Update 19 WS 14/15 HOCHSCHULE MAINZ - WIRTSCHAFT
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
WIRTSCHAFT HOCHSCHULE MAINZ UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCES Update 19 WS 14/15 Forschung + Wirtschaft
INHALT Editorial 3 Lehre und Studium Erfolgreich um Gehalt verhandeln Prof. Dr. Andrea Ruppert, Prof. Dr. Martina Voigt 5 Big-Data-Marketing: Chancen und Herausforderungen für Unternehmen Prof. Dr. Heinrich Holland, Pascal Rossa 11 E-Books – das Wachstum lockt neue Konkurrenten Anja Johanna Gäng, Prof. Dr. Andrea Beyer 22 Augmented Reality aus der Cloud Prof. Dr. Anett Mehler-Bicher, Lothar Steiger 30 A Low-cost, Standard-based Mobile ECG (ElectroCardioGraphy) Monitor – Tracking Your Heart Performance While Being on the Move Prof. Dr. Markus Nauroth 35 Lean Public Management – Prozessmanagement und -controlling als Instrument der Effizienzsteigerung und Kostensenkung in öffentlichen Betrieben Prof. Dr. Kai Wiltinger, Dr. Martin Weth 40 Der Fachbereich Wirtschaft im Überblick 46 Unternehmenspraxis Länderanalyse Taiwan Robert Herzner 49 Gezielte Förderung meritorischer Güter durch Gutscheine George Wyrwoll 53 Droht eine Blase am deutschen Wohnimmobilienmarkt? Michael Schiff 58 Hauptsache das Budget stimmt – Qualitätsjournalismus zwischen den Fronten und vor dem Aus? _ Udo Seiwert-Fauti 61 Ist die (Finanz-)Welt noch zu retten? – Die Regionalgeldidee könnte eine zielführende Antwort bieten! _ Dr. Johannes Engels 63 Die deutsche Automobilindustrie im 21. Jahrhundert Matthias Wissmann 68 Veränderte Rahmenbedingungen von KMU führen zu veränderten Anforderungen an die Unternehmensführung _ Fredy Mensching 70 Werte schaffen Wert _ Dr. Jan Sass 74 Unternehmensprofile Gerolsteiner Brunnen – Das Wasser mit Stern _ Heike Görres 80 AOK Rheinland-Pfalz/Saarland – Die Gesundheitskasse: Die richtige Entscheidung _ Dr. Irmgard Stippler 83 IPSWAYS – Aus Souveränität entsteht Innovation _ Michael Tonner 86 Impressum
Seit 1. September 2014 www.hs-mainz.de
EDITORIAL Der Sinn wird verdunkelt, wenn man nur kleine fertige Ausschnitte des Daseins ins Auge fasst. (DSCHUANG DSI) Prof. Dr. Andrea Beyer lehrt die Fächer Medienökonomie, Wirtschafts- journalismus, Kommunikationsmanagement und Betriebswirtschaft an der Hochschule Mainz. E-Mail: andrea.beyer@hs-mainz.de Artikel rund um das Thema „Neue Medien“ finden sich in fast Die volkswirtschaftliche Thematik ist mit vier Beiträgen in allen Ausgaben von Update. Das hat seinen Grund: Der Bereich dieser Ausgabe vertreten: Der Beitrag zum Einsatz von Gut- der Neuen Medien ist einerseits sehr schnelllebig und bringt scheinsystemen, stellt Fördermöglichkeiten für meritorische viele Innovationen hervor; andererseits gehen von den Neuen Güter vor. Hierbei handelt es sich allgemein um Güter, die für Medien Veränderungen aus, die für alle Unternehmensberei- die Gesellschaft als besonders wichtig angesehen werden, deren che Bedeutung besitzen. So finden sich auch in dieser Ausga- Konsum aber unter dem gewünschten Maße zurückbleibt. Kita- be wieder mehrere Beiträge zu dieser Thematik. Der Artikel zu Gutscheine, Bildungskarten oder der Familienpass sind konkre- Big-Data beschäftigt sich mit der Analyse der charakteristischen te Beispiele, die in anderen Ländern bereits zur Finanzierung Merkmale dieser Datenmengen, den 5 Vs: Volume, Variety, und Steuerung sozialpolitischer Ziele eingesetzt werden. Die Velocity, Veracity und Value. Big Data ist Teil der strategischen Analyse zum deutschen Wohnimmobilienmarkt greift einerseits und operativen Unternehmensführung und Unternehmenskul- eine Branchenentwicklung auf, untersucht andererseits aber tur, wodurch sich der Zusammenhang zwischen Neuen Medien auch mögliche, von diesem Sektor ausgehende Stabilitätsrisiken und betriebswirtschaftlichen Fragestellungen bestätigt. Ein wei- für die gesamte Wirtschaft. Der Artikel zu Regionalgeld greift terer Beitrag widmet sich dem Komplex von Augmented Reality, eine Idee auf, die erstmals von Silvio Gsell vor rund einhundert der Anreicherung realer Welten um computergenerierte Zusatz- Jahren systematisch entwickelt wurde. Der vierte Beitrag, die objekte. Neben den technischen Grundlagen zeigt dieser Artikel Länderanalyse Taiwan, zeigt vor allem die Wirtschaftslage und Anwendungsmöglichkeiten bspw. bei Werbemitteln oder Print- die internationalen Verflechtungen dieser Region, insbesondere medien. Damit wird die Bedeutung von Augmented Reality für mit China und Deutschland. den Marketing- und Kommunikationsbereich deutlich. Die be- Wenn alles mit allem verbunden ist, klingt das unstrukturiert, triebswirtschaftliche Bedeutung von Neuen Medien zeigt auch unübersichtlich und auch ein wenig unheimlich. Mikro- und der Beitrag über E-Books. In dieser Analyse wird nicht nur die makroökonomische Analysen zeigen in und zwischen den Be- Branche mit ihren Entwicklungen entsprechend dem Porter- reichen die Zusammenhänge, da die Welt nicht so einfach struk- Modell betrachtet. Es werden auch Handlungsempfehlungen turiert und übersichtlich ist. Das Verständnis kann mit diesen für die Strategie jener Unternehmen abgeleitet, die bereits in Analysen deshalb nur erleichtert werden. der Branche aktiv sind oder als Newcomer diesen Sektor als ren- tablen Investitionsbereich sehen. update 19 | ws 2014/2015 | editorial 3
LEHRE UND STUDIUM UNTERNEHMENS PRAXIS UNTERNEHMENS PROFILE 4 lehre und studium | update 7 | ws 08/09
ERFOLGREICH UM GEHALT VERHANDELN Andrea Ruppert, Martina Voigt Prof. Dr. Andrea Ruppert Prof. Dr. Martina Voigt lehrt und forscht auf den Gebieten Handels- lehrt und forscht auf den Gebieten Schlüssel- und Gesellschaftsrecht sowie Vertragsgestal- kompetenzen und Management Skills an der tung und Vertragsverhandlung an der Frank- Frankfurt University of Applied Sciences furt University of Applied Sciences. E-Mail: sokosch@fb3.fh-frankfurt.de E-Mail: ruppert@fb3.fh-frankfurt.de Die Autorinnen erforschen seit zehn Jahren gemeinsam die Verhandlungskompetenzen von Frauen und Männern bei Gehaltsverhand- lungen. 1. Darstellung und wissenschaftliche Begründung des Forschungsthemas Frauen verdienen in Deutschland nach wie vor deutlich weni- rung von Differenzen in Führungspositionen als weniger geeig- ger als Männer. Aktuell wird der Gender Pay Gap auf 22,4 % net angesehen, da sich Männer und Frauen in Führungsetagen beziffert, wobei sich diese Zahl auf die unbereinigte Lohnlücke hinsichtlich ihrer Humankapitalausstattung kaum unterschei- bezieht, die durch einfachen Vergleich der Bruttostundenlöhne den. Beblo et al. (2010) haben beispielsweise gezeigt, dass in von Frauen und Männern ermittelt wird. Mit dieser Differenz 80 % der westdeutschen und 63 % der ostdeutschen Betriebe von 22,4 % liegt Deutschland im EU-Vergleich an drittletzter erhebliche Lohnungleichheiten nach dem Geschlecht bestehen, Stelle (vgl. Eurostat 2014). Der Gender Pay Gap wird auf allen die sich nicht durch Bildungs- oder Erfahrungsunterschiede der Ebenen der vertikalen Arbeitsteilung festgestellt. Er ist in den Personen erklären lassen. letzten Jahrzehnten nicht wesentlich kleiner geworden und Einen weiteren Beitrag zur Erklärung der Verdienstunterschie- stellt