Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland

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Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
Mitteilungen 2019

                                                 ISSN 1865-6749 | Heft 41 (26. Jahrgang)

MusEuM 4.0
Digitale Erweiterung der Sammlungsobjekte

iMMatEriEllEs KulturErBE
Traditionen bewahren und lebendig halten

nationalMusEuM in rio dE JanEiro
Über den Brand und die ersten Notfallmaßnahmen
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
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Geben Sie Besuchern die
Möglichkeit, immer neue Wege
und Ausstellungsstücke
zu entdecken und den Besuch
jedesmal anders zu gestalten.

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Rundgang-Navigation lassen
sich mit Smart Indoor Navigation
Führungen individuell variieren
und abwechslungsreich
gestalten.

           Impressum

           Heft 41 (26. Jahrgang),
           Erscheinungsweise: seit 2004 einmal im Jahr, Auflage: 7.500, Berlin, Juli 2019, ISSN 1865-6749

           Herausgeber: ICOM Deutschland e. V. (verantwortlich:
           Professor Dr. Beate Reifenscheid, Dr. Klaus Staubermann, Beate von Törne M. A.)
           Redaktion: Anke Ziemer
           Gestaltung: Claudia Bachmann, Berlin – www.besseresdesign.de
           Druck: Druckteam Berlin

           Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird die männliche Form in der Bezeichnung von Personen und Funktionen verwendet.
           Sie gilt im Sinne der Gleichbehandlung für Männer und Frauen gleichermaßen.
           Copyrights liegen bei den Autoren und Fotografen. Inhaber von Bildrechten, die wir nicht ermitteln konnten, bitten wir um Kontakt­
           aufnahme. Namentlich gekennzeichnete Beiträge entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder der Herausgeber.

           Titelfoto: Andreas Reeg, Städel Museum

           Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
           www.kulturstaatsministerin.de
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
Editorial

                                                                                                                         Foto: ICOM
Liebe ICOM-Mitglieder,

die Welt befindet sich spürbar in gravierenden Verände­         führt, wohl auch deshalb, weil die einen unrealistische For­
rungsprozessen. Sowohl auf der politischen, gesellschaftli­     derungen in die Diskussion warfen und die anderen den
chen wie auch auf der musealen Ebene.                           deutschen Museen eine ungerechtfertigte Hinhaltetaktik
  Im politischen Gefüge scheinen die Kontinente immer           und mangelnde Kooperation vorwarfen. Beides sind nicht
mehr auseinanderzudriften: Es entstehen neue Konflikte,         die geeigneten modi operandi, um in diesem Themenkom­
die von besonderer Schärfe und von vermeintlich unüber­         plex auf Augenhöhe mit den ehemaligen Kolonialländern
windbaren Gegensätzen geprägt sind. Der Brexit in Groß­         in den Dialog einzutreten. Wir haben unsererseits ein neues
britannien ist immer noch nicht zu Ende verhandelt (oder        Projekt angeregt und werden dieses im kommenden Jahr
gar endgültig vom Tisch) und Europa wird zunehmend              bereits starten, bei dem wir einen wechselseitigen Aus­
von neuen gesellschaftlichen Zentrifugalkräften in seinen       tausch von Museumprofessionals ermöglichen wollen. So
Grundfesten angetastet. Zugleich bedrohen Klimawandel           besteht die Chance, die Bedürfnisse und Vorstellungen der
und Umweltverschmutzung in einem bis dato nicht ernst           afrikanischen Partner mit den eigenen abzugleichen. Diese
und wahrgenommenen Ausmaß unsere eigene Existenz.               Maßnahme wird von ICOM wie auch vom Goethe-Insti­
Auf der großen Weltbühne nehmen sich da Fragestellun­           tut unterstützt. Wir werden diese konsequent ausbauen.
gen, Problemkreise oder auch die Entwicklung neuer Per­            Vieles von dem, was wir in den letzen intensiven Jahren
spektiven für die Museumslandschaft geradezu klein aus.         gemeinsam mit Vorstand und Geschäftsstelle angegangen
Aber auch hier wandeln sich die Zeiten immer rascher und        sind und in Projekten, Publikationen bis hin zu einem Re­
neue Herausforderungen gilt es mehr denn je gemeinsam           launch der Homepage auf den Weg gebracht haben, ver­
zu meistern.                                                    danken wir der verbesserten Einnahmesituation, die vor
  Sich selbst und die eigene Museumsinstitution auf die         allem durch die leicht angehobenen Mitgliedsbeiträge nun
digitale Transformation vorzubereiten, bedeutet für alle        machbar sind. Wir möchten deshalb an dieser Stelle herz­
eine große Umwandlung. Dazu gilt es, Strategien und Per­        lich für Ihr Vertrauen danken.
spektiven zu entwickeln und vor allem Visionen für ein
lebbares Morgen vorzubereiten. Museum 4.0 ist eines der
Großprojekte, das gerade in der Versuchsphase neue Lö­          Ihre
sungen, Ideen und erste Tools entwickelt. Auf unserer Jah­
restagung im November 2019 wollen wir das breite Spek­
trum an „Chancen und Risiken“ diskutieren und erhoffen
uns vor allem, den Blick auf das internationale Voranschrei­
ten dieser Transformationen werfen zu können. Die Vorträ­
ge und Ergebnisse werden wir dann zeitnah in einer neuen        Beate Reifenscheid
Publikation zugänglich machen.                                  Präsidentin ICOM Deutschland
  Im vergangenen wie auch in diesem Jahr befassten wir
uns intensiv mit der Kolonialismusdebatte, mit Fragestel­
lungen nach dem Umgang mit human remains, aber auch
mit der Aufarbeitung all jener Werke, die aus den ehemali­gen
Kolonialstaaten zumeist in europäische Museen verbracht
wurden. Die Debatte wurde anfänglich zum Teil hitzig ge­
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Inhalt

                                                                                                                                                                                                                Foto: Horniman Museum and Gardens, youtube.com
                                                                                          Foto: Kunstasyl

Aktuelles                                                                                                   Rückblick
Digitalisierung und Partizipation – zwei Trends,                                                            100 Years after the First World War
die zueinander passen                                                                                       Höhepunkte der europäischen Konferenz 2018 in Koblenz. . . . .  25
Mit neuen Konzepten gegen den Besucherschwund . . . . . . . . . . . . 5
                                                                                                            Re-Imagining the Human
Was macht eine gute digitale Strategie aus?                                                                 Objektbasiertes Lernen in ethnologischen Museen. . . . . . . . . . . .  28
CIDOC Working Group hilft bei der Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . 8
                                                                                                            Museum: ausreichend – die „untere Grenze“
Chancen und Nebenwirkungen – Museum 4.0                                                                     der Museumsdefinition
ICOM Deutschland lädt zur Jahrestagung 2019 ein . . . . . . . . . . . .  10                                 Höhepunkte des Internationalen Bodensee-Symposiums
                                                                                                            2018 in Friedrichshafen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  30
Auf die „inneren Werte“ kommt es an:
immaterielles Kulturerbe im musealen Fokus                                                                  „Annual Meetings Without Borders“
Ausstellen und Vermitteln bringen materielles und                                                           Juni-Treffen 2018 in Paris. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  33
immaterielles Erbe zusammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12

Ist Kleingärtnern ein immaterielles Kulturerbe?
Ein Beitrag zur Debatte über ein einzigartiges Kulturrelikt. . . . . .  15                                  Internationale Komitees
Archäotechnik – immaterielles Kulturerbe in der Praxis                                                      Museen – Medien – Macht oder: Hauptsache gelikt?
Mitmachaktionen halten Handwerkstechniken lebendig. . . . . . .  18                                         Erfahrungen im Umgang mit sozialen Medien. . . . . . . . . . . . . . . . .  35

