Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
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Mitteilungen 2019 ISSN 1865-6749 | Heft 41 (26. Jahrgang) MusEuM 4.0 Digitale Erweiterung der Sammlungsobjekte iMMatEriEllEs KulturErBE Traditionen bewahren und lebendig halten nationalMusEuM in rio dE JanEiro Über den Brand und die ersten Notfallmaßnahmen
Anzeige DYNAMISCHE BESUCHERFÜHRUNG MIT KULDIG SMART INDOOR NAVIGATION Geben Sie Besuchern die Möglichkeit, immer neue Wege und Ausstellungsstücke zu entdecken und den Besuch jedesmal anders zu gestalten. Neben der klassischen linearen Rundgang-Navigation lassen sich mit Smart Indoor Navigation Führungen individuell variieren und abwechslungsreich gestalten. Impressum Heft 41 (26. Jahrgang), Erscheinungsweise: seit 2004 einmal im Jahr, Auflage: 7.500, Berlin, Juli 2019, ISSN 1865-6749 Herausgeber: ICOM Deutschland e. V. (verantwortlich: Professor Dr. Beate Reifenscheid, Dr. Klaus Staubermann, Beate von Törne M. A.) Redaktion: Anke Ziemer Gestaltung: Claudia Bachmann, Berlin – www.besseresdesign.de Druck: Druckteam Berlin Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form in der Bezeichnung von Personen und Funktionen verwendet. Sie gilt im Sinne der Gleichbehandlung für Männer und Frauen gleichermaßen. Copyrights liegen bei den Autoren und Fotografen. Inhaber von Bildrechten, die wir nicht ermitteln konnten, bitten wir um Kontakt aufnahme. Namentlich gekennzeichnete Beiträge entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder der Herausgeber. Titelfoto: Andreas Reeg, Städel Museum Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien www.kulturstaatsministerin.de
Editorial Foto: ICOM Liebe ICOM-Mitglieder, die Welt befindet sich spürbar in gravierenden Verände führt, wohl auch deshalb, weil die einen unrealistische For rungsprozessen. Sowohl auf der politischen, gesellschaftli derungen in die Diskussion warfen und die anderen den chen wie auch auf der musealen Ebene. deutschen Museen eine ungerechtfertigte Hinhaltetaktik Im politischen Gefüge scheinen die Kontinente immer und mangelnde Kooperation vorwarfen. Beides sind nicht mehr auseinanderzudriften: Es entstehen neue Konflikte, die geeigneten modi operandi, um in diesem Themenkom die von besonderer Schärfe und von vermeintlich unüber plex auf Augenhöhe mit den ehemaligen Kolonialländern windbaren Gegensätzen geprägt sind. Der Brexit in Groß in den Dialog einzutreten. Wir haben unsererseits ein neues britannien ist immer noch nicht zu Ende verhandelt (oder Projekt angeregt und werden dieses im kommenden Jahr gar endgültig vom Tisch) und Europa wird zunehmend bereits starten, bei dem wir einen wechselseitigen Aus von neuen gesellschaftlichen Zentrifugalkräften in seinen tausch von Museumprofessionals ermöglichen wollen. So Grundfesten angetastet. Zugleich bedrohen Klimawandel besteht die Chance, die Bedürfnisse und Vorstellungen der und Umweltverschmutzung in einem bis dato nicht ernst afrikanischen Partner mit den eigenen abzugleichen. Diese und wahrgenommenen Ausmaß unsere eigene Existenz. Maßnahme wird von ICOM wie auch vom Goethe-Insti Auf der großen Weltbühne nehmen sich da Fragestellun tut unterstützt. Wir werden diese konsequent ausbauen. gen, Problemkreise oder auch die Entwicklung neuer Per Vieles von dem, was wir in den letzen intensiven Jahren spektiven für die Museumslandschaft geradezu klein aus. gemeinsam mit Vorstand und Geschäftsstelle angegangen Aber auch hier wandeln sich die Zeiten immer rascher und sind und in Projekten, Publikationen bis hin zu einem Re neue Herausforderungen gilt es mehr denn je gemeinsam launch der Homepage auf den Weg gebracht haben, ver zu meistern. danken wir der verbesserten Einnahmesituation, die vor Sich selbst und die eigene Museumsinstitution auf die allem durch die leicht angehobenen Mitgliedsbeiträge nun digitale Transformation vorzubereiten, bedeutet für alle machbar sind. Wir möchten deshalb an dieser Stelle herz eine große Umwandlung. Dazu gilt es, Strategien und Per lich für Ihr Vertrauen danken. spektiven zu entwickeln und vor allem Visionen für ein lebbares Morgen vorzubereiten. Museum 4.0 ist eines der Großprojekte, das gerade in der Versuchsphase neue Lö Ihre sungen, Ideen und erste Tools entwickelt. Auf unserer Jah restagung im November 2019 wollen wir das breite Spek trum an „Chancen und Risiken“ diskutieren und erhoffen uns vor allem, den Blick auf das internationale Voranschrei ten dieser Transformationen werfen zu können. Die Vorträ ge und Ergebnisse werden wir dann zeitnah in einer neuen Beate Reifenscheid Publikation zugänglich machen. Präsidentin ICOM Deutschland Im vergangenen wie auch in diesem Jahr befassten wir uns intensiv mit der Kolonialismusdebatte, mit Fragestel lungen nach dem Umgang mit human remains, aber auch mit der Aufarbeitung all jener Werke, die aus den ehemaligen Kolonialstaaten zumeist in europäische Museen verbracht wurden. Die Debatte wurde anfänglich zum Teil hitzig ge
Inhalt Foto: Horniman Museum and Gardens, youtube.com Foto: Kunstasyl Aktuelles Rückblick Digitalisierung und Partizipation – zwei Trends, 100 Years after the First World War die zueinander passen Höhepunkte der europäischen Konferenz 2018 in Koblenz. . . . . 25 Mit neuen Konzepten gegen den Besucherschwund . . . . . . . . . . . . 5 Re-Imagining the Human Was macht eine gute digitale Strategie aus? Objektbasiertes Lernen in ethnologischen Museen. . . . . . . . . . . . 28 CIDOC Working Group hilft bei der Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Museum: ausreichend – die „untere Grenze“ Chancen und Nebenwirkungen – Museum 4.0 der Museumsdefinition ICOM Deutschland lädt zur Jahrestagung 2019 ein . . . . . . . . . . . . 10 Höhepunkte des Internationalen Bodensee-Symposiums 2018 in Friedrichshafen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Auf die „inneren Werte“ kommt es an: immaterielles Kulturerbe im musealen Fokus „Annual Meetings Without Borders“ Ausstellen und Vermitteln bringen materielles und Juni-Treffen 2018 in Paris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 immaterielles Erbe zusammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Ist Kleingärtnern ein immaterielles Kulturerbe? Ein Beitrag zur Debatte über ein einzigartiges Kulturrelikt. . . . . . 15 Internationale Komitees Archäotechnik – immaterielles Kulturerbe in der Praxis Museen – Medien – Macht oder: Hauptsache gelikt? Mitmachaktionen halten Handwerkstechniken lebendig. . . . . . . 