somit ein beharrliches Moment der Ungleichheit zwi- de zwischen Frauen und Männern liefert die Devaluations schen den Geschlechtern dar. Wir sehen ihn darüber hinaus als hypothese. Nach diesem Ansatz, der auf dem Konzept des „do- Kernindikator für die gesellschaftliche Ungleichbehandlung von ing gender“ basiert, wird eine generelle Entwertung weiblicher Frauen im Erwerbsleben an, da sich in dem Gender Pay Gap fast Arbeiten und dementsprechende geringere Entlohnung ange- alle Problemfacetten verdichten, mit denen Frauen im Berufs- nommen (vgl. England et al. 2000; Liebeskind 2004). Alltäg- leben zu kämpfen haben (vgl. Bundesministerium für Familie, liche Interaktionsprozesse (re)produzieren geschlechtliche Ka- Senioren, Frauen und Jugend 2010, S. 2). tegorisierungen und diese wiederum aktivieren Geschlechter Zur Erklärung von geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden stereotype, darunter auch die Vorstellung, dass das männliche gibt es bereits zahlreiche Studien, jedoch beziehen sich nur weni- Geschlecht dem weiblichen überlegen sei, was u.a. dazu führt, ge davon explizit auf Führungskräfte (vgl. Holst/Busch 2009, S. 2). dass Männern (unter sonst gleichen Bedingungen) eine höhe- re berufliche Kompetenz und Leistungsfähigkeit zugeschrieben Ein theoretischer Ansatz, der regelmäßig zur Erklärung von Ver- wird (vgl. Holst/Busch 2009; Foschi 1996). dienstunterschieden herangezogen wird, ist die Humankapital- theorie, die die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern durch Letzteres ist gerade im Hinblick auf Führungspositionen von eine unterschiedliche Ausstattung mit Humankapital erklärt erheblicher Relevanz. Zum einen wird vor dem Hintergrund (vgl. Becker 1993). Allerdings wird dieser Ansatz für die Erklä- kulturell verankerter „gender status beliefs“ die weibliche Ge- update 19 | ws 2014/2015 | lehre und studium 5
Abb. 1: Die Erfolgsmodelle schlechterrolle und die Anforderungen einer Führungspositi- und lieferte zahlreiche Ergebnisse zu Verhandlungsverhalten, on als weniger passfähig eingeschätzt (Gmür 2004; Ridgeway Verhandlungskompetenzen und Verhandlungserfolg von Füh- 2001). Zum anderen wird in Führungsetagen die Vergütungs rungskräften (vgl. Ruppert/Voigt 2009), wobei die drei folgen- findung in der Regel nicht aufgrund von Arbeitsplatzbewer- den besonders markant waren: tungen vorgenommen, so dass der Einfluss gesellschaftlicher §§ W eibliche Führungskräfte schneiden in Gehaltsverhandlun- Wertvorstellungen, die in Deutschland noch stark auf tradierten gen schlechter ab als männliche. Rollenerwartungen beruhen, auf die Bewertung der Tätigkeiten von Führungskräften vermutlich sehr groß ist. §§ V erhandeln entlang der Grundsätze des Harvard-Konzeptes ist ein starker Erfolgsfaktor in Gehaltsverhandlungen (vgl. Die Untersuchung von Holst/Busch (2009) erbrachte das Er- Abbildung 1). gebnis, dass die geschlechtsspezifische Humankapitalausstat- tung etwa 28 % des Gender Pay Gaps und die geschlechtsspezi- §§ D as Festlegen einer Verhandlungsstrategie im Vorfeld einer fische Segregationsstruktur zusätzliche 15 % erklären können. Gehaltsverhandlung ist bei den männlichen Führungskräften Es bleibt also ein erheblicher nicht erklärter „Rest“, den die ein Erfolgsfaktor und bei den weiblichen ein Misserfolgsfak- Autorinnen auf „gesellschaftliche und kulturelle Rahmenbedin- tor (vgl. Abbildung 1). gungen“, darunter „mittelbar oder unmittelbar diskriminieren- Das in Abbildung 1 vorgestellte männliche und das weibliche de Praktiken auf dem Arbeitsmarkt und in den Unternehmen“ Erfolgsmodell zeigt die Quintessenz aus der multivariaten Ana- (Holst/Busch 2009, S. 31) zurückführen. lyse, die mittels einer logistischen Regression durchgeführt Aber auch Verhandlungsverhalten, Verhandlungskompetenzen wurde. Die in den Grafiken angegebenen exponierten Regressi- und Verhandlungsstrategien von Frauen und Männern haben onskoeffizienten geben die Chance für das Eintreten der abhän- einen erheblichen Einfluss auf die Höhe der Bezahlung und da- gigen Variablen an, in unserem Fall für den „Erfolg in Gehalts- mit auf den Gender Pay Gap (vgl. Ruppert/Voigt 2009; Sinus verhandlungen“. Sociovision 2008). In beiden Modellen nimmt der Harvard-Index eine heraus- ragende Stellung ein: Für die befragten Männer erhöhte sich 2. Ausgangspunkt: Ergebnisse der Studie von 2009 die Chance auf Verhandlungserfolg bei Einsatz der Prinzipien des Harvard-Konzeptes (vgl. Fisher et al. 2002) um den Faktor Ausgangspunkt für das hier vorgestellte Forschungsprojekt war 5,761. Bei den befragten Frauen ist der Faktor mit 2,624 kleiner, unsere 2009 veröffentlichte Studie „Genderspezifische Ver- aber immer noch so bedeutend, dass wir davon ausgehen, dass Verhandeln nach dem Harvard-Konzept für beide Geschlechter handlungskompetenzen und ihre Auswirkungen auf Gehalts- ein wichtiger Erfolgsfaktor in Gehaltsverhandlungen darstellt. und Aufstiegsverhandlungen“, mit der wir belegen konnten, dass der Einfluss der Verhandlung auf die unterschiedliche Kar- Auch das – zunächst einmal überraschende – Ergebnis hinsicht- riereentwicklung von weiblichen und männlichen Führungs- lich des Festlegens einer Verhandlungsstrategie im Vorfeld von kräften erheblich ist (vgl. Ruppert/Voigt 2009). Diese Studie Gehaltsverhandlungen lässt sich in den beiden Abbildungen ab- basierte auf einer Online-Befragung von 810 Führungskräften lesen. Während die Vorbereitung der Verhandlung durch Fest 6 lehre und studium | update 19 | ws 2014/2015
legung einer Strategie die Chance auf Erfolg bei den Männern In Film 2 verhandelt eine männliche Führungskraft mit einer um den Faktor 1,464 erhöhte, reduzierte sie sich bei den Frauen harten bzw. durchsetzungsorientierten Verhandlungsstrategie. um den Faktor 0,54, also auf etwa die Hälfte. In Film 3 verhandelt eine weibliche Führungskraft mit einer Eine Aufklärung dieses Befundes war aufgrund der gewählten kooperativen bzw. sachbezogenen Verhandlungsstrategie nach Methodik (Online-Befragung, standardisierter Fragebogen mit dem Harvard-Konzept. nur wenigen offenen Fragen) nicht möglich. In Film 4 verhandelt eine weibliche Führungskraft mit einer Ein denkbarer Erklärungsansatz könnte in dem in der Literatur harten bzw. durchsetzungsorientierten Verhandlungsstrategie. gelegentlich behaupteten Strategiedefizit von Frauen liegen. Zweites Element unseres methodischen Instrumentariums war Allerdings spricht die Auswertung der (wenigen) Antworten ein standardisierter Fragebogen, der neben verschiedenen an- auf die offene Frage („Sie haben angegeben, dass Sie zur Vor- deren Fragen (zur Person, zum Herkunftsunternehmen, zur ge- bereitung auf das Verhandlungsgespräch eine Strategie entwi- nerellen Einschätzung von Verhandlungstaktiken sowie Fragen ckelt haben. Bitte erklären Sie uns diese in kurzen Stichwor- zur Kontrolle potenzieller Störfaktoren) die beiden Fragen be ten“) zunächst einmal dagegen: Die beschriebenen Strategien inhaltete, mit denen wir den Verhandlungserfolg, also die ab- der männlichen und weiblichen waren gleichartig und gleich- hängige Variable in unserem Modell, gemessen haben: wertig. Weitere plausible Erklärungen sind, dass