Das Nationalmuseum in Rio lebt                                                                              Nutzen Sie das Netzwerk und machen Sie
Nach dem Brand und vor dem Wiederaufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . .  20                              sich für Museen stark!
                                                                                                            Deutsche Mitglieder in offiziellen Positionen bei ICOM. . . . . . . . .  38

                                                                                                            Generating and Tracing the „Provenance of Knowledge“
                                                                                                            CIDOC – International Committee for Documentation. . . . . . . . .  41

                                                                                                            Beating Barriers! Overcoming Obstacles to Achievment
                                                                                                            CIPEG – International Committee for Egyptology. . . . . . . . . . . . . .  42

                                                                                                            Contemporary Collections: Contested and Powerful
                                                                                                            COMCOL – International Committee for Collecting. . . . . . . . . . . .  43

        icomdeutschland                                                                                     Innovation and Fashion
                                                                                                            COSTUME – International Committee for Museums and
        @icomdeutschland                                                                                    Collections of Costume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  44

2 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
Foto: Rüdiger Kelm, Steinzeitpark Dithmarschen
                                                                                                          Foto: Setumaa; South-Estonia

                                                                                                                                         Umschau
Decorative Arts and Interiors                                                                                                            Freiwilligendienst in der Denkmalpflege
ICDAD – International Committee for Museums and                                                                                          Lübecker Jugendbauhütte – ein Erfolgsmodell. . . . . . . . . . . . . . . .  55
Collections of Decorative Arts and Design. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  45
                                                                                                                                         Publikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  58
Re-Imagining Museum in the Global Contemporary
ICME – International Committee for Museums                                                                                               Veranstaltungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  59
of Ethnography. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  46
                                                                                                                                         Vorstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  60
Personality and Time in the Museums Exposition
ICLCM – International Committee for Literary and
Composers’ Museums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  48

Communicating with Heart: Putting People in the Center
MPR – International Committee for Marketing
and Public Relations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  49

Memory and Identity – Memory and Art
IC MEMO – International Committee of Memorial Museums
in Remembrance of the Victims of Public Crimes. . . . . . . . . . . . . .  50

Cultural Heritage. Transition and Transformation
ICFA – International Committee of Museums and
Collections of Fine Arts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  52

                                                                                                                                                                   ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019                                           |3
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
Verbundprojekt Museum4punkt0 –
    Digitale Strategien für das Museum der Zukunft
                   Projektdauer: 2017–2020
                   Anzahl der Projektpartner: 6
           Fördersumme (BKM): 15 Millionen EUR

                     AK Tuelles
                              Immaterielles Kulturerbe
         Anzahl der in den UNESCO-Listen vertretenden Länder: 122
Anzahl der in den UNESCO-Listen vorhandenen Einträge insgesamt: 508
                                    Davon aus Deutschland: 4
Anzahl der Einträge im bundesweiten Register des Immateriellen Kulturerbes
             und im Register Guter Praxisbeispiele (2018): 97

 4 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
Ak tue lles

Digitalisierung und Partizipation –
zwei Trends, die zueinander passen
Das Publikum will nicht mehr nur Empfänger von Museumsarbeit sein, sondern
es will sich auch einbringen – am häufigsten digital. Mit Aufgeschlossenheit und
durchdachten Konzepten meistern die Museen die Herausforderungen von Digita-
lisierung und Partizipation und erhalten sich zugleich ihre analogen Besucher.

Thomas Schwark

„Partizipation“ ist in aller Munde, „Digitalisierung“ auch.
Überall im Land erarbeiten unsere Kolleginnen und Kollegen
zurzeit „digitale Strategien“ und suchen zugleich nach We­gen
zu zeitgemäßen Konzepten teilhabeorientierter Muse­ums­
arbeit. Denn was Politiker, Soziologen und Marketing-Profis
im Sinne gesteigerter Identifikation und Kunden­­bindung
propagieren, hat als Option auf Quotensteige­rung auch die
Museen erfasst, denen angesichts hoch verdichteter Mitbe­
werberstruktur am Freizeitmarkt wieder einmal eine Exis­
tenzkrise bescheinigt wird. Tatsächlich wird unter dem
Schlagwort Audience Development allenthalben nach Lö­
sungen für den spürbaren Publikumsschwund gesucht. Ne­
ben dem Lamento vom Rückgang des „Bildungsbürger­

                                                                                                                              Foto: Deutsches Museum
tums“ gelten die Individualisierung und Säkularisierung der
Interessen, (wechselnde) Nachfrage nach unterschiedlichen
Kulturformaten, steigende Attraktivität diverser kultureller
Inhalte und digitale Angebote als Begründungszusammen­
hänge. Hinzu kommt, dass in der Realität von Migrations­
gesellschaften kleinräumig-nationale Identitäten – und ihre
Institutionen – zunehmend an Bedeutung verlieren. Zudem
sind im Bereich klassischer Museumsinhalte längst andere,
ubiquitäre – gegebenenfalls unterhaltsamere – Medien ver­
fügbar, und es besteht der Verdacht, dass ein auf One-Way-
Rezeption angelegter Vermittlungsmodus den Interessen des
Publikums vielfach nicht mehr entspricht. Einbeziehung der
Menschen, um die es uns geht, tut also not.

Paradigmenwechsel unumgänglich?
                                                                                                                              Foto: Deutsches Museum

Doch manch ein Kollege tut sich schwer mit der Beteiligung
von Laien an den elementaren Arbeitsfeldern der Museen,
zudem womöglich mit digitalen Instrumenten, versteht sich
das Museum doch als (H)Ort analoger Bild- und Ding­
welten, mithin einer entsprechenden „Konträrfaszination“
(Korff) zum zurzeit wirkmächtigen gesellschaftlichen Im­        Das Deutsche Museum geht mit seiner neuen Ausstellungs-App
perativ des Digitalen. Oder geht womöglich beides ideal zu­     (oben) und seinem Virtual-Reality-Lab (unten) weitere Schritte in
sammen: Können künftig elektronische Kommunika­tions­­          die digitale Zukunft.
mittel, etwa die allfälligen Social Media, zu einem allseits
bereichernden, Teilhabe ermöglichenden Zusammenwirken
führen?                                                         dem Feld einer populären Vermittlung mögen teilhabeorien­
  Partizipative Konzepte werden in Museumskreisen nicht         tierte Projekte durchaus ihre Berechtigung haben, doch
nur begrüßt. Kritikerinnen und Kritiker befürchten eine         müsse das Kerngeschäft: der forschend-bewahrende Um­
McDonaldisierung (Kirchberg), d. h. den Niveauverfall der       gang mit der Sammlung sowie das wissenschafts- und äs­
Museen, eine inhaltliche Verflachung und die drohende           thetikgeleitete Kuratieren der Ausstellungen gleichbleibend
Mutation der Häuser zu soziokulturellen Treffpunkten. Auf       in professionellen Händen liegen.