18 Erfahrungen im Umgang mit sozialen Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Das Nationalmuseum in Rio lebt Nutzen Sie das Netzwerk und machen Sie Nach dem Brand und vor dem Wiederaufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 sich für Museen stark! Deutsche Mitglieder in offiziellen Positionen bei ICOM. . . . . . . . . 38 Generating and Tracing the „Provenance of Knowledge“ CIDOC – International Committee for Documentation. . . . . . . . . 41 Beating Barriers! Overcoming Obstacles to Achievment CIPEG – International Committee for Egyptology. . . . . . . . . . . . . . 42 Contemporary Collections: Contested and Powerful COMCOL – International Committee for Collecting. . . . . . . . . . . . 43 icomdeutschland Innovation and Fashion COSTUME – International Committee for Museums and @icomdeutschland Collections of Costume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Foto: Rüdiger Kelm, Steinzeitpark Dithmarschen Foto: Setumaa; South-Estonia Umschau Decorative Arts and Interiors Freiwilligendienst in der Denkmalpflege ICDAD – International Committee for Museums and Lübecker Jugendbauhütte – ein Erfolgsmodell. . . . . . . . . . . . . . . . 55 Collections of Decorative Arts and Design. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Publikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Re-Imagining Museum in the Global Contemporary ICME – International Committee for Museums Veranstaltungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 of Ethnography. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Vorstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Personality and Time in the Museums Exposition ICLCM – International Committee for Literary and Composers’ Museums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Communicating with Heart: Putting People in the Center MPR – International Committee for Marketing and Public Relations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Memory and Identity – Memory and Art IC MEMO – International Committee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crimes. . . . . . . . . . . . . . 50 Cultural Heritage. Transition and Transformation ICFA – International Committee of Museums and Collections of Fine Arts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019 |3
Verbundprojekt Museum4punkt0 – Digitale Strategien für das Museum der Zukunft Projektdauer: 2017–2020 Anzahl der Projektpartner: 6 Fördersumme (BKM): 15 Millionen EUR AK Tuelles Immaterielles Kulturerbe Anzahl der in den UNESCO-Listen vertretenden Länder: 122 Anzahl der in den UNESCO-Listen vorhandenen Einträge insgesamt: 508 Davon aus Deutschland: 4 Anzahl der Einträge im bundesweiten Register des Immateriellen Kulturerbes und im Register Guter Praxisbeispiele (2018): 97 4 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles Digitalisierung und Partizipation – zwei Trends, die zueinander passen Das Publikum will nicht mehr nur Empfänger von Museumsarbeit sein, sondern es will sich auch einbringen – am häufigsten digital. Mit Aufgeschlossenheit und durchdachten Konzepten meistern die Museen die Herausforderungen von Digita- lisierung und Partizipation und erhalten sich zugleich ihre analogen Besucher. Thomas Schwark „Partizipation“ ist in aller Munde, „Digitalisierung“ auch. Überall im Land erarbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen zurzeit „digitale Strategien“ und suchen zugleich nach Wegen zu zeitgemäßen Konzepten teilhabeorientierter Museums arbeit. Denn was Politiker, Soziologen und Marketing-Profis im Sinne gesteigerter Identifikation und Kundenbindung propagieren, hat als Option auf Quotensteigerung auch die Museen erfasst, denen angesichts hoch verdichteter Mitbe werberstruktur am Freizeitmarkt wieder einmal eine Exis tenzkrise bescheinigt wird. Tatsächlich wird unter dem Schlagwort Audience Development allenthalben nach Lö sungen für den spürbaren Publikumsschwund gesucht. Ne ben dem Lamento vom Rückgang des „Bildungsbürger Foto: Deutsches Museum tums“ gelten die Individualisierung und Säkularisierung der Interessen, (wechselnde) Nachfrage nach unterschiedlichen Kulturformaten, steigende Attraktivität diverser kultureller Inhalte und digitale Angebote als Begründungszusammen hänge. Hinzu kommt, dass in der Realität von Migrations gesellschaften kleinräumig-nationale Identitäten – und ihre Institutionen – zunehmend an Bedeutung verlieren. Zudem sind im Bereich klassischer Museumsinhalte längst andere, ubiquitäre – gegebenenfalls unterhaltsamere – Medien ver fügbar, und es besteht der Verdacht, dass ein auf One-Way- Rezeption angelegter Vermittlungsmodus den Interessen des Publikums vielfach nicht mehr entspricht. Einbeziehung der Menschen, um die es uns geht, tut also not. Paradigmenwechsel unumgänglich? Foto: Deutsches Museum Doch manch ein Kollege tut sich schwer mit der Beteiligung von Laien an den elementaren Arbeitsfeldern der Museen, zudem womöglich mit digitalen Instrumenten, versteht sich das Museum doch als (H)Ort analoger Bild- und Ding welten, mithin einer entsprechenden „Konträrfaszination“ (Korff) zum zurzeit wirkmächtigen gesellschaftlichen Im Das Deutsche Museum geht mit seiner neuen Ausstellungs-App perativ des Digitalen. Oder geht womöglich beides ideal zu (oben) und seinem Virtual-Reality-Lab (unten) weitere Schritte in sammen: Können künftig elektronische Kommunikations die digitale Zukunft. mittel, etwa die allfälligen Social Media, zu einem allseits bereichernden, Teilhabe ermöglichenden Zusammenwirken führen? dem Feld einer populären Vermittlung mögen teilhabeorien Partizipative Konzepte werden in Museumskreisen nicht tierte Projekte durchaus ihre Berechtigung haben, doch nur begrüßt. Kritikerinnen und Kritiker befürchten eine müsse das Kerngeschäft: der forschend-bewahrende Um McDonaldisierung (Kirchberg), d. h. den Niveauverfall der gang mit der Sammlung sowie das wissenschafts- und äs Museen, eine inhaltliche Verflachung und die drohende thetikgeleitete Kuratieren der Ausstellungen gleichbleibend Mutation der Häuser zu soziokulturellen Treffpunkten. Auf in professionellen Händen liegen. ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019 |5