die Umsetzung der vorbereiteten Strategie bei den Frauen weniger erfolgreich §§ W ie viel Prozent Gehaltserhöhung wird der Mitarbeiter/die war, dass Frauen an der vorbereiteten Strategie festgehalten Mitarbeiterin aus dem Film Ihrer Meinung nach realisieren? haben, obwohl diese nicht angemessen war und dass aufgrund (abhängige Variable: Gehaltserhöhung im Film) von Rollenerwartungen und Stereotypisierungen gleiche Stra- §§ W ie viel Prozent Gehaltserhöhung würde der Mitarbeiter/die tegien beim Gesprächspartner unterschiedlich gut ankommen, Mitarbeiterin aus dem Film realisieren, wenn er mit Ihnen ver- je nachdem, ob sie von einem Mann oder einer Frau verfolgt handeln würde? (abhängige Variable: Gehaltserhöhung „real“) werden. Jede Führungskraft der Stichprobe sah nur einen Film, um ein Insbesondere der letztgenannte Erklärungsansatz lieferte uns Vergleichen zwischen den Geschlechtern sowie zwischen ko- für das Folgeprojekt die zentrale Forschungsfrage: Wie sind die operativer/sachorientierter und harter/durchsetzungsorientier- Chancen für Verhandlungserfolg einzuschätzen, wenn weibli- ter Verhandlungsstrategie auszuschließen. Es wurden insgesamt che und männliche Führungskräfte mit (a) einer harten/durch- 360 Probanden (90 je Film) in die Untersuchung einbezogen. setzungsbezogenen oder (b) einer kooperativen/sachbezogenen Strategie in der Gehaltsverhandlung agieren? 4. Hypothesen und Ergebnisse 3. Methodische Vorgehensweise Untersuchungsgegenstand war, wie bereits ausgeführt, der Ver- handlungserfolg in Gehaltsverhandlungen in Abhängigkeit vom Zur Untersuchung dieser Forschungsfrage entwickelten wir als Geschlecht der verhandelnden Person und der Verhandlungs- Forschungsdesign ein „Quasi-Experiment“. Untersucht wurde strategie. Die Formulierung der Hypothesen erfolgte auf der Ba- der Einfluss des Geschlechtes der verhandelnden Person und sis des beschriebenen Erkenntnisstandes. Erwartet hatten wir der Verhandlungsstrategie (unabhängige Variablen) auf den Er- die folgenden Effekte: folg in Gehaltsverhandlungen (abhängige Variable). Es handelte sich also um einen zweifaktoriellen Versuchsplan (vgl. Bortz/ Erster Haupteffekt Döring 2006, S. 531 ff.), welcher mithilfe von varianzanalyti- Der männliche Verhandler wird – sowohl im Film als auch schen Verfahren geprüft wurde. Das kontrollierte Setzen eines „real“ – unabhängig von der Verhandlungsstrategie als erfolgrei- Stimulus erfolgte durch das Abspielen eines Videoclips, in dem cher eingeschätzt als die weibliche Verhandlerin. die Probanden eine Gehaltsverhandlung zu sehen bekamen. Die Einschätzungen der Probanden wurden im Anschluss an das Die Daten weisen genau in die umgekehrte Richtung. Die Ver- Betrachten des Films durch einen standardisierten Fragebogen handlerin erzielt bei beiden Messgrößen für den Verhandlungs- erhoben. erfolg das bessere Ergebnis. Die Befragten erwarten im Mittel, dass die verhandelnde Frau (im Film) eine Gehaltserhöhung In den knapp fünfminütigen Clips wurden das Geschlecht der von 6,3 % erzielt, der verhandelnde Mann von 5,5 %. Hätten Person, die um ein höheres Gehalt verhandelt, sowie die ver- die Probanden selbst zu entscheiden, so fiele die Differenz der wendete Verhandlungsstrategie wie folgt variiert: durchschnittlichen Gehaltserhöhungen („real“) noch deutli- In Film 1 verhandelt eine männliche Führungskraft mit einer cher aus (vgl. Tabelle 1). In der Varianzanalyse wird dieser ge- kooperativen bzw. sachbezogenen Verhandlungsstrategie nach schlechtstypische Unterschied hochsignifikant (im Film: Sig. = dem Harvard-Konzept. ,001, „real“: Sig. = ,000). update 19 | ws 2014/2015 | lehre und studium 7
der durchsetzungsorientierten Strategie auseinander, wenn die Durchschnittliche Gehaltserhöhung im Film „real“ Probanden selbst („real“) zu entscheiden hätten. In diesem Fall Mann 5,5 % 5,7 % bekäme die verhandelnde Frau eine durchschnittliche Gehalts- erhöhung von 6,9 % und der Mann eine von nur 5,4 %. Frau 6,3 % 7,1 % Interessant ist hier auch noch ein weiteres Einzelergebnis: Bei Tab. 1: Durchschnittlicher Verhandlungserfolg nach Geschlecht der verhan- der Variablen „Gehaltserhöhung im Film“ wird die durchset- delnden Person zungsorientiert verhandelnde Frau sogar als minimal erfolgrei- Insofern konnten wir unsere erste Hypothese nicht bestätigen. cher eingeschätzt als die kooperativ verhandelnde. Zweiter Haupteffekt Durchschnittliche Gehaltserhöhung im Film „real“ Die kooperative, sachbezogene Verhandlungsstrategie wird un- Mann kooperativ 5,7 % 6,0 % abhängig vom Geschlecht – sowohl im Film als auch „real“ – als erfolgreicher eingeschätzt als die harte, durchsetzungsbezogene. Frau kooperativ 6,2 % 7,3 % Auch die zweite Hypothese konnten wir nicht bestätigen. Es Mann durchsetzungsorientiert 5,4 % 5,4 % zeigt sich zwar ein kleiner Vorteil bei Einsatz der kooperativen Frau durchsetzungsorientiert 6,3 % 6,9 % Verhandlungsstrategie insbesondere für den Fall, dass die Pro- banden selbst über die Gehaltserhöhung zu entscheiden hätten. Tab. 3: Durchschnittlicher Verhandlungserfolg nach Geschlecht der verhan- Dieser ist allerdings minimal und wird in der Varianzanalyse delnden Person und nach Verhandlungsstrategie auch nicht signifikant (vgl. Tabelle 2). 5. Sonderauswertung für die Finanzbranche Durchschnittliche Gehaltserhöhung im Film „real“ Die Finanzbranche ist für das Rhein-Main-Gebiet von besonde- Kooperative Strategie 5,9 % 6,7 % rer Bedeutung. Sie ist in der Gesamtstichprobe mit insgesamt 70 Probanden stark berücksichtigt. Da sich diese 70 Befragten Durchsetzungsorientierte Strategie 5,8 % 6,1 % nahezu ideal auf die vier Filme verteilen, war mit der Varianz- Tab. 2: Durchschnittlicher Verhandlungserfolg nach Verhandlungsstrategie analyse eine Sonderauswertung für den Finanzsektor möglich. Die für diese Subgruppe erzielten Ergebnisse stellen die zu Pro- Interaktionseffekt jektbeginn formulierten Hypothesen nun vollends auf den Kopf. Hier zeigt sich der von uns erwartete Interaktionseffekt, näm- Der Unterschied im erwarteten Verhandlungserfolg zwischen lich dass ein Geschlecht bei Einsatz der harten/durchsetzungs- dem Verhandler und der Verhandlerin ist – sowohl im Film als orientierten Strategie noch schlechter abschneiden würde als auch „real“ – deutlicher ausgeprägt bei der harten durchset- das andere. Allerdings ist dies entgegen unseren Erwartungen zungsbezogene Verhandlungsstrategie. nicht das weibliche, sondern das männliche! Diese dritte Hypothese greift die Überlegung auf, dass die bei- Dem kooperativ verhandelnden Mann wird mit 5,9 % eine bes- den Strategien in Abhängigkeit vom Geschlecht der verhandeln- sere „Gehaltserhöhung im Film“ zugestanden als der kooperativ den Person bei den befragten Führungskräften unterschiedlich verhandelnden Frau mit 5,4 %. Bei Verwendung des durchset- gut ankommen. Konkret hatten wir die Erwartung, dass hartes/ zungsorientierten Verhandlungsstils sieht es genau umgekehrt durchsetzungsorientiertes Verhandeln (immer noch) nicht aus. Die Verhandlerin erzielt eine durchschnittliche Gehaltser- zu den Rollenerwartungen an das weibliche Geschlecht passt höhung von 6,1 %. Der Wert für den Verhandler liegt mit 5,2 % und die Frau im Film daher bei Einsatz dieser Strategie relativ deutlich darunter (vgl. Abbildung 2a). schlechter abschneiden würde als der Mann. Bei der Variablen „Gehaltserhöhung real“ (vgl. Abbildung 2b) Wie Tabelle 3 veranschaulicht, ist auch diese dritte Hypothese ändert sich das Bild leicht, indem die Frau mit beiden Strate- zurückzuweisen. gien besser abschneidet als der Mann. Ihr Vorteil fällt bei Ver- wendung der durchsetzungsorientierten Strategie (Frau: 6,8 %; Die verhandelnde Frau „schlägt“ den Mann in allen vier Kons- Mann: 5,0 %) allerdings deutlich größer aus als bei Verwendung tellationen. Am wenigsten unterscheiden sich die durchschnitt- der kooperativen Verhandlungsstrategie (Frau 6 %; Mann 5,9 %). lich vorhergesagten Gehaltserhöhungen (im Film), wenn bei- de nach der kooperativen Strategie verhandeln (Mann: 5,7 %; Aufgrund der relativ kleinen Fallzahl von n= 70 werden diese Frau 6,3 %). Am weitesten klaffen die Ergebnisse bei Einsatz Effekte in der Varianzanalyse allerdings nicht signifikant. 