Professionalisierung mittels Ambiguität. Die diskursive Konstruktion von Data Scientists in Wirtschaft und Wissenschaft - De Gruyter
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Zeitschrift für Soziologie 2021; 50(3–4): 193–210 Robert Dorschel*, Philipp Brandt Professionalisierung mittels Ambiguität. Die diskursive Konstruktion von Data Scientists in Wirtschaft und Wissenschaft Professionalization via Ambiguity. The Discursive Construction of Data Scientists in Higher Education and the Labor Market https://doi.org/10.1515/zfsoz-2021-0014 Abstract: This article studies the social construction of the emerging „data scientist” profession. Data science’s Zusammenfassung: Der Beitrag fragt, welche Deutungs- ongoing institutionalization rests on the objectification of muster mit der Konstruktion und Subjektivierung der social stocks of knowledge. A discourse analysis of job ads aufsteigenden Berufsgruppe der ‚Data Scientists‘ einher- and university programs reveals an ambiguous logic in the gehen. Aus soziologischer Perspektive beruht ihre fort- construction of data scientists. Initially, we show divergent schreitende Institutionalisierung maßgeblich auf Objekti- classifications of data science work in the academic and vierungsprozessen sozialer Wissensbestände. Anhand economic fields. We then reveal deeper interpretation pat- einer diskursanalytischen Auswertung von Stellenan- terns across both fields that define data scientists as fron- zeigen und Studiengangsbeschreibungen zeigen wir eine tierspersons, anti-nerds, and do-gooders. We present this ambige Logik in der sozialen Konstruktion von Data Scien- simultaneous divergence and consensus as a strategic ad- tists auf. In Wirtschaft und Wissenschaft besteht einerseits vantage for professionalization: the underlying meaning Dissens über die Klassifikation und Einordnung von Data integrates varying expectations and ideas around data Scientists, während andererseits basale Deutungsmuster scientists, who become broadly salient. The article thus Data Scientists als GrenzgängerInnen, Anti-Nerds und presents the subjectivation of professionals in an objecti- WeltverbesserInnen diskursivieren. Die ambige Logik aus fying digital economy. Dissens und Konsens interpretieren wir als einen strate- gischen Vorteil für die Professionalisierung: Ambiguität Keywords: Data Science; Digitalization; Discourse Anal- schafft Integrationsfähigkeit für unterschiedliche Er- ysis; Professionalization; Professions; Knowledge Work; wartungshaltungen und Imaginationen. Der Beitrag legt Tech Workers; Ambiguity; Bourdieu; Foucault. die Subjektivierung ebenjener Professionals frei, die eine Schlüsselposition in der objektivierenden Digitalwirt- schaft einnehmen. 1 Einleitung Schlüsselwörter: Data Science; Digitalisierung; Diskurs- analyse; Professionalisierung Professionen; Wissens- Die Soziologie widmet sich zunehmend der Erforschung arbeit; Tech Workers; Ambiguität; Bourdieu; Foucault. des digitalen Wandels. Insbesondere gesellschaftstheo- retische Diagnosen, wie die eines sich ausbreitenden metrischen Wir (Mau 2017), eines digitalen Kapitalismus Danksagung: Für Anregungen und konstruktive Kritik danken wir den HerausgeberInnen, den drei anonymen GutachterInnen, sowie Jonas (Schiller 2000; Staab 2019), eines Überwachungskapitalis- Ferdinand, Steffen Mau, Philippe Saner, Philipp Staab, Anna Thieser mus (Zuboff 2019) oder eines Datenkolonialismus (Couldry und Teresa Völker. & Mejias 2019), haben sich kritisch mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das Soziale auseinandergesetzt *Korrespondenzautor: Robert Dorschel, University of Cambridge, und damit ein lautes Echo innerhalb und außerhalb der Department of Sociology, 16 Mill Lane, Cambridge, CB2 1SB, Soziologie hervorgerufen. In den deutschen wie auch den E-Mail: rcd49@cam.ac.uk Philipp Brandt, Sciences Po, Department of Sociology/Centre angloamerikanischen Debatten existieren jedoch bis dato for the Sociology of Organizations, 19 rue Amélie, 75007 Paris, kaum Studien über die berufliche Hinterbühne dieser ma- E-Mail: philipp.brandt@sciencespo.fr krosoziologischen Beobachtungen. Digitale Arbeit bzw.
194 Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität Arbeit im digitalen Kapitalismus wurde bisher haupt- der Differenzierungs- und Herrschaftstheorie Bourdieus sächlich im Hinblick auf die prekären Beschäftigungs- weitergehend als soziale Felder mit Benennungsmacht gruppen untersucht (Graham & Anwar 2018). Nur verein- (Bourdieu 2004). Mittels einer wissenssoziologischen zelt nehmen sich Studien der Berufsgruppen an, die den Diskursanalyse von US-amerikanischen Data Science- ‚digitalen Informationsraum‘ (Boes et al. 2015) und seine Stellenanzeigen und Studiengangsbeschreibungen, dem Technologien konfigurieren, verwalten und ausweiten Entstehungsraum von Data Science, untersuchen wir die (Marwick 2013; Mützel et al. 2018; Wajcman 2018). Diskursivierungen und Subjektivierungen von Data Scien- Wir wenden uns in diesem Artikel den ‚Data Scientists‘ tists innerhalb dieser Felder. Im Anschluss an Foucault zu: einer im Kontext der Digitalisierung entstehenden Be- begreifen wir diskursive Konstruktionen nicht primär als rufsgruppe, die sozialstrukturell der neuen Mittelklasse Repräsentationen, sondern als Akte des performativen (Reckwitz 2019: 86) zuzurechnen ist und mittlerweile zen- Mithervorbringens (Foucault 1981: 74). Aus dieser Perspek- trale Funktionen innerhalb datenbasierter Organisationen tive sind Diskurse nicht nur Ressourcen von Professionen, erfüllt. Data Scientists nehmen die objektivierende Hin- sondern sie gestalten die Subjektformen und Kapitalwech- terbühne einer Digitalwirtschaft ein, deren Algorithmen selkurse sowie damit verbundene Möglichkeiten der ‚Kom- und KI-Systeme das private und soziale Leben zunehmend petenzdarstellungskompetenz‘ (Pfadenhauer 2003) aktiv beeinflussen. Der Beitrag fragt, welche Deutungsmuster mit. mit der diskursiven Konstruktion und Subjektivierung Im Zuge unserer Analyse von Data Science-Studien- von Data Scientists einhergehen. In der Regel werden Data gangsbeschreibungen und Stellenanzeigen wird ersicht- Scientists schlicht rudimentär als Experten definiert, die lich, dass die Konstruktion von Data Science einer gute Statistikkenntnisse und grundlegende Programmier- ambigen sozialen Logik folgt. Es besteht Dissens, aber fähigkeiten vorweisen können; und somit geeignet