Ak tue lles die aktive Mitwirkung ehrenamtlich Tätiger lässt sich in bestimmten Fachgebieten kaum wegdenken: Unschätzbar ist stets die Unterstützung durch Laien gewesen – etwa in entomologischen und archäologischen Sammlungen oder in den augenblicklich stark wachsenden Fotobeständen der kulturgeschichtlichen Häuser. In dem Maße, wie sich etwa geschichtsinteressierte Laien digitaler Netzwerke bedienen, um sich zu historischen Themen zu informieren und ihre Fachkenntnisse über das Internet zu teilen, eröffnet sich die Chance, Online-Diskussionen über Museumsprojekte zu führen: Vom Chat-Kommentar zur Ausstellung über das Statement als Zeitzeuge bis zur Mitteilung der eigenen Per spektive auf ein Exponat reichen die Möglichkeiten. Partizipative Arbeit ist für Museen keinesfalls neu. Ob vereinsgetragen oder auf Initiative von Stifterinnen und Stiftern und Herrschenden – die meisten um 1900 gegrün deten Häuser übten auf Laien stets eine große Faszination aus, die oft mit leidenschaftlichem Interesse einherging. Spätestens mit der Reformpädagogik der 1920er Jahre und den auf Breitenwirkung zielenden Kunstauffassungen von Alfred Lichtwark sowie verstärkt mit den kulturpolitischen Vorstellungen der 1970er Jahre erhielten Didaktik und Screenshots: Michael Faber Vermittlungsintentionen einen gesteigerten Stellenwert. Ana log zu vergleichbaren Bewegungen in Frankreich, Groß britannien, Südamerika und den USA galt es nun, mehr und solche Besucherinnen und Besucher für Museumsinhalte zu interessieren, die nicht zum Kreis stabiler sozialer Mili eus und hoher formaler Bildung gehörten. Gelegentlich gab Partizipation: Anlässlich einer Jubiläumsausstellung beteiligten sich es unter dem Postulat „Kultur für alle“ bereits Überlegun zahlreiche Gäste an einer Fotoaktion des Freilichtmuseums Kom- gen hinsichtlich einer (mit-)gestaltenden Aktivierung der Be mern. Sie stellten auf dem Instagram-Profil ihre Selfies ein. Das Mu sucherinnen und Besucher. seum lieferte den goldenen Rahmen und fotogene Accessoires. Als weitreichend erweisen sich schon jetzt die Möglich keiten digitaler Kommunikation hinsichtlich der Mitwir kung breiter Kreise an Museumsprojekten. Was für die täg liche Kommunikation mit professionellen Gestaltern längst gilt: Datentransfer auf Projektplattformen – kann auch bei der Reflexion fertiger Ausstellungen, in Debatten um ihre Inhalte und Aussagen, besser noch im statu nascendi eines Vorhabens funktionieren. Digitale Kommunikation ermög licht einem gleichsam „offenen Projektteam“ die Diskus sion. Rückblick Offenheit und Wertschätzung Digitale Instrumente sind in vielen Museen seit den 1990er Partizipative Konzepte sind vordergründigen Bildungs- und Jahren eingeführt und längst als unverzichtbar akzeptiert – Unterhaltungsformaten immer dann überlegen, wenn sie im Sinne zeitgemäßer Objekt- und Bilddatenbanken, im die Expertise des Publikums ernst nehmen und zulassen, Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen und im dass sie in Sammlungs-, Ausstellungs- und Vermittlungs allgemeinen Nachrichtenverkehr. Doch erst allmählich be projekte einfließt. Gute Erfahrungen haben Kuratorinnen dienen sich Sammlungsverantwortliche der populären so und Kuratoren dazu zum Beispiel in naturkundlichen Mu zialen Netzwerke, um nicht nur Fachexpertinnen und seen gemacht, wenn sie etwa Fachleute aus Tierschutz- und -experten konkollegial zu informieren, sondern auch inte Umweltinitiativen beteiligen. Zeitzeuginnen und Zeitzeu ressierte Laien zur Debatte aufzufordern – etwa über Datie gen der Gruppe 50 plus erweisen sich in stadt- und regio rungen, materialkundliche Erkenntnisse, Inhalte und Be nalgeschichtlichen Häusern regelmäßig als kompetente deutungen von Kulturgut. Korrektive zu zeitgeschichtlichen Themen. Wertvolle Infor Auch die Idee der Partizipation ist für die meisten Mu mationen können Vertreterinnen und Vertreter der MINT- seen überaus naheliegend. Was die Bestände unserer Häuser Berufe zu Problemstellungen technikgeschichtlicher Mu angeht, so speisen sich etliche davon – ganz oder zu Teilen – seen liefern. Und nicht zuletzt Kunstmuseen mit Beständen, aus dem Engagement von Sammlerinnen und Sammlern die auf Sachstiftungen oder Vermächtnisse zurückgehen, und Laien-Forschenden, oft von großartiger Sachkenntnis profitieren von oft profunder Kennerschaft der jeweiligen und akribischer Dokumentation der Stücke begleitet. Auch Sammlerinnen und Sammler und ihrem sehr speziellen 6 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles Screenshot: Hessischer Rundfunk; youtube.com Eröffnung der Ausstellung Die Bullibauer (2016) im historischen Museum in Hannover anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Transporter-Pro- duktion in Hannover: Neben Fahrzeugen aus der werkseigenen Sammlung sind Margot Krey und ihre Kolleginnen und Kollegen Teil der Aus- stellung, die als Zeitzeugen von ihren Erlebnissen berichten. Wissen. Und weil sich aktives Sammeln gegenwärtig des Kompetenz und Konzepte Internethandels bzw. zeitgemäßer auction technology be dient, beherrscht die Schar der einschlägig Interessierten Unabhängig von vermeintlichen oder tatsächlichen Nach die elektronische Kommunikation zunehmend perfekt. fragekrisen tun Museen aller Sparten – anknüpfend an viel Wie effektiv und befriedigend sich partizipative Muse fältige, einschlägige Erfahrungen – gewiss weiter gut daran, umsprojekte erweisen, wie weit die Mitwirkungsintensität sich zunehmend partizipativen Erarbeitungsprojekten zu reicht, hängt von der Aufgeschlossenheit der Verantwort öffnen. Doch kein Zweifel: Auch und gerade Beteiligungs lichen – etwa für ein Ausstellungsvorhaben – ab. Dabei konzepte kommen ohne professionelle Expertise und ohne reicht das Spektrum von der Beratung des Projektes durch museumswissenschaftliche Kompetenz nicht aus. Viele Be versierte Laien-Expertinnen und -Experten in einzelnen sucherinnen und Besucher scheinen immer dann besonders Sach- und Fachfragen über die Entscheidung zu Inhalten zufrieden zu sein, wenn Museen Anschauung, Wissensan oder zur Präsentationsästhetik ganzer Abteilungen bis zur eignung und Unterhaltung ermöglichen und zugleich Ak weitgehenden Übernahme des Gesamtprojektes durch ein tionsräume für die Erprobung neuer Fähig- und Fertig Team von Laien; allenfalls Aufgaben der formalen Steue keiten sind. Freilich: Instrumente digitaler Kommunikation rung, der finanziellen Absicherung und der musealen Infra können die erwünschten Prozesse auf beinahe allen Feldern struktur verbleiben dann bei