Umwelt - Leben mit Naturgefahren 2/2015 - weADAPT
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DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 2/2015 umwelt Natürliche Ressourcen in der Schweiz Leben mit Naturgefahren Dossier: Lehren aus den Hochwassern von 2005 > Schutzbauten haben ihre Grenzen > Gefahren- zonen meiden > Wissen schafft Sicherheit > Das nächste Erdbeben kommt bestimmt Weitere Unser ökologischer Fussabdruck > Florierender Schmuggel mit bedrohten Arten Themen: > Feinpartikel aus dem Luftverkehr > Forschen für eine nachhaltige Wassernutzung
umwelt 2/2015 > EDITORIAL Gemeinsam für Sicherheit Sicherheit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Zwar wissen wir alle, dass sie nie absolut sein kann. Dennoch sollen Ge fahren möglichst aus unserem Alltag gebannt werden. Dass die Schweizer Bevölkerung in Wohlfahrt lebt, hat auch mit den bedeutenden Fortschritten bei der Sicherheit vor Naturgefah ren zu tun, die in den letzten 150 Jahren durch gemeinsame Anstrengungen verschiedener Bundesämter, der Kantone, der Gemeinden und Privater erzielt wurden. Hochwasser, Lawinen, Steinschlag und Rutschungen wird es hierzulande immer geben. Auch dass wieder einmal ein schweres Erdbeben die Schweiz heimsucht, ist nur eine Frage der Zeit. Spätestens seit den Hochwassern von 1987 ist uns bewusst, dass sich die Schäden durch Naturereignisse mit technischen Massnahmen allein nicht ausreichend begrenzen lassen. Bereits vor Jahren wurde daher der Paradigmenwechsel von der reinen Gefahren abwehr zum integralen Risikomanagement eingeleitet. Organisatorische und planerische Massnahmen zur Risikominderung haben seither an Bedeutung gewonnen. So wurden etwa die Vorhersage und die Warnung erheblich verbessert. Diese Anstrengungen haben bereits wiederholt Früchte getragen. Die Erfolge bergen aber auch ein Problem: Schnell wähnt man sich in zu grosser Sicherheit. Oft wird zu spät klar, dass wir uns zu weit in gefährdete Räume vorgewagt haben. Selbst ein reiches Land wie die Schweiz kann die Kräfte der Natur nie völlig beherrschen. Wir tun gut daran, den Gefahren möglichst auszuweichen, anstatt sie mit immer höherem Aufwand zu bekämpfen. Der Schutz vor Naturgefahren wird auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten neue Herausforderungen bringen und viele Ressourcen in Anspruch nehmen. Da ist nicht bloss der Klimawandel mit seinen schwer abschätzbaren Folgen für Naturprozesse. Mit der Siedlungsentwicklung wächst auch das Schadenpotenzial rasant. Nur eine vorausschauende Raum planung und naturgefahrengerechtes Bauen können verhindern, dass die Risiken ebenso rasant wachsen und die Schäden untragbar werden. Integrales Risikomanagement ist eine Verbundaufgabe, die alle in die Pflicht nimmt: vom Bund, den Kantonen und Gemeinden über die For schungsinstitutionen, die Bauwirtschaft, die Versicherungen bis hin zu jeder Einzelperson. «Gemeinsam für Sicherheit» – für den Umgang mit Natur gefahren ist dies zweifellos eine gültige Formel. Josef Hess, Vizedirektor BAFU 2
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN Hans Peter Willi Hans Peter Willi ist Wasserbau- ingenieur. Nach seinem Studium an der ETH Zürich arbeitete er zunächst in der Privatwirtschaft. 1982 wurde er Projektleiter im Amt für Gewässerschutz und Wasserbau des Kantons Zürich, dem heutigen AWEL. Später leitete er während 18 Jahren die Sektion Wasser-Risiken im Bun- desamt für Wasser und Geologie (BWG). Seit 2006 ist er Chef der Abteilung Gefahrenprävention im BAFU. U Bild: Christine Baerlocher, Ex-press/BAF 4
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 10 JAHRE NACH 2005 «Wir haben bedeutend an Sicherheit gewonnen» Vor rund 10 Jahren brachen sintflutartige Regenfälle über den Alpenraum ein. Bäche und Seen traten über die Ufer, Hänge kamen ins Rutschen. Es war das mit Abstand t euerste Unwetter der letzten 100 Jahre. Wären wir heute besser gegen ein derartiges Ereignis gewappnet? umwelt stellte diese Frage an Hans Peter Willi, den Chef der Abteilung Gefahrenprävention im BAFU. Interview: Hansjakob Baumgartner umwelt: Herr Willi, das Unwetter vom August 2005 Zusammen mit den Kantonen unterstützt der forderte hierzulande 6 Todesopfer, die Sachschäden Bund die Ausbildung von lokalen Naturgefahren beliefen sich auf rund 3 Milliarden Franken. Welche beraterinnen und -beratern. Diese sind fähig, die Erkenntnisse brachte die nachträglich erarbeitete Gefahrensituation vor Ort richtig einzuschätzen, Ereignisanalyse? und unterstützen im Ereignisfall die Führungs- Hans Peter Willi: Sie bestätigte, was uns eigentlich und Einsatzkräfte mit ihrem Fachwissen. schon die Hochwasser von 1987 gelehrt hatten: Bei bestehenden Bauten können die Eigen Es wird immer wieder Extremereignisse geben, tümerinnen und Eigentümer in den Objektschutz auf die unsere Schutzbauten nicht ausgelegt investieren, die Nutzung anpassen oder gar auf sind. Die Schadenstatistik zeigt, dass der gröss geben, wenn die Risiken allzu gross sind. Bei Neu te Teil der Schäden durch solche sogenannten bauten gilt es, gefährdete Flächen zu meiden oder Überlastfälle verursacht wird. Um sie zu be so zu nutzen, dass keine inakzeptablen Risiken wältigen, braucht es ein integrales Risiko entstehen. Auch können wir dafür sorgen, dass management von Naturgefahren, das nebst im Überlastfall Wasser kontrolliert ausströmt. baulichen Massnahmen auch alle anderen Wie geht das? Über eingebaute Sicherheitsventile werden bei «Es wird immer wieder Extremereignisse geben, einem extremen Hochwasser zuerst Flächen auf die unsere Schutzbauten nicht ausgelegt sind.» geflutet, auf denen das abfliessende Wasser und Geschiebe weniger Schäden anrichten kann. An der Engelberger Aa vor der Mündung in den Vier andlungsoptionen berücksichtigt. Diese Optio H waldstättersee bilden der Flugplatz, Sportplätze nen wurden bisher noch zu wenig genutzt – aus und die Badeanlage am See den Entlastungs dem einfachen Grund, weil dafür die notwendi korridor. Dieser hat 2005 sehr gut funktioniert, gen Gefahrengrundlagen und organisatorischen das besiedelte Gebiet von Buochs (NW) blieb Strukturen fehlten. deswegen verschont. Für all dies braucht man allerdings verlässliche Was haben wir denn für Handlungsoptionen? Gefahrengrundlagen. Und auch hier sind wir Wir können die Notfallplanung verbessern. Hier heute viel weiter als 2005. wurden in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Es gibt Kantone, in denen jede Gemein Inwiefern? de, aufbauend auf den Gefahrenkarten, über Mittlerweile existieren fast für das gesamte eine Notfallplanung verfügt. Siedlungsgebiet der Schweiz Gefahrenkarten 5