dafür auch Konsens bei der Konstruktion von Data Scientists sind, die in digitalisierten Systemen fortlaufend anfallen- in Wissenschaft und Wirtschaft. So wird in den Studien- den Datenmengen nach ‚Mustern‘ (Nassehi 2019) zu ana- gangsbeschreibungen ein Bild von Data Scientists gezeich- lysieren. Intuitiv einleuchtend, legt diese Erklärung doch net, welches deren multipolare akademische Expertise implizit einen professionssoziologisch unbefriedigenden, betont, sie als ‚leader‘ tituliert und ihnen eine kritische funktionalistischen Erklärungsansatz nahe (Abbott 1988). Datenethik attestiert. In den Stellenausschreibungen hin- Die rudimentären Definitionen, die von praktizierenden gegen werden Data Scientists als Schnittstellenprofession Data Scientists über Data Science formuliert werden, beschrieben, die als ‚team player‘ agieren sollen und von gehen mit Zelebrierungen und Warnungen in der media- denen in erster Linie eine Datenverwertungsethik ver- len Öffentlichkeit einher. So wird Data Science im Harvard langt wird. Parallel zu diesen kontrasthaften sozialfigura- Business Magazine als ‘Sexiest Job of the 21st century’ tiven Feldkonstruktionen lassen sich jedoch gemeinsame (Davenport & Patil 2012) gepriesen, während die ehema- basale Deutungsmuster identifizieren. So werden Data lige Mathematik-Professorin und Aktivistin Cathy O’Neil Scientists von Wissenschaft und Wirtschaft als Grenzgän- vor den ‘Weapons of Math Destruction’ (2016) von Data gerInnen gedeutet: als entdifferenzierende Arbeitssub- Scientists warnt. Wenn wir davon ausgehen, dass Berufs- jekte, die heterogene Wissensgebiete oder Projektglieder felder sich im Zuge ihrer Institutionalisierung auch mit miteinander verkoppeln können, um dadurch zu neuen externen Akteuren in ‚verbundenen Ökologien‘ (Abbott und innovativen Lösungen für Probleme zu gelangen. Und 2005) bewegen, kann von einem solchen Blickwinkel obwohl der Grenzgänger ein technisches Arbeitssubjekt eine Reihe weiterer externer Akteure identifiziert werden, impliziert, wird dieses Muster von beiden Feldern mit der die an der sozialen Konstruktion von Data Science betei- Deutung von Data Scientists als Anti-Nerds flankiert. Ob ligt sind. Der Prozess, ein neues Arbeitsfeld zu definieren sie nun als ‚leader‘ oder ‚team player‘ klassifiziert werden: und zu okkupieren, wird dementsprechend nicht nur von, beides fordert soziale Kompetenzen. Dieses Bild zeigt sondern auch für Data Scientists vorangetrieben. Dieser einen scharfen Kontrast zu bestehenden Code-versierten Aufsatz untersucht die Phänomenklassifikationen und ExpertInnen, die mit Data Scientists um das Tätigkeitsfeld Deutungsmuster, die mit ebendieser externen Konstruk- der digitalen Datenarbeit buhlen, auf, insofern Computer- tion und Subjektivierung von Data Scientists einhergehen. arbeit als charakteristische Tätigkeit für ‚sozial unbehol- Wir analysieren die sozialfigurative Bestimmung und fene‘ Nerds angesehen wird (siehe Kendall 1999: 262). Das Ausbreitung von Data Scientists in zwei Arenen, die zen- dritte gemeinsame Deutungsmuster ist die basale Klassifi- trale Konsekrationsinstanzen für aufstrebende Berufs- kation von Data Scientists als WeltverbesserInnen. Es wird felder darstellen: Wissenschaft und Wirtschaft (Abbott von beiden Feldern eine Welt konstatiert, die sich von zu- 1988: 55, 64). Wir konzeptualisieren diese Arenen im Licht nehmenden Datenmengen überflutet sieht und in der Data
Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität 195 Scientists in solutionistischer Manier die Welt verbessern Science etwa durch Entstehungsanekdoten in ihrer Exis- wollen, können und sollen. tenz zu erklären (siehe etwa Hammerbacher 2009). An Die hier beobachtete diskursive Ambiguität – eine anderen Stellen bemühen sich Data Scientists, ihre neue Subjektformation, die bisher nur vereinzelt für Professio- Rolle zu erklären, wobei sie primär die technischen Grund- nen in Anschlag gebracht wurde (z. B. Stichweh 1996 für lagen betonen (siehe etwa O’Neil & Schutt 2013). Außen- LehrerInnen) – verstehen wir im Anschluss an Foucault als stehende Autoren, wie González-Bailón (2017), vermitteln Professionalisierungsstrategie ohne Strategen (Foucault eine historische Perspektive, die die Nähe zwischen Data 1978: 132). Ambiguität fungiert als eine spezifische Form Science und den Sozialwissenschaften betont. Salganik kulturellen Kapitals, womit die soziale Position verbessert (2017) liefert den technisch und reflexiv umfangreichsten werden kann. Die ambige diskursive Konstruktionsweise Beitrag in seinem Versuch, Data Scientists und Sozialwis- von Data Scientists ähnelt dabei der bekannten Logik eines senschaftlern eine gemeinsame Zukunft zu skizzieren. Kippbilds (Gregory 2000): sie vermag vom Standpunkt der Andere Beiträge finden bezüglich dieser Causa größere Betrachterin variierende ‚Data Science-Imaginationen‘ Spannungen bzw. schreiben Data Science weniger Legiti- (Saner 2019) in einem Bild einzufangen. Wir theoretisie- mation zu (Donoho 2015; Ribes 2019). ren, dass so eine breite gesellschaftliche Anschlussfähig- keit ermöglicht und damit ein zentraler Erklärungsfaktor Dezidiert akademische Forschungen, die sich Data Science für die fortschreitende Institutionalisierung und Professio- als Untersuchungsgegenstand annehmen, sind rar. Eine nalisierung von Data Science erkennbar wird. Dieses Ar- Ausnahme stellt Philippe Saners (2019) Untersuchung gument schließt an Befunde zur strategischen Effektivität zur Implementierung von Data Science in die Schweizer von Ambiguität in anderen Feldern an (Davenport & Leitch Hochschullandschaft dar. Der Kernbefund seiner Analyse 2005) und unterstreicht im Fall der Data Scientists, dass lautet, dass insbesondere ökonomische Rechtfertigungen Ambiguität auch in Arbeitsfeldern, die eine vermeintli- für die Implementierung von Data Science-Studiengängen che datenbasierte oder anderweitig formale Objektivität aufgeführt wurden. In einem anderen Beitrag nimmt sich versprechen, Wirkung entfaltet. Diese Strategien, so ar- Saner, zusammen mit Mützel und Unternährer, der prak- gumentieren wir, finden insbesondere im Kontext techno- tischen Arbeit von Data Scientists an. In Anlehnung an logischer Transformationen reichhaltige Nährböden. Science and Technology Studies (Latour & Woolgar 1986) Im Folgenden wird zuerst der Forschungsstand über zeigen die AutorInnen auf, dass Daten niemals roh existie- Data