Anwalts blatt - ÖSTERREICHISCHES
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Anwalts 03 2023 ÖSTERREICHISCHES 157 – 220 blatt 171 ABHANDLUNGEN Bemerkenswertes aus der Judikatur des OGH in Strafsachen seit 2021 Die bedingte Nachsicht gemäß § 44 Abs 2 StGB 190 IM GESPRÄCH DI Günter Stessl – Was leistet KI heute schon? 170 3 FRAGEN AN . . . Dr. Robert Jirovsky www.rechtsanwaelte.at Österreichische Post AG · MZ 02Z032542 M · Österreichischer Rechtsanwaltskammertag, Wollzeile 1 –3, 1010 Wien · ISSN 1605-2544
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157 Editorial Der Staat sorgt für uns – wie lange noch? K ein Zweifel: Die letzten Jahre haben unerwartete He- rausforderungen gebracht, nicht nur durch die Folgen einer beispiellosen Pandemie, des (noch immer unfassba- tenzuschüssen ge- folgt sind? Wollen wir in einem bereits ren) russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und die da- sehr regulierten Mie- 2023/70 durch ausgelösten Wirrungen auf den Energiemärkten und tenmarkt noch zusätzliche Mietenbremsen einführen? Wie Störungen von Lieferketten, sondern auch durch eine seit viele Hilfspakete können wir tatsächlich noch verkraften? vielen Jahrzehnten nicht mehr erlebte Inflation. Wie können wir in Zukunft kollektives Anspruchsdenken Der Ruf nach staatlichen Förderungen war angesichts vermeiden (von manchen bereits als „Vollkasko-Mentali- dieser multiplen Krisen klar verständlich. Gerade zu Beginn tät“ bezeichnet)? der Pandemie war rasche und unbürokratische Hilfe gebo- Wie finden wir schließlich zu einem ausgeglichenen ten. Budget-Pfad zurück? Im Jahr 2022 verzeichnete die Repub- Über die Abwicklung einiger Corona-bedingter Förde- lik Österreich (somit wir alle) 111,4 Mrd Euro an Ausgaben rungen kann man nun trefflich streiten: War es wirklich (das war ein Plus von 7,4 Mrd Euro gegenüber dem „Coro- zweckmäßig, diese ausgelagerten Rechtsträgern wie der CO- na-Krisenjahr“ 2021), während die (durch Inflation auch FAG zu übertragen und über zivilrechtliche Förderungsver- erhöhten) Einnahmen 105,2 Mrd Euro betrugen. Der Zin- träge zu regeln? Die nachprüfende Kontrolle zB des Rech- sendienst ist bereits deutlich angestiegen und wird den Bud- nungshofs kommt hier jedenfalls zu einem sehr ernüchtern- get-Spielraum zukünftig stärker einengen. Die Zeit des „bil- den Ergebnis. ligen“ Gelds ist vorerst vorbei. Aber auch die Rechtsdurchsetzung für Unternehmen, All diese Fragen sollten uns (und werden noch nachfol- deren Förderungsanträge aus ihrer Sicht zu Unrecht abge- gende Generationen) viel mehr als bisher beschäftigen: lehnt wurden, ist damit sehr erschwert. Diese müssen den Schließlich müssen die jetzt aus diesen vielen Anlässen zu- ordentlichen Rechtsweg beschreiten und Klagen bei Gericht sätzlich aufgenommenen Staatsschulden nicht nur laufend einbringen, für die der Staat auch noch eine üppige Pau- finanziert, sondern einmal auch zurückbezahlt werden. schalgebühr einhebt. Die Devise lautet daher: Den Staat verschlanken und Ohne die staatliche Unterstützung funktionieren aber entbürokratisieren, Staatsaufgaben abbauen, eine echte Ver- diese Förderungsverfahren offenbar gar nicht: Warum wäre waltungsreform mit Reduzierung der Verwaltungsebenen, es sonst nötig gewesen, die Finanzämter mit der Prüfung Steuern senken – und direkte Transferleistungen denen zu- der Anträge zu beauftragen? Sie agieren aber nicht behörd- kommen lassen, die sie wirklich brauchen! lich, sondern „nur“ als Gutachter. Das Ergebnis bleibt aus Sicht des Förderungswerbers gleich: Kommt das Finanzamt ARMENAK UTUDJIAN zum Ergebnis, dass die Förderungsvoraussetzungen nicht Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages erfüllt sind, wird der Antrag von der COFAG abgelehnt (ÖRAK) und der zivilrechtliche Förderungsvertrag kommt nicht zu- stande. Abseits dieser Rechtsthemen: Wie lange werden wir uns diese Großzügigkeit der Förderungsvergabe per „Gießkan- ne“ noch leisten können? Welche Krise kommt nach der Energie-Krise, der bereits mehrere Phasen von Energiekos- österreichisches anwaltsblatt 03_2023
158 Inhalt 03_2023 157 Editorial 171 ABHANDLUNGEN 189 SERVICE 159 Wichtige Informationen 160 Werbung & PR 172 Bemerkenswertes aus der Judikatur des OGH in 190 Im Gespräch 161 Recht kurz & bündig Strafsachen seit 2021 194 Legal Tech & Digitalisierung 166 Europarecht kurz & bündig Eckart Ratz 195 Strategie & Prozessmanagement 168 Europa aktuell 185 Die bedingte Nachsicht gemäß § 44 Abs 2 StGB 196 Termine 170 3 Fragen an . . . Susanna Gäbler und Simon Häussler 198 Chronik 217 Inserate 201 Aus- und Fortbildung 220 Indexzahlen 207 Rezensionen 220 Impressum 210 Zeitschriftenübersicht AUTORINNEN UND AUTOREN 213 RECHTSPRECHUNG DIESER AUSGABE: RA Dr. Manfred Ainedter, Wien RA Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Bergthaler, Wien 214 Unerlaubte Selbsthilfe durch ei- RAin Mag.a Katharina Bisset, MSc, Mannersdorf nen RA RA Dr. Michael Buresch, Wien 215 Qualifizierte Schlechtberatung Mag.a Susanna Gäbler, Wien durch einen RA RA Mag. Franz Galla, Wien RA Dr. Rainer Hable, MSc (LSE), Wien RA Mag. Simon Häussler, Wien RA Prof. Franz J. Heidinger, LL. M. (Virginia), Wien Mag.a Ursula Koch, ÖRAK RA Dr. Wolfgang Kropf, MBL, Wien RAin Britta Kynast, ÖRAK Büro Brüssel Mag. Christian Moser, ÖRAK Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz, Wien RA Dr. Ullrich Saurer, Graz RA Dr. Wolf-Georg Schärf, Wien Gorica Urosevic, Wien RA Dr. Armenak H. Utudjian, M.B.L.-HSG, Wien Markus Weiss, MBA, Igls 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
159 Wichtige Informationen Selbständigenvorsorge ÖRAK in den sozialen Medien URSULA KOCH (UK) ÖRAK, Genereal- Im Rahmen eines Optionen-Modells können Sie sich inner- Ab sofort ist der ÖRAK auch in den sozialen Medien ver- sekretär-Stellvertreterin halb eines Jahres nach der Eintragung in die Liste der treten. Sie finden uns auf folgenden Plattformen: Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen oder in die Liste der niedergelassenen europäischen Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen für eine Einbeziehung in das Betriebli- che Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetz (BMSVG) entscheiden. Hierzu ist der Abschluss eines Bei- trittsvertrags mit einer Betrieblichen Vorsorgekasse (BV-Kasse) notwendig. Nach Verstreichen der Ein-Jahres- frist ist der Abschluss eines Beitrittsvertrags nicht mehr möglich. ÖRAK auf LinkedIn Mit folgenden BV-Kassen kann ein Beitrittsvertrag abge- schlossen werden (§ 70 BMSVG): • Allianz Vorsorgekasse AG • APK Vorsorgekasse AG • BONUS Vorsorgekasse AG • fair-finance Vorsorgekasse AG • Niederösterreichische Vorsorgekasse AG • Valida Plus AG ÖRAK auf Facebook • VBV – Vorsorgekasse AG Die Höhe des Beitrags beträgt 1,53% der GSVG-Höchstbei- tragsgrundlage. Der Beitrag wird in Form eines Jahresbei- trags von der BV-Kasse vorgeschrieben. Sie können den ge- leisteten Beitrag als Betriebsausgabe steuerlich absetzen. UK Sonderpauschalvergütung – § 16 Abs 4 RAO ÖRAK auf Instagram Werden Sie in einem Verfahren als Verfahrenshelfer inner- Abonnieren Sie jetzt gleich unsere Kanäle, um immer auf halb eines Jahres an mehr als zehn Verhandlungstagen oder dem Laufenden zu bleiben. insgesamt zu mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig, haben Sie für die darüber hinausgehenden Leistungen einen An- spruch auf angemessene Vergütung. Für die ersten zehn Verhandlungstage oder 50 Verhandlungsstunden erfolgt die Vergütung im Rahmen der ordentlichen Pauschalvergü- tung. Anträge auf Sonderpauschalvergütung für Leistungen, die im Jahr 2022 erbracht wurden, sind – bei sonstigem Ausschluss!! – spätestens bis zum 31. 