und Vetorechte bei der Personalbemessung zusammengesetzt sind) ist ein wesentlicher und Betriebsverlagerungen, stärkeren Ein- Faktor zur dauerhafteren Verschiebung von fluss bei Arbeitszeiten oder der Produktions- Kräfteverhältnissen. Eine wirkliche Vergesell- organisation erhalten. Regionale Räte und schaftung (nicht nur die formelle Verstaatli- Beschäftigte sollten Mitwirkungs- und Mitent- chung) wäre auch ein wirksamerer Schutz ge- scheidungsrechte bei Innovationen (und -rich- gen spätere Reprivatisierungen.
Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 9 Die Frage der Unumkehrbarkeit gilt aber auch Technologien bis hin zu Nano- oder Biotech- für andere essenzielle Entscheidungen und nologien. «Tatsächlich ist es der Staat, der be- Errungenschaften, hinter die eine künftige Ge- reit ist, Risiken einzugehen, die Unternehmen sellschaft nicht mehr zurückfallen darf – Stich- scheuen. Er hat sich als schöpferisch erwie- wort: Ewigkeitsklauseln des Grundgesetzes, sen, schaffte gänzlich neue Märkte und Bran- etwa die verfassungsmäßige Absicherung öf- chen.» (Mazzucato 2014) fentlicher sozialer Infrastruktur und ein Priva- Wofür wollen wir investieren? Dies wäre tisierungsverbot. Von rechts werden perma- durchaus eine gute Frage für eine Kampag- nent neoliberale und autoritäre Maßnahmen ne. Dies schließt auch die Sozialisierung der in das Verfassungsrecht gegossen bzw. Ins- Innovationsfunktion ein, um der Entwicklung titutionen und Strukturen gebaut, die spezi- der Produktivkräfte eine Richtung zu geben, fische Politiken vor demokratischem Einfluss die an den Bedürfnissen der Einzelnen ansetzt entziehen wollen, dies beginnt bei der Unab- und nicht an den Perspektiven des Profits – of- hängigkeit der Zentralbank und der einseiti- fensiv, die Unfähigkeit des privaten Sektors gen Definition der Aufgaben der EZB und geht herausstellend, weil er den komplizierten Un- bis zu Fiskalpakt, Lissabon Vertrag etc. Nun sinn, vom digitalen Gadget bis zur Waffen- sollten wir es den herrschenden Klassen nicht produktion, entwickeln kann, aber keine Lö- gleichtun. Aber erweiterte soziale und politi- sung selbst für einfache Probleme wie etwa sche Rechte, bestimmte Freiheitsgüter etc. neue Werkstoffe für günstige und ökologische sollten nicht (so leicht) infrage gestellt wer- Wohnungen. Die Gewinnung ökologischer den können und daher institutionalisiert wer- (Leichtbau-)Materialien und Stoffe, die Siche- den, wenn möglich mit Verfassungsrang, gern rung von 100 Prozent erneuerbarer Energie auch auf trans- und internationaler Ebene. mit entsprechenden dezentralen Speicherka- 6. Umgestaltung: Sozialisierung der Inves- pazitäten und abnehmenden Stromverbräu- titionsfunktion (John Maynard Keynes): Die chen, die Entwicklung smarter öffentlicher Überakkumulation von Kapital produziert Wel- Mobilitätssysteme bei gleichzeitiger Reduzie- len spekulativer Blasen, gefolgt von Kapital rung des Verkehrs, die Ersetzung seltener Er- und Arbeitsplatzvernichtung, während immer den durch alternative Rohstoffe, ökologische größere Bereiche gesellschaftlicher Repro- Anbaumethoden zur Sicherung der Ernäh- duktion wie Erziehung und Ausbildung, Um- rungssouveränität angesichts globaler Erwär- welt, Hungerbekämpfung, Infrastrukturen mung etc. – dies sind nur einige Beispiele für und öffentliche Dienstleistungen liegenblei- progressive Innovationsfronten, die Investitio- ben bzw. kaputtgespart werden. Die großen