Scientists rekapituliert. Daran schließt die Erörterung ren, sondern sozial produziert und sinnbehaftet weiterver- unseres theoretischen Rahmens an, der sich, neben der arbeitet werden (Mützel et al. 2018: 122). Dabei nehme der Professionssoziologie, aus einer Verknüpfung von Pierre Prozess der Datenaufbereitung bzw. -reinigung von ‚messy Bourdieus Feldtheorie und der Diskurstheorie Michel Fou- data‘ hin zu verheißungsvollen ‚tidy data‘ die meiste Zeit caults speist. Im Weiteren erfolgt eine Einführung in die der Data Science-Tätigkeit ein – dies spiegele sich in der Wissenssoziologische Diskursanalyse als Methodik und glanzvollen Außendarstellung des Berufes jedoch nicht es wird die Datengrundlage unserer Untersuchung näher wider. erläutert. Der empirische Analyseteil gliedert sich in drei Abschnitte, in denen die drei zentralen Deutungsmuster Unklar bleibt in den diversen Abhandlungen, wie es sich rekonstruiert werden. Die Herleitung erfolgt ausgehend mit Data Scientists und der Professionalisierung verhält. von den konfliktiven Klassifikationspraxen. Daran knüpft Zwar weist Data Science eine noch sehr junge Entwick- die Analyse der ambigen Logik, die den diskursiven Kon- lungsgeschichte auf, trotzdem sehen wir bereits in den struktionen zugrunde liegt, an. Abschließend diskutieren wenigen Data Science-Abhandlungen bekannte Muster wir die Bedeutung unserer Befunde für die Professions- aus der Forschung zu Professionen in der Entstehung. soziologie sowie für die soziologische Erforschung des Wie etwa bei den von Stichweh (1984: 255) untersuchten digitalen Wandels. englischen Physikern zeigt sich eine Vermischung von Experten und Amateuren. Des Weiteren erkennen wir sowohl die von Abbott vorhergesagten Konflikte zwischen 2 Forschungsstand benachbarten Expertengruppen über ‚Jurisdiktionen‘ (Abbott 1988: 40) als auch die tiefer liegenden, konstrukti- vistischen Prozesse um Experten, Nichtexperten und ma- Es überwiegt aktuell eine außerakademische Auseinan- terielle Objekte, die sich sonst erst in der historischen und dersetzung mit Data Scientists als einer neuen Berufs- kulturellen Vielfalt von ‚Wissensarbeit‘ erkennen lassen gruppe; medial wirksame Beiträge versuchen, Data (Eyal 2013). Gleichzeitig stellt der Data Science-Fall eine
196 Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität Herausforderung für die Professionssoziologie und ihre 3 Theoretischer Rahmen Fokussierung auf historische Prozesse dar. Zwar hat sich, seit Abbotts allgemeiner Theorie zum systemischen Zu- Diese Untersuchung analysiert also die sozialen Logiken, sammenhang von Professionen, eine wachsende Debatte die die diskursiven Konstruktionsweise und Subjektivie- den Problemen von neueren Berufsgruppen im Organisa- rung von Data Scientists strukturieren. In der professions- tionskontext gewidmet (Manske & Schnell 2010; Muzio et soziologischen Literatur werden vor allem zwei Bereiche al. 2011; Noordegraaf 2007; Suddaby et al. 2009), jedoch wiederholt behandelt, von denen angenommen wird, dass beziehen sich die von dieser Forschung hervorgebrachten dortigen Klassifikations- und Deutungspraktiken eine be- Befunde auf Probleme, denen Data Scientists erst begeg- sonders hohe Relevanz bei der Institutionalisierung von nen können, nachdem sie die ersten Schritte im (diskur- Berufen zukommt: die Arena der Universitäten sowie die siven) Professionalisierungsprozess bereits durchlaufen Arena der Unternehmens- bzw. Arbeitswelt (Abbott 1988; haben. Ein weiteres Defizit der dominanten Professions- Freidson 1988). Wir ziehen weitergehend Pierre Bourdieus soziologie ist eine Konzentration auf Professionals, ohne Feldtheorie heran, um jene professionellen Arenen diffe- deren Einbettung in einen weiteren gesellschaftlichen renzierungs- und herrschaftstheoretisch in den Blick zu Kontext systematisch in den Blick zu nehmen (Atzeni nehmen. Die Feldtheorie Bourdieus liefert einen Ansatz, 2016; Stichweh 2000). Abbotts Konzept der verbundenen der auch an den Beziehungen zwischen den Feldern in- Ökologien bietet einen wichtigen Referenzpunkt, ohne teressiert ist (Bourdieu 2004) und im Vergleich zu Abbotts jedoch eine ausformulierte Differenzierungstheorie mit Ansatz stärker auf die Analyse von Kapitalformen, Stra- entsprechenden Analysekonzepten bereitzustellen, um tegien und sozialen Positionen geeicht ist (Liu & Emir- die Emergenz einer neuen Profession rekonstruieren bayer 2016). Somit hilft er, die Genese von Data Science zu können. Seine knappen Beobachtungen zur Institu- als Beruf innerhalb und zwischen dem ökonomischen tionalisierung der benachbarten Computerwissenschaf- und akademischen Machtfeld zu verfolgen. Im Sinne ten etwa stützen sich auf eine Kluft zwischen praktischer der Feldtheorie werden Wissenschaft und Wirtschaft als und wissenschaftlicher Arbeit (siehe Abbott 2005: 266), akademisches und ökonomisches Konfliktfeld verstan- eine Situation, die bei Data Science zu diesem frühen Zeit- den (Bourdieu 2002, 2014), welches wiederum selbst in punkt lediglich eines von unterschiedlichen möglichen ein erweitertes, gesamtgesellschaftliches Konkurrenz- Szenarien darstellt. feld eingebettet ist, das Feld der Macht (Bourdieu 2004). Soziale Felder sind eigenlogische Mikrokosmen, in denen Um dem im Fall der Data Scientists fehlenden Verständ- bestimmte Regeln und Werte gelten und Akteure mittels nis der Fremdbeschreibung entgegenzuwirken, wählen verschiedener Kapitalformen versuchen, ihre Sichtwei- wir den Ansatz der Diskursanalyse zur Untersuchung der sen der Welt durchzusetzen, um so ihre soziale Position Konstruktion von Data Science in zwei ihrer institutionel- (welche auf der anerkannten Wertigkeit ihrer Kapitalfor- len Entstehungskontexte: Wissenschaft und Wirtschaft. men beruht) zu sichern oder zu verbessern (Bourdieu & Fremdbeschreibungen haben auch für etablierte Berufs- Wacquant 2013: 127). Felder sind also einerseits Horte des gruppen wie die ärztliche Profession eine signifikante Konflikts, andererseits aber immer auch des Konsenses. Rolle gespielt (Atzeni 2016). Unser diskursanalytischer Streit über eine Ressource kann nur entbrennen, wenn Ansatz soll im Fall der Data Scientists ermöglichen, die die Relevanz der Ressource von beiden Seiten anerkannt frühen sprachlich-institutionellen Zuschreibungen von ist, wenn also basale Wissensordnungen in Form eines Kompetenzen in verschiedenen sozialen Feldern ein- gemeinsamen Glaubens für das Spiel (illusio) sowie un- fangen zu können, die der Generierung einer professio- hinterfragte Weltannahmen (doxa) existieren (Bourdieu nalen Kompetenzdarstellungskompetenz vorausgehen. 