den Museumsprofis. Wenn der Museumsarbeit erleichtern und aktive Teilhabe ermög sich die Vorstellung von „Partizipation“ mit gemeinsamem lichen. Tun, Nutzen und Erleben, mit nützlichem Gedanken- und Und doch sind Museen für viele Menschen vor allem auch Erfahrungsaustausch verbindet, kann gerade digitale Kom Refugien, deren ganz besondere Atmosphäre sie schätzen, munikation die Teilhabe fachlicher Laien sehr erleichtern. wo sie flanieren, entspannen und passiv genießen können – Sie erlaubt schnelle Interaktion zur Bedeutung von Bil ganz analog. dern und Exponaten, erweitert das Spektrum der Inter pretationen, erleichtert Recherchen zu Hintergrund- und Professor Dr. Thomas Schwark ist Direktor der Museen für Kulturge- Kontextinformationen, die aus unterschiedlichem Fach- schichte Hannover; Thomas.Schwark@Hannover-Stadt.de. und Erlebenswissen erwachsen. Allerdings ergibt sich aus beteiligungsorientierten Erarbeitungsprozessen womöglich ein verändertes Aufgabenverständnis, das Wissenschaftle rinnen und Wissenschaftler in die Situation einer lernenden Partnerschaft versetzt. Denn fachlich und nicht zuletzt auf dem Feld digitaler Anwendungen mag sich manch Außen stehender gelegentlich als überlegen erweisen. ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019 |7
Ak tue lles Was macht eine gute digitale Strategie aus? Die Museen weltweit werden immer digitaler und müssen entscheiden, ob und wel- che digitale Strategie sie wählen. Die neu gegründete CIDOC Working Group for Digital Strategy Development wird Museen künftig darin unterstützen. Jan Behrendt Digitale Strategien sind in der Museumswelt kein neues (oder umgekehrt)? Die Folge ist nicht selten, dass Objekte Thema. Die meisten großen Museen und viele kleinere innerhalb weniger Monate mehrmals bewegt und fotogra Häuser haben bereits digitale Strategien erarbeitet. Die her fiert werden. Mit einer allgemeinen Festlegung von Qua kömmliche Karteikartendokumentation wurde in der Re litätskriterien im Bereich der Digitalisierung und einem gel durch eine Museumsdatenbank ersetzt und das digitale sachgerechten Ablauf der Digitalisierung (einschließlich Angebot von Museen wächst täglich. Und doch existiert kommunikativer Beteiligungsverfahren) lassen sich derar noch kein einheitliches Verständnis von dem, was eine digi tige Ineffizienzen verhindern. Eine gute digitale Strategie tale Strategie eigentlich ist. berücksichtigt die Bedürfnisse der verschiedenen Akteure im Museum, hilft bei der Identifikation gemeinsamer In Zu eng teressen und dient der Abstimmung von Arbeitsabläufen. So wird die digitale Strategie eines größeren englischen Neue Konzepte Kunstmuseums mit dem Hinweis eingeleitet, dass es das Ziel des Papiers sei, Besucherinnen und Besuchern der Mu Neue Konzepte, wie etwa das Sammeln digitaler Objekte seumswebseite ein digitales und kulturelles Erlebnis zu (Digitalifakte) oder die digitale Restaurierung, kommen in bieten, das auf das Haus neugierig macht und zum Besuch den bisher veröffentlichten digitalen Strategien noch kaum motivieren soll. Es folgt ein Text, strukturiert nach den drei vor. So hört man im Bereich der militärgeschichtlichen Mu Sinneinheiten „Vor dem Besuch“, „Während des Besuches“ seen immer wieder die Fehleinschätzung, dass das Fehlen und „Nach dem Besuch“. Die Konzentration auf die Besu größerer Feldpostsammlungen zu den Jugoslawien- und chererfahrung macht diese digitale Strategie zu einem Do Afghanistaneinsätzen der Bundeswehr an einer vermeint kument, das in anderen Häusern vielleicht Strategie für lichen Schreibfaulheit der Soldaten liege (dies wird gerne Online-Kommunikation genannt würde. Hinweise auf an kontrastiert zu den umfangreichen Feldpostbeständen des dere Arbeitsbereiche, wie etwa die Digitalisierung, die Do Ersten und Zweiten Weltkriegs). Die Einsicht, dass die Feld kumentation oder die digitale Langzeitspeicherung fehlen. post aus den jüngeren Kriegen lediglich das Medium ge Eine gute digitale Strategie erfasst digitalen Wandel überall wechselt hat, aber sehr wohl existiert, kommt in diesem dort, wo er in einem Museum sinnvoll ist. Zusammenhang nur schleppend. Eine zeitgemäße digitale Strategie sollte an dieser Stelle darauf eingehen, wie man Zu weit E-Mails, Chatprotokolle oder Messengerdienstdaten sam melt (und sich nicht nur auf einzelne Screenshots beschränkt). Ein anderes Haus titelt in dieser Hinsicht vielversprechen Das Sammeln digitaler und physischer Objekte muss unter der: Digital as a Dimension of Everything und entwickelt Umständen miteinander verknüpft werden, etwa wenn dann einen Text, der digitalen Wandel als Imperativ auf man bei besonderen Fahrzeugen Systemdaten speichert und allen Ebenen des Museumslebens beschreibt. Dies mag für zur authentischen Wiedergabe auch die passenden Wieder all jene befremdlich klingen, die das Museum vor allem als gabe- und Betriebssysteme benötigt. Digitales Sammeln physisch erlebbaren Erfahrungsraum begreifen, der besucht kann rechtliche und programmiererische Herausforderun werden kann und somit weit über das rein digitale Erlebnis gen aufwerfen, etwa wenn bei einer Software Lizenzfristen hinausgeht. Eine gute digitale Strategie weist dem Digitalen aufgehoben werden müssen, damit eine langfristige Nut seinen angemessenen Platz im Museumsleben zu und ver zung möglich ist. meidet das wahllose Aufspringen auf vermeintliche Trends. Sie fügt sich in die allgemeine politische Selbstpositionie Falsche Prioritäten rung und Arbeitsstrategie eines Museums ein. Ihr geht eine Analyse des eigenen Hauses, des Umfeldes und der festzule Gerade das virtuelle Ausstellungswesen verschlingt viele genden Prioritäten im Bereich des digitalen Wandels voraus. Ressourcen, die für die grundlegende Bewältigung des di gitalen Wandels an anderen Stellen dringender benötigt Nicht vernetzt werden. Genervte Museumsmitarbeiter wissen zu berich ten, dass das eigene Haus keinen Plan zur Vermeidung von Wer kennt nicht die Situation, dass aufwendig gefertigte Dateikorruption habe, so dass Digitalifakte im Begriff Objektfotos der Kommunikationsabteilung nicht den Qua seien, für immer verlorenzugehen, während die zuständige litätsansprüchen der Dokumentationsabteilung genügen Museumsleitung alle für den digitalen Wandel vorgesehe 8 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles Foto: Andreas Reeg, Städel Museum Viele Museen konzentrieren sich bei ihren