3. 2023 bei der zu- ständigen Rechtsanwaltskammer einzubringen. Bitte beachten Sie, dass Anträge auch dann zu stellen sind, wenn das jeweilige Verfahren noch nicht abgeschlos- sen ist. UK österreichisches anwaltsblatt 03_2023
160 Werbung & PR BESTELLFORMULAR Baumwolltasche Preis €/Stk. Anzahl Gesamt WERBEARTIKEL Navy, 2-seitig „Immer an Ihrer Seite!“ sowie „Wir lassen Sie nicht hängen!“ mit Logo „Die österreichischen Rechtsanwältinnen“ bzw „Die österreichi- 6,00 schen Rechtsanwälte“, 35x39x13,5cm, Träger: 58cm, 100% Baumwolle Manner-Schnitten Preis €/Stk. Anzahl Gesamt 2 knusprige Waffeln gefüllt mit Haselnusscreme mit beidseitiger Banderole „Bevor es Brösel gibt...“ und „Sollten Sie mal Brösel haben...“ mit R-Logo, 0,50 ca. 15 g Bonbons Füllmenge Preis €/Pkg. Anzahl Gesamt Bonbon im Flowpack aus blauer Folie, Aufdruck „Fruchtgenuss“ mit R-Logo, ½ kg 17,00 Fruchtmix (Zitrone, Orange, Apfel, Kirsche und Cassis), vegan 1 kg 32,00 Kugelschreiber Ausführung Preis €/Pkg. Anzahl Gesamt Kunststoff-Kugelschreiber Weiß, mit Aufdruck Kunststoff 1,00 Metall-Kugelschreiber Weiß, mattes Dreikantgehäuse mit Aufdruck Metall 3,80 „R“-Pin mit Magnetverschluss Preis €/Stk. Anzahl Gesamt R-Logo ausgestanzt als Pin mit Magnetverschluss 2,50 ø ca 19 mm Lanyard zweiseitig Preis €/Stk. Anzahl Gesamt Blau-weiß, Karabiner, Logoaufdruck, L(ohne Karabiner)=44 cm Aufdruck blaue Seite „Wir sprechen für Ihr Recht“ 1,50 Aufdruck weiße Seite „www.rechtsanwaelte.at“ Stockschirm mit Holzgriff & Kunstlederdetail Preis €/Stk. Anzahl Gesamt Stockschirm, marineblau, Fiberglas, teflonbeschichtet, mit Aufdruck 20,00 Ø 115 cm Notizbücher Format Preis €/Pkg. Anzahl Gesamt 100 Blatt, Hardcover kratzfest laminiert, Kern kariert, gelocht und perforiert, mit Leseband und Kapitalband A5 8,90 A4 9,90 Haftnotizblock Preis €/Stk. Anzahl Gesamt Weiß, mit Aufdruck Maße 100x72 mm 1,75 50 Blatt Schreibblock Preis €/Stk. Anzahl Gesamt Weiß, mit Aufdruck DIN A4, 50 Blatt kopfgeleimt 2,00 Aufkleber Preis €/Stk. Anzahl Gesamt Logo Maße: 12 x 3 cm 1,00 USB-Stick Preis €/Stk. Anzahl Gesamt Sonderform R-Logo in 3D, 64 GB Datenvolumen, USB 2.0 8,50 GESAMT zuzüglich Spesen für Versand und Verpackung Preis € AUSFÜLLEN UND BESTELLEN Name bzw Firma: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straße: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . PLZ/Ort:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datum: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschrift:. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Retournieren Sie dieses Formular bitte an die RADOK GmbH per Fax an die Fax-Nummer 01 / 535 12 75-13 oder per E-Mail an bestellung@radok.at. RADOK Gesellschaft für Organisation, Dokumentation und Kommunikation Gesellschaft m.b.H., Wollzeile 1-3, 1010 Wien Preise Netto in Euro zzgl. USt. 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
161 Recht kurz & bündig Diese Ausgabe von §§ 1, 14 UWG 3. Zwar ist ein Unternehmer im Allgemeinen nicht ver- „Recht kurz & bündig“ pflichtet, seine Beziehungen zu Dritten so zu gestalten, dass entstand unter 2023/71 Mitwirkung von er auf deren Verhalten rechtlichen Einfluss nehmen kann; Zur Aktivlegitimation für lauterkeitsrechtliche das gilt aber nicht, wenn er diese Dritten in einer von ihm ULLRICH SAURER (US) Rechtsanwalt Ansprüche veranstalteten Werbeaktion als Werbeträger nutzt und sie 1. Gem § 14 Abs 1 UWG kann der Anspruch auf Unterlas- so in seine Interessenverfolgung eingliedert. MANFRED AINEDTER (MA) sung unter anderem von jedem Unternehmer, der Waren 4. Nach der Rsp des OGH zum Keyword Advertising greift Rechtsanwalt oder Leistungen gleicher oder verwandter Art herstellt oder die durch die Verwendung einer Marke oder eines Marken- FRANZ GALLA (FG) in den geschäftlichen Verkehr bringt (Mitbewerber), gel- bestandteils als Schlüsselwort generierte Werbung eines Rechtsanwalt tend gemacht werden. Dritten in die Rechte des Markeninhabers nur dann nicht 2. Ob ein Wettbewerbsverhältnis besteht, ist nach der Ver- ein, wenn aus dieser Werbung in einer Gesamtbetrachtung kehrsauffassung zu beurteilen. Für das Vorliegen eines für einen normal informierten und angemessen aufmerksa- Wettbewerbsverhältnisses ist erforderlich, dass die angebo- men Internetnutzer leicht zu erkennen ist, dass die in der tenen Waren und Dienstleistungen solch verwandter Art Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen weder sind, dass sie sich eignen, das gleiche Verkehrsbedürfnis vom Inhaber der Marke noch von einem mit ihm wirt- zu befriedigen. Die Dienstleistungen müssen sich daher ge- schaftlich verbundenen Unternehmen stammen. genseitig substituieren oder im Absatz behindern können. 5. Der BGH hat zur Werbung mit Google – ohne dynami- 3. Der Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses steht nicht sche Suchanzeige – bereits ausgesprochen, dass der Um- entgegen, dass die Betätigungsgebiete zweier Unternehmen stand, wonach der Aufruf einer Internetseite von Google nicht zur Gänze zusammenfallen, die jeweiligen Angebote durchgeführt worden ist, einer dadurch bewirkten etwaigen also nur teilkongruent sind. Die Geschäftsbetriebe zweier Markenverletzung nicht entgegensteht, weil Google inso- Unternehmen müssen nicht in der Hauptsache überein- weit im Auftrag des Werbenden tätig geworden ist und da- stimmen; es genügt, wenn dies teilweise der Fall ist, die her als dessen Beauftragter iSd § 14 Abs 7 dMarkenG ge- Kreise einander also schneiden. handelt hat. 4. Ein Wettbewerbsverhältnis ist ferner dann anzunehmen, 6. Ein Unternehmen, das in einer bestimmten Zeile seiner wenn sich die beteiligten Unternehmer an einen im We- Internetseite, von der es weiß, dass Google auf die dort an- sentlichen gleichartigen Abnehmerkreis wenden, also um gegebenen Wörter zugreift, zusammen mit seiner Produkt- denselben Kundenkreis bemühen. Es genügt zur Begrün- kennzeichnung eine Bezeichnung angibt, die mit der Marke dung einer Mitbewerbereigenschaft, wenn sich der Kunden- eines Dritten verwechselbar ist, ist markenrechtlich dafür kreis auch nur zum Teil oder lediglich vorübergehend über- verantwortlich, dass Google diese Kennzeichen zusammen schneidet oder sich bei Vorbereitungswettbewerbshandlun- als Treffer anführt. gen künftig überschneiden wird. Ein Wettbewerbsverhält- 7. Nichts anderes gilt hier für das Tätigwerden von Google nis kann nach stRsp auch erst durch die beanstandete aufgrund eines Auftrags der Bekl, Werbemaßnahmen mit Handlung selbst begründet werden (Ad-hoc-Wettbewerbs- dynamischen Suchanzeigen zu gestalten. Vor diesem Hin- verhältnis). Dafür genügt es, dass sich der Verletzer in ir- tergrund ist die Markenrechtsverletzung durch Google gendeiner Weise zum Betroffenen in Wettbewerb stellt. nicht nur „gelegentlich“ seiner Tätigkeit ohne inneren Zu- OGH 22. 