NeuroTransmitter - ZNS News
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1 Januar 2011 _ 22. Jahrgang_www.BVDN.de NeuroTransmitter NeuroTransmitter 1/2011 Offizielles Organ des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN), des Berufsverbandes Deutscher Neurologen (BDN) und des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP) Online-Abrechnungspflicht So kommen Sie 2011 an Ihr Honorar Nachwuchs gewinnen Warum sich eine Niederlassung lohnt Springer Medizin | Verlag Urban & Vogel GmbH, München Tic-Störungen und Tourette Syndrom Kurz aber heftig CME: Delir im Alter Erkennen, Behandeln, Vermeiden BVDN BDN BVDP
»Inzwischen hat der virtuelle Raum des Internets die Züge einer neuen, eigenen Welt beziehungsweise eines eigenen Kontinents, genannt „Cyberika“, angenommen.« PD Dr. med. Albert Zacher Schriftleiter Cyberika D em neuen, riesigen und immer noch rasend schnell wach- senden, unser Vorstellungsvermögen inzwischen überfor- dernden „Raum“, den uns das Internet mit seinen Möglich- Softwar Noch liegt Cyberika weitgehend brach, aber es verheißt unend- liche Möglichkeiten. Wird die Verteilung der Rechte, sie zu keiten beschert hat, drohen kritische Zeiten. nutzen, nach diesem ersten Geplänkel ohne Kriege abgehen? Bisher haben die meisten von uns in ihm wohl lediglich Die großen Staaten, die weltumspannenden Unternehmen, die einen Ort bequemen Einkaufens (eine Art Virtualienmarkt), die alte „Hardware-Welt“ stabil unter sich aufgeteilt haben, ein blitzschnelles Postäquivalent, eine neuartige Medienplatt- werden den neuen Kontinent besiedeln, seine Schätze ausbeu- form oder ein ozeanartiges Nachschlagewerk gesehen. Es war ten, seine Machtmöglichkeiten nutzen wollen. ein modernes Werkzeug für jegliche Art von Handel und Wan- Nun haben sich aber dort schon andere breit gemacht, del, das die herkömmlichen Telekommunikationsinstrumente eine Art „Ureinwohner“, die aktiven Nutzer und Gestalter. ergänzte und ersetzte. Inzwischen aber hat der virtuelle Raum Und diese führten im Dezember 2010 einen ersten Abwehr- des Internets die Züge einer neuen, eigenen Welt („Cyber- kampf, wie ihn die Geschichte der Menschheit noch nicht world“) oder, was ich zu seiner Charakterisierung noch bezeich- gesehen hat. Denn noch nie gab es einen Krieg, in dem sich nender finde, eines eigenen Kontinents (dem ich den Namen eine Weltmacht, in dem sich Weltunternehmen von ein paar „Cyberika“ geben will) angenommen. Tausend entschlossenen Stubenhockern, die über die Länder verteilt sind, bewaffnet nur mit ihrem Grips, ihrem „subver- Wem eigentlich gehört Cyberika? siven“ (je nach Sicht) Potenzial und einem PC mit Internetzu- Die Gefilde Cyberikas hatten bisher ein erstaunlich friedliches gang ernsthaft herausgefordert sahen, weil deren raffiniert zu- Bild geboten. Es war ein kriegsfreier Kontinent gewesen, bis im sammen geschaltete Rechner sogar die Abwehrkraft von Super- Dezember 2010 Wikileaks-Sympathisanten erstmals „Kampf- computern zu brechen drohten. handlungen“ organisierten und durchführten, die von Zei- In diesem Krieg musste also keine Kugel abgefeuert, keine tungskommentatoren als „Cyberwar“ bezeichnet wurden: ein Granate geworfen, musste kein Gebäude gesprengt werden – ein erstes kriegsähnliches Konfliktgeschehen, ausschließlich im Dank moderner sozialer Netzwerke blitzschnell organisiertes „Raum“ und mit den Waffen des Internets, entsprungen aus Datenbombardement war dazu in der Lage, die Internetzugän- ungeklärten Besitz- und Machtverhältnissen. Denn wem ge- ge von Weltunternehmen vorübergehend lahm zu legen. „Soft- hört Cyberika, wer beherrscht es, wer ist berechtigt, dort Re- war“: Der Krieg der Neuzeit, und dessen Guerilleros keine geln und Gesetze zu erlassen und dann deren Einhaltung zu durchtrainierten Freischärler, sondern eine locker verteilte, überwachen? kaum zu fassende Horde von zum Teil minderjährigen Nerds. Aber muss das überhaupt sein? Kann Cyberika nicht allen 2011 wird es sich deutlicher zeigen, wie und vom wem die gehören, die sich dort aufhalten wollen, sollte es nicht ein jeder übernationale Gesellschaft des Informationszeitalters den neu- nach seinem Willen frei nutzen können? Dagegen sprechen en Kontinent Cyberika kultiviert sehen möchte (wenn sie denn die ehernen Gesetze des Menschengeschlechtes und seiner gefragt wird). Geschichte, in denen es bei der Eroberung eines neuen Kon- tinents (nicht nur im schlechten Sinne) immer um Macht, Ihr Besitz und Ordnung ging. Diese werden auch im Informati- onszeitalter und in Bezug auf seine Neuschöpfungen ihre Gül- tigkeit beweisen. NeuroTransmitter _ 1.2011 3
Inhalt 1 Januar 2011 3 Editorial 9 Nachwuchs gewinnen Die Verbände informieren Die ambulante psychiatrische Behandlung wird immer 8 Vergütungssysteme ins Gleichgewicht bringen wichtiger und der Bedarf an niedergelassenen Psychiatern wächst. Warum die Wahl für das Fach eine richtige Ent- 9 Nachwuchs gewinnen scheidung sein kann. Warum sich eine Niederlassung lohnt 13 Online-Abrechnungspflicht 13 Online-Abrechnungspflicht Mit Beginn des neuen Jahres wird die Online-Abrechnung So kommen Sie 2011 an Ihr Honorar mit den Kassenärztlichen Vereinigungen in fast allen KV- 16 Gesundheitspolitische Nachrichten Bezirken eingeführt. Wir informieren Sie, welche tech- nischen und finanziellen Hürden zu überwinden sind. 19 Psychiatrie im Nationalsozialismus Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde hat in einer Gedenkveranstaltung ein Rund um den Beruf deutliches Zeichen gesetzt, getragen von dem Willen, die Opfer anzuerkennen und an ihrer Seite zu stehen, sich zu 19 Rede zur Gedenkveranstaltung der eigenen Vergangenheit zu bekennen und aus der Ver- Psychiatrie im Nationalsozialismus – gangenheit zu lernen. Lesen Sie die ungekürzte Rede von Erinnerung und Verantwortung Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, Präsident der DGPPN. 26 Die richtige Kamera für Ärzte Megapixel sind nicht alles 27 eGesundheitskarte Wichtiger Hinweis! 850 Euro Zuschuss für neue Kartenleser In dieser Ausgabe finden Sie auf S. 60/61 Wissen Aktuell mit dem Thema „Die vielen Seiten der Depression – im Alter und bei Männern oft maskiert“. Wir bitten um freundliche Beachtung! Titelbild: © Gabriel von Max, Affen als Kunstrichter, 1889 NeuroTransmitter _ 1.2011 5