digitalen Aktivitäten auf den Bereich Besuchererfahrung, etwa auf Ausstellungs-Apps für Mobilge- räte: Augmented Reality ermöglicht die Interaktion mit Objekten, indem Besucher die Gerätekamera auf ein reales Ausstellungsobjekt richten und ergänzende Informationen oder 3D-Präsentationen erhalten. nen Ressourcen in eine werbewirksame 3D-Ausstellung auf Arbeitsgruppe einige Checklisten und Musterdokumente der Webseite des Hauses investiert habe. erarbeiten, die Museen bei der Entwicklung eigener digi taler Strategien helfen sollen. Hierfür werden durch die Ar Gute Beispiele finden beitsgruppenmitglieder zunächst Bedarfsträgergruppen (Stakeholder) innerhalb von Museen identifiziert und An Erfahrungen wie diese haben im Rahmen der ersten ge sprüche, die an digitale Strategien gestellt werden, gesam meinsamen COMCOL-CIDOC-Konferenz (Rio de Janeiro melt. Anschließend werden bereits existierende digitale Stra 2017) und dann bei weiteren CIDOC-Tagungen (Tiflis 2017, tegien ausgewertet und Problemlösungswege verglichen. Kreta 2018) zur Gründung einer Arbeitsgruppe zur Ent Ergebnisse der anderen CIDOC-Arbeitsgruppen (wie Di wicklung digitaler Strategien geführt. Die Working Group gital Preservation, Museum Process Implementation, CRM for Digital Strategy Development möchte die Idee einer oder LIDO) werden in den Musterdokumenten verarbeitet umfassenden, auf die jeweilige Institution zurechtgeschnit und somit auch Ansätze zur praktischen Nutzung vorge tenen digitalen Strategie verfolgen und verbreiten. CIDOC schlagen. wendet hierbei einen sehr weiten Dokumentationsbegriff an, der sämtliche Bereiche der Informationsverwaltung und Jan Behrendt ist Sammlungsleiter am Militärhistorischen Museum Informationsbereitstellung in Museen umfasst. Die dem Do Flugplatz Berlin-Gatow. Als gewähltes Vorstandsmitglied bei CIDOC kumentationsausschuss zugeordnete Arbeitsgruppe sucht beaufsichtigt er die CIDOC Training Association und leitet die Wor- die Nähe zu den verwandten Ausschüssen für Sammlung king Group for Digital Strategy Development; (COMCOL) und Museumsmanagement (INTERCOM). Jan1Behrendt@bundeswehr.org. Praktische Hilfen Weitere Informationen: Arbeitsergebnisse der Working Group for Digital Strategy Develop- Bis zur nächsten Arbeitsgruppensitzung im Rahmen der ment oder bei Interesse an der Mitarbeit: kommenden ICOM-Generalkonferenz in Kyoto wird die http://network.icom.museum/cidoc ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019 |9
Ak tue lles Chancen und Nebenwirkungen – Museum 4.0 ICOM Deutschland lädt zur Jahrestagung ins Schloss Nymphenburg nach München ein. Rund dreihundert Experten aus Museumswesen und weiteren Disziplin en werden vom 14. bis 16. November intensiv über die Perspektiven der Museen im Zeitalter der Digitalisierung diskutieren. Die ebenso massenhafte wie kommerzielle Nutzung des werden einen besonderen Stellenwert erhalten. Neben den Internets begann Ende des 20. Jahrhunderts. E-Mail und Vorträgen mit anschließender Fragerunde wird das Format Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und You Workshop den Freitagnachmittag einnehmen. In die Work tube bieten wenige Jahre später die Möglichkeit zum Aus shops sind Vertreter der internationalen ICOM-Fachkomi tausch in nahezu alle Länder der Welt in Echtzeit. Konti tees Audiovisual and New Technologies of Image and Sound nente und kulturell verschiedene Gesellschaften rücken im (AVICOM), Documentation (CIDOC) und Education and Global Village für jeden spürbar enger zusammen. Cultural Action (CECA) sowie u. a. die Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutsch Museen im digitalen Zeitalter land und das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) ein gebunden. Entgrenzte Kommunikation, digitale Medien und Techno Es ist gelungen, das dem Tagungsort benachbarte Maria- logien bedeuten Veränderungen in allen Arbeits-, Lebens- Ward-Gymnasium als weiteren Partner zu gewinnen. Dort und Erfahrungsbereichen, von denen auch Museen nicht stehen uns am Freitagnachmittag Klassenräume mit mo ausgeschlossen sind. Eine zunehmend diverse Gesellschaft derner Technik zur Verfügung, in denen verschiedene The trifft auf eine traditionsreiche Institution, die unter enor men in kleinen Gruppen diskutiert werden. Moderatoren mem Anpassungsdruck und Legitimationszwang steht. Ein leiten die jeweiligen Workshops. Es ist vorgesehen, Schüle heterogener werdendes Publikum mit unterschiedlichen rinnen der Abiturstufe des Mädchengymnasiums den Mo kulturellen Prägungen, Erwartungen und individuellen Be deratoren assistierend zur Seite zu stellen. – Hier wird der dürfnissen will erkannt und gewonnen werden, unterschied potenzielle Nachwuchs ganz praktisch einbezogen. liche Interessens- und Wissensstände erfordern ein breit an gelegtes Vermittlungsangebot. Rahmenprogramm Museen reagieren mit vielfältigen Strategien auf die He rausforderungen des digitalen Wandels. So bereiten immer Für den Exkursionstag am Samstag sind Besuche unter an größer angelegte Forschungsvorhaben und Förderinitiativen derem in das Deutsche Museum, in das BMW-Museum das Museum 4.0 vor, mit der Absicht einer Aufarbeitung und in das Studio München von Wikimedia Deutschland der musealen Bestände im digitalen Netz und der erstrebten geplant. Austausch und Diskussion sind ebenso in den Einbindung aktueller und neuer Zielgruppen. Es gilt Fra Abendveranstaltungen möglich. Einmal am Tagungsort im gen zu beantworten wie beispielsweise: Welche Bedeutung Schloss Nymphenburg nach der Mitgliederversammlung hat das Zahlenkürzel 4.0 für das Sammeln, Forschen, Be und am Freitag in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus wahren und Vermitteln in Museen von heute und morgen? beim Empfang der Stadt München. ICOM Deutschland, Wie lässt sich diese neue Realität beschreiben, die für viele die Bayerische Schlösserverwaltung und das Kulturamt der Menschen zum Lebensalltag geworden ist, und welche Wir Stadt München, die die Jahrestagung gemeinsam ausrich kungen hat sie auf Museen, ihr Selbstverständnis und ihre ten, freuen sich auf Sie. Arbeitsweise? Was ist Chance und was ist Diktat, was sinn voll und was unsinnig, was sind die „Risiken und Neben Netzwerktreffen für Berufsanfänger wirkungen“ einer digitalen Realität für Museen? Die Jahres tagung von ICOM Deutschland versteht sich als Plattform, Am 14. November wird von 10 bis 12 Uhr erstmalig ein um