nen in breite öffentliche Grundlagen- und An- Menschheitsprobleme bleiben ungelöst auf wendungsforschung erfordern. Kosten der subalternen Klassen und der natür- 7. Kollektive Kreativität: Ungeahnte Produkti- lichen Umwelt. Wenn die Märkte ihre Investi- vitätspotenziale liegen auch in der Befreiung tionsfunktion nicht wahrnehmen, dann muss der Autonomie der Arbeit. Die neuen Produk- diese weitaus stärker zur öffentlichen, partizi- tivkräfte ermöglichen die «Emanzipation der pativ organisierten Aufgabe werden. Mariana Arbeiter von der Fessel, für die Ausführung Mazzucato zeigt, wie die Schaffung von neu- einer Teilfunktion eine beschränkte und da- en Technologien/Produktivkräften, ja sogar mit einschränkende Kompetenz ausbilden zu neuen Märkte in den letzten 40 Jahren nicht müssen». Doch die «Privatproduktion wird durch Unternehmen, sondern durch staatli- diese Möglichkeit kaum zur friedlichen Entfal- che Forschungsprogramme und Maßnahmen tung treiben»; «die Herrschaftskräfte werden erfolgte: vom Internet, über die erneuerbaren nicht freiwillig eine Anordnung mit zerstören,
10 Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus in der sie die ‹Köpfe› repräsentieren, die das Produktivkraftrevolution ballt sich ungeheure Werk der ‹Hände› regulieren» (PAQ 1987: 58). Kompetenz, sprunghafte Zunahme kollektiver Erst in «ihrer demokratischen Form, als Ko- Handlungsfähigkeit bei den Arbeitsteams, die operative Individualität», kann eine neue Form über die 4.0-Produktionssysteme eine interna- der Arbeitsteilung ihre Potenziale entfalten tionale einheitliche Sprache sprechen lernen. (Müller 2010: 312). Dennoch: Die Herausbildung «kooperativer Vor dem Hintergrund zunehmender Transna Kreativität» komplexer Arbeit im Prozess der tionalisierung und Standardisierung wurden Informatisierung und Computerisierung bildet in den letzten Jahren die neuen Formen der den Kern der neuen Produktivkräfte. Er ver- Arbeitsorganisation zurückgeschraubt, errei- weist auf «eine neue Stufe der Vergesellschaf- chen ihre Grenzen. Ein «Kulturbruch» in den tung» (Müller 2010: 285), deren Realisierung Unternehmen, der bereits im Zuge der Kri- durch die kapitalistischen Produktionsverhält- se der New Economy eingeleitet wurde. Von nisse vorerst verstellt bleibt. Grundlage der Kapitalseite erfolgt ein Rückbau von Autono- Entfaltung kooperativer Kreativität ist Demo- miespielräumen, Verschärfung von Kontrolle, kratisierung von Arbeitsorganisation wie der Intensivierung und Prekarisierung der Arbeit Entscheidung über den Zweck der Produk sowie Überausbeutung. Im Ergebnis sinkt die tion und damit die bereits angelegte Überwin- Arbeitsproduktivität in diesen Bereichen. «Die dung der unproduktiven Grenzen des Privatei- Potenziale der neuen Produktivkräfte lassen gentums. Jenseits der Nische wird schließlich sich unter den neoliberalen Produktionsver- auch die Vernetzung nicht kapitalistischer hältnissen nicht weiter realisieren» (Candeias (digitaler wie stofflicher) Produktion über die 2010: 8). Wissensmanagementsysteme versu- flexible Verbindung entsprechender Maschi- chen bereits das spezialisierte Wissen der Ar- nensysteme möglich. Es gilt, die kooperative beitenden zu verallgemeinern. Mit der Indus- Kreativität den einzwängenden Imperativen trie 4.0 soll das Produktionswissen erneut und von Konkurrenz und Profit zu entwinden (vgl. auf höherer Stufe an die Maschinen(-systeme) Candeias 2016). übertragen