2015: 112). Vereinzelte Studien haben einen diskursiven Ansatz zur Wie in der Einleitung skizziert, findet die Entstehung Professionsanalyse bereits verfolgt – sowohl in neueren von Data Science maßgeblich im Diskurs über Data Scien- Erscheinungen, wie Managementberater (Schmidt-Wel- tists statt. Wir ziehen Michel Foucaults Diskurstheorie lenburg 2009) oder Trennungs- und Scheidungsberater heran, um die Emergenz von Data Science hinsicht- (Halatcheva-Trapp 2018), als auch etablierteren Berufen, lich ihrer eigenlogischen, diskursiven Aushandlung im wie der Medizin (Wetterer 2002; Atzeni 2016). Ziel dieses akademischen und ökonomischen Feld zu beleuchten. Beitrags ist es damit, auch weiter Aufschluss über die Foucault (1981) definiert den Diskurs als eine Menge von diskursive Beschaffenheit professionalisierter Felder zu Aussagen, die in Beziehung zueinander stehen, die ein geben. Netz bilden und deren Verbindungen durch Formations- regeln und eigendynamische Logiken bestimmt werden
Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität 197 (Foucault 1981: 39). Das sozialtheoretisch Relevante am Aus dieser Perspektive nehmen wir Data Science als po- Diskurs ist seine überrepräsentative Bedeutung, denn der tenzielles Professionsfeld in den Blick, dessen Emergenz Diskurs ist aufzufassen: und Okkupation der Datenarbeit im Hinblick auf Diskur- sivierungen des akademischen und ökonomischen Feldes „nicht […] als Gesamtheit von Zeichen (von bedeutungstra- untersucht werden müssen. genden Elementen, die auf Inhalte oder Repräsentationen ver- weisen), sondern als Praktiken […] die systematisch die Gegen- stände bilden, von denen sie sprechen. Zwar bestehen diese Diskurse aus Zeichen; aber sie benutzen diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen. Dieses mehr macht sie ir- 4 W issenssoziologische reduzibel auf das Sprechen und die Sprache. Dieses mehr muß Diskursanalyse man ans Licht bringen und beschreiben.“ (Foucault 1981: 74) Zur Operationalisierung der Foucault’schen Methodo- Als Ordnungen des Denk- und Sagbaren kreieren Diskurse logie ziehen wir das Forschungsprogramm der Wissens- also aktiv den symbolischen gesellschaftlichen Bezugsrah- soziologischen Diskursanalyse (WDA) von Reiner Keller men, durch den soziale Phänomene erst hervorgebracht (2011a, 2011b) heran.1 Dieses bietet sich nicht nur durch werden (Diaz-Bone 2006; Keller 2011a: 127). Mit dem Dis- konkrete methodische Überlegungen zur Umsetzung der kurskonzept und der korrespondierenden Diskursanalyse Foucault’schen Diskurstheorie an, sondern auch, weil es sucht Foucault nach Grundmustern des Wissens, nach mit der Bourdieu’schen Sozialtheorie insofern vereinbar den historisch spezifischen Wissensordnungen, die Sub- ist, als das Programm ebenfalls die Akteure systematisch jektformen (re-)produzieren, indem sie die Grenzen des in den Blick nehmen möchte, die an der eigendyna- Sagbaren ziehen. Foucault interessierte sich insbesondere mischen diskursiven Konstruktion der Wirklichkeit betei- in seinem Frühwerk dafür, wie historisch spezifische Sub- ligt sind (Keller 2011a: 49). Im Anschluss an Foucault geht jekte, z. B. ‚der Wahnsinnige‘, durch diskursive Praktiken Keller davon aus, dass in den endlichen und verstreuten bestimmter gesellschaftlicher Institutionen (etwa der Wis- Äußerungsereignissen von sozialen Akteuren Aussagen senschaft) hergestellt wurden (Foucault 2003). Daran, und enthalten sind, die als Manifestation der strukturierten an neuere Entwicklungen in der empirischen Subjekti- Prozessierung kontingenter gesellschaftlicher Wissens- vierungsforschung (siehe Bosančić et al. 2021) angelehnt, vorräte von Interesse sind (Keller 2011a: 68). Äußerungen interessieren wir uns für die Diskursivierung des Data bergen einen typisierbaren Inhalt, eine Aussage, die es zu Scientist-Subjekts. entschlüsseln gilt. Diskurse entstehen demnach aus zu- Neben einer ähnlichen relationalen und machtfokus- sammenhängenden Aussagen in Aussagensystemen. Sie sierten Epistemologie kann der gemeinsame Fluchtpunkt materialisieren sich im Kontext sozialer Felder in sprach- der Foucault’schen mit der Bourdieu’schen Sozialtheorie lichen und nichtsprachlichen Interaktionen, visuellen in der Frage lokalisiert werden, welche Subjektivierungs- Medien und Textdokumenten. bzw. Habitualisierungsweisen zu einer spezifischen Zeit Die zwei Konzepte der Phänomenstruktur und und an einem bestimmten Ort vorherrschen (Diaz-Bone Deutungsmuster stellen die Ankerpunkte in Kellers For- 2002; Kajetzke 2008; Maeße & Hamann 2016; Schmidt- schungsprogramm dar. Das Konzept der Phänomenstruk- Wellenburg 2014). Zwar bestehen wichtige Differenzen tur verweist auf die unmittelbaren inhaltlichen Themen in der Theoretisierung von Subjekt bzw. Habitus, grund- eines Diskurses sowie deren unterschiedliche Elemente sätzlich jedoch zielen beide Konzepte auf die Analyse und Dimensionen. Es geht hier also um die Untersuchung der Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die die Heraus- eines Korpus hinsichtlich der regelmäßig auftretenden bildung von spezifischen Denk-, Wahrnehmungs- und Themen, Problemdimensionen und Wertungen (Keller Handlungsweisen bedingen (Reckwitz 2015). Durch die 2011a: 249). Eine Sondierung der Phänomenstruktur steht Kombination der Theorien entsteht eine Heuristik, die insbesondere zu Beginn einer wissenssoziologischen Dis- an der feldspezifischen Hervorbringung und Brechung von Diskursen und einhergehenden Subjektivierungs- bzw. Habitualisierungsweisen interessiert ist. Die Kom- 1 Foucault erarbeitete in seiner archäologischen Phase zwar elabo- bination aus Diskurs- und Feldtheorie eignet sich somit, rierte methodologische und sozialtheoretische Überlegungen über um das frühe Entwicklungsstadium von Professionen zu Diskurse, jedoch keine konkrete Handlungsanleitung zur prakti- untersuchen, denn sie legt die diskursive Beschaffenheit schen Umsetzung des diskursanalytischen Forschungsprogramms. professionalisierter Felder frei und ergänzt damit das Reiner Kellers Entwurf einer wissenssoziologischen Diskursanalyse stellt einen Verfahrensvorschlag im Anschluss an Foucault dar, an existierende professionssoziologische Instrumentarium. dem sich diese Untersuchung orientiert.