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN bezüglich Hochwasser, Lawinen, Felsstürzen Integrales und Rutschungen. Wir wissen deshalb heute viel besser, was wo passieren kann. Risikomanagement hjb. Integrales Risikomanagement berücksichtigt In der Ereignisanalyse von 2005 steht auch der Satz: alle Naturgefahren, beteiligt alle Akteure und «Längst nicht alle Betroffenen wussten genug, um bezieht alle drei Dimensionen der Nachhaltig- im Rahmen ihrer Möglichkeiten (…) rechtzeitig und keit – Ökologie, Wirtschaft, Gesellschaft – ein. Es eigenverantwortlich zu handeln.» Wäre dies heute kombiniert Massnahmen zur Vorbeugung von Na- anders? turereignissen, zu deren Bewältigung wie auch für Ja, denn seither wurde einiges getan, um die Warnung und die Alarmierung zu verbessern die Regeneration danach. Im Zentrum stehen dabei – sowohl für die Einsatzorgane wie auch für umfassende Gefahren- und Risikogrundlagen. die Bevölkerung. Viele Akteure haben dafür Das angestrebte Sicherheitsniveau ist Gegenstand intensiv mit dem BAFU zusammengearbeitet: eines permanenten Risikodialogs mit allen Betroffe- MeteoSchweiz, die nationale Alarmzentrale nen. Dabei dürfen auch heikle Fragen nicht ausge- (NAZ) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz klammert werden: Welche Sicherheit ist zu welchem (BABS), die Eidgenössische Forschungsanstalt Preis möglich? Welche verbleibenden Risiken müssen für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und in Kauf genommen werden? Wie viel sind wir bereit das ihr angegliederte Institut für Schnee- und zu investieren, um einen Todesfall in einem bestimm- Lawinenforschung (SLF) und der Schweizeri ten Zeitraum zu vermeiden? sche Erdbebendienst (SED). Dank der grossen Anstrengungen aller Beteiligten ist man heute viel rascher im Bild als vor 10 Jahren. So haben beispielsweise Fachleute auf allen Ebenen über die Gemeinsame Informations 2014 mussten lokal wiederum extreme Ereignisse plattform Naturgefahren (GIN) online Zugang bewältigt werden. Was lehrte uns der verregnete zu den Wetter- und Niederschlagsprognosen Sommer dieses Jahres? sowie zu sämtlichen Messstationen. Und die Es zeigt sich einfach, dass Unwetterereignisse Bevölkerung kann sich dank der Internetseite zur Natur gehören. Die Natur hat Sonnen- und www.naturgefahren.ch jederzeit über die ak Schattenseiten, mit denen wir leben müssen. tuelle Gefahrenlage informieren. Im Regensommer 2014 führte die sehr lange Wir sind gut unterwegs. Allerdings ist sicher Nässeperiode zu zahlreichen Erdrutschen. Bei zustellen, dass die finanziellen Ressourcen zur diesen Prozessen sind wir noch gefordert. Es gilt, Aufrechterhaltung dieser Strukturen und Diens rechtzeitig zu erkennen, wann es mit Rutschun te auch künftig zur Verfügung stehen. gen wirklich kritisch werden kann. Andererseits Von 1972 bis 2014 verursachten Hoch SCHÄDEN DURCH HOCHWASSER, MURGÄNGE, RUTSCHUNGEN UND STURZPROZESSE SEIT 1972 wasser, Murgänge, Rutschungen und Sturzprozesse Schäden im Umfang von 3000 Jährliche Schäden in Millionen Franken insgesamt rund 13,7 Milliarden Franken. Die Schadensbilanz ist stark durch ein- zelne Grossereignisse geprägt. Allein die 2000 Hochwasser vom August 2005 schlugen mit rund 3 Milliarden Franken zu Buche. 1000 1972 73 74 75 76 77 78 79 1980 81 82 83 84 85 86 87 88 Quelle: WSL 6
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 WAS KANN PASSIEREN? Erfassen WAS IST ZU TUN? BEOBACHTEN WAS DARF PASSIEREN? en Ste er ert u n Be w Risikodialog Das Risikomanagement ist vorausschauend. Es umfasst laufende systematische Erfassungen und Bewertungen von Risiken sowie die Planung und Realisierung von Massnahmen zur Reaktion auf festgestellte und künftig mögliche Risiken. hat sich manches bewährt, das seit 2005 unternommen vermindert die Hochwassergefahr für Visp. Am Sihlsee wurde. Wir haben deutlich an Sicherheit gewonnen, wird bei Bedarf durch eine Vorabsenkung das Volumen Verbesserungen sind jedoch immer noch möglich. vergrössert, um die Stadt Zürich besser zu schützen. Woran denken Sie dabei? Ein parlamentarischer Vorstoss hat das BAFU beauftragt, Zum Beispiel an ein optimiertes Bewirtschaften der Spei einen Bericht «Naturgefahren Schweiz» zu erstellen. Er cherseen im alpinen Raum. Anstatt noch zu turbinieren, wird demnächst publiziert. Welches sind die wichtigsten wenn die Hochwasserwelle kommt, sollte durch eine Befunde? Vorabsenkung Volumen bereitgestellt werden. Letzteres Der Bericht zeigt, wo wir heute stehen und wo es geschieht heute schon mit dem Stausee Mattmark im Handlungsbedarf bei der Umsetzung des integralen Wallis. Ein permanent bereitgestelltes Stauvolumen Risikomanagements gibt. Eine anstehende Aufgabe 8 89 1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 01 02 03 04 05 06 07 08 09 2010 11 12 13 14 7
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN die frei werdenden Geschiebefrachten und die MITTELAUFWAND NACH AKTEUR entsprechenden Bodenbewegungen. Hier geht es darum, Problemzonen durch ein systematisches Monitoring rechtzeitig zu erkennen. Private Bund 16 % Versicherungen = 0,46 Mrd. CHF Welche Rolle spielt der Schutzwald? 59 % = 1,71 Mrd. CHF Er hat in der Schweiz eine grosse Bedeutung und ist als Teil der Schutzinfrastruktur ein Ele Kantone 11 % = 0,32 Mrd. CHF ment des integralen Risikomanagements. Fast die Hälfte des Schweizer Waldes schützt Siedlungen Gemeinden 14 % und Infrastrukturen, Strassen und Bahnen. Eine = 0,41 Mrd. CHF nachhaltige Pflege ist zentral, wenn der Wald seine Schutzfunktion langfristig erfüllen soll. Und sie ist wesentlich kostengünstiger als das Quelle: PLANAT Erstellen von Schutzbauten. Und was gilt es bei der übrigen Schutzinfrastruktur Der Preis der Sicherheit zu tun? Der Unterhalt und das Sicherstellen der Funk hjb. Jährlich werden in der Schweiz rund tionsfähigkeit unserer Schutzbauten ist eine 2,9 Milliarden Franken für das Risikomanage- Daueraufgabe. Wir müssen heute in Lebenszyklen ment von Naturgefahren ausgegeben. Davon denken und handeln. Hier besteht Nachholbedarf. werden 1,7 Milliarden Franken von Privaten Die Bauten müssen selbst robust genug sein, um aufgebracht, wovon 830 Millionen Franken von einem Überlastfall standzuhalten. Die Erfahrung zeigt, dass anderenfalls grosse Schäden zu erwar den Versicherungen getragen werden. Den Kosten ten sind. Wir müssen die Schutzbautenkonzepte steht ein enormer Nutzen gegenüber. Er lässt sich überprüfen und die Bauten bei Bedarf anpassen, generell schwer beziffern, denn Kosten, die vermie- ergänzen und erneuern. Ein Inventar der relevan den werden, treten in keiner Bilanz auf. Hingegen ten Schutzbauten wird zurzeit erarbeitet. ist in Einzelfällen eine Abschätzung möglich. So Neue Schutzbauten sollen so errichtet werden, wurden zum Beispiel für die baulichen Massnah- dass sie anpassbar sind. Das ist ein zentrales An men zum Schutz der Gemeinde Buochs (NW) vor liegen. Nichts ist dümmer, als Werke zu bauen, Überschwemmungen durch die Engelberger Aa die bei veränderten Anforderungen abgerissen (siehe Seite 5) 26 Millionen Franken investiert. und neu erstellt werden müssen. Die