Schulblatt5/2022 Alles Theater - Spielerischer Umgang mit der Welt - Kanton Zürich
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Kanton Zürich Schulblatt Bildungsdirektion 5/2022 Alles Theater Spielerischer Umgang mit der Welt Zeitmaschine Digitales Gedächtnis der Volksschule «Nachtaktiv» DJ, Bar und MINT-Berufe Detailhandel Wie die Reform die Ausbildung verändert
6 22 Magazin Fokus: Volksschule Alles Theater 4 22 Kommentar 12 Schulgeschichte Bildungsdirektorin Silvia «Toi toi toi!» Das Gedächtnis der Steiner über die demogra Eine 6. Klasse entwickelt Volksschule entdecken fische Entwicklung ein eigenes Theaterstück 24 5 16 Stafette Im Lehrerzimmer Workshop In der Primarschule Kantonsschule Im Lee, Richtig vorbereitet ins Mammutwis Winterthur Schauspielhaus gehen 26 6 18 In Kürze Persönlich Im Gespräch Literaturliebhaber: Dirk Theaterpädagogin Vaihinger, Leiter des LMVZ Mira Sack über Spielarten und Weltbezug 9 Meine Schulzeit Michel Péclard, Gastronom Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Inhalt Wichtige Adressen Impressum Nr. 5/2022, 9.12.2022 Bildungsdirektion: www.zh.ch/bi Generalsekretariat: 043 259 23 09 Herausgeberin: Bildungsdirektion Kanton Zürich, Walcheplatz 2, 8090 Zürich Erscheinungs Bildungsplanung: 043 259 53 50 Volksschulamt: 043 259 22 51 weise: fünfmal jährlich, 137. Jahrgang, Auflage: 17 400 Ex. Redaktion: jacqueline.olivier@ M erufsbildungsamt: 043 259 78 51 Amt für Ju ittelschul- und B bi.zh.ch, 043 259 23 07; Sekretariat schulblatt@bi.zh.ch, 043 259 23 09 Abonnement: Lehr- gend und Berufsberatung: 043 259 96 01 Lehrmittelverlag Zürich: personen einer öffentlichen Schule im Kanton Zürich können das «Schulblatt» in ihrem Schul- 044 465 85 85 Fachstelle für Schulbeurteilung: 043 259 79 00 Bil haus gratis beziehen (Bestellwunsch an die Schulleitung). Bestellung des «Schulblatts» an dungsratsbeschlüsse: www.zh.ch/bi > Bildungsrat Regierungsrats Privatadresse s owie Abonnemente für weitere Interessierte: abonnemente@staempfli.com, beschlüsse: www.zh.ch > Organisation > Regierungsrat > Aufgaben 031 300 62 52 (Fr. 40.– pro Jahr) Online: www.zh.ch/schulblatt G estaltung: www.bueroz.ch und Beschlüsse Druck: www.staempfli.com Inserate: mediavermarktung@staempfli.com, 031 300 63 87 Redaktions- und Inserateschluss nächste Ausgabe: 2.2.2023 Das nächste «Schulblatt» Titelbild: Dieter Seeger erscheint am: 3.3.2023 Weiterbildungsangebote Unter den nachfolgenden Links finden Sie zahlreiche Schulungs- und Weiterbildungsangebote für Lehrpersonen, Fachlehrpersonen, Schulbehörden und Schul leitende: Volksschulamt: www.zh.ch/bi > Volksschulamt > Aus- und Weiterbildungen Pädagogische Hochschule Zürich: www.phzh.ch > Weiterbildung Unter strass.edu: www.unterstrass.edu UZH/ETH Zürich: www.webpalette.ch > Sekundarstufe II > Gymnasium > UZH und ETH Zürich, Maturitätsschulen HfH – Inter kantonale Hochschule für Heilpädagogik Zürich: www.hfh.ch > Weiterbildung ZAL – Zürcher Arbeitsgemeinschaft für Weiterbildung der Lehrpersonen des Kantons Zürich: www.zal.ch > Kurse EB Zürich, Kantonale Berufsschule für W eiterbildung: www.eb-zuerich.ch ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Soziale Arbeit: www.zhaw.ch/sozialearbeit > Weiterbildung > Weiterbildung nach Thema > Kindheit, Jugend und Familie 2
28 36 Mittelschule Berufsbildung 41 Amtliches 28 34 Scientainment Detailhandelsreform 44 Bei Drinks und Musik die Handlungskompetenz Schule+Kultur MINT-Welt kennenlernen bereiche ersetzen die Fächer 46 30 36 Agenda Digitale Unterrichts- Berufslehre heute projekte Fachmann Bewegungs- und Filme als Analyseobjekte Gesundheitsförderung EFZ 33 39 In Kürze In Kürze Editorial Als Kind habe ich furchtbar gern «theäterlet». Wenn immer aus dem Schulzim- Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Inhalt mer eine Theaterwerkstatt wurde, war ich in meinem Element. Viele schöne Erinnerungen an solche Erlebnisse sind bis heute wach. Von Theaterpädago- Jacqueline Olivier gik war damals jedoch noch keine Rede. Das ist heute ganz anders: Das Ange- bot für Schulen im Bereich Theater stellt Schulleitungen und Lehrpersonen vor die Qual der Wahl – von der Aufführung, die ins Schulhaus bestellt werden kann, über den Workshop zu Improvisation, Zauberei oder Theatersport bis zur Kooperation mit grossen und kleinen Theaterhäusern. Warum hat Theater diesen Stellenwert und was kann und soll Theaterpädagogik leisten? Für unseren Fokus sind wir diesen und anderen Fragen nachgegangen und haben vor und hinter die Kulissen geblickt. Vielleicht sind Sie, liebe Leserin, lieber Leser, gerade jetzt in der Adventszeit mit einem Theaterprojekt beschäftigt? Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall frohe und friedvolle Weihnachten und einen guten Start ins neue Jahr. 3 Die Redaktion freut sich über Reaktionen auf das «Schulblatt»: jacqueline.olivier@bi.zh.ch
Kommentar Wir alle wissen, dass Kinder und Jugend Mit Herzblut liche die Leistungsträger der Zukunft sind. Die Investitionen, die wir heute täti gen, zahlen sich in vielfacher Hinsicht dabei aus. Sie schlagen sich in der wirtschaftli chen Leistung des Kantons nieder. Was wir jetzt säen, können wir in einigen Jah ren ernten. Dies hat jüngst eine Auswer von Silvia Steiner, Bildungsdirektorin tung von volkswirtschaftlichen Daten des Bundesamts für Statistik eindrücklich ge zeigt. Der Bund verglich dabei Kantone mit einem hohen Anteil an jungen Men schen und solche mit älterer Bevölkerung. Wir haben darum die Weichen bereits Der Kanton Zürich ist das wirtschaftliche seit Längerem gestellt. Dazu gehört, dass Zentrum der Schweiz. Viele Menschen wir zusammen mit der Pädagogischen möchten hier leben und arbeiten. Wir Hochschule Zürich (PHZH) Lehrperso gehören zu den Kantonen mit der mit nen ohne Lehrdiplom einen vereinfach Abstand jüngsten Bevölkerung des Lan ten Zugang zum Studium ermöglichen. des. Die Anzahl der Schülerinnen und Wir schaffen damit einen zusätzlichen Schüler steigt bei uns so stark, dass wir Weg, noch mehr engagierte und fähige laufend mehr Lehrpersonen und mehr Menschen für den Lehrberuf zu gewin Schulraum benötigen. Bereits jetzt wächst nen. Für die zusätzlichen Studienplätze unsere Volksschule jährlich um mehr benötigen wir auch mehr Raum. Deshalb als 100 Schulklassen. Auch in der Berufs wird bereits ein Standort für einen zwei bildung brauchen wir mehr Ausbildungs plätze und an den Gymnasien mehr «Sie alle leisten ten PHZH-Campus in der Stadt Zürich evaluiert. Und für die Mittelschulen ha Schulraum. Die überdurchschnittlich junge Bevöl tolle Arbeit.» ben wir verschiedene Bauprojekte aufge gleist. Neben den bereits beschlossenen kerung ist für mich in erster Linie eine Gymnasien in Uetikon am See und Wä positive Nachricht. Sie macht unseren denswil sind im Glattal, in Affoltern am Kanton noch dynamischer. Die vielen jun Albis und auch im Stadtzürcher Kreis 4 gen Menschen bedeuten aber auch viel weitere Kantonsschulen geplant. Arbeit für die Schulen. Sie verlangen uns rechnen lernen, sondern mit Freude zur Es bleibt eine politische Daueraufgabe, allen viel ab. Zum Glück kann ich als Schule gehen. Mir ist bewusst, dass die gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Bildungsdirektorin des Kantons Zürich Arbeit als Lehrperson sehr anspruchsvoll Nur so können Sie alle – Schulleitende, auf motivierte Leute zählen. Stolz bin ich ist. Nicht nur der Unterricht, sondern Lehrpersonen und Behördenmitglieder – besonders auf unsere Lehrerinnen und auch die Vorbereitungsarbeiten, die Koor weiterhin mit Motivation und Herzblut Lehrer, die täglich tolle Arbeit leisten. Sie dination im Schulteam und die Eltern für einen qualitativ guten Unterricht sor sorgen mit viel Herzblut dafür, dass unse gespräche gestalten sich aufwendig. Doch gen. Unsere gemeinsamen Anstrengungen re Kinder nicht nur lesen, schreiben und der grosse Einsatz lohnt sich. werden Früchte tragen. Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Magazin Mein Traumschulhaus Malea (10), 5./6. Klasse, Schule Trüllikon 4