8 lehre und studium | update 19 | ws 2014/2015
Abb. 2a: Gehaltserhöhung im Film Abb. 2b: Gehaltserhöhung „real“ 6. Zusatzauswertung: Die Rolle der Sympathie Ergebnisse weiterhin offen bleiben. In diesem Punkt sind sich, nebenbei angemerkt, auch die befragten Führungskräfte ausge- Bei der Konzeption des Forschungsdesigns war uns bewusst, sprochen uneinig. dass wir die Sympathie gegenüber den beiden in den Filmen Bei den befragten Männern überwiegt die Einschätzung, dass agierenden Personen als mögliche Störgröße zu berücksichtigen Frauen keine anderen Strategien und Taktiken einsetzen sollten hatten. Daher wurde in den Fragebogen die Frage „Wie sympa- als Männer; die befragten Frauen verteilen sich jeweils exakt thisch finden Sie den Mitarbeiter?“ (bzw. „die Mitarbeiterin“ in zur Hälfte auf die beiden Positionen (vgl. Abbildung 3) den Fällen in denen die Filme mit der Verhandlerin gezeigt wur- den) aufgenommen. Zusatzauswertungen, die diese Variable einbeziehen, sprechen nun eine ganz deutliche Sprache und rücken einen Einfluss- faktor in den Mittelpunkt, der ursprünglich gar nicht Unter- suchungsgegenstand war: Der Grad an Sympathie gegenüber der verhandelnden Person ist für die Entscheidung über eine Gehaltserhöhung ganz wesentlich. Die Korrelation zwischen den Variablen „Sympathie“ und „Gehaltserhöhung im Film“ fällt mit ,311 (Sig. = ,000) schon deutlich aus und erhöht sich bei der zweiten Erfolgsvariablen „Gehaltserhöhung real“ noch einmal auf ,429 (Sig. = ,000). Die Erweiterung des ursprüng- lichen zweifaktoriellen Modells, in dem nur die Strategie und das Geschlecht der verhandelnden Person als unabhängige Va- riable einbezogen waren, um einen dritten Faktor Sympathie in der Varianzanalyse liefert ein ähnlich deutliches Ergebnis. Der Faktor Sympathie wird hochsignifikant und erklärt ca. 10 % der Varianz bei der abhängigen Variablen „Gehaltserhöhung im Film“ (Sig. = ,000) und ca. 15% der Varianz bei der abhängigen Variablen „Gehaltserhöhung real“ (Sig. = ,000). Abb. 3: Sollen Frauen teilweise andere Strategien und Taktiken einsetzen als Männer? 7. Fazit Ganz deutlich herauskristallisiert hat sich hingegen: Sympathie Eine wichtige Ausgangsfrage, ob Frauen andere Verhandlungs- schlägt Strategie! strategien nutzen sollten als Männer, um in Gehaltsverhand- lungen erfolgreich zu sein, muss aufgrund dieser empirischen update 19 | ws 2014/2015 | lehre und studium 9
Für die Vorbereitung und das Training im Hinblick auf Verhand- Der zweite, ganz spannende, Befund lautet salopp formuliert: lungskompetenz ist der Schwerpunkt insofern nicht vorrangig Toughe Frauen sind auf dem Vormarsch. Zumindest im Finanz- auf die Anwendung der „richtigen“ Strategie zu legen. Vielmehr sektor zeigt sich dies auf beeindruckende Weise. Demnach kann muss den Fragen „Wie kann ich den Beziehungsaufbau zu mei- die Empfehlung an Frauen, die eine Gehaltsverhandlung erfolg- nem Gegenüber fördern?“ und „Was kann ich tun, damit dieser reich führen wollen, nur lauten: Keine übertriebene Scheu vor mich als sympathisch wahrnimmt?“ große Aufmerksamkeit ge- durchsetzungsorientierten Strategien und Taktiken! schenkt werden. LITERATUR Beblo, M., Ohlert, C., Wolf, E. (2010): Logib-D und der Gmür, M. (2004): Was ist ein „idealer Manager” und was gender pay gap in deutschen Unternehmen, Vortrag auf der eine „ideale Managerin”? Geschlechterrollenstereotypen Tagung des Ökonominnen-Netzwerkes efas 25./26. Novem- und ihre Bedeutung für die Eignungsbeurteilung von Män- ber 2010. nern und Frauen in Führungspositionen, in: Zeitschrift für Personalforschung, Vol. 18, S. 396–417. Becker, G. S. (1993): Human Capital, New York. Holst, E., Busch, A. (2009): Der „Gender Pay Gap” in Bortz, J., Döring, N. (2006): Forschungsmethoden und Eva- Führungspositionen der Privatwirtschaft in Deutschland, luation für Human- und Sozialwissenschaftler, Heidelberg. SOEPpapers on Multidisciplinary Panel Data Research, Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und 169, Berlin. Jugend (Hrsg.) (2010): „Verringerung des Verdienstabstan- Liebeskind, U. (2004): Arbeitsmarktsegregation und Ein- des zwischen Männer und Frauen“, Berlin. kommen – vom Wert weiblicher” Arbeit, in: Kölner Zeit- England, P., Hermsen, J. M., Cotter, D. A. (2000): The schrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Vol. 56, devaluation of women’s work: A Comment on Tam, in: Ame- S. 630–652. rican Journal of Sociology, Vol. 105, No. 6, p. 1741–1751. Ridgeway, C. L. (2001): Interaktion und die Hartnäckig- Eurostat (Hrsg.) (2014): Geschlechtsspezifischer Lohnun- keit der Geschlechter-Ungleichheit in der Arbeitswelt, in: terschied ohne Anpassungen, http://epp.eurostat.ec.europa. Heintz, B. (Hrsg.): Geschlechtersoziologie, Sonderheft 41 eu/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode= der Kölner Zeitschrift für Soziologie, Opladen, S. 250–275. tsdsc340&plugin=0, Abruf 15.05.2014. Ruppert, A., Voigt, M. (2009): Gehalt und Aufstieg: MY- Fisher, R., Ury, W., Patton, B. (2002): Das Harvard-Kon- THEN – FAKTEN – MODELLE erfolgreichen Verhandelns, zept, 21. Aufl., Frankfurt am Main. Aachen. Foschi, M. (1996): Double Standards in the Evaluation of Sinus Sociovision (Hrsg.) (2008): Qualitativer Sensor: Men and Women, in: Social Psychology Quaterly, Vol. 59, „Zusammenhang von objektiver Entgeltungleichheit und Nr. 3, p. 237–254. den Einstellungen/Motiven bei Gehaltsverhandlungen“. 10 lehre und studium | update 19 | ws 2014/2015