Pros und Contras auszutauschen und über sinnvolle Treffen für Berufsanfänger stattfinden. Willkommen sind digitale Strategien zu diskutieren. alle Tagungsteilnehmer, die Studenten, Volontäre oder Freiberufler/Museumsmitarbeiter sind, deren Berufsein Mitmachen und voranbringen stieg nicht länger als fünf Jahre zurückliegt. Die Veran staltung findet als Speed-Meeting in mehreren kleinen Im ersten Tagungsteil haben wir Vorträge von ausgewiese Workshop-Runden statt, in denen sich die Teilnehmer nen Museumsfachleuten vorgesehen, so beispielsweise aus austauschen und zu Fragestellungen des Tagungsthemas der Landesstelle der nichtstaatlichen Museen in Bayern, wie ins Gespräch kommen. Das Ziel der Veranstaltung ist es, auch Beiträge u. a. aus dem Fachgebiet Digital Humanities, sich in lockerer Atmosphäre auf das Tagungsprogramm einer europäischen Kulturerbe-Forschungsallianz und einer vorzubereiten und mit anderen Berufseinsteigern zu ver der größten Hackervereinigung. Austausch und Diskussion netzen. 10 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles Foto: AHert, wikimedia CC BY-SA 3.0 Schloss Nymphenburg in München Mitgliederversammlung und Wahl des Vorstandes Bitte beachten Sie, dass Mitglieder bei Nichtanwesen heit auf der Mitgliederversammlung ihr Stimmrecht auf ICOM Deutschland wird seine diesjährige Mitgliederver andere stimmberechtigte Mitglieder schriftlich übertragen sammlung im Rahmen der Jahrestagung am 14. November können, wobei jedes Mitglied zur Vertretung von höchs durchführen. Dem dreijährigen Turnus von ICOM ent tens zwei abwesenden Mitgliedern bevollmächtigt werden sprechend, stehen in der Mitgliederversammlung Wahlen kann. Eine Vorlage zur Übertragung des Stimmrechts er für das Amt der Präsidentin/des Präsidenten und des Vor halten Sie in der Geschäftsstelle. standes für die Jahre 2020 bis 2022 an. Für die Mitarbeit im Vorstand sind insgesamt sechs Sitze zu vergeben. Des Vorstand ICOM Deutschland Weiteren werden gemäß der Satzung von ICOM Deutsch land der Kassenprüfer/die Kassenprüferin sowie dessen/ deren Stellvertreter(in) gewählt, die nicht dem Vorstand an gehören dürfen. ICOM-Mitglieder, die bereit sind, Ver antwortung und Aufgaben zu übernehmen, sind herzlich eingeladen, sich um ein Amt zu bewerben. Es ist wünschens wert, dass sich im Vorstand des Verbandes die Verschieden artigkeit der Museumslandschaft in Deutschland ebenso spiegelt wie Alter, Geschlecht und kultureller Hintergrund der dort tätigen Museumsfachleute. Wir bitten alle Bewer Weitere Informationen: berinnen und Bewerber, ihre Kandidatur bis spätestens zum Tagungsort: Schloss Nymphenburg, Orangerietrakt 30. September 2019 der Geschäftsstelle schriftlich mitzu Anmeldung und Programm sowie Hinweise zu Reisebeihilfen für teilen. Wir stützen uns dabei auf den in der Satzung von Mitglieder der Kategorie „Student“: ICOM Deutschland geregelten Wahlmodus, aber auch auf www.icom-deutschland.de/tagung die Wahlregularien des Internationalen Museumsrats ICOM. Im Oktober werden die Kandidatinnen und Kandi Es ist vorgesehen, die Vorträge und Ergebnisse der Workshops in daten auf unserer Webseite bekannt gegeben. einem Tagungsband zu veröffentlichen. ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019 | 11
Ak tue lles Auf die „inneren Werte“ kommt es an: im- materielles Kulturerbe im musealen Fokus Lebendige Traditionen werden durch ihre Trägerinnengemeinschaften angewen- det und weiterentwickelt. Objekte, in denen sich die Traditionen materialisieren, werden häufig in Museen bewahrt. Durch partizipatives Ausstellen und Vermit- teln können sie dazu beitragen, dass materielles und immaterielles Kulturerbe in identitätsstiftender Weise zusammengeführt wird. Judith Schühle Wer schon einmal versucht hat, einer umsdefinition von ICOM verankert reich, der Slowakei, Tschechien und Person das Fahrradfahren zu erklären, ist: „A museum is a non-profit, per Ungarn praktiziert wird. am besten noch telefonisch, der wird manent institution in the service of schnell an seine Grenzen stoßen: Was society and its development, open to Museen –Zukunft lebendiger viele in der Kindheit durch wiederhol the public, which acquires, conserves, Traditionen tes Üben gelernt haben, ist tief veri n researches, communicates and exhibits nerlicht, dem Körper eingeschrieben. the tangible and intangible heritage Innerhalb der internationalen Muse Die einzelnen ineinandergreifenden of humanity and its environment for umslandschaft wird das immaterielle Abläufe so wiederzugeben, dass eine the purposes of education, study and Kulturerbe 2019 noch weiter in den zweite Person sich zum ersten Mal im enjoyment.“2 Ein Jahr zuvor war auf Vordergrund gerückt: Der internatio Leben mühelos auf einem Fahrrad fort der UNESCO-Generalkonferenz die nale Museumstag am 19. Mai stand bewegen könnte, ist schier unmöglich. Convention for the Safeguarding of unter dem Motto „Museen – Zukunft Doch einmal erlernt, geschieht der the Intangible Heritage verabschiedet lebendiger Traditionen“. Das diesjäh Ablauf intuitiv, alle Sinne werden ein worden – ein Durchbruch jahrelanger rige Thema greift die Verzahnung auf, gesetzt und wissen, was zu tun ist: Der Bemühungen, das immaterielle dem die die UNESCO als Voraussetzung Mensch und das Objekt verbinden sich materiellen Kulturerbe gleichzustellen. für die Aufnahme in das Bundesweite zu einem Bewegungsablauf. Seither führt die UNESCO eine reprä Verzeichnis des Immateriellen Kultur Verkörpertes Wissen prägt das Le sentative Liste des immateriellen Kul erbes versteht: Es werden nur Tradi ben der Menschen auf der ganzen turerbes der Menschheit. Deutschland tionen aufgenommen, die „lebendig“ Welt – beim Nutzen und beim Her trat der Konvention 2013 bei, die Deut sind, also jene, die kreativ weiterver stellen von Dingen.1 Dabei wirkt es sche UNESCO-Kommission nimmt mittelt werden und sich dem Wandel meist im Verborgenen und wird, ein seither verschiedene Formen des imma der Gegenwart anpassen. Dazu gehört mal erlernt, als selbstverständlich emp teriellen Kulturerbes in ein bundes auch, dass immaterielles Kulturerbe funden. Selten reflektiert man über weites Verzeichnis auf. 3 Von ehemals inklusiv sein soll, d. h. identitätsstif diese Fähigkeiten im Alltag. Im Muse 27 Einträgen ist es zwischenzeitlich tend für alle Menschen: für jene, die um aber wird man unweigerlich damit auf 97 Einträge angewachsen. Darun