                                                                              ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019       |5
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
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                                                                                               die aktive Mitwirkung ehrenamtlich Tätiger lässt sich in
                                                                                               bestimmten Fachgebieten kaum wegdenken: Unschätzbar
                                                                                               ist stets die Unterstützung durch Laien gewesen – etwa in
                                                                                               entomologischen und archäologischen Sammlungen oder
                                                                                               in den augenblicklich stark wachsenden Fotobeständen der
                                                                                               kulturgeschichtlichen Häuser. In dem Maße, wie sich etwa
                                                                                               geschichtsinteressierte Laien digitaler Netzwerke bedienen,
                                                                                               um sich zu historischen Themen zu informieren und ihre
                                                                                               Fachkenntnisse über das Internet zu teilen, eröffnet sich die
                                                                                               Chance, Online-Diskussionen über Museumsprojekte zu
                                                                                               führen: Vom Chat-Kommentar zur Ausstellung über das
                                                                                               Statement als Zeitzeuge bis zur Mitteilung der eigenen Per­
                                                                                               spektive auf ein Exponat reichen die Möglichkeiten.
                                                                                                  Partizipative Arbeit ist für Museen keinesfalls neu. Ob
                                                                                               vereinsgetragen oder auf Initiative von Stifterinnen und
                                                                                               Stiftern und Herrschenden – die meisten um 1900 gegrün­
                                                                                               deten Häuser übten auf Laien stets eine große Faszination
                                                                                               aus, die oft mit leidenschaftlichem Interesse einherging.
                                                                                               Spätestens mit der Reformpädagogik der 1920er Jahre und
                                                                                               den auf Breitenwirkung zielenden Kunstauffassungen von
                                                                                               Alfred Lichtwark sowie verstärkt mit den kulturpolitischen
                                                                                               Vorstellungen der 1970er Jahre erhielten Didaktik und
                                                                  Screenshots: Michael Faber

                                                                                               Vermittlungsintentionen einen gesteigerten Stellenwert. Ana­
                                                                                               log zu vergleichbaren Bewegungen in Frankreich, Groß­
                                                                                               bri­tannien, Südamerika und den USA galt es nun, mehr und
                                                                                               solche Besucherinnen und Besucher für Museumsinhalte
                                                                                               zu interessieren, die nicht zum Kreis stabiler sozialer Mili­
                                                                                               eus und hoher formaler Bildung gehörten. Gelegentlich gab
Partizipation: Anlässlich einer Jubiläumsausstellung beteiligten sich                          es unter dem Postulat „Kultur für alle“ bereits Überlegun­
zahlreiche Gäste an einer Fotoaktion des Freilichtmuseums Kom-                                 gen hinsichtlich einer (mit-)gestaltenden Aktivierung der Be­
mern. Sie stellten auf dem Instagram-Profil ihre Selfies ein. Das Mu­                          sucherinnen und Besucher.
seum lieferte den goldenen Rahmen und fotogene Accessoires.                                       Als weitreichend erweisen sich schon jetzt die Möglich­
                                                                                               keiten digitaler Kommunikation hinsichtlich der Mitwir­
                                                                                               kung breiter Kreise an Museumsprojekten. Was für die täg­
                                                                                               liche Kommunikation mit professionellen Gestaltern längst
                                                                                               gilt: Datentransfer auf Projektplattformen – kann auch bei
                                                                                               der Reflexion fertiger Ausstellungen, in Debatten um ihre
                                                                                               Inhalte und Aussagen, besser noch im statu nascendi eines
                                                                                               Vorhabens funktionieren. Digitale Kommunikation ermög­
                                                                                               licht einem gleichsam „offenen Projektteam“ die Diskus­
                                                                                               sion.

Rückblick                                                                                      Offenheit und Wertschätzung

Digitale Instrumente sind in vielen Museen seit den 1990er                                     Partizipative Konzepte sind vordergründigen Bildungs- und
Jahren eingeführt und längst als unverzichtbar akzeptiert –                                    Unterhaltungsformaten immer dann überlegen, wenn sie
im Sinne zeitgemäßer Objekt- und Bilddatenbanken, im                                           die Expertise des Publikums ernst nehmen und zulassen,
Austausch von wissenschaftlichen Erkenntnissen und im                                          dass sie in Sammlungs-, Ausstellungs- und Vermittlungs­
allgemeinen Nachrichtenverkehr. Doch erst allmählich be­                                       projekte einfließt. Gute Erfahrungen haben Kuratorinnen
dienen sich Sammlungsverantwortliche der populären so­                                         und Kuratoren dazu zum Beispiel in naturkundlichen Mu­
zialen Netzwerke, um nicht nur Fachexpertinnen und                                             seen gemacht, wenn sie etwa Fachleute aus Tierschutz- und
-experten konkollegial zu informieren, sondern auch inte­                                      Umweltinitiativen beteiligen. Zeitzeuginnen und Zeitzeu­
ressierte Laien zur Debatte aufzufordern – etwa über Datie­                                    gen der Gruppe 50 plus erweisen sich in stadt- und regio­
rungen, materialkundliche Erkenntnisse, Inhalte und Be­                                        nalgeschichtlichen Häusern regelmäßig als kompetente
deutungen von Kulturgut.                                                                       Korrektive zu zeitgeschichtlichen Themen. Wertvolle Infor­
  Auch die Idee der Partizipation ist für die meisten Mu­                                      mationen können Vertreterinnen und Vertreter der MINT-
seen überaus naheliegend. Was die Bestände unserer Häuser                                      Berufe zu Problemstellungen technikgeschichtlicher Mu­
angeht, so speisen sich etliche davon – ganz oder zu Teilen –                                  seen liefern. Und nicht zuletzt Kunstmuseen mit Beständen,
aus dem Engagement von Sammlerinnen und Sammlern                                               die auf Sachstiftungen oder Vermächtnisse zurückgehen,
und Laien-Forschenden, oft von großartiger Sachkenntnis                                        profitieren von oft profunder Kennerschaft der jeweiligen
und akribischer Dokumentation der Stücke begleitet. Auch                                       Samm­lerinnen und Sammler und ihrem sehr speziellen

6 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
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                                                                                                                                        Screenshot: Hessischer Rundfunk; youtube.com
Eröffnung der Ausstellung Die Bullibauer (2016) im historischen Museum in Hannover anlässlich des 60jährigen Jubiläums der Transporter-Pro-
duktion in Hannover: Neben Fahrzeugen aus der werkseigenen Sammlung sind Margot Krey und ihre Kolleginnen und Kollegen Teil der Aus-
stellung, die als Zeitzeugen von ihren Erlebnissen berichten.

Wissen. Und weil sich aktives Sammeln gegenwärtig des                  Kompetenz und Konzepte
Internethandels bzw. zeitgemäßer auction technology be­
dient, beherrscht die Schar der einschlägig Interessierten             Unabhängig von vermeintlichen oder tatsächlichen Nach­
die elektronische Kommunikation zunehmend perfekt.                     fragekrisen tun Museen aller Sparten – anknüpfend an viel­
   Wie effektiv und befriedigend sich partizipative Muse­              fältige, einschlägige Erfahrungen – gewiss weiter gut daran,
umsprojekte erweisen, wie weit die Mitwirkungsintensität               sich zunehmend partizipativen Erarbeitungsprojekten zu
reicht, hängt von der Aufgeschlossenheit der Verantwort­               öffnen. Doch kein Zweifel: Auch und gerade Beteiligungs­
lichen – etwa für ein Ausstellungsvorhaben – ab. Dabei                 konzepte kommen ohne professionelle Expertise und ohne
reicht das Spektrum von der Beratung des Projektes durch               museumswissenschaftliche Kompetenz nicht aus. Viele Be­
versierte Laien-Expertinnen und -Experten in einzelnen                 sucherinnen und Besucher scheinen immer dann besonders
Sach- und Fachfragen über die Entscheidung zu Inhalten                 zufrieden zu sein, wenn Museen Anschauung, Wissensan­
oder zur Präsentationsästhetik ganzer Abteilungen bis zur              eignung und Unterhaltung ermöglichen und zugleich Ak­
weitgehenden Übernahme des Gesamtprojektes durch ein                   tionsräume für die Erprobung neuer Fähig- und Fertig­
Team von Laien; allenfalls Aufgaben der formalen Steue­                keiten sind. Freilich: Instrumente digitaler Kommunikation
rung, der finanziellen Absicherung und der musealen Infra­             können die erwünschten Prozesse auf beinahe allen Feldern
struktur verbleiben dann bei den Museumsprofis. Wenn                   der Museumsarbeit erleichtern und aktive Teilhabe ermög­
sich die Vorstellung von „Partizipation“ mit gemeinsamem               lichen.
Tun, Nutzen und Erleben, mit nützlichem Gedanken- und                     Und doch sind Museen für viele Menschen vor allem auch
Erfahrungsaustausch verbindet, kann gerade digitale Kom­               Refugien, deren ganz besondere Atmosphäre sie schätzen,
munikation die Teilhabe fachlicher Laien sehr erleichtern.             wo sie flanieren, entspannen und passiv genießen können –
Sie erlaubt schnelle Interaktion zur Bedeutung von Bil­                ganz analog.
dern und Exponaten, erweitert das Spektrum der Inter­
pre­tatio­nen, erleichtert Recherchen zu Hintergrund- und              Professor Dr. Thomas Schwark ist Direktor der Museen für Kulturge-
Kontext­informationen, die aus unterschiedlichem Fach-                 schichte Hannover; Thomas.Schwark@Hannover-Stadt.de.
und Erlebenswissen erwachsen. Allerdings ergibt sich aus
beteiligungsorientierten Erarbeitungsprozessen womöglich
ein verändertes Aufgabenverständnis, das Wissenschaftle­
rinnen und Wissenschaftler in die Situation einer lernenden
Partnerschaft versetzt. Denn fachlich und nicht zuletzt auf
dem Feld digitaler Anwendungen mag sich manch Außen­
stehender gelegentlich als überlegen erweisen.