werden. Selbstverständlich be- 8. Ein neuer Begriff von Reichtum: Für eine wegt sich die Selbstorganisation in einem sozial-ökologische Transformation ist auf re- «Raum möglicher Problemlösungen, den Men- produktive Bedürfnisse zu orientieren; hin zu schen mittels mathematischer Modellierung einer «Reproduktionsökonomie», die sich zu voraus entwerfen» (Ohm/Bürger 2015: 22). beschränken weiß und zugleich neuen Reich- Selbst beim Einsatz sogenannter künstlicher tum schafft: andere soziale Innovationen, Intelligenz ist es «normal und erwartbar, dass sinnvollere Produktivkräfte, Zeitwohlstand, Menschen Fehler machen – sowohl die Pro- allseitige Entwicklung, Raum für Zärtlichkeit, grammierer als auch die Operateure der Sys- Solidarität, Unterstützung und Ansporn statt teme». Daher birgt die Konstruktion «‹intel- Konkurrenz. Im Zentrum einer Transformation ligenter›, das heißt vermeintlich fehlerfreier würden Bereiche stehen, die gemeinhin un Systeme hohe Risiken» (Weyer 1997: 245). ter einen (weiten) Begriff der Reproduktions- Dies hat sich schon beim alten Traum der au- oder Sorgearbeiten fallen: Ausbau bedürfnis tomatischen Fabrik bei Fiat als Dialektik der orientierter sozialer Infrastrukturen öffentlicher Automation erwiesen. Die maschinelle ler- Gesundheit, Pflege, Erziehung und Bildung, nende Fehlerkorrektur kann jedoch die Steue- Forschung, sozialer Dienste, Ernährung und rung auf sehr wenige, ausgewählte menschli- Schutz unserer natürlichen Umwelten, Pflege che Wächter*innen und Regulator*innen des menschlicher Beziehung. In diesen zentralen Produktionsprozesses begrenzen. Mit der Bereichen beklagen alle seit Jahren Mangel,
Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 11 es sind die einzigen Bereiche, in denen die Be- Notwendige gesellschaftliche Arbeit ist dabei schäftigung in Industrieländern wächst. Sie als gemeinschaftliche Selbstverpflichtung zu sind öffentlich zu halten und nicht dem Markt verstehen, als gemeinsame Bestimmung, was preiszugeben. Dies wäre zugleich ein Beitrag geleistet werden soll, wie die gewonnenen zur Ökologisierung unserer Produktionswei- Ressourcen und die Zeit eingesetzt werden se (da diese Arbeit mit Menschen selbst we- sollen. Dies schließt jedoch weitreichende in- nig Umweltzerstörung mit sich bringt) sowie dividuelle Autonomiespielräume in der Arbeit zur Bearbeitung der Krisen von (bezahlter) Ar- mit ein, ebenso wie die freiwillige assoziier- beit und (unbezahlter) Reproduktion. Und gut te/dissoziierte Arbeit nach Neigung: etwa ein gewendet können sie einen Beitrag zur eman- individuelles «Ziehungsrecht» (Supiot 1999) zipativen Gestaltung von Geschlechterver- für autonome Zeiten (allein oder in Gruppen) hältnissen leisten, durch den Blick auf repro- für eigensinnige Projekte und Erfindungen, duktive Funktionen. Mit der Überwindung der Forschung, Kunst etc., die Raum für kreative geschlechtlichen Arbeitsteilung wäre auch und innovative Entfaltung schaffen (inkl. der die Überwindung der Trennung von Kopf und dafür nötigen Mindestressourcen und Erpro- Hand anzugehen.1 Dabei bildet die neue «femi- bungsphasen, sofern es sich nicht um gefähr- nistische Internationale» international gegen- liche Verfahren handelt), ohne notwendige wärtig den radikalsten und sichtbarsten Ge- Zustimmung durch ein Kollektiv. Ebenso sind genpol zum globalen Autoritarismus wie zum individuelle Ziehungsrechte in Form von Sab- Neoliberalismus. Eine solche Bewegung