damit aufgewachsen sind, aber auch konfrontiert: Durch die auratische Auf ter befinden sich handwerkliche Tech für jene, die sich das Wissen und Kön ladung von Objekten, also materiellen niken wie das Flechthandwerk, Feste nen erst später angeeignet haben, etwa Kulturgütern, fragen sich viele Muse und Bräuche wie der Rheinische Kar weil sie ursprünglich in einer anderen umsbesucherinnen und Museumsbe neval oder die Spergauer Lichtmess, Region oder auf einem anderen Konti sucher fasziniert: Wie ist dieser Gegen Ausdrucksformen wie Poetry Slams nent aufgewachsen sind.4 Gleichzeitig stand entstanden? Welche Fähigkeiten, und gemeinschaftliche Organisationen bedeuten immer mehr Migrationsbe welches Wissen müssen Produzentin wie die Genossenschaftsidee. Zudem wegungen von Menschen auch, dass nen und Nutzerinnen gehabt haben? wurden Teile des immateriellen Kul immaterielles Kulturerbe migriert und turerbes auch länderübergreifend er fortan von unterschiedlichen Men Bewusstsein wächst folgreich für die repräsentative Liste schen an einem neuen Ort gelebt wer der UNESCO nominiert, wie etwa der den kann.5 Es ist nur folgerichtig, dass diese „in Blaudruck, der in Deutschland, Öster neren Werte“ – das immaterielle Kul 4 Vgl. Kaschuba, W. (2018): Wozu brauchen wir noch turerbe – seit 2004 auch in der Muse Brauchtum? Essay erschienen auf www.unesco.de/ 2 ICOM (2017): Statutes. S. 3; https://icom.muse kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/im um/en/about-us/missions-and-objectives (Stand materielles-kulturerbe-deutschland/traditionen 25.1.2019), Hervorhebung durch die Autorin. (Stand 25.1.2019). 1 Vgl. Flitsch, M. (2014): Des Menschen Fertigkeit: 3 www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles- 5 Vgl. Naguib, S.-A. (2013): Museums, Diasporas and ethnologische Perspektiven einer neuen Wertschät kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutsch the Sustainability of Intangible Cultural Heritage. In: zung praktischen Wissens. Zürich. land (Stand 25.1.2019). Sustainability, Vol. 5, S. 2178–2190. 12 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Ute Franz-Scarciglia Foto: Kunstasyl Im Rahmen der Ausstellung daHEIM – Ein- sichten in flüchtige Leben (2016) wurde die- ses Runddach im Museumsgarten des MEK von Bereket aus Äthiopien gebaut. Er hatte Kostüm eines die Dachdeckerei in Eritrea gelernt, wohin „Lichtmess-Läufers“, er mit seiner Familie geflohen war. Spergau, 2011 Halten wir fest: Immaterielles Kul Im Museum Europäischer Kulturen materielles Kulturerbe zu sammeln, turerbe – mit Betonung auf Erbe – be der Staatlichen Museen zu Berlin (MEK) bewahren und dokumentieren. Üblich wahrt einerseits kulturelle Techniken, befindet sich zum Beispiel das Kostüm ist es bislang, vor allem die filmische Ideen und Handlungen, unterliegt – eines Lichtmess-Läufers aus Spergau und fotografische Dokumentation, er mit Betonung auf immateriell – ande in Sachsen-Anhalt: Könnte dieses Ob gänzt durch Zeitzeuginneninterviews, rerseits dem stetigen Wandel, kann jekt, welches im Zusammenhang mit in die Museumssammlung aufzuneh dadurch für verschiedenste Menschen der Spergauer Lichtmess verwendet men. So ist die Spergauer Lichtmess im identitätsstiftend sein und birgt krea wird, einerseits in der Museumssamm MEK neben dem Kostüm sowohl tives Potential. Museen hingegen sind lung inventarisiert sein, andererseits durch historische Filmaufnahmen als auch heute eher auf die Bewahrung aber immer zum Umzug am Sonnt ag auch zeitgenössische Fotografien do materiellen Kulturguts ausgerichtet. nach Mariä Lichtmess7 in Spergau ge kumentiert. Dieses unterliegt nicht per se dem Wan tragen werden, dabei auch verändert del, höchstens in dem Sinne, wie ein werden und schließlich als selbes, aber Museale Kernaufgaben Objekt interpretiert, eingeordnet und nicht als gleiches Objekt wieder in der kontextualisiert wird, was sich im Sammlung aufbewahrt werden?8 Darüber hinaus ist bei der Verortung Laufe der Zeit ändern kann. Anthony Ein Fokus auf dem immateriellen von immateriellem Kulturerbe im Mu Shelton, Direktor des Museum of An Kulturerbe im Museum bedeutet even seum vor allem die museale Kernauf thropology (MOA) an der University tuell, den Begriff des „Bewahrens“ zu gabe der Vermittlung gefragt. Die Ein of British Columbia spricht deshalb überdenken. Sicherlich wäre die fort beziehung und das Sichtbarmachen von einem Paradoxon, mit dem Mu dauernde Nutzung von Sammlungs von immateriellem Kulturerbe dyna seen in Bezug auf immaterielles Kul objekten die radikalste Form, im misiert materielle Sammlungen, indem turerbe umgehen lernen müssen: Wenn die Lebenswelten als Kontexte der Ob immaterielles Kulturerbe auf die eine 7 Mariä Lichtmess wird im christlichen Glauben jekte erläutert oder sogar praktiziert am 40. Tag nach der Geburt Jesu begangen. Es oder andere Weise als materielle Do rekurriert auf das Alte Testament. 40 Tage lang werden. Letztlich, so Dawson Munjeri, kumentation in eine Museumssamm galt eine Mutter nach der Geburt als unrein. Mit Experte für immaterielles Kulturerbe, dem Vorzeigen des Kindes im Tempel am 40. Tag lung Eingang findet, wie kann dann der endete dies. An Mariä Lichtmess finden vielerorts kann „das Materielle nur durch das Lebendigkeit von immateriellem Kul Prozessionen zu Ehren Marias statt. Die Spergau Immaterielle verstanden und interpre er Lichtmess wird immer am Sonntag nach Mariä turerbe Rechnung getragen werden?6 Lichtmess gefeiert: erstmals 1688 urkundlich er tiert werden.“9 Materielle Objekte kön wähnt zieht der Lichtmess-Läufer zusammen mit nen auch als Katalysator dienen, um weiteren Figuren an diesem Tag durch die Ort 6 Shelton, A. A. (2014): Re-totalizing Culture: Brea schaft. Die Spergauer Lichtmess treibt den Winter thing the Intangible into Museum Practice? In: aus und erinnert an Karnevalsbräuche. 9 Munjeri, D. (2004): Tangible and Intangible Heri Ethnologies, 36(1), S. 207–234, S. 218 f. Vgl. auch 8 Vgl. auch Verband der Museen der Schweiz (2015): tage: From Difference to Convergence. In: Museum Verband der Museen der Schweiz (2015): Lebendi Lebendige Traditionen in Museum. Empfehlun International 56(1–2), S. 12–20, S. 13, Übers et ge Traditionen in Museum. Empfehlungen. gen. S. 7. zung der Autorin. ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019 | 13