Lösungen Bereits beim ersten Ereignis im Jahr 2005 verhin- von heute dürfen nicht zum Problem von morgen derten diese Investitionen Schäden im Umfang von werden. Auch späteren Generationen sollen noch 160 Millionen Franken. Handlungsoptionen offenstehen. Dazu braucht Die Vorstellung, wie die Schweiz ohne Natur- es auch eine gewisse Grosszügigkeit beim Raum, gefahrenprävention aussähe, übersteigt unser den man den Gewässern überlässt. Vorstellungsvermögen. Weite Teile des Landes, namentlich im Berggebiet und in den Flusstälern, Damit sprechen Sie ein strittiges Thema an. Gegen wären wegen der fehlenden Sicherheit nicht nutzbar. den gesetzlich vorgeschriebenen minimalen Gewäs- serraum gibt es Widerstände vonseiten der Landwir- te, die dafür ohnehin knapp gewordenes Kulturland abgeben müssen. Den zusätzlichen Raum braucht es ja nicht nur im ist, die Gefahrengrundlagen zu vervollständigen. Hinblick auf den Hochwasserschutz. Die Gewässer Hier fehlen zum Beispiel noch die flächendeckend sollen auch ihre Funktionen als Lebensräume, ermittelten Oberfl ächenabfl üsse, die einen Vernetzungselemente und Erholungsgebiete wesentlichen Teil der Schäden ausmachen. Im erfüllen können. Die dafür nötigen Flächen Hinblick auf den Klimawandel müssen wir zu freizuspielen, ist sicher eine Herausforderung, dem verschiedene Prozesse genauer beobachten: aber ich bin überzeugt, dass hier sogar Winwin das Auftauen des Permafrostes in den Alpen, Lösungen mit der Landwirtschaft möglich sind. 8
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 Wie das? Die Finanzierung eines solchen Programms ist Die Landwirte brauchen die Gewässer ja selber, allerdings eine grosse Herausforderung. einerseits um Wasser aus drainierten Flächen einzuleiten, andererseits um die Kulturen zu Und bei Neubauten? bewässern. Und sie sind es vielfach auch, die den Was Neubauten betrifft, müssen wir so weit kom Unterhalt besorgen. Sie erbringen damit eine Leis men, dass die Naturgefahrensituation in allen tung im Interesse der ganzen Gesellschaft. Auch Bau- und Planungsprozessen berücksichtigt wird. revitalisierte Gewässer erfordern Unterhalt und Es sollte überall nur noch naturgefahrengerecht Pflege. Diese Arbeit soll fair entschädigt werden, gebaut werden – egal in welcher Gefahrenzone. sodass der Landverlust keinen Einkommensverlust Dies gilt nicht zuletzt auch in Bezug auf die Erd bringt. Im Waldbereich unterstützen wir ja die bebensicherheit. Schutzwaldpflege auch finanziell. Wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Vorfah «Generell ist der Umgang mit Naturgefahren ren den Gewässern in den Talebenen Riesenflächen entzogen haben. Davon sollen jetzt 2 bis 3 Prozent eine Verbundaufgabe, bei der viele Akteure zurückgegeben werden. Die Frage der Verhältnis Mitverantwortung tragen: Kantone, Gemeinden, mässigkeit ist damit wohl beantwortet. Wichtig Wirtschaft bis hin zu potenziell Betroffenen.» ist, dass Härtefälle durch geeignete Massnahmen gemildert werden. Generell ist der Umgang mit Naturgefahren eine Ein weiteres Handlungsfeld ist sicher die Umsetzung Verbundaufgabe, bei der viele Akteure Mitverant der Gefahrengrundlagen in der Raumplanung. Was wortung tragen: Kantone, Gemeinden, Wirtschaft passiert mit den Menschen, die heute bereits in roten bis hin zu potenziell Betroffenen. Alle haben ihre Zonen wohnen, wo grundsätzlich Bauverbot herrscht? Aufgaben und Pflichten. Der Staat beobachtet Eine rote Zone zeigt einfach auf: Achtung, hier die Wetterentwicklungen laufend, macht die sind durch Naturereignisse Menschen in den Grundlagen verfügbar, informiert, warnt mög Gebäuden an Leib und Leben bedroht. Da muss lichst rechtzeitig und stellt auch einen gewissen geprüft werden, ob ein normales Wohnen noch zu Flächenschutz sicher. Aber die einzelnen Bürge verantworten ist. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, rinnen und Bürger müssen ihre Verantwortung das Risiko in einem akzeptierbaren Rahmen zu ebenfalls wahrnehmen. Wir arbeiten auf allen halten. Doch es wird auch Fälle geben, in denen Ebenen daran, die Gesellschaft gegenüber Natur man sagen muss: Hier bleibt nur der Abriss. gefahren weniger verletzlich zu machen und das Ein Beispiel dafür ist die Luzerner Gemeinde Wissen um die Risiken zu verbessern. Weggis. Aufgrund des Felssturzpotenzials, das mit vernünftigem Aufwand nicht in den Griff zu Weiterführende Links zum Artikel: kriegen ist, wurden 5 Wohn- und Ferienhäuser www.bafu.admin.ch/magazin2015-2-01 abgerissen. Die Besitzerinnen und Besitzer wurden zwar für den Hauswert entschädigt, nicht aber den Landwertverlust. Es wird weitere Fälle geben, für die faire Lösungen entwickelt werden müssen. Und was kann jemand, der in einer blauen Zone wohnt, wo künftig Bauen nur noch mit Auflagen erlaubt ist, für die Sicherheit von Hab und Gut tun? Die Eigentümerinnen oder Eigentümer bereits bestehender Gebäude haben die Möglichkeit, diese mit baulichen Massnahmen besser zu schützen. Es gibt bereits einige kantonale Gebäudeversicherun gen, die eine Mitfinanzierung von Objektschutz KONTAKT massnahmen anbieten. Hier liesse sich mehr tun. Hans Peter Willi Chef Abteilung Gefahrenprävention So könnte ein Naturgefahrensanierungsprogramm BAFU aufgebaut werden, ähnlich wie es bei der ener 058 464 17 39 getischen Gebäudesanierung schon erfolgt ist. hans-peter.willi@bafu.admin.ch 9
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN INTEGRALES RISIKOMANAGEMENT KONKRET Die Überschwemmungsgefahr an der Sihl entschärfen Nach dem Hochwasser von 2005 wurde klar: Die Sihl in Zürich birgt ein grosses Risiko bei Überschwem- mungen. Bei einer Jahrhundertflut wären ausgedehnte Teile der Stadt und mit dem Hauptbahnhof auch der wichtigste Verkehrsknotenpunkt der Schweiz betroffen. Mit einem systematischen Vorgehen lotet der Kanton Zürich zusammen mit allen Akteuren sämtliche Möglichkeiten aus, wie sich das Risiko reduzieren lässt. Text: Lukas Denzler Unsere Vorfahren wussten genau, wo es praktisch So auch die Sihl, die kurz nach dem Zürcher war, sich niederzulassen. Beliebt waren unter an Hauptbahnhof, unter dem sie hindurchfliesst, derem Fluss- und Seeufer. Die Energie des Wassers in die Limmat mündet. Im hochwasserreichen trieb Mühlen an, die Gewässer dienten als Verkehrs- 19. Jahrhundert verursachte sie 1846 und 1874 und Transportwege, Fische besserten den Speiseplan weiträumige Überschwemmungen. Doch damals auf. Die Kehrseite der Medaille: Flüsse und Seen sah Zürich noch ganz anders aus. können auch über die Ufer treten. Und sie tun das 1910 ereignete sich das letzte grosse Sihlhoch immer wieder mal. wasser. Die Überflutungen reichten bis an die 1910 überflutete die Sihl Teile der Stadt Zürich. Weil ihr Fluss- bett damals tiefer lag als heute, reichte die Abflusskapazität bei den Durchlässen unter dem Hauptbahnhof noch knapp aus (linkes Bild). Zusammenfluss von Sihl (trübes Wasser) und Limmat beim Zürcher Hauptbahn- hof im August 2005. Damals verhinderte einzig Wetterglück im letzten Augenblick, dass die Sihl erneut über die Ufer trat (rechtes Bild). Bilder: AWEL, Kantonale Baudirektion Zürich/Kantonspolizei Zürich 10