11. 2022, 4 Ob 33/22 i JusGuide 2023/01/ sammenhang zum von der Bekl erteilten Werbeauftrag ge- 20666. US schehen, sondern – auch wenn die konkrete Funktionsweise der eingesetzten Algorithmen nicht bekannt sein mag – der auftraggebenden Bekl zuzurechnen. § 54 MarkSchG OGH 22. 11. 2022, 4 Ob 134/22 t JusGuide 2022/02/ 20681. US 2023/72 Zum Keyword Advertising iZm dynamischen § 83 GmbHG; §§ 877, 1478, 1479, 1486 ABGB Suchanzeigen 2023/73 1. Wenn eine Markenrechtsverletzung im Betrieb eines Un- ternehmens von einem Bediensteten oder Beauftragten be- Zur Verjährung von Rückersatzansprüchen nach § 83 gangen wird, kann der Unternehmensinhaber gem § 54 Abs 1 GmbHG Abs 1 MarkSchG auf Unterlassung geklagt werden. 1. Ansprüche der GmbH auf Rückersatz nach § 83 Abs 1 2. Die markenrechtliche Unternehmerhaftung erweitert den GmbHG verjähren gem Abs 5 leg cit in fünf Jahren, sofern Kreis der Unterlassungsverpflichteten auf Inhaber von Un- sie nicht beweist, dass der Ersatzpflichtige die Widerrecht- ternehmen, die die markenverletzenden Handlungen nicht lichkeit der Zahlung kannte. Nach stRsp konkurriert der selbst begangen haben, sofern die Verletzungshandlungen Rückforderungsanspruch nach § 83 GmbHG aber mit der im Betrieb des Unternehmens von einem Bediensteten oder Rückforderung von verbotswidrigen Leistungen nach allge- Beauftragten erfolgt sind. meinem Bereicherungsrecht. Die Privilegierung des Emp- österreichisches anwaltsblatt 03_2023
162 Recht kurz & bündig fängers einer Leistung, der von deren Verbotswidrigkeit 4. Hingegen können „weiche“ Patronatserklärungen einer- keine Kenntnis hat, im § 83 Abs 5 GmbHG schlägt nicht seits unverbindliche Äußerungen sein, andererseits aber auf das allgemeine Bereicherungsrecht durch. auch rechtlich verbindliche Handlungszusagen; liegt eine 2. Zwar hat der OGH bereits in mehreren Entscheidungen solche Handlungspflicht vor, kann deren Verletzung Scha- allgemein ausgesprochen, dass auf die auf Rückforderung denersatzansprüche auslösen. der verbotswidrigen Leistungen gerichtete Kondiktion – 5. Ist der objektive Aussagewert der Patronatserklärung aufgrund der gebotenen selbständigen verjährungsrechtli- zweifelhaft, ist ihr rechtlicher Gehalt nach den Auslegungs- chen Beurteilung der konkurrierenden Anspruchsgrundla- regeln der §§ 914 f ABGB zu ermitteln. Hierbei ist ausge- gen – die lange Verjährungszeit von 30 Jahren (§§ 1478 f hend vom Wortsinn der Erklärung die dem Erklärungsgeg- ABGB) zur Anwendung gelangt. ner erkennbare Absicht des Erklärenden entscheidend. 3. Allerdings geht aus der Rsp zur dreijährigen Verjährung 6. Zur Ermittlung dieser Absicht sind alle den Vertragsab- der bereicherungsrechtlichen Rückforderung von Bestand- schluss begleitenden Umstände, insb die sonstigen Erklä- zinsen in analoger Anwendung von § 27 Abs 3 MRG und rungen der Parteien, heranzuziehen. Wie eine Willenserklä- § 5 Abs 4 KlGG deutlich hervor, dass auf die in Rede ste- rung im Einzelfall aufzufassen ist, lässt sich jeweils nur nach hende Kondiktion das allgemeine Verjährungsregime des den besonderen Umständen des Einzelfalls beurteilen. ABGB und damit nur grundsätzlich die 30-jährige Regelver- OGH 18. 11. 2022, 6 Ob 204/22 a JusGuide 2022/52/ jährung analog anzuwenden sind. 20654. US 4. Zu prüfen ist vor Anwendung der allgemeinen 30-jähri- gen Verjährungsfrist nämlich stets, ob der in Frage stehende § 39 GewO; § 879 ABGB; § 15 GmbHG Rückforderungsanspruch nicht unter einen besonderen ge- 2023/75 setzlichen Tatbestand fällt, der eine kurze Verjährungsfrist vorsieht. Zur Entlohnung eines gewerberechtlichen 5. Dabei kommen nicht nur solche Bestimmungen in Frage, Geschäftsführers die die Verjährung bestimmter Ansprüche ausdrücklich be- 1. § 39 Abs 2 und 3 GewO verlangt vom gewerberechtlichen sonders regeln; vielmehr ist auch die analoge Anwendung Geschäftsführer, sich im Betrieb „entsprechend zu betäti- solcher Vorschriften in Betracht zu ziehen. Ausgehend da- gen“, worunter nach der Rsp eine Tätigkeit zu verstehen von verfolgt die jüngere Rsp mittlerweile in Ansehung der ist, die es dem Geschäftsführer ermöglicht, die gewerbe- Verjährung von Kondiktionsansprüchen – im Einklang mit rechtliche Tätigkeit des Betriebs ausreichend zu beobachten den auch in Deutschland anerkannten Grundsätzen – einen und zu kontrollieren. differenzierenden Ansatz, demzufolge die Verjährung ana- 2. Maßgebend dafür ist die Beurteilung, ob eine nach den log nach der Art des Anspruchs zu beurteilen ist, an dessen Verhältnissen im Betrieb, insb der Art und dem Umfang Stelle die Kondiktion tritt. des Betriebs bzw der Betriebsanlage und den persönlichen OGH 18. 11. 2022, 6 Ob 112/22 x JusGuide 2022/52/ Verhältnissen des Geschäftsführers, ausreichende (Kon- 20653. US troll-)Tätigkeit des gewerberechtlichen Geschäftsführers vorliegt. 3. Eine GmbH, die sich eines Geschäftsführers bedient, der §§ 880 a, 914, 915, 1346, 1347 ABGB zwar die sonst für die Ausübung des Gewerbes vorgeschrie- benen persönlichen Voraussetzungen mitbringt, sich aber 2023/74 nicht entsprechend im Betrieb betätigt, weil ihn die GmbH Zur Auslegung von Patronatserklärungen vertraglich von dieser Tätigkeit befreit hat, verstößt gegen 1. Der Begriff der Patronatserklärung ist als Mittel der Kre- diese Norm. ditsicherung eine Sammelbezeichnung für eine Vielzahl von 4. Nach stRsp verlangt der Normzweck des § 39 Abs 3 Erklärungen einer vom Kreditnehmer verschiedenen, zu GewO – nämlich die Sicherung der Allgemeinheit und be- diesem jedoch regelmäßig in einem Naheverhältnis stehen- sonders der mit der GmbH abschließenden Besteller vor den Person, dem Patron, die einen unterschiedlichen Inhalt den nachteiligen Folgen des Fehlens eines sich entspre- haben können. chend im Betrieb betätigenden gewerberechtlichen Ge- 2. Nach der Rsp ist zwischen „harten“ und „weichen“ Patro- schäftsführers – die Nichtigkeit einer Vereinbarung, mit natserklärungen zu unterscheiden, wobei der konkrete In- der das Fehlen einer gewerberechtlichen Erlaubnis oder halt der (allenfalls) bestehenden Verpflichtung durch Aus- Konzession durch ein vorgetäuschtes Anstellungs- oder legung zu ermitteln ist. sonstiges Beschäftigungsverhältnis ausgeglichen bzw um- 3. Nur die „harte“ Patronatserklärung hat klare Konturen. gangen werden soll. Sie ist durch die Übernahme der Verpflichtung gekenn- 5. Die Nichtigkeit der Vereinbarung, nur seine Gewerbebe- zeichnet, den Schuldner – regelmäßig eine Tochtergesell- rechtigung ohne tatsächliche Betätigung im Geschäftsbe- schaft – so auszustatten, dass er seine Schulden beim Kre- trieb zur Verfügung zu stellen, wurde wegen Vorliegens ei- ditgeber zurückzahlen kann. ner solchen Umgehung auch angenommen, wenn aus deren 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