Im Lehrerzimmer Kantonsschule Im Lee, Winterthur Ein altes Bijou in neuem Glanz Fotos: Marion Nitsch Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Magazin Alles neu machte die zweieinhalbjährige Sanierung des fast 100-jährigen Schulhauses. Frisch herausgeputzt präsentiert sich auch das Lehrerzimmer. Für Behaglichkeit sorgen die Möbel aus Massivholz in unterschiedlichen Ausführungen. Verzichten musste man auf den alten Parkettboden, er wurde in den Schulzimmern neu verlegt. Zahlreiche Diskussionen wurden laut Prorektorin Susanna Schaad über die Notwendigkeit der «Fächli» im digitalen Zeitalter geführt. Entbehren wollte man sie schliesslich doch nicht. Farben aus der Geschichte des Hauses, die punktuell wieder eingesetzt wurden, verleihen dem Innern des Gebäudes eine dezente Buntheit. Endlich alle unter einem Dach – dies ist für das gut 100-köpfige Team ein grosser Gewinn. Dank kürzerer Wege können nun auch Lehrpersonen und Mitarbeitende regelmässig ins Lehrerzimmer kommen, die man hier zuvor nur selten antraf. Neue Veranstal- tungsmöglichkeiten bietet der Musiksaal mit 200 Plätzen im ausgebauten Dachstock; ein Ausweichen in die Aula der jüngeren Nachbarschule Rychenberg ist nicht mehr nötig. Eng verbunden bleiben die beiden Schulen trotzdem, geteilt werden teilweise noch die Turnhallen oder alte Traditionen wie die Volleyballnacht vor Weihnachten sowie die Maturreisen ins Hochgebirge. [jo] 5
Persönlich Auch ein Abstecher auf die Bühne gehört Er liebt das zu seinem Lebenslauf. Beim ehemaligen Theater «vis-à-vis» in Basel spielte er in einem Molière-Stück den königlichen G edruckte Notar: «Ich durfte nur drei Worte sagen: ‹Ein königlicher Notar.›» Bei diesem ei nen Satz blieb es, aus der grossen Kar riere wurde nichts. «Mich fasziniert das Als Verlagsleiter hat sich Dirk Vaihinger Theater zwar bis heute, aber ich bin kein Schauspieler.» Dirk Vaihinger entschied in der Literaturszene einen Namen sich für Germanistik und Philosophie an gemacht. Seit Mai 2022 führt er den der Freien Universität Berlin. Dort er lebte der Student die Wendezeit und den Lehrmittelverlag Zürich in die Zukunft. Mauerfall. Er sah, wie die Bürgerinnen und Bürger der DDR mit ihren 100 D-Mark Text: Pascal Turin Foto: Stephan Rappo Begrüssungsgeld das Kaufhaus des Wes tens stürmten und immer wieder die Alarmanlage aktivierten, weil sie sich nicht zurückhalten konnten. «Das zu be obachten war mehr bitter als lustig.» Sein Blick schweift aus dem Fenster. Hin er 19 Jahre lang den Zürcher Kleinverlag ter dem Verlagshaus lassen zwei Männer Nagel & Kimche. Dort verlegte und lekto Kein eigenes Buch geplant eine Drohne steigen. Dirk Vaihinger ist rierte er die Werke der Schweizer Bestsel Nach dem Studium folgte die Doktor seit Mai 2022 Leiter des Lehrmittelver lerautoren Charles Lewinsky und Milena arbeit an der Universität Konstanz. «Aus lags Zürich (LMVZ). Der LMVZ hat seine Moser. Er förderte nicht nur bekannte zug aus der Wirklichkeit: Eine Geschichte Räumlichkeiten im Industriequartier Binz, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, son der Derealisierung vom positivistischen das zum Stadtzürcher Kreis 3 gehört. Hier dern brachte der Deutschschweizer Leser Idealismus bis zur virtuellen Realität» sind neben Gastrobetrieben und Tanz schaft durch Übersetzungen auch Autoren hiess das Ergebnis. Es sollte das bisher schulen Start-ups aus der IT-Branche wie den Waadtländer Roland Buti näher. erste und letzte Buch aus Vaihingers zu finden. «Es ist natürlich ein spannen Dieser gewann mit «Das Flirren am Hori Feder sein. «Ich habe damals gemerkt, des Umfeld für einen Lehrmittelverlag», zont» den Schweizer Literaturpreis 2014 wie gross der Aufwand ist, selbst ein sagt Vaihinger lächelnd und fügt an: «Der des Bundesamts für Kultur. Buch zu schreiben», sagt er. Es gebe auch Lärm der Drohnen stört aber, wenn im Dirk Vaihinger ist der Sprache ver keine angefangenen Manuskripte in sei Sommer das Fenster offen ist.» pflichtet. Als Lektor und Verlagsleiter bei ner Schreibtischschublade, beteuert der Als Start-up gilt der 1851 gegründete Nagel & Kimche arbeitete er intensiv mit Germanist. Als Herausgeber veröffent Verlag nicht mehr, vielleicht färben aber jedem Text. «Einige Autorinnen und Auto lichte er hingegen einige Werke. Darunter die jungen Unternehmen in der Umge ren gehen mit Rückmeldungen und Vor eine Märchensammlung für Kinder, die bung etwas ab. «Die Digitalisierung ist für schlägen ganz professionell um, andere er seinen beiden heute 14- und 17-jäh den LMVZ von entscheidender Bedeu wiederum kämpfen um jeden Satz.» Wel rigen Söhnen widmete. «Die schönsten tung», erklärt Dirk Vaihinger. Erklärvideos che Schriftstellerin oder welcher Schrift Märchen der Schweiz» erhielten positive oder Onlineübungen gehörten bei neuen steller besonders Mühe damit hatte, die Rezensionen, waren aber nicht so erfolg Lehrmitteln standardmässig dazu. Der Ver liebsten Sätze zu streichen oder auf ganze reich wie gedacht. «Das ist immer etwas lag hat zudem ein vereinfachtes Digital- Abschnitte zu verzichten, will der Germa ernüchternd, weil man als Verlag grosse Login entwickelt. Dank diesem können nist nicht verraten. Nur so viel: «Manche Hoffnungen in Neuerscheinungen setzt.» sich Schulkinder auf der Lernplattform halten sich exakt an alle Vorgaben, liefern Im Gegensatz zu Belletristikverlagen des Verlags im Internet einloggen, ohne die Texte quasi pfannenfertig ab, bei an sind beim LMVZ nicht die Neuerschei sich ein Passwort merken zu müssen – deren arbeitet man als Lektor ein Buch nungen das Wichtigste, vielmehr bildet ihre Daten bleiben trotzdem geschützt. fast zur Hälfte um.» die sogenannte Backlist das Rückgrat. Der 56-Jährige selbst ist weniger Ge «Das ist schon eine grosse Erleichterung neration Tablet, sondern ein Mann für das Abstecher auf die Bühne im Lehrmittelwesen, dass sich bewährte Gedruckte. Auf seinem Nachttisch stapeln Während der Gymizeit ging Vaihinger für Bücher längerfristig verkaufen und man sich Bücher. Einen E-Reader fi ndet man ein Austauschjahr in die USA, genauer in nicht immer den kurzfristigen Erfolg dort nicht. Aktuell liest er die Lebenserin den Rust Belt im ländlichen