Eine Sammlung philosophischer Texte - Leipziger Schriften
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Zum Geleit Liebe Lesende, wir schreiben den Juni 2020 und es fühlt sich an wie eine Zeit, von der noch geredet werden wird. Dann jedenfalls, wenn wir uns besinnen und Glück haben, sodass wir eines Tages wieder dicht beisammensitzen, uns dieser Monate des Umbruchs erinnernd. Sind das zu drastische Worte? Die Redaktion ist sich uneins. Als wir mit der Arbeit an dieser Ausgabe begannen – erstmals in einer offenen Redak- tionsrunde – da trafen wir uns in Kneipen und es war kein Problem, wenn immer noch ein Stuhl mehr und dann noch einer herangezogen wurde, während die Kerzen herun- terbrannten. Spürten wir damals schon etwas heraufgrummeln? Spüren wir es jetzt oder sind wir mittendrin? Was bedeutet die eingebrochene Unsicherheit, die viele lang schon bestehende Fragen an die Oberfläche schwemmt und Raum böte, endlich Dinge zu ver- ändern? Sind die Philosophen gefragt, herauszufinden, wie wir weiter miteinander leben wollen? Oder sollten wir alle mutig Nachdenkende, Träumende, Handelnde sein, die es wagen, schädliche Gewohnheiten abzulegen und einander vertrauen ohne anzuklagen? Es ist der erste sehr heiße Tag im Juni, ein Gewitter ist angekündigt und in einem Zim- mer weit über der Stadt, wo die Schriften ihren letzten Schliff erhalten, spricht man über die Liebe. Gedeiht sie in einem Geist, der sich ihr zuliebe von allem zu lösen bereit ist, was er in sich an Regungen spürt, die nicht liebend sind? Wie können wir liebend han- deln in der Abwehr berechnender Attitüden? Und müssen wir erst zu grübeln aufhören, um in der Liebe zu sein? Es ist ein schöner Abend und der Raum ist voller Tatendrang und Hoffnung. Diese möchten wir durch die dritte Ausgabe der Leipziger Schriften mit Ihnen teilen. Sie ist eine Aufsatzsammlung zu den Themen Geist und Liebe, die sich nun ins Licht der Cafés und Lesesäle und anderer wieder geöffneter Orte traut, obwohl sie weiß, dass die Themen in ihrem Innern ziemlich groß und vielleicht größer sind, als sie sie erfassen kann. Aber wo sollten wir anfangen, wenn nicht beim Grundlegenden? Allen ehrenamtlichen Künstlern und Philosophinnen, technischen Bastlern und finan- ziellen Förderern danken wir herzlichst. Frohen Mutes Ihr Leipziger-Schriften-Team
Inhaltsverzeichnis Wort zur dritten Ausgabe Wort zur dritten Ausgabe............................................................................... 5 „Geisterbahn. Was ist das eigentlich? Etwa der Flur einer Bibliothek, von dem aus es zu I. GEIST .................................................................................................. 6 den Regalreihen abgeht?“ In den vergangenen Ausgaben war es uns immer ein Anliegen gewesen, sowohl ein The- Jonas Held im Gespräch: Philosophie des Geistes? ......................... 8 ma zu wählen, das man zur theoretischen Philosophie zählen kann und eines, das in die Jana Baum: Der Begriff des Geistes nach Gilbert Ryle ..................... 14 praktische Philosophie fällt. Vom Thema ‚Natur‘ in der ersten Ausgabe sind wir nun zum Pirmin Stekeler-Weithofer: Phänomenologie des Geistes als Thema ‚Geist‘ fortgeschritten1. In dieser Ausgabe ist der Unterschied zwischen Theoreti- spekulatives Selbstbewusstsein............................................................ 19 schem und Praktischem möglicherweise bereits aufgelöst. Aber wenn sich theoretische Erkenntnis mit dem beschäftigt, was ist, dann könnte man sagen, dass, wenn das, was ist, Matthias Gaudron: Vernünftig, lebendig, allmächtig: Geist ist, der Geist auch Gegenstand der theoretischen Philosophie sein muss. Gott als Geist bei Thomas von Aquin ............................................... 27 Nun aber, was bezeichnet das Wort ‚Geist‘ überhaupt? Wir kennen im Deutschen so man- León Antonio Heim: Transformative Theorien .............................. 32 cherlei Variationen, die mit der philosophischen Rede von Geist sehr viel bis sehr wenig Alexej Licharew: Anthropologie und Geist bei Scheler ................... 37 zu tun haben, oder gar einen möglichen Kategorienfehler widerspiegeln. Diese Variatio- Konrad Lindner: Logik der Freiheit - nen gehen vom Zeitgeist über Redewendungen wie „Da scheiden sich die Geister“ bis hin zum Gespenst. In der Philosophie wiederum begegnen wir einem anderen Phänomen, Pirmin Stekeler holt Hegel ins Heute.................................................. 30 und zwar, dass die Rede von Geist als eine Art „Verschleierung“ auftritt, als ein Zauber- wort, bei dem wir stehen bleiben und aufhören zu erklären. ‚Geist‘ aber ist ein Wort bei dem wir philosophisch nicht aufhören dürfen, sondern anfangen müssen. Unsere Ausgabe fällt gewiss an vielerlei Stellen ebenfalls in einen solch mysteriös anmu- II. LIEBE .................................................................................................. 