Fortbildung 28 Tic-Störungen und Tourette-Syndrom Kurz aber heftig 28 Tic-Störungen und Tourette Syndrom Tic-Störungen sind vorübergehende oder chronische Zu- 34 Somatoforme Störungen stände, die mit Einschränkungen im Selbstbewusstsein, Der beste Weg zum Gutachten Familienleben, sozialer Akzeptanz und Schwierigkeiten in Schule oder am Arbeitsplatz einhergehen. Sie sind alltäg- 39 Neurologische Kasuistik lichen Verlegenheitshandlungen ähnlich und äußern sich Herr Doktor – sind Sie bereit für eine neue als plötzliche, sich wiederholende Bewegungen, Gesten MS-Therapie? oder Lautäußerungen. 42 C ME: Delir im Alter Erkennen, behandeln, vermeiden 47 CME-Fragebogen Wie Sie uns erreichen Verlagsredaktion: Journal Beate Huber Telefon: 089 203043-1461, Fax: 089 203043-31461, 54 Psychopathologie in Kunst & Literatur E-Mail: beate.huber@springer.com Tennessee Williams „Plötzlich letzten Sommer“ 58 NeuroTransmitter-Galerie Schriftleitung: Gabriel von Max – Wissenschaft und Spiritismus PD Dr. med. Albert Zacher Telefon: 0941 561672, Fax: 0941 52704, E-Mail: bvdnzacher@t-online.de 50 Pharmaforum 62 Termine 63 Verbandsservice Offizielles Organ des 69 Impressum/Vorschau Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN), des Berufsverbandes Deutscher Neurologen (BDN) und des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP) BVDN BDN BVDP NeuroTransmitter _ 1.2011 7
Die Verbände informieren BVDN Berufsverband Deutscher Nervenärzte Dr. med. Frank Bergmann, BDN BVDP 1. Vorsitzender des BVDN E-Mail: bergmann@bvdn-nordrhein.de Berufsverband Deutscher Neurologen Berufsverband Deutscher Psychiater Vergütungssysteme ins Gleichgewicht bringen Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr ge der Einkommenssituation kaum noch mög Hintergrund sind nicht fehlende Motivation kommen und ich wünsche Ihnen an dieser lich ist. Nach wie vor verfügen einige Länder- der Beteiligten oder Unvermögen, sondern Stelle nochmals einen guten Start in das KVen durch die asymmetrischen Honorar die dem Gedanken einer Vernetzung völlig neue Jahr. zuwächse seit dem 1.1.2009 über auskömm zuwider laufenden Anreizsysteme. liche Mittel, auch für unsere Fachgruppen. Von den gesetzgeberischen Aktivitäten im In anderen Teilen der Republik hingegen, wie Diesen und anderen Themen werden wir uns Jahr 2010 sind viele von uns enttäuscht ge zum Beispiel in Nordrhein, nimmt die Unter widmen im Programm des Neurologen- und wesen. Zwar führen die Entscheidungen im finanzierung neuropsychiatrischer Leistun- Psychiatertages am 9.4.2011 in Köln. Arzneimittelneuordnungsgesetz mit der gen dramatische Formen an. Die jüngst vorgesehenen frühen Nutzenbewertung von beschlossene asymmetrische Verteilung der Sie sind wie immer ganz herzlich eingeladen. Arzneimitteln in die richtige Richtung, ärger Zuwächse des Jahres 2011 mit den seit lan lich ist für uns aber, dass nicht wie erhofft gem bekannten Irrationalitäten wird nicht In diesem Sinne alles Gute das Regressrisiko für Vertragsärztinnen und zu einer wesentlichen Befriedung dieser Vertragsärzte abgeschafft wurde. Nach wie „Baustelle“ führen. Die Equilibrierung der vor haften Neurologen, Psychiater und Ner Vergütungen ärztlicher Leistungen bleibt venärzte mit ihrem Privatvermögen für die eines der prioritären Themen für das Jahr Versorgung ihrer Patienten. Erst jüngst en 2011. dete ein Sozialgerichtsverfahren für einen Berliner Kollegen mit Zahlung einer hohen Sektorenübergreifend vernetzen fünfstelligen Regresszahlung. Es ist ein un Ein weiteres wichtiges Thema betrifft die erträglicher Zustand, dass von unserer Fach sektorenübergreifende Bedarfs- und Versor Dr. med. Frank Bergmann gruppe leitliniengerechte Versorgung gefor gungsplanung. Nicht nur in der Kassen- dert wird (und den Patienten auch gesetzlich ärztlichen Bundesvereinigung, sondern zugestanden wird!), andererseits das Damok- auch im anstehenden nächsten Gesetzge lesschwert einer Regresszahlung weiterhin bungsverfahren sollen diese Aufgaben ge scharf geschliffen wird. stemmt werden. In diesen Planungen könnte eine Chance enthalten sein, vor Asymmetrische Honorarzuwächse allem dann, wenn es gelingt, Qualitätsan Dies ist nur einer der unerträglichen Wider forderungen in diesem Zuge zu vereinheit sprüche in unserem System, das den Pati lichen, aber auch Vergütungssysteme im enten ein Maximum an Versorgungsansprü vertragsärztlichen Sektor sowie im Bereich chen zusichert, andererseits ihre behandeln der ambulanten Versorgung in Klinikambu den Ärztinnen und Ärzte in das Haftungsri lanzen zu equilibrieren. siko bringt, wenn sie berechtigte Ansprüche erfüllen. Diese Dichotomie gilt auch für un Das Ziel Versorgung unter Nutzung aller sere ärztliche Honorierung. Die Situation der Ressourcen und Valenzen sektorenübergrei Regelleistungsvolumina und QZV und der fend zu planen und zu organisieren kann durchschnittlichen Fallwerte ist mittlerwei nur erreicht werden, wenn sich die Sektoren le so divergent und gleichzeitig volatil mit nicht konkurrierend gegeneinander aufstel erheblichen Veränderungen von Quartal zu len, sondern komplementär vernetzen. Dies Quartal, dass ein unmittelbarer Vergleich funktioniert bislang allenfalls punktuell. 8 NeuroTransmitter _ 1 · 2011
Die Verbände informieren Nachwuchs gewinnen Warum sich eine Niederlassung lohnt Die ambulante psychiatrische Behandlung wird immer wichtiger. 90 Prozent der psychiatrischen Therapien erfolgen inzwischen außerhalb der Klinik. Der Bedarf an niedergelassenen Psychiatern wächst. Warum die Wahl für das Fach eine richtige Entscheidung sein kann. I n keinem anderen Fach der Medizin vereinen sich medizinische, gesell- schaftspolitische, weltanschauliche, nen Wiese“ mit einer hohen Mauer da- rum herum zu verstehen und leitete einen strukturellen Wandel ein, wie ihn kein kenhäusern sowie die Instrumente der psychiatrischen Institutsambulanz und der Tagesklinik geschaffen. Die Verweil- anthroposophische, philosophische, aber anderes medizinisches Fach vergleichbar dauern sanken drastisch von ursprüng- auch ideologische Aspekte so sehr wie im durchlaufen hat. lich bis zu 200 Tagen auf heute im Fachgebiet der Psychiatrie und Psycho- Schnitt etwa 20 Tage. Diese kurze Ver- therapie. Patientenbehandlung heute haupt- weildauer wird jedoch mit einer erhöh- Ein Meilenstein in der bewegten sächlich im ambulanten Bereich ten Wiederaufnahmerate mit all ihren Historie des Faches war die Psychiatrie- Die Anzahl der Betten in den psychiat- impliziten Kritikpunkten an einer vor- Enquete im Jahr 1975. Diese gesund- rischen Kliniken wurden um 60 Prozent wiegenden Sparpolitik im Gesundheits- heitspolitische Meisterleistung der dama- reduziert, die Anzahl der niedergelas- wesen erkauft. ligen führenden ärztlichen Vertreter der senen Psychiater und Nervenärzte stieg Die stationäre psychiatrische Be- Psychiatrie gemeinsam mit der Politik von damals 1.000 auf heute knapp handlung wird heute überwiegend als schuf den Grundsatz „ambulant vor sta- 5.000. Die Behandlungsschwerpunkte Krisenintervention verstanden, der tionär“. Dies war vor dem Hintergrund wurden bewusst wohnort- und gemein- Schwerpunkt der Behandlung psychi- der Überwindung der kustodialen Psy- denah konzipiert. Es wurden psychiat- scher Störungen liegt im ambulanten, chiatrie mit Großkliniken auf der „grü- rische Abteilungen an Allgemeinkran- wohnortnahen Bereich. Hier werden Interessanter, freier und besser © ISO K-photography /Fotolia bezahlt: Die Arbeit als niedergelas- sener Psychiater hat im Vergleich zur Arbeit in der Klinik Vorteile. NeuroTransmitter _ 1.2011 9