Nordosten suchen muss, sondern über längere Zeit Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Magazin nerungen «Jeder für sich und Gott gegen des Landes. Diese Zeit in dem industriel räume qualitativ hochstehende Produkte alle» von Werner Herzog, die Neuerschei len und als eher konservativ b ekannten entwickeln darf», sagt der Verlagsleiter. nung «Die Mauersegler» von Fernando Teil der Vereinigten Staaten sei prägend Das Prestige, grosse Schriftstellerinnen Aramburu oder die drei Bände der Ko gewesen. «Das Austauschjahr hat meinen und Schriftsteller zu verlegen, fehle ihm penhagen-Trilogie von Tove Ditlevsen. Horizont erweitert. Ich wusste danach, nicht. «An meinem Job fasziniert mich, «Ich bin zu ungeduldig, um mich nur dass ich die Welt entdecken möchte.» In dass ich viele unterschiedliche Aufgaben einem Buch zu widmen», sagt Vaihinger, der Schweiz habe er sich als junger Mann habe.» Die Lehrmittelbranche sei mit der der von seinem Zuhause in Zollikon je eingeengt gefühlt. Nach dem Gymnasium starken Konkurrenz aus der Schweiz und den Tag mit dem Velo – ohne Elektro zog es ihn darum nach Paris an die Sor dem Ausland spannend. antrieb – ins Büro fährt. bonne Université, um französische Lite In der Freizeit mag es Dirk Vaihinger Die Liebe zur Literatur zieht sich wie ratur zu studieren. «Dort wurde gerade ebenfalls vielseitig. Da nimmt er sich nicht ein roter Faden durch sein Leben. Den gestreikt, also habe ich mitgestreikt, aber nur Zeit für den Bücherstapel auf seinem ersten Job in der Branche erhielt der nur etwa die Hälfte davon verstanden», Nachttisch, es ist auch Sport angesagt. Wahl-Zolliker als Lektor beim Rowohlt erzählt er. «Ich merkte schnell, dass für ein Und dann gibt es da noch das Alphorn, Buchverlag in Hamburg. Bevor er 2018 als Studium auf Französisch meine Sprach das sich von ihm regelmässig urchige Redaktionsleiter zum LMVZ stiess, leitete fähigkeiten einfach nicht ausreichten.» Töne entlocken lässt. 6
Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Magazin Dirk Vaihinger ist weniger Generation Tablet, sondern ein Mann für das Gedruckte. Beim Lehrmittel- verlag Zürich hat für ihn aber auch die D igitalisierung 7 eine grosse Bedeutung.
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Welche Schulreise ist Ihnen speziell Meine Schulzeit «Wer ein Ziel hat, in Erinnerungen und warum? Da fällt mir ein Klassenlager in den Ber gen ein. Wir waren in einer Berghütte kommt voran» untergebracht, umgeben von Kühen, Geis sen, Bächen, Wiesen, Wäldern – Natur pur. Jeden Morgen hat ein Älpler gesungen. Ich habe mich gefühlt wie der Geissen peter. Es war herrlich. Mystische Nebel schwaden zogen über die Berge. Dann Fünf Fragen an Michel Péclard, regnete es wie aus Kübeln und wir hock Gastronom ten alle ums warme Feuer. Haben gejasst, «Chabis» gemacht, gelacht und die heile Bergwelt genossen. Und damals ging das ganz ohne Tiktok, Snapchat oder Insta gram. muss Zahlen nur lebendig machen und Welche Lehrperson werden Sie vermitteln, in welchem Kontext sie ste nie vergessen? hen. Dann wird es spannend und man Ganz klar: Kurt Imhof, Direktor der bekommt selbst als Buchhaltungsdozent Schweizerische Hotelfachschule Luzern – Applaus von der Studentenschaft. kurz SHL. Er unterrichtete uns in Perso Was haben Sie in der Schule nalmanagement. Meine Noten waren soso fürs Leben gelernt? und meine Disziplin war lala. Dennoch Ich war nie wirklich gut in der Schule rekrutierte mich Kurt Imhof während und musste sogar zweimal wiederholen. einer nächtlichen, «flüssigen» Weiterbil Mein Learning: Es ist nicht wichtig, ob dung als Dozent für Rechnungswesen. man in der Schule gut ist. Was zählt, ist, Ich hätte nie gedacht, dass mich der Di dass man an sich glaubt, Freude hat an rektor einer der besten Hotelfachschulen dem, was man tut, und Mut aufbringt, auch der Welt anheuern würde. Imhof war für mal andere Wege zu gehen. Gute Noten mich Mentor und Mutmacher. Ohne ihn bedeuten nicht, dass man ein Ziel oder wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. eine Vision hat. Hat man aber ein Ziel vor Welches war Ihr liebstes Fach Augen, kommt man im Leben voran. und weshalb? Was hat Ihnen in der Schule Buchhaltung! Zahlen zu verstehen und gar nicht gefallen? diese zu interpretieren war mein Ding. Dass musische Fächer so stark unterver Manchmal konnte ich sogar mehr aus den treten waren – und sind. Kreativität ist Zahlen lesen als die damaligen Dozen doch ebenso wichtig wie Theorie. Der ten. Das hat mir natürlich gefallen. Rech Spass und die Freude am Lernen von Michel Péclard (54) ist ursprünglich gelernter Buchhalter. Heute betreibt er mit dem Unternehmen nungswesen habe ich dann später an der spannenden, neuen und inspirierenden Pumpstation G astro GmbH 15 Restaurants und SHL mit grossem Erfolg unterrichtet. Man Inhalten gehen sonst verloren. gehört zu den erfolgreichsten Gastronomen Zürichs. Bildungs-Slang Ruedi Widmer, Cartoonist, interpretiert Begriffe aus Bildung und Schule – diesmal: Personalisierte Lernformen 9 Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Magazin
Fokus Alles Theater Fotos: Dieter Seeger hat Eindrücke von einem Theaterprojekt an der Schule Oberengstringen und einem Workshop am Literargymnasium Rämibühl gesammelt. Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus 11
«Toi toi toi!» liger jeden Tag mit einem «Warm-up»: Theater stärkt Wachklopfen, Musik, Stimm- und Sprach- übungen. Dabei geht es darum, körperlich und mental warm und wach zu werden. überfachliche «Die Kinder sollen alles – sich selbst, den Raum und die anderen – einmal wahrge- nommen haben», sagt Bolliger. Idealer- Kompetenzen weise seien sie dann präsent und blende- ten aus, was vor der Probe war und was nachher kommt. Das sind die Vorausset- zungen, um improvisieren zu können. Ein eigenes Stück entwickeln und es Gruslige Geräusche finden auf die Bühne bringen: Eine 6. Klasse der Zurück auf die Probebühne: Die Hallo- Primarschule Oberengstringen hat das weenparty ist in vollem Gang, die Gäste plaudern miteinander, trinken, tanzen. Abenteuer gemeinsam mit ihrer Lehrerin Auf einmal wird es still, eigenartige Ge- räusche sind zu vernehmen. Es klopft, und einer Theaterpädagogin gewagt. knurrt, quietscht, heult, man hört eine Flöte, dann ein gellender Schrei. Die Text: Andreas Minder Party gäste schrecken auf und nähern sich zögernd dem Vorhang im hinteren Teil der Bühne. Schliesslich wagen sie, einen Blick dahinter zu werfen. «Ach, ihr seids!», rufen alle leicht genervt. Die drei «Wir sind jetzt in der heissen Phase», sagt Sinn, Gegensteuer zu geben.» Was nicht Gruselmusiker kommen grinsend ans Klassenlehrerin Maja Klemm. Es ist Mon- bedeute, dass sie bei der Entwicklung des Licht. Es war alles bloss ein Streich. tagmorgen, heute beginnt die letzte Wo- Stücks alles zulasse. «Auf der Mittelstufe Daniela Bolliger bittet die Klasse, sich che des Theaterprojekts «Toi toi toi!», eines orientieren sich die Jugendlichen gerne in einem Kreis hinzusetzen. Erstes The- Angebots der Fachstelle Schule+Kultur an Horror- und Actionfilmen und möch- ma sind die Gruselgeräusche. «Sie sind des Zürcher Volksschulamts (siehe Kas- ten am liebsten Mord und Totschlag.» Bol- nicht richtig unheimlich», findet Lehrerin ten). Das Stück ist fast fertig. Die Schüle- liger lenkt die Handlung in unblutigere Klemm und schlägt vor, die Flöte wegzu- rinnen und Schüler müssen sich nur noch Bahnen. «Der Inhalt sollte einen Bezug zu lassen. Mischa glaubt, dass das Klopfen zu eine passende Schlussszene für ihr Werk ihrer Lebenswelt haben.» Alles trägt sich rhythmisch war, um schauerlich zu wir- ausdenken. Das letzte Bild, bevor der Vor- nun an einer Halloweenparty zu, an der ken. Emiliano ist überzeugt, dass das Heu- hang fällt, soll das Publikum beeindrucken. sich die Gäste gegenseitig erschrecken, len sparsamer eingesetzt werden sollte. 