42 tenden Sprech: Indem wir aber das Thema setzen, möchten wir herzlich zu einem Diskurs der „Entschleierung“ einladen. Die Beiträge sind sehr verschieden, werfen diesmal aber auch einen kleinen Blick auf das Institutsgeschehen der Philosophie an der Universität Anna Oswald: Einleitende Überlegungen ........................................ 50 Leipzig. Passend zur Emeritierung von Prof. Pirmin Stekeler-Weithofer, haben wir nicht Nico Sebastian Musa: Liebe als Zugang zur Weisheit...................... 51 nur einen Beitrag von ihm selbst in unsere Sammlung mitaufnehmen dürfen, sondern Jakob Kümmerer: Zum Liebesbegriff bei Marx................................ 55 auch einen Beitrag erhalten, der sich eigens der Bedeutung seines philosophischen Wir- Carmina Röger: Vom Traum des Wir............................................... 61 kens widmet. Und zur praktischen Philosophie? Nun ja, wir dachten uns, wenn wir schon einmal bei Markus Schmidt: Amor - das Ideal der romantischen Liebe........... 62 den vermutlich größten Worten und Themen sind, dann kann im Praktischen unser The- Anna Heidelk: Verweilen bei einem Freund ma nur die Liebe sein. Und wer hätte es gedacht: Wir haben unter den Philosophierenden Die Liebe Teresa von Avilas................................................................ 71 sogar Mutige gefunden, die für uns dazu geschrieben haben und uns somit einladen, mit ihnen gemeinsam darüber nachzudenken. Und so, wie es bisher galt, so gilt auch für diese Ausgabe: Wir setzen nur das erste und nicht das letzte Wort. Streiten Sie mit! Wie das Treiben weitergeht............................................................................ 77 1 Der Fortschritt von ‚Natur‘ zu ‚Geist‘ ist möglicherweise ein Fortschritt zu einem Gegensatz, der Ersterem eine neue Bedeutung geben könnte. Dies ist jedoch ein Thema für sich, vielleicht auch das Thema schlechthin, sowohl des menschlichen Lebens als auch der Philosophie gleichermaßen. 5
Geist »Die Erkenntnis des Geistes ist die konkreteste, darum höchste und schwerste.«« G. W. F. Hegel
Jonas Held im Gespräch: Philosophie des Geistes? Im Rahmen dessen, dass Thema unserer muss jedoch gesagt werden, dass sehr viele dritten Ausgabe der Begriff des Geistes ist, Philosophinnen und Philosophen auch interessiert es uns, was denn genau unter ein weiteres Verständnis davon haben, was einer ‚Philosophie des Geistes‘ verstanden Philosophie des Geistes sei, als das eben wird. Es wird ja ein Bereich der Philosophie skizzierte. Wir können darauf vielleicht so genannt. Was bezeichnet der überhaupt? gleich noch zu sprechen kommen. Was für einen Gegenstand hat die Philoso- phie des Geistes? Also das heißt, Philosophie des Geistes wird als bloßes Randgebiet bzw. als ein Teilbe- Diese Frage ist meines Erachtens gar nicht reich verstanden? so leicht zu beantworten. Die Philosophie des Geistes wird vielfach als Teildisziplin Ja, genau. Zumindest Teilgebiet, nicht der theoretischen Philosophie verstanden. Randgebiet, denn die Philosophie des Schaut man sich die vielen Einführungs- Geistes ist gerade in der analytischen bücher zu dem Thema an, so bekommt Philosophie sehr wichtig. Wir können man leicht den Eindruck, dass die Philo- aber gerne auch gleich zu einer Kritik an sophie des Geistes primär das Leib-Seele- einem solch engen Verständnis der Philo- Problem zu ihrem Gegenstand hat. Dies sophie des Geistes übergehen (lacht). Es war zumindest mein Eindruck, als ich als ist meines Erachtens vor allem deshalb Student solche Bücher gelesen habe. Zu- problematisch, die Philosophie des Geis- meist beginnen solche Einführungen mit tes zu stark auf das Leib-Seele-Problem Descartes und dem Substanzdualismus. zu beschränken, weil damit die primäre Da der Substanzdualismus mit offensicht- Frage, was es für uns bedeutet, geistige – lichen Problemen konfrontiert ist, wird er d.h. denkende und fühlende – Wesen zu lediglich als historische Randnotiz bespro- sein, etwas in den Hintergrund gerät. Um chen. Danach werden ausführlich unter- aber überhaupt zu verstehen, ob und wie schiedliche Ansätze diskutiert, die zeigen die Frage nach dem Zusammenhang von sollen, dass geistige Zustände nicht subs- Geist und Körper sinnvoll gestellt werden tantiell verschieden sind von körperlichen kann, müssen wir zuerst danach fragen, Zuständen, zum Beispiel Identitätstheorie, was wir unter Geist genau verstehen. Re- Funktionalismus oder Supervenienztheo- flektieren wir auf uns selbst als geistige rie. Damit wird meines Erachtens aber die Wesen, so sind damit etwa die Fragen ver- Philosophie des Geistes nicht nur sehr eng bunden, wie wir fähig sind, Urteile zu fäl- auf ein spezifisches Problem beschränkt, len oder Schlüsse zu vollziehen. Aber auch, sondern auch mit einer bestimmte Debat- was es für uns bedeutet, Überzeugungen, te gleichgesetzt, die in der zweiten Hälfte Gefühle und Emotionen zu haben. Ver- des 20. Jahrhunderts innerhalb der ana- stehen wir die Philosophie des Geistes in Titel: Urbeath lytischen Philosophie geführt wurde. Es diesem Sinne als die Frage, was es für uns 8