                                                                                      ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019         |7
Mitteilungen 2019 - ICOM Deutschland
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Was macht eine gute digitale Strategie aus?
Die Museen weltweit werden immer digitaler und müssen entscheiden, ob und wel-
che digitale Strategie sie wählen. Die neu gegründete CIDOC Working Group for
Digital Strategy Development wird Museen künftig darin unterstützen.

Ja­n Behrendt

Digitale Strategien sind in der Museumswelt kein neues           (oder umgekehrt)? Die Folge ist nicht selten, dass Objekte
Thema. Die meisten großen Museen und viele kleinere              innerhalb weniger Monate mehrmals bewegt und fotogra­
Häuser haben bereits digitale Strategien erarbeitet. Die her­    fiert werden. Mit einer allgemeinen Festlegung von Qua­
kömmliche Karteikartendokumentation wurde in der Re­             litätskriterien im Bereich der Digitalisierung und einem
gel durch eine Museumsdatenbank ersetzt und das digitale         sachgerechten Ablauf der Digitalisierung (einschließlich
Angebot von Museen wächst täglich. Und doch existiert            kommunikativer Beteiligungsverfahren) lassen sich derar­
noch kein einheitliches Verständnis von dem, was eine digi­      tige Ineffizienzen verhindern. Eine gute digitale Strategie
tale Strategie eigentlich ist.                                   berücksichtigt die Bedürfnisse der verschiedenen Akteure
                                                                 im Museum, hilft bei der Identifikation gemeinsamer In­
Zu eng                                                           teressen und dient der Abstimmung von Arbeitsabläufen.

So wird die digitale Strategie eines größeren englischen         Neue Konzepte
Kunstmuseums mit dem Hinweis eingeleitet, dass es das
Ziel des Papiers sei, Besucherinnen und Besuchern der Mu­        Neue Konzepte, wie etwa das Sammeln digitaler Objekte
seumswebseite ein digitales und kulturelles Erlebnis zu          (Digitalifakte) oder die digitale Restaurierung, kommen in
bieten, das auf das Haus neugierig macht und zum Besuch          den bisher veröffentlichten digitalen Strategien noch kaum
motivieren soll. Es folgt ein Text, strukturiert nach den drei   vor. So hört man im Bereich der militärgeschichtlichen Mu­
Sinneinheiten „Vor dem Besuch“, „Während des Besuches“           seen immer wieder die Fehleinschätzung, dass das Fehlen
und „Nach dem Besuch“. Die Konzentration auf die Besu­           größerer Feldpostsammlungen zu den Jugoslawien- und
chererfahrung macht diese digitale Strategie zu einem Do­        Afghanistaneinsätzen der Bundeswehr an einer vermeint­
kument, das in anderen Häusern vielleicht Strategie für          lichen Schreibfaulheit der Soldaten liege (dies wird gerne
Online-Kommunikation genannt würde. Hinweise auf an­             kontrastiert zu den umfangreichen Feldpostbeständen des
dere Arbeitsbereiche, wie etwa die Digitalisierung, die Do­      Ersten und Zweiten Weltkriegs). Die Einsicht, dass die Feld­
ku­menta­tion oder die digitale Langzeitspeicherung fehlen.      post aus den jüngeren Kriegen lediglich das Medium ge­
Eine gute digitale Strategie erfasst digitalen Wandel überall    wechselt hat, aber sehr wohl existiert, kommt in diesem
dort, wo er in einem Museum sinnvoll ist.                        Zusammenhang nur schleppend. Eine zeitgemäße digitale
                                                                 Strategie sollte an dieser Stelle darauf eingehen, wie man
Zu weit                                                          E-Mails, Chatprotokolle oder Messengerdienstdaten sam­
                                                                 melt (und sich nicht nur auf einzelne Screenshots beschränkt).
Ein anderes Haus titelt in dieser Hinsicht vielversprechen­      Das Sammeln digitaler und physischer Objekte muss unter
der: Digital as a Dimension of Everything und entwickelt         Umständen miteinander verknüpft werden, etwa wenn
dann einen Text, der digitalen Wandel als Imperativ auf          man bei besonderen Fahrzeugen Systemdaten speichert und
allen Ebenen des Museumslebens beschreibt. Dies mag für          zur authentischen Wiedergabe auch die passenden Wieder­
all jene befremdlich klingen, die das Museum vor allem als       gabe- und Betriebssysteme benötigt. Digitales Sammeln
physisch erlebbaren Erfahrungsraum begreifen, der besucht        kann rechtliche und programmiererische Herausforderun­
werden kann und somit weit über das rein digitale Erlebnis       gen aufwerfen, etwa wenn bei einer Software Lizenzfristen
hinausgeht. Eine gute digitale Strategie weist dem Digita­len    aufgehoben werden müssen, damit eine langfristige Nut­
seinen angemessenen Platz im Museumsleben zu und ver­            zung möglich ist.
meidet das wahllose Aufspringen auf vermeintliche Trends.
Sie fügt sich in die allgemeine politische Selbstpositionie­     Falsche Prioritäten
rung und Arbeitsstrategie eines Museums ein. Ihr geht eine
Analyse des eigenen Hauses, des Umfeldes und der festzule­       Gerade das virtuelle Ausstellungswesen verschlingt viele
genden Prioritäten im Bereich des digitalen Wandels voraus.      Ressourcen, die für die grundlegende Bewältigung des di­
                                                                 gitalen Wandels an anderen Stellen dringender benötigt
Nicht vernetzt                                                   werden. Genervte Museumsmitarbeiter wissen zu berich­
                                                                 ten, dass das eigene Haus keinen Plan zur Vermeidung von
Wer kennt nicht die Situation, dass aufwendig gefertigte         Dateikorruption habe, so dass Digitalifakte im Begriff
Objektfotos der Kommunikationsabteilung nicht den Qua­           seien, für immer verlorenzugehen, während die zuständige
litätsansprüchen der Dokumentationsabteilung genügen             Museumsleitung alle für den digitalen Wandel vorgesehe­

8 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles
Foto: Andreas Reeg, Städel Museum

                                    Viele Museen konzentrieren sich bei ihren digitalen Aktivitäten auf den Bereich Besuchererfahrung, etwa auf Ausstellungs-Apps für Mobilge-
                                    räte: Augmented Reality ermöglicht die Interaktion mit Objekten, indem Besucher die Gerätekamera auf ein reales Ausstellungsobjekt richten
                                    und ergänzende Informationen oder 3D-Präsentationen erhalten.