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 westliche Stadtgrenze bei Schlieren. «Nach diesem Ereignis legte man die Eingänge von Schwere mögliche Folgen für einigen neuen Häusern an der Löwenstrasse den Zürcher Hauptbahnhof beim Hauptbahnhof ein paar Dezimeter höher und versah sie mit Treppenstufen», sagt Matthias ld. Laut der SBB-Medienstelle könnte der Bahnknoten Zürich durch Oplatka, Projektleiter beim Amt für Abfall, Was ein Hochwasser teilweise oder komplett lahmgelegt werden. Die Aus- ser, Energie und Luft (AWEL) des Kantons Zürich. wirkungen wären für den Bahnverkehr in der ganzen Schweiz massiv. Das ist eine ä usserst wirksame Massnahme gegen Von den rund 1 Million Passagieren, die die SBB pro Tag befördert, die Gefahr von Überschwemmungen. Doch diese ist rund die Hälfte im Grossraum Zürich unterwegs. Weisheit ging bald wieder vergessen. Heute sind Die SBB rechnet damit, dass die Sihl ab einem Abfluss von 360 bis die meisten Eingänge ebenerdig. 400 Kubikmeter pro Sekunde in der Allmend Brunau über die Ufer tritt. 1937 wurde für das Etzelwerk der Sihlsee bei Eine halbe Stunde bis drei Stunden später würde die Flut den Bahnhof Einsiedeln (SZ) aufgestaut. Das Kraftwerk liefert Wiedikon erreichen und etwas später die Gleisanlagen des Hauptbahn- Bahnstrom für die Schweizerischen Bundesbah hofs. Die unterirdischen Anlagen wären ebenfalls betroffen. Die eigent- nen (SBB) und für Privatbahnen. Der Sihlsee hält liche Verfüllung der unterirdischen Bahnhöfe und Tunnels würde sich bei intensiven Niederschlägen Wasser zurück, über eine Zeitspanne von mehreren Stunden bis zu einem Tag erstrecken. und die Zürcher glaubten jahrzehntelang, die Betroffen wären auch der neue Bahnhof Löwenstrasse, der S-Bahnhof Hochwassergefahr der Sihl sei damit gebannt. Museumstrasse und die Bahntunnels nach Oerlikon und Stadelhofen. Die SBB geht im Falle eines Hochwassers von keinen Personenschäden Dank Wetterglück keine Überschwemmungen aus, weil im ganzen Hauptbahnhof eine Anlage für die Evakuierung Doch im August 2005 war die Situation äusserst installiert ist. Via Lautsprecher können die Menschen in den Hallen kritisch. «Wäre der Sihlsee nur um vier Zenti und Passagen sowie auf den kommerziellen Flächen mit vordefinierten meter mehr angestiegen, hätte man aus Gründen Texten in Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch je nach Ereignis der Stauanlagensicherheit so viel Wasser ablassen informiert werden. Eine Evakuierung des Hauptbahnhofes würde vom müssen, dass es in Zürich zu Überschwemmun Führungsstab der Stadt Zürich sowie vom Notfall- oder vom Krisenstab gen gekommen wäre», weiss Matthias Oplatka, SBB ausgelöst. 11
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN denn dort war die Sihl zu jenem Zeitpunkt bereits tremhochwasser mit einem Sihlabfluss von 550 m3/s auf randvoll. Dank des günstigen Wetterverlaufs blieb die 5,5 Milliarden Franken. Bis zu 3600 Gebäude wären Stadt verschont. Zur gleichen Zeit wüteten im Kanton betroffen, 4 bis 5 Quadratkilometer Stadtfläche würden Bern und in der Innerschweiz heftige Unwetter. Hätte überflutet. Laut Experten sind in Extremfällen Spitzen abflüsse von 550 bis 650 m3/s möglich. Hinzu kämen volkswirtschaftliche Kosten durch Eine 2010 durchgeführte Risikoanalyse schätzt Betriebsstörungen, Unterbrüche und den Ausfall oder die Zerstörung der Infrastruktur für Energie, Tele das Schadenpotenzial bei einem Extremhoch- kommunikation und Verkehr. Stark ausgeprägt ist wasser auf 5,5 Milliarden Franken. in Zürich die intensive Nutzung der Kellergeschosse. Bereits ab einem Sihlabfluss von rund 300 m3/s, der statistisch etwa alle 30 Jahre auftreten kann, sind die das Niederschlagszentrum etwas weiter östlich im Ein von der nationalen Plattform Naturgefahren (PLANAT) zugsgebiet der Sihl und ihrer Zuflüsse Alp und Biber empfohlenen S icherheitsstandards an verschiedenen gelegen, wären grosse Teile der Zürcher Innenstadt samt Standorten entlang der Sihl nicht mehr eingehalten. Hauptbahnhof überflutet worden. Und sollte der Zürcher Hauptbahnhof tatsächlich ein 2005 betrug der Abfluss der Sihl beim Sihl- mal längere Zeit lahmgelegt sein, hätte dies enorme hölzli in Zürich 280 Kubikmeter pro Sekunde (m3/s) – Auswirkungen weit über die Zürcher City hinaus (siehe ein Wert, der in der damals über 90-jährigen Ab Kasten Seite 11). flussmessreihe der Sihl nur 1934 mit 340 m3/s über «Der Hochwasserschutz in Zürich hat für uns eine troffen worden war. 1910 waren es gar 450 m3/s sehr hohe Priorität», betont Manuel Epprecht von der gewesen. Doch zu jener Zeit hatte das Sihlbett unter Sektion Hochwasserschutz im BAFU, der den Bund im dem Hauptbahnhof noch etwas tiefer gelegen, und es Lenkungsausschuss Hochwasserschutz Sihl, Zürichsee, hatte weder ein Shopville noch Tiefbahnhöfe unter dem Limmat vertritt. Die besondere Herausforderung be Flussniveau gegeben. stehe in den urbanen Verhältnissen. Es gelte, Lösun gen für diesen dicht bebauten Raum zu finden und Klumpenrisiko Zürich umzusetzen. In Zürich befinden sich viele Gebäude und Infrastruk Nach dem Hochwasser von 2005, bei dem der Kanton turanlagen auf engem Raum, und der Hauptbahnhof ist Zürich mit Schäden von lediglich 15 Millionen Franken der wichtigste Bahnknotenpunkt der Schweiz. Die Lim glimpflich davongekommen war, ergriff der Kanton matstadt ist ein Klumpenrisiko. Eine 2010 gemeinsam Sofortmassnahmen. Im Rahmen der Realisierung der von der Stadt, dem Kanton, der Gebäudeversicherung Durchmesserlinie (DML) liess sich unter dem Haupt Kanton Zürich (GVZ) und der SBB durchgeführte Risi bahnhof die Sohle der Sihl etwas tiefer legen. Zudem koanalyse schätzt das Schadenpotenzial bei einem Ex entwickelte das AWEL gemeinsam mit Partnern ein 12