Jonas Held im Gespräch Philosophie des Geistes? bedeutet, über einen Geist zu verfügen, so gewisser Weise sozusagen eine von außer- ken sehr ernst, dass wir nicht einfach aus zu haben, bedeutet für Ryle nicht das Vor- ist sie nicht mehr mit einer bestimmten halb des Denkens oder des Geistes? Dass unserem Denken hinaustreten können. liegen bestimmter mentaler Zustände oder Debatte innerhalb der theoretischen Phi- man drei Dinge hätte: Ich, diejenige, die Es ist aber wichtig anzumerken, dass dies Ereignisse, sondern es bezeichnet eine be- losophie gleichzusetzen, sondern mit einer untersucht, und dasjenige, was untersucht gerade nicht bedeutet, dass jeder Einzelne stimmte Art des Könnens, zum Beispiel philosophischen Reflexion auf uns selbst, wird, „mentale Zustände”, und dann will durch eine Form der inneren Wahrneh- die Fähigkeit, Begriffe anzuwenden oder die es schon so lange gibt, wie es Philoso- man die auch noch irgendwie mit dem Kör- mung einen besonderen epistemischen Urteile zu fällen. Vor dem Hintergrund phie gibt. Die Philosophie des Geistes ist perlichen zusammenbringen? Zugang zu seinem eigenen Geist hätte. dieser Bestimmung des Geistigen glaubt dann auch mehr als eine bloße Teildiszi- Dies anzunehmen, würde wiederum be- Ryle, bestimmte Probleme der Philoso- plin oder sie ist zumindest intrinsisch mit Doch, dem würde ich zustimmen. Es gibt deuten, den Bereich des Geistigen zu ob- phie des Geistes als Scheinprobleme ent- anderen Teildisziplinen verbunden. Um sicherlich zwei sehr unterschiedliche Me- jektivieren. Methodisch bedeutet es aber, larven zu können, etwa die Frage, wie ein zum Beispiel verstehen zu können, was es thoden oder Herangehensweise an das dass die Philosophie des Geistes die erst- geistiges Ereignis ein körperliches Ereignis für uns bedeutet, Überzeugungen zu ha- Thema, je nachdem, wie viel Gewicht personale Perspektive, d.h. die Perspektive (eine Handlung) verursachen kann. In ih- ben, müssen wir etwa wir der Tatsache bei- des denkenden und fühlenden Subjekts, ren Überlegungen zum absichtlichen Han- auch die erkenntnis- messen, dass wir nicht ernst nehmen muss. deln kommt auch Anscombe zu ähnlichen theoretische Rolle von »Einen Geist zu haben einfach aus unserem Ergebnissen. Ryle und Anscombe sind bei- Überzeugungen und Denken hinaussteigen Dabei muss ich sogleich an Hegel denken, de von Ludwig Wittgenstein und dessen deren sprachlichen bedeutet für Ryle nicht und es von außen be- bei dem Geist unter anderem auch genau grammatischen Untersuchungen geistiger Ausdruck in Betracht trachten können. Pro- diese Art der logischen Selbstbeziehung be- Ausdrücke beeinflusst. Laut Wittgenstein ziehen. Darüber hin- das Vorliegen be- blematisch scheint mir schreibt, wenn er zum Beispiel schreibt: „In geht es nicht darum, die Probleme der aus spielt sicher auch vor allem, wenn der dem sich selbst erkennenden Geiste [ist] das Philosophie des Geistes zu beantworten, die Rolle von Über- stimmter mentaler Bereich des Geistigen Hervorgebrachte eins und dasselbe mit dem sondern darum zu untersuchen, welche zeugungen für unser objektiviert und unter Hervorbringenden.“, und deswegen könne Annahmen uns dazu verleiten, zu glau- Handeln sowie die so- Zustände oder Ereig- Geist ein bestimmter der Zweck einer Philosophie des Geistes nur ben, dass es sich dabei um echte Probleme ziale Dimension von Bereich der Wirklich- der sein, „den Begriff [des Geistes] in die Er- handelt. Seine Methode ist dabei nicht nur Überzeugungen eine nisse, s ondern es be- keit begriffen wird. Vor kenntnis des Geistes wieder einzuführen“. negativ. Meines Erachtens ist Wittgenstein Rolle usw. Die Philo- diesem Hintergrund durchaus bemüht, durch eine Reflexion sophie des Geistes hat zeichnet eine verkommt das Leib- Wenn ich denn verstehe, was Hegel hier auf die Sprache und die Weise, wie Urteile, es damit also auch mit Seele-Problem dann sagt, so scheint mir das tatsächlich mit Überzeugungen, Gefühle usw. in der Spra- Fragen zu tun, die in bestimmte Art des zu der Frage, wie zwei dem zuvor Gesagten zusammenzuhängen, che ausgedrückt werden, zu einem tieferen der Erkenntnistheo- Bereiche der Wirklich- obwohl Hegel einen noch weiteren und Verständnis des Geistigen zu gelangen. Ich rie, der Sprachphilo- Könnens.