BIG-DATA-MARKETING: CHANCEN UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR UNTERNEHMEN Heinrich Holland, Pascal Rossa Prof. Dr. Heinrich Holland Pascal Rossa lehrt Quantitative Methoden der Betriebs- ist freier Online-Marketing-Consultant. wirtschaftslehre und Marketing an der Hoch- Mit seiner Diplomarbeit zum Thema Big- schule Mainz. Data-Marketing gewann er den Alfred Gerardi E-Mail: heinrich.holland@hs-mainz.de Gedächtnispreis 2013 in der Kategorie „Beste Diplomarbeit Akademien“. Diese schrieb er im Rahmen des Fachwirt Online-Marketing BVDW Studiums an der Deutschen Dialog marketing Akademie (DDA). Seit 2002 arbeitet der studierte Jurist im Bereich der Konzeption und Realisierung von webbasier- ten Software-Lösungen sowie der Online- Marketing-Beratung für zahlreiche namen hafte Unternehmen. E-Mail: rossa@creatissimo.net 1. Big Data „Big Data“ ist in Deutschland seit Mitte des Jahres 2012 eines Vom Begriff abgeleitet, bedeutet „Big Data“ zunächst nur „gro- der Hype-Themen und wird facettenreich diskutiert. Zum einen ße Datenmengen“. Diese Bedeutung kennzeichnet jedoch nur werden die verschiedenen Anwendungsbereiche erörtert – vom seinen Kern. Einsatz im Gesundheitswesen, über den Einsatz im Sicherheits- Die BITCOM stellt folgende Definition auf: „Big Data bezeich- bereich und in der öffentlichen Verwaltung bis hin zum Einsatz net den Einsatz großer Datenmengen aus vielfältigen Quellen mit im Marketing. Zum anderen findet eine Auseinandersetzung einer hohen Verarbeitungsgeschwindigkeit zur Erzeugung wirt- mit der technischen und rechtlichen Seite von Big Data statt schaftlichen Nutzens.“ Weiter beschreibt sie: „’Big Data‘ liegt im- (Rossa/Holland 2014). mer dann vor, wenn eine vorhandene Unternehmensinfrastruk- Das Beratungsunternehmen Gartner hat Big Data im Jahr 2011 tur nicht mehr in der Lage ist, diese Datenmengen und Daten- zum ersten Mal in seinen Hype Cycle „Emerging Technologies“ arten in der nötigen Zeit zu verarbeiten.“ (BITKOM 2012, S. 21) aufgenommen (Pettey/Goasduff 2011). Nach dem aktuellen Hype Diese Definition zeigt die Vielschichtigkeit von Big Data. Mit Cycle befindet sich Big Data am Ende der ersten von fünf Phasen, den Merkmalen „große Datenmenge“, „Vielfältigkeit“ und „hohe der „Technology-Trigger“-Phase, und nähert sich der zweiten Pha- Geschwindigkeit“ charakterisiert sie eine bestimmte Konstella- se an, dem „Peak of Inflated Expectations“. Nach Einschätzung tion von Daten. Im weiteren Sinne kann man unter Big Data von Gartner wird Big Data in zwei bis fünf Jahren das Plateau der den Einsatz dieser Daten zur Stiftung wirtschaftlichen Nutzens Produktivität erreicht haben (LeHong/Fenn 2012). verstehen. Big Data wird so zu einem Teil der strategischen und Auf Unternehmensseite ist das Interesse an dem Thema zwar operativen Unternehmensführung und Unternehmenskultur. groß, doch wissen die meisten Unternehmen nicht, wie und wo- Dies klingt auch im zweiten Teil der Definition mit der Erwäh- für sie Big Data konkret einsetzen könnten. Als eine der Hürden nung der Herausforderungen an die Unternehmensinfrastruk- am Markt gilt der Mangel an Anwendungsbeispielen (BITKOM tur an. Diese lässt sich in eine institutionelle, personelle und 2012, S. 51). materielle Infrastruktur unterteilen (Buhr 2003, S. 4 ff.). update 19 | ws 2014/2015 | lehre und studium 11
Die materielle Infrastruktur umfasst die in Big Data enthaltene Millionen Jahren entsprechen, sondern auch verglichen mit den informationstechnologische Komponente. Je nach Umfeld las- heutigen oben genannten Dimensionen kann man dem DOME- sen sich auch einige Big-Data-Definitionen finden, die vor al- Projekt zweifelsohne „Big Data“ bescheinigen. Es übertrifft lem auf die IT abstellen (Bange et al. 2013, S. 12; Dumbill 2012, selbst den vermeintlichen Datenriesen Facebook, der täglich S. 9). Dieser Aspekt wird aufgrund des Schwerpunkts auf das 500 Terrabyte Daten verarbeitet, um das 28.000-fache und lässt Marketing im Folgenden lediglich am Rande behandelt. somit daran zweifeln, ob die heutigen Datenmengen wirklich „Big“ sind (Kling 2012). 2. Die fünf „Vs“ von Big Data Betrachtet man zudem die „Mooresche Gesetzmäßigkeit“ (Moore 1965, S. 114 ff.), nach der sich die Kapazität der Daten- Die oben genannten drei charakteristischen Merkmale werden verarbeitung alle zwölf bis vierundzwanzig Monate verdoppelt, in Publikationen unter Verwendung der Begriffe Volume, Vari- so kommt man zu dem Schluss, dass die Festlegung einer ab- ety und Velocity zu den drei Vs des Big Data zusammengefasst soluten Grenze für die Größe von Big Data nicht möglich und (Gartner 2013; Haberich 2012, S. 46 f.). IBM ergänzt als viertes nicht sinnvoll ist. Würde man eine derartige Festlegung treffen, V Veracity, die Wahrhaftigkeit bzw. Qualität der Daten (Ziko würde sich Big Data qua Definition schnell überleben. Selbst poulos et al. 2013, S. 9). Das nach obiger Definition genannte das DOME-Projekt würde irgendwann den Charakter von Big Ziel von Big Data – die Erzeugung wirtschaftlichen Nutzens – Data verlieren. lässt sich durch den Begriff Value als fünftes V ergänzen. Diese In Betracht käme die Definition der Größe in Relativität zu den „5 Vs“ sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. aktuellen Verarbeitungs- und Speichermöglichkeiten. Fraglich ist jedoch, ob dies sinnvoll ist. Allein aufgrund des zeitlichen 2.1 Volume: Wie groß ist „Big“? Fortschritts könnten so Big-Data-Projekte zu Nicht-Big-Data- Der große Datenumfang ist das, was Big Data zunächst den Projekten werden. Namen gab. Doch was bedeutet groß? Unzweifelhaft steigt das Schließlich ließe sich Größe auch im Sinne der Anzahl der ver- Datenaufkommen zusehends. Allein von 2000 bis 2002 wurden wendeten Datensätze interpretieren. In diesem Fall ist es nicht mehr Daten generiert als in den 40.000 Jahren zuvor (BITKOM aufgrund der zeitlichen Veränderung, wohl aber aufgrund der 2012, S. 12). Nach einer Studie wird das Datenvolumen von unterschiedlichen Konstellationen der Einzelfälle nicht sinn- 2005 bis 2020 um Faktor 300 von 130 Exabyte auf 40 Zettabyte voll, eine absolute Anzahl an Datensätzen als Grenze zu fixie- wachsen und sich damit etwa alle zwei Jahre verdoppeln (Ganz/ ren. Vielmehr ist darauf abzustellen, ab wann ein Mehr an Da- Reinsel 2012, S. 1). ten zu einer signifikanten Veränderung des Ergebnisses und der Wird heute zum Teil schon die Verwendung von Daten im Giga- daraus abgeleiteten Erkenntnisse und des Nutzens führt. und Terrabytebereich als Big Data bezeichnet, plant IBM zu- Big Data ist im Ergebnis nicht „Big“, wenn gewisse Datengrößen sammen mit ASTRON im DOME-Projekt das Sammeln von 14 überschritten werden, sondern erst, wenn die Menge der einge- Exabyte Daten pro Tag. Diese müssen verarbeitet und täglich in setzten Daten zu einem Ergebnis führt, das mit weniger Daten einer Größe von einem Petabyte gespeichert werden (Engber- nicht hätte erreicht werden können. sen 2013). Nicht nur, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Exabyte Daten digitalisierter Musik einer Abspieldauer von zwei 2.2 Variety: Wie unterschiedlich sind Big-Data- Daten? Die immer größer werdende Datenmenge entsteht nicht zuletzt aufgrund der ständigen Zunahme der Datenquellen. Smart phones, Social Media, Internet-Transaktionen, aber auch Ka- meras und Sensoren und das Internet der Maschinen produzie- ren immer mehr Daten. Mit der Vielfalt der Quellen geht die Bandbreite der Datenarten und -strukturen einher. Anhand der Struktur lassen sich Daten grob in drei Arten unterteilen: struk- turierte, semistrukturierte und unstrukturierte Daten. Unter strukturierten Daten versteht man Daten, die eine gleich- artige Struktur aufweisen. Deren Anordnung und Verknüpfung erfolgt in einer bestimmten Art und Weise. Strukturierten Da- ten liegt ein zuvor festgelegtes Datenbankmodell zugrunde, das Abb. 1: Das Wachstum des weltweiten Datenaufkommens 2005–2020 die einzelnen Datenelemente und die Relationen untereinander Quelle: Eigene Darstellung definiert. Die Struktur ermöglicht eine effiziente Verwaltung 12 lehre und studium | update 19 | ws 2014/2015