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 Anhand eines Modells testet die Versuchs- anstalt für Wasserbau (VAW) der ETH Zürich, wie viel Wasser die Sihldurchlässe unter dem Zürcher Hauptbahnhof zu schlucken vermögen (Bilder ganz links und Mitte). Die gelben Stäbchen im rechten Bild (Aufsicht) sind Modellschwemmholz. Damit soll die Staugefahr untersucht werden. Bilder: Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW), ETH Zürich Prognosemodell für die Abflussmengen der Sihl. Zeich durchleiten». Das Ergebnis war eine Auslegeordnung net sich eine kritische Situation ab, ist es möglich, den mit 35 Lösungsansätzen, die in einem ersten Schritt auf Sihlsee abzusenken, um Rückhaltevolumen für erwar 5 Varianten reduziert wurden. Schliesslich kristallisier tete intensive Niederschläge zu schaffen. Im Mai 2013 ten sich 2 mögliche Lösungswege heraus: die Umleitung und auch Ende Juli 2014 hat der Kanton dies aufgrund von Sihlwasser bei Langnau am Albis/Gattikon (ZH) der Prognosen angeordnet. im Hochwasserfall durch einen Entlastungsstollen in den Zürichsee bei Thalwil (ZH) sowie der Ausbau der Lösungsansätze für mehr Schutz Pumpspeicherung am Etzelkraftwerk (siehe auch den Mittelfristig sind weitere Massnahmen geplant: Ab 2017 Beitrag «Damit die Sihl das Zentrum nicht flutet» in soll in Langnau am Albis (ZH) ein Rechen bei einem umwelt 2/2012). Hochwasser das Schwemmholz zurückhalten. (Anm. d. Beide Varianten vermögen Zürich gegen ein Extrem Red.: Bei Redaktionsschluss stand die Bewilligung des hochwasser zu schützen. Mit Investitionskosten von 70 erforderlichen Kredits im Umfang von knapp 26 Mil bis 130 Millionen Franken sind sie auch wirtschaftlich. lionen Franken durch das Kantonsparlament noch aus.) Laut Matthias O platka ist Mitte 2015 mit einem Ent Mit einem 30 Meter langen Modell des Hauptbahn scheid zum weiteren Vorgehen zu rechnen. hofs im Massstab 1:30 wird an der Versuchsanstalt für Wasserbau (VAW) an der ETH Zürich getestet, wie viel Risikoanalyse zeigt Schwachstellen auf Wasser die 5 Sihldurchlässe unter den Perrons tatsäch 2009 setzte die Baudirektion des Kantons Zürich die lich zu schlucken vermögen. Ziel ist es, Optimierungen Gefahrenkarte Hochwasser für die Stadt fest. Damit an den Bauwerken des Hauptbahnhofs und im Flussbett wurde die Stadt gesetzlich verpflichtet, geeignete Mass vorzunehmen. Und schliesslich gilt es, das Wehrregle nahmen in der Raumplanung, beim Gewässerunterhalt, ment des Sihlsees unter Einhaltung der Anforderungen der Stauanlagensicherheit anzupassen und den Spiel raum im Sinne eines optimalen Hochwasserschutzes Die Vorschläge orientierten sich an den auszunützen. 3 Leitideen «Wasser zurückhalten», Doch all diese Anstrengungen vermögen das Risiko in Zürich nicht auf ein akzeptables Mass zu reduzieren. «Wasser umleiten» und «Wasser durchleiten». Deshalb prüft der Kanton zusammen mit dem Kanton Schwyz weitergehende Massnahmen. Beim Start des im baulichen Hochwasserschutz und für die Notfallpla Prozesses 2011 hatten mehrere interdisziplinär zusam nung zu treffen. Innerhalb von 2 Jahren war zudem ein mengesetzte Teams die Aufgabe, auch unkonventio Umsetzungskonzept zu erarbeiten. nelle Lösungen zu präsentieren. «Bevor wir mit der Arbeit anfangen konnten, waren Die Vorschläge orientierten sich an den 3 Leitideen die Zuständigkeiten zu klären», sagt Bernhard Kuhn, der «Wasser zurückhalten», «Wasser umleiten» und «Wasser bis im Herbst 2014 die Arbeiten im Bereich Naturgefah 13
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN ren koordinierte und nun für die Gemeinde Emmen (LU) Das viergeschossige, komplett im Untergrund liegende tätig ist. Für die Umsetzung der Gefahrenkarte bildete die Parkhaus wurde zwischen 2002 und 2004 gebaut. Laut Stadt Zürich 2010 eine Projektgruppe, in der 12 städtische Richard Heierli, Alt-Stadtingenieur von Zürich und Dienstabteilungen aus 5 Departementen sowie das AWEL Präsident der Baukommission der City Parkhaus AG, und die kantonale Gebäudeversicherung (GVZ) vertreten war Hochwasser selbst an dieser exponierten Stelle da sind. Als wichtigen Meilenstein wertet Bernhard Kuhn mals kein Thema. Hätte der Wasserspiegel von Sihl und die städtische Risikoanalyse. Eine Gemeinde müsse wis Schanzengraben im August 2005 etwas höher gelegen, sen, wo im Ereignisfall die grössten Schadenpotenziale wäre Wasser über die Lüftungsklappen ins Parkhaus bestehen. Die Ergebnisse hätten zudem zu einer starken eingedrungen. Wie Geschäftsführer Andreas Zürcher Unterstützung durch die Stadtregierung geführt. erklärt, war aufgrund der Gefahrenkarte und weiterer Das Stadtparlament entschied im Juni 2014, die städ Abklärungen offensichtlich, dass das Risiko reduziert tische Bauordnung mit einem Naturgefahrenartikel zu werden musste – ein Betriebsausfall von einigen Mo ergänzen. Damit wird die Berücksichtigung der Gefah naten hätte Verluste in Millionenhöhe zur Folge gehabt. renkarte bei Baubewilligungen präziser geregelt. Die Die Verantwortlichen entschieden sich nach Gesprä Stadt informierte die rund 10 000 Hauseigentümerinnen chen mit der GVZ für mobile Schutzmassnahmen, die und -eigentümer der potenziell hochwassergefährdeten durch eigenes Personal innerhalb von 2 Stunden mon Gebäude zweimal mit persönlich adressierten Briefen. tiert werden können. So lassen sich die Lüftungsklappen «Obwohl die Eigenverantwortung von den Gebäudebe abdichten und die hochwassergefährdeten Bereiche bei sitzern im Prinzip anerkannt wird, ist es nicht einfach, der Ausfahrt, dem Lift und dem Treppenzugang beim Ausgang Löwenplatz schützen. Doch alles nützt nichts, wenn die Abläufe im Notfall nicht funktionieren. Des Aufgrund ihres seltenen Auftretens sind Hoch halb wird die Montage dieser Elemente alle 2 Jahre geübt. wasserereignisse im Gedächtnis der Stadtzür- Die Kosten für diese Massnahmen betrugen lediglich 130 000 Franken. cher Bevölkerung nach wie vor kaum präsent. Risikobasierten Ansatz stärken diese für Vorsorgemassnahmen zu gewinnen», resümiert Manuel Epprecht vom BAFU erachtet die verschiedenen Bernhard Kuhn. Aufgrund ihres seltenen Auftretens s eien Vorkehrungen in Zürich als beispielhaft, und er ist von Hochwasserereignisse im Gedächtnis der Stadtzürcher deren Breite und Professionalität beeindruckt. Unter der Bevölkerung nach wie vor kaum präsent. Federführung des AWEL wurden Ende 2013 die wich tigsten Elemente des Integralen Risikomanagements Beratung der Liegenschaftsbesitzer in einem Bericht aufgezeigt. Darin wird auf Wunsch Im Kontakt zu den Liegenschaftsbesitzerinnen und des BAFU auch die Variante «Optimierte Durchleitung» -besitzern steht auch die GVZ. Sie versichert alle Liegen als Option offengehalten, für den Fall, dass die beiden schaften im Kanton gegen Feuer- und Elementarschäden. anderen Varianten – der Entlastungsstollen in den «Wir haben unsere Beratungstätigkeit in den letzten Zürichsee oder die Kombilösung mit dem Ausbau der Jahren intensiviert», sagt Claudio Hauser von der GVZ. Pumpspeicherung im Etzelkraftwerk – sich als politisch Gerade bei umsatzstarken Geschäften erreiche man mit nicht realisierbar erweisen. einer Sensibilisierung oft sehr viel, vor allem wenn einem Der risikobasierte Ansatz im Hochwasserschutz – so Besitzer die fi nanziellen Konsequenzen bewusst würden, zeigen die Erfahrungen in Zürich – muss weiter gestärkt die ein durch Hochwasserschäden bedingter Unterbruch werden. Denn wo hohe Schäden zu erwarten sind, lohnt der Geschäftstätigkeit nach sich ziehen kann. es sich, in den Hochwasserschutz zu investieren. Bei Neu- und Umbauten ist es laut Claudio Hauser wichtig, Hochwasserschutzmassnahmen frühzeitig in der Planung zu berücksichtigen. Bei bestehenden Gebäuden Weiterführende Links zum Artikel: sind permanente Massnahmen mit verhältnismässigem www.bafu.admin.ch/magazin2015-2-02 Aufwand hingegen nicht immer möglich. Hier sind dann auch mobile Schutzvorkehrungen denkbar. KONTAKT Hochwassersicheres City Parking Manuel Epprecht Sektion Hochwasserschutz Ein gutes Beispiel für mobilen Hochwasserschutz ist BAFU das Zürcher City Parking. Es liegt nahe beim Haupt 058 464 17 50 bahnhof zwischen der Sihl und dem Schanzengraben. manuel.epprecht@bafu.admin.ch 14