163 Recht kurz & bündig Anlass eine Bestellung zum handelsrechtlichen Geschäfts- § 74 Abs 1 Z 10 StGB führer einer GmbH nur deshalb erfolgte, um formal die ge- 2023/79 werberechtlichen Bestellungsvoraussetzungen eines gewer- berechtlichen Geschäftsführers zu erfüllen. Aktivierte Quick-Chip-Funktion begründet 6. Ein Anspruch auf das für die „Zurverfügungstellung der Wertträgereigenschaft Gewerbeberechtigung“ ohne entsprechende Betätigung im Unbare Zahlungsmittel, wie eine Bankomatkarte, können Betrieb vereinbarte Entgelt besteht in diesen Fällen nicht. nur dann Tatobjekt des Raubes sein, wenn sie über eine ak- OGH 18. 11. 2022, 6 Ob 182/22 s JusGuide 2022/52/ tivierte Quick-Chip-Funktion verfügen und ihnen damit 20655. US Wertträgereigenschaft zukommt. OGH 18. 5. 2022, 13 Os 28/22 z EvBl-LS 2022/171. MA § 345 Abs Z 1 StPO (§ 345 Abs 2 StPO) § 439 Abs 2 StPO (§ 281 Abs 1 Z 3, § 345 Abs 1 Z 4, 2023/76 § 430 Abs 4 StPO) Unaufmerksame Richter 2023/80 Ablenkung durch Tätigkeiten abseits des Verhandlungsge- schehens bedeutet nicht eo ipso mangelndes „Beiwohnen“. Beiziehung von SV für Unterbringung Zudem führt nicht schon die Tatsache einer solchen Unauf- „Beiziehung“ eines SV besteht in der HV – außer dem Fall merksamkeit, sogleich gerügt (§ 345 Abs 2 StPO) und mit des § 252 Abs 1 StPO – in dessen Vernehmung, erfordert NB (zulässigerweise) geltend gemacht, zur UAufhebung. somit jedenfalls nicht seine Anwesenheit während des ge- Der (behauptete) Besetzungsmangel wird jedenfalls beho- samten Beweisverfahrens. ben, wenn der Geschworene – infolge der diesbzgl Rüge OGH 22. 6. 2022, 13 Os 42/22 h (LG Salzburg 30 Hv 55/ (§ 345 Abs 2 StPO) des Verteidigers – vom Vorsitzenden 21 w) EvBl 2022/158. MA dazu ermahnt wird, dem Gang der Verhandlung zu folgen, und das während seiner Unaufmerksamkeit Geschehene § 302 Abs 1 StGB (Art 130 B-VG) durch Abspielen einer Tonaufnahme der betreffenden Ver- 2023/81 nehmung wiederholt wird OGH 22. 6. 2022, 13 Os 13/22 v (LG Linz 12 Hv 18/21 w) Amtsgeschäfte EvBl 2022/149. MA Neben Hoheitsakten (die typischerweise einseitige Anord- nungsbefugnis [imperium] in Anspruch nehmen) kann auch Verwaltungshandeln tatbildlich sein, das selbst nicht § 85 a GOG (§ 85 GOG; §§ 87, 238, 254 Abs 2 StPO) normativer Art ist (etwa in tatsächlichen Verrichtungen 2023/77 oder Privaten zur Verfügung stehenden Rechtsformen in Erscheinung tritt), jedoch in spezifischer Verbindung zu ei- Datenschutz nem (möglichen) Hoheitsakt steht, diesen also vorbereitet, §§ 85, 85 a GOG dienen nicht dazu, in jenen Bereichen, in begleitet oder umsetzt. Maßgeblich für die strafrechtliche denen die Verfahrensgesetze die Verwendung von Daten Einordnung ist dabei nicht die grundsätzliche Befugnis ei- (abschließend) regeln, das gerichtliche (Haupt-)Verfahren nes Beamten, auch Hoheitsakte zu setzen, sondern das in- zu beeinflussen, zu korrigieren oder nachträglich zu kon- kriminierte Verhalten im konkreten Einzelfall. trollieren. Eine den Verfahrensgesetzen entsprechende Ver- OGH 28. 6. 2022, 14 Os 20/22 f (LGSt Wien 95 Hv 112/21 t) wendung von Daten ist daher auch aus datenschutzrechtli- EvBl 2022/160. MA cher Sicht zulässig. OGH 30. 8. 2022, 11 Os 151/21 x (OLG Wien 22 Ns 2/21 s; LGSt Wien 15 Hv 1/17 z) EvBl 2022/150. MA Mag. Katharine Eyre 6SH]LDOLV/HJDO7UDQVODWLRQV § 19 Abs 4 Z 1 JGG 2023/78 Juristische Übersetzungen DE > EN Post-Editing Rechtsgutbezogene Betrachtung erforderlich Raub in der Begehungsform der „Gewalt gegen eine Person“ English Native Speaker stellt eine „strafbare Handlung gegen Leib und Leben“ iS 11 Jahre juristische Berufserfahrung der durch das GewaltschutzG 2019 (BGBl I 2019/105) ge- schaffenen Bestimmung des § 19 Abs 4 Z 1 JGG dar, in des- sen Anwendungsbereich § 19 Abs 1 JGG nicht zum Tragen RɝFH#VSH]LDOLVWUDQVODWLRQVDW kommt. +43 660 745 6366 OGH 28. 4. 2022, 12 Os 140/21 m EvBl-LS 2022/170. MA österreichisches anwaltsblatt 03_2023
164 Recht kurz & bündig § 228 Abs 4 StPO (§§ 233 ff, 271 a, 281 Abs 1 Z 4 StPO; § 129 Abs 1 Z 2 StGB § 22 MedienG) 2023/84 2023/82 Aufbrechen eines Behältnisses muss am Tatort Zustimmung der Beteiligten für Verwendung eines erfolgen Tonaufnahmegeräts durch Verteidiger erforderlich § 129 Abs 1 Z 2 StGB erfordert, dass der für den Diebstahl Durch Verfahrensbeteiligte angefertigte Tonaufnahmen deliktsspezifische Gewahrsamsbruch durch das Aufbrechen von Gerichtsverhandlungen setzen das Einverständnis oder das Öffnen des Behältnisses mit einem der in § 129 sämtlicher Beteiligten voraus. Abs 1 Z 1 StGB genannten Mittel unmittelbar am Tatort OGH 2. 6. 2022, 12 Os 23/22 g, 24/22 d EvBl-LS 2022/ erfolgt; nimmt aber der Dieb das versperrte Behältnis als 181. MA solches vom Tatort weg, um es später aufzubrechen und sich den Inhalt zuzueignen, so ist die Qualifikation des § 129 Abs 1 Z 2 StGB nicht gegeben. OGH 2. 6. 2022, 12 Os 48/22 h EvBl-LS 2022/183. MA Art 3 MRK 2023/83 § 579 Abs 1 ABGB Drohende Folter als Auslieferungshindernis 2023/85 Eine Auslieferung kann für den Aufenthaltsstaat eine Kon- Schwer leserliche Nuncupatio in letztwilliger ventionsverletzung bedeuten, wenn ein konkretes Risiko Verfügung besteht, dass der Betroffene im Empfangsstaat einer Strafe Durch das ErbRÄG 2015 wurde die Willensbekräftigung oder Behandlung ausgesetzt wird, welche die Schwelle zur des Erblassers „verschriftlicht“ und damit die bisherige unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung erreicht Form der „Ausdrücklichkeit“ abgeschafft, um die Fäl- und demnach mit Art 3 MRK unvereinbar ist. Dabei hat der schungssicherheit zu erhöhen. Auf das Erfordernis einer Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuel- Bekräftigung – also eines Zusatzes, dass die Urkunde den len, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr einer Art 3 MRK letzten Willen des Erblassers enthalte, – sollte nach den in- nicht entsprechenden Behandlung schlüssig nachzuweisen, soweit eindeutigen Gesetzesmaterialien nicht verzichtet wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Die