Die Verbände informieren Nachwuchs gewinnen heute über 90 Prozent der psychiat- dem jeweiligen Träger gekennzeichnet. Urlaubsplanung unterliegt (natürlich rischen Behandlungsfälle versorgt. Nach wie vor wird sich hier der Mensch abhängig von betriebswirtschaftlichen am besten aufgehoben fühlen, bei dem Gegebenheiten) ebenfalls der freien Ge- Zwei Jahre Weiterbildung eine persönliche Präferenz der finanzi- staltung. Nachtdienste kommen nicht empfehlenswert ellen Absicherung im Rahmen eines vor. Wenn man selbst gerne Nacht- Der Weiterbildung ist die Bundesärzte- Angestelltenverhältnisses (regelmäßiges dienste machen möchte, ist dies über die kammer mit der Weiterentwicklung der Gehalt, Krankengeld, Urlaubsgeld, hausärztlichen Bereitschaftsdienstzen- Muster-Weiterbildungsordnung inso- Weihnachtsgeld) vorliegt. Dem gegen- tralen möglich. Insofern wird die ver- fern nachgekommen, dass in allen medi- über steht die Zunahme an befristeten tragsärztliche Tätigkeit von vielen Ärz- zinischen Gebieten mittlerweile bis zu Arbeitsverträgen, die geringe Steuerbar- tinnen als wesentlich familienfreund- 24 Monate der Facharztweiterbildung keit der Arbeitsbelastung sowie die häu- licher angesehen. im ambulanten Bereich abgeleistet wer- fig nicht als familienfreundlich gelten- den können. Dies ist bei jedem nieder- den Arbeitszeiten. Gute Verdienstmöglichkeiten gelassenen Psychiater oder Nervenarzt Als Vertragsarzt trägt man sicherlich Die Verdienstmöglichkeiten liegen, mit der entsprechenden Weiterbildungs- eine höhere finanzielle Verantwortung. allen Unkenrufen zum Trotz auch bei ermächtigung möglich. Auskunft über Zumindest bei Praxisgründung, -mitein- primär eher rudimentär vorhandenen die jeweils vorliegenden Weiterbildungs- stieg oder -übernahme muss ein gewisses betriebswirtschaftlichen Kenntnissen ermächtigungen gibt die regionale Lan- Finanzvolumen investiert werden. Ver- doch in der Regel deutlich über den Ver- desärztekammer. glichen mit anderen Fachgruppen, exem- dienstmöglichkeiten in der Klinik. Na- Eine solche Weiterbildungserfah- plarisch seien hier Radiologen, ambulante türlich kann man als Vertragsarzt theore- rung in der ambulanten Praxis zu ma- Operateure oder Zahnärzte genannt, be- tisch auch insolvent werden. Gründe für chen, ist auf jeden Fall empfehlenswert wegt sich dieser Betrag jedoch absolut in eine Insolvenz liegen jedoch in der Regel und war in früheren Jahren auch grund- einem überschaubaren Rahmen. Wird im privaten Bereich, also durch Schei- sätzliche Voraussetzung, um als Vertrags- eine psychiatrisch-psychotherapeutische dung, unglückliches Spekulationsverhal- arzt tätig werden zu können. Aber auch Tätigkeit ohne apparative Zusatzdiagnos- ten oder einfach dadurch, dass auf zu wenn man sein Karriereziel als Klinik- tik im Rahmen einer Neugründung an- großem Fuß gelebt wird. Als Faustregel ärztin oder Klinikarzt verfolgt, ist eine gestrebt, beschränkt sich der finanzielle kann hier sicher gelten: Wer schon im- Berufserfahrung im vertragsärztlichen Aufwand sogar lediglich auf die Anmie- mer gut mit Geld umgehen konnte, wird Bereich sinnvoll und bereichernd. Zwar tung und Möblierung von Praxisräumen, als Vertragsarzt keine Probleme haben. ist dies auch im Angestelltenverhältnis den Erwerb einer Computer- und Tele- Wer noch nie gut mit Geld umgehen an der Klinik im Rahmen einer Ermäch- fonanlage sowie auf die Personaleinstel- konnte, sollte sich nicht selbstständig ma- tigungsambulanz möglich, hier wird der lung. Je mehr apparative Zusatzdiagnos- chen, weder als Arzt noch in einem ande- Klinikarzt jedoch meist im Rahmen einer tik vorgehalten werden soll, umso mehr ren Metier. Die Vertragsarztpraxis ist sehr speziellen Tätigkeit zeitlich befristet Investitionsvolumen muss für die Geräte kein Instrument, um bereits vorher beste- von der Kassenärztlichen Vereinigung für selbst (wie EEG, ENG, Evozierte Poten- hende finanzielle Probleme zu lösen. ausgewählte Leistungen ermächtigt und ziale, Duplexsonografie) und um so mehr Die Inhalte der ärztlichen Tätigkeit behandelt wie in der Klinik auch ein sehr Behandlungsräume und Mitarbeiter müs- werden in der Vertragsarztpraxis stark ausgewähltes Patientenklientel. Insofern sen geplant werden. geprägt durch eine oft langjährige per- vermittelt die Tätigkeit als Ermächtigter Durch einen Einstieg oder eine sönliche Arzt-Patienten-Beziehung. Dies nicht die gleichen Kompetenzen wie eine Übernahme können bereits vorhandene ist auch das Hauptargument, das Pati- Tätigkeit als Vertragsarzt. Eine vertrags- Strukturen und Abläufe übernommen enten und Angehörige an „ihrem“ Psy- ärztliche Tätigkeit im Lebenslauf steigert und müssen nicht erst selbst aufgebaut chiater oder Nervenarzt schätzen. Ande- in jedem Fall die Chancen auf eine Tä- sowie etabliert werden. Hier gilt es aber rerseits ist die Tätigkeit durch ein sehr tigkeit im Versorgungsmanagement und genau zu prüfen, ob die Vorstellungen breites Spektrum gekennzeichnet. Man in der zunehmend wichtigen sektoren- der Arbeitsweise des Praxispartners zu sieht viele Krankheitsbilder wie komplexe übergreifenden Versorgungsplanung. den eigenen Einstellungen passen. Ein Traumatisierungen, Angsterkrankungen, Einstieg im Rahmen eines Jobsharings Persönlichkeitsstörungen sowie Komor- Praxis statt Klinik bietet hier die Möglichkeit, dies über eine biditäten mit somatischen Erkrankungen, Die Entscheidung für eine Karriere ent- gewisse Zeit zu testen. wie sie heute in der Klinik kaum noch weder im Klinik- beziehungsweise For- vorkommen. Zudem ist man quasi als schungsbereich oder im vertragsärzt- Mehr Freiräume „Konsiliararzt“ bei den hausärztlichen lichen Sektor wird durch verschiedene Ansonsten ist man in der vertragsärzt- Zuweisungen tätig und hat hier eine wich- persönliche Faktoren mit beeinflusst. lichen Tätigkeit sehr frei in seiner Ar- tige Gatekeeper-Funktion zum Beispiel Die Tätigkeit in der Klinik ist heute zu- beitsgestaltung. Der Anteil der psychiat- bei der Indikationsstellung für Richtlini- nehmend auch durch Anforderungen rischen und der richtlinienpsychothera- enpsychotherapie, Rehabilitation, REHA- im Management, der Personalführung peutischen Tätigkeit ist in der Regel frei Sport, Soziotherapie und natürlich für die und der Verantwortung im Dialog mit wählbar. Die eigene Arbeitszeit und Psychopharmakotherapie. 10 NeuroTransmitter _ 1.2011