                                    nen Ressourcen in eine werbewirksame 3D-Ausstellung auf                Arbeitsgruppe einige Checklisten und Musterdokumente
                                    der Webseite des Hauses investiert habe.                               erarbeiten, die Museen bei der Entwicklung eigener digi­
                                                                                                           taler Strategien helfen sollen. Hierfür werden durch die Ar­
                                    Gute Beispiele finden                                                  beitsgruppenmitglieder zunächst Bedarfsträgergruppen
                                                                                                           (Stakeholder) innerhalb von Museen identifiziert und An­
                                    Erfahrungen wie diese haben im Rahmen der ersten ge­                   sprüche, die an digitale Stra­tegien gestellt werden, gesam­
                                    meinsamen COMCOL-CIDOC-Konferenz (Rio de Janeiro                       melt. Anschließend werden bereits existierende digitale Stra­
                                    2017) und dann bei weiteren CIDOC-Tagungen (Tiflis 2017,               tegien ausgewertet und Problemlösungswege verglichen.
                                    Kreta 2018) zur Gründung einer Arbeitsgruppe zur Ent­                  Ergebnisse der anderen CIDOC-Arbeitsgruppen (wie Di­
                                    wicklung digitaler Strategien geführt. Die Working Group               gital Preservation, Museum Process Implementation, CRM
                                    for Digital Strategy Development möchte die Idee einer                 oder LIDO) werden in den Musterdokumenten verarbeitet
                                    umfassenden, auf die jeweilige Institution zurechtgeschnit­            und somit auch Ansätze zur praktischen Nutzung vorge­
                                    tenen digitalen Strategie verfolgen und verbreiten. CIDOC              schlagen.
                                    wendet hierbei einen sehr weiten Dokumentationsbegriff
                                    an, der sämtliche Bereiche der Informationsverwaltung und              Jan Behrendt ist Sammlungsleiter am Militärhistorischen Museum
                                    Informationsbereitstellung in Museen umfasst. Die dem Do­              Flugplatz Berlin-Gatow. Als gewähltes Vorstandsmitglied bei CIDOC
                                    kumentationsausschuss zugeordnete Arbeitsgruppe sucht                  beaufsichtigt er die CIDOC Training Association und leitet die Wor-
                                    die Nähe zu den verwandten Ausschüssen für Sammlung                    king Group for Digital Strategy Development;
                                    (COMCOL) und Museumsmanagement (INTERCOM).                             Jan1Behrendt@bundeswehr.org.

                                    Praktische Hilfen                                                      Weitere Informationen:
                                                                                                           Arbeitsergebnisse der Working Group for Digital Strategy Develop-
                                    Bis zur nächsten Arbeitsgruppensitzung im Rahmen der                   ment oder bei Interesse an der Mitarbeit:
                                    kommenden ICOM-Generalkonferenz in Kyoto wird die                      http://network.icom.museum/cidoc

                                                                                                                          ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019        |9
Ak tue lles

Chancen und Nebenwirkungen –
Museum 4.0
ICOM Deutschland lädt zur Jahrestagung ins Schloss Nymphenburg nach München
ein. Rund dreihundert Experten aus Museumswesen und weiteren Diszipli­n en
werden vom 14. bis 16. November intensiv über die Perspektiven der Museen im
Zeitalter der Digitalisierung diskutieren.

Die ebenso massenhafte wie kommerzielle Nutzung des             werden einen besonderen Stellenwert erhalten. Neben den
Internets begann Ende des 20. Jahrhunderts. E-Mail und          Vorträgen mit anschließender Fragerunde wird das Format
Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter und You­         Workshop den Freitag­nachmittag einnehmen. In die Work­
tube bieten wenige Jahre später die Möglichkeit zum Aus­        shops sind Vertreter der internationalen ICOM-Fachkomi­
tausch in nahezu alle Länder der Welt in Echtzeit. Konti­       tees Audiovisual and New Technologies of Image and Sound
nente und kulturell verschiedene Gesellschaften rücken im       (AVICOM), Documentation (CIDOC) und Edu­cation and
Global Village für jeden spürbar enger zusammen.                Cultural Action (CECA) sowie u. a. die Koordinierungsstelle
                                                                für wis­senschaftliche Universitätssammlungen in Deutsch­
Museen im digitalen Zeitalter                                   land und das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) ein­
                                                                gebunden.
Entgrenzte Kommunikation, digitale Medien und Techno­              Es ist gelungen, das dem Tagungsort benachbarte Maria-
logien bedeuten Veränderungen in allen Arbeits-, Lebens-        Ward-Gymnasium als weiteren Partner zu gewinnen. Dort
und Erfahrungsbereichen, von denen auch Museen nicht            stehen uns am Freitagnachmittag Klassenräume mit mo­
ausgeschlossen sind. Eine zunehmend diverse Gesellschaft        derner Technik zur Verfügung, in denen verschiedene The­
trifft auf eine traditionsreiche Institution, die unter enor­   men in kleinen Gruppen diskutiert werden. Moderatoren
mem Anpassungsdruck und Legitimationszwang steht. Ein           leiten die jeweiligen Workshops. Es ist vorgesehen, Schüle­
heterogener werdendes Publikum mit unterschiedlichen            rinnen der Abiturstufe des Mädchengymnasiums den Mo­
kulturellen Prägungen, Erwartungen und individuellen Be­        deratoren assistierend zur Seite zu stellen. – Hier wird der
dürfnissen will erkannt und gewonnen werden, unterschied­       potenzielle Nachwuchs ganz praktisch einbezogen.
liche Interessens- und Wissensstände erfordern ein breit an­
gelegtes Vermittlungsangebot.                                   Rahmenprogramm
   Museen reagieren mit vielfältigen Strategien auf die He­
rausforderungen des digitalen Wandels. So bereiten immer        Für den Exkursionstag am Samstag sind Besuche unter an­
größer angelegte Forschungsvorhaben und Förderinitiativen       derem in das Deutsche Museum, in das BMW-Museum
das Museum 4.0 vor, mit der Absicht einer Aufarbeitung          und in das Studio München von Wikimedia Deutsch­land
der musealen Bestände im digitalen Netz und der erstrebten      geplant. Austausch und Diskussion sind eben­so in den
Einbindung aktueller und neuer Zielgruppen. Es gilt Fra­        Abend­veranstaltungen möglich. Einmal am Tagungsort im
gen zu beantworten wie beispielsweise: Welche Bedeutung         Schloss Nymphenburg nach der Mitgliederversammlung
hat das Zahlenkürzel 4.0 für das Sammeln, Forschen, Be­         und am Freitag in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus
wahren und Vermitteln in Museen von heute und morgen?           beim Empfang der Stadt München. ICOM Deutschland,
Wie lässt sich diese neue Realität beschreiben, die für viele   die Bayerische Schlösserverwaltung und das Kulturamt der
Menschen zum Lebensalltag geworden ist, und welche Wir­         Stadt München, die die Jahrestagung gemeinsam ausrich­
kungen hat sie auf Museen, ihr Selbstverständnis und ihre       ten, freuen sich auf Sie.
Arbeitsweise? Was ist Chance und was ist Diktat, was sinn­
voll und was unsinnig, was sind die „Risiken und Neben­         Netzwerktreffen für Berufsanfänger
wirkungen“ einer digitalen Realität für Museen? Die Jahres­
tagung von ICOM Deutschland versteht sich als Plattform,        Am 14. November wird von 10 bis 12 Uhr erstmalig ein
um Pros und Contras auszutauschen und über sinnvolle            Treffen für Berufsanfänger stattfinden. Willkommen sind
digitale Strategien zu diskutieren.                             alle Tagungsteilnehmer, die Studenten, Volontäre oder
                                                                Frei­berufler/Museumsmitarbeiter sind, deren Berufsein­
Mitmachen und voranbringen                                      stieg nicht länger als fünf Jahre zurückliegt. Die Veran­
                                                                staltung findet als Speed-Meeting in mehreren kleinen
Im ersten Tagungsteil haben wir Vorträge von ausgewiese­        Workshop-Runden statt, in denen sich die Teilnehmer
nen Museumsfachleuten vorgesehen, so beispielsweise aus         austauschen und zu Fragestellungen des Tagungsthemas
der Landesstelle der nichtstaatlichen Museen in Bayern, wie     ins Gespräch kommen. Das Ziel der Veranstaltung ist es,
auch Beiträge u. a. aus dem Fachgebiet Digital Humanities,      sich in lockerer Atmosphäre auf das Tagungsprogramm
einer europäischen Kulturerbe-Forschungsallianz und einer       vorzubereiten und mit anderen Berufseinsteigern zu ver­
der größten Hackervereinigung. Austausch und Diskussion         netzen.