198 Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität kursanalyse an. Das Herzstück der WDA stellt das Konzept port & Patil 2012; Hammerbacher 2009). Zwar haben sich der Deutungsmuster dar. Der Zusatz ‚Muster‘ verweist seither Data Science-Studiengänge und Positionen global bereits darauf, dass es hier um die sprachlich-materiale verbreitet, es bleibt jedoch unklar, inwieweit die Rolle der Gestalt mehrerer Sinngehalte geht. Ein Deutungsmuster Data Scientists im Zuge dieser Verbreitung an lokale kul- verknüpft und verdichtet mehrere Phänomenklassifika- turelle Kontexte angepasst wurde. Dieser Prozess selbst tionen und Narrative in basalen Interpretationsschemata, stellt einen relevanten Forschungsgegenstand dar. Für ein die individuelle und kollektive Erfahrungen organisieren, solches Vorhaben bedarf es allerdings in erster Instanz indem sie Sinn stiften (Keller 2011a: 240). Während die eines fundierten Verständnisses für die Diskursivierung Phänomenstruktur also auf die thematischen Dimensio- von Data Scientists im Entstehungsraum. nen eines Diskurses verweist und unmittelbar durch eine Die feldtheoretische Kontextualisierung verlangt ein ‚Oberflächenanalyse‘ erschließbar ist, ist das Konzept der Vorgehen in der Datenerhebung, das Rücksicht auf die Deutungsmuster auf einer tiefer liegenden Ebene zu ver- Feldpositionen innerhalb der Arenen der Wissenschaft orten und erfordert eine stärker interpretativ operierende und Wirtschaft nimmt. Für das akademische Feld wurden ‚Feinanalyse‘ des Materials. jeweils fünf hoch rangierende, fünf mittelhoch rangierende und fünf niedrig rangierende Universitäten (siehe Tab. 1) verwendet.2 So sollte eine partielle relationale Kontextua- 5 Datengrundlage und Auswertung lisierung der diskursiven Konstruktionen mit der Struktur und dem Positionsgeflecht des akademischen Feldes er- möglicht werden. Innerhalb dieser drei Statuskategorien Als Datenmaterial dieser Untersuchung fungieren Studien- wurden solche Universitäten für das Korpus ausgewählt, gangsbeschreibungen und Stellenanzeigen. Hiermit wollen die das Data Science-Studium mit-diskursivieren anstatt wir uns der Einbettung von Data Science-Professionals sich lediglich des neuen Begriffs zu bedienen. Dieses Ver- innerhalb eines ausdifferenzierten Feldes der Macht zu- fahren ergab 15 Universitäten mit 25 Data Science-Studien- wenden und die gesellschaftlichen Erwartungshaltungen gangsbeschreibungen als Korpusmaterial (manche Univer- einfangen. Aus diskurstheoretischer Perspektive werden sitäten3 bieten mehr als eine Data Science-Studienoption die Materialien der akademischen und ökonomischen an). Für das ökonomische Feld fungieren Stellenanzeigen Felder nicht nur als Repräsentation von sozial Gegebenem des führenden Internetportals ‚glassdoor‘ als Korpusma- verstanden, sondern als Praktiken, die (mit) hervorbrin- terial. Da Stellenanzeigen um ein Vielfaches zahlreicher gen, wovon sie sprechen. Hier wird maßgeblich definiert, auftreten als Studiengänge wurde hier das stratifizierte wer dazugehört und wer nicht (z. B. Atzeni 2016; Duffy & Erhebungsverfahren mit Zufallsstichproben erweitert. Es Schwartz 2017). Studiengangsbeschreibungen und Stellen- wurden zufällig jeweils vier Stellenanzeigen von den auf anzeigen stellen demnach zentrale Instanzen der Wissens- dem Börsenmarkt höchstdotierten Technologie-Unterneh- produktion und Subjektanrufung dar. Data Scientist-An- men ausgewählt. Neben diesen 16 Stellenanzeigen wurden wärterInnen müssen durch diesen ‚obligatory passing 16 weitere Annoncen von sechs führenden Start-up-Unter- point‘ (Callon 1984) hindurch. Gleichwohl ist die Aussage- nehmen zufällig ausgewählt (siehe Tab. 1, zweite Spalte).4 kraft von den zwei Textmaterialien kritisch zu reflektieren: Die Erhebung der Stellenanzeigen sowie der Studiengangs- Die Materialien stellen lediglich einen Ausschnitt der Dis- beschreibungen fand zwischen März und Mai 2019 statt. kursaktivitäten in den jeweiligen Feldern dar (als weitere Materialsorten könnten etwa Blogs, Podcasts, Mitteilungen 2 Hierfür wurde auf das zwar durchaus umstrittene, aber dennoch von Akkreditierungsinstanzen oder Lehrbücher fungieren). weitreichend saliente Hochschulranking von Times Higher Educati- Des Weiteren sind die ausgewählten Materialien speziell on zurückgegriffen. Als ‚high ranking‘-Universitäten wurden solche in der Hinsicht, dass es sich um kuratierte Außenpräsen- eingestuft, die innerhalb der ersten 30 Plätze des US-spezifischen tationen von institutionalisierten Feldakteuren handelt. Rankings kategorisiert wurden. Als ‚middle high ranking‘ solche, die Zudem ist zu unterstreichen, dass dieser Beitrag lediglich zwischen den Plätzen 31–100 rangierten. Als ‚low ranking‘ zählten schließlich alle Universitäten auf den dahinter liegenden Plätzen. die Anrufung des Data Science-Subjekts untersucht, nicht 3 Um die Statuskategorien trotz des frühen Zeitpunkts unseres Be- aber seine nichtdiskursive Manifestierung. Unter Vorbehalt obachtungszeitraumes ausgeglichen zu gewichten, haben wir eine dieser Einschränkungen ist unser Ansatz relevant und aus- Universität aus Kanada in unser Sample mit aufgenommen (Carleton reichend robust, um eine Grundlage zur Erforschung des University). Die geographische, kulturelle und institutionelle Nähe Emergenzprozesses von Data Science aus diskurstheoreti- im akademischen Bereich führen uns zu der Überzeugung, dass scher Perspektive zu schaffen. diese Beobachtung zu keiner Verzerrung der Analyse führt. 4 Als Start-up wurden solche Unternehmen definiert, die im Erhe- Geografisch konzentrieren wir uns auf den US-ame- bungszeitraum jünger als 10 Jahre alt waren und mittels innovativer rikanischen Kontext. Wie bereits erwähnt, wurde hier Technologien, Produkten und/oder Geschäftsmodelle versuchen, erstmals die Data Science-Profession ausgerufen (Daven- Märkte zu erschließen (Startup-Monitor 2018).
Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität 199 Tab. 1: US-Data Science Studiengangsbeschreibungen und Stellenanzeigen Studiengänge Stellenausschreibungen Brown University (2) – Amazon (4) – Master Data Science – Apple (4) Columbia University (3) – Google (4) Hochplatziert (N) Etablierte Techfirmen (N) – Master Data Science – Microsoft (4) Duke University (2) – Master Interdisciplinary Data Science Harvard University (2) – Master Data Science Stanford University (2) – Master Statistics & Data Science Carleton University (1) – Master Data Science Boston University (2) Mittelpatziert (N) – Master Computer Science – Data Analytics Georgetown University (2) – DoorDash (2) – Master Data Science for Public Policy – InstaCart (2) Northwestern University (1) – JUUL Labs (4) – Master Data Science – Slack (2) University of Virgina (3) – Stripe (2) Start-up Techfirmen (N) – Master Data Science – WeWork (4) DePaul University (1) – Master Data Science Niedrigplatziert (N) Illinois Tech Institute (1) – Master Computer Science in Data Science Oklahoma University (1) – Master Data Science and Analytics San Francisco (1) – Master Data Science Southern Methodist University (1) – Master Data Science Gesamt N = 25 Gesamt N = 32 Anmerkung: Die Erhebung der Materialien (n = 57) fand zwischen März und Mai 2019 statt. Die Datenauswertung orientierte sich an Kellers (2011b) abschließenden Ergebnisaufbereitung erfolgte eine Sys- Programm zum diskursanalytischen Forschungsvorgehen. tematisierung und Interpretation der herausgearbeiteten In der Phase der Oberflächenanalyse wurden die Texte regelhaften Phänomenstrukturen und Deutungsmuster. allesamt mehrmals gelesen, um insbesondere die Phäno- menstruktur herauszuarbeiten. Parallel dazu wurden Codes für Sinnabschnitte vergeben und im Laufe des Forschungsprozesses unter abstrakteren Kategorien sub- 6 Analyse und Ergebnisse: sumiert. Memos dienten zur ersten Theoretisierung der Diskursivierung von Data Befunde. Ausgehend von den ersten diagnostizierten Re- gelmäßigkeiten zwischen den Aussagen wurden Schlüs- Scientists zwischen Kontrast seldokumente bestimmt, in denen die Wissensmuster als und Konsens Bündelungen von Klassifikationsschemata besonders kon- zentriert auftraten. Diese Dokumente wurden dann einer Die empirische Analyse ist in drei Abschnitte gegliedert. Feinanalyse unterzogen, mit dem Ziel, von den bestehen- Der erste Abschnitt befasst sich mit der diskursiven Kon- den Codes auf zugrunde liegende Organisationsmecha- struktion der Fachexpertise, der zweite Abschnitt mit den nismen und Deutungsmuster zu schließen. Während der sozialfigurativen Elementen sowie der zugeschriebenen