gilt es baticals denkbar, die nicht direkt an im enge- klassenpolitisch weiterzutreiben, so wie es die ren Sinne gesellschaftlich notwendige Arbeit Diskussion um Frauen*Streik und reproduk gebunden sind (etwa für Reisen, Muße, Ex- tive Gerechtigkeit begonnen hat. zess und Experiment). Ziehungsrechte für Er- 9. Ein neuer Begriff von Arbeit: Bei einer sol- ziehungs- und Pflegezeiten, wie sie zum Teil chen sozial-ökologischen und feministischen gegenwärtig schon bestehen, sind hingegen Offensive geht es auch um die Neudefinition weitgehend überflüssig, sofern die repro- und Neuverteilung dessen, was wir als ge- duktiven Arbeiten selbst als notwendige in sellschaftlich notwendige Arbeit verstehen den Alltag eingebaut sind – aber auf Wunsch (4-in-1-Perspektive, vgl. Haug 2011) – durch durchaus möglich. Insofern steht die gemein- Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit, Ausdeh- same Definition, Ausgestaltung und Vertei- nung kollektiver, öffentlich finanzierter Ar- lung gesellschaftlicher Arbeit im Vordergrund, beit, orientiert an der Reduktion von Stoff- und ist jedoch mit der Möglichkeit temporärer in- Energieverbrauch, am Beitrag zu menschli- dividueller Exit-Optionen und kollektiv garan- cher Entwicklung, am Reichtum allseitiger Be- tierter autonomer Räume verbunden. ziehungen, nicht an der Produktion von Mehr- 10. Weniger ist (manchmal) mehr: Die Re wert. Wachstumskritische Bewegungen, orientierung auf reproduktive Bedürfnisse geht feministische Politiken und Dienstleistungs- einher mit einer Orientierung auf Binnenmarkt gewerkschaften wie ver.di können an solchen und -produktion, die Entwicklung neuer (so Punkten zusammenkommen. zial-ökologischer) Innovationsrichtungen und Gesellschaftlich notwendige Arbeit orientiert an der Reduktion von Stoff- und Energieverbrauch, am Beitrag zu menschlicher Entwicklung, am Reichtum allseitiger Beziehungen, nicht an der Produktion von Mehrwert.
12 Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus Produktivkräfte für die stoffliche Produktion. ser Weise auch für den Mobiliätssektor: Der Globale Produktionsketten werden seit Lan- Umbau von Individualverkehr mit Verbren- gem überdehnt und führen zur Verschwen- nungsmotor hin zu kollektiven, smarten öf- dung von Ressourcen. Es geht dabei nicht um fentlichen Verkehrsmitteln auf Basis regenera- einen «naiven Antiindustrialismus» (Urban), tiver Energien erfordert die Entwicklung und sondern vielmehr um eine alternative Produk- Produktion neuer Produkte, einen massiven tion, regionale Produktions- und Reproduk- Ausbau von Infrastrukturen, Personalaufbau tionskreisläufe. Dies bedeutet, die Debatte u. a. m. um das progressive Verhältnis von selektiver Ein solches qualitatives Wachstum ist über- «Deglobalisierung» und «solidarischer Alter- gangsweise nicht zuletzt aufgrund der Defizi- globalisierung» (gilt auch für Europadebatte) te in vielen Bereichen der Reproduktion, aber weiterzutreiben, statt der gegenwärtigen um auch alternativer industrieller Produktion not- Globalisierung versus Rückkehr zum National- wendig – dies gilt vor allem für Länder des glo- staat, die nur die Entgegensetzung von Neo- balen Südens. Hier ist ein simpler Gegensatz liberalen und Rechten reproduziert. Eine Ten- von Wachstums- versus Postwachstumspo- denz zu Deglobalisierung und Regionalisierung sitionen kontraproduktiv. Dabei weisen De- der Wirtschaft trägt auch batten um Buen Vivir und zum Abbau der