und einen einfachen Zugriff auf die Daten. Ein Beispiel für der- Nicht nur auf der Seite der Datenentstehung, sondern auch artige Datenstrukturen sind SQL-Datenbanken. bei der Datenverwendung ändern sich im Sinne von Big Data die Anforderungen an die Geschwindigkeit. Kennzeichen von Im Gegensatz zu strukturierten Daten weisen semistrukturier- Big Data ist es, dass die Daten schnell verarbeitet werden. Gilt te Daten kein allgemeingültiges einheitliches Schema auf. Sie bei Business-Intelligence-Analysen die tägliche Datenverarbei- implizieren die Strukturinformation, auch wenn diese nicht tung als schnell, so meint Big Data damit eine realtime- oder immer offensichtlich ist. Im Gegensatz zu strukturierten Daten near-realtime-Verarbeitung. Auch hier ist es nicht möglich und sind mit semistrukturierten Daten tiefe, unregelmäßige und sinnvoll, einen starren Grenzwert zu fixieren. Je nach Anwen- volatile Strukturen ohne wiederkehrende Komponenten dar- dungsfall können Verarbeitungsgeschwindigkeiten im Millise- stellbar, was einen flexibleren Einsatz ermöglicht. Gleichzeitig kundenbereich bis hin zu Sekunden, Minuten oder gar Stunden verursacht das Mehr an Flexibilität auch ein Mehr an Aufwand realtime bzw. near-realtime entsprechen. beim Auslesen und Verarbeiten der Daten (Abiteboul et al. 2000, S. 11 ff.). Semistrukturierte Daten, die auch als struktur- Die Steuerung der Auslieferung bestimmter Banner auf einer tragende oder sich selbsterklärende Daten bezeichnet werden, Homepage, basierend auf einer Big-Data-Analyse, erfordert eine sind z.B. die im Internet weit verbreiteten HTML-, XML- oder Antwort innerhalb weniger Millisekunden. Wird aufgrund einer JSON-Dateien, aber auch E-Mails, die zumindest im Header Big-Data-Analyse ein neues Produkt evaluiert, können hingegen eine gewisse Struktur aufweisen. Minuten bis Stunden ausreichend sein. Diese schnelle Art der Datenverarbeitung wird unter den Fachtermini „Komplexes Unstrukturierte Daten kommen, wie der Name vermuten lässt, Event-Processing“ und „Streaming-Data“ zusammengefasst ohne jegliche formale Struktur daher. Die fehlende Struktur (Klausnitzer 2013, S. 91 ff.). erschwert die automatische Verarbeitung. Die Modellierung dieser Daten, um automatisch zu verarbeitende Strukturen zu Technologisch wird dieser Anforderung derzeit mit den soge- gewinnen, ist oft mit einem Informationsverlust verbunden. nannten In-Memory-Datenbanken und der von Google entwi- ckelten MapReduce-Technologie entsprochen, die ein paralle- Neben der manuellen Strukturierung der Daten werden unter- lisiertes Verarbeiten einzelner Abfragen ermöglichen (Dean/ schiedliche Verfahren zu deren Aufbereitung eingesetzt. Dies Ghemawat 2004, S. 1 f.). sind z.B. Textanalysen und Textmining, maschinenlernende Systeme, basierend auf latent semantischer Analyse (Deerwes- 2.4 Veracity: Welche Qualität haben Big-Data-Daten? ter et al. 1990, S. 391 ff.), statistischer Bayes-Klassifikation oder neuronalen Netzen (Rey/Wender 2011) sowie linguistischen Menge und Vielfalt der Big-Data-Daten bringen Unterschiede in Verfahren (Carstensen et al. 2010; Ertel 2009, S. 179 ff.; Man- der Qualität der Daten mit sich. Das Anstreben einer möglichst ning et al. 2009). Auf Basis dieser Verfahren werden dann bei- hohen Datenqualität ist auch bei Big Data empfehlenswert. Al- spielsweise mittels Sentimentanalysen die Stimmungslagen in lerdings hat man nicht immer Einfluss auf die Qualität der Da- sozialen Netzwerken analysiert. ten und muss deren Volatilität in Kauf nehmen. Betrachtet man strukturierte und semistrukturierte Daten auf So lässt sich beispielsweise eine gewisse Ungenauigkeit in der der Ebene eines einzelnen Datums, kann dieses selbst unstruk- Standortbestimmung per GPS in den Häuserschluchten von turiert sein. So ist z.B. die Nachricht einer E-Mail als Text un- New York nicht vermeiden. Denkt man weiter an die von Men- strukturiert, wohingegen die E-Mail als solche semistrukturiert schen erfassten Texte, so kann man sich vorstellen, wie die je- ist. Gleiches gilt für einen Text in einer strukturierten Daten- weilige Aufrichtigkeit und Stimmung Einfluss auf die Qualität bank. dieser haben kann (Schroeck et al. 2012, S. 5). Neben der Quali- tät der Daten selbst kann auch die Verarbeitung und Auswertung Neben Texten zählen auch Bilder, Videos oder Töne zu unstruk- der großen Datenmengen zur Qualitätsminderung beitragen. turierten Daten. Schätzungen zufolge sind rund 85 % aller Da- ten unstrukturiert und beherbergen eine Fülle an nützlichen 2.5 Value: Welchen Wert haben Big-Data-Daten? Informationen (BITKOM 2012, S. 12; Goetz 2012). Wie eingangs beschrieben, werden die großen Datenmengen 2.3 Velocity: Wie schnell ist schnell? unterschiedlicher Struktur und Qualität erst dann zu Big Data im weiteren Sinne, wenn daraus schnell Erkenntnisse und Nut- Daten zu erheben, zu speichern und zu verarbeiten ist nicht zen generiert werden können. Diese Erkenntnisse sind der neu. Was sich bei Big Data ändert, ist die zeitliche Dimension. Mehrwert von Big Data. Die Geschwindigkeit nimmt in der Datenentstehung, der Spei- cherung sowie in der Datenverarbeitung zu. Das oben beschrie- Wenn man die oben erörterten charakteristischen Merkmale bene Datenwachstum geht damit einher, dass in der gleichen von Big Data zugrunde legt, würde der Nutzen durch den Ein- Zeit immer mehr Daten entstehen. Diese müssen verarbeitet satz einer großen Zahl von Datensätzen unterschiedlicher Quel- und zum Teil auch gespeichert werden. len und Qualität entstehen. Fraglich ist, ob immer alle Merk- update 19 | ws 2014/2015 | lehre und studium 13
tent Management System), CRM (Customer Relationship Ma- nagement), ECMS (Enterprise Content Management System), FiBu (Finanzbuchhaltung) und Webshop bilden ihr eigenes Ecosystem und speichern ihre Daten in separaten Datenbanken. Einige Unternehmen überführen Teile dieser Daten in ein Data- Warehouse. Ein Data-Warehouse ist auf strukturierte und gut dokumentierte Daten mit einer durch das Datenmodell sichergestellten Inte- grität ausgelegt. Weiter ist ein Data-Warehouse entsprechend den vom Fachbereich definierten Anforderungen aufgebaut. Die Herangehensweise ist demnach so, dass zunächst die Fra- gen, die durch die Analyse beantwortet werden sollen, definiert werden. Anhand der notwendigen Analyse wird dann das Data- Warehouse aufgebaut oder erweitert. Die Berichtgenerierung im Data-Warehouse erfolgt periodisch (BITKOM 2012, S. 24 ff.). Um von der explorativen Big-Data-Analyse profitieren zu kön- nen, müssen die Unternehmen eine technische Big-Data-Platt- Abb. 2: Die „5 Vs“ von Big Data, Quelle: Rossa/Holland 2014 form kreieren und zur Verfügung stellen. Besteht bereits ein Data-Warehouse, könnte dies nach Ansicht von IBM um gewisse Big-Data-Komponenten erweitert werden (Thomas 2013). Die- se müssen unstrukturierte Daten in all ihren Formen speichern. Darüber hinaus müsste