200 Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität Arbeitsrolle und der dritte Abschnitt mit der postulierten zielt also auf der einen Seite auf die Kombinierung von Ethik der Data Scientists. Die Reihenfolge der Analyseab- Programmierung mit statistischen Analysemethoden. Dies schnitte korrespondiert mit einer Zunahme an Kontrasten soll angehenden Data Scientists ermöglichen, vor allem zwischen den Konstruktionsweisen des akademischen zweierlei Aufgabenbereiche innovativ zu verknüpfen: (1) und ökonomischen Feldes. Während bei der Benennung große Datenmengen aufzubereiten und systematisch nach der Fachexpertise mit Hinblick auf die Phänomenstruk- Mustern zu durchforsten sowie (2) mittels ‚machine lear- tur lediglich feine Unterschiede zutage treten, bestehen ning‘, ‚deep learning‘ und der Programmierung von Algo- auf der ethischen Ebene grobe Unterschiede. In allen rithmen Produkte bzw. Programme aus den hergestellten drei Bereichen stellen wir jedoch auf einer epistemischen Erkenntnissen zu generieren. bzw. doxischen Ebene gemeinsame Deutungsmuster Um diese Kombinierung von Programmier- mit Sta- fest. Abschließend erfolgt eine Systematisierung der ver- tistikkenntnissen in der Datenarbeit sinnvoll einsetzen schiedenen Befunde, die verdeutlicht, dass externe Dis- zu können, sollen auf der anderen Seite neben den tech- kursivierung von Data Scientists einer ambigen sozialen nischen und statistischen Fähigkeiten auch ökonomisches Logik folgt. und kommunikatives Wissen vermittelt werden – etwa in Kursen, die ‚management skills‘ oder das ‚business thin- king‘ der Studierenden trainieren. Data Scientists sollen 6.1 Data Scientists als GrenzgängerInnen so in die Lage versetzt werden, Probleme nicht nur tech- nisch rigoros anzugehen, sondern in ihrer Arbeit betriebs- Die Eingrenzung der Wissenskompetenz von Data Scien- wirtschaftliche Vorgaben oder Ziele nicht aus den Augen tists ist einer der zentralen Themenkomplexe, um den Aus- zu verlieren. Data Scientists sollen also nach ihrer Aus- sagen in den untersuchten Dokumenten kreisen. Im aka- bildung, so versprechen und verkünden es zumindest die demischen Feld lässt sich diesbezüglich eine Klassifikation Universitäten, als multipolare AkademikerInnen auftreten von Data Scientists als wissenschaftlich breit geschulten können.5 Multitalenten finden. Der akademischen diskursiven Die Form der Multipolarität, mit der eine Singularisie- Praxis nach sind Data Scientists in der Lage, die Vielzahl rung der Fachexpertise angestrebt wird, korrespondiert von Aufgaben, die in der professionalen Datenanalyse an- mit der Institutionalisierung von Data Science innerhalb fallen, eigenständig und auf innovative Art und Weise zu der Universität als Organisation. Data Science ist in der lösen. In allen drei Status-Schichten des akademischen Regel keine eigenständige Disziplin, sondern existiert ein- Feldes wird das Data Science-Studium damit beworben, gebettet in bestehende Institute und Fakultäten. Anders dass eine Vermittlung von tiefer Wissensexpertise für eine als in den klassischen ‚interdisziplinären Projekten‘, in Breite von Anforderungsprofilen erfolgt. Data Science, so denen sich häufig bestehende Disziplinen als Selbstzweck lässt es sich aus den beworbenen Studiengangsinhalten oder um spezielle inhaltliche Fragen zusammenschließen und den Lehrplänen rekonstruieren, verbinde die Lehre (Abbott 2001), widmet sich Data Science keinem speziel- von technischen, statistischen, kommunikativen und be- len Problem, und etablierte Disziplinen versuchen, ihre triebswirtschaftlichen Kenntnissen: Eigenständigkeit trotz der Emergenz von Data Science zu bewahren (z. B. Donoho 2015). An den meisten Universitä- „Students master subjects from computer science, statistics, and ten ist Data Science innerhalb der Institute der Statistik, management such as regression, web scraping, SQL and NoSQL der Informatik (Computer Science) oder der Ingenieurs- database management, natural language processing, business communications, machine learning, cluster analysis, applica- wissenschaften angesiedelt. Damit knüpft Data Science tion development, and interviewing skills.” (University of San an die abwechslungsreiche Geschichte sowohl der US- Francisco 2019) amerikanischen Universitäten als auch der Statistik selbst an (Ben-David 1971). Es existieren bisher nur an einigen Als technische Fähigkeiten werden immer wieder ‚data mittel- oder höher rangierenden Universitäten eigene Data cleaning‘, ‚programming‘ und ‚data visualization‘ in den Science-Institute (siehe Columbia University 2019a) bzw. Lehrplänen der Studiengänge erwähnt. Zusätzlich zu Data Science Schools (siehe University of Virginia 2019c). diesen praktischen ‚skills‘ umfassen die statistischen Fä- higkeiten, die vermittelt werden sollen, die Anwendung 5 Den Terminus ‚Akademiker‘ ziehen wir als deutsches Pendant zum und Entwicklung statistischer Modelle. Häufig müssen US-amerikanischen Terminus ‚professional‘ heran (Freidson 1986). daher, um in die Studiengänge aufgenommen zu werden, Als Akademikerin ist in diesem Sinne eine universitär geschulte Grundkenntnisse im Umgang mit Programmiersprachen Wissensarbeiterin gemeint, nicht aber eine Wissenschaftlerin oder und Statistik vorgewiesen werden. Das Studium selbst ‚academic‘.
Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität 201 Diese mitunter schwache Form der Institutionalisierung erfolgt gewissermaßen in Abgrenzung zum ‚Fachidiot‘ wird als Stärke des Faches gerahmt. In den Studiengangs- oder ‚Nerd‘, obwohl sie die für diese Bezeichnungen cha- beschreibungen präsentiert sich ein Narrativ, welches eine rakteristische Kompetenz in der Arbeit mit Computern produktive Verbindung zwischen Data Science als Quer- (siehe Kendall 1999) auch für sich beanspruchen. schnittsprogramm und der datenweltlichen Durchdrin- In den Stellenanzeigen, bei denen in der Regel kein gung sämtlicher Bereiche der sozialen Welt proklamiert: spezielles Data Science-Studium vorausgesetzt wird, sondern lediglich ein Studium in einem quantitativen Fach, „Our faculty represents the fundamental multidisciplinary finden wir eine etwas anders gelagerte Diskursivierung nature of the big data industry.” (University of San Francisco von Data Scientists. Hier dominiert anstelle des Bildes von 2019) „Our core courses draw on expertise and involve faculty from Data Scientists als multipolaren AkademikerInnen jenes different disciplines across Duke. By doing so, they reflect the einer Schnittstellenprofession. Data Scientists werden bei multiple quantitative disciplines that contribute