Leistungs- sozial-ökologische Ent- bilanzungleichgewichte Die Transformation wicklungsweisen jenseits und der Exportfixierung erfordert unglaublich westlicher Lebenswei- bei. Bestimmte politische viel Arbeitskraft. sen im globalen Süden Kompetenzen wären von über Wachstums- und der internationalen oder europäischen Ebene Modernisierungsvorstellungen hinaus. Auch tatsächlich «zurückzuholen», etwa die Orga- hier sind falsche Gegensätze zu vermeiden: nisation der Daseinsvorsorge, anderes wiede- Nicht «Entwicklung» an sich ist das Problem, rum, wie die Gewährleistung (globaler) sozia- nicht die «moderne» Zivilisation, sondern eine ler und ökologischer Rechte oder die Kontrolle spezifische Form kapitalistischer (oder auch der Finanzmärkte, wäre trans- oder internati- staatssozialistischer) Entwicklung und be- onal anzugehen. Es ginge um eine neue Ver- stimmter gesellschaftlicher Naturverhältnis- bindung von Dezentralität mit transnationalen se. Eine Reproduktionsökonomie bedeutet Vermittlungen (siehe die Punkte zu Demokratie mittelfristig, dass sich Bedürfnisse und Öko- und Subsidiarität oben). Auf dieser Grundlage nomie qualitativ entwickeln, aber nicht mehr lässt sich über einen erneuerten Internationa- quantitativ bzw. stofflich wachsen. lismus und viele neue Internationalen nach- 11. Gerechte Übergänge und universelle Job- denken, die globale Solidarität praktisch ma- garantie: Positive Perspektiven für die von der chen, aber lokal verankert sind. Klimakrise am stärksten Betroffenen wie für Wird der Umbau konsequent betrieben, ist ei- die von steigenden Kosten (z. B. der Energie- ne Vernichtung alter Branchen und Kapitale wende) und dem Umbau (z. B. dem Struktur- (und entsprechende Gegenwehr) unvermeid- wandel durch industrielle Konversion oder lich. Bestimmte Bereiche müssen schrump- durch Rückbau etwa der Rüstungsindustrie) fen (bspw. Teile der mit hohem Stoffumsatz bedrohten Beschäftigten, Gemeinden und verbundenen industriellen Produktion), an- Länder sind notwendig. In diesem Sinne ver- dere zunächst wachsen (bspw. die gesamte suchen Just-Transition-Initiativen Klimage- Care-Ökonomie), bei relativer Entkopplung rechtigkeits- und Arbeiterbewegung zusam- vom stofflichen Wachstum. Dies gilt in gewis- menzubringen. Andernfalls werden immer
Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 13 wieder soziale gegen ökologische Interessen Leben, Zeit für Familie und Freund*innen und ausgespielt oder die Berücksichtigung von lebenswerter natürlicher Umwelten. Zielmar- Interessen der unteren Klassen (bessere Um- ken wären das Ende des Verbrennungsmotors weltbedingungen und bewusster Konsum) im Jahr 2030 und die weitgehende Verwirk- oder von Beschäftigteninteressen (mehr Jobs) lichung autofreier Innenstädte durch einen bleibt äußerlich. Kriterien für einen solchen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs gerechten Übergang zu einem grünen Sozia- und entsprechende Infrastrukturen in den lismus könnten sein: Alle zu treffenden Maß- Städten und auf dem Land. nahmen müssten daran gemessen werden, Die Beschäftigten wissen, dass ein Struk- ob sie 1. relevant zur Senkung von CO2 -Emis- turwandel kommt. Es wäre positiv, an das sionen beitragen, 2. zur Reduzierung von Ar- enorme Wissen und den Produzenten- bzw. mut und Vulnerabilität (Verletzlichkeit), 3. zur Gebrauchswertstolz der Beschäftigten an- Reduzierung von Einkommens- und anderen zuknüpfen: Schaffen wir einen