werden. Zur Erfüllung der Formvorschrift des § 579 Abs 1 bloße Möglichkeit drohender Folter oder unmenschlicher ABGB reicht daher für sich allein weder eine graphologi- oder erniedrigender Behandlung reicht nicht aus. Vielmehr sche Zuordnung des handschriftlichen Zusatzes zum Erb- muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls lasser noch eine bloß mündliche bzw iS der alten Rechtslage ein reales, anhand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko „ausdrückliche“, aber nicht schriftliche Bekräftigung aus. bestehen, der Betroffene werde im Empfangsstaat der tat- Ob eine letztwillige Verfügung lesbar ist und wie ihr lesba- sächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Be- rer Inhalt lautet, ist eine Tatfrage und somit von den Tatsa- handlung ausgesetzt. Bei der Prüfung des den Betroffenen cheninstanzen nach Würdigung aller Beweisergebnisse zu konkret treffenden Risikos einer Art 3 MRK widerspre- beantworten, dies allenfalls nach Einholung eines zu dieser chenden Behandlung im ersuchenden Staat ist dessen Zuge- Frage beantragten graphologischen Sachverständigengut- hörigkeit zu einer besonders vulnerablen Gruppe beacht- achtens. Gleiches muss auch für die Frage der Lesbarkeit lich, soweit sich aus dieser Zugehörigkeit (vor allem durch eines handschriftlichen Bekräftigungszusatzes gelten. objektive Quellen zu dokumentierende) hinreichend be- OGH 22. 11. 2022, 2 Ob 170/22 x Zak 2023/11, 13. FG stimmte Anhaltspunkte für eine zu erwartende Konven- tionsverletzung ergeben. Im Übrigen ist der Nachweis stich- haltiger Gründe für die Annahme einer individuellen Ge- § 879 Abs 3 ABGB fahr aber bloß in extremen Ausnahmefällen (ständige Praxis 2023/86 umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzun- Zulässigkeit von Chipgebühr und Servicepauschale gen im Zielstaat) verzichtbar. Geht die behauptete Gefahr im Fitnessstudio nicht von staatlicher Seite aus, so muss neben der Unmittel- Die Regelungen des Fitnessstudios über die Verwaltungs- barkeit der Bedrohung auch nachgewiesen werden, dass die pauschale und die Chiparmband-Gebühr stellen keine staatlichen Autoritäten nicht in der Lage sind, vor einer von Hauptleistungen dar, sondern beziehen sich auf im Regelfall Seiten Privater ausgehenden konkreten Gefahr zu schützen, mit der Erfüllung der vertraglichen Pflichten verbundene oder dass sie ihre diesbzgl bestehende Schutzpflicht nicht Leistungen, für die jedoch eine gesonderte Abgeltung ver- ausreichend wahrnehmen. langt wird. Das Vorliegen konkreter Aufwendungen oder OGH 5. 7. 2022, 12 Os 59/22 a EvBl-LS 2022/182. MA Leistungen, die über das übliche, mit jeder Vertragsbegrün- dung entstehende Maß hinausgehen, ist dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen. 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
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165 Recht kurz & bündig Das bekl Fitnessstudio hatte nicht einmal konkret vorge- tet werden. Diese sahen hier ua vor, dass die Warmwasser- bracht, worin ihr Administrativaufwand bestehe. Anhalts- bereitung unter Verwendung thermischer Solaranlagen punkte dafür, dass das Fitnessstudio den iZm der Vertrags- oder direkt aus anderen erneuerbaren Energieträgern zu er- anbahnung entstehenden Aufwand nicht durch die dort oh- folgen habe. Die Baubehörde erster Instanz erteilte nach nehin anwesenden Trainer erledigen würde, lassen sich we- Vorlage der Fertigstellungsanzeige einen entsprechenden der dem Vorbringen der Streitteile noch den Feststellungen Verbesserungsauftrag, „widrigenfalls eine Untersagung der entnehmen. Dies gilt umso mehr für die Chipgebühr, weil Benützung für das Wohnhaus auszusprechen wäre“. Auf- die Ermöglichung des Zutritts zu den Fitnessstudios zu den grund eines mit der Baubehörde ausgehandelten Kompro- Vertragspflichten des bekl Fitnessstudios gehört und schon misses musste der Kunde eine Photovoltaikanlage montie- aus diesem Grund nicht nachvollziehbar ist, warum ihre ren. Kunden dafür ein zusätzliches Entgelt bzw für den dafür Hat der Werkbesteller an dem nicht von der Warnpflicht- geforderten Erwerb eines Chips einen zusätzlichen Kauf- verletzung betroffenen Teil des Werks ein Interesse, bleibt preis leisten sollten. der damit korrelierende Teil des Vertrags samt Entgeltan- OGH 22. 11. 2022, 2 Ob 139/22 p. FG spruch des Werkunternehmers von den Rechtsfolgen des § 1168 a ABGB unberührt. In diesem Zusammenhang ist zu klären, ob der Umstand, dass der Kunde die Warmwas- § 1168 a ABGB serbereitung nach Errichtung der Solaranlage weiterhin 2023/87 nutzt, trotz der Warnpflichtverletzung zum Bestehen des Rechtsfolgen der Warnpflichtverletzung eines diesbezüglichen Werklohnanspruchs führt. Dazu der Fachunternehmens für Heizungs- und OGH: Auch wenn der Kunde die Warmwasserbereitung be- Sanitärinstallationen nutzt, hat nicht das Fachunternehmen für die Brauchbarkeit Eine Warmwasserbereitung, die in ihrer konkreten Ausge- des aufgrund der Warnpflichtverletzung grundsätzlich staltung zu einer Untersagung der Benützung des Wohn- misslungenen Teilgewerks gesorgt. Vielmehr hat der Kunde hauses durch die Baubehörde führen muss, ist als ein iSd (nach seinem Vorbringen erhebliche) Zusatzkosten zu tra- § 1168 a ABGB misslungenes Werk anzusehen. Von einem gen, um eine Brauchbarkeit erst herbeizuführen. Fachunternehmen für Heizungs- und Sanitärinstallationen OGH 22. 11. 2022, 1 Ob 164/22 g Zak 2023/22, 17. FG darf die Kenntnis der einschlägigen Bauvorschriften erwar- Das Insolvenzrecht kurz und bündig! • Kompakter Überblick • über das gesamte Insolvenzrecht • auf aktuellem Stand mit GREx und RIRUG Dellinger/Oberhammer/Koller Insolvenzrecht 5. Auʐage 2023. XVIII, 326 Seiten. Br. ISBN 978-3-214-04251-6 48,00 EUR inkl. MwSt. shop.manz.at österreichisches anwaltsblatt 03_2023