skill sets to data den etablierten Techunternehmen wie auch den Start-ups science.” (Duke University 2019a) als eine Art Mediatoren konstruiert, die sich dadurch aus- zeichnen, praktische Vermittlungs- und Übersetzungs- Data Science durchziehe die Fakultäten in gleichem Maße, arbeit innerhalb und zwischen Arbeitsgruppen leisten zu wie Daten die Wirtschaft und Gesellschaft durchziehen, können. Den Stellenanzeigen zufolge sollen Data Scien- lautet die homologisierende Narration – eben, weil die tists primär über die berufliche Eignung verfügen, mit ver- Kurse größtenteils von bestehenden Fakultäten angebo- schiedenen Abteilungen und Berufsgruppen – und somit ten werden. Der Anspruch an Data Scientists ist somit ein auch zwischen unterschiedlichen Akteuren, Konzepten anderer als an die ausbildenden Institutionen und Wissen- oder Zielen – zusammenarbeiten und zwischen ihnen ver- schaftler selbst. Somit kann auch Wirtschaftsnähe als ein mitteln zu können. Es wird das Bild von Data Scientists als Verkaufsargument eines Studiums dienen, ohne Anlass für ‚broker‘ bzw. einer Brücke konturiert: Verlustängste wissenschaftlicher Autonomie zu bieten.6 „Our team drives the cross-company strategy for healthcare and Gleichzeitig ist die Bewerbung von Data Science als Quer- life sciences, and applies Microsoft’s deep technical assets on schnittsprogramm wohl auf organisationsökonomische improving healthcare and health equity around the world. We Aspekte zurückzuführen; es dürfte in vielerlei Hinsicht focus on impacting technology and the industry in the 3–10 year unproblematischer sein, ein Programm in bestehende horizon, and act as a bridge [eigene Hervorhebung] between Disziplinen einzugliedern, statt ihm eigene Organisations- Microsoft Research and product teams, and have landed nume- einheit zukommen zu lassen. Diese Positionierung weist rous technical innovations into shipping products.” (Microsoft 2019a) für Data Science als Disziplin freilich das Risiko auf, eine „Work with cross-functional partners in product, engineering, fachliche Selbstverwaltung nicht zu erreichen, sondern in design, and operations to achieve business goals.” (InstaCart organisationaler Abhängigkeit zu verbleiben. Außer Frage 2019a) steht jedoch, dass die Positionierung von Data Science als Querschnittsdisziplin einen konfliktärmeren Eintritt in Data Scientists werden also von den Unternehmen als das akademische Feld ermöglicht hat. Schnittstellenprofession zwischen individuellen und Durch die oszillierende Diskursaktivität zwischen organisationalen Akteuren konstruiert. Diese zugeschrie- Disziplinen entsteht also ein Bild von Data Scientists als bene Rolle geht einerseits mit Anforderungen im Betrieb multipolaren AkademikerInnen. Data Scientists wird die einher, andererseits ist sie zugleich Anerkennung und Rolle zugeschrieben, disparate Wissenssysteme ‚mastern‘ Legitimation einer Verantwortung, die Data Scientists zu- und kombinieren zu können. Data Scientists sollen die teilwerden soll.7 Arbeitswelt dadurch bereichern, dass sie eine methodisch Diese Figuration der Arbeitsrolle schließt zwar intuitiv versierte Verbindung bestehender Fachexpertisen betrei- an den Befund von Data Scientists als multipolaren Aka- ben, so das Mantra. Die Konstruktion von Data Scientists demikerInnen an, weicht jedoch in ihrer sozialen Form ab. 6 Womöglich manifestiert sich mit der Wirtschaftsnähe in dem aka- demischen Diskurs auch der Umstand, dass das US-amerikanische 7 Im nächsten Abschnitt wird deutlich, dass sich trotz dieser Schnitt- Hochschulsystem stark ökonomisiert ist. Entsprechende Befunden stellenpositionierung nicht automatisch personelle Führungsverant- beziehen sich auf die Hochschulverwaltung (z. B. Espeland & Sauder wortung für Data Scientists ergibt. Womöglich dürfte eine Schnitt- 2007), wohingegen die wissenschaftlichen Disziplinen eine strecken- stellenprofession ohne Führungsverantwortung für ein gewisses weise kontraproduktive Opposition zur Ökonomisierung ihrer Arbeit Maß an Anomie in bestehenden Organisationsstrukturen und -logi- einnehmen (Owen-Smith & Powell 2001). ken sorgen.
202 Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität Es wird in den Stellenanzeigen weniger auf die Bündelung ist also, temporäre Entdifferenzierungen zwischen hetero- von Wissen auf einer höheren Ebene referiert, sondern genen Entitäten innerhalb von Arbeitsprozessen herstel- vielmehr auf die Funktion des vermittelnden Mitarbeiters len zu können. innerhalb eines datenökonomischen Projekts gepocht. Die Stellenanzeigen küren Data Scientists als solche Akteure, die Verbindungen herstellen und zwischen heterogenen 6.2 Data Scientists als Anti-Nerds TeammitgliederInnen ‚brokern‘. Während das akademi- sche Feld Data Scientists ein multipolares Kompetenz- Ein weiterer zentraler Aussagenkomplex in der unter- profil zuschreibt und als Akteure positioniert, die scho- suchten diskursiven Praxis betraf die Einordnung von lastisch in mehreren Arenen des Wissens verankert sind, Data Scientists in die Arbeitswelt sowie damit verbun- führt das ökonomische Feld die Rolle von Data Scientists dene sozialfigurative Charakteristika. Hier herrschte auf als praktischen VermittlerInnen ins Feld, die Probleme der Phänomenebene größerer Dissens als zuvor bei den vielleicht nicht eigenständig lösen können oder in ‚saube- Kenntnissen und Aufgaben. So werden Data Scientists in rer‘ wissenschaftlicher Manier abarbeiten (Evans 2010), es Studiengangsbeschreibungen über die Statusgrenzen des dafür aber schaffen, grenzgängerisch Brücken zwischen akademischen Feldes hinweg als ‚leader‘ tituliert, wobei spezialisierten Akteuren bzw. Experten zu schlagen. die Führungsrolle hier in Bezug auf Expertise zu verste- Ob Data Scientists nun in der Praxis das Generalis- hen ist und nicht in Bezug auf Personen. Die University of tentum tatsächlich meistern können oder doch eher eine Virginia beschreibt ihr Studienangebot etwa damit, dass Berufsgruppe darstellen, die ‚von allem ein bisschen kann‘ „[n]ow more than ever, the field of data science demands und wertvolle Mediatisierungsarbeit leistet, fällt aus dem leaders“ (University of Virginia 2019b). Die Duke Univer- Rahmen dieser diskursanalytischen Untersuchung. Was sity verspricht, mit ihrem Programm gar „a new type of wir jedoch diskursanalytisch zeigen – indem wir die quantitative thought leader“ (Duke University 2019a) zu Befunde der feldspezifischen Phänomenbeschreibung kultivieren. interpretieren und abstrahieren –, ist eine gemeinsame Nun ist sicherlich zu erwarten, dass renommierte basale Wissensstruktur, die auf der Deutung des Grenz- Universitäten damit werben, Führungskräfte zu produ- gängertums beruht. Data Scientists werden gewisserma- zieren; allerdings verweist der Terminus ‚leader‘ unseres ßen als ‚marginal man‘ (Park 1928: 881) diskursiviert, als Erachtens auf eine etwas andere Sozialfigur. Der Begriff GrenzgängerInnen, die durch die Überschreitung beste- ist nicht mit dem gängigen Verständnis von Führungs- hender Disziplinen und Organisationsrollen – mitsamt kräften gleichzusetzen, sondern zielt vielmehr auf die Be- ihren behüteten Methoden, Expertisen und Verantwor- stimmung einer neuen Art von Führung – eine Führung, tungsbereichen – zur Weiterentwicklung des Wissens bzw. die weniger auf der Disziplinarmacht beruht (Foucault Profits beitragen. Im akademischen Feld bewegt sich die 2014), sondern kollaborativ agiert und Autorität dement- Data Scientist zwischen abgetrennten Fachgebieten hin sprechend informeller und subtiler ausübt. So führt die und her; hier