sozial-ökolo- Ungleichheiten, 4. Beschäftigung und Gute gischen Umbau der Industrie, der zugleich Arbeit befördern und 5. demokratische Parti- Jobs – nicht zuletzt im Metallbereich – und Zu- zipation der Einzelnen ermöglichen. kunft auf diesem Planeten sichert? Es bedarf Am Beispiel der Automobilindustrie lässt dafür schließlich vieler Elemente alternativer sich dies verdeutlichen. Der bereits enor- Produktion: die Entwicklung und Ausweitung me Konkurrenzdruck wird angesichts weiter von E-Bus-Systemen (Oberleitung, auto- steigender globaler Überkapazitäten zuneh- nom etc.), Klein- und Rufbussen, spezialisier- men, Zentralisierung befördern und Stand- ten Nutzfahrzeugen etc., die Produktion von orte und Arbeitsplätze gefährden. Präventiv Schienenfahrzeugen (S- und U-Bahnen, Stra- wären staatliche Kapitalhilfen an alternative ßenbahnen, Regional- und Fernzüge, Güter- Entwicklungswege und die Beteiligung am züge), smarter Verkehrsleitsysteme, teilweise Eigentum bzw. die volle Vergesellschaftung der Bau von Energie- und Schieneninfrastruk- von Unternehmen zu knüpfen. Öffentliche tur, die Entwicklung von ökologisch verträgli- Beteiligung wäre mit erweiterter Partizipation chen Leichtbaumaterialien etc. pp. von Beschäftigten, Gewerkschaften, Umwelt- Nicht in jedem Fall wird dies für Beschäftigte verbänden und den Menschen der Region zu bedeuten, im selben Betrieb oder derselben verbinden, zum Beispiel in regionalen Räten, Branche bleiben zu können. Damit eine sozial- die über konkrete Schritte einer Konversion ökologische Transformation nicht angstbe- des Automobilkonzerns in einen ökologisch setzt ist (oder gar von Betroffenen bekämpft orientierten Dienstleister für öffentliche Mo- wird), bedarf es neben positiver Perspektiven bilität entscheiden. Von Jobverlust bedroh- und Partizipation auch Garantien. Alexandria te Automobilwerker*innen diskutierten, ent- Ocasio-Cortez und Bernie Sanders haben da- wickelten und bestimmten dort mit, wie eine her in ihren Vorschlag für einen Green New Konversion ihrer Industrien und ein gerechter Deal (vgl. Bozuwa in dieser Broschüre) im Übergang organisiert werden kann. So kön- Anschluss an den von Roosevelt eine Jobga- nen unterschiedliche Betroffene im Betrieb rantie aufgenommen. Die Transformation er- oder in der Region selbst zu Protagonist*innen fordert unglaublich viel Arbeitskraft. Jede*r, der Veränderung werden. Die Mobilitätswen- der*die Arbeit wünscht, sollte das Recht auf de muss gegen Konzerninteressen durchge- eine öffentlich finanzierte, tariflich Arbeit mit setzt werden, aber mit den Beschäftigten und «kurzer Vollzeit» (Becker/Riexinger 2017) ha- ihren Familien: Auch sie haben ein Interesse ben. Zugleich würde eine solche Garantie die an der «Vereinbarkeit» von auskömmlichem Arbeit besser verteilen und darüber hinaus die
14 Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus Macht des Kapitals brechen, die Bedingungen Es gibt wenig Ansätze, die einer solchen öf- der Arbeit zu diktieren, der Prekarisierung ein fentlichen Produktionsweise eine eigene öko- Ende setzen. nomische Qualität zugestehen. Ausnahmen 12. Eine neue Ökonomie: Die Ökonomie, die sind zum Beispiel die Ansätze eines «Public sich nicht um Profit, sondern um die Sonne Value» (Mazzucato/Ryan-Jones 2019) oder ei- der Bedürfnisbefriedigung dreht, einen an- ner «Sozialwirtschaft» (Müller 2005 u. 2010). deren Begriff von Reichtum hat, öffnet die Legen wir jedoch eine