13 Sechstklässlerinnen und -klässler unter anderem, indem sie sich tot stellen. «Okay, das schauen wir uns nachher noch zählt die Halbklasse 6c vom Schulhaus Das macht den Kindern Spass, sie in Ruhe an», sagt Bolliger und geht zum Lanzrain in Oberengstringen. Beim Be- spielen begeistert mit, es wird gescherzt nächsten Thema über: Wie endet das such des «Schulblatts» haben sie sich im und gelacht. «Die Klasse funktioniert sehr Stück? Klar ist schon, dass der Titelsong Singsaal versammelt, einige mit Grusel- gut, sie ist sehr offen, sehr einsichtig», sagt des Films «Ghostbusters» laufen soll. Die masken, Beatriz trägt ein blutverschmier- Bolliger. Für dieses Alter sei das nicht Kinder tanzen dazu und wenn immer die tes Hemd, Luca einen schwarzen Dracula- selbstverständlich. «In der Vorpubertät Musik stoppt, erstarren sie in der Stellung, Umhang. «Leichen im Keller» heisst das kann es schwierig werden, weil Theater- in der sie gerade sind. Und dann? «Wir Stück, das die jungen Schauspieler am spielen nicht cool genug ist.» Die 6c habe könnten alle zusammen einen Kuchen es- Donnerstag ihren Eltern und Verwandten sich jedoch auf alles eingelassen. Wohl sen», schlägt Ewa vor. «Oder wir könnten vorspielen wollen. auch deshalb, weil das Spielen für die alle rufen: ‹Jetzt gehen wir Süssigkeiten Klasse nicht ganz neu ist. «Ich baue im sammeln!›», meint Konstatinos. Den Ge- Mental wach werden Unterricht immer wieder solche Elemente sichtern der Schauspielerinnen und «Die Klasse hat sich unisono für das The- ein», sagt Lehrerin Maja Klemm. Aller- Schauspieler ist anzusehen, dass sie sich ma Halloween ausgesprochen», sagt The- dings müssten sie sich dort weniger expo- etwas Effektvolleres wünschen. aterpädagogin Daniela Bolliger. «Wenn ein nieren als im Theaterprojekt. Damit dies so klarer Wunsch da ist, hat es keinen die Kinder nicht überfordert, beginnt Bol- Motivation hoch halten «Der Prozess ist immer sehr ähnlich», sagt Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus Bolliger über Theater-Workshops wie «Toi Kulturvermittlung für alle Schulstufen toi toi!». Am Anfang seien die Teilneh- Die Fachstelle Schule+Kultur Kanton Zürich will Schülerinnen und Schülern menden begeistert, weil sie frei spielen Kunst und Kultur näherbringen. Sie ermöglicht Schulklassen die Teilnahme an könnten. «Wenn es dann ans Üben geht, kulturellen Veranstaltungen, bringt Kinder und Jugendliche in Kontakt mit kommt meist ein kleiner Durchhänger.» Kulturschaffenden und regt sie dazu an, selbst künstlerisch tätig zu werden. Allerdings sei das nicht für alle Kinder Zum Angebot gehören Workshops, Projekttage oder -wochen in den Bereichen gleich. «Einige improvisieren lieber, an Theater, Tanz, Musik, Film, Literatur und bildende Kunst. «Toi toi toi! » ist eines dere sind froh, wenn sie wissen, was sie von vielen Theaterprojekten im Angebot. machen und sagen müssen.» Für alle gelte Schule+Kultur gehört zur Abteilung Pädagogisches im Volksschulamt und jedoch, dass es kurz vor der Aufführung arbeitet für die Volks-, Mittel- und Berufsfachschulen und das Berufsvorberei- noch einmal einen «Boost» gebe. In dieser tungsjahr. Die Fachstelle unterstützt Schulleitungen und Lehrpersonen bei der Phase befindet sich die Klasse 6c. Planung und Umsetzung von Kulturprojekten fachlich und finanziell. [red] Die Frage, ob ihnen das Theater www.schuleundkultur.zh.ch projekt gefalle, bejahen die Schülerinnen 12 und Schüler ausnahmslos. Für Ewa ist es
Das Publikum soll sich gruseln: Die Handlung des Theaterstücks spielt an einer Halloweenparty. Klassenzusammenhalt und die Interakti- projekt lohnt, ist für Klemm keine Frage: on untereinander verbesserten sich. «Das «Es ist etwas unglaublich Tolles, das ich sind ganz wichtige Skills für die Zukunft.» jeder Lehrperson in der Mittelstufenzeit Der Workshop ermögliche es den Schüle- empfehle.» spannend, selbst eine Geschichte erfinden rinnen und Schülern zudem, «sich anders, zu können. Aber nicht nur. Ihr gefällt es, sinnlich, zu erleben». Das fehle in vielen Endlich ein Schluss ihre Rolle zu lernen und die Kostüme schulischen Situationen. Theaterspielen «Scheisse, in meinem Keller liegt ’ne Lei- zusammenzustellen. Konstatinos mag vor sei ausserdem besonders für Kinder eine che», dröhnt es durch den Singsaal. Die allem das Improvisieren und findet das Chance, deren Lernwillen wegen negati- 13 Partygäste tanzen zur Musik der Berli- Proben anstrengend. Diana findet die ver Schulerfahrungen gedämpft sei. «Die ner Band SDP wild durcheinander, einer Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus Tanz- und Erstarrszene toll, während leistungsfreie Theatersituation eröffnet davon zu wild: Alis Socken rutschen auf Emira erzählt, wie sich das Verhalten der ihnen einen neuen Raum.» dem glatten Parkett weg und er fällt der Klasse verändert hat: «Am Anfang waren Die gut zehn Tage, die in das Projekt Länge nach hin. Alle schauen zu ihm hin- wir viel mehr am Lachen, jetzt sind wir gesteckt werden, betrachtet Klemm als unter. «Geht’s?» Ali lacht nur und steht konzentrierter.» Emiliano hat es Spass vollwertige Schulzeit. Es helfe ihr auch wieder auf: «Easy, nichts passiert.» Kaum gemacht, zusammen mit der Klasse etwas bei der Gesamtbeurteilung der Schülerin- ist der Schreckmoment vorbei, sagt Thea- zu machen. Und Emira ist in Gedanken nen und Schüler, die kurz vor dem Über- terpädagogin Daniela Bolliger: «Wie wär’s, schon bei der Vorstellung: «Hoffentlich tritt in die Oberstufe stehen. Sie setzt sie wenn du absichtlich stolpern würdest?» klatschen sie im richtigen Moment.» nicht unter Druck, um verpassten Stoff Ali ist sofort einverstanden – eine schöne nachzuholen. Ihr ist aber bewusst, dass es Gelegenheit, den Zuschauerinnen und Zu- Zusammenhalt verbessern Erfahrung und Mut braucht, um solche schauern einen echten Schrecken einzu- Für Lehrerin Maja Klemm ist Theater ein Abstriche am Programm zu machen – und jagen. «Und, dann stehe ich auf und sage: «grossartiges Lernfeld». «Es passiert un- die Unterstützung der Schulleitung. Letz- ‹So, jetzt essen wir Kuchen.›» Erleichter- heimlich viel mit den überfachlichen teres auch deshalb, weil das Angebot nicht tes Lachen des Publikums, Applaus, Vor- 13 Kompetenzen einer Klasse», sagt sie. Der gratis ist. Dass sich ein solches Theater- hang. Endlich: Der Schluss ist geboren.