diese Big-Data-Plattform auch die so- male erfüllt sein müssen, um eine Unternehmung als Big Data genannte Data in Motion, die auch Streaming Data genannt einzustufen. Auch wenn die volle Kraft zumeist in der Kombi- werden, verarbeiten können. Streaming Data sind Daten, die, nation von Datenquellen liegt, könnte man sich vorstellen, dass zumindest in einem gewissen Zeitintervall, permanent anfal- das Fehlen dieser Variety durch eine sehr große Menge von Da- len und in Echtzeit in die Big-Data-Plattform integriert werden tensätzen einer Quelle ausgeglichen werden kann. müssen. Nur so werden Echtzeit-Analysen ermöglicht. Big Data beschreibt mehr die Art der Datennutzung und eine Neben diesen Anforderungen an die Integration muss die Big- dementsprechende Philosophie, als dass es um die rein formale Data-Plattform auch die unstrukturierten Daten durch Ver- Einordnung einer Unternehmung anhand der oben genannten fahren wie Sentiment-Analysen verarbeiten. Die Verarbeitung Kriterien als Big Data geht. Big Data ist mehr als die Summe von sämtlicher Daten muss in der Big-Data-Plattform so performant Kriterien und vor allem mehr als die Summe seiner Daten. Im sein, dass die Abfragen in realtime bzw. near-realtime verarbei- Kontext dieses Beitrags wird Big Data so verstanden, dass sich tet werden können. Techniken, die hierfür zum Einsatz kom- durch das Zusammenspiel der Kriterien ein Nutzen ergibt, der men, sind MapReduce Cluster und InMemory-Datenbanken ohne diese nicht hätte erreicht werden können. (Gimnich 2013). Derartige Plattformen sind derzeit noch relativ neu und mit 3. Herausforderungen auf dem Weg zum Big-Data- entsprechenden Kosten verbunden. Jedoch ist aufgrund der Unternehmen technischen Entwicklungen und der Moorschen Gesetzmäßig- keit damit zu rechnen, dass diese Techniken schon bald sehr 3.1 Datenhaltung und Technik viel günstiger erhältlich sein werden (Moore 1965). Eine Studie zeigt, dass derzeit 53 % der befragten Unternehmen Probleme Big-Data-Marketing bedeutet für Unternehmen eine große mit der Datenintegration haben. Die aufgezeigten Entwicklun- Chance. Gleichzeitig stellt es sie aber vor zahlreiche Herausfor- gen könnten dabei helfen, diese Probleme zu beseitigen und für derungen bezüglich der Technik, der Strukturen und dem Um- eine Big-Data-Basis zu sorgen (Kraus 2013, S. 18). gang mit den Daten. Diese müssen gelöst werden, um von Big Data profitieren zu können. 3.2 Prediction versus Reporting Die Basis für Big Data bilden viele Datensätze unterschiedlicher Stellt ein Unternehmen allein die technische Plattform zur Ver- Struktur und eine Technik, die deren Speicherung und schnel- fügung, ist zwar ein wichtiger Grundstein gelegt, Big Data wird le Verarbeitung ermöglicht. Heute findet man in Unternehmen jedoch nicht zur vollen Entfaltung kommen. Wie bereits aufge- oftmals verteilte Datensilos vor. Die unterschiedlichen Anwen- zeigt ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Big- dungen wie ERP (Enterprise Ressource Planning), CMS (Con- Data-Welt und Small-Data-Welt, dass Big Data mehr als nur ret- 14 lehre und studium | update 19 | ws 2014/2015
rospektive Analysen ermöglicht. Big Data versucht, die Zukunft 3.3 Personal und Strukturen vorherzusagen. Um diese Vorhersagen zu erstellen, müssen sich Die Daten, die Technik und der Mut, sich auf Big-Data-Vorhersa- Unternehmen darauf einlassen, sich an Daten und Algorithmen gen einzulassen, allein reichen nicht aus, um Big Data in einem zu orientieren. Dafür bedarf es der richtigen Daten, Fragen und Unternehmen zu etablieren. Vielmehr müssen auch die perso- Mut. Unternehmen müssen verstehen, dass man grundsätzlich nellen und strukturellen Voraussetzungen geschaffen werden. alles vorhersagen kann, die Frage ist nur mit welcher Genauig- keit (Hearne 2013, Podcast Minute 0:57-1:45). Um die Genau- Big Data kann in nahezu allen Bereichen des Marketings und igkeit zu verbessern, bedarf es mehr Datensätze eines Typs oder des Unternehmens sinnvoll eingesetzt werden. In der logi- mehr unterschiedliche Datensätze, die für die Vorhersage eine schen Schlussfolgerung müssen alle diese Bereiche Zugriff zu nützliche Information enthalten. den Big-Data-Informationen erhalten. Hierfür müssen Unter- nehmen die Voraussetzungen schaffen. Ist es so, dass heute die Wollen Unternehmen von der Möglichkeit, mittels Big Data einzelnen Abteilungen „auf ihren Datensilos sitzen“, muss für Vorhersagen treffen zu können, profitieren, müssen sie die da- erfolgreiches Big-Data-Marketing für mehr „Datendemokratie“ für nötigen Daten als Rohmaterial in ihrer Big-Data-Plattform im Unternehmen gesorgt werden. Dafür muss im ersten Schritt verfügbar machen. ermittelt werden, an welcher Stelle welcher Informationsgehalt Beispiel Bäckerei benötigt wird. Dabei ist nicht primär die Frage zu klären, auf Da die Daten allein nicht preisgeben, welche möglichen Vorher- welche Daten die einzelnen Abteilungen zugreifen können, son- sagen in ihnen stecken, müssen die Unternehmen dazu in der dern welche Informationen an diesen Stellen benötigt werden Lage sein, die richtigen Fragen zu stellen. So konnte in einem (Pletsch 2013, S. 208). Fall eine Bäckerei, die sich die Frage gestellt hat, was die Wet- In den Big-Data-Analyseprozess sind in der Regel mehrere Par- terprognosen über den Absatz der Backwaren verraten könnten, teien involviert. Prinzipiell kann man hier drei Parteien unter- die Retourenquoten aus den Filialen drastisch verringern und so scheiden: die Fachabteilung, die IT-Abteilung und die Analyse- die Profitabilität steigern (IBM Deutschland GmbH 2011). abteilung. Beispiel dm-drogerie markt 1. Die Fachabteilungen sind diejenigen, die die Informationen In einem anderen Fall hat sich die dm-drogerie markt GmbH & aus den Daten für ihre Arbeit benötigen. Co. KG gefragt, welche Informationen nötig sein würden, um den Mitarbeiterbedarf in einer Filiale pro Tag zu errechnen. 2. Die IT-Abteilung ist diejenige, die sich um das Big-Data- Die Antwort lag darin, Daten zu den Tagesumsätzen, Paletten- System, bestehend aus Hard- und Software, kümmert. Da Anliefer-Prognosen der Verteilzentren, filialindividuelle Para- IT-Abteilungen klassischerweise noch mehr Systeme betreu- meter wie Öffnungszeit und Größe, aber auch Daten zu Ferien, en, die historisch oder real gesehen mehr Bedeutung haben, Markttagen, Baustellen und Wettervorhersagen miteinander zu muss dies mit zunehmender Bedeutung von Big Data für das verknüpfen. Im Ergebnis erhielt das Unternehmen wesentlich Unternehmen in dem Personal- und Budgetplan der IT-Ab- genauere Planungen, als sie mit den einfachen Hochrechnun- teilung berücksichtigt werden. gen der Filialverantwortlichen möglich waren (BITKOM 2012, 3. Die Analyseabteilung besitzt besondere Analysekenntnisse S. 58). und kennt sich in den Datenstrukturen aus. Sollte diese Auf- Bei der heute vorherrschenden Datenanalyse wird im Nachhin- gabe im Unternehmen nebenbei von der IT-Abteilung erledigt ein versucht, Zusammenhänge zu erklären und Veränderungen werden, ist mit der im Big-Data-Zeitalter gestiegenen Bedeu- festzustellen. Auf Grundlage dieser Analyse werden gegebenen- tung der Analyse zu