Die Verbände informieren Nachwuchs gewinnen Weitere Tätigkeitsfelder Modelle entwickelt und umgesetzt. Bei- In den Netzen wird eine Struktur für die Im Rahmen des vertragsärztlichen Agie- spielhaft sei hier der IV-Vertrag Psy- einzelnen Vertragsärzte für Psychiatrie rens hat man die Möglichkeit, weitere chische Störungen in Aachen genannt, und Psychotherapie sowie für Neurologie Tätigkeitsfelder neben der Patientenver- der auf der Grundlage des DGPPN- beziehungsweise die Nervenärzte geschaf- sorgung zu besetzen. Ein wichtiges Rahmenkonzeptes Integrierte Versor- fen, innerhalb derer Kompetenzen defi- Standbein in diesem Zusammenhang gung Depression etabliert und entschei- niert und gebündelt werden können. stellt der medizinische Sachverständige dend weiterentwickelt worden ist. Insofern werden auch regionale Zusam- beziehungsweise der Gutachter dar. Auf- menschlüsse der Vertragsärzte als Basis traggeber können sowohl die Renten- Strukturierte Versorgung für Vertragsverhandlungen mit Kranken- und Pflegeversicherung, private Kran- Ein weiterer Zukunftsbaustein ist der kassen durchgeführt. Nicht zuletzt ini- ken- und Unfallversicherer als auch So- Rahmenvertrag nach § 73 c zur Versor- tieren die Netze über eine „Corporate zial-, Zivil- und Strafgerichte sein. Der gung neuropsychiatrischer Erkrankun- Identity“ ein neues ärztliches Selbstbe- Bedarf an qualifizierten forensischen gen gemeinsam mit der Vertragswerk- wusstsein und haben darüber hinaus auch Gutachten steigt ebenso wie der an Ren- statt der Kassenärztlichen Bundesverei- die haltgebende Funktion eines „social ten- und Pflegegutachten. nigung. Dieser umfasst modellhaft die networks“ (Stichwort Burnout-Prophy- Die fachärztliche Versorgung in Al- strukturierte Versorgung von sechs neu- laxe). ò ten- und Pflegeheimen sowie in Einrich- ropsychiatrischen Erkrankungen (De- tungen für Menschen mit geistigen und pression, Schizophrenie, Demenz, Epi- psychischen Behinderungen ist ein wei- lepsie, Multiple Sklerose und Schlagan- teres Arbeitsfeld für Psychiater, das auch fall), die auch einen Großteil der zusätz- zunehmend im gesundheitspolitischen lichen Zahlungen aus dem Gesundheits- Augenmerk steht. Hier signalisieren meh- fonds an die Krankenkassen im Rahmen rere Kassenärztliche Vereinigungen in des morbiditätsbedingen Risikostruk- Deutschland bereits vorsichtig, dass sie turausgleiches auslösen. hier Sonderbedarfszulassungen auch bei Im vertragsärztlichen Bereich haben geschlossener Bedarfsplanung ermögli- die Berufsverbände das Konzept der AUTORIN chen würden. Das heißt, dass zusätzliche ZNS-Netze etabliert (ZNS = Zentren für Dr. med. Christa Roth-Sackenheim vertragsärztliche Sitze für diesen Sonder- Neurologie und seelische Gesundheit). 1. Vorsitzende des BVDP, Andernach bedarf auf Antrag genehmigt werden können. Eine weitere zunehmend wichtige Arbeitsaufgabe ist die betriebliche Ge- sundheitsförderung und die Prävention. Immer mehr Betriebe und Krankenkas- Dank dem Förderbeirat der Fortbildungsakademie sen erkennen, dass die meisten Arbeits- unfähigkeitszeiten bei jungen Arbeit- nehmern und die meisten Frühberen- tungen bei Männern und Frauen seit Auch im Jahr 2010 haben pharmazeutische Firmen die Arbeit der Fortbildungsakade- Jahren schon den psychischen Störungen mie mit ihren Seminaren und der E-Mail-Aussendung wissenschaftlicher Kurzinfor- zuzuschreiben sind. Noch sind die mei- mationen als Mitglied des Förderbeirates großzügig unterstützt. sten betrieblichen Institutionen hier völ- Es waren dies die Firmen: lig unvorbereitet. Insbesondere die Ge- — AstraZeneca GmbH werkschaften beginnen jedoch, hier — Bayer Vital GmbH massiv nach Lösungen zu suchen. — HEXAL AG — Janssen Cilag GmbH Initiativen der Berufsverbände —N euraxpharm Arzneimittel GmbH & Co. KG Die Berufsverbände Deutscher Psychia- SERVIER Deutschland GmbH — ter, Deutscher Nervenärzte und Deut- Merz Pharmaceuticals GmbH — scher Neurologen (BVDP, BVDN und BDN), die sehr eng kooperieren und Als Vorsitzender der Fortbildungsakademie und des Fördervereins bedanke ich mich für diese großzügige Unterstützung unserer unabhängigen Fortbildungstätigkeit. sich die Verbesserung der Versorgung von Menschen mit neuropsychiatrischen Erkrankungen zu einer vorrangigen Auf- gabe gemacht haben, haben seit der Schaffung von gesetzlichen Möglich- keiten zur sektorübergreifenden Versor- PD Dr. A. Zacher gung im Jahr 2004 einige wegweisende 12 NeuroTransmitter _ 1.2011
Online-Abrechnung Die Verbände informieren Online-Abrechnungspflicht So kommen Sie 2011 an Ihr Honorar Mit Beginn des neuen Jahres wird die Online-Abrechnung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in fast allen KV-Bezirken verbindlich eingeführt. Während in einigen Bundesländern kaum technische oder finanzielle Hürden zu überwinden sind, müssen Ärzte in manchen Bundesländern mit hohen Kosten und Komplikationen rechnen. D ass in Zukunft ein Online-An- zu optimieren, bisher wegen der ur- Nur KV-SafeNet haben: schluss für eine moderne Arztpra- sprünglich geplanten Verpflichtung — K V Bremen xis unentbehrlich sein wird, ist unbe- zum KV-SafeNet eher negativ in die — K V Sachsen stritten. Die ganze technische Entwick- Schlagzeilen geraten. Dazu haben auch — K V Mecklenburg-Vorpommern lung im medizinischen Bereich ist schon die hohen Kosten des KV-SafeNet, die — K V Nordrhein; auch nach dem jetzt auf eine schnelle Übertragung und umständliche technische Realisierung Quartal I/2011 kein Zwang zur Verarbeitung von Daten per Computer mittels spezieller Provider, eine unüber- Online-Abrechnung ausgerichtet, und auch die Kommuni- sichtliche Vielzahl an Paketen und Tari- —K V Sachsen-Anhalt: Abrechnung kation mit Krankenhäusern, medizini- fen sowie teilweise erhebliche Kompati- über ISDN-Direkteinwahl ohne schen Zentren und anderen Praxen wird bilitätsprobleme innerhalb