wird die Entdifferenzierung gewissermaßen Duke University im Anschluss an die Ausrufung eines in das Arbeitssubjekt selbst hineinverlagert: Der Data ‚thought leaders‘ aus: „Duke’s Master in Interdisciplinary Scientist ‚meistert‘ und kombiniert eigenständig verschie- Data Science combines rigorous computational and tech- dene Fachexpertisen und entwickelt ein Querschnittsden- nical training with field knowledge and repeated practice ken. In der Konstruktion als Schnittstellenprofession im in critical thinking, teamwork, communication, and col- ökonomischen Feld ist die Data Scientist eher die Brücke; laborative leadership to generate data scientists who can doch auch hier wird sie als Grenzgängerin gedeutet, add value to any field” (Duke University 2019a). Letzt- indem ihr die Expertise zugeschrieben wird, im Kollektiv lich bleibt in den diskursiven Praktiken der Universitäten von Arbeitssubjekten Übersetzungen und Entdifferenzie- nebulös, ob mit der Rolle des ‚leader‘ etwa auch Personal- rungen herstellen zu können. So wie die Grenzgängerin verantwortung einhergehen muss (womöglich wird der letztlich dank ihrer multiplen Erfahrungswelt eine eigene ‚leader‘-Begriff als Update des Manager-Begriffes ins Spiel Innovationsader verspricht (Bargatzky 1981: 155), wird gebracht, der aufgrund einer inflationären Verwendung nun die Data Scientist von Wissenschaft und Wirtschaft zunehmend in Verruf gerät). Es ist aber feststellbar, dass als solches Arbeitssubjekt konstruiert, das Wissensgebiete eine Verbindung zwischen ‚leadership‘ und sozialen Kom- oder arbeitsrelevante Projektglieder organisch verkoppeln petenzen wie etwa ‚communication‘ oder ‚collaboration‘ könne, um so zu neuen und kreativen Lösungen für Pro- im Diskursnetz gezogen wird. bleme zu gelangen. Die grenzgängerische Fähigkeit, die Insbesondere die mittel- und höher prestigehaften Data Scientists von beiden Feldern zugeschrieben wird, Universitäten bewerben ihre Studiengänge mit verpflich-
Philipp Brandt, Professionalisierung mittels Ambiguität 203 tenden Kursen, die soziale Kompetenzen trainieren sollen. Hier wird also nicht nur, wie für immer mehr Berufsfelder Um erfolgreich in die Rolle des Data Scientists schlüpfen üblich, ein Kreativitätsversprechen artikuliert (Reckwitz zu können, benötigt es ‚hard skills‘ und ‚soft skills‘, so der 2012: 133), sondern auch ein affektueller Schwur an den diskursive Kodex. An den weniger renommierten Univer- Teamgeist geleistet. Die Diskursaktivitäten versprechen sitäten steht die Vermittlung von sozialen Kompetenzen eine spielerische Arbeitssituation mit der Aussicht auf seltener in den Curricula. Das liegt gegebenenfalls daran, eine transformative Arbeit innerhalb eines kollabora- dass die Studiengangsprogramme häufig nur online erfol- tiven – manchmal gar familiären – Teams. Besonders gen und keine Präsenz vor Ort erfordern. Mit der diskur- junge Techunternehmen betonen diesen Gedanken. Data siven Anrufung von Data Scientists als kommunikativen Scientists sind, so die diskursive Anrufung bzw. die dis- Führungspersönlichkeiten kann also zeitgleich eine Dis- kursive ‚engineered culture‘, keine ‚unternehmerische tinktion der renommierten von den weniger angesehenen Selbste‘ (Bröckling 2007), sondern passionierte Teamspie- Instituten im akademischen Feld festgestellt werden – lerInnen. Auf der untersuchten Job-Plattform ‚glassdoor‘ eine Distinktion, die sich wohl bis zu nichtuniversitären etwa werden Führungskompetenzen in der Regel nur für Anbietern von Data Science-Lernprogrammen, wie etwa Ausschreibungen sogenannter ‚Senior Data Scientists‘ ver- datacamp, erstreckt. Die Phänomenbeschreibung von langt. In anderen Worten: Das subjektivierende Moment Data Scientists als ‚leader‘ liegt dementsprechend nicht des ökonomischen Diskursfeldes ist, anstelle der indivi- einheitlich über dem Feld – hier wird der Diskurs entlang duierenden Assoziierung von Data Scientists als ‚thought der Positionen im Statusgefüge gebrochen. leader‘, ein kollektivierendes. Das zumindest bei mittel- und höher prestigehaften Auf einer tieferen Ebene hegen diese zwei Rollen- Universitäten verbreitete Bild vom Data Scientist als zuschreibungen, die augenscheinlich aneinander vorbei- ‚leader‘ ist in den Stellenausschreibungen der Digital- reden, ein gemeinsames epistemisches Profil.8 So bauen konzerne kaum wiederzufinden. Stattdessen lässt sich beide Phänomenstrukturen auf dem Deutungsmuster auf, ein Bild ausmachen, das auf einer anderweitig ‚enginee- dass Data Scientists eine ausgeprägte Sozialität besitzen red culture‘ (Kunda 1992) aufbaut, dessen Elemente zwar sollen. Ob als ‚leader‘ oder kollegiale Teamspielerin, keinen Antagonismus zu der universitär konstruierten beide Rollen setzen kommunikatives Talent voraus. Data Rolle zeigen, allerdings in Konturen einer differenten So- Scientists, so wird in beiden Diskurssträngen impliziert, zialfigur münden. Anstelle vom ‚leader‘ ist in den Stellen- sollten kommunikativ sein, benötigen Empathie und eine ausschreibungen viel häufiger vom ‚team player‘ die Rede, Verbindung von intellektuellem und sozialem Gespür. dem nicht Führungskompetenzen, sondern ein spieleri- Aus diesem Befund leiten wir die Vermutung ab, dass scher Habitus anhaftet. Data Scientists werden im öko- in beiden Feldern eine Distinktion des Data Scientists von nomischen Feld als passionierte Arbeitssubjekte und Ent- benachbarten Sozialfiguren wie den StatistikerInnnen decker in der datafizierten Welt konstruiert. Das Ziel des oder den InformatikerInnen erfolgt; jenen zwei etablierten Spiels ist das Finden von Mustern und Regelmäßigkeiten Berufen, die als zentrale Konkurrenten um die Jurisdiktion in großen Datenmengen. Dieses anspruchsvolle Ziel soll der Datenarbeit gelten dürften, auf die es Data Scientists jedoch nicht innerhalb eines Terrains von Einzelkämpfern abgesehen haben. Die konkurrierenden Berufsgruppen, verfolgt werden, sondern im Kontext eines ‚teams‘ und die seit den 1980er-Jahren das Bild des Nerds als solches harmonischen Habitats. Die Arbeit des Data Scientists geprägt haben, werden mit hohem technischen und digi- mag harte Arbeit beinhalten und technische Fähigkeiten talen Kapital, dafür aber wenigen sozialen Kompetenzen voraussetzen, sie ist dafür kollaborativ und ‚spaßig‘ zu- in Verbindung gebracht (Kendall 1999). Data Scientists gleich, so das Mantra: hingegen werden von beiden Feldern als selbstaktive Anti-Nerds diskursiviert, als Akteure mit einer Libido für „We’re working hard, having fun, and making history. Come join Austausch und Interaktion; Data Scientists müssen dem our team! You will have an enormous opportunity to impact the Diskurs nach nicht mehr disziplinarisch geführt werden, customer experience, design, architecture, and implementation of a cutting edge product used every day by people you know.” sie werden vielmehr als Verantwortungsträger und Ini- (Amazon 2019c) tiator ins Spiel gebracht. „Our mix of thoughtful, inventive and neighborly employees Im Anschluss an Foucault kann diesbezüglich von work together to deliver our common goal, to make grocery shop- einem Übergang von disziplinarischen zu selbstkontrol- ping effortless, and give valuable time back to our customers. We believe that just as meals are best shared together, success is best shared together. If this excites you, then Instacart just might be the place for you. Welcome home.” (InstaCart 2019a) 8 Damit will nicht gesagt sein, dass die Ebene der Deutungsmuster die ‚wahrere‘ oder ‚objektivere‘ Ebene darstellt.
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