10 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles

                                                                                                                             Foto: AHert, wikimedia CC BY-SA 3.0
Schloss Nymphenburg in München

Mitgliederversammlung und Wahl des Vorstandes                    Bitte beachten Sie, dass Mitglieder bei Nichtanwesen­
                                                               heit auf der Mitgliederversammlung ihr Stimmrecht auf
ICOM Deutschland wird seine diesjährige Mitgliederver­         andere stimmberechtigte Mitglieder schriftlich übertragen
sammlung im Rahmen der Jahrestagung am 14. November            können, wobei jedes Mitglied zur Vertretung von höchs­
durchführen. Dem dreijährigen Turnus von ICOM ent­             tens zwei abwesenden Mitgliedern bevollmächtigt werden
sprechend, stehen in der Mitgliederversammlung Wah­len         kann. Eine Vorlage zur Übertragung des Stimmrechts er­
für das Amt der Präsidentin/des Präsidenten und des Vor­       halten Sie in der Geschäftsstelle.
standes für die Jahre 2020 bis 2022 an. Für die Mitarbeit im
Vorstand sind insgesamt sechs Sitze zu vergeben. Des           Vorstand ICOM Deutschland
Weiteren werden gemäß der Satzung von ICOM Deutsch­
land der Kassenprüfer/die Kassenprüferin sowie dessen/
deren Stellvertreter(in) gewählt, die nicht dem Vorstand an­
gehören dürfen. ICOM-Mitglieder, die bereit sind, Ver­
antwortung und Aufgaben zu übernehmen, sind herzlich
eingeladen, sich um ein Amt zu bewerben. Es ist wünschens­
wert, dass sich im Vorstand des Verbandes die Verschieden­
artigkeit der Museumslandschaft in Deutschland ebenso
spiegelt wie Alter, Geschlecht und kultureller Hintergrund
der dort tätigen Museumsfachleute. Wir bitten alle Bewer­      Weitere Informationen:
berinnen und Bewerber, ihre Kandidatur bis spätestens zum      Tagungsort: Schloss Nymphenburg, Orangerietrakt
30. September 2019 der Geschäftsstelle schriftlich mitzu­      Anmeldung und Programm sowie Hinweise zu Reisebeihilfen für
teilen. Wir stützen uns dabei auf den in der Satzung von       Mitglieder der Kategorie „Student“:
ICOM Deutschland geregelten Wahlmodus, aber auch auf           www.icom-deutschland.de/tagung
die Wahlregularien des Internationalen Museumsrats
ICOM. Im Oktober werden die Kandidatinnen und Kandi­           Es ist vorgesehen, die Vorträge und Ergebnisse der Workshops in
daten auf unserer Webseite bekannt gegeben.                    einem Tagungsband zu veröffentlichen.

                                                                           ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019     | 11
Ak tue lles

Auf die „inneren Werte“ kommt es an: im-
materielles Kulturerbe im musealen Fokus
Lebendige Traditionen werden durch ihre Trägerinnengemeinschaften angewen-
det und weiterentwickelt. Objekte, in denen sich die Traditionen materialisieren,
werden häufig in Museen bewahrt. Durch partizipatives Ausstellen und Vermit-
teln können sie dazu beitragen, dass materielles und immaterielles Kulturerbe in
identitätsstiftender Weise zusammengeführt wird.

Judith Schühle

Wer schon einmal versucht hat, einer                   umsdefinition von ICOM verankert                    reich, der Slowakei, Tschechien und
Person das Fahrradfahren zu erklären,                  ist: „A museum is a non-profit, per­                Ungarn praktiziert wird.
am besten noch telefonisch, der wird                   manent institution in the service of
schnell an seine Grenzen stoßen: Was                   society and its development, open to                Museen –Zukunft lebendiger
viele in der Kindheit durch wiederhol­                 the public, which acquires, conserves,              Traditionen
tes Üben gelernt haben, ist tief ver­i n­              researches, communicates and exhibits
ner­licht, dem Körper eingeschrieben.                  the tangible and intangible heritage                Innerhalb der internationalen Muse­
Die einzelnen ineinandergreifenden                     of humanity and its environment for                 umslandschaft wird das immaterielle
Abläufe so wiederzugeben, dass eine                    the purposes of education, study and                Kulturerbe 2019 noch weiter in den
zweite Person sich zum ersten Mal im                   enjoyment.“2 Ein Jahr zuvor war auf                 Vordergrund gerückt: Der internatio­
Leben mühelos auf einem Fahrrad fort­                  der UNESCO-Generalkonferenz die                     nale Museumstag am 19. Mai stand
bewegen könnte, ist schier unmöglich.                  Convention for the Safeguarding of                  unter dem Motto „Museen – Zukunft
Doch einmal erlernt, geschieht der                     the Intangible Heritage verabschiedet               lebendiger Traditionen“. Das diesjäh­
Ablauf intuitiv, alle Sinne werden ein­                worden – ein Durchbruch jahrelanger                 rige Thema greift die Verzahnung auf,
gesetzt und wissen, was zu tun ist: Der                Bemühungen, das immaterielle dem                    die die UNESCO als Voraussetzung
Mensch und das Objekt verbinden sich                   materiellen Kulturerbe gleichzustellen.             für die Aufnahme in das Bundesweite
zu einem Bewegungsablauf.                              Seither führt die UNESCO eine reprä­                Verzeichnis des Immateriellen Kultur­
  Verkörpertes Wissen prägt das Le­                    sentative Liste des immateriellen Kul­              erbes versteht: Es werden nur Tradi­
ben der Menschen auf der ganzen                        turerbes der Menschheit. Deutschland                tionen aufgenommen, die „lebendig“
Welt – beim Nutzen und beim Her­                       trat der Konvention 2013 bei, die Deut­             sind, also jene, die kreativ weiterver­
stellen von Dingen.1 Dabei wirkt es                    sche UNESCO-Kommission nimmt                        mittelt werden und sich dem Wandel
meist im Verborgenen und wird, ein­                    seither verschiedene Formen des imma­               der Gegenwart anpassen. Dazu gehört
mal erlernt, als selbstverständlich emp­               teriellen Kulturerbes in ein bundes­                auch, dass immaterielles Kulturerbe
funden. Selten reflektiert man über                    weites Verzeichnis auf. 3 Von ehemals               inklusiv sein soll, d. h. identitätsstif­
diese Fähigkeiten im Alltag. Im Muse­                  27 Einträgen ist es zwischenzeitlich                tend für alle Menschen: für jene, die
um aber wird man unweigerlich damit                    auf 97 Einträge angewachsen. Darun­                 damit aufgewachsen sind, aber auch
kon­frontiert: Durch die auratische Auf­               ter befinden sich handwerkliche Tech­               für jene, die sich das Wissen und Kön­
ladung von Objekten, also materiellen                  niken wie das Flechthandwerk, Feste                 nen erst später angeeignet haben, etwa
Kulturgütern, fragen sich viele Muse­                  und Bräuche wie der Rheinische Kar­                 weil sie ursprünglich in einer anderen
umsbesucherinnen und Museumsbe­                        neval oder die Spergauer Lichtmess,                 Region oder auf einem anderen Konti­
sucher fasziniert: Wie ist dieser Gegen­               Ausdrucksformen wie Poetry Slams                    nent aufgewachsen sind.4 Gleichzeitig
stand entstanden? Welche Fähigkeiten,                  und gemeinschaftliche Organisationen                bedeuten immer mehr Migrationsbe­
welches Wissen müssen Produzentin­                     wie die Genossenschaftsidee. Zudem                  wegungen von Menschen auch, dass
nen und Nutzerinnen gehabt haben?                      wurden Teile des immateriellen Kul­                 immaterielles Kulturerbe migriert und
                                                       turerbes auch länderübergreifend er­                fortan von unterschiedlichen Men­
Bewusstsein wächst                                     folgreich für die repräsentative Liste              schen an einem neuen Ort gelebt wer­
                                                       der UNESCO nominiert, wie etwa der                  den kann.5
Es ist nur folgerichtig, dass diese „in­               Blaudruck, der in Deutschland, Öster­
neren Werte“ – das immaterielle Kul­                                                                       4 Vgl. Kaschuba, W. (2018): Wozu brauchen wir noch
turerbe – seit 2004 auch in der Muse­                                                                        Brauchtum? Essay erschienen auf www.unesco.de/
                                                       2 ICOM (2017): Statutes. S. 3; https://icom.muse­     kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/im­
                                                         um/en/about-us/missions-and-objectives (Stand       materielles-kulturerbe-deutschland/traditionen
                                                         25.1.2019), Hervorhebung durch die Autorin.         (Stand 25.1.2019).
1 Vgl. Flitsch, M. (2014): Des Menschen Fertigkeit:    3 www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-     5 Vgl. Naguib, S.-A. (2013): Museums, Diasporas and
  ethnologische Perspektiven einer neuen Wert­schät­     kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutsch­        the Sustainability of Intangible Cultural Heritage. In:
  zung praktischen Wissens. Zürich.                      land (Stand 25.1.2019).                             Sustainability, Vol. 5, S. 2178–2190.