der Praxis-IT Online-Zugang möglich in absehbarer Zeit den Online-Daten- in großem Umfang beigetragen. Die (Informationsstand Dezember 2010) austausch für jede Praxis unabdingbar meisten KVen (beginnend mit der KV machen. Die Online-Abrechnung ist Bayerns) haben, nicht zuletzt auf Initia- Kostenlose Beratung für Mitglieder nur ein Teil dieser Entwicklung, an der tive der Monks – Ärzte im Netz GmbH von www.neurologen-und- Mediziner über kurz oder lang nicht (ÄIN), im letzten Jahr diese Fehler er- psychiater-im-netz.de (NPIN) vorbeikommen. kannt und bieten ihren Mitgliedern in- Mediziner, die mit einer Praxishome- zwischen neben dem KV-SafeNet-Zu- page bei NPIN vertreten sind, bietet Regional unterschiedliche Angebote gang auch eine alternative Lösung zur Monks – Ärzte im Netz exklusiv eine und KV-SafeNet-Alternativen Online-Abrechnung an. Diese Alterna- kostenlose telefonische Beratung rund Leider ist der verständliche Ansatz der tiven sind jedoch bundesweit nicht ein- um die Online-Abrechung an. Wenden KVen, die Abwicklung der Abrechnung heitlich geregelt und werden auch nicht Sie sich bei Fragen an unser kompe- innerhalb der KV zu vereinfachen und in allen Länder-KVen angeboten. tentes Service-Team (9.00–13.00 Uhr): Joachim Hecht, Tel.: 089 64 24 82 18 Kostenfreie Alternativen zu Steven Monks, Tel.: 089 64 24 82 12 KV-SafeNet bieten: Evelyne Bob: Tel.: 089 64 24 82 23 An der Online-Abrechnung kommen Mediziner über —K V Baden-Württemberg (eAbrech- Sollten Sie noch nicht im Ärztever- kurz oder lang nicht mehr nung, Online Portal) zeichnis vertreten sein, können Sie sich vorbei. — KV Berlin (Software VPN) mit dem nebenstehenden Formular für —K V Brandenburg (DatenNerv über die neurologisch-psychiatrische Patien- Internet) tenwebsite (Herausgeber BDN, BKJPP, —K V Hamburg (KV WebNet) BVDN, BVDP, DGGPP, DGKJP, —K V Niedersachsen (KVN Online) DGN, DGPPN) anmelden. Daneben —K V Saarland (KVS Online); auch besteht natürlich auch die Möglichkeit nach dem Quartal I/2011 kein zur Online-Anmeldung auf http://www. Zwang zur Online-Abrechnung neurologen-und-psychiater-im-netz. — KV Thüringen (KVT Online Portal) de/onlineanmeldung . Dort finden Sie —K V Schleswig-Holstein (eKVSH) auch weitere Informationen zum Lei- ò © Taya Ien / shutterstock.com stungspaket von NPIN. Kostengünstige Alternativen haben: — K V Bayern (KV-Ident) — K V Hessen (KVH-Online) AUTOR — K V Rheinland-Pfalz (Smartcard) — K V Westfalen-Lippe (KV Online Joachim Hecht mit HBA, KV Online mit KVid) Monks – Ärzte im Netz GmbH NeuroTransmitter _ 1.2011 13
Die Verbände informieren Gesundheitspolitische Nachrichten KONFLIKT MDK beanstandet Abrechnungen der Krankenhäuser – DKG hält dagegen û Die Krankenkassen lassen vom medizi- Bauherren und Handwerkern so, bei Fri- nischen Dienst der Krankenkassen (MDK) seuren und Kundinnen und sogar zwischen 10 Prozent aller Krankenhausrechnungen Notaren und Klienten. Dass aber alleine eine überprüfen. Über 40 Prozent davon werden Änderung der Berechnungsgrundlagen für beanstandet. Der MDK veröffentlichte ein die Rechnungsstellung von Krankenhaus- entsprechendes Argumentationspapier im Tagessätzen auf diagnosebezogene Pauscha- MDK-Forum 4/10. Die Überprüfungen des len zu einer Verbesserung der Situation Dr. med. Gunther Carl MDK ergeben, dass Krankenhäuser be- führen würde, war blauäugig. Auf den ersten Stellvertretender Vorsitzender des BVDN wusst das Risiko eingehen, z.B. stationär Blick sollte natürlich eine am Schweregrad aufzunehmen, obwohl ambulant operiert der Erkrankung und am stationären Behand- „Gerne finden zur Vermehrung ab- werden könnte. Nebendiagnosen würden lungsaufwand orientierte Bezahlung von rechenbarer Diagnosen in Klinik- unberechtigterweise codiert. Patienten Krankenhausleistungen gerechter sein als konzernen Verlegungen zwischen würden im Krankenhaus behandelt, ob- gleiche Tagessätze. Es tauchen allerdings wirtschaftlich selbstständigen wohl dies medizinisch nicht notwendig sei. Zweifel auf, wenn man sich die Entlassungs- Fehlbelegung und Fehlkodierung seien da- briefe aus stationärer Krankenhausbehand- Krankenhausabteilungen statt“ bei für die Krankenhäuser erlösrelevant und lung ansieht. Unklar ist häufig die Anlass- kosten den Krankenkassen Mehrausgaben. beziehungsweise Hauptbehandlungsdia- Mit diesen Ergebnissen ermögliche der gnose. Manchmal findet sich diese über- MDK den Krankenkassen Rückforderungen haupt nicht in der Diagnosenliste, weil Ne- takteten Fließbandmedizin Standardproze- in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. bendiagnosen oder die Behandlung von duren ab, z.B. Endoprothetik, invasive endo- Dagegen argumentiert die deutsche Kran- Komplikationen abrechnungstechnisch lu- skopische, katheter- und radiologische Maß- kenhausgesellschaft (DKG), dass der MDK krativer waren. Häufig hat man den Eindruck, nahmen. Handelt es sich allerdings um massenhaft und willkürlich prüfe. Überwie- dass bei schlechter Indikationsqualität un- pflegeintensive multimorbide Patienten oder gend würden Fehlbelegung und nicht Fehl- nötige, der Gesamtsituation des Patienten aufwändig zu behandelnde Komplikationen, kodierung überprüft. Im Ergebnis führen nicht angemessene risikoreiche invasive The- wird der Patient gerne ins öffentlich-recht- die Überprüfungen nicht zu Einsparungen rapiemaßnahmen durchgeführt wurden. liche Krankenhaus der Maximalversorgung bei den Krankenkassen. Der bürokratische Gerne finden hier auch zur Vermehrung ab- verlegt. Auch die Tatsache, dass häufig die Aufwand sei unverhältnismäßig hoch. rechenbarer Diagnosen in Großkrankenhäu- gleiche Diagnosenpauschale beim unkom- sern beziehungsweise Klinikkonzernen Ver- plizierten Patienten im Kreiskrankenhaus Kommentar: Konflikte zwischen Leistungs- legungen zwischen wirtschaftlich selbst- bezahlt wird wie bei einer komplexen Be- erbringern und Auftraggebern beziehungs- ständigen Krankenhausabteilungen statt. handlung in der Universitätsklinik stellt ei- weise Bezahlern der Leistungen bezüglich Privatwirtschaftlich geführte Klinikkonzerne nen Schwachpunkt der DRGs (diagnosis re- der Rechnungen gibt es überall. Dies ist bei arbeiten häufig mit den Methoden der ge- lated groups) dar. PATIENTENRECHTEGESETZ IN ARBEIT Bestimmungen bisher auf mehrere Gesetze verstreut û Wolfgang Zöller (MdB, CSU), der Patien- ergibt sich, dass über 60 Prozent der Be- nicht ausreichend über alle Rechte der Pati- tenbeauftragte der Bundesregierung, will fragten nicht ausreichend über ihre Rechte enten und eigene Pflichten