Ak tue lles Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Valerie Schmidt Foto: Freilichtmuseum Ekehagen Museum Europäischer Kulturen: Blick in die Ausstellung 100 Prozent Wolle immaterielles Kulturerbe lebendig zu Partizipation direkte Partizipation – der Trägerin halten und zu transformieren. nen von immateriellem Kulturerbe, der Die Ausstellung 100 Prozent Wolle Museen wie das MEK sind Orte der Museumsmitarbeiterinnen und der des MEK zeigt deshalb nicht nur Ob Begegnung und des Dialogs. Ein Fokus Museumsbesucherinnen – erfährt das jekte aus Wolle, sondern vermittelt tex auf immateriellem Kulturerbe greift immaterielle Kulturerbe eine neue, tile Kulturtechniken durch verschie dieses Verständnis der Institution Mu vielfältige Sichtbarkeit und Wertschät dene Zugänge: Neben Stationen, die seum auf und demokratisiert sie: Für zung. So ist es nur folgerichtig und die Haptik des Materials erfahrbar Ausstellungen, Vera nstalt ungen und überfällig, dass sich der diesjährige machen, können Besucherinnen und Workshops rund um das Thema Im 42. Internationale Museumstag und Besucher selbst das Häkeln, Stricken materielles Kulturerbe ist das Muse und die 25. ICOM-Generalkonferenz oder Weben ausprobieren – sonntags um häufig auf die Trägerinnen dieses in Kyoto dezidiert diesem Thema wid sogar unter Anleitung im Rahmen ei Erbes angewiesen. Sie werden von den men, denn Museen sind Orte, an de ner offenen Werkstatt. Wissen, das im Museumsmitarbeiterinnen als Exper nen auch in Zukunft lebendig mit Tra Schullehrplan nicht mehr vorkommt, tinnen verstanden, die ihr Wissen an ditionen umgegangen wird. wird über Museumsobjekte im Rah Museumsbesucherinnen weitergeben men der Ausstellung transportiert. können. Das Museum kann gleichzei Dr. Judith Schühle arbeitet als wissenschaft- Gleichzeitig dient die Textilsammlung tig mit seinem professionellen Abstand liche Mitarbeiterin am Museum Europäi des MEK auch als Ort der Inspiration zum Thema und durch seine histori scher Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin; für Studierende des Modedesigns, um schen Sammlungen das zeitgenössi j.schuehle@smb.spk-berlin.de. fast vergessene textile Techniken zu sche immaterielle Kulturerbe kontex revitalisieren und dadurch immateri tualisieren und den Wandel, den es Die Autorin verwendet das generische Fe- elles Kulturerbe zu transformieren. durchläuft, nachzeichnen. Durch diese mininum. 14 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles Ist Kleingärtnern ein immaterielles Kulturerbe? Das Kleingärtnern gilt als spießig und der Kleingarten als Inbegriff der kontrol- lierten Natur. Bei genauerer Betrachtung steckt in diesem Garten-Phänomen auch das Potential eines schützenswerten immateriellen Erbes. Ein Beitrag zur Debatte über ein einzigartiges Kulturrelikt. Klaus Neumann Zur Geschichte der deutschen Stadt- und Gesellschafts entwicklung und zum heutigen äußeren Erscheinungsbild vieler europäischer Metropolen gehört die vor mehr als zweihundert Jahren in Deutschland ins Leben gerufene Be wirtschaftung von Gartenflächen, welche damals seitens der staatlichen Obrigkeit kostenfrei oder gegen geringes Geld den sozial Schwächeren zur Verfügung gestellt wur den. In dieser Intention, dem Hunger und den dadurch zu erwartenden sozialen und politischen Unruhen entgegen zuwirken, wurden um 1806 in Kappeln an der Schlei von Landgraf Carl von Hessen die ersten kleinen Gartenanla gen erbaut. Aus diesem sozialen wie politisch bedingten En gagement hat sich in Deutschland das in dieser Form und Organisationsstruktur nahezu einzigartige Kleingarten Foto: Burkhard Träder wesen entwickelt. Immer im Fokus von kontroversen, sozialen, wirtschaft lichen, politischen, ideologischen und städtebaulichen Be gehrlichkeiten gibt es zahlreiche Vorurteile und negative Implikationen gegenüber dieser Naturkultur. „Beschrieben als kleinkarierte und kleingeistige Vereinsmeier, die ohne Im Kleingarten muss der Obst- und Gemüseanbau mindestens ein die Reglementierung ihrer Satzungsordnung nicht wüssten, Drittel der Fläche betragen. was sie tun sollen und ihren Garten für die Natur schlecht hin halten, während sie versuchen jegliche Natürlichkeit zu kontrollieren und zu vernichten, seien sie die Personifika tion kleinbürgerlichen Denkens und kleinbürgerlicher Wert turerbe definierten Kriterien, spiegelt sich das Kleingarten orientierung. … Über geordnete, nebeneinanderliegende wesen in einem völlig anderen Bild. Kleingärten werden getreu dem Spruch: ‚Wie der Gärtner, so der Garten‘, Rückschlüsse auf die Menschen gezogen, Vom Armengarten zum stadtkulturellen Reichtum die diese bewirtschaften.“1 Trotz wachsender gesellschaftlicher Akzeptanz und gro Die Anfänge des Kleingartenwesens liegen im 19. Jahrhun ßer Nachfrage ist dieses Element deutscher Sozial-, Bau- dert. Sie stehen im Zusammenhang mit der Industrialisie und Stadtkultur vielfach von falschen Ideologien geprägt. rung und den schnell wachsenden Handels- und Industrie Die Vorurteile resultieren wesentlich aus Unkenntnis über städten. Aufgrund der plötzlichen Bevölkerungszunahme die Anfänge und der Ignoranz gegenüber der Bedeutung und der damit einhergehenden Armut wurden auf Veran des Kleingartenwesens für die Umwelt-, Stadt- und Gesell lassung von barmherzigen Wohlhabenden sogenannte Ar schaftsentwicklung des 21. Jahrhunderts. mengärten angelegt. Ziel war es, den Armen eine Mög Lässt man diese Mischung aus Vorurteilen, Ignoranz lichkeit zu geben, eigenes Gemüse und Obst anzubauen, und Unkenntnis beiseite und eruiert die tatsächliche ge um somit dem Hunger und einer daraus resultierenden sellschaftliche, sozial- und baukulturelle Bedeutung dieses sozialen Unruhe entgegenzuwirken. 1806 war es Landgraf deutschen „Garten-Phänomens“ basierend auf a) evidenz Carl von Hessen, der die ersten kleinen Gartenanlagen er basierten Fakten zum Kleingartenwesen und b) den zur bauen ließ – eine in der damaligen Zeit bemerkenswerte Validierung für eine Anerkennung als immaterielles Kul „disruptive Innovation“. Bereits zwanzig Jahre später fand man solche Gärten für Ernährung und Befriedung in 19 weiteren Städten. In Kiel wurde 1830 von der „Gesell 1 Denkinger, K.: Sozial-ökologische Motivationen der Kleingarten-Nutzer und -Nutzerinnen Greifswalds. Universität Greifswald 2017, S. 3. schaft für freiwillige Armenfreunde“ städtischer Grund in ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019 | 15
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