166 Europarecht kurz & bündig Diese Ausgabe von „Europarecht kurz & Kompetenzen der Europäischen Institutionen Zusammenarbeit unabdingbar. Die gegenständliche Ent- bündig“ entstand scheidung basiert auf einem Vorschlag der Kommission, unter Mitwirkung von 2023/88 die ihr Initiativrecht als Institution ausgeübt und dabei im RAINER HABLE (RH) Nichtigkeitsklage – Beschluss (EU) 2019/1754 – Allgemeininteresse der Union agiert hat. Art 293 AEUV er- Rechtsanwalt in Wien/ Brüssel Beitritt der Europäischen Union zur Genfer Akte des möglicht es dem Rat, den Vorschlag der Kommission zu Lissabonner Abkommens über erweitern, solange die Zielsetzung der Bestimmung nicht Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben verändert wird. – Art 3 Abs 1 AEUV – Ausschließliche Zuständigkeit Das Hauptmotiv für diese Bestimmung ist der Beitritt der der Union – Art 207 AEUV – Gemeinsame EU zum Genfer Akt sowie die Schaffung einer Möglichkeit Handelspolitik – Handelsaspekte des geistigen für die EU, ihre exklusiven Kompetenzen im Bereich der Eigentums – Art 218 Abs 6 AEUV – Initiativrecht der gemeinsamen Handelspolitik auszuüben. Deshalb entschied Europäischen Kommission – Abänderung des der Gerichtshof, dass die Ratsentscheidung und ihre Abwei- Kommissionsvorschlags durch den Rat der chung die Zielsetzung des Vorschlages der Kommission, die Europäischen Union – Art 293 Abs 1 AEUV – Ausübung der jeweiligen exklusiven Kompetenzen, weitest- Anwendbarkeit – Art 4 Abs 3, Art 13 Abs 2 und Art 17 gehend verhindert. Zudem wurde durch die Änderungen Abs 2 EUV – Art 2 Abs 1 AEUV – Grundsätze der des Rates das institutionelle Gleichgewicht gestört, weshalb begrenzten Einzelermächtigung, des institutionellen Art 3 und 4 der Ratsentscheidung 2019/1754 gegen Art 293 Gleichgewichts und der loyalen Zusammenarbeit Abs 1 AEUV verstoßen. Mit der Entscheidung des Rates 2019/1754 wurde der Bei- EuGH (GK) 22. 11. 2022, C-24/20, Kommission/Rat. RH tritt der EU zum Genfer Akt, Teil des Lissabon-Abkom- mens, genehmigt. Das Lissabon-Abkommen ist eine spe- zielle Abmachung iS der Pariser Verbandsübereinkunft Beihilfenrecht zum Schutz des gewerblichen Eigentums (PVÜ). Sieben 2023/89 EU-Mitgliedstaaten (MS) waren bereits Teil des Lissabon- Abkommens, das nur Staaten den Beitritt erlaubt. Der Gen- Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Beihilfe des fer Akt ermöglichte nun auch der EU den Beitritt. Darauf- Großherzogtums Luxemburg – Beschluss, mit dem die hin erstellte die Kommission einen Vorschlag zum Beitritt Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und und der Rat genehmigte dies in Art 1 der Entscheidung rechtswidrig erklärt und ihre Rückforderung 2019/1754. angeordnet wird – Steuervorbescheid („tax ruling“) – Im Gegensatz zum Vorschlag der Kommission enthält die Vorteil – Selektiver Charakter – Entscheidung des Rates weitere Artikel, die den gesonder- Fremdvergleichsgrundsatz – Bezugsrahmen – ten Beitritt von MS zum Lissabon-Abkommen ermöglichen. Anwendbares nationales Recht – „Normale“ Die Kommission reichte daraufhin Klage beim Gerichtshof Besteuerung gegen die Erweiterung ihres Vorschlags durch den Rat ein. Im Jahr 2012 beantragte Fiat Finance and Trade (FFT), ein Zunächst wies der Gerichtshof den Einwand des Rates zu- Teil der Fiat/Chrysler-Automobilgruppe, bei den luxem- rück, dass eine Nichtigkeitserklärung nur für die gesamte burgischen Steuerbehörden die Genehmigung einer Ver- Entscheidung, nicht aber für einzelne Bestimmungen mög- rechnungspreisvereinbarung. lich ist. Der Gerichtshof erklärte, dass es möglich ist, einzel- Im Juni 2014 leitete die Kommission ein förmliches Prüf- ne Artikel getrennt von den anderen Bestimmungen für verfahren nach Art 108 Abs 2 AEUV ein. Die Kommission nichtig zu erklären, solange der Hauptinhalt der Entschei- stellte fest, dass mit dem Steuervorbescheid eine Methode dung nicht beeinflusst wird. Entscheidung 2019/1754 er- zur Ermittlung der Gewinnzuweisung an FFT innerhalb laubt primär den Beitritt der EU zum Lissabon-Abkommen, der Automobilgruppe gebilligt wurde, die es FFT ermög- was in Art 1 der Entscheidung festgehalten und durch eine lichte, seine Körperschaftsteuerschuld gegenüber Luxem- mögliche Nichtigkeitserklärung von Art 3 und 4 nicht be- burg auf jährlicher Basis zu ermitteln und alle in Art 107 einflusst wird. Abs 1 AEUV genannten Voraussetzungen für eine Einstu- Da der Rat eine Entscheidung bezüglich einer Internationa- fung als staatliche Beihilfe iS dieser Bestimmung erfüllt len Vereinbarung, nach Art 218 Abs 6 AEUV, getroffen würden. hatte, prüfte der Gerichtshof einen möglichen Verstoß ge- Die Prüfung des Vorteils und der Selektivität erfolgte in drei gen Art 293 Abs 1 AEUV. Der Gerichtshof hielt dazu fest, Schritten. Der erste Schritt ist die Bestimmung des Refe- dass diese Bestimmung in Verbindung mit zwei wichtigen renzsystems, wozu die Kommission das allgemeine luxem- institutionellen Prinzipien untersucht werden muss. Zu- burgische Körperschaftsteuersystem heranzog. Im zweiten nächst muss auf das institutionelle Gleichgewicht achtgege- Schritt wird festgestellt, ob eine steuerliche Maßnahme eine ben werden, welches darin besteht, dass die verschiedenen Abweichung vom Referenzsystem darstellt. Im dritten Institutionen ihre Aufgaben unter Rücksicht der anderen Schritt stellte die Kommission fest, dass es keine mögliche Institutionen ausüben. Weiters ist eine gegenseitige loyale Rechtfertigung für die Vorzugsbehandlung von FFT gibt. 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
167 Europarecht kurz & bündig Sowohl FFT als auch Luxemburg erhoben Klage auf Nich- die Art und Weise zu berücksichtigen, in der dieser Grund- tigerklärung des Beschlusses der Kommission. Irland wurde satz insbesondere in Bezug auf integrierte Unternehmen im als Streithelfer mit den Anträgen der Parteien zugelassen. luxemburgischen Recht umgesetzt wurde. Das Gericht wies in der Folge alle Klagegründe und die Kla- Mit seinem Urteil habe das Gericht die Anforderungen der gen in beiden Rechtssachen in vollem Umfang ab. Rsp nicht berücksichtigt, wonach es für die Feststellung ei- Die Parteien legten dagegen Rechtsmittel beim Gerichtshof nes selektiven Vorteils Sache der Kommission sei, einen ein. Zur Begründung machte Irland geltend, dass das Ge- Vergleich mit dem normalerweise in dem Mitgliedstaat gel- richt Art 107 Abs 1 AEUV bei der Beurteilung des Fremd- tenden Steuersystem vorzunehmen. Damit habe das Gericht vergleichsgrundsatzes falsch angewendet und die Selektivi- Art 107 Abs 1 AEUV rechtsfehlerhaft angewandt. Parame- tät des Steuervorbescheids fehlerhaft geprüft habe. ter und Regeln, die außerhalb des gegenständlichen natio- Der Gerichtshof stellte fest, dass die Kommission einen an- nalen Steuersystems liegen, können bei der Prüfung des deren Fremdvergleichsgrundsatz als den im luxemburgi- Vorliegens eines selektiven Vorteils nicht berücksichtigt schen Recht definierten verwendet hatte. Sie hatte sich so- werden, es sei denn, dieses nationale Steuersystem nimmt mit darauf beschränkt, in dem vom allgemeinen luxembur- ausdrücklich auf sie Bezug. gischen Körperschaftsteuersystem verfolgten Ziel die abs- EuGH 8. 11. 2022, C-885/19 P, C-898/19 P, Fiat Chrysler Fi- trakte Ausprägung dieses Grundsatzes zu erkennen, ohne nance Europe and Ireland/Kommission. RH Soft Law – harte Fakten AUCH AUF im Wirtschaftsrecht rdb.at • Haftungsrecht, Wettbewerbsrecht und Vertragsrecht • KSW-Fachgutachten • ESA-Leitlinien • Pʑichten von Unternehmensleitung und Wirtschaftsprüfern Ladler Soft Law und Sorgfaltspʐichten 2023. LIV, 360 Seiten. Br. ISBN 978-3-214-02647-9 98,00 EUR inkl. MwSt. shop.manz.at österreichisches anwaltsblatt 03_2023