informiert. Ein die Rechte der Patienten in einem Gesetz informiert sind. Das Recht auf freie Arzt- Teil der Patientenrechte liegt zudem nicht bündeln. Er sprach sich bereits mehrfach wahl und dass der Patient vom Arzt vor als Gesetzestext sondern „nur“ als höchst- dafür aus, dass diese in mehreren Gesetzen Eingriffen aufgeklärt werden muss, ist den richterliche Rechtsprechung vor. Es wäre sehr verstreuten beziehungsweise auf Richter- meisten Bürgern bekannt (95 % bezie- zu begrüßen, wenn dieses Patientenrechte- recht (Rechtsprechung des Bundessozial- hungsweise 92 %). gesetz endlich auch einmal zu dem Dilemma gerichtes (BSG) und des Bundesgerichts- zwischen zivilrechtlichem und haftungs- hofes (BGH)) beruhenden Rechte in einem Kommentar: Mit Wolfgang Zöller tritt erst- rechtlichem Anspruch der Patienten auf Patientenrechtegesetz zusammengefasst mals ein Patientenbeauftragter der Bundes- beste Behandlung einerseits und den ein- werden. In der vom „Gesundheitsmonitor regierung mit einer viel beachteten eigenen schränkenden Bestimmungen des Wirt- 2010“ (Bertelsmannstiftung) veröffentlich- Gesetzesinitiative hervor. Auch Ärzte und schaftlichkeitsgebotes im SGB V Stellung ten repräsentativen Bevölkerungsumfrage Krankenkassenmitarbeiter sind bei weitem nehmen würde. 16 NeuroTransmitter _ 1.2011
Die Verbände informieren Gesundheitspolitische Nachrichten ALTENBERICHT DER BUNDESREGIERUNG Alte Menschen in der Versorgung angeblich benachteiligt û Die Bild-Zeitung berichtete mit provo- Apotheker im Rahmen der Rabattverträge pläne älterer Patienten auf Notwendigkeit, kanten Zitaten aus dem 550 Seiten starken und des Substitutionsgebotes dar. Ein Risiken und Wechselwirkungen in Kombina- Altenbericht der Bundesregierung, der seit „altersdiskriminierendes Muster“ liege tion und Dosishöhe durchforstet werden. Es Juni 2010 vorliegt. „Billigere und schlechtere nicht vor, dies bestätigte auch der stellver- ist schlechterdings ethisch nicht zu vertreten Behandlung beim Arzt“, „über 65-Jährige tretende Vorstandsvorsitzende der Barmer und in den allermeisten Fällen auch mit dem mit Herzinfarkt erhalten eine weniger ko- GEK, Dr. Rolf-Ulrich Schlenker. Auch die erklärten Patienten- und Angehörigenwillen stenintensive Behandlung“ als Jüngere, bei Behauptung, die Kassen würden auf Kosten nicht zu vereinbaren, wenn bei 90-Jährigen Ärzten seien „Kenntnisse über Wechselwir- älterer Menschen sparen, treffe nicht zu. mit lebensbedrohlichen Erkrankungen noch kungen und unerwünschte Nebenwir- Die meisten endoprothetischen Hüft- und alle verfügbaren intensiv-diagnostischen kungen häufig mangelhaft“. Außerdem Knieeingriffe würden bei Patienten über und -therapeutischen Maßnahmen durch- gebe es bei älteren zu wenige Rehabilitati- 85 Jahre durchgeführt. Es sei allerdings geführt werden. Hier müssen selbstverständ- onskuren. Die Begutachtungen würden von unbestritten, dass es auch bei älteren lich Lebensqualität in der verbleibenden Pflegekräften durchgeführt, die keine aus- Menschen Über-, Unter- und Fehlversor- Lebensspanne, Eingriffsrisiken im Alter und reichende Qualifikation besitzen. Betrof- gung gebe. mittelfristiger Patientennutzen im individu- fene Senioren müssen „unnötigerweise ellen Fall gegeneinander abgewogen wer- vorzeitig in die Dauerpflege“. den. Dass dies häufig zu insgesamt gerin- Bei über 60-Jährigen würden Altersdepres- Kommentar: Weniger ist wie so häufig auch gerem medizinischen Aufwand und Kosten sionen nur zur Hälfte behandelt. Ärzte wür- hier manchmal mehr: Es gehört heutzutage führt, liegt auf der Hand. Mit welcher Ziel- den ältere Patienten häufig als schwierig doch schließlich zu den grundlegenden me- richtung im Altenbericht der Bundesregie- ansehen. Dr. Carl-Heinz Müller, Vorstands- dizinischen und ethischen Anforderungen rung einer angeblichen ärztlichen Unterver- mitglied der kassenärztlichen Bundesver- bei der Behandlung von Senioren, dass bei- sorgung älterer und alter Patienten das Wort einigung (KBV) verwahrte sich gegen die spielsweise eine unnötige und gefährliche geredet wird inklusive entsprechender Un- Vorwürfe. Er stellte ausführlich die Pro- Polypharmazie vermieden wird. In regelmä- terstellungen, ist unklar. Die Zeiten von Ulla bleme der Medikamentenabgabe durch die ßigen Abständen sollten die Medikamenten- Schmidt sind doch eigentlich vorbei. DKG PROTESTIERT GEGEN G-BA-BESCHLUSS Auch Therapien im Krankenhaus müssen Nutzen nachweisen û Vor kurzem hat der G-BA mehrere Me- zu weiteren Therapiemethoden zu erwar- dete medizinische Verfahren und Arzneimit- thoden zur Therapie der benignen Prostata ten seien. Bis dahin können diese Methoden tel einen wissenschaftlich nachweisbaren hypertrophie aus dem Leistungskatalog der nur im Rahmen von Studien an GKV-Pati- Nutzen haben und dem Wirtschaftlichkeits- gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enten durchgeführt werden. Der G-BA legte gebot folgen. Dass im Krankenhaus derartige gestrichen. Die deutsche Krankenhausge- für die Anwendung dieser Verfahren im Anforderungen des SGB V überhaupt nicht sellschaft (DKG) kritisierte die Entschei- Krankenhaus umfassende verbindliche oder nur in geringerem Ausmaß als im am- dungen des G-BA grundsätzlich. Es werde Maßnahmen zur Qualitätssicherung fest. bulanten Sektor herrschen, ist nicht hin- zunehmend unüberschaubar, welche An Die DKG kritisierte das Vorgehen des G-BA, nehmbar. Andererseits findet der wissen- forderungen der G-BA an die vorzulegende weil er sich auf die Berichte des Instituts schaftlich-medizinische Fortschritt insbeson- Evidenz stelle. Nach einer systematischen für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge- dere bei schweren und lebensbedrohlichen Prüfung des Nutzens und der medizi- sundheitswesen (IQWiG) stützte und sich Erkrankungen bei stationären Patienten nischen Notwendigkeit hatte der G-BA gegen die Empfehlungen der Bundesärzte- statt. Es darf nicht Ergebnis der Nutzen- und ausschließlich die Resektion beziehungs- kammer, der DKG und der urologischen Wirtschaftlichkeitsbewertung sein, dass der weise die Enukleation der Prostata mittels Fachexperten entschied. Die DKG unter- wissenschaftliche Fortschritt behindert wird. Laser als GKV-Behandlungsmethoden an- stellte dem G-BA eine überwiegend wirt- Allerdings müssen im stationären Bereich erkannt. Bei den übrigen überprüften Me schaftliche Betrachtungsweise. Auch neu entwickelte Behandlungsmethoden thoden hätten die verfügbaren wissen- Evidenz auf höchstem Niveau reiche der akribisch wissenschaftlich begleitet werden, schaftlichen Daten nicht zu einem Beleg Methodik des G-BA nicht aus, um einen um einen möglichen zusätzlichen Nutzen des Nutzens beziehungsweise der medizi- Nutzennachweis zu führen. für den Patienten nachzuweisen. Ansonsten nischen Notwendigkeit ausgereicht. Der führen neue Behandlungsverfahren nur zu G-BA hat aber seine Entscheidung bis 2016 Kommentar: Selbstverständlich müssen Mehrkosten oder Risiken und Komplika- ausgesetzt, weil in absehbarer Zeit Studien auch in der stationären Behandlung verwen- tionen bei Patienten. 18 NeuroTransmitter _ 1.2011