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 Die Industriezone von Preonzo wird verlegt hjb. Dass das Gelände am Fuss des Valegión bei Preonzo (TI) ein unsicherer Ort ist, war schon lange bekannt. Die Felsformationen in diesem Steilhang sind labil. 1702 verschüttete ein Bergsturz das Dorf. Preonzo wurde danach an anderer Stelle neu auf gebaut. Der Dorf kern ist deshalb nicht mehr gefähr- det – wohl aber derjenige Teil der Gemeinde, in dem sich in den 1960er-Jahren Industriebetriebe nieder- liessen. Heute würden diese nicht mehr bewilligt: Das Areal ist auf der Gefahrenkarte rot markiert. 1990 bildete sich auf der Alpe di Ròscera direkt über dem Valegión ein Riss. Seither steht der Hang unter Dauerbeobachtung. Sonden messen die Erdbewegun- gen und lösen Alarm aus, wenn sich diese beschleuni- gen. In der Folge wurde die Industriezone wiederholt evakuiert, und es ereigneten sich auch mehrere Berg- stürze und Murgänge, die aber keine oder nur geringe Schäden anrichteten. Im Mai 2012 kam erneut Bewegung in den Valegión. Zur besseren Überwachung des Hangs wurde zusätzlich eine Radaranlage installiert, die es erlaubt, Bewegungen aus der Ferne millimetergenau zu beobachten – ohne dass Messgeräte in der Felswand montiert werden mussten, was viel zu gefährlich gewesen wäre. Am 13. Mai wurde die Industriezone geräumt. Zwei Tage später donnerten 300 000 Kubik- meter Fels zu Tal. Wiederum gab es keine Schäden. Eine Woche danach nahmen die ansässigen Betriebe die Arbeit wieder auf – diesmal aber nur noch vorübergehend: Im April 2013 bewilligte die Tessiner Kantonsregierung den Plan für einen frei- willigen Umzug in die Industriezonen von Castione und Carasso südlich von Preonzo. Bund und Kanton bezahlen 70 Prozent der auf knapp 13 Millionen Franken veranschlagten Kosten der Verlagerung. Der alte Standort wird ausgezont. «Es handelt sich um die erste Auszonung von Industrieland aufgrund von Naturgefahren», weiss Arthur Sandri, Chef der Sektion Rutschungen, Lawinen und Schutzwald im BAFU. 5 Firmen mit insgesamt 80 Arbeitsplätzen nahmen das Angebot an. 2 Betriebe, die zusammen 23 Perso- nen beschäftigen, wollen vorläufig bleiben. Sie müssen Valegión bei Preonzo (TI). Bilder oben: Ausschnitte aus mit Arbeitsunterbrüchen rechnen, wenn die Situation einem Video des Felssturzes vom 15. Mai 2012. Das zweite wieder kritisch wird. Grossen Felsstürzen folgt in den und das dritte Bild von oben zeigen die Anrissstelle unter- Jahren danach meist eine Serie von Murgängen. Arthur halb der Alpe di Ròscera kurz vor dem Ereignis. Unten: Blick Sandri vermutet deshalb, dass auch die beiden letzten auf die Industriezone Preonzo unterhalb des Schuttkegels. Firmen Alternativstandorte prüfen werden. Bilder: Giorgio Valenti, Kantonsgeologe, Tessin 15
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN RAUMPLANUNG Gute Karten für den Umgang mit Risiken Mittlerweile verfügen nahezu alle Schweizer Gemeinden über Gefahrenkarten. Jetzt gilt es, aufgrund dieser wissenschaftlichen Grundlagen die notwendigen Massnahmen zum Schutz der Bevölkerung und erheblicher Sachwerte zu planen und die räumliche Entwicklung anzupassen. Was dies bedeuten kann, zeigt ein Spaziergang durch das Gemeindegebiet von Ollon (VD). Text: Cornélia Mühlberger de Preux, Bilder: Flurin Bertschinger/Ex-press Wer durch die Gegend von Ollon oberhalb von Aigle im der Gemeinde besteht aus 23 Dörfern und Weilern. Alte Waadtländer Chablais spaziert, käme nicht im Traum Chalets stehen friedlich neben neueren Ferienhäusern. auf den Gedanken, dass sich der Boden hier bewegt. Die Gefahr ist von blossem Auge nicht zu erkennen. Etwas Umfassende Palette der Naturgefahren misstrauisch machen bloss ein paar Schutzbauten. Die Gegend ist schön, die Aussicht grandios. Doch Vor Ollon erstreckt sich von der Rhoneebene über den sicht ist geboten, denn in dieser Region oder zumindest Col de la Croix bis zum Gipfel des 2112 Meter hohen in Teilen davon droht die ganze Palette von Naturgefah Chamossaire. Die flächenmässig sechstgrösste Waadtlän ren – Rutschungen, Felsstürze, Sackungen, Murgänge, 16
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 Im Gebiet Les Tailles wurde ein Rückhaltebecken für das Geschiebe des gleichnamigen Bachs gebaut und ein Auffang- zaun errichtet. Dank dieser Massnahmen ist die Gefährdung so weit gesunken, dass die fraglichen Flächen von der roten («erhebliche Gefährdung») in die blaue Zone («mittlere Gefähr- dung») zurückgestuft werden konnten. Gefahrenkarte (Seite 16) für das Gebiet Villars-sur-Ollon (VD). Die Chalets (Bild Seite 16) stehen im rutsch gefährdeten Gelände von La Saussaz. Ein sogenanntes Inklinometer im Metallzylinder (kleines Bild links) misst hier dauernd die Terrainbewegungen. Grosses Bild: Pierre-Alain Martenet von der Bau- und Planungsbehörde der Gemeinde Ollon im Gebiet Arveyes, wo der Untergrund ebenfalls instabil ist. Überschwemmungen und Lawinen. «Bei uns gibt es sogar das Gebiet von Villars-sur-Ollon erarbeiten – noch bevor Gebiete, in denen sich drei Gefahrenarten überlagern», der Kanton Waadt 2008/09 die systematische Kartie berichtet Pierre-Alain Martenet von der kommunalen rung an die Hand nahm. In der Folge wurden mehrere Bau- und Planungsbehörde. Schutzmassnahmen umgesetzt: Rutschhänge wurden Bereits in den 1970er-Jahren sei bei Les Tailles in der stabilisiert, gefährdete Flächen ausgezont. Heute sind im Nähe von La Saussaz eine grosse Rutschung niederge Bereich von La Saussaz keine Neubauten mehr möglich. gangen, erzählt unser fachkundiger Begleiter. Zwischen Dies, obschon das Gelände gesichert wurde und unter 2004 und 2007 liess die Gemeinde Gefahrenkarten für ständiger Beobachtung steht. 17