Workshop unterschiedliche ästhetische Mittel, um Einen anderen ein Stück auf der Bühne zu gestalten. Beim Schweizer Milo Rau ist die Hand- schrift besonders ausgeprägt. Bei ihm gibt Zugang es kaum klassische Erzählstrukturen und immer viele gesellschaftspolitische Bezü- ge zur Gegenwart, mag das Stück vor noch ermöglichen so langer Zeit geschrieben worden sein. Die Zuschauerinnen und Zuschauer müss- ten nicht alles rational verstehen, was auf der Bühne vor sich geht, sagt Runge. Aber Wie kann man Schülerinnen und Schüler sie sollen immer wachsam bleiben, selber mitdenken, mitfühlen oder eigenwillig auf einen Theaterbesuch vorbereiten? deuten. Das sei auch die Idee von Rau, Das Schauspielhaus Zürich bietet dafür insbesondere bei dieser Aufführung. Diese Grundgedanken möchte Runge der verschiedene theaterpädagogische Work- Klasse spielerisch näherbringen. Die Klasse nimmt die Anregung dankbar auf. shops und Partnerschaften für Schulen an. Ein Besuch am Literargymnasium Rämi- Dramentheorie behandeln Die Schülerinnen und Schüler laufen nun bühl, in einer Partnerklasse des Theaters, kreuz und quer durch den Raum, wech- zeigt, was diese erlebt hat. seln die Richtung und das Tempo – mal lachen sie hemmungslos, dann sind sie wieder bitterernst oder klatschen in die Text: Walter Aeschimann Hände. Bis sie schliesslich in Gruppen spontan Bilder nachstellen, wie eingefro- ren. Das erste Bild heisst «Revolution». Eine Gruppe legt sich ungeordnet überei- nander, eine andere zeigt, wie einer ge- spielten Autorität die Krone weggerissen wird, und eine dritte simuliert Gewalt. Das zweite Bild soll «Freiheit» zeigen. In einer Gruppe stehen alle auf einem Bein, Die Klasse hat sich vorgestellt, ihre Stim- ganzen Klasse hin. Aber weil das eigen- breiten die Arme aus und deuten an, wie men aktiviert, Spiele zum Wachwerden willig arrangierte Stück für die Alters ein Vogel wegzufliegen. Andere verflech- absolviert und schliesslich Begriffe spon- klasse der 15-Jährigen vielleicht etwas ten ihre Hände und wollen damit ausdrü- tan mit «Wilhelm Tell» kombiniert: Rütli- schwierig zu verstehen ist, hat sie sich – cken, dass «in der freien Gemeinschaft schwur, Apfelschuss, Gessler. «Mein Vater bereits zum zweiten Mal – beim Schau- alle etwas zu sagen haben». Eine Gruppe hat mir aus dem ‹Tell› vorgelesen», sagt spielhaus für einen Workshop angemel- Knaben kniet am Boden, mimt verschie- ein Schüler. Über «Schweizer National- det. Das Gymnasium ist Partnerschule des dene religiöse Rituale und stellt «Glau- held» fantasieren sie schliesslich zu ak Schauspielhauses und die 4a eine Part- bensfreiheit» nach. tuellen Schweizer Sportgrössen weiter – nerklasse. Die Lehrerin hat bisher mit ihrer zu Roger Federer, Yann Sommer und Lara Klasse «Die Physiker» von Dürrenmatt Gut-Behrami. Bis jemand «Freiheit» sagt. Auf die Aufführung einstimmen oder Lessings «Nathan der Weise» gele- «Bei Wilhelm Tell kommt mir Freiheit in Das künstlerische Vermittlungsprogramm sen und Dramentheorie behandelt – «Wil- den Sinn», sagt die Schülerin, um die Aus- «Theater & Schule» des Schauspielhauses helm Tell» war noch nicht dabei. Sie wird sage nochmals zu bekräftigen. Die Schü- Zürich bietet verschiedene theaterpäda- Schillers Dramentext in den nächsten lerinnen und Schüler sind nun warm gogische Formate für Schulen an. So gibt Lektionen besprechen und sich Tells Frei- gelaufen und voll dabei. Jemand sagt es Blicke hinter die Kulissen, man kann heitsmythos annehmen. Besonders hätten «Widerstand», andere «Unterdrückung», Berufe am Theater kennenlernen oder sie die Themen interessiert, die an Tell «Revolution» oder «Gerechtigkeit». Workshops buchen, in denen die Jugend- verhandelt würden, und die Frage, welche Eigentlich hätte die Klasse 4a an die- lichen auf aktuelle Aufführungen ein reale Wirkung der Mythos heute noch in sem Donnerstagmorgen das Fach Deutsch. gestimmt und vorbereitet werden. Auch Bezug auf das Selbstverständnis der Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus Nun sitzen die 21 Schülerinnen und Schü- Nachbearbeitungen werden offeriert. Ma- Schweizerinnen und Schweizer entfalte. ler im Kreis auf dem Teppichboden der nuela Runge ist Leiterin Künstlerische Von diesem Workshop erwartet sie vor al- Studiobühne des Literargymnasiums Rä- Vermittlung Theater und Schule und be lem, dass die Klasse einen offenen und mibühl in Zürich. Das haben sie eine ihrer streitet mit Giorgio Dridi, derzeit Hospi- wachen Zugang zum Theaterstück be- Lehrerinnen zu verdanken. Die Gymna tant am Schauspielhaus, diese Einfüh- kommen werde. siallehrerin, die Deutsch und Philosophie rung. «Ich werde euch nicht erklären, was unterrichtet, hat kürzlich den «Wilhelm ihr auf der Bühne seht. Ich versuche mit Über Freiheit nachdenken Tell» in der Inszenierung von Milo Rau euch Räume aufzumachen, in denen wir Für Manuela Runge ist es nicht zwingend, am Schauspielhaus besucht. «Das Stück Ideen sammeln und gemeinsam forschen dass man das Original gelesen hat, bevor hat mir sehr gefallen. Aufgrund der aktu- können. Dabei gibt es kein Richtig oder man die Aufführung besucht. Fast wichti- ellen Themen, die im Stück anhand von Falsch. Es geht darum, dass es einen Aus- ger seien eine grundsätzliche Offenheit Laienschauspielerinnen und -schauspie- tausch zur Inszenierung gibt», sagt Runge und das Nachdenken darüber, was der lern verhandelt werden, dachte ich mir, zu Beginn. Freiheitsmythos um Wilhelm Tell mit dem dass ‹Wilhelm Tell› der Klasse gefallen Jede Regisseurin und jeder Regisseur eigenen Leben gemeinsam haben könnte. 14 könnte», sagt sie. Deshalb will sie mit der im Haus hat eine eigene Handschrift und Denn während der Theaterproben sei