Rund um den Beruf Rede zur Gedenkveranstaltung Psychiatrie im Nationalsozialismus – Erinnerung und Verantwortung – Es ist uns ein großes Anliegen, die Rede von Prof. Dr. Dr. Frank Schneider (Aachen), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN), die er im Rahmen der Gedenkveranstaltung „Psychiatrie im Nationalsozialismus“ beim DGPPN- Kongress 2010 in Berlin hielt, in voller Länge abzudrucken. Sehr geehrte Damen und Herren, P sychiater haben in der Zeit des Nationalsozialismus Menschen verachtet, die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten in ihrem Vertrauen getäuscht und belogen, die Angehörigen hin- Die Psychiatrie im Nationalsozialismus zählt zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte unseres Fachgebietes. Psychiater und die Vertreter ihrer Verbände haben in dieser Zeit ihren ärztlichen Auf- gehalten, Patienten zwangssterilisieren und töten lassen und auch trag, die ihnen anvertrauten Menschen zu heilen und zu pflegen, selber getötet. An Patienten wurde nicht zu rechtfertigende For- vielfach missachtet und eigenständig umgedeutet. schung betrieben, Forschung, die Patienten schädigte oder gar tö- Die Psychiatrie war verführbar und hat verführt, hat geheilt tete.Warum haben wir so lange gebraucht, uns diesen Tatsachen zu und vernichtet. Sie hat sich nicht mehr dem einzelnen Menschen stellen und offen mit diesem Teil unserer Geschichte umzugehen? verpflichtet gefühlt, sondern hat im Namen eines angeblichen Fort- Einerseits sind wir stolz, dass die DGPPN zu den ältesten wissen- schritts, den man in der Befreiung einer ganzen Gesellschaft von schaftlichen medizinischen Fachgesellschaften der Welt zählt. Ande- Fürsorgelasten sah, in der Verbesserung der Erbanlagen eines Volkes rerseits wurde viel zu lange ein wichtiger Teil der Geschichte dieser und schließlich in der „Erlösung der Menschheit vom Elend“, mas- Fachgesellschaft ausgeblendet, verdrängt. Dafür schämen wir uns. senhaft Menschen misshandelt und getötet – und unliebsame Kolle- Wir sind auch beschämt, weil wir, die deutsche psychiatrische Fach- ginnen und Kollegen aus ihren Ämtern gedrängt. gesellschaft, nicht einmal in der Zeit nach 1945 an der Seite der Opfer gestanden haben. Schlimmer noch: Wir hatten Anteil an ihrer erneuten Diskriminierung und Benachteiligung. Uns fehlen noch die Worte, warum eine Veranstaltung wie diese erst heute möglich W ir haben uns zu vergegenwärtigen, dass in den Jahren von 1933 bis 1945 fast 30 Prozent aller akademisch tätigen Nervenärzte aus dem damaligen Deutschen Reich emigrierten. Ihre sein konnte. Emigration erfolgte nicht freiwillig. Kolleginnen und Kollegen Es hat fast 70 Jahre gedauert, bis sich die Fachgesellschaft, als jüdischer Herkunft, oder wegen ihrer politischen Überzeugung deren Präsident ich heute hier vor Ihnen stehe, entschlossen hat, die- unliebsam gewordene Ärzte, wurden aus ihren Ämtern und Funk- ser Sprachlosigkeit ein Ende zu setzen und sich an ihre Tradition tionen gedrängt. Sie und ihre Angehörigen verloren ihre Anstellung einer Aufklärung durch Wissenschaft zu erinnern. Eine wissenschaft- und ihre Lebensgrundlage, ihr Hab und Gut – und nur zu oft liche Kommission, selbstständig und unabhängig, begleitet derzeit auch ihre Heimat. Diese emigrierten Kolleginnen und Kollegen ein Forschungsprojekt, um die Geschichte der Fachgesellschaft bezie- mussten sich mitsamt ihren Familien als Fremde in einem ihnen hungsweise deren Vorläuferorganisationen zunächst in der Zeit dann fremden Land eine neue Existenz aufbauen. zwischen 1933 und 1945 aufzuarbeiten. Aber das ist nicht genug: Die meisten derjenigen, die Deutschland oder Österreich nicht Unabhängig von den Forschungsergebnissen, die wir in den nächsten verlassen konnten, wurden im Krieg in die Konzentrations- und Jahren erwarten, habe ich – spät genug – bei allen Opfern und Vernichtungslager deportiert, ein Schicksal, das nur wenige überlebten. Angehörigen um Entschuldigung zu bitten für das erlittene Unrecht Dies ist nicht wieder gut zu machen.Das alles geschah, während sich und Leid, das ihnen von deutschen Verbänden und ihren Psychiatern die psychiatrische Forschung im Deutschen Reich mehr und mehr zugefügt wurde. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psycho- auf eugenische und rassehygienische Themen konzentrierte. Die Ge- therapie und Nervenheilkunde hat sich zu dieser Gedenkveranstal- sundheits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik der nationalsozialistischen tung entschlossen, um ein deutliches Zeichen zu setzen, getragen von Weltanschauung zielte auf die Förderung derjenigen, die zur Ge- dem Willen, die Opfer anzuerkennen und an ihrer Seite zu stehen, sundheit und Leistungsfähigkeit des Volkes beitragen konnten. Das sich zu der eigenen Vergangenheit zu bekennen und aus der Vergan- Schwache sollte ausgeschieden werden, damit das Starke umso stärker genheit zu lernen. wird. Dieses Denken steht in einer fatalen Tradition. Die Briefe und Dokumente, die wir eben gehört haben, geben Schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde der Begriff ein eindrückliches Zeugnis von dem, was psychisch kranke Menschen Eugenik verwendet und die Sterilisation psychisch Kranker propagiert, erlitten haben und was ihnen angetan wurde. im Deutschen Reich ebenso wie in Skandinavien und den angelsäch- NeuroTransmitter _ 1.2011 19