prüfen, ob dies auch künftig sinnvoll ist. falls von Menschen Vorhersagen getroffen, um das Unterneh- Bei der Ausgestaltung der Analyseabteilung sind wiederum drei men zu steuern. Die Analyse selbst ist dabei risikofrei. Sie liefert Konstellationen denkbar. die Erkenntnisse, die die Daten beherbergen. Wenn eine Prog- nose nicht zutrifft, dann liegt der Fehler nicht in der Analyse, §§ In der ersten Variante könnte es eine zentral organisierte, sondern in den daraus gezogenen Schlüssen. Bei Big Data hin- personalintensive Analyseabteilung geben. Diese versorgt die gegen liefert der Algorithmus direkt die Vorhersage. Aus Sicht Fachabteilungen und das Management mit Daten und deren der Unternehmen bedarf es daher den Mut, den Zahlen mehr Auswertungen. zu vertrauen als den zahlengestützten menschlichen Vorhersa- §§ E ine Alternative dazu wäre, eine zentrale Analyseabteilung gen. Will ein Unternehmen Big Data erfolgreich einsetzen und zu etablieren, die komplexe Analysen und Vorhersagen er- zu einem echten Big-Data-Unternehmen werden, muss das Ma- stellt und regelmäßig anfallende automatische Reports, z.B. nagement diesen Mut zu einem Teil der gelebten Unternehmen- für das Management, vorbereitet und wartet. Die Fachabtei- sphilosophie werden lassen. lungen und das Management führen die einfacheren Analy- sen mit entsprechend einfacher bedienbarer Software selbst- ständig durch. update 19 | ws 2014/2015 | lehre und studium 15
§§ E ine dritte denkbare Variante wäre, dass es keine zentrale Beispiel Google Analyseabteilung gibt, dafür in den jeweiligen Fachabtei- Google hat ein Tool entwickelt, das anhand der Suchanfragen lungen Experten untergebracht sind, die sich um die Daten, Grippe-Trends vorhersagt. Dafür wurden 450 Millionen mathe- Analysen und Vorhersagen für die Fachabteilung kümmern matische Modelle getestet, um die aussagekräftigsten Korrela- (Gerbig 2013, S. 158). tionen von Suchanfragen mit Krankheiten aufzudecken. Mit manuellen Hypothesen hätte dies nicht bewerkstelligt werden Welches dieser drei Modelle am besten geeignet ist, hängt vom können. Vor allem aber würde es dieses Tool nicht geben, wenn Einzelfall ab. Würde man sich beispielsweise für die zweite Va- Google auf Kausalität bestanden hätte. Die Grippe-Trend-Vor- riante entscheiden, müsste das Unternehmen auch dafür Sorge hersagen basieren auf Korrelationen und somit auf statistischen tragen, dass die Mitarbeiter der Fachabteilungen entsprechend Wahrscheinlichkeiten (Ginsberg et al. 2009, S. 4). gut geschult sind, um die Analysen selber durchführen zu kön- nen. Eine offene Unternehmenskultur, die den Austausch über Heutzutage wollen viele Unternehmen verstehen, warum sich die Big-Data-Erfahrungen zwischen den Fachabteilungen, vor die Kunden so verhalten, wie sie es tun. Dieses Verständnis wol- allem aber zwischen der Analyseabteilung und den Fachabtei- len sie nutzen, um den Kunden besser ansprechen zu können. lungen begünstigt, sollte forciert werden, um Big Data effizient Doch ist es wirklich nötig, einen kausalen Grund zu kennen? In zu nutzen. vielen Fällen reicht es aus zu wissen, dass etwas so ist, wie es ist, ohne die exakten kausalen Zusammenhänge dafür zu kennen. Die Analyseabteilungen müssen mit entsprechenden Spezialis- Es ist für ein Geschäft weniger wichtig zu wissen, warum bei be- ten besetzt werden. Diese “Data-Scientists” müssten über viel- stimmtem Wetter gewisse Produkte besonders gut oder schlecht seitige Fähigkeiten verfügen. „[...] [T]he powerful combination verkauft werden. Alleine die Information, dass dies so ist, ist für of skills [...] of data hacker, analyst, communicator, and trusted das Unternehmen wertvoll genug, um entsprechende strategi- adviser – all of which must be applied to a specific technology or sche und operative Entscheidungen treffen zu können. product“, beschreibt Emily Waltz die entsprechenden Fähigkei- ten (Waltz 2012). Diese Talente dürften auf dem Arbeitsmarkt Um von Big Data profitieren zu können, müssen Unternehmen schwer zu finden sein, zumal es kaum Ausbildungen für dieses den Trieb nach Kausalität zumindest teilweise aufgeben und neue Berufsbild gibt. Daher ist es für Unternehmen umso wich- das Verständnis für die Macht der Korrelationen etablieren. Sie tiger, sich rechtzeitig um entsprechendes Personal zu kümmern, müssen öfter nach dem „Was“ als nach dem „Warum“ fragen. Da- dieses fortzubilden und sich so Big-Data-Kompetenzen aufzu- bei könnte es hilfreich sein, sich bewusst zu machen, dass das, bauen. was bislang für Kausalität gehalten wird, oftmals gar keine echte Kausalität ist. In der Small-Data-Welt werden Zusammenhänge Zusätzlich zu den Data-Scientists könnte es unter Umständen als kausal betrachtet, weil nicht mehr Informationen vorliegen sinnvoll sein, auch „Data-Designer“ zu akquirieren oder auszu- und somit gar nicht alle Einflussfaktoren berücksichtigt werden bilden. Die Aufgabe dieser besteht darin, die Ergebnisse, die die können. Insofern könnte das, was als Kausalität betrachtet wird, Daten liefern, gut verpackt und anschaulich darzustellen, damit als eine illusorische Kausalität bezeichnet werden. Philosophi- sie z.B. in einem Report an das Management schnell verstanden sche Diskussionen führen sogar soweit, dass es keine Kausalität werden (Klausnitzer 2013, S. 163 ff.). geben könne. Wenn etwas kausal von etwas anderem abhängen würde, würde dies logischerweise bedeuten, dass es keine freien 3.4 Korrelation versus Kausalität Entscheidungen gäbe (Mayer-Schönberger/Cukier 2013, S. 63). Menschen sind daran gewöhnt, nach der Ursache für eine Ge- Korrelationen dürfen jedoch nicht in allen Fällen als ausrei- gebenheit zu fragen. Dies liegt daran, dass wir so erzogen wur- chend betrachtet werden. In juristischen Belangen ist es bei- den und uns die Geschichte und die Naturwissenschaften ge- spielsweise essentiell wichtig, die Kausalität zu kennen. Wenn lehrt haben, dass es für die Entwicklung vorteilhaft ist, Dinge zu Unternehmen Korrelationen einsetzen, muss dies auf jeden verstehen und die Kausalitäten zu kennen. Zunächst wird eine Fall mit Verstand geschehen und die richtigen Schlüsse gezo- These aufgestellt, die dann im Anschluss untersucht wird. Im gen werden. Auf keinen Fall darf die Korrelation mit der Kau- Ergebnis wird diese These entweder bejaht oder verneint. salität verwechselt werden und zum logischen Trugschluss cum Mit Big Data haben Unternehmen so viele Daten zur Verfügung, hoc ergo propter hoc („mit diesem, also deswegen“) führen. Ein dass es nicht mehr sinnvoll ist, manuell einzelne Thesen für solcher Trugschluss wäre z.B., dass Störche Babys bringen, weil Kausalitäten aufzustellen und diese zu prüfen. Mit den neuen seit Jahrzehnten die Zahl der Störche positiv mit der Geburten- und schnellen Big-Data-Technologien können durch anspruchs- zahl korreliert (Schein- oder Unsinnskorrelation). volle computergestützte Analysen Abhängigkeiten automatisch erkannt werden. 3.5 Quantität versus Qualität Die Qualität der Daten gilt heute als essentiell für die Qua- lität der darauf aufsetzenden Analysen und Reports. Im Data- 16 lehre und studium | update 19 | ws 2014/2015
Sie können auch lesen