andere gesellschaft- Perspektive auf eine Existenz jenseits des liche Buchführung an, die gebrauchs- und Hamsterrädchens, auf Zeitwohlstand, Ent- bedarfsorientiert ist und dabei von den ge- wicklung und Wechsel der Tätigkeiten, auf all- sellschaftlichen und natürlichen Ressourcen seitige Beziehungen und Muße, auf eine de- ausgeht, geht es um die Frage, zu welchem mokratische und solidarische Lebensweise. Zweck und wie wir diese Ressourcen einset- Aber wer soll das alles bezahlen? Abgesehen zen wollen. Ohnehin benötigen wir einen plan- von der drastischen Umverteilung zur Korrek- volleren Einsatz von Ressourcen, um ihren tur der enormen Ungleichheiten über diver- Verbrauch drastisch zu reduzieren. Dies gilt se Formen der Besteuerung und Enteignung nicht nur für stoffliche Ressourcen, sondern geht es auch um ein anderes Verständnis von auch für die Arbeitskraft. Eine gesellschaftli- Ökonomie. che Buchführung vorhandener und benötigter Kapitalistische Ökonomien beruhen auf der Ressourcen würde eine von kapitalistischen Produktion von Waren zur Realisierung eines Werttransfers unabhängige Grundlage für ei- Mehrwertes, der durch die Arbeit produziert ne öffentliche Produktionsweise bieten. Dies wird, die mehr Wert schafft, als sie kostet. Die führt uns unmittelbar zum nächsten Punkt. Für eine andere gesellschaftliche Buchführung, die gebrauchs- und bedarfsorientiert ist und dabei von den gesellschaftlichen und natürlichen Ressourcen ausgeht. Bereiche der öffentlichen Dienste oder stoff- 13. Partizipative Planung: Die Notwendig- licher staatlicher Infrastrukturen gelten zwar keit, schnelle strukturelle Veränderungen un- als wichtige Voraussetzungen für die Repro- ter Zeitdruck herbeizuführen, macht Elemen- duktion des Kapitals (etwa Verkehrsnetze oder te partizipativer Planungsprozesse, consultas schulische Bildung), gelten aber ökonomisch populares und peoples planning processes, als nur abgeleitet: Werte werden im privatka- dezentraler demokratischer Räte erforderlich pitalistischen Sektor erzeugt und dann vom (regionale Räte waren in der Auseinanderset- Staat abgeschöpft, um damit die Investitio- zung um die Krise in den Automobil- und Ex- nen und Lohnkosten zu bestreiten. Zwar kann portindustrien bereits in der Diskussion, vgl. er auch Kredite aufnehmen, aber auch diese IG Metall Esslingen 2009) bzw. «unterschied- müssen dann irgendwann durch Steuern, al- liche Ebenen der Planung» (Gindin 2019) und so Abschöpfung von Mehrwert beglichen Schleifen wechselseitiger Abstimmungen werden. Im Grunde kann in diesem Verständ- und neuer Checks and Balances (welche Rolle nis der Staat nur ausgeben, was er über einen haben Warenmärkte darin?). Werttransfer später wieder aus der Wertpro- Unabdingbar rasche Veränderungsprozes- duktion der Privaten abschöpft – es bleibt bei se wurden auch in der Vergangenheit mittels Umverteilungspolitik. Planung vollbracht (z. B. in den USA in den
Zeit für etwas Neues: darum Sozialismus 15 1930er und 1940er Jahren). Von der «Über- ten mit neuen Materialien (VEB-Platte 3.0) und legenheit des sozialistischen Grundplans» architektonischen Wettbewerb für ein bezahl- sprach selbst Joseph Schumpeter (1942: bares und grünes Wohnen in der Stadt – was 310 ff.), der glühende Anhänger der von ihm könnte ein populäres Einstiegsprojekt sein? selbst so genannten «schöpferischen Zer- störung» im Kapitalismus. In der Problematik Für die freie Entwicklung schneller Übergänge