168 Europa aktuell BRITTA KYNAST Leiterin ÖRAK-Vertre- EuGH zu RA-Honorarvereinbarungen tung in Brüssel. Die Au- torin ist in Deutschland zugelassene Rechtsan- wältin. D er EuGH hat am 12. 1. 2023 im Vorlageverfahren C-395/21, D.V., zu einer Vereinbarung einer Vergü- tung nach Zeitaufwand zwischen einem Rechtsanwalt und Sollte nach der Aufhebung der Klausel über die Vergü- tung nach den einschlägigen Vorschriften des innerstaatli- chen Rechts der entsprechende Vertrag nicht fortbestehen 2023/90 einem Verbraucher entschieden. können, kann eine Nichtigerklärung erfolgen, und zwar Nach Auffassung des EuGH, genügt eine solche Verein- auch dann, wenn dies bedeuten würde, dass der Gewerbe- barung, die sich nach dem Zeitaufwand richtet, ohne wei- treibende für seine Dienstleistungen überhaupt keine Ver- tere Angaben nicht dem Erfordernis der Klarheit und gütung erhält. (Rn 59) Verständlichkeit entsprechend der RL 93/13/EWG über Nur falls die Nichtigerklärung insgesamt für den Ver- missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.1 braucher besonders nachteilige Folgen hätte, ist das vorle- Das Erfordernis, dass die Vertragsklauseln klar und ver- gende Gericht ausnahmsweise befugt, eine für nichtig er- ständlich abgefasst sein müssen, und mithin das Transpa- klärte missbräuchliche Klausel durch eine dispositive oder renzerfordernis, das die RL auferlegt, seien umfassend zu im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der Vertrags- verstehen (Rn 36). parteien anwendbare Vorschrift des innerstaatlichen Rechts Der Vertrag müsse die konkrete Funktionsweise des zu ersetzen. Nachteilige Folgen wären zB Rechtsunsicher- Verfahrens, auf das die betreffende Klausel Bezug nimmt, heit aufgrund von Vergütung der Dienstleistung nach den und gegebenenfalls das Verhältnis zwischen diesem und innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf einer anderen dem durch andere Klauseln vorgeschriebenen Verfahren Grundlage als dem für nichtig erklärten Vertrag oder die in transparenter Weise darstellen, damit der betroffene Ver- Gültigkeit und Wirksamkeit der auf der Grundlage des Ver- braucher in der Lage ist, die sich für ihn daraus ergebenden trags vorgenommenen Handlungen (Rn 60, weitere Einzel- wirtschaftlichen Folgen auf der Grundlage genauer und heiten Rn 61 ff).2 nachvollziehbarer Kriterien einzuschätzen (Rn 37). Das Urteil des EuGH können Sie hier abrufen: Art 4 Abs 2 der RL 93/13 sei dahin auszulegen, dass eine Klausel, nach der sich die Vergütung nach dem Zeitauf- wand richtet, dem Erfordernis der Klarheit und Verständ- lichkeit nicht genügt, wenn dem Verbraucher vor Vertrags- abschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung mit Be- dacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen (Rn 45). Der EuGH führt zu konkreten Anforderungen aus: RL 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbrau- „In diesen Informationen – die je nach Gegenstand und cherverträgen abrufbar hier: Art der in den Vertrag über die Erbringung von Rechts- dienstleistungen vorgesehenen Leistungen und je nach den einschlägigen berufs- und standesrechtlichen Vorschriften unterschiedlich ausfallen können – müssen Angaben enthal- ten sein, anhand deren der Verbraucher die Gesamtkosten der Rechtsdienstleistungen der Größenordnung nach einzu- schätzen vermag, etwa eine Schätzung der Stunden, die vo- raussichtlich oder mindestens erforderlich sind, um eine be- stimmte Dienstleistung zu erbringen, oder die Verpflich- Die aktuelle konsolidierte Fassung der Richtlinie hier: tung, in angemessenen Zeitabständen Rechnungen oder re- gelmäßige Aufstellungen zu übermitteln, in denen die aufgewandten Arbeitsstunden ausgewiesen sind.“ (Rn 46) Zu beachten ist insb die Konsequenz eines solchen eventuellen Verstoßes: Das nationale Gericht ist verpflichtet, wenn es die Miss- bräuchlichkeit der Klausel über die Vergütung feststellt, die- se für unanwendbar zu erklären, sofern der Verbraucher dem nicht widerspricht. Damit wird der Verbraucher von 1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. 4. 1993 über missbräuchliche der Verpflichtung befreit, die gemäß der Klausel berechnete Klauseln in Verbraucherverträgen. Vergütung zu zahlen. Dies gilt auch in Fällen, in denen die 2 Redaktioneller Hinweis: In der nächsten Ausgabe des Anwaltsblatts wird eine Abhandlung zu möglichen konkreten Auswirkungen des Urteils vor Dienstleistungen bereits erbracht worden sind. (Rn 58) dem Hintergrund der bisherigen österreichischen Rechtslage veröffentlicht. 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
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170 3 Fragen an . . . Robert Jirovsky Mit Funktionsbeginn am 1. 9. 2022 bestellte Justizministerin Dr. Alma Zadić den pensionsbedingt scheidenden Abteilungsleiter für Großverfahren und berichtspflichtige Strafsachen Dr. Robert Jirovsky zum Rechtsschutzbeauftragten zur Wahrnehmung des besonderen Rechtsschutzes im Sinne der Strafprozessordnung. 2023/91 Der Rechtsschutzbeauftragte kontrolliert das staatsan- Was war Ihre persönliche Motivation, für das Amt des waltschaftliche Handeln, im Wesentlichen stehen ihm da- Rechtsschutzbeauftragten zu kandidieren, und welchen für gem § 23 Abs 1 a, §§ 147 und 195 Abs 2 a StPO ver- Zeitaufwand nimmt die Funktion in Anspruch? schiedene Prüf-, Kontroll- und Antragsrechte zu, jedoch Ich möchte meine Erfahrung, die ich mir im Strafrecht als keine direkte Entscheidungsgewalt. Was können Sie ef- Richter, Staatsanwalt und im Bereich der Fachaufsicht er- fektiv unternehmen, wenn Sie Missstände feststellen? worben habe, gerne weiterhin in die Rechtspflege einbrin- Dem Rechtsschutzbeauftragten steht grundsätzlich keine gen. Den Zeitaufwand, der für mich mit der Ausübung der direkte Entscheidungsgewalt zu, weil er als Amtspartei zur Funktion des Rechtsschutzbeauftragten längerfristig ver- Kontrolle von Anordnungen und Entscheidungen der bunden sein wird, kann ich noch nicht präzise abschätzen, Staatsanwaltschaften und Gerichte im strafprozessualen Er- weil derzeit die Notwendigkeit der möglichst gründlichen mittlungsverfahren berufen ist. Von diesem Prinzip gibt es Einarbeitung in die verschiedenen Aufgabengebiete im eine Ausnahme: Bei bestimmten besonderen Ermittlungs- Vordergrund steht und dies naturgemäß einen erhöhten maßnahmen gegen Berufsgeheimnisträger, wie etwa Vertei- Zeitbedarf zur Folge hat. diger bzw Rechtsanwälte, muss die Staatsanwaltschaft den Rechtsschutzbeauftragten um Ermächtigung zur Antrag- Die Rechtsschutzbeauftragten nach dem SPG, dem stellung auf Bewilligung der Maßnahme durch das Gericht FinStrG und dem MBG sind für die Dauer von fünf Jah- ersuchen. Wird diese verweigert, dann darf die Staatsan- ren bestellt, nur der Rechtsschutzbeauftragte nach der waltschaft diese Maßnahme bei Gericht nicht beantragen. StPO ist für die Dauer von drei Jahren bestellt. Gibt es In diesem Rahmen kommt dem