Die Schülerinnen und Schüler des Literargymnasiums Rämibühl erhalten dank des Workshops einen spielerischen Zugang zum Thema Theater. auch dauernd über Freiheit gesprochen vertreten. Die nächste Gruppe stellt eine Für die Klassenlehrerin gibt es bezogen worden, etwa, wie Corona unsere Freiheit Ferienszene nach. Sie will unterschiedli- auf die Inszenierung zwei verschiedene eingeschränkt habe oder dass Freiheit für che soziale Gruppen und verschiedene so- Ebenen, den Dramentext von Schiller und alle etwas anderes bedeuten könne, er- ziale Hierarchien thematisieren. Schliess- die verfremdete, reale Aufführung mit den zählt sie der Klasse. So berichten auch lich spielt für eine Gruppe «finanzielle Bezügen zur Gegenwart. «Das ist nicht fünf professionelle Darstellerinnen und Gerechtigkeit» eine grosse Rolle. Sie ver- einfach zu verstehen in diesem Alter. Ich Darsteller gemeinsam mit acht Laien auf teilt unter sich das Geld «gerechter». denke, hier hat der Workshop sehr gute der Pfauenbühne aus ihrem Leben und Unterstützung geleistet», sagt sie. Ausser- ständen Patinnen und Paten für die Figu- Persönliche Themen aufgreifen dem arbeite sie gern mit Theaterpädago- ren des Dramas von Friedrich Schiller, wie «Jeder Workshop ist auch eine Moment- ginnen und -pädagogen zusammen, weil es im Programmbüchlein zum Theater- aufnahme der Klasse», sagt Runge. Je sie Bewegung, Sprache und Unterricht abend heisst. Es gibt auch «Tellinnen» in nachdem, woher die Schülerinnen und kombinieren könnten. Das setze Energien diesem Stück. «Das finde ich gut», sagt Schüler gerade kommen, ströme eine an- frei und es werde lebendiger. eine Schülerin. «Es ist doch irrational, dere Energie. Mal seien sie müde, mal to- Emma hat vor allem «das Spielerische Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus dass heutzutage die Frauen immer noch tal aufgedreht. Das heisst, sie müsse auch grossen Spass gemacht. Es war ange- benachteiligt sind.» angepasst reagieren. «Heute musste ich nehm, dass nicht alles erklärt worden ist. Aus all den Wörtern, Wortfetzen und das Lebendige in einen kreativen Aus- Ich bin nun offen und habe eine Ahnung Halbsätzen, die im Verlauf der Stunde ge- tausch kanalisieren. Ich fand es am bekommen, wie das Stück verpackt ist.» fallen und aufgeschrieben worden sind, Schluss sehr spannend, dass die Schüle- Auch Leandro fand das Spielerische «cool» müssen die Schülerinnen und Schüler rinnen und Schüler bei sich geblieben und auch, «dass wir eigene Gedanken zu- nun in Gruppen ein einziges Thema sind», erklärt Runge. Sie hätten beim sammen in einem Stück zeigen durften wählen. Dieses sollen sie auf der kleinen «Tell» sehr reale Themen aufgegriffen – und dass ich den Tell aus einer ganz ande- Bühne im Raum zu einer kurzen Auffüh- öffentlicher Verkehr, finanzielle Unab- ren Perspektive kennenlernte». Anna hat rung verdichten. Sie haben zehn Minuten hängigkeit oder Ferien – und mit dem Be- die Bewegung mit der Gruppe gut ge Zeit, um sich zu einigen und die Handlung griff der Freiheit verknüpft. «Das ist funden und dass sie thematisch mehr da- einzuüben. Die erste Gruppe spielt eine wichtig und eine gute Basis, wenn sie das zugelernt hat. Sie erwarte auf der Bühne Gesprächsrunde, die über «Gratistickets Stück sehen werden. Das Theater geht «vielleicht auch etwas Chaos», sei aber im öffentlichen Verkehr» diskutiert. Hier uns immer auch persönlich etwas an», «besonders gespannt auf die Laienschau- 15 geht es darum, eine eigene Meinung zu sagt die Theaterschaffende. spielerinnen und Laienschauspieler».
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Im Gespräch In Deutschland hat – im Unterschied zur «Theater Schweiz – in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eine enorme Entwicklung statt gefunden, was den Theaterunterricht und ist angewandte das Theaterverständnis betrifft. In vielen Bundesländern sind die Schulen heute verpflichtet, von der 1. Klasse bis zum Philosophie» Abitur Theaterunterricht anzubieten. Teil weise gilt Theater auch als Prüfungsfach für das Abitur. Dies hat unter anderem zur Folge, dass viele Ausbildungsangebote Theaterspielen hat in der Schule für Lehrpersonen ins Leben gerufen wor- den sind. Tradition. Doch was kann und soll Theater Und wo steht die Schweiz überhaupt und welche Möglichkeiten diesbezüglich? Die Schweiz hat eine ungebrochene Tra- bietet es? Theaterpädagogin Mira Sack dition der Theatervereine, Laientheater ist in vielen Gemeinden stark verankert. Die- über Rollenspiele, Startpunkte, Weltbezug se Theaterkultur macht sich auch in den und Zwischenräume. Schulen bemerkbar. Viele Lehrpersonen sind sehr engagiert, haben Freude daran, Interview: Jacqueline Olivier mit ihren Schülerinnen und Schülern Theaterprojekte zu realisieren. Oft ziehen sie zur Unterstützung auch jemanden von aussen bei. Dies geschieht aber vielfach im Freifachbereich und ist eben immer noch stark am Rollenspiel festgemacht. Nicht selten prägt diese Erfahrung das Theaterverständnis der Kinder bis in die Pubertät hinein. Für mich ist Theater fun- damentaler. Während meines Studiums An welches spezielle Theatererlebnis eine Klangwelt auf, die mir erlauben, auf hat eine Theaterdozentin mal einen Satz aus Ihrer Schulzeit erinnern Sie sich? Distanz zu meinem Alltag zu gehen und gesagt, der mich lange begleitet hat: «Im In der Schule hatte ich wenig Kontakt mit anders auf das Alltägliche zu blicken. Das Theater geht es nicht um den Menschen, dem Theater, aber meine Eltern besassen hat mich fasziniert und in mir den Wunsch sondern um menschliche Beziehungen.» ein Theater-Abo. Und immer, wenn mein geweckt, mich auf diesen anderen Um- Was heisst das konkret? Vater keine Zeit hatte, durfte ich mit mei- gang mit der Wirklichkeit einlassen zu Im Theater geht es um den Zwischenraum ner Mutter mitgehen. Da gab es einen können. zwischen einer anderen Person und mir. besonderen Moment, in dem ich gespürt In der Schule spielt das Theater Erst in diesem Zwischenraum findet The- habe, dass mich die Theaterwelt stark eine grosse Rolle, über alle Stufen ater statt. Hier befinde ich mich im Dialog, interessiert. hinweg. Warum ist das so? kann mich neu erfinden, anderes von mir Was war das für ein Moment? Eine lange Tradition in der Schule hat si- kennenlernen, was ich so nicht könnte, Das war in einer Inszenierung von «Romeo cher das Rollenspiel. Dabei geht es aber wenn ich diese andere Person nicht ge- und Julia» am Staatstheater Stuttgart, in der sich zu einem bestimmten Zeitpunkt Romeo und Julia ausgezogen und nackt weitergespielt haben. Für mich als 13- oder 14-Jährige war dies zunächst irritie- rend, aber dann habe ich gemerkt, dass «Im Theater geht es um den auf der Bühne offenbar ein anderes Regel system gilt und es durchaus Sinn ergibt, Zwischenraum zwischen einer dass diese beiden Figuren mit gros ser anderen Person und mir.» Selbstverständlichkeit in ihrer Nacktheit vor dem Publikum miteinander umgin- Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus gen. Meine Mutter hingegen fühlte sich spürbar unwohl, dass ich in dieser Insze- nierung neben ihr sass, und versuchte auf der Heimfahrt, mit mir über das Gesehene immer darum, dass ein Kind eine Rolle genüber hätte. Dies ist für mich der Be- ins Gespräch zu kommen. Was für uns ausfüllt, die bereits irgendwo geschrieben ginn von Theater, und dies möchte ich in beide nicht ganz einfach war. steht – ob man nun ein bekanntes Mär- den Schulen als ein wesentliches Element Warum war diese Aufführung für chen oder ein Stück aus der Theaterlitera- des Theaterspielens vermitteln. Dabei ist Sie eine wichtige Erfahrung? tur aufführt. Theater ist jedoch viel mehr mir sehr wichtig, dass die Kinder Gestal- Mir wurde damals klar, dass ich im Thea- als das. Ich ziehe sogar eine klare Grenze tungsfreiheit haben in der Art und Weise, ter einen anderen Zugang zur Welt be- zwischen Rollenspiel und Theater. Rollen wie sie Dinge erzählen wollen. komme, dass ich hier andere Perspektiven spielen die Kinder sowieso, das ist wichtig Warum ist Ihnen diese Gestal einnehmen, Situationen, Beziehungen für ihre Entwicklung, aber dafür braucht tungsfreiheit wichtig? oder Konflikte anders infrage stellen und es kein Theater. Für eine künstlerische Praxis besteht die einordnen kann. Ich habe gemerkt: Im Was braucht es denn hinsichtlich Notwendigkeit, dass ich etwas tun will, 18 Theater gehen eine Bildlichkeit, ein Raum, Theater in der Schule? dass ich mich mit einer Frage beschäfti-
gen möchte oder das Interesse habe, et- was genauer zu verstehen. Genau das möchte ich auch bei den Kindern auf der Bühne sehen – dass sie ein persönliches Interesse haben an dem, was sie tun. Das Resultat muss auch nicht immer eine Auf- führung sein, vielleicht kommt man ge- meinsam zum Schluss, was wir erzählen wollen, lässt sich nur über eine Installati- on erzählen, wir treten zurück und das Publikum bekommt uns nur als Videobild zu sehen. Wir leben nämlich längst im Untergrund. Sie sind Erziehungswissen schafterin und Theaterpädagogin. Gibt es zwischen diesen beiden Fachberei chen irgendwelche Schnittstellen? Die gibt es auf jeden Fall. Für mich ist die Schnittstelle der Bildungsgedanke. In der Erziehungswissenschaft geht es letztlich um die Frage: Wie gelingt Bildung? Was ist Bildung, welche Art von Bildung brau- chen wir heute? Heute lautet die zentrale Frage, die wir in die Schule bringen müs- sen, sicher: Wie schaffen wir es, unseren Planeten in gemeinsamer Verantwortung überlebensfähig zu gestalten? Im Theater ist der Bildungsgedanke genauso zentral. Indem man mit einer gewissen Distanz auf sich selbst blickt und sich von dem, was man bisher in seinem Alltag gelebt und praktiziert hat, freisetzt, merkt man: Ich kann mit der Art und Weise, wie ich lebe, anders umgehen, ich kann mit mir selbst in ein spielerisches Verhältnis tre- ten und Dinge verändern. Mit sich selbst in ein spielerisches Verhältnis treten – was meinen Sie damit? Mira Sack (54) studierte Erziehungswissenschaften in Indem ich mit mir selbst in ein spieleri- Hamburg und Theaterpädagogik an der Universität der sches Verhältnis trete, nehme ich mir den Künste Berlin. Sie promovierte über Probenstrategien in der Theaterpädagogik und war freiberuflich und im Raum, um für mich zu erkunden, was Rahmen von Projektarbeiten im Bereich von Schule und sonst noch möglich wäre, wie ich mich Soziokultur tätig. In Zürich arbeitete sie als Theater pädagogin am Theater an der Sihl und nahm Lehraufträge auch noch verhalten könnte. Ich öffne für Hochschulen und Weiterbildungen wahr. Seit 2001 ist also die Tür in eine Zukunft hinein, die ich sie Dozentin und Professorin für Theaterpädagogik an der Zürcher Hochschule der Künste. Ausserdem ist sie Mit noch nicht kenne, die mich aber verän- herausgeberin der Fachzeitschrift für Theaterpädagogik. dern darf. Und wo ich in Bezug zu anderen Menschen anders agieren und anders denken kann. Es geht darum, sich über die eigene Umwelt zu definieren und zu be- fragen. Das ist eine wesentliche Kompo- nente von Bildung: sich nicht nur auf- Stärken und ihre Interessen eingebracht jekt die Klasse eher auseinandertreibt. grund des eigenen Wissens oder der haben, kann man zusammen etwas Grös Das Produkt sagt noch nichts darüber aus, eigenen Erfolge für gebildet zu halten, seres auf die Beine stellen. Zusammenar- ob die Teambildung funktioniert hat, und Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus sondern zu erkennen, dass Bildung auch beit sorgfältig zu gestalten, ist aber gleich- ein gemeinsames Theaterprojekt ist nicht heisst, verantwortlich für diese Welt und zeitig eine grosse Herausforderung. Wenn zwingend eine positive Erfahrung. Wenn in dieser Welt unterwegs zu sein. sich zwei nicht einig sind, müssen sie ich meine Studentinnen und Studenten in Theater in der Schule bedeutet Wege finden, um gemeinsam weitergehen der ersten Stunde Theaterpädagogik nach Teamwork – die einen entwickeln viel zu können. Sie müssen nicht die gleiche ihren Theatererfahrungen aus der Schul- leicht das Stück, die anderen studieren Meinung haben, aber sie müssen sich bei- zeit frage, werden immer auch schwierige es ein, die Dritten kümmern sich um de entwickeln können. Wie man mitein- Beispiele genannt: «Ich durfte nur den das Bühnenbild oder die Kostüme. ander umgeht, hat ebenfalls mit dem Baum spielen.» Oder es kommt zum Aus- Wie wichtig ist dieser Aspekt? Weltbezug zu tun: Die andere Person kann druck, dass die Lehrperson die Schülerin- Gemeinsam ist man intelligenter als al- einem nicht einfach egal sein. nen und Schüler nichts entscheiden liess, lein – das ist in einem Theaterprojekt un- Tragen Theaterprojekte auch dazu sondern einfach einmal Regie führen bedingt zu erfahren. Ohne dass dabei je- bei, den Zusammenhalt in der Klasse wollte. der das Gleiche tun muss. Allein hätte zu stärken? Gehört die klassische Theater man das Projekt nicht realisieren können, Im Idealfall ja. Es kann aber auch schei- aufführung in der Schule in den 19 aber weil andere an anderer Stelle ihre tern, es kann sein, dass ein solches Pro- Mottenschrank?
Eine solche Theateraufführung hat sicher Schüler gemerkt hatten, dass sie in der wirken und die beiden Seiten miteinander noch ihren Platz, aber man muss sie im Lage waren, Geschichten zu erzeugen und in Kontakt bringen. Bewusstsein angehen, dass dies nicht zu erzählen, konnten sie sich auch als Ge- Wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, das einzige Angebot ist, das Kinder und meinschaft anders wahrnehmen und ihre dass Lehrpersonen in der Ausbildung Jugendliche im Bereich Theater an der unterschiedlichen Blickwinkel auf die Basiskenntnisse der Theaterpädagogik Schule erfahren sollten. Wenn ich in der Welt anerkennen. mitbekommen würden? Musik nur die Volksmusik thematisieren Eine andere Art, sich mit Theater Es gibt an der Pädagogischen Hochschule würde, wäre das auch nicht im Sinne un- zu beschäftigen, ist der Besuch einer Bestandteile, die das aufgreifen, Theater- seres heutigen Bildungsverständnisses. Aufführung. Auf den oberen Stufen ist pädagogik ist aber kein Fach, sondern Musik hat viele Facetten, und die gilt es zu das oft mit der Literatur verknüpft: eine Art Methodentool, integriert in ande- vermitteln. Im Falle des Theaters ist aber Man liest im Unterricht ein Stück und re Fächer. Und sie erreicht nicht alle Stu- das Problem, dass es kein Curriculum schaut es sich dann im Theater an. dierenden. Ich fände es wichtig, dass alle gibt, kein eigenes Fach, deshalb besteht Was bringt das? Lehrpersonen eine Grundlage der Thea- keine Gewähr, dass die Kinder im Laufe Da passiert etwas ganz anderes. Die meis- terpädagogik mitbekommen. In ihrem Be- ihrer neunjährigen Volksschulzeit ver- ten Jugendlichen freuen sich, das Stück ruf befinden sie sich permanent im Dialog schiedene Möglichkeiten kennenlernen endlich auf der Bühne zu sehen, denn und in der Künstlichkeit von Schulzim- und so selbst entscheiden können, was sie Theatertexte zu lesen, ist oft Knochenar- mern, sie gestalten den Raum, in dem sie davon interessiert und was nicht, womit beit. Doch dann sieht man auf der Bühne und die Schulklasse gemeinsam Zeit ver- sie sich allenfalls nach der Schulzeit noch etwas völlig anderes als das Erwartete. In bringen. Und die Art und Weise, wie eine beschäftigen möchten. diesem Fall kann eine Theaterpädagogin Lehrperson diesen Raum gestaltet, ist be- Wie geht denn eine Theater mit der Klasse die Inszenierung erörtern. reits eine theaterpädagogische Frage. pädagogin vor, können Sie ein Beispiel Auch dabei geht es aber um das persönli- Lehrpersonen sind also ein Stück nennen? che Interesse der Schülerinnen und Schü- weit selbst Theaterpädagogen? Entscheidend ist immer, einen Startpunkt ler am Stück und nicht darum, ob sie es Ja, als Lehrperson bin ich sozusagen im- zu finden, von dem aus man etwas entwi- verstanden haben. Vielleicht hat eine Per- mer in der Vermittlung und immer kör- ckeln kann. Ich habe einmal mit einer son von 20 Seiten nur einen Satz verstan- perlich präsent in einem Raum mit ande- Klasse gearbeitet, in der es nur schon den, weil er etwas in ihr ausgelöst hat, ren Personen. Diesen Raum muss ich schwierig war, die Schülerinnen und weil sie ihn spannend findet oder sich da- irgendwie gestalten, indem ich etwas tue, Schüler im Kreis aufzustellen, ohne dass rin wiedererkennt. Genau das macht auch was wir als Wirklichkeit annehmen, was nicht ein paar angefangen haben, sich ge- die Inszenierung: Interesse an dem Stück aber letztlich eine Behauptung ist. Wir genseitig zu provozieren. In der Pause herausschälen, sodass man zu geschrie- müssen hier nicht Mathe unterrichten. habe ich dann beobachtet, was die Ju- bener Sprache in ein spielerisches Ver- Das erfinden wir, weil wir der Meinung sind, dass es wichtig ist. In der Welt gibt es keinen Matheunterricht. Es gibt Bäume, Berge, Flüsse. Wir hingegen machen Mathe unterricht, weil wir davon ausge- «Ich fände es wichtig, dass alle hen, ihn zu brauchen. Es ist ein Spiel. Und die Lehrperson muss damit klug oder Lehrpersonen eine Grundlage der eben spielerisch umgehen. Theaterpädagogik mitbekommen.» Vom Unterricht zum Theater ist es folglich nur ein kleiner Schritt? Im Grunde ja, eine Weiterentwicklung von dem, was ich im Unterricht mache oder machen könnte. Ich könnte einen flies senden Übergang vom Unterricht zum gendlichen machten, und mit ihnen dar- hältnis kommt und merkt, dass es kein Theaterprojekt herstellen, ohne dass wir aus eine Art Patchwork erarbeitet: «Dich Richtig oder Falsch gibt, wie man «Woy- merken, dass das jetzt ein Theaterprojekt habe ich gesehen, wie du an die Fenster- zeck» oder «Romeo und Julia» inszeniert. ist. Ausser vielleicht am Schluss, wenn wir scheibe gehaucht und mit dem Finger et- Die meisten Theaterhäuser haben die Eltern dazu einladen. was reingeschrieben hast. Und ihr beide heute ein grosses Angebot im Bereich Jetzt geraten wir ins Philo habt den Ball genommen und ihn immer der Pädagogik. Was ist ihr Interesse sophieren: Ist das Leben im Grunde wieder an die Wand gespielt. Das bringen daran? nichts anderes als Theater? wir nun mal nacheinander auf die Bühne, Die Häuser haben den Auftrag, Theater Ihre Aussage «Jetzt geraten wir ins Philo- ohne zu wissen, was es erzählt.» für Kinder und Jugendliche anzubieten. sophieren» finde ich sehr treffend, denn Schulblatt Kanton Zürich 5/2022 Fokus Was ist passiert? Als Theaterpädagogin am Theater hatte ich glaube, mit Theater zu tun zu haben, Es waren alle voll bei der Sache, weil sie ich stets die Möglichkeit, Einfluss auf den heisst immer auch, mit Philosophie zu tun auf der Bühne das zeigen konnten, was sie Spielplan und auf die Auswahl des Regis- zu haben. Philosophie fängt mit Fragen auch sonst tun, wenn sie sich in Tätigkei- seurs oder der Regisseurin zu nehmen. an: Was kann ich wissen? Was ist die Welt, ten hineinfallen lassen, die für sie irgend- Darum war es für mich wertvoll, den un- was das Leben? Sich auf produktive Weise einen Sinn ergeben. Anschliessend habe mittelbaren Kontakt mit Schulklassen zu in Fragen zu verfangen, sich immer wie- ich sie gefragt, was wir denn nun für eine haben und zu erfahren, welche Inszenie- der selbst zu fragen, was mache ich hier, Geschichte gespielt hätten und wie sie rung welche Möglichkeiten bietet, um mit in dieser Welt, in meiner Funktion, in der heissen sollte. Auch da waren alle bereit, ihnen in einen Austausch zu kommen. Für Gesellschaft?, hilft uns, unsere Wahrneh- zu erzählen, was sie gesehen hatten, und Theaterschaffende ist das, was in den Zu- mung wachzuhalten und das Wahrgenom- schliesslich erhielt die Geschichte einen schauerinnen und Zuschauern passiert, mene zu reflektieren. Dasselbe passiert wunderschönen Titel, den ich ihr so nie weitgehend eine Blackbox. Es kommt sel- im Theater. Auch das Theater stellt Fra- hätte geben können. Dieses Beispiel zeigt, ten vor, dass man miteinander über das gen, löst Denkprozesse aus, führt zu ver- welche Bildungsprozesse das Theater bie- Stück und die Inszenierung nachdenkt. änderter Wahrnehmung. Theater ist ange- 20 tet: Dadurch, dass die Schülerinnen und Die Theaterpädagogik kann als Türöffner wandte Philosophie.
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