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN Gelb, blau, rot zusätzliche Abklärungen durchgeführt werden können. Bevor wir auf die Anhöhen steigen, breitet Pierre-Alain Sie sollen es erlauben, die Gefährdung möglichst präzise Martenet die Gefahrenkarten von zwei besonders gefähr zu bestimmen und die Entwicklungen abzuschätzen. Je deten Teilen der Gemeinde aus: La Saussaz und Arveyes. nach Ergebnis wird man entscheiden, ob die Grundstücke Zu sehen sind darin gelb, blau und rot markierte Flä hier noch überbaut werden dürfen oder nicht. Zusätzlich chen. In den roten Zonen gilt die Gefahr als «erheblich», muss der zukünftige Umgang mit dieser Zone in einem weshalb Neubauten verboten sind. Bereits existierende Musterreglement festgelegt werden. Gebäude dürfen hingegen weiter bewohnt werden, sofern Die Ergebnisse liegen frühestens 2016 bis 2018 vor. «Die ein Evakuierungsplan besteht. Beurteilung der Rutschungen braucht viel Zeit», erklärt In den blauen Zonen («mittlere Gefährdung») sind beim Pierre-Alain Martenet, «denn diese bewegen sich im Zenti Bau besondere Massnahmen erforderlich. So müssen etwa meterbereich.» Es steht viel auf dem Spiel: Die betroffenen Untergeschosse in Monoblockbauweise und Stahlbeton Grundstücke sind überaus begehrt – einerseits, weil sie erstellt und angrenzende Grundstücke systematisch ent sehr leicht zugänglich sind, andererseits, weil sich von wässert werden. In den gelben Zonen («geringe Gefähr hier eine aussergewöhnliche Aussicht bietet. «Das kann dung») genügen meist einfache Massnahmen, welche die zu Konflikten führen. Aber das Gesetz muss angewendet Grundeigentümerinnen und -eigentümer selbst ergreifen werden: Alle bekannten Gefahren sind zu vermeiden», können, um allfällige Schäden zu begrenzen. sagt der Fachmann. Zusätzlich zur Gefahrenstufe geben die Karten auch Auskunft über das Ausmass, die Intensität und die Ein Eingeschränkte Bebaubarkeit in La Saussaz tretenswahrscheinlichkeit der einzelnen Gefahrenarten. In La Saussaz hingegen, wo wir mittlerweile angelangt «Die Gefahrenkarten sind ein unverzichtbares Hilfsmittel sind, gehören die Nutzungsänderungen der Vergangenheit sowohl zum Schutz der Bevölkerung und der Infrastruk an. Gewisse Parzellen wurden ausgezont und sind heute turen als auch zur Schadensbegrenzung», erklärt Bernard nicht mehr bebaubar. Gebäude, die in der roten Zone Loup von der BAFU-Sektion Rutschungen, Lawinen und stehen, dürfen nicht erweitert und zerstörte Häuser nicht Schutzwald. Dabei müsse zwischen Risiko und Gefahr wieder aufgebaut werden. unterschieden werden. Das Risiko hängt nicht allein von In Les Tailles hingegen konnte die Gefahr dank eines der Gefahr ab, sondern wird massgeblich von der Nutzung grossen Rückhaltebeckens stark eingedämmt werden. Das der fraglichen Flächen bestimmt. Je dichter bzw. intensiver Becken fängt seit 2011 Material auf, das der gleichnamige diese bebaut, bewohnt und genutzt werden, desto höher Bach heranführt. Das darunterliegende Gebiet wurde von ist das Schadenpotenzial und somit das Risiko. Deshalb ist der roten in die blaue Zone zurückgestuft. Die bestehen es wichtig, die Entwicklungen raumplanerisch zu steuern. den Bauten konnten gesichert werden, und die noch freien «Die Erstellung der Gefahrenkarten erfordert viel Zeit Grundstücke sind jetzt wieder bebaubar. und die Mitarbeit zahlreicher Partner», weiss Pierre-Alain «In Ollon liessen sich die Risiken durch technische Martenet. Um den gesamten Kanton Waadt abzudecken, Massnahmen deutlich verringern. Doch ein Restrisiko wurden rund 12 000 Karten erarbeitet, davon etwa 20 für bleibt», betont Bernard Loup vom BAFU. Die effizienteste die Gemeinde Ollon. An diesem umfangreichen Projekt Massnahme zur Verminderung von Risiken besteht darin, waren neben den Gemeinden 32 auf Geologie, Wasser das Bauen auf gefährdeten Flächen zu vermeiden. Wird und Schnee spezialisierte Büros beteiligt. dennoch gebaut, lassen sich mögliche Gebäudeschäden durch eine widerstandsfähige Konstruktion begrenzen. Arveyes im Fokus «Die Sicherheit der Bevölkerung kann zusätzlich durch Wir erreichen Arveyes. Im unteren Teil des Weilers die Erarbeitung eines Notfallplans verbessert werden», stehen etwa ein Dutzend Gebäude, darunter auch ein fügt er hinzu. Bauernhof. Auch hier ist der Untergrund instabil. Es gibt zahlreiche tiefgründige, permanente Rutschungen, Nichts dem Zufall überlassen und Quellen am Böschungsfuss weisen auf Grundwasser Inzwischen sind die definitiven Gefahrenkarten für das hin. Im Weiler selbst und entlang der Kantonsstrasse gesamte Gemeindegebiet von Ollon fertiggestellt oder wer wird mit mehreren Pumpen, die 30 bis 60 Meter tief in den es demnächst sein. Nun gilt es, die Bevölkerung über den Boden reichen, das ganze Jahr über Wasser aus dem die Situation zu informieren und die Naturgefahren in die Untergrund gepumpt. Mithilfe dieses Systems, das in kommunalen Richt- und Nutzungspläne zu integrieren. den 1980er-Jahren realisiert wurde, war es möglich, das Gemäss den Bundesgesetzen über den Wasserbau und Ausmass der Erdbewegungen einzuschränken. den Wald sind die Kantone verpflichtet, Gefahrenkarten Momentan gilt das Gebiet Arveyes als «Planungszone». zu erstellen und diese in der Richt- und Nutzungsplanung Jede Siedlungsentwicklung ist vorläufig gestoppt, damit zu berücksichtigen. «Gefahrenkarten sind unentbehrliche 18
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 Instrumente, um die Entwicklung der Risiken in gefähr deten Gebieten zu steuern», bestätigt Roberto Loat von Mehr Raum für Fliessgewässer der Sektion Risikomanagement des BAFU. Sie erlauben hjb. Bis vor wenigen Jahren f loss die Aire bei Genf durch einen es den Behörden, Neubauten auf solchen Flächen zu geradlinigen Betonkanal. Nach heftigen Regenfällen trat sie beschränken oder zumindest dafür zu sorgen, dass ge wiederholt über die Ufer und bedrohte unter anderem vor ihrer fahrengerecht gebaut und genutzt wird. Und sie weisen Mündung in die Arve auch Quartiere der Stadt. Hauseigentümerinnen und -eigentümer in Gefahren 2002 begannen die Arbeiten an einem Hochwasserschutzprojekt, zonen darauf hin, dass sie gut daran täten, die Sicherheit das mit einer ökologischen Aufwertung des Gewässers verbunden ist. ihrer Gebäude mit Schutzmassnahmen zu erhöhen. Das Bachbett wurde dabei auf längerer Strecke massiv verbreitert. Dem BAFU-Experten zufolge sind zukünftig für alle Damit verzögert sich der Abfluss, und die Hochwasserspitzen im Gefahrenstufen, einschliesslich der tiefsten, Bauauflagen Unterlauf werden gebrochen. zu prüfen. Denn eine Analyse der Unwetter der letzten Seit 2011 schreibt das Gewässerschutzgesetz einen minimalen Jahre ergab, dass in den gelben und gelb-weissen Zonen Gewässerraum für Bäche und Flüsse vor. Einerseits müssen die heute («Restgefährdung»), für die momentan keine Vorschriften bereits bestehenden Pufferstreifen entlang der Ufer – besonders bei gelten, grosse Schäden entstanden sind. Es ist deshalb grösseren Fliessgewässern – erweitert werden. Hierzu braucht es sinnvoll, auch für diese Zonen Anforderungen festzule schweizweit rund 20 000 Hektaren, hauptsächlich im Landwirt- gen. Eine Raumplanung, die sich auf Risiken und nicht schaftsgebiet. Diese Böden gehen der Landwirtschaft aber nicht nur auf Gefahren abstützt, muss für alle Gefahrenstufen eine risikogerechte Nutzung sicherstellen. verloren. Extensive Grünlandnutzung bleibt möglich. Als Kulturland nicht mehr nutzbar werden hingegen die Flächen Die ganze Schweiz kartografiert sein, die in den kommenden 80 Jahren für die Revitalisierung Unterdessen ist mit