12 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
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                                                                                                                                            Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Ute Franz-Scarciglia
                                                  Foto: Kunstasyl

Im Rahmen der Ausstellung daHEIM – Ein-
sichten in flüchtige Leben (2016) wurde die-
ses Runddach im Museumsgarten des MEK
von Bereket aus Äthiopien gebaut. Er hatte                                                                                                                                                                                             Kostüm eines
die Dachdeckerei in Eritrea gelernt, wohin                                                                                                                                                                                             „Lichtmess-Läufers“,
er mit seiner Familie geflohen war.                                                                                                                                                                                                    Spergau, 2011

   Halten wir fest: Immaterielles Kul­                                Im Museum Europäischer Kulturen                     ma­­­­te­rielles Kulturerbe zu sammeln,
turerbe – mit Betonung auf Erbe – be­                               der Staatlichen Museen zu Berlin (MEK)                be­­­wahren und dokumentieren. Üblich
wahrt einerseits kulturelle Techniken,                              befindet sich zum Beispiel das Kostüm                 ist es bislang, vor allem die filmische
Ideen und Handlungen, unterliegt –                                  eines Lichtmess-Läufers aus Spergau                   und fotografische Dokumentation, er­
mit Betonung auf immateriell – ande­                                in Sachsen-Anhalt: Könnte dieses Ob­                  gänzt durch Zeitzeuginneninterviews,
rerseits dem stetigen Wandel, kann                                  jekt, welches im Zusammenhang mit                     in die Museumssammlung aufzuneh­
dadurch für verschiedenste Menschen                                 der Spergauer Lichtmess verwendet                     men. So ist die Spergauer Lichtmess im
identitätsstiftend sein und birgt krea­                             wird, einerseits in der Museumssamm­                  MEK neben dem Kostüm sowohl
tives Potential. Museen hingegen sind                               lung inventarisiert sein, anderer­seits               durch his­torische Filmaufnahmen als
auch heute eher auf die Bewahrung                                   aber immer zum Umzug am Sonn­t ag                     auch zeitgenössische Fotografien do­
materiellen Kulturguts ausgerichtet.                                nach Mariä Lichtmess7 in Sper­gau ge­                 kumentiert.
Dieses unterliegt nicht per se dem Wan­                             tragen werden, dabei auch verändert
del, höchstens in dem Sinne, wie ein                                werden und schließlich als selbes, aber               Museale Kernaufgaben
Objekt interpretiert, eingeordnet und                               nicht als gleiches Objekt wieder in der
kontextualisiert wird, was sich im                                  Sammlung aufbewahrt werden?8                          Darüber hinaus ist bei der Verortung
Laufe der Zeit ändern kann. Anthony                                   Ein Fokus auf dem immateriellen                     von immateriellem Kulturerbe im Mu­
Shelton, Direktor des Museum of An­                                 Kul­turerbe im Museum bedeutet even­                  seum vor allem die museale Kernauf­
thropology (MOA) an der University                                  tuell, den Begriff des „Bewahrens“ zu                 gabe der Vermittlung gefragt. Die Ein­
of British Columbia spricht deshalb                                 überdenken. Sicherlich wäre die fort­                 beziehung und das Sichtbarmachen
von einem Paradoxon, mit dem Mu­                                    dauernde Nutzung von Sammlungs­                       von immateriellem Kulturerbe dyna­
seen in Bezug auf immaterielles Kul­                                objekten die radikalste Form, im­                     misiert materielle Sammlungen, indem
turerbe umgehen lernen müssen: Wenn                                                                                       die Lebenswelten als Kontexte der Ob­
immaterielles Kulturerbe auf die eine                               7 Mariä Lichtmess wird im christlichen Glauben        jekte erläutert oder sogar praktiziert
                                                                      am 40. Tag nach der Geburt Jesu begangen. Es
oder andere Weise als materielle Do­                                  rekurriert auf das Alte Testament. 40 Tage lang     werden. Letztlich, so Dawson Munjeri,
kumentation in eine Museumssamm­                                      galt eine Mutter nach der Geburt als unrein. Mit    Experte für immaterielles Kulturerbe,
                                                                      dem Vorzeigen des Kindes im Tempel am 40. Tag
lung Eingang findet, wie kann dann der                                endete dies. An Mariä Lichtmess finden vielerorts   kann „das Materielle nur durch das
Lebendigkeit von immateriellem Kul­                                   Prozessionen zu Ehren Marias statt. Die Spergau­    Immaterielle verstanden und interpre­
                                                                      er Lichtmess wird immer am Sonntag nach Mariä
turerbe Rechnung getragen wer­den?6                                   Lichtmess gefeiert: erstmals 1688 urkundlich er­
                                                                                                                          tiert werden.“9 Materielle Objekte kön­
                                                                      wähnt zieht der Lichtmess-Läufer zusammen mit       nen auch als Katalysator dienen, um
                                                                      weiteren Figuren an diesem Tag durch die Ort­
6 Shelton, A. A. (2014): Re-totalizing Culture: Brea­                 schaft. Die Spergauer Lichtmess treibt den Winter
  thing the Intangible into Museum Practice? In:                      aus und erinnert an Karnevalsbräuche.               9 Munjeri, D. (2004): Tangible and Intangible Heri­
  Ethnologies, 36(1), S. 207–234, S. 218 f. Vgl. auch               8 Vgl. auch Verband der Museen der Schweiz (2015):      tage: From Difference to Convergence. In: Museum
  Verband der Museen der Schweiz (2015): Lebendi­                     Lebendige Traditionen in Museum. Empfehlun­           International 56(1–2), S. 12–20, S. 13, Über­s et­
  ge Traditionen in Museum. Empfehlungen.                             gen. S. 7.                                            zung der Autorin.