Rund um den Beruf Gedenken sischen Ländern. Bereits im Sommer 1914 wurde ein „Gesetzentwurf seitdem um die gesellschaftliche Rehabilitation der Opfer kämpft. zur Unfruchtbarmachung und Schwangerschaftsabbruch“ in den Aber es wurde nicht nur zwangssterilisiert, es wurde auch getötet. deutschen Reichstag eingebracht. Nur der beginnende erste Weltkrieg Schon in den 1920er-Jahren wurden unter dem Eindruck des ersten verhinderte die weitere Beratung und Verabschiedung. Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise Kranke zu Kostenfaktoren. Am 14. Juli 1933, nur kurze Zeit nach der von der NSDAP Es war ein Psychiater, Alfred Erich Hoche, der in seinem 1920 er- selbst so genannten „Machtergreifung“ Hitlers, wurde dann das „Ge- schienenen Buch zur Freigabe der Vernichtung „lebensunwerten setz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, an Lebens“ gemeinsam mit dem Juristen Karl Binding den Begriff dessen offiziellem Kommentar der Psychiater – und in den Jahren „Ballastexistenzen“ prägte und einen Katalog angeblich unheilbarer 1935 bis 1945 Präsident der psychiatrischen Gesellschaft – Ernst psychischer Krankheiten erstellte, die er „Zustände geistigen Todes“ Rüdin, damals Direktor der Deutschen Forschungsanstalt für Psy- nannte. 1930 wurde daraus in den Nationalsozialistischen Monats- chiatrie, mitgewirkt hat. Die Sterilisierung, die zwangsweise Steri- heften die Forderung: „Tod dem lebensunwerten Leben!“ lisierung, wurde darin als „Vorsorge für das kommende Geschlecht“ Rückdatiert auf den Überfall Deutschlands auf Polen, den bezeichnet. Eine perverse Darstellung, denn sie rechnet Leid und Kriegsbeginn am 1. September 1939, befahl Hitler die so genannte Verletzung der Einen gegen das Wohl der Anderen auf. Euthanasie-Aktion. Zum medizinischen Leiter dieser später „Aktion Im Gesetz wurden manisch-depressive Erkrankungen und Schi- T4“ genannten Aktion wurde ein Psychiater und Neurologe, der zophrenie als solche vererbbaren psychischen Erkrankungen genannt. Würzburger Ordinarius Professor Werner Heyde, bestimmt. Ihr und Ebenso aber auch erbliche Formen der Epilepsie sowie der Blind- und den nach ihrer offiziellen Beendigung sich anschließenden weiteren Taubheit, Kleinwuchs und vieles mehr. Kranke Menschen sollten Phasen der Krankentötungen sollten bis zum Kriegsende – und noch keine Kinder zeugen. Ihr für schlecht befundenes Genmaterial sollte einige Wochen darüber hinaus – mindestens 250.000 bis 300.000 so den gesunden „Volkskörper“ nicht weiter belasten. Alle Ärzte wur- psychisch, geistig und körperlich kranke Menschen zum Opfer fallen. den verpflichtet, diese so genannten „Erbkranken“ gegenüber den Behörden anzuzeigen. Über 360.000 Menschen wurden auf Grund- lage dieses Gesetzes von Medizinern selektiert und zwangssterilisiert. Über 6.000 starben bei den Eingriffen. A b Oktober 1939 wurden zuerst aus dem Columbushaus am Potsdamer Platz, dann ab April 1940 aus der Tiergartenstra- ße 4, also dort, wo heute die Berliner Philharmonie steht, Mel- Vor dem Hintergrund eugenischer und rassehygienischer Denk- debögen an die Heil- und Pflegeanstalten des Deutschen Reiches weisen galten die Sterilisationsgesetze bei vielen Psychiatern als vor- und der angegliederten Gebiete verschickt, um alle Patienten bildlich. Ernst Rüdin hat sich als Präsident unserer Vorläuferorga- systematisch zu erfassen und zu selektieren. Die Selektion erfolgte nisation mehrfach bei der Eröffnung der Jahrestagungen der GDPN nach Nützlichkeitskriterien, also der Frage nach der Arbeitsleistung. dafür ausgesprochen. Und auch in anderen Ländern weltweit wur- Am Ort der ehemaligen Zentraldienststelle befinden sich heute den Sterilisierungen auf eugenischer Grundlage befürwortet. In nur eine unscheinbare, in den Boden eingelassene Gedenktafel für Deutschland erlaubte das Gesetz allerdings die Sterilisation auch die Euthanasie-Opfer und eine erst nachträglich den Opfern gewid- gegen den Willen der Betroffenen. Für die Opfer war sie ein massiver, mete Plastik. Einen zentralen, nationalen Gedenkort für die Opfer ein schrecklicher Eingriff in den Kernbereich ihrer Identität, dem der Euthanasie gibt es weiterhin nicht. Das ist nicht nur für die sie ohnmächtig ausgeliefert waren. Sie wurden damit nicht nur Überlebenden und ihre Angehörigen Ausdruck fortdauernder Ver- unwiederbringlich ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit be- drängung und Erniedrigung, es ist auch ein blinder Fleck im Ge- raubt, sondern auch ihres Rechts auf Elternschaft. dächtnis unseres Landes und der deutschen Psychiatrie. Die aktuelle Initiative zur Errichtung einer angemessenen nationalen T4-Gedenk- A uch nach dem Krieg blieben den Opfern und ihren Familien in der Regel nur Scham und Schweigen über das, was ihnen angetan wurde. Und bis heute sind sie von der Bundesrepublik und Informationsstätte werden wir als Fachgesellschaft unterstützen. Fünfzig ausgewählte Gutachter, darunter damals namhafte Psychiater, werteten die von den Psychiatern der Kliniken zurück- Deutschland nicht ausdrücklich als Opfer nationalsozialistischer geschickten Meldebögen aus, selektierten und entschieden über Leben Verfolgung anerkannt, obwohl doch das Sterilisationsgesetz explizit und Tod. Unter diesen Gutachten waren auch Werner Villinger, Ausdruck nationalsozialistischer, deutscher Rasseideologie war, wie Friedrich Mauz und Friedrich Panse, in der Nachkriegszeit drei im Kommentar zum Gesetz sehr deutlich wird. Dort heißt es: Präsidenten unserer Fachgesellschaft. Mauz und Panse wurden spä- ter sogar Ehrenmitglieder unserer Gesellschaft. Zwar endet jede Eh- „Ziel der dem deutschen Volk artgemäßen Erb- und Rassen- renmitgliedschaft der DGPPN mit dem Tod der Geehrten, wir pflege ist: eine ausreichende Zahl Erbgesunder, für das deutsche verurteilen aber heute diese Ehrenmitgliedschaften und werden sie Volk rassisch wertvoller, kinderreicher Familien zu allen Zeiten.“ auch formal annullieren. Mit grauen Bussen, dem bildhaften Symbol für das Töten, wur- Mit Bewunderung anerkennen möchte ich hier das spätere En- den die Patientinnen und Patienten aus den Heil- und Pflegean- gagement von Dorothea Buck, Bildhauerin und Autorin, selber stalten abgeholt und in sechs psychiatrische Anstalten gebracht, in Betroffene und Mitgründerin des Bundesverbands Psychiatrie-Er- denen Gaskammern eingerichtet worden waren. Heilanstalten wur- fahrener. Sie hat immer wieder aufgeklärt, gemahnt und erinnert. den zu Vernichtungsanstalten. Aus Heilung wurde Vernichtung – Genauso wie Klara Nowak, die vor Jahren verstarb. Nowaks Initi- und Psychiater überwachten den Abtransport und die Ermordung ative ist es zu verdanken, dass sich 1987 Zwangssterilisierte und der ihnen anvertrauten Patienten. Die sechs Anstalten waren in der Euthanasie-Geschädigte zusammenfanden und den Bund der Reihenfolge ihrer Einrichtung: Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Euthanasie“Geschädigten und Zwangssterilisierten gründeten, der Pirna-Sonnenstein, Bernburg und Hadamar. 20 NeuroTransmitter _ 1.2011
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