ganz wenigen Ausnahmen praktisch eingeengter Bäche und Flüsse benötigt werden. Es sind schätzungs das ganze besiedelte Gebiet der Schweiz kartiert. Zwei weise 2000 Hektaren (siehe auch umwelt 3/2011, Dossier Raum den Drittel der Gemeinden haben ihre Gefahrenkarten bereits Gewässern). in die kommunalen Nutzungspläne integriert. Unser Land ist in diesem Bereich im internationalen Vergleich sehr weit fortgeschritten, und das hiesige Know-how stösst im Ausland auf grosses Interesse (siehe auch Seiten 32–35). «Die Arbeit ist aber noch nicht abgeschlossen, und sie wird es auch nie sein», räumt Roberto Loat ein. Die Gefahren- und Risikogrundlagen müssen periodisch aktualisiert und neue Phänomene, wie etwa der Ober flächenabfluss, der für rund die Hälfte aller Schäden ursächlich ist, kartografiert werden. «Nur wenn wir über vollständige und aktuelle Grundlagen verfügen, können wir die richtigen Massnahmen ergreifen, um die Sicherheit von Menschen und erheblichen Sachwerten zu verbessern.» Weiterführende Links zum Artikel: www.bafu.admin.ch/magazin2015-2-03 KONTAKTE Roberto Loat Der revitalisierte Bach Aire bei Perly-Certoux (GE) südwestlich Stv. Sektionschef Risikomanagement von Genf. Bilder: Christof Angst BAFU 058 464 16 57 roberto.loat@bafu.admin.ch KONTAKT Bernard Loup Hugo Aschwanden Sektion Rutschungen, Lawinen und Schutzwald Sektionschef Revitalisierung und Gewässerbewirtschaftung, BAFU BAFU 058 464 76 70 058 465 50 98 hugo.aschwanden@bafu.admin.ch bernard.loup@bafu.admin.ch 19
umwelt 2/2015 > DOSSIER NATURGEFAHREN WARNEN UND ALARMIEREN Wenn der grosse Regen kommt Zeit ist Geld. Dies gilt auch bei der Bewältigung von Unwetterereignissen: Die Schäden lassen sich deutlich vermindern, wenn alle Betroffenen rechtzeitig gewarnt werden. Bei den Unwettern von 2005 lag diesbezüglich noch manches im Argen. Dank der Massnahmen, die seither im Rahmen des Projekts OWARNA getroffen wurden, funktioniert das System der Warnung und Alarmierung heute erheblich besser. Text: Elsbeth Flüeler 20
DOSSIER NATURGEFAHREN < umwelt 2/2015 2014 wird als Jahr ohne Sommer in die Geschich bei Naturgefahren (OWARNA). Das Ziel ist, die te eingehen. Anfänglich sah es zwar überhaupt Schäden mit rechtzeitiger Information um 20 Pro nicht danach aus, denn die ersten Juniwochen zent zu verringern – vor allem bei Hochwasser, waren warm und trocken. Doch dann sanken dem weitaus häufigsten Naturereignis. die Temperaturen, und der Regen setzte ein. Die Martin Buser leitet das Teilprojekt «Durchhalte meisten Regionen der Schweiz erhielten über fähigkeit und Krisenmanagement». Am 9. August den gesamten Sommer Regenmengen zwischen 2007 trat er seine Stelle beim BAFU an. Drei Tage 110 und 140 Prozent der Norm, lokal waren es danach setzte ein zweitägiger Starkregen ein. Der gar 200 Prozent. Die anhaltenden Niederschläge Pegel des Bielersees übertraf alle seit der zweiten führten zu Hochwassern, da und dort auch zu Juragewässerkorrektion in den 1960er-Jahren beob Überschwemmungen und Erdrutschen. achteten Werte – «wie um die Dringlichkeit von Mehrfach betroffen waren das Emmental (BE) OWARNA zu bestätigen», bemerkt Martin Buser. und das Entlebuch (LU). Gesamtschweizerisch In den darauffolgenden Jahren wurden Schritt hielten sich die Schäden aber in Grenzen. Gemäss für Schritt die Organisation und die Strukturen Schätzungen der Eidgenössischen Forschungs der Krisenbewältigung definiert und umgesetzt. anstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) lag die Schadenssumme der Ereignisse im Juli 2015 bei Besser und stärker vernetzt etwas mehr als 80 Millionen Franken. Die Naturgefahrenfachstellen auf Ebene Bund Es war auch eine Portion Glück dabei: Vielerorts und Kantone wurden vernetzt. Zudem wurde eine gingen die Niederschläge im Einzugsgebiet von Infrastruktur geschaffen, die es erlaubt, im Notfall bedrohlich angeschwollenen Fliessgewässern just zu agieren. Im BAFU gibt es heute einen speziel dann zurück, als die Lage kritisch wurde. len Führungsraum, ausgerüstet mit modernster Technik. Hier trifft sich bei grösseren Ereignissen Ereignisanalyse 2005 der Kernstab und schliesst sich mit den zustän 2014 kamen aber auch die Massnahmen zum Tra digen Stellen von Bund und Kantonen kurz. Der gen, die nach den Ereignissen vom August 2005 Stabschef informiert den Entscheidungsträger auf getroffen worden waren. Nach jenem Jahrhundert Bundesebene über die Lage und bereitet für ihn hochwasser hatte der damalige Bundesrat Samuel die Entscheidungsgrundlagen für eine Warnung Schmid das Bundesamt für Bevölkerungsschutz der kantonalen Behörden oder der Bevölkerung (BABS) mit einer Ereignisanalyse beauftragt. Des zeitgerecht vor. sen Bericht lag 2007 vor. «Die Behörden wussten Unterstützt wird der Kernstab durch die Natur mehr als die Bevölkerung, war seine zentrale gefahrenfachstellen des Bundes. Nebst dem BAFU Aussage», sagt Martin Buser von der Sektion Risi sind dies: das Bundesamt für Meteorologie und komanagement im BAFU. Wäre die Bevölkerung Klimatologie (MeteoSchweiz), die Forschungs Mobile Hochwasser- besser und rechtzeitig informiert worden, hätten anstalt für Wald, Schnee und Landschaft mit dem sperren – sogenannte sich viel Schaden und Leid verhindern lassen. Die Institut für Schnee- und Lawinenforschung (WSL/ Beaver-Schläuche – Schadenssumme von total 3 Milliarden Franken SLF) sowie der Schweizerische Erdbebendienst entlang der Reuss in wäre um eine halbe Milliarde tiefer ausgefallen. (SED). Sie beobachten und beurteilen laufend die Luzern. So hätten zum Beispiel mehrere Tausend Autos in Gefahrensituation in ihrem Fachbereich. Droht Bild: Beaver Schutzsysteme AG, Sicherheit gebracht werden können – allein dies ein Ereignis, sprechen sie sich gemäss einem ein Grosswangen eine Ersparnis von 90 Millionen Franken. gespielten Ablauf untereinander ab und schliessen sich, sobald vordefinierte Kriterien erfüllt sind, Früher warnen und alarmieren zum Fachstab Naturgefahren zusammen. Die Stürme, Lawinen und Überschwemmungen ser erarbeitet Prognosen, verfasst Bulletins und künden sich an, und zwar meist Tage oder zu Warnungen, gibt Verhaltensempfehlungen und mindest Stunden im Voraus. Es bleibt also Zeit, verschickt Medienmitteilungen. um Sicherheitsvorkehrungen zu treffen: Keller und Erdgeschoss räumen, Autos umparkieren, Gemeinsame Informationsplattform Sandsäcke abfüllen und verteilen oder sich in «Die Kommunikation mit allen Ebenen ist heute Sicherheit begeben. Vorausgesetzt, man wird sichergestellt», versichert Martin Buser. Eine zen rechtzeitig gewarnt. Gestützt auf den erwähnten trale Rolle für die Fachstellen der Kantone und Bericht lancierte der Bundesrat daher das Projekt Gemeinden spielt dabei die Gemeinsame Informa zur Optimierung von Warnung und Alarmierung tionsplattform Naturgefahren (GIN). Hier sind zum 21
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