Rechtsschutzbeauftragten dafür einen besonderen Hintergrund? daher direkte Entscheidungsgewalt zu. Werden vom Die Rechtsschutzbeauftragten nach dem SPG, dem FinStrG Rechtsschutzbeauftragten Missstände wahrgenommen, so und dem MBG wurden erst nach der Einführung des hat er die Möglichkeit, sich mit entsprechenden Hinweisen Rechtsschutzbeauftragten der Justiz installiert. Besondere an die Leitung der betreffenden Staatsanwaltschaft bzw an Hintergründe für die unterschiedlichen Regelungen der Be- die dieser übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft oder an stelldauer sind mir nicht bekannt. das Bundesministerium für Justiz zu wenden. Dr. Robert Jirovsky, geb 1957 in Wien; studierte Rechtswissenschaften in Wien, 1985 – 1988 Richter am ehemaligen Strafbezirksgericht Wien, 1988 – 1992 StA Wien, seit 1992 Referent im BMJ, 2001 – 2004 Leiter der Abteilung Einzelstrafsachen, 2004 – 2022 Leiter der Abteilung für Großverfahren und berichtspflichtige Strafsachen, seit 2022 Rechtsschutzbeauftragter zur Wahrnehmung des besonderen Rechtsschutzes im Sinne der Strafprozessordnung Dr. Robert Jirovsky Foto: Clemens Fabry 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
171 Abhandlungen 172 Bemerkenswertes aus der Judikatur des OGH in Strafsachen seit 2021 185 Die bedingte Nachsicht gemäß § 44 Abs 2 StGB österreichisches anwaltsblatt 03_2023
172 Abhandlungen Bemerkenswertes aus der Judikatur des OGH in Strafsachen seit 2021 Zusammenstellung wichtiger Aussagen in der Rechtsprechung des OGH aus 2021 – 2022, insb unter dem Gesichtspunkt der Praxisrelevanz aus Verteidigersicht. ECKART RATZ Der Autor, PräsdOGH iR, ist Mitherausgeber RIS-Justiz RS0092377; wie hier: 14 Os 32/17 p und und Autor der Wiener I. EINLEITUNG 11 Os 84/17 p EvBl 2018/83, 559). Kommentare zu StGB und StPO, verantwort- • 12 Os 20/21 i EvBl-LS 2021/144: Für ein „Anvertrauen“ lich für den strafrechtli- Ich habe für meinen Überblick über die wichtigsten Ent- ist eine spezifische Verpflichtung wesentlich, die Sache chen Teil des Evidenz- scheidungen des OGH in Strafsachen wie gewohnt auf die zurückzugeben, an jemanden weiterzugeben oder für je- blatts der Rechtsmittel- entscheidungen der ÖJZ für das EvBl der ÖJZ getroffene Auswahl zurückgegriffen. manden zu verwenden. Aus der allg Pflicht, einen Vertrag und Honorarprofessor Die Tatsache, dass in jedem Heft vier Entscheidungen vor- zu erfüllen, oder aus dem Umstand, jemandem eine be- für Strafrecht und Straf- prozessrecht der Univer- gestellt werden, stellt sicher, dass die Leserin und der Leser stimmte Sache oder Summe zu schulden, lässt sich (für sität Wien. auf knappem Raum über alle wichtigen Entwicklungen im sich allein) dagegen noch keine den Erfordernissen des Straf- und Medienrecht auf dem Laufenden gehalten und 2023/92 § 133 StGB genügende sachbezogene Verpflichtung ab- mithilfe von Hinweisen Zusammenhänge hergestellt wer- leiten, bestimmte Vermögensinteressen des Berechtigten den können. Die Rechtssätze und Hinweise des EvBl bis wahrzunehmen, zumal § 133 StGB keineswegs die Aufga- Heft 18/2022 bilden den Inhalt der nachfolgenden Judika- be hat, Vertragswidrigkeiten als solche zu pönalisieren; turübersicht. Zwischen Rechtssätzen als Entscheidungsin- auch Gelder, die der Täter bis zur vereinbarten Rückgabe, halt und Hinweis (aus Anlass der Entscheidungen) wird Weitergabe oder Verwendung für sich verwenden und in nicht unterschieden. eigenen Geschäften anlegen darf, sind ihm nicht anver- traut. Werden jedoch Gelder zur Erfüllung ganz be- II. MATERIELLES RECHT stimmter Aufgaben für den Treugeber übergeben, dann • 14 Os 119/20 m EvBl 2021/129: Betrug durch Doping sind sie anvertraut. Als Beispiele für Veruntreuung hat kommt zwar grundsätzlich auch für den Fall in Betracht, der OGH insb auf Kommissions- und Inkassogeschäfte dass es sich um Entlohnungen für Arbeitsleistungen han- hingewiesen: „Dem Verkaufskommissionär sind die delte, die der Täter aus einem – durch Täuschung erschli- zum Verkauf bestimmten Waren (wie auch die dafür ein- chenen oder täuschungsbedingt fortgesetzten – Vertrags- genommenen Gelder) vom Kommittenten ‚anvertraut‘ verhältnis schuldete, setzt aber (ua auch) voraus, dass (RIS Justiz RS0093973; 12 Os 85/05 z). Dasselbe gilt für dem Entgelt keine gleichwertige Arbeitsleistung gegen- die Einkaufskommission: Sowohl die Gelder als auch überstand. Zwar schränkt Sozialadäquanz bestimmter die gekauften Waren sind dem Kommissionär ‚anver- Verhaltensweisen im Rechtsverkehr die Betrugsstrafbar- traut‘ (zum Ganzen jüngst 6 Ob 75/18 z; vgl auch 11 Os keit – auch in Bezug auf die Erschleichung einer Anstel- 53/84; Salimi in WK2 StGB § 133 Rz 64). Das Kriterium lung – ein; stellt das Gesetz aber ein bestimmtes Verhal- der ‚alleinigen Verfügungsmacht‘, so der OGH weiter, ten als sozial schädlich unter Strafe, ist jedenfalls von des- stelle auf das Verhältnis zwischen dem Anvertrauenden sen Sozialinadäquanz auszugehen. Was gemäß dem und dem Täter ab, während es keineswegs ausgeschlossen Grundsatz „iura novit curia“ nicht Gegenstand der Be- sei, dass eine Sache mehreren Personen anvertraut weisaufnahme ist, scheidet als Inhalt von Tatsachenfest- werde.“ stellungen aus. Während notorische Tatsachen der Fest- • 14 Os 23/21 w EvBl 2021/143: Beauftragter iSd § 309 stellung bedürfen, also zum Untersatz des Syllogismus StGB ist jede Person, die rechtsgeschäftlich für ein Unter- der Rechtsfolgebestimmung zählen, ist das anzuwenden- nehmen handeln darf oder zumindest eine faktische de Recht Gegenstand des Obersatzes und somit nicht Ge- Möglichkeit der Einflussnahme auf betriebliche Entschei- genstand von Bindung des OGH nach § 288 Abs 2 Z 3 dungen hat. Zufolge der Einschränkung des § 309 StGB StPO, stattdessen erforderlichenfalls (vgl § 65 StGB) von auf eine vom Täter angestrebte Rechtshandlung sind rein diesem auf die festgestellten Tatsachen zur Anwendung faktische Tätigkeiten vom Tatbestand nicht umfasst. Da- zu bringen. Wie sich der OGH (oder das ErstG) die mit scheidet auch die Abgabe gutachterlicher Stellung- Rechtskenntnis verschafft, ist maW nicht Gegenstand nahmen durch einen unternehmensfremden SV, auf de- des zur Rechtsanwendung führenden Verfahrens von Be- ren Grundlage Unternehmensentscheidungen getroffen weisaufnahme, Beweiswürdigung und Tatsachenfeststel- werden, als eine solche rein faktische Handlung aus lung. Daran lässt die Entscheidung keinen Zweifel (ohne dem Tatbestand aus. § 13 Abs 2 zweiter Satz BTVG stellt Begründung und Auseinandersetzung mit RIS-Justiz klar, dass „[z]ur Feststellung des Abschlusses des jeweili- RS0053934, RS0099342 in Betreff ausl Rechts anders: Eckart Ratz Bemerkenswertes aus der Judikatur des OGH in Strafsachen seit 2021 03_2023 österreichisches anwaltsblatt
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