                                                                                                               ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019                                                                                                 | 13
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                                                                                                                                                          Foto: © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Valerie Schmidt
                                                                                                                                   Foto: Freilichtmuseum Ekehagen
Museum Europäischer Kulturen: Blick in die Ausstellung 100 Prozent Wolle

immaterielles Kulturerbe lebendig zu          Partizipation                              direkte Partizipation – der Trägerin­
halten und zu transformieren.                                                            nen von immateriellem Kulturerbe, der
   Die Ausstellung 100 Prozent Wolle          Museen wie das MEK sind Orte der           Museumsmitarbeiterinnen und der
des MEK zeigt deshalb nicht nur Ob­           Be­gegnung und des Dialogs. Ein Fokus      Museumsbesucherinnen – erfährt das
jekte aus Wolle, sondern vermittelt tex­      auf immateriellem Kulturerbe greift        immaterielle Kulturerbe eine neue,
tile Kulturtechniken durch verschie­          dieses Verständnis der Institu­tion Mu­    vielfältige Sichtbarkeit und Wertschät­
dene Zugänge: Neben Stationen, die            seum auf und demokratisiert sie: Für       zung. So ist es nur folgerichtig und
die Haptik des Materials erfahrbar            Ausstellungen, Ver­a n­stal­t un­gen und   überfällig, dass sich der diesjährige
machen, können Besucherinnen und              Workshops rund um das Thema Im­            42. Internationale Museumstag und
Besucher selbst das Häkeln, Stricken          materielles Kulturerbe ist das Muse­       und die 25. ICOM-Generalkonferenz
oder Weben ausprobieren – sonntags            um häufig auf die Trägerinnen dieses       in Kyoto dezidiert diesem Thema wid­
sogar unter Anleitung im Rahmen ei­           Erbes angewiesen. Sie werden von den       men, denn Museen sind Orte, an de­
ner offenen Werkstatt. Wissen, das im         Museumsmitarbeiterinnen als Ex­per­        nen auch in Zukunft le­ben­dig mit Tra­
Schullehrplan nicht mehr vorkommt,            tinnen verstanden, die ihr Wissen an       ditionen umgegangen wird.
wird über Museumsobjekte im Rah­              Museumsbesucherinnen weitergeben
men der Ausstellung transportiert.            können. Das Museum kann gleichzei­         Dr. Judith Schühle arbeitet als wissenschaft-
Gleichzeitig dient die Textilsammlung         tig mit seinem professionellen Abstand     liche Mitarbeiterin am Museum Europäi­
des MEK auch als Ort der Inspiration          zum Thema und durch seine histori­         scher Kulturen, Staatliche Museen zu Berlin;
für Studierende des Modedesigns, um           schen Sammlungen das zeitgenössi­          j.schuehle@smb.spk-berlin.de.
fast vergessene textile Techniken zu          sche immaterielle Kulturerbe kontex­
revitalisieren und dadurch immateri­          tualisieren und den Wandel, den es         Die Autorin verwendet das generische Fe-
elles Kulturerbe zu transformieren.           durchläuft, nachzeichnen. Durch diese      mininum.

14 | ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019
Ak tue lles

Ist Kleingärtnern ein immaterielles
Kulturerbe?
Das Kleingärtnern gilt als spießig und der Kleingarten als Inbegriff der kontrol-
lierten Natur. Bei genauerer Betrachtung steckt in diesem Garten-Phänomen auch
das Potential eines schützenswerten immateriellen Erbes. Ein Beitrag zur Debatte
über ein einzigartiges Kulturrelikt.

Klaus Neumann

Zur Geschichte der deutschen Stadt- und Gesellschafts­
entwicklung und zum heutigen äußeren Erscheinungsbild
vieler europäischer Metropolen gehört die vor mehr als
zweihundert Jahren in Deutschland ins Leben gerufene Be­
wirtschaftung von Gartenflächen, welche damals seitens
der staatlichen Obrigkeit kostenfrei oder gegen geringes
Geld den sozial Schwächeren zur Verfügung gestellt wur­
den. In dieser Intention, dem Hunger und den dadurch zu
erwartenden sozialen und politischen Unruhen entgegen­
zuwirken, wurden um 1806 in Kappeln an der Schlei von
Landgraf Carl von Hessen die ersten kleinen Gartenanla­
gen erbaut. Aus diesem sozialen wie politisch bedingten En­
gagement hat sich in Deutschland das in dieser Form und
Organisationsstruktur nahezu einzigartige Kleingarten­
                                                                              Foto: Burkhard Träder

wesen entwickelt.
   Immer im Fokus von kontroversen, sozialen, wirtschaft­
lichen, politischen, ideologischen und städtebaulichen Be­
gehrlichkeiten gibt es zahlreiche Vorurteile und negative
Implikationen gegenüber dieser Naturkultur. „Beschrieben
als kleinkarierte und kleingeistige Vereinsmeier, die ohne                    Im Kleingarten muss der Obst- und Gemüseanbau mindestens ein
die Reglementierung ihrer Satzungsordnung nicht wüssten,                      Drittel der Fläche betragen.
was sie tun sollen und ihren Garten für die Natur schlecht­
hin halten, während sie versuchen jegliche Natürlichkeit zu
kontrollieren und zu vernichten, seien sie die Personifika­
tion kleinbürgerlichen Denkens und kleinbürgerlicher Wert­­                   turerbe definierten Kriterien, spiegelt sich das Kleingarten­
orientierung. … Über geordnete, nebeneinanderliegende                         wesen in einem völlig anderen Bild.
Kleingärten werden getreu dem Spruch: ‚Wie der Gärtner,
so der Garten‘, Rückschlüsse auf die Menschen gezogen,                        Vom Armengarten zum stadtkulturellen Reichtum
die diese bewirtschaften.“1
   Trotz wachsender gesellschaftlicher Akzeptanz und gro­                     Die Anfänge des Kleingartenwesens liegen im 19. Jahrhun­
ßer Nachfrage ist dieses Element deutscher Sozial-, Bau-                      dert. Sie stehen im Zusammenhang mit der Industrialisie­
und Stadtkultur vielfach von falschen Ideologien geprägt.                     rung und den schnell wachsenden Handels- und Industrie­
Die Vorurteile resultieren wesentlich aus Unkenntnis über                     städten. Aufgrund der plötzlichen Bevölkerungszunahme
die Anfänge und der Ignoranz gegenüber der Bedeutung                          und der damit einhergehenden Armut wurden auf Veran­
des Kleingartenwesens für die Umwelt-, Stadt- und Gesell­                     lassung von barmherzigen Wohlhabenden sogenannte Ar­
schaftsentwicklung des 21. Jahrhunderts.                                      mengärten angelegt. Ziel war es, den Armen eine Mög­
   Lässt man diese Mischung aus Vorurteilen, Ignoranz                         lichkeit zu geben, eigenes Gemüse und Obst anzubauen,
und Unkenntnis beiseite und eruiert die tatsächliche ge­                      um somit dem Hunger und einer daraus resultierenden
sellschaftliche, sozial- und baukulturelle Bedeutung dieses                   sozialen Unruhe entgegenzuwirken. 1806 war es Landgraf
deutschen „Garten-Phänomens“ basierend auf a) evidenz­                        Carl von Hessen, der die ersten kleinen Gartenanlagen er­
basierten Fakten zum Kleingartenwesen und b) den zur                          bauen ließ – eine in der damaligen Zeit bemerkenswerte
Validierung für eine Anerkennung als immaterielles Kul­                       „disruptive Innovation“. Bereits zwanzig Jahre später
                                                                              fand man solche Gärten für Ernährung und Befriedung in
                                                                              19 weiteren Städten. In Kiel wurde 1830 von der „Gesell­
1 Denkinger, K.: Sozial-ökologische Motivationen der Kleingarten-Nutzer und
  -Nutzerinnen Greifswalds. Universität Greifswald 2017, S. 3.                schaft für freiwillige Armenfreunde“ städtischer Grund in

                                                                                                      ICOM Deutschland – Mit te ilung e n 2019   | 15
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