verfügen sozialistische einer jeden Positionen also über ein starkes Argument – Entscheidend ist, dass alle genannten Ele- doch sollte es sich um partizipative Planung mente auf die Erweiterung der gemeinsamen handeln (Williamson 2010). Nur so kann Ver- Handlungsfähigkeit ausgerichtet sind, die gesellschaftung mit überkommenen Macht- Einzelnen befähigen, Protagonist*innen ihrer und Eigentumsverhältnissen des Kapitalismus eigenen Geschichte zu werden. Das Ziel ist brechen. Angesichts negativer Erfahrungen bereits von Marx im Manifest der Kommunis- mit autoritär-zentralistischer Planung kön- tischen Partei auf den Punkt gebracht worden: nen regionale Experimente einen Einstieg er- Eine Gesellschaft, «worin die freie Entwick- möglichen. Die Demokratisierung und De- lung eine[r] jeden die Bedingung der freien zentralisierung vorhandener überregionaler Entwicklung aller ist» (MEW 4: 482). Planungsprozesse im Gesundheitssystem, Möglicherweise sind wir bereits in einer Ent- bei Netzplanungen im Energie- und Bahnbe- scheidungssituation: Der Bruch mit den alten reich, im Bildungswesen etc. können weitere neoliberalen und neuen autoritären Politiken Ansatzpunkte sein. Schwieriger ist es mit der wird zur Notwendigkeit angesichts der Ver- globalen Stoff- und Ressourcenplanung – Er- dichtung von globaler Ungleichheit, ökologi- fahrungen internationaler Organisationen scher Krise, Migrationsbewegungen, globa- oder die gigantischen Planungserfahrungen lem Autoritarismus und Faschisierung. Ein transnationaler Konzerne sind kaum unmittel- ernsthafterer Konjunktureinbruch würde die- bar demokratisierbar (wie sähe eigentlich ei- se Situation noch verschärfen. Der «Mittel- ne Vergesellschaftung entlang transnationaler weg» postideologischer Offenheit und links- Produktionsketten aus?). Abgebrochene Ex- liberaler Kritik ist dann nicht mehr gangbar. perimente kybernetisch gestützter, demokra- Kräfte, die sich für den Erhalt liberaler, bür- tischer Planung (in Chile unter Allende) sollen gerlicher Freiheiten und minimaler Standards ausgewertet und auf der Höhe der Zeit neu ge- solidarischer Lebensweisen einsetzen wol- dacht werden. Neue Produktivkräfte und digi- len, müssen Partei ergreifen gegen Autorita- tale Möglichkeiten für Planung sind zu nutzen rismus und Neoliberalismus, das heißt auch (ohne sie zu überschätzen); Kapazitäten für für einen radikaleren linken Kurs. Jetzt ist der Planung und ihre Umsetzung in den Verwal- Moment der Entscheidung, in einer Phase des tungen und Betrieben sind aufzubauen und zu Interregnums, in dem noch unterschiedliche stärken – Beispiel Wohnen: Der Neubau von Möglichkeiten offen sind, sich aber bereits zu Wohnungen und Schulen krankt auch an den schließen beginnen. Die Barbarei ist wieder abgebauten Kapazitäten in der Verwaltung, denkbar – und sie ist der Normalfall im Über- besonders eben in den Planungsstäben, aber gang zu einem neuem gesellschaftlichen Pro- auch am Mangel an Baustoffen (wenige oligo- jekt (sei es kapitalistisch oder nicht); ein sozia- polistische Anbieter) – hier bräuchte es neben listisches Projekt kann sich dabei zugleich auf mehr Beschäftigten im öffentlichen Dienst Notwendigkeit aufgrund ungelöster, eskalie- auch eigene Werke etwa für ökologisch und render Menschheitsprobleme und der Gefahr ästhetisch entwickelte serielle (Platten-)Bau- der Barbarei berufen, als auch aus Wünschen/
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