« keit – Entitäten mit möglicherweise auch interessanteren Be- glaube, dass seine kritische Methode gera- sophie, der Hand- mentalen Eigenschaf- griff des Geistes hat, als denjenigen, über de heute und mit Bezug auf ein eher ein- lungstheorie oder der Sozialphilosophie ten, im Gegensatz zu solchen mit körper- den wir bisher gesprochen haben. Ich geschränktes Verständnis der Philosophie gestellt werden. Eine zu starke Arbeitstei- lichen Eigenschaften – sich zueinander kenne mich mit Hegel aber leider nicht des Geistes, wie ich es oben beschrieben lung scheint in der Philosophie grundsätz- verhalten. Das Leib-Seele- Problem derart wirklich aus (lacht) und würde daher lie- habe, noch immer von großer Relevanz ist. lich nicht möglich. Aber auch ein weites zu formulieren, ist meines Erachtens nicht ber noch kurz etwas zu Philosophinnen Verständnis der Philosophie des Geistes sinnvoll. Eine ganz andere Perspektive auf und Philosophen des 20. Jahrhunderts wie Das ist in der Tat eine spannende Kritik an lässt noch sehr unterschiedliche Konzep- das Geistige findet sich etwa bei Immanuel Elisabeth Anscombe oder Gilbert Ryle sa- einer gewissen Philosophie des Geistes. Was tionen davon zu, was Geist letztlich sei. Ob Kant. Für Kant ist unser Geist nicht ein- gen, die meines Erachtens einen wichtigen siehst du hauptsächlich kritisch daran? unter Geist beispielsweise bestimmte Fä- fach ein weiterer Bereich der Wirklichkeit, und kritischen Beitrag zur Philosophie des higkeiten und Vermögen verstanden wer- sondern wir verstehen erst durch eine Re- Geistes geliefert haben, der jedoch manch- Ich kann dies vielleicht an einem Beispiel, den oder ob Geist, etwas zugespitzt formu- flexion auf geistige Akte wie Urteilen und mal etwas zu wenig gewürdigt wird. Ryle mit dem ich mich in meiner Dissertation liert, dasjenige bezeichnet, was in unserem Schließen, was Wirklichkeit ist und was würde vielleicht nicht von ‚dem Geist‘ im beschäftigt habe, etwas verdeutlichen. Es Kopf vor sich geht, eine Ansammlung von es bedeutet, diese zu erfassen. Eine solche Singular sprechen, sondern von unter- handelt sich dabei um die Frage, wie wir Zuständen und Prozessen. Reflexion ist für Kant zudem wesentlich schiedlichen geistigen Fähigkeiten, über den Vollzug einer Schlussfolgerung erklä- Ist so eine Betrachtungsweise vielleicht in Selbst-Reflexion, Kant nimmt den Gedan- die eine Person verfügen kann. Einen Geist ren. In der gegenwärtigen Debatte wird 10 11
Jonas Held im Gespräch darunter zumeist ein bestimmter menta- gen werden. Ich finde es zudem spannend, ler Prozess verstanden: Ein mentales Er- dass die oben genannten Autoren, Witt- eignis (das Akzeptieren der Prämissen) genstein und Ryle, in ihren Untersuchun- verursacht ein weiteres mentales Ereignis gen des Geistes ohne die Verwendung sol- (das Akzeptieren der Konklusion). Es wird cher Ausdrücke auskommen. dann danach gefragt, welche weiteren Be- dingungen erfüllt sein müssen, damit ein Nun doch zu Hegel? derartiger Prozess als Schlussfolgerung ausgezeichnet und von anderen geisti- Auch wenn ich oben versucht habe, einem »Die formale, nicht ihrerseits historisierbare Invariante der gen Prozessen, zum Beispiel assoziativen sehr eingeschränkten Verständnis der Prozessen, abgegrenzt werden kann. Pro- Philosophie des Geistes, das sich haupt- Genese von Fiktionen ist der Geist als das menschliche blematisch an diesem Vorgehen ist etwa, sächlich mit dem Leib-Seele-Problem dass damit bereits vorausgesetzt ist, dass beschäftigt, ein weiteres Verständnis ent- Vermögen der Selbstbildfähigkeit. Der Mensch lebt sein Leben Schlussfolgerung und Assoziation etwas gegenzusetzen, so ist der damit gewonne- miteinander teilen, in beiden Fällen wird ne Begriff des Geistigen noch immer viel im Licht einer Vorstellung davon, wer oder was er ist.« ein mentales Ereignis durch ein anderes enger als Hegels Begriff des Geistes. Hegels verursacht, die Schlussfolgerung ist ledig- objektiver Geist umfasst etwa die Sphäre – M. Gabriel lich komplexer oder anspruchsvoller als des Rechts, der Sittlichkeit und des Staates. die Assoziation. Kant oder auch Gottlob Wir sehen damit, dass hier ein wesentlich Frege waren da ganz anderer Meinung. anderer Begriff des Geistes am Werk ist. Beide Philosophen glauben, dass die Ver- Versteht man unter Philosophie des Geis- bindung von Urteilen im Schluss von ganz tes diejenige Disziplin, die im Englischen anderer Art ist, als eine assoziative Ver- als ‚Philosophy of Mind‘ bezeichnet wird, bindung von Vorstellungen. Was mich an so sollte man, wie Prof. Stekeler-Weithofer dieser Debatte jedoch grundlegend stört, mir mal gesagt hat, das Englische ‚mind‘ ist, dass im Nachdenken über die Schluss- besser mit dem deutschen Ausdruck ‚Ge- »Die Substanz des Geistes ist die Freiheit, d. h. das Nichtabhän- folgerung bereits bestimmte Begriffe wie müt‘ als mit dem Ausdruck ‚Geist‘ über- ‚mentaler Prozess‘ oder auch ein bestimm- setzen. Der Ausdruck Geist hat in der gigsein von einem Anderen, das Sichaufsichselbstbeziehen.« tes Konzept der Verursachung schlicht vo- deutschsprachigen philosophischen Tra- rausgesetzt werden. Meines Erachtens geht dition eine viel weitere Bedeutung, als »[...] die wirkliche Freiheit ist also nicht etwas unmittelbar es aber umgekehrt gerade darum, dass wir das, was im Englischen mit dem Ausdruck durch eine Reflexion auf die Frage, was ‚mind‘ bezeichnet wird. Da ich, wie gesagt, im Geiste Seiendes, sondern etwas durch seine Tätigkeit eine Schlussfolgerung sei, überhaupt erst leider viel zu wenig von Hegel verstehe, etwas darüber in Erfahrung bringen, um will ich mich besser nicht aufs Glatteis wa- Hervorzubringendes.« was für eine Art geistigen Vollzug es sich gen und Hegels Begriff des Geistes hier zu dabei handelt. Liest man heute Texte zur erklären versuchen. Dazu bin ich schlicht – G. W. F. Hegel Philosophie des Geistes, so werden tech- nicht in der Lage. Es scheint mir aber rich- nische Ausdrücke wie ‚mentaler Zustand‘, tig zu sagen, wie in der Frage zu Hegel, der ‚mentales Ereignis‘ und ‚mentaler Pro- ich weiter oben ausgewichen bin, bereits zess‘ fast schon inflationär verwendet. Ich angedeutet wurde, dass Hegel mehr als je- bin nicht dagegen, dass solche Ausdrücke der andere die Selbst-Reflexion des Geis- verwendet werden. Mir scheint jedoch tes auf sich selbst, d.h. auf seinen eigenen wichtig, dass solche Ausdrücke durch eine Begriff, ernstgenommen und am weitesten Reflexion auf geistige Vollzüge gewonnen vorangetrieben hat. werden und nicht quasi von Außen an eine Untersuchung des Geistigen herangetra- Interview: Anna Oswald. Endredaktion: Nico Sebastian Musa. 12
Der Begriff des Geistes nach Gilbert Ryle Der Begriff des Geistes Die Kategorienverwechslung und der selben Kategorie gehören. Der „Mythos endlose Regress vom Geist in der Maschine“ beruht nach ihm auf einer „Kategorienverwechslung“ nach Gilbert Ryle Der Dualismus von Körper und Geist be- sagt, dass Körper physikalischen Natur- (Ryle 1969, 17). Ein Beispiel von Ryle für eine Kategorienverwechslung ist, dass eine gesetzen unterliegen und sich in Zeit und Person nach Amerika reist, um eine Uni- von Jana Baum Raum treffen. Der Geist hingegen konsti- versität zu besichtigen. Da die Universität tuiert sich nicht im Raum, die Geister der kein einheitlicher Gebäudekomplex ist, Menschen treffen deshalb nicht direkt auf- werden ihr in der ganzen Stadt unter- einander, und sind unabhängig von Na- schiedliche Lehrsäle, Bibliotheken etc. Was heißt es wirklich, vom Geist oder Und genau das versucht er zu widerlegen turgesetzen. Man kann somit nur vermu- gezeigt. Am Ende fragt die Person, ob sie geistigen Tätigkeiten zu sprechen? Und – er sagt, dass bei der Verwendung von be- ten, dass „in“ den anderen Körpern auch nun auch noch die Universität sehen kön- wie verhalten sich die Geistesbegriffe zuei- stimmten Begriffen zur Beschreibung des ein Geist steckt. Entsprechend führen ne. Der Fehler ist, dass sie die Universität nander und zu allem anderen? Eine mög- Geistigen gegen die R egeln der Logik ver- wir alle in unserem Innern „[…] das Le- in dieselbe Kategorie wie ihre Einzelteile liche Antwort auf diese Fragen findet man stoßen werde. Entsprechend möchte er die ben eines Robinson eingeordnet hat. Ent- bei Gilbert Ryle. „Logik der Geistestätigkeitsbegriffe rich- Crusoe des Geistes sprechend wusste sie tigstellen“ (Ryle 1969, 14). So ist von An- […]“ (Ryle 1969, 10). nicht, dass sie die Uni- Ryle möchte in Der Begriff des Geistes den fang an klarzustellen, dass er nicht einfach Ryle schildert folgen- versität bereits gesehen „altehrwürdigen Gegensatz zwischen Ma- den Begriff ‚Geist‘ aufgreift und definiert. des Problem bei der hatte. Den Geist und terie und Geist“ (Ryle 1969, 23) auflösen, Viel eher betrachtet er, was man mit dem Unterscheidung von den Körper als polares den er als „Descartes Mythos“ oder als Begriff ‚Geist‘ meint, das sind z. B. geistige Geist und Körper: Gegensatzpaar anzu- „das Dogma vom Geist in der Maschine“ Tätigkeiten, und ordnet diese neu ein. So Galileos mechanische sehen, also in dieselbe bezeichnet. Gemeint ist heißen die Kapitel seines Theorien brachten Kategorie einzuordnen, die von Philosophinnen Werkes u. a. „Können ein umfangreiches ist nach Ryle falsch. und P hilosophen wie »Der Geist ist kein und Wissen“, „Der Wil- Vokabular zur Er- Ausgehend von der Ka- auch in der Gesellschaft le“, „“Die Vorstellung“, klärung von Körper, tegorienverwechslung verbreitete Unterschei- merkwürdiger Ort.« „Der Verstand“ etc. Ryle Bewegung und Raum attackiert Ryle eine in- dung zwischen Geist1, analysiert diese Geistes- mit sich. Man ver- tellektualistische Posi- dem psychischen Innenleben, und Körper, begriffe und zeigt auf, dass sie sich nicht suchte jedoch auch tion2, die intellegintes dem physischen Außenleben. Nach Ryle mithilfe des Gegensatzpaares ‚Geist und damit, den Geist zu Handeln basierend auf ist „[d]er Glaube an den polaren Gegen- Körper‘ erklären lassen. Specht nennt beschreiben, was of- dem Dualismus von satz zwischen Geist und Materie […] der Ryles Vorgehen eine „sprachanalytischen fensichtlich nicht ge- Körper und Geist er- Glaube daran, daß sie Ausdrücke dessel- Entmythologisierung des Geistes“ (Specht lang, denn „Beschrei- klärt. ben logischen Typs sind“ (Ryle 1969, 23). 2005, 297). bungen geistiger Tätigkeiten mußten mit Nach Ryle verortet der Intellektualismus Nachfolgend stelle ich Ryles Argumenta- Hilfe barer Verneinungen der besonderen Tätigkeiten wie zum Beispiel intelligentes tion gegen den Dualismus von Geist und Körperbeschreibungen vorgenommen Handeln im Geist (und nicht im Körper). 1 Genau genommen, handelt es sich in Ryles Aus- Körper und eine darauf basierende Posi- werden; sie sind nicht im Raum, sie sind Damit eine Handlung intelligent ist, muss einandersetzung um den englischen Begriff „mind“. Der vorliegende Artikel bedient sich der deutschen tion des Intellektualismus zur Erklärung nicht Bewegungen […] Ein Geist ist nicht man in Gedanken dabei sein und bestimm- Übersetzung von „The concept of mind“, und über- geistigen Handelns vor. Danach werde ein Stückchen Uhrwerk, es ist nur ein setzt „mind“ somit mit „Geist“. Diese Übersetzung ist ich am Beispiel der B egriffe „Können und Stückchen Nichtuhrwerk“ (Ryle 1969, 19). 2 Ryle wurde von u. a. Jason Stanley (vgl. Stanley jedoch mit Vorsicht zu betrachten, da Konsens in der 2011, 14) vorgeworfen, dass es die Art und Weise, Literatur ist, dass die Begriffe nicht deckungsgleich Wissen“ zeigen, wie er Geistestätigkeits- Geht man davon aus, dass der Geist nicht wie er den Intellektualismus beschreibt, nicht gebe sind – auch wenn keine Einigkeit darüber herrscht, begriffe stattdessen auslegt und einordnet. den determinierenden Naturgesetzen un- und sein Gegner somit ein „straw man“ – eine Vogel- inwiefern sie sich unterscheiden. Der Unterschied terliegt und entsprechend nicht Natur ist, scheuche – sei. Michael Kremer weist diesen Vorwurf der beiden Begriffe wird nicht Thema dieses Artikels in seinem Aufsatz „Ryle’s „Intellectualist Legend“ in sein. gelingt es nicht, ihn mit physikalischem Historical Context“ zurück, indem er einige Intellek- Vokabular zu beschreiben. Grund dafür ist tualisten identifiziert, die Ryle gelesen hat und auf die nach Ryle, dass Geist und Körper nicht zur er, ohne sie direkt zu benennen, höchstwahrschein- lich eingegangen ist (vgl. Kremer 2017). 14 15
Jana Baum Der Begriff des Geistes nach Gilbert Ryle te Regeln oder auch Kriterien erfüllen. Können und Wissen entspricht, sondern das eigene Handeln Können fasst Ryle zusammen: „Die Frage Beispielsweise ruft ein Koch die Rezepte reflektiert und gegebenenfalls verbessert ist nicht, ob sich gewisse gespenstische vor sein inneres Auge, bevor bzw. während Und weiter sagt er: „Vernünftige Hand- und anpasst. „Jemandes Handeln wird als Vorgänge ereignet haben oder nicht, son- er kocht. Intelligentes Handeln beginnt lungen unterscheiden sich von unvernünf- sorgfältig oder gekonnt bezeichnet, wenn dern ob gewisse ‚könnte‘- oder ‚würde‘- also mit einer intellektuellen Handlung tigen nicht durch ihre Herkunft, sondern er fähig ist, in seinem Vorgehen Fehler zu Sätze und gewisse andere Einzelanwen- im Kopf3, und wird dann vom Körper aus- durch ihre Ausführung, und das trifft nicht entdecken und auszumerzen […] er wen- dungen von ihnen wahr oder falsch sind“ geführt. „Es ist zuerst ein bißchen Theorie weniger auf intellektuelle als auf prakti- det Kriterien an, indem er kritisch vorgeht (Ryle 1969, 55f). und dann ein bißchen Praxis“ (Ryle 1969, sche Handlungen zu“ (ebd.). Vernünftiges d. h. versucht, was er tut, richtig zu tun“ Entgegen der Theorie von Geist und Kör- 32). Ryles grundliegender Einwand ist fol- Handeln gehört nach Ryle zu den Geistes- (ebd.). per als Gegenpole sagt Ryle zusammen- gender: „Das Erwägen von Sätzen ist selbst tätigkeitsbegriffen, die wir unter „Intelli- Während Wissen meint, bestimmte Regeln gefasst: Der Geist ist kein „merkwürdi- eine Tätigkeit, die mehr oder weniger in- genz“ zusammenfassen (Ryle 1969, 27). zu kennen, heißt Können, sie korrekt an- ger Ort“ (Ryle 1969, 47) oder die okkulte telligent, mehr oder weniger dumm aus- So beschreiben wir intelligente Tätigkeiten zuwenden. Die korrekte Anwendung von Ursache für intelligente Handlungen, son- geführt werden kann“ (Ryle 1969, 34). So als u. a. „klug, vernünftig, sorgfältig, […] Regeln ist zwar eine hinreichende Bedin- dern die Art und Weise, wie Handlungen kann man zum Beispiel bestimmte Regeln logisch, witzig, aufmerksam, kritisch […]“ gung für Können, aber keine notwendige. (gedanklich oder körperlich) ausgeführt falsch aufrufen. Möchte der Koch ein Brot (ebd.). Wie in obigem Zitat deutlich wird, Während der Intellektualismus die Intelli- werden. Die These „Wissen von Regeln ist backen, reicht es nicht, sich an irgendein ist es nicht entscheidend für die Intelligenz genz im Wissen verortet, möchte Ryle mit Intelligenz.“ verstößt ihm zufolge gegen Rezept zu erinnern, das er mal gelernt hat. einer Handlung, dass es eine geistige Ursa- dem Begriff Können zeigen, dass es kein die Logik der Geistesbegriffe. Man kann Es kommt darauf an, dass es ein Rezept für che gibt, die den Körper in Gang setzt. Es Wissen braucht, nämlich sowohl Brot ist und dass er sich korrekt daran er- kommt nur auf die Art und Weise an, wie um intelligent »Während Wissen meint, auf unintelligen- innert. Der intellektuellen Handlung des gehandelt wird – nämlich: intelligent oder zu sein. Bei- te Weise Regeln Rezept-Aufrufens muss also eine weitere nicht –, und dabei ist es egal, ob die Hand- spielsweise kann bestimmte Regeln zu kennen, kennen5, als intellektuelle Handlung vorausgehen, die lung nur eine gedankliche ist oder eine öf- eine Person sehr auch intelligent dafür sorgt, dass man es innerlich richtig fentlich ausgeführte. schlagfertig und heißt Können, sie korrekt handeln, ohne abruft. Also muss man, bevor man eine Diesen Sachverhalt verdeutlicht Ryle mit humorvoll sein, jedwede Regeln Handlung intelligent ausführt, intelligent der Unterscheidung von Können und sodass man ihr anzuwenden.« zu kennen. Wis- darüber nachdenken und davor intelligent Wissen4. Mit Wissen meint er das Wissen Intelligenz zu- sen heißt nicht darüber nachdenken, wie man darüber um propositionale Sätze, also, dass man schreibt. Dabei bezieht sie sich weder auf zwangsläufig Können, und Können wie- nachdenkt. Das bezeichnet Ryle als end- weiß, dass etwas der Fall ist. Es geht um bestimmte Regeln des Humorvoll-Seins, derrum gib es auch ohne Wissen. Intelli- losen Regress und folgert: „Der Regreß Regeln, Kriterien oder Theorien, die man noch könnte sie welche aufstellen. Was in- genz hängt viel eher von den Fähigkeiten ist unendlich, und das macht die Theorie kennt. Können hingegen meint, fähig zu telligente Handlungen hingegen bestimmt, einer Person ab. Es kommt nicht darauf absurd, nach der eine Handlung nur dann sein, bestimmte Dinge zu tun – und zwar sind Fähigkeiten, Fertigkeiten, Anlagen an, dass die Person die Handlung wirklich intelligent sein kann, wenn sie von einer nicht irgendwie, sondern richtig (vgl. und Neigungen (vgl. Ryle 1969, 54). Das ausführt, sondern darauf, dass sie es könn- vorhergehenden intellektuellen Handlung Ryle 1969, 31). In diesem Fall beschreibt bedeutet auch, dass eine Person eine intel- te. Und wenn sie die Handlung ausführt, gelenkt wird“ (Ryle 1969, 35). man das Können einer Person als intelli- ligente Handlung nicht wirklich ausführen ist nicht entscheidend, dass sie sich dabei 3 Mit „im Kopf “ ist allgemeinsprachlich „im Geist“ gent. Wichtig dafür ist außerdem, dass die muss, um sie zu können. Der Satz ‚Person in Gedanken auf Regeln oder Theorien be- oder „in Gedanken“ gemeint. Da ist also eine Stim- Person für ihr Können in gewisser Weise X kann Fahrrad fahren‘, bedeutet nicht, ruft. „[…] etwas wirksam tun heißt nicht: me, die das Rezept aufsagt oder das Bild des Rezeptes verantwortlich ist und nicht wie beispiels- dass sie gerade wirklich Fahrrad fährt. Nur zwei Dinge tun. Es heißt: ein Ding auf eine in unserem Kopf – und nicht in unseren Füßen. Was heißt im Kopf? Ist der Geist also unser Gehirn? Fall weise ein Tier im Zirkus dressiert ist. weil beispielsweise gerade kein Fahrrad da bestimmte Weise tun (Ryle 1969, 59). ja, dann wäre er den Naturgesetzen unterlegen und Während das Tier im Zirkus seine Tricks ist, heißt das nicht, dass diese Person das womöglich unfrei. Falls nein, dann ist er von anderer immer gleich macht, also bestimmten entsprechende Können nicht besitzt. Und Qualität, hat aber eine Verbindung zu unserem Kör- per, sodass er ihn zum Handeln anstößt. Wie kann Kriterien entspricht, wendet die Person, wenn sie dann Fahrrad fährt, ruft sie ge- das sein? Wirft diese vermeintliche Erklärung und die etwas kann, die Kriterien und Regeln danklich wahrscheinlich keine Regeln des Verortung des Geistigen nicht mehr Fragen auf, als an. Das bedeutet, dass sie ihnen nicht nur Fahrradfahrens auf. Sie fährt einfach – gut sie löst? Ryle würde sagen: Ja! Er warnt deshalb vor 5 Beispielsweise indem man sie falsch kennt oder gar dieser „irreführende[n] Metapher“ (Ryle 1969, 47) 4 Im Englischen spricht er von knowledge how für oder schlecht. Wenn sie gut fährt, ist das nicht weiß, was sie bedeuten, und entsprechend nicht sowie vor dem dazugehörigen Ausdruck „im Geiste“. Können und von knowledge that für Wissen. Können. Über intelligentes Handeln bzw. fähig ist, sie anzuwenden. 16 17
Jana Baum Phänomenologie des Geistes als spekulatives Selbstbewusstsein von Pirmin Stekeler-Weithofer 1. Hegels Ausdruck „Phänomenologie des Der Ausdruck „Phänomenologie“ ver- Geistes“ ist Überschrift seines (ersten) weist nun lange vor Husserl und Heideg- Meisterwerks. Als solche ist sie bis heute ger zunächst auf eine Logik der Erschei- noch nicht voll in ihrer verdichtenden Be- nungen. Von zentraler Bedeutung ist dabei deutung verstanden. Ursprünglich hatte der ‚wesenslogische‘ Satz, dass das Wesen Hegel als Themenbezeichnung „Wissen- (etwa des Geistes oder dann auch Gottes) schaft vom erscheinenden Bewusstsein“ das Gesamt seiner Erscheinungen ist. Mit vorgesehen. Damit scheint klarer als im Hilfe von Nominalisierungen und meta- endgültigen Buchtitel ausgedrückt zu sein, phorischen Sätzen artikulieren wir grobe dass es sich um eine kanonische Darstel- Allgemeinaussagen über derartige ‚Dinge‘. lung von Wissen über die äußeren Formen Teilthemen einer Logik der Reflexionsbe- und damit die reale Konstitution des Be- griffe des Geistigen sind auf der subjekti- greifens und Beherrschens geistiger Inhal- ven Seite Empfindung, Wahrnehmung, te – samt deren Verfassung selbst – han- Verstand, Vernunft; auf der objektiven delt. Denn Bewusstsein ist Wissen von Seite kooperative Praxisformen und In- etwas in der Welt. Selbstbewusstsein ist stitutionen, wie sie in ihren besonderen nicht, wie im Deutschen, Entschlossen- Konkretisierungen von den Sozial- und heit als Charakterzug oder auch Selbstge- Geschichtswissenschaften, also den Geis- wahrsein wie im kolloquialen Gebrauch teswissenschaften kanonisch dargestellt des englischen „self-consciousness“. Es ist werden. Der absolute Geist ist dann der Wissen vom Wissen, Können und Han- selbstbewusste Vollzug gemeinsamen Le- deln. Wie der aristotelische Ausdruck bens, besonders in gemeinsamen Feiern „noesis tes noeseos“ enthält es das Wissen der Religion und Kunst, mit Philosophie um die Bestimmung der Inhalte gerade als sinnkritischer Kommentierung. auch von Intentionen.1 Die Grundlage al- len Selbstbewusstseins sieht Hegel freilich 2. Hegels Phänomenologie des Geistes ist Literatur schon in der Abfolge von animalischer Be- also keine Entwicklungsgeschichte des gierde und Befriedigungsempfindungen. Geistes. Es handelt sich nicht um einen Kremer (2017): Ryle`s „Intellectualist Le- Specht, E. K. (2005): Ryles sprachanaly- – mehr oder weniger tragischen, jeden- gend“ in Historical Context. In: Journal tische Entmythologisierung des Geistes. 1 Auch für Ludwig Wittgenstein ist die Entwicklung falls dramatischen – Bildungs- oder Erzie- von Selbstbewusstsein nicht nur Aufgabe von Phi- for the History of Analytical Philosophy. Kant-Studien: Bd. 46. Berlin. losophie, sondern entscheidet über die ‚Größe‘ der hungsroman der Menschheit, wie sich das Volume 5, Number 5. Persönlichkeit oder ‚Fülle‘ der Person: „Je weniger etwa Alexandre Kojève mit Georg Lukács Stanley (2011): Know How. Oxford: Ox- sich Einer selbst kennt und versteht um so weniger und Karl Marx und viele andere denken, groß ist er, wie groß auch sein Talent sein mag. Da- Ryle, Gilbert (1969): Der Begriff des Geis- ford University Press. rum sind unsere Wissenschaftler nicht groß. Darum womit sie Hegel in eine Tradition setzen, tes. Stuttgart: Reclam. sind Freud, Spengler, Kraus, Einstein nicht groß.“ wie sie von Lessing zu Schiller und Herder, Vermischte Bemerkungen 1946, in: Werkausgabe nicht von Kant zu Hegel führt. Wir finden (Suhrkamp), Band 8, p. 516. 18 19
Pirmin Stekeler-Weithofer Phänomenologie des Geistes als spekulatives Selbstbewusstsein in dem Werk aber auch keine Begründung sondern phänomenologisch-dialektischen unmittelbar aufzeigbare ‚Phänomene‘. voraussetzt, was dann erst recht für die von Thesen zur Psychophysik, eher eine Aufhebung jedes Skeptizismus. Man kann diese ‚Position‘ „Sinnesdaten- Wahrnehmung gilt. (sinn)kritische Beurteilung naheliegender, Unsere Reden über empirische Instantiie- empirismus“ nennen oder auch „subjekti- aber zumeist irreführender ‚Theorien‘ (der rungen von Typen hier und jetzt oder dort ven Idealismus“ im Sinne der Weltansicht 4. Unter dem Titel „Wahrnehmung“ greift Entwicklung) des menschlichen Geistes und dann enthalten nun längst schon ge- George Berkeleys und seiner Formel „esse Hegel auf, was Kant in seiner leicht iro- und unseres Wissens. Dies geschieht auf nerisch-allgemeine und dabei partiell im- est percipi (posse)“. Es gibt aber gar kei- nischen Kritik an John Lockes Erkennt- der hohen, ‚spekulativen‘, Ebene der Re- mer schon analogische Sprachformen. Erst ne Sinnesdaten als Bezugsgegenstände, es nistheorie „Physiologie des Verstandes“ flexion auf das Ideale und Schematische recht figurativ sind nominale Ausdrücke gibt nur sinnlich (und begrifflich) vermit- genannt hatte. Es handelt sich um die Vor- sowohl unserer weltbezogenen Begriffe und Sätze der Reflexionsebene, auf der wir telte Unterscheidungen und die (abstrak- stellung einer ‚kausalen Einwirkung‘ von als auch aller Reflexions- über Arten, Typen und Be- ten) Unterschiede, welche gemeinsame Dingen auf unsere Sinnlichkeit in der Per- begriffe.2 Eine ‚Naturalisie- »Bewusstsein ist griffe sprechen und dann in Unterscheidungen (Unterscheidbarkeiten) zeption. John McDowells Mind and World rung‘ der Erkenntnistheo- noch höhergestuften Reflexi- möglich machen. Dabei setzt jedes Zeigen ist eine Einführung in die Phänomeno- rie oder des Geistes, wie Wissen von etwas onen über Formen und Mo- (samt der indexikalischen der deiktischen logie, indem auch sie die ‚begrifflichen‘ sie der formale Logiker W. mente des Geistes. Während Wörter wie „dieses“, auch „hier“, „jetzt“, Vorbedingungen der Wahrnehmung einer V. O. Quine vorschlägt, ist in der Welt.« wir schon im Reden über die „dort“