Silver Society DOSSIER - ZHAW

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Silver Society DOSSIER - ZHAW
№ 56 | MÄRZ 2022   Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

                                            DOSSIER

                         Silver Society
         ZHAW-ALUMNA                                                              MENSCHEN
   Wie Sozialarbeiterin Lea-Maria Leu                                  ZHAW-Dozent Jonathan Dominguez
bei der KESB in Dübendorf dem einzelnen                                Hernandez und sein ungewöhnlicher
     Menschen gerecht werden will.                                    ­Werdegang als Hebamme und Jurist.
Silver Society DOSSIER - ZHAW
Your motivation is what

                                                                                     our CPU.

                                                                                     Adrian Bucher,
                                                                                     Electrical Engineer

                                                #FeelFreeToSpeedUp

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Silver Society DOSSIER - ZHAW
IMPRESSUM                                             EDITORIAL

HERAUSGEBER:
ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte
Wissenschaften, Winterthur, und ALUMNI ZHAW

KONTAKT:

                                                      Illusion und Wirklichkeit
ZHAW-Impact, Redaktion, Postfach,
8401 Winterthur; zhaw-impact@zhaw.ch

AUFLAGE: 27’000 Exemplare
ZHAW-Impact erscheint viermal jährlich.
NÄCHSTE AUSGABE: 22. Juni 2022
                                                                                       Alle wollen lange leben, aber
ADRESSÄNDERUNGEN: info@zhaw.ch                                                         keiner will alt werden. Dennoch
WEITERE EXEMPLARE: zhaw-impact@zhaw.ch
                                                                                       reden wir übers Älterwerden
REDAKTIONSLEITUNG:
Patricia Faller (Chefredaktorin)                                                       im Dossier dieses Magazins.
Andrea Hopmann (Leiterin CC)                                                           Weil die alternde Gesellschaft
REDAKTIONSKOMMISSION:                                                                  eine Realität ist: Der Begriff
Christa Stocker (Angewandte Linguistik);
Kathrin Fink (Angewandte Psychologie);                                                 «Silver Society» umschreibt
Andrea Kleinert (Architektur, Gestaltung und
Bauingenieur­wesen); Tobias Hänni (Gesundheit);
                                                                                       diesen grundlegenden Wandel
Cornelia Sidler (Life Sciences und Facility­Ma-                                        von Altersstruktur und Gesell-
nagement); David Bäuerle (School of Enginee-
ring); Frederic Härvelid (School of Management                                         schaft und ist einer der grossen
and Law); Regula Freuler (Soziale Arbeit)
                                                                                       Megatrends unserer Zeit. Wir
PRODUKTION NEWS:
                                                                                       zeigen, was den Forschenden
Mitarbeit Andreas Engel, Sibylle Veigl
                                                                                       zum Thema «Alter» einfällt.
REDAKTIONELLE MITARBEIT:
Irene Bättig, David Bäuerle, Sara Blaser, Regula
                                                      Und was fällt Ihnen zum Thema «Alter» ein? Ich denke da an
Freuler, Sandra Hürlimann, Elena Ibello, Tho-         die Rentnerinnen und Rentner, die mich beim Wandern freund-
mas Müller, Katrin Oller, Frank Richter, Kathrin
Reimann, Eveline Rutz, Bettina Sackenreuther,         lich grüssend überholen, während ich mich Richtung Gipfel
Carole Scheidegger, Andrea Söldi, Fabienne
Trümpi, Sibylle Veigl, Susanne Wenger, Ümit
                                                      schleppe und den Schweiss von der Stirne wische. So fit will ich
Yoker                                                 auch mal werden, wenn ich Ü65 bin! «Was fällt Ihnen zum
FOTOS:                                                Thema Alter ein?» Das wollten wir auch in unserer Spot-
Conradin Frei, Zürich, alle ausser S. 4 l., 6–13,
29, 35, 36, 37, 56–67; Daniel Baumgartner             light-Umfrage von Studierenden, Absolventinnen und Absol-
S. 29; Noëlle Guidon S. 4 l., 6; Pixabay S. 56, 58;
                                                      venten sowie von Mitarbeitenden kurz vor der Pensionierung,
Archiv ZHAW LSFM S. 67 o.; Stefan Kubli
S. 67 u.; zVg S. 10–12; 35, 36, 37, 57, 59, 60–66     aber auch von jüngeren Kolleginnen und Kollegen wissen (S. 36
GRAFIK/LAYOUT:                                        und im Webmagazin). Unserem Illustrator Till Martin kam bei
Till Martin, Zürich; Klaas Kaat, Zürich;
Stämpf li AG, ZH/Bern
                                                      der Frage der Lebensherbst in den Sinn: Bei seiner Interpretati-
VORSTUFE/DRUCK:                                       on auf dem Titelbild schweben ältere Menschen an goldenen
Stämpf li AG, Zürich/Bern
                                                      Fallschirmen sanft ins Leben. Andere werden von einer Böe
INSERATE:
Fachmedien Zürichsee Werbe AG,                        ergriffen und kräftig durchgeschüttelt. Der leere Liegestuhl
Laubisrütistrasse 44, 8712 Stäfa,
Impact@fachmedien.ch, Tel. 044 928 56 53
                                                      auf dem Dossier-Auftaktfoto von Conradin Frei lässt Raum für
                                                      Spekulationen. Wartet der auf uns? Oder wurden wir bereits
                                                      alle aus dem «Rentner­paradies» vertrieben? Voraussichtlich
                                                      stimmen wir schon bald über die Reform AHV 21 ab, die unter
                                                      anderem eine Flexibilisierung des Rentenalters vorsieht. In der
                                                      Öffentlichkeit wird kaum über die Flexibilisierung debattiert,
IMPACT DIGITAL
Die aktuelle Ausgabe unter
                                                      als sei sie unumstritten. Machen Sie sich selbst ein Bild bei un-
↘ https://impact.zhaw.ch                              seren Pro- und Contra-Beiträgen zweier ZHAW-Fachleute (S. 48).
Als pdf und weitere Infos:
↘ www.zhaw.ch/zhaw-impact
                                                      Tauchen Sie nun ein in die vielfältige und vielschichtige Silver
↘ www.zhaw.ch/socialmedia                             Society.                    PATRICIA FALLER, Chefredaktorin
                                                                                                                          3
Silver Society DOSSIER - ZHAW
INHALT                                                                                                                  Impact | März 2022

    ALUMNI                                          ABSCHLUSSARBEITEN                              MENSCHEN

    Menschlich handeln: Lea-Maria Leu,              Weshalb lassen sich Menschen                   Als Hebamme in einer Frauendomäne:
    Sozialarbeiterin bei der KESB  6                impfen und andere nicht?     20                Jonathan Dominguez Hernandez. 14

    18 STUDIUM                                      19 «Wir Frauen können IT»                      56 WEITERBILDUNG
                                                    Es braucht mehr Frauen in der IT-Welt,
    Sozial engagiert im Studium                     ist ZHAW-Dozentin Katja Kurz überzeugt.        Gesund, leistungsfähig und Ü50
    Gutes tun und dafür ECTS-Punkte erhalten:      Deshalb thematisiert sie Gender Diversity      Angesichts des Fachkräftemangels in der al-
    Das Mentoring-Programm Future Kids bietet       bereits mit ihren Studierenden im Einfüh-      ternden Gesellschaft sollen Menschen länger
    Studierenden die Möglichkeit, ihre Erfah-       rungsmodul für Wirtschaftsinformatik,          im Arbeitsprozess bleiben. Damit das ge-
    rungen und ihr Wissen spielerisch weiterzu-     sensibilisiert sie für unbewusste Vorurteile   lingt, braucht es mehr zielgruppengerechte
    geben, um benachteiligten Kindern gleiche       und Lohnunterschiede und verweist auf die      Gesundheitsförderung und Prävention, ohne
    Chancen in der Schule zu ermöglichen.           Wichtigkeit von Vorbildern.                    ältere Mitarbeitende zu diskriminieren.

                                                                                                   65 PERSPEKTIVENWECHSEL
     NACHHALTIGKEITSWETTBEWERB: DIE GEWINNER SIND …
     127 Einsendungen gingen bei unserem            ▶ Der 2. PREIS, ein SBB-Gutschein, geht an    Leere Spielplätze
     Nachhaltigkeitswettbewerb ein. Herzlichen         Sonja Schneider­bauer aus Bremgarten        Ergotherapeutin Ines Wenger verbrachte im
     Dank! Die Jury aus drei Mitgliedern des           (AG). Sie und ihre Familie benutzen ge-     Rahmen Ihres Doktorats sechs Wochen in
     ZHAW-Nachhaltigkeitsausschusses hat-              brauchte Flipchartblätter als Geschenk-     Schweden. Sie promoviert über Spielplätze
     te k­ eine leichte Aufgabe, die kreativsten       papier mit Ornamenten aus Buchstaben.       und Inklusion von Kindern mit speziellen Be-
     Alltags­ideen auszuwählen.                                                                    dürfnissen. Auf der Suche nach Spielgefähr-
                                                    ▶ Den 3. PREIS, einen Gutschein für eine
                                                                                                   ten für ihr Töchterchen traf sie wochentags
                                                       Veloreparatur, gewinnt Franziska
     ▶ Den 1. PREIS, eine Nacht im Hotel «Capri-                                                  nur leere Spielplätze an.
                                                       Ulmann aus Rorschach (SG). Ihre Idee:
        corns» in Wergenstein, gewinnt Harlies
                                                       monatlich stattfindende Tauschzirkel, zu
        Schweizer aus Bühler (AR) für die Idee
                                                       denen jeder Dinge mitbringt, von denen
                                                                                                   67 DAMALS & HEUTE
        des Geschichtenateliers, das Generati-
                                                       er sich für einen Monat trennen kann.
        onen verbindet. Sie organisiert es mit                                                     Vom Monokularmikroskop zum
        Maria Nänny und Jürg Engler in ihrer        Der Zufallsgenerator hat unter allen Teil-     Hightech-Instrument
        Gemeinde. Ältere Menschen erzählen          nehmenden als Zufallsgewinner                  In der fünten Folge der Serie «Damals &
        aus ihrem Leben. Kinder und Erwachse-       A. Schwartz aus Kilchberg (ZH) ermittelt       heute», in der wir jeweils eine historische
        ne hören zu und zeichnen oder malen,        für Vorschläge für einen nachhaltigen All-     Fotografie einer aktuellen gegenüberstellen,
        was sie hören. Für alle eröffnen sich       tag. Der Gewinn ist ein SBB-Gutschein.         geht es um Laborunterricht einst und heute.
        neue Perspektiven.                          Allen herzlichen Glückwunsch!                  Alle Folgen im IMPACT-­W EBMAGAZIN.

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Silver Society DOSSIER - ZHAW
3   EDITORIAL

                                                                                        4   INHALT

                                                                                        6   ALUMNI

                                                                                        10 FORSCHUNG

                                                                                        14 MENSCHEN

                                                                                        18 STUDIUM

                                                                                        20 ABSCHLUSSARBEITEN

                                                                                        22 DOSSIER

                                                                                        56 WEITERBILDUNG

                                                                                        59 VERANSTALTUNGEN

                                                                                        60 ALUMNI ZHAW

                                                                                        65 PERSPEKTIVENWECHSEL

                                                                                        66 MEDIEN UND
                                                                                           SOCIAL MEDIA

                                                                                        67 DAMALS & HEUTE

                                                                                        IMPACT-Webmagazin
                                                                                        https://impact.zhaw.ch

22 DOSSIER SILVER SOCIETY                                                               Video Labradordame Jazz ist
                                                                                        Therapie­h ündin. Wenn sie Ergo-
                                                                                        therapeutin Luzia Buchli beglei-
Für Menschen ab 60 hat das Marketing viele Umschreibungen erfunden. Silver
                                                                                        tet, vergessen ältere Klientinnen
Agers, Golden Agers oder Best Agers. Doch wie halten wir es selbst mit dem eige-        und Klienten ihre Schmerzen und
nen Älterwerden? Jeder ganz individuell, wie Katharina Fierz, Projektleiterin des       trainieren für den Alltag.

Schwerpunkts Angewandte Gerontologie, im Interview (S. 24) sagt: «Die ‹Alten› als
                                                                                        Video Mit Augmented Reality
einheitliche Gruppe gibt es nicht.» Das mache es komplex, Antworten auf drin-
                                                                                        und einem dynamischen Stuhl
gende Fragen der alternden Gesellschaft zu finden: Wie werden wir im Alter künf-        haben ZHAW-Forschende eine
tig wohnen (S. 30)? Wie können wir am gesellschaftlichen Leben teilha­ben (S. 35)?      neue Therapieform für Schlagan-

Helfen Technologien wie Virtual Reality (S. 39) oder Apps gegen Einsamkeit (S. 40)?     fallpatienten entwickelt – moti-
                                                                                        vierend und messbar.
Wie nutzen Seniorinnen und Senioren das Internet (S. 47) und wie könnte man
sie unterstützen (S. 54)? Ist die Flexibilisierung des Rentenalters das Allheilmittel   Video Beim Mentoringprogramm
für unsere Versorgungssysteme (S. 48)? Müssen wir stärker in die private Vorsor-        Future Kids verhelfen ZHAW-

ge investieren (S. 50)? Wie werden sich die Gesundheitskosten entwickeln (S. 52)?       Studierende Schülern zu mehr
                                                                                        Chancengleichheit in der Schule
Weshalb altern wir überhaupt (S. 28)? Was hilft nach einem Schlaganfall (S. 30, 45)?
                                                                                        und erhalten dafür ECTS-Punkte.
Leisten wir uns einen persönlichen Gesundheitscoach (S. 45)? Lesen Sie im Maga-         Einblick geben Studentin Giulia
zin, wie ZHAW-Mitarbeitende wirkungsvolle nachhaltige Lösungen entwickeln.              und der zehnjährige Harun.

                                                                                                                            5
Silver Society DOSSIER - ZHAW
Silver Society DOSSIER - ZHAW
Impact | März 2022                                                                                                         ALUMNI

                       ERWACHSENENSCHUTZ

                       Sie will dem einzelnen
                       Menschen gerecht werden
                       Lea-Maria Leu arbeitet bei der KESB. Nicht alle ihrer Klientinnen und
                       Klienten kommen freiwillig zu ihr. In solchen Situationen menschlich zu
                       bleiben, sieht die Masterabsolventin als eine wichtige Aufgabe.

                       REGULA FREULER                        vertiertheit und mit Rebellion zu       entschied sie sich 2013 für ein Stu-

                     D
                                                             tun», sagt Leu lachend. «Ich wollte     dium in Sozialer Arbeit. Sie machte
                                  reizehn Kilometer kön- wohl auf leise Art laut sein.» Nur          den Bachelor an der Fachhochschu-
                                  nen einen Unterschied mässig motiviert absolvierte sie             le Nordwestschweiz teilweise im
                                  machen. So viel beträgt damals eine Handelsmittelschule.           vollen Pensum und arbeitete zu-
                                  die Strecke zwischen Lea-­ Als sie danach ein kaufmännisches       sätzlich in zwei Jobs. «Ich war oft er-
                       Maria Leus Arbeitsort – der Kin- Praktikum im Asylamt Biel machte,            schöpft», erinnert sich Leu. Heute
                       des- und Erwachsenenschutzbehör- kam sie erstmals mit Sozialer Ar-            würde sie das Pensum besser ver-
                       de (KESB) in Dübendorf – und ihrer beit in Kontakt: Flüchtlinge sollten       teilen.
                       Wohnung in der Stadt Zürich. Gele- auf die Durchgangszentren im Kan-
                       gentlich joggt sie abends heim: Äus- ton verteilt werden. Wie wird man        In Praktika zur beruflichen
                       serer Abstand schafft inneren Ab- dabei dem einzelnen Menschen ge-            Identität
                       stand. «Manche Fälle lassen einen recht? Diese Frage beschäftigte sie,        Besser angepackt habe sie es bei der
                       nach Feierabend nicht los», sagt die                                          Wahl der beiden Studiums­praktika:
                       31-Jährige.                                                                   «Sie halfen mir, meine berufliche
                          Wir treffen uns an einem grau-
                                                                   «Ich will den                     Identität zu finden.» Als Erstes ar-
                       en Nachmittag bei ihr zu Hau-          Menschen nicht sagen,                  beitete sie in der Stiftung Netzwerk
                       se. Neben dem Esstisch hängt ein        wie sie leben sollen,                 in Uster, einer Non-Profit-Organisa-
                       Schwarzweiss-Plakat der Cinéma-                                               tion unter anderem für begleitetes
                       thèque suisse aus den Achtzigern,
                                                                sondern sie d ­ abei                 Wohnen für junge Menschen zwi-
                       an eine andere Wand gelehnt stehen     unterstützen, wie sie                  schen 16 und 22 Jahren. Wer eine
                       alte Bilder. Alles Erbstücke des On-       leben wollen.»                     Wohnung haben wollte, musste
                       kels – und Ausdruck von Leus pri-         Lea-Maria Leu, KESB-Mitarbeiterin
                                                                                                     eine Tagesstruktur nachweisen. Wer
                       vater Seite, die beinahe ihre beruf-                                          diese verlor, musste ausziehen. «Ich
                       liche geworden wäre.                                                          empfand das als hart. Und ich merk-
                                                             weshalb sie dann befristet in einem     te, dass mir der stationäre Jugend-
                       Auf leise Art laut sein               solchen Zentrum in Reconvilier im       bereich zu nah am eigenen Alltag
                       Schon als Jugendliche interessier- Berner Jura Asylsuchende betreute.         war», erzählt sie. «Welche Nähe hält
                       te sie sich für Kunst, und bis heute «Es war ziemlich trostlos», erzählt      man aus und welche nicht? Auch
                       foto­grafiert, malt und druckt sie. Leu, «man konnte den Menschen             das lernt man im Praktikum.»
                       Aber um auf diesem Gebiet eine kaum Abwechslung bieten, sie                      Das zweite Praktikum erfolgte
                       Karriere einzuschlagen, habe ihr mussten einfach abwarten, manche             2015 bei ihrem heutigen Arbeitge-
    «Selbstbestim-     der Mut gefehlt. Aus früheren Ta- von ihnen bis zu drei Jahre.»               ber, der Kindes- und Erwachsenen-
     mung ist auch     gen stammen auch ihre Tätowie-          Nach einer Auszeit nahm sie eine      schutzbehörde Dübendorf. Diese
     innerhalb von     rungen, die an Hals und Armen aus     Stelle im IT-Support des Eidgenös-      Behörde gab es damals erst seit zwei
Grenzen durchaus       dem Shirt ranken: florale Muster, sischen Departements für auswär-            Jahren. «Zuerst hatte ich Vorbe-
    möglich», sagt     Gefieder, Ornamente. «Das hatte tige Angelegenheiten an. Doch statt           halte, weil es ein Zwangskontext ist.
 KESB-Mitarbeite-      sowohl mit Kunstaffinität wie auch sich ein Informatikstudium bezah-          Aber die Aufgaben sind eben auch
rin Lea-Maria Leu.     mit meiner extrovertierten Intro- len zu lassen, wie man es ihr anbot,        sehr menschlich, und man muss
                                                                                                                                               7
Silver Society DOSSIER - ZHAW
ALUMNI                                                                                                                  Impact | März 2022

    sie menschlich angehen», betont          mit dem Entscheidungsfindungs-          ne eine Schutzmassnahme. Das sind
    Leu. Bei der KESB arbeitet sie nun       prozess, beim Master mit Selbst-        fast 10 000 mehr als noch drei Jah-
    schon seit sechseinhalb Jahren, in-      bestimmung. Durch die demogra-          re zuvor.
    zwischen als Fachmitarbeiterin und       fische Veränderung – unsere Gesell-       Mit ihrer Masterthesis hat Leu
    ­Ersatzbehördenmitglied.                 schaft altert – gewinnt der Erwach-     eine Forschungslücke in Angriff ge-
                                             senenschutz, vor allem für ältere       nommen. Bisher existierten keine
    Erwachsenenschutz gewinnt                                                        Studien zur Selbstbestimmung mit
    an Bedeutung                                                                     Fokus auf die Sicht von älteren ver-
    Im vergangenen Sommer schloss
                                               «Welche Nähe hält                     beiständeten Personen, wie es im
    die gebürtige Burgdorferin ihr Mas­       man aus und welche                     Behördenjargon heisst. «Ich fand
    terstudium an der ZHAW ab: «Es            nicht? Auch das lernt                  das erstaunlich, zumal das 2013 re-
    ermöglichte mir die nötige fach-                                                 vidierte zivilrechtliche Erwachse-
    liche Vertiefung. Und es hilft für das
                                              man im Praktikum.»                     nenschutzrecht die Selbstbestim-
                                             Lea-Maria Leu, ZHAW-Masterabsolventin
    ‹Standing› am Arbeitsplatz neben                                                 mung des Individuums in den Mit-
    Juristinnen und Psychologen.»                                                    telpunkt rückte», sagt Leu.
       Leu beschäftigt sich in ihrem be-     Menschen, in der Sozialen Arbeit an
    ruflichen Alltag überwiegend mit         Bedeutung. Laut der jüngsten Statis­    Selbstbestimmung in
    Erwachsenenschutz. Zu diesem             tik der Konferenz der Kantone für       bestimmten Grenzen möglich
    Fachgebiet hat sie denn auch ihre        Kindes- und Erwachsenenschutz           Die Errichtung der Beistandschaft
    beiden Abschlussarbeiten geschrie-       (KOKES) bestand Ende 2020 in der        bringt gewisse Einschränkungen,
    ben. Beim Bachelor befasste sie sich     Schweiz für fast 100 000 Erwachse-      aber auch Möglichkeiten mit sich.

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                                                                              In welchem Bereich der Sozialen Arbeit Sie auch tätig
                                                                              sind: Eine Weiterbildung erhöht Ihre Kompetenzen
                                                                              für künftige Aufgaben. Vertiefen Sie Ihr Fachwissen und
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                                                                              • Delinquenz und Kriminalprävention
                                                                              • Soziale Gerontologie
                                                                              • Community Development und Migration
                                                                              • Sozialrecht
                                                                              • Sozialmanagement
                                                                              • Supervision, Coaching und Mediation
                                                                              • Psychosoziale Beratung

                                                                              Infoveranstaltung: 9. Mai 2022
                                                                                www.zhaw.ch/sozialearbeit

                                                                              Hochschulcampus Toni-Areal, Zürich

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Impact | März 2022                                                                                                              ALUMNI

                     Wie dies erlebt wird, eruierte Leu      dung bis zur Empfehlung für einen          halte gegenüber ihrer Arbeit kennt
                     in leitfadengestützten Interviews       Entscheid. Trotz aller rationalen Ab-      sie: «Manche glauben, es sei ein un-
                     mit Personen im Alter von 68 bis        straktion in der Fachabklärung ist         dankbarer Job. Aber gerade im Er-
                     80 Jahren. Das Fazit: Vier von fünf                                                wachsenenschutz sind viele Men-
                     Befragten sahen vor allem die po-                                                  schen froh um Unterstützung.»
                     sitiven Seiten, weil sie bei admini-
                                                               «Manche glauben,
                     strativen und finanziellen Angele-      es sei ein undankbarer                     Eingreifen bei Missbrauchsfällen
                     genheiten entlastet wurden. Dass         Job. Aber gerade im                       Und was antwortet sie jeweils auf
                     man hingegen um sein eigenes Geld                                                  den häufig geäusserten Vorwurf, die
                     sozusagen bitten müsse, empfan-
                                                              Erwachsenenschutz                         KESB verletze die familiäre Privat-
                     den manche als störend oder gar de-      sind viele Menschen                       sphäre? «Leider geschehen die meis­
                     mütigend. «Das ist verständlich»,               froh um                            ten Missbrauchsfälle innerhalb der
                     räumt die KESB-Mitarbeiterin ein.                                                  Familie. Da muss man eingreifen
                     Dennoch ist das Ergebnis ihrer Be-
                                                                Unterstützung.»                         können – zum Schutz der Betrof-
                                                                  Lea-Maria Leu, Sozialarbeiterin
                     fragungen erhellend: Selbstbestim-                                                 fenen», betont Leu.
                     mung ist auch innerhalb von Gren-                                                     Wenn sich Menschen von ihr ab-
                     zen durchaus möglich.                   sie überzeugt: «Es ist enorm wich-         geholt fühlen, sieht sie sich in ihrer
                        Am juristischen Kontext ihres Be-    tig, die betroffenen Menschen im           Tätigkeit bestätigt: «Ich will ihnen
                     rufs schätzt Leu, dass sie viele Fra-   ganzen Prozess mitzunehmen, auch           nicht sagen, wie sie leben sollen,
                     gen analytisch angehen kann, vom        wenn dazu mehrere Gespräche nö-            sondern sie dabei unterstützen, wie
                     Eingang einer Gefährdungsmel-           tig sind.» Die verbreiteten Vorbe-         sie leben wollen.»                 ◼

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Silver Society DOSSIER - ZHAW
FORSCHUNG                                                                                                               Impact | März 2022

     AUSSTELLUNG «WATCH I NG TH E WORLD»                                              Online-Zahlungen: zur Hälfte mobil
     Kunst und Forschung in einem Projekt                                             Die Schweizer Bevölkerung zahlt Waren und Dienstleis­
                                                                                      tungen, die sie nicht direkt vor Ort bezieht, sehr häufig
                                                                                      mobil: 49 Prozent aller Transaktionen im sogenannten
                                                                                      Distanzgeschäft erfolgen über ein Mobiltelefon, Tablet
                                                                                      oder eine Smartwatch. Dies umfasst Zahlungen einerseits
                                                                                      direkt über das Bankkonto wie mit Twint, anderseits aber
                                                                                      auch mit einer Kredit- oder Debitkarte, die in einer App
                                                                                      hinterlegt ist, wie zum Beispiel bei Apple Pay oder SBB
                                                                                      Mobile. Das zeigt der zum sechsten Mal durchgeführte
                                                                                      Swiss Payment Monitor der SCHOOL OF MANAGEMENT
                                                                                      AND LAW und der Universität St. Gallen. Für die Untersu­
                                                                                      chung wurden Ende 2021 1460 Personen repräsentativ für
                                                                                      die ganze Schweiz befragt. Insgesamt ist die Debitkarte
                                                                                      mit einem Anteil von 30 Prozent aller Transaktionen (von
                                                                                      Distanz- und Präsenzgeschäft) weiterhin das meistge­
     Ein Internet-Café irgendwo auf der Welt: eine der unzähligen Webcam-­            nutzte Zahlungsmittel.
     Aufnahmen, ausgesucht mittels Künstlicher Intelligenz.

     «Watching the World» zeigt die           den diese alle 15 Minuten ein neues     Wettervorhersage für die Finanzmärkte
     Vielfalt der Welt im permanenten         Bild. Geordnet in unterschiedlichen
     Live-Zustand. Das Projekt von Web­       Kategorien sehen Besucherinnen
     cam-Künstler Kurt Caviezel und           und Besucher der Projekt-Homepage
     Helmut Grabner, Dozent am Institut       eine sich ständig ändernde Live-Col­
     für Datenanalyse und Prozess­design      lage. Als Forschungsprojekt bietet
     der SCHOOL OF ENGINEERING, er­           «Watching the World» viele Ansatz­
     schafft mit Webcam-Bildern, die          punkte für Bachelor- und Masterar­
     durch Künstliche Intelligenz kuratiert   beiten. «Fast alle Themen im Bereich
     werden, eine Ausstellung, die das        Data Science werden abgedeckt», er­
     «Jetzt» der Welt zeigt. Ausgangsma­      klärt Dozent Grabner. So stellen sich
     terial sind 10 000 öffentlich zugäng­    bei der Datenanalyse Fragen wie zum     Der Banken-Distrikt City of London: Ein Forschungspro-
     liche Webcams und Überwachungs­          Beispiel: «Welche Bilder halten wir     jekt will automatisierte Bankreports in Echtzeit erstellen.
     kameras auf der ganzen Welt – und es     für interessant und welche nicht?»
     werden immer mehr. Im Schnitt sen­       ↘ https://bit.ly/3rVfeKQ                Nach der Finanzkrise 2008 wurden neue Regeln zum
                                                                                      Schutz des Bankensystems geschaffen, doch sind die In­
                                                                                      strumente in ihrer technischen Struktur noch immer un­
     Online-PR in Medien bleibt oft unerkannt                                         einheitlich, zeitintensiv und nicht effizient. Das Projekt
     Das IAM Institut für Angewandte          ANGEWANDTE LINGUISTIK. Auch             «Data Driven Financial Risk and Regulatory Reporting»
     Medienwissenschaft hat die Nutzung       konnten die Teilnehmerinnen und         (DaDFiR3) setzt hier an. Die Projektpartner, bestehend aus
     von Native Ads untersucht: Native        Teilnehmer oft nicht erklären, was      Wolfgang Breymann von der SCHOOL OF ENGINEERING,
     Ads sind an das Umfeld des Medien­       die Bezeichnungen für diese Werbe­      Tim Weingärtner vom Departement Informatik der Hoch­
     titels angepasste gesponserte Bei­       formen genau bedeuten. Insbeson­        schule Luzern und Walter Farkas vom Institut für Banking
     träge in journalistischen Medien. In     dere «Native Content» war für mehr      und Finance der Universität Zürich, haben sich zum Ziel
     einem Online-Experiment wurden           als die Hälfte der Befragten unver­     gesetzt, eine digitale Infrastruktur zu entwickeln, die es
     1800 Teilnehmende mit Native Ads         ständlich; «Paid Post», «Sponsored»     ermöglicht, automatisierte Banken-Reports in Echtzeit zu
     konfrontiert. Gut ein Drittel davon      oder «Präsentiert von …» waren für      erstellen. «Man kann sich das System wie eine Wettervor­
     konnte Native Ads nicht als bezahlten    jeweils mindestens 20 Prozent unklar.   hersage für den Finanzmarkt vorstellen», erklärt Brey­
     Inhalt erkennen. «Je nach Plattform      Im Eye-Tracking-Experiment wurde        mann. Das Projekt wird vom gemeinsamen Förderpro­
     und Art der Kennzeichnung bemerk­        zudem ersichtlich, dass Hinweise auf    gramm BRIDGE des Schweizerischen Nationalfonds und
     ten sogar bis zu 60 Prozent der Teil­    das Sponsoring, die nicht direkt im     der Innosuisse unterstützt. Mehrere Unternehmen konn­
     nehmenden nicht, dass es sich bei        Lauftext eines Beitrags aufscheinen,    ten als Umsetzungspartner gewonnen werden, insbeson­
     einem Beitrag um gesponserten In­        kaum zur Kenntnis genommen, son­        dere Regnology, einer der führenden Anbieter von Risiko-
     halt handelt», sagt Guido Keel, Studi­   dern routiniert ignoriert werden.       und Regulierungs-Technologien für Banken und Finanz­
     enleiter und Professor für                                                       aufsichtsbehörden weltweit.
     Media Literacy am Departement            ↘ https://bit.ly/3JR3VK3                ↘ https://dadfir3.com

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Impact | März 2022                                                                                                      FORSCHUNG

BIOLOGISCH ABBAUBARER SCHWAMM AUS CHITOSAN ALS FILTER
Weniger Mikroplastik im Wasser dank Austern-Prinzip

                                                                    CHITOSAN

Austern filtern für die Nah­        ähnlichen Filter, um Gewässer       anfällt. Im «Austern-Betrieb»       Reinigung von Meteorwasser
rungsaufnahme mehrere hun­          von Mikroplastik zu befreien.       gelang es, Mikroplastik um 80       aus Kunstrasen-Sportplätzen.
dert Liter Wasser pro Tag. Dieses   Dabei setzten sie auf hochporö­     Prozent zu reduzieren, als klas­    Das Forschungsprojekt ist Teil
Prinzip machten sich Forschende     se flexible Nanofaser-Schwäm­       sischer Tiefenfilter erzielte der   des übergreifenden BIOMAT-Pro­
der Fachgruppe Funktionsma­         me – hergestellt aus dem biolo­     Schwamm über 99 Prozent Rei­        jekts an der ZHAW in Wädenswil,
terialien und Nanotechnologie       gisch abbaubaren Biomaterial        nigungswirkung. Der Filter sollte   das unter anderem zum Ziel hat,
am Departement LIFE SCIEN-          Chitosan, das unter anderem in      möglichst nahe an der Quelle        verschiedene nachhaltige bioba­
CES UND FACILITY MANAGE-            den Schalen von Krustentieren       von Mikroplastik zum Einsatz        sierte Materialien und Prozesse
MENT zunutze. Im Rahmen eines       vorkommt und als Abfallpro­         kommen, also bereits in einer       zu entwickeln, um fossilbasierte
Projekts entwickelten sie einen     dukt der Lebensmittelindustrie      Waschmaschine oder auch zur         Pendants zu ersetzen.

Klimawandel verschiebt Anbaugebiete                                                Gleichzeitig Tee und Strom produzieren
Heutige tropische Anbaugebiete für       heutigen Hauptproduktionsländern          Die Agrivoltaik (APV) hat das Ziel, auf dem gleichen Stück
Kaffee, Avocado und Cashewkerne in       abnehmen und die Anbaugebiete der         Land sowohl Solarstrom als auch landwirtschaftliche Er­
Afrika, Asien und Südamerika werden      drei Kulturpflanzen sich in höhere        zeugnisse zu produzieren. In seinem Projekt «Green!Tea»
sich infolge der Klimaerwärmung vo­      Lagen und Breitengrade verschieben.       führt Grégoire Meylan vom International Management In­
raussichtlich in andere Regionen ver­    Profitieren könnten Regionen wie          stitute der SCHOOL OF MANAGEMENT AND LAW eine pro­
schieben. Dies zeigt eine Studie am      die USA, Argentinien, China und Ost­      spektive Ökobilanz durch, um ökologische Brennpunkte
Departement LIFE SCIENCES UND            afrika. Kaffee ist am anfälligsten: Die   und Verbesserungspotenziale von APV für die Produktion
FACILITY MANAGEMENT. Die genann­         Landeignung wird in allen wichtigen       von grünem Tee in Vietnam zu identifizieren. Diese Tee­
ten Kulturen sind wichtige Nutzpflan­    Produktionsländern wie Brasilien,         sorte eignet sich für den APV-Einsatz, da sie Beschattung
zen für tropische Kleinbauern rund       Vietnam, Indonesien und Kolumbien         benötigt. Gefördert wird das Projekt vom «Sustainable Im­
um die Welt. Für die Prognosen im        zurückgehen. Die Ergebnisse zeigen,       pact Program» der ZHAW.
Hinblick auf das Jahr 2050 kombi­        dass sich die heutigen Produktions­
nierte Roman Grüters Team am In­         länder an den Klimawandel anpassen
stitut für Umwelt und Natürliche         müssen, zum Beispiel mit dem Anbau
Ressourcen verschiedene Klimawan­        von Sorten, welche an höhere Tempe­
delmodelle und Bodenfaktoren. Die        raturen oder Dürre angepasst sind.
Analyse zeigte: Mit fortschreitendem     Gemildert werden müssen aber auch
Klimawandel werden die geeigneten        die Umweltauswirkungen einer Ex­
Anbauflächen für Kaffee Arabica – die    pansion an neue Standorte.
dominierende Kaffeeart –, Avocados
sowie Cashewkerne in den meisten         ↘ https://bit.ly/3oXuBR3                  Tee unter Solarpanels: Wie steht es mit der Ökobilanz?

                                                                                                                                                11
FORSCHUNG                                                                                                                    Impact | März 2022

     Sexarbeitende: Negative Folgen des                                                    Ausgezeichnet
     Arbeitsverbots während Pandemie
     Die Corona-Massnahmen in der                                                         Fragebogen für klinische Anwendung
     Schweiz seit März 2020 hatten einen                                                  Forschende des Departements Gesundheit gewannen
     grossen negativen Einfluss auf das                                                   den mit 5000 Fr. dotierten Preis der Reha Rheinfelden für
     Leben der Sexarbeiterinnen und Sex­                                                  wissenschaftliche Arbeiten im therapeutischen Bereich.
     arbeiter. Am schwersten wogen die                                                    Die Forscherin Marina Bruderer‑Hofstetter und ihr Team
     Folgen durch das Arbeitsverbot. Wer                                                  haben einen Fragebogen für ältere Personen mit kogni­
     trotz Verbot weiterarbeitete, erfuhr                                                 tiven Einschränkungen für die klinische Anwendung in der
     eine Machtverschiebung zugunsten                                                     deutschsprachigen Schweiz angepasst und auf seine Gül­
     der Kunden. Wie eine von der Stiftung                                                tigkeit hin überprüft. Die Jury beeindruckte u.a. die hohe
     für Soziale Arbeit Zürich unterstützte                                             therapeutische Relevanz für die klinische Arbeit. Der Fra­
     Studie des ZHAW-Departements                                                         gebogen ermöglicht es, Einschränkungen im Alltag, z.B.
     SOZIALE ARBEIT unter der Leitung                                                     beim Kochen oder Einkaufen zu evaluieren.
     von Michael Herzig ergab, führte dies      Das Arbeitsverbot für Prostitution
     zu tiefen Preisen für Dienstleistungen     führte zu Machtverschiebungen
     sowie Nötigungen und Gewalt.               zugunsten des Kunden.

     Häusliche Gewalt: Kein Pandemieeffekt
     Entgegen vielfach geäusserten Be­          beziehungsweise fast 2000 Erwachse­
     fürchtungen lässt sich anhand der          ne, die zum Befragungszeitpunkt in
     polizeilichen Kriminalstatistik kein       einer Partnerschaft lebten, Auskunft
     Pandemieeffekt bei häuslicher Gewalt       zum Erleben verschiedener partner­
     insgesamt nachweisen. Diese Stati­         schaftlicher Übergriffe in den letzten    Die Forscherin Marina Bruderer-Hofstetter (2. v. r.) mit
     stik erfasst allerdings nur die ange­      12 Monaten. Gemäss ihren Aussagen         Vertreterin und Vertretern der Reha Rheinfelden.
     zeigten Straftaten. Bestätigt werden       ist das Ausmass partnerschaftlicher
     sie nun durch zwei Studien, geleitet       Gewalt vor und während der Pande­
     von Dirk Baier vom Institut für Delin­     mie weitestgehend identisch. Aller­       Smarte Beleuchtung für Pflanzen
     quenz und Kriminalprävention des           dings nicht bei allen demografischen      Erst waren sie noch Studenten in Umweltingenieurwesen
     Departements SOZIALE ARBEIT. Bei           Gruppen: Bei jüngeren Befragten fin­      am Departement Life Sciences und Facility Management,
     den Befragungen gaben im Jahr 2018         det sich ein Anstieg physischer Ge­       nun sind sie zweifach preisgekrönte Jungunternehmer:
     und erneut im Jahr 2021 rund 1500          walterfahrungen.                          Remo Oberholzer und Philipp Osterwalder haben mit ih­
                                                                                          rer Jungfirma Aurora den Zentralschweizer Startup-Award
                                                                                          Zünder 2021 gewonnen, nach dem First-Ventures-Preis
     Arbeitswelt 4.0: Vielfältig und vernetzt                                             der Gebert-Rüf-Stiftung. Mit dem Zünder-Award erhalten
     In seiner Reihe zur Arbeitswelt 4.0        und über die Hälfte sagt, dass ver­       sie eine Investitionszusage von 100 000 Franken von der
     hat das IAP Institut für Angewandte        mehrtes Homeoffice sich eher nega­        SeedCapital Invest. Damit wollen sie ihr Beleuchtungs­
     Psychologie am Departement ANGE-           tiv auf die Teamkommunikation aus­        system, das verschiedene Klima- und Vegetationszonen
     WANDTE PSYCHOLOGIE seine fünf­             wirkt. Für 74 Prozent der Befragten ist   der jeweiligen Pflanzen simulieren kann, Mitte 2022 auf
     te Studie erarbeitet: Forschende ha­       eine Trennung zwischen Arbeit und         den Markt bringen.
     ben neben aktuellen Fragestellungen        Freizeit wichtig.                         ↘ https://bit.ly/3Br8Xtq
     auch Veränderungen gegenüber Er­           ↘ https://bit.ly/34ONaA7
     kenntnissen der ersten Studie aus
     dem Jahr 2017 erhoben. Die Mehrheit
     der Befragten nimmt die durch die
     Digitalisierung verursachten Verän­
     derungen nach wie vor positiv wahr.
     Die Arbeit wird als vielfältiger und
     autonomer erlebt, für die grosse
     Mehrheit führt Digitalisierung auch
     zu mehr Selbstführung. Allerdings
     bezeichnen über 40 Prozent die Arbeit      Eine Erkenntnis: Digitalisierung          Remo Oberholzer und Philipp Osterwalder (v.l.) an der
     als anstrengender und belastender,         führt zu mehr Selbstführung.              Preisverleihung des Startup-Award Zünder 2021.

12
Wir begeistern Talente –
         Talente begeistern uns.
         Baumer ist immer auf der Suche nach klugen Köpfen,
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                   «Ich bin ein NOSER.
                   Komm zu uns!»
                   Jonas, Software Engineer

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                   Ist das auch dein Ziel? Dann überleg nicht lang,
                   komm zu uns – we know how.
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                                                                                           begeis
                                                                               Jobs, die

                   Noser Engineering AG
                   Winterthur | Luzern | Bern | Rheintal | Basel | München

20220216Inserat_ZHAW_Impact_225x150.indd 1                                                           21.02.22 13:26
                                                                                                                      13
Impact | März 2022                                                                                                      MENSCHEN

                          JONATHAN DOMINGUEZ HERNANDEZ

                          Er ist Hebamme und Jurist
                          Von Teneriffa über England und Österreich nach Winterthur: Jonathan
                          Dominguez Hernandez ist schon viel herumgekommen. Seit letztem
                          Sommer ist er Dozent im Masterstudiengang für Hebammen.

                          CAROLE SCHEIDEGGER                     rascht, aber dann begeistert.» Ande-     angemeldet wurden, sondern vagi-

                      E
                                                                 re lehnten eine männliche Hebam-         nal gebären konnten. Es sei ein ein-
                                 s ist nicht das erste Inter-    me ab, zum Beispiel aus religiösen       zigartiges Erlebnis, eine Frau dabei
                                 view, das Jonathan Domin-       Gründen oder weil sie sich nicht         zu unterstützen, ein Baby zur Welt
                                 guez Hernandez gibt. Schon      wohl fühlten damit. «Das war völlig      zu bringen, sagt Jonathan Domin-
                                 an früheren beruflichen Sta-    in Ordnung und ich habe dann je-         guez Hernandez mit einem Leuch-
                          tionen in England und Österreich       weils mit einer Kollegin getauscht»,     ten in den Augen.
                          sorgte «die männliche Hebamme          sagt der bekennende Feminist.               Neben der Hebammenausbildung
                          aus Teneriffa» für Aufsehen. Der         Seine Haltung als Hebamme –            hat Jonathan Dominguez Hernan-
                          42-Jährige willigt bei Medienanfra-    auch bei den Männern lautet die Be-      dez einen weiteren Beruf erlernt:
                          gen ein, um anderen Mut zu ma-         rufsbezeichnung so – ist, dass er auf    das Medizinrecht. Auslöser für sein
                          chen: «Ich möchte Männer bestär-       die Frau hört. Darauf, was sie möch-     Jurastudium war eine Tragödie: In
                          ken, diesen Beruf zu ergreifen, wenn   te und braucht. «Die Frauen sollen       einem Spital in einem Vorort Lon-
                          sie eine Leidenschaft dafür haben.»    bei der Geburt ihre Selbstwirksam-       dons verlor eine Frau beim Kaiser-
                             Über den Spanier gibt es aber       keit erfahren. Ich sagte ihnen: ‹Ich     schnitt das Leben. «Ich betreute sie
                          mehr zu erzählen als nur, dass er      bin da, ich versuche, Ihre Wünsche       zu Beginn der Geburt noch, dann
                          ein Mann in einer Frauendomäne                                                  war meine Schicht zu Ende und ich
                          ist. Der Dozent im Master of Science                                            ging nach Hause. Am nächsten Mor-
                          Hebamme am Departement Ge-
                                                                     «Es ist ein einzig­                  gen waren alle in Aufruhr, weil die
                          sundheit weist einen spannenden             artiges Erlebnis,                   Frau gestorben war.»
                          Lebenslauf auf. Begonnen hat er als         eine Frau dabei                        Eine Untersuchung folgte, bei der
                          Pfleger in seiner Heimat, der kana-                                             alle Mitarbeitenden intensiv be-
                          rischen Insel Teneriffa. Dort bekam
                                                                     zu unterstützen,                     fragt wurden. «In England wird sehr
                          es der Sohn eines Bauarbeiters im-         ein Baby zur Welt                    schnell gegen ein Krankenhaus ge-
                          mer wieder mit Müttern und ihren              zu bringen.»                      klagt», erklärt Jonathan Dominguez
                          Neugeborenen zu tun, weil in Spa-         Jonathan Dominguez Hernandez,         Hernandez. «Mich interessierte,
                          nien stets Pflegefachkräfte die Wo-       Dozent am Institut für Hebammen       wie ich mich selbst schützen konn-
                          chenbettbetreuung übernehmen.                                                   te und welche Rechte Hebammen in
                          Diese Arbeit gefiel ihm sehr.                                                   solchen Fällen haben. Deshalb habe
                                                                 zu erfüllen.›» Das bedeutete für ihn     ich einen Master of Law in Medizin-
                          Die erste männliche Hebamme            auch, dass eine Frau zum Beispiel        recht abgeschlossen.»
                          Nordenglands                           eine Periduralanästhesie gegen die
                          Teneriffa wurde ihm, so sehr er die    Schmerzen bekommen sollte, wenn          Abkehr vom Beruf des Juristen
                          Sonne und das Meer liebt, mit der      diese ihr ein gutes Geburtserleb-        Er absolvierte sein Referendariat in
  Will, dass Frauen       Zeit zu eng. Er zog nach England.      nis verschaffte. «Ich kläre natürlich    einer entsprechenden Kanzlei. «Ich
bei der Geburt ihre       Auch dort arbeitete er zuerst in der   über die Risiken auf, aber am Ende       fand es sehr interessant, mir ka-
Selbstwirksamkeit         Pflege. Dann eröffnete sich ihm        entscheidet die Frau.»                   men aber die Gefühle dazwischen,
    erfahren: Jona-       durch ein Stipendium die Möglich-        Auch als Leiter einer Londoner         wenn ich eine Person verteidigen
  than Dominguez          keit, Hebamme zu werden. Er war        hebammengeleiteten         Ambulanz      musste, bei der ich genau wuss-
        Hernandez,        im Norden Englands tätig, wo er        für übertragbare Krankheiten und         te, dass sie einen Behandlungsfeh-
 Dozent im Master         die erste männliche Hebamme war.       Suchtkrankheiten in der Schwanger­       ler gemacht hatte», erinnert er sich.
    of Science Heb-       «Von den schwangeren Frauen habe       schaft setzte er sich zum Beispiel da-   Also kehrte er zurück zur Hebam-
amme und beken-           ich alle denkbaren Reaktionen er-      für ein, dass Frauen mit HIV nicht       menarbeit. In England lernte Jona-
  nender Feminist.        halten. Manche waren erst über-        von vornherein zum Kaiserschnitt         than Dominguez Hernandez sei-
                                                                                                                                                  15
MENSCHEN                                                                                                                 Impact | März 2022

                                                                                    meine Möglichkeiten in der Heb-
                                                                                    ammenarbeit stark verändert, ich
                                                                                    war besser informiert und konnte
                                                                                    den Frauen mehr anbieten als zuvor.
                                                                                    Ich hatte immer die evidenzbasierte
                                                                                    Theorie im Kopf und bekam so qua-
                                                                                    si eine Helikopter-Optik.» Neben
                                                                                    seinem juristischen Master hat er je
                                                                                    ­einen in Public Health und Advan-
                                                                                     ced Nursing Education absolviert.
                                                                                        Den aktuellen Masterstudie-
                                                                                     renden möchte er mitgeben, dass
                                                                                     Hebammen mehr können, als sie
                                                                                     manchmal wahrnehmen, und dass
                                                                                     sie auch neue Rollen einfordern sol-
                                                                                     len. «Hebammen könnten zum Bei-
                                                                                     spiel bei der Entwicklung von Leit-
                                                                                     linien im geburtshilflichen Bereich
                                                                                     mitarbeiten.» Jonathan Dominguez
                                                                                     Hernandez spricht hier aus Erfah-
                                                                                     rung. Aufgrund seiner Tätigkeit
                                                                                     in anderen Ländern weiss er: «In
                                                                                     England gehen die Frauen für die
                                                                                     Schwangerschaftsvorsorge        nor-
                                                                                     malerweise zu einer Hebamme, in
                                                                                     Spanien sind Hebammen auch ins
                                                                                     Brustkrebs-Screening      integriert.
                                                                                     Ähnliche Modelle wären doch auch
                                                                                     in der Schweiz denkbar.»
     Jonathan Dominguez Hernandez unterrichtet gern: Mit den Master-
     studierenden könne er thematisch in die Tiefe gehen, sagt er.                  Die Angst der Frauen
                                                                                    vor der Geburt
     ne heutige Frau kennen, eine Heb-       telt ihnen evidenzbasiertes Wissen     Die Kombination aus Dozieren und
     amme mit österreichischen Wur-          – Wissen über nachgewiesene Wirk-      Forschen, wie sie an Schweizer Fach-
     zeln, die mehr als ein Jahrzehnt lang   samkeit und Zusammenhänge –            hochschulen üblich ist, reizt ihn.
     auf der britischen Insel gelebt hat.    rund um Schwangerschaft, Geburt        Und läuft alles nach Plan, hat er 2025
     Als sich das erste Kind des Hebam-      und Wochenbett. Die Inhalte dre-       auch einen Doktortitel. Er wurde in
     men-Ehepaars ankündigte, zogen          hen sich um sogenannte Advanced-       ein Doktoratsprogramm der Univer-
     die beiden nach Vorarlberg. «Zuerst     Practice-Kompetenzen, etwa die         sität Lancaster (GB) aufgenommen:
     fand ich: Das geht nicht, ich kann      Kon­zeption und Einführung eines       «Ich will in meinem PhD die Angst
     ja kein Deutsch!», sagt Jonathan        hebammengeleiteten Betreuungs-         von Frauen vor der Geburt untersu-
     Dominguez Hernandez. Doch es            modells für schwangere Frauen in       chen.» Wichtig ist ihm, dass Frauen
     ging, und während seine Frau eine       komplexen Situationen wie einer        selbst zu Wort kommen, etwa durch
     Stelle als Hebamme antrat, lernte er    Risikoschwangerschaft.                 Digital-Storytelling-Methoden.
     zunächst Deutsch. Später arbeitete        «Mir macht der Unterricht grosse        Langweilig wird es dem Vater
     er als Hochschullehrer in Gesund-       Freude. Die Masterstudierenden         einer achtjährigen Tochter und
     heitswissenschaften an der Fach-        sind ja schon ausgebildete Heb-        eines vierjährigen Sohnes nicht so
     hochschule Vorarlberg.                  ammen. Wir können thematisch           bald. Vermisst er Teneriffa? «Natür-
                                             in die Tiefe gehen», sagt Jonathan     lich», sagt er: «Aber das Leben dort
       Aber sein Herz schlug weiter-         Dominguez Hernandez. Er hat be-        ist hart geworden für die Einheimi-
     hin vor allem für die Hebammen-         ste Erinnerungen an sein eigenes       schen.» Mit seinen Kindern und sei-
     themen. So gelangte er im August        Mas­terstudium: «Ich war jahrelang     ner Frau teilt er in der raren Freizeit
     2021 ans Institut für Hebammen          mit einem Bachelorabschluss in         die Leidenschaft für den Winter-
     der ZHAW. Hier unterrichtet er die      der Praxis tätig. Als ich meinen er-   sport: «Snowboarden erinnert mich
     ­Mas­terstudierenden und vermit-        sten ­Master absolvierte, haben sich   ans Surfen auf Teneriffa.»          ◼

16
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STUDIUM                                                                                                                   Impact | März 2022

     FUTURE KIDS

     Soziales Engagement im Studium
     Gutes tun und dafür ECTS-Punkte
     erhalten: Das Mentoring-Pro-
     gramm Future Kids bietet Studie-
     renden die Möglichkeit, ihre
     Erfahrungen und ihr Wissen spie-
     lerisch weiterzugeben. Doch es
     trägt vor allem zur Chancengleich-
     heit im Schulsystem bei.

     FABIENNE TRÜMPI

     Tobias Wunderlin ist vielseitig en-
     gagiert. Neben seinem Teilzeitstu-
     dium in Wirtschaftsinformatik an
     der School of Management and Law
     arbeitet er als Werkstudent im Soft-
     ware Testing, spielt Gitarre, Bass und   Er hat schon immer gerne Nachhilfe gegeben: Wirtschaftsinformatik-Student
     Klavier und ist einer von aktuell 56     Tobias Wunderlin mit seinem Mentee, dem achtjährigen Yahye.
     ZHAW-Mentorinnen und -Mentoren
     vom Programm Future Kids. «Ich           arbeiten und am besten merken             aus Somalia stammt, zusätzlich. Da-
     habe schon immer gerne Nachhilfe         kann. Diese Erfahrungen setzen            mit Mentor und Mentee an den ge-
     gegeben und wollte mich sozial en-       die Mentorinnen und Mentoren              steckten Zielen dranbleiben und der
     gagieren. Das Future-Kids-Mento-         ein, um Wissen auf spielerische Art       Lernfortschritt sichtbar wird, wird
     ring-Programm eignet sich perfekt        und Weise zu vermitteln. Denn sie         ein Lernjournal geführt, das vom
     dafür», sagt der 28-Jährige.             sollen nicht die Rolle einer zusätz-      pädagogischen Coach der AOZ so-
       Die ZHAW vermittelt Studieren-         lichen Lehrperson einnehmen, son-         wie von der Lehrperson des Kindes
     de für die Dauer von einem Schul-        dern eher jene eines grossen Bru-         angeschaut und kommentiert wird.
     jahr als Mentorinnen und Mentoren        ders oder einer Cousine. «Solange es
     an Primarschulkinder (Mentees),          zielführend ist, bin ich in der Gestal-   Positive Veränderungen
     die Unterstützung benötigen, die         tung unseres wöchentlichen Aus-           Für die ZHAW-Studierenden wird
     ihnen ihr privates Umfeld nicht ge-      tausches sehr frei», sagt Wunderlin.      das Engagement im Rahmen von
     ben kann. Damit sollen ihre Erfolgs­                                               Future Kids doppelt belohnt. Men-
     chancen im hiesigen Schulsystem          Kreative Wege gehen                       torinnen und Mentoren erhal-
     erhöht werden. Future Kids wurde         Als Mentor hat er Zugang zu einer         ten an den meisten ZHAW-Depar-
     von der Zürcher Fachorganisation         Liste mit übergeordneten Zielen –         tementen entweder ECTS-Punkte,
     AOZ ins Leben gerufen. «Viele ken-       fachlichen und überfachlichen –           oder die Einsätze lassen sich an die
     nen die AOZ wegen ihrer Tätigkeit        seines Schulkindes. Dann sind kre-        Praktikums­zeit anrechnen. Die ei-
     im Asylbereich. Sie ist aber längst      ative Wege gefragt. «Ich habe zum         gentliche Bereicherung ist aber
     nicht mehr ausschliesslich in die-       Beispiel erfahren, dass sich Yahye        eine andere: «Am schönsten ist es,
     sem Bereich engagiert», erklärt Pro-     für Videospiele interessiert. Darauf-     sich eine kreative Unterrichtsstun-
     grammleiterin Åsa Kelmeling. Auch        hin habe ich anhand von Zeitungs-         de auszudenken, diese umzusetzen
     für die Teilnahme am Programm            artikeln zu Videospielen eine Wort-       und zu sehen, dass der Mentee auch
     Future Kids ist ein Fluchthinter-        schatzübung gestaltet.» Zudem             Spass daran hat. Wenn das Wissen
     grund kein ausschliessliches Krite-      kommt Tobias’ Gitarre regelmässig         dann noch haften bleibt, freut man
     rium. Entscheidend sei die Einschät-     zum Einsatz: Er hat Yahye zu diesem       sich umso mehr», sagt Wunderlin
     zung der Lehrperson.                     Instrument inspiriert, und die Aus-       und ergänzt: «Die positiven Verän-
       Wer studiert, hat bereits mehre-       sicht auf gemeinsames Üben nach           derungen, die ich als Mentor beim
     re Jahre Lerntechniken entwickelt        jeder Unterrichtsstunde motiviert         Schulkind anstossen kann, sind de-
     und weiss, wie man sich Inhalte er-      den Achtjährigen, dessen Familie          finitiv spürbar.»
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Impact | Màrz 2022                                                                                                                    STUDIUM

GENDER DIVERSITY IM STUDIUM

«Vorbilder sichtbar machen»
Weniger Studentinnen in den                  Hochschulen ein funktionierendes
MINT-Fächern, hohe Fluktuations-             Netzwerk sowie Vorbilder hier in
raten bei Frauen in technischen              der Schweiz haben, sogenannte Role
                                             Models. Women in Tech Switzer-
Berufen: Gender Diversity in die-
                                             land zum Beispiel vernetzt Frauen
sen Bereichen ist wichtig, wie
                                             in der Schweiz miteinander. Es gibt
ZHAW-Dozentin Katja Kurz betont.
                                             aber noch etliche weitere Netzwerke
                                             für Gender Diversity.
INTERVIEW BETTINA SACKENREUTHER
                                             Welche Fragen stellen die Studie-
Wie steht es um die Gender Diver-            renden zu diesem Thema?
sity in der Informatik?                      Am meisten interessiert sie, wie es
Katja Kurz: Es braucht dringend              mit den Lohnunterschieden aus-
mehr Frauen in der IT und in den             sieht. Denn es zeigt sich zum Bei-
MINT-Berufen. Leider sinken ­aktu­ell­       spiel, dass Absolventen mehr und
die Zahlen weiblicher Studierender           erfolgreicher verhandeln als Absol-
in den MINT-Fächern, und die Fluk-           ventinnen, wenn es um den Lohn
tuation von Frauen in technischen            geht. Daher ist es sehr wichtig, dass
Positionen ist hoch. Das ist im Hin-         alle Studierenden, nicht nur die                also diese unbewussten Vorurteile       Will mehr Frauen
blick auf Führung und Kultur rele­           Frauen, davon wissen und entspre-               – achten, weil unser Gehirn eben        für IT interessie­
vant. Es gibt auch Studien, dass             chend in Studium und Beruf so han-              so funktioniert und wir so erzogen      ren: Katja Kurz
Frauen mehr über IT wissen, als sie          deln, dass sie ihre Kompetenzen                 worden sind. Gerade wir Frauen in       ist Dozentin für
häufig zugeben oder sich bewusst             auch einsetzen.                                 der IT dürfen uns öfter trauen, etwas   Wirtschafts­
sind. Unternehmen, die die Ge-                                                               Altes mit etwas Neuem zu ersetzen,      informatik an der
schlechtervielfalt leben, profitieren        Wie ist Ihr Eindruck: Haben wir                 um eine Veränderung herbeizufüh-        School of Manage­
von höherer Produktivität.                   noch einen weiten Weg vor uns?                  ren. Und wir Frauen sollten uns öf-     ment and Law und
                                             Die Studierenden sind sehr interes-             ter trauen, einfach mal Ja zu sagen     verantwortlich für
Wie kann man diese Berufe für                siert und gehen vielleicht offener              zu grösseren Herausforderungen.         das Modul «Ein­
Frauen attraktiver machen?                   damit um als frühere Generationen.                                                      führung in das
Es ist wichtig, dass die Studierenden        Und doch können wir nicht oft ge-               ↘ Hier geht es zum ausführlichen        Wirtschaftsinfor­
und Absolvierenden an Schweizer              nug auf diese «unconscious bias» –              Interview: https://bit.ly/3uzNbTd       matik-Studium».

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ABSCHLUSSARBEITEN                                                                                Impact | März 2022

     Über Solaranlagen im
     Schnee, Paketfluten in der
     Stadt und die Impffrage
                                                                                  SOLARANLAGEN
     Wie denkt die Bevölkerung in Skiorten zu frei                                IN WINTERSPORT­
     stehenden Solaranlagen? Wie können Paketabhol­                               GEBIETEN?
     sta­tionen den Güterverkehr reduzieren? Und
                                                           Andrea Beerli (32)     In den Alpen lässt sich mit Solaranlagen
     warum lassen sich Menschen nicht gegen Covid-19       ist in ihrer Master-   deutlich mehr Strom produzieren als
     impfen? Drei Abschlussarbeiten liefern Antworten.        arbeit der Frage    im Mittelland. Pro Jahr sind bis zu zwei-
                                                              nachgegangen,       mal höhere Erträge möglich. «Da be-
     Von Eveline Rutz
                                                              wie die Bevölke-    steht ein grosses Potenzial», sagt Andrea
                                                           rung grossflächige      Beerli. Sie erwähnt die Klimaziele, wel-
                                                              Solaranlagen in     che die Schweiz bis 2050 erreichen
                                                            Wintersportorten      möchte. Dafür muss die Produktion von
                                                             beurteilt. Sie hat   Solarstrom mindestens um den Faktor
                                                          rund 1200 Personen      20 erhöht werden. Es werde nicht genü-
                                                             befragt und ver-     gen, auf Dächern Panels zu installieren,
                                                         schiedene Szenarien      sagt die Masterabsolventin der ZHAW.
                                                             bewerten lassen.     Es müssten zusätzlich Photovoltaik-Frei-
                                                           Ihre Studie ist von    flächenanlagen (PVFA) gebaut werden.
                                                         EnergieSchweiz und       «Wintersportorte, die bereits über Netz-
                                                            dem EWD Elektri-      anbindungen verfügen, kommen dafür
                                                             zitätswerk Davos     in Frage. Täler mit weniger Infrastruk-
                                                         unterstützt worden.      tur bleiben unangetastet.» Wie Andrea
                                                         Andrea Beerli hat am     Beerli in ihrer Abschlussarbeit aufzeigt,
                                                            Departement Life      steht die lokale Bevölkerung solchen
                                                         Sciences und Facility    Bauten durchaus offen gegenüber. Dies
                                                            Management den        könnte daran liegen, dass sie es schon
                                                          Masterstudiengang       mehrfach erlebt hat, dass sich die In-
                                                         «Umwelt und Natür-       frastruktur sowie das Orts- und Land-
                                                            liche Ressourcen»     schaftsbild verändern. Skepsis ist häu-
                                                           abgeschlossen. Sie     figer unter den Gästen auszumachen.
                                                         ist als Projektmana-     Vor allem Touristen, die eine Gemeinde
                                                          gerin bei der Firma     oft besuchen, lehnen Veränderungen ab.
                                                         Quant in Flims tätig.    Insgesamt werden visuelle Aspekte aller-
                                                                                  dings weniger stark gewichtet, wenn es
                                                                                  um den Klimaschutz geht. Eine Mehrheit
                                                                                  der Befragten bevorzugt Szenarien, die
                                                                                  möglichst stark auf erneuerbare Ener-
                                                                                  gien setzen. Sie spricht sich zudem dafür
                                                                                  aus, dass die Anlagen von regionalen
                                                                                  Akteuren betrieben werden. PVFA wür-
                                                                                  den nicht nur akzeptiert, sagt die Auto-
                                                                                  rin zusammenfassend. Sie könnten sich
                                                                                  sogar positiv darauf auswirken, wie eine
                                                                                  Ferien­destination wahrgenommen wer-
                                                                                  de. Für Andrea Beerli steht fest: «Wenn
                                                                                  wir die Energiewende schaffen wollen,
                                                                                  dann könnten Wintersportgebiete einen
                                                                                  Teil zur Lösung beitragen.»

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ELTERNHAUS
                        PRÄGT DAS
                        IMPFVERHALTEN
 Christina Jäger (27)   Wer in jungen Jahren gegen Kinder-
         hat in ihrer   krankheiten geimpft wurde, ist eher be-
     Masterarbeit in    reit, einen Impfstoff gegen Covid-19 zu
       International    akzeptieren. «Die Impfbereitschaft ent-
     Business unter-    wickelt sich früh», sagt Christina Jäger.
 sucht, weshalb sich    Sie hat sich mit dem Covid-19-Impfver-
   Menschen gegen       halten in der Schweiz beschäftigt. Im
    Covid-19 impfen     Sommer 2021 beurteilten 81,7 Prozent
    lassen oder eine    der Befragten den Impfstoff positiv und
 Impfung ablehnen.      10,9 Prozent lehnten ihn ab. «Es wa-
 Sie hat eine Online-   ren viele Ängste vorhanden», sagt die
  Umfrage durchge-      ZHAW-Absolventin. Impfgegnerinnen
 führt und rund 610     und -gegner begründeten ihre Haltung
  Antworten ausge-      mit möglichen Nebenwirkungen, unzu-
 wertet. «Die Fragen    reichenden Informationen und Sicher-
haben gewisse Leute     heitsbedenken. Sie äusserten oft auch
   zum Nachdenken       nicht begründbare Befürchtungen wie                                   MICROHUBS, UM
 gebracht», sagt die    etwa, dass die DNA beeinflusst oder die
 ZHAW-Absolventin.      Fruchtbarkeit beeinträchtigt werde.
                                                                                              DIE PAKETFLUT
      Sie habe über­    «Die Gründe gegen eine Impfung waren                                  ZU BEWÄLTIGEN
  raschend viele und    häufig nicht wissenschaftlich belegt»,
    ausführliche Re-    sagt die Autorin, die an der School of        Calvin ­B armettler     Bücher, Schuhe oder Teigwaren: Immer
  aktionen erhalten.    Management and Law studiert hat. Die-             (26) und Boris      mehr Waren werden nach Hause gelie-
 Christina Jäger hat    jenigen, die sich für die Impfung ent-            Stankovic (25)      fert. Die Pandemie hat dem Online-Han-
während ihres Studi-    schieden, taten dies aus Solidarität. Wie    haben sich in ihrer      del zusätzlich Auftrieb verliehen. Fach-
 ums in der Pharma­     die Online-Befragung ergab, beeinflus-       Bachelorarbeit mit       leute gehen davon aus, dass er weiter
 branche gearbeitet     sen individuelle Überzeugungen das           Abholstationen für       zunehmen wird. Auf den Strassen sind
 und ist nun bei der    Covid-19-Impfverhalten am stärksten.          Pakete befasst. Sie     entsprechend rund um die Uhr viele Lie-
KPMG als Consultant     «Jene, die zurückhaltend sind oder die        haben untersucht,       ferfahrzeuge unterwegs. Die Folge sind
 im Bereich Gesund-     Impfung ablehnen, müssen nicht über-         wo diese im Gebiet       höhere Schadstoff- und Lärmemissionen
          heit tätig.   zeugt werden», sagt Jäger im Bezug auf         Zürich Nord idea-      sowie Konflikte mit dem Individual- und
                        die nationale Impfstrategie. Viel wich-       lerweise platziert      Langsamverkehr. «In den Quartieren an-
                        tiger sei es, über Impfungen generell          werden müssten.        bieterneutrale Paketstationen anzubrin-
                        aufzuklären – und dies möglichst früh.          Die Absolventen       gen, kann eine Lösung sein, den urbanen
                                                                      des Studiengangs        Güterverkehr zu reduzieren», sagen
                                                                       Verkehrssysteme        Calvin Barmettler und Boris Stankovic.
                                                                    sind am Swiss Green       Die Bevölkerung kann ihre Bestellungen
                                                                    Economy Symposium         an Microhubs abholen und aufgeben.
                                                                     für ihre Arbeit aus-     Die Lieferanten stellen Pakete in grös-
                                                                     gezeichnet worden.       seren Fahrzeugen gebündelt zu und
                                                                    Sie haben den zwei-       müssen weniger einzelne Ziele anfah-
                                                                      ten Platz erreicht.     ren. «Optimale Standorte zu finden, ist
                                                                      Calvin Barmettler       schwierig», betonen die Absolventen der
                                                                       macht zurzeit ein      School of Engineering. Abholstationen
                                                                        Praktikum beim        sollen so platziert werden, dass sie gut
                                                                      Amt für Mobilität       per Langsamverkehr erreichbar sind und
                                                                     des Kantons Zürich.      nicht zusätzliche Autofahrten auslösen.
                                                                      ­B oris Stankovic ist   Barmettler und Stankovic entwickelten
                                                                       auf Stellensuche.      einen Algorithmus, um Standorte in Zü-
                                                                                              rich Nord zu evaluieren. Sie haben be-
                                                                                              rücksichtigt, wo die Menschen wohnen
                                                                                              und wie viele Pakete an einzelne Adres-
                                                                                              sen geschickt werden. Darüber hinaus
                                                                                              haben sie die Transport- und Betriebs-
                                                                                              kosten sowie die Gehdistanz optimiert.
                                                                                              Das Resultat waren Standorte, die von
                                                                                              rund 80 Prozent der Nutzenden in weni-
                                                                                              ger als 250 Metern Gehdistanz vom eige-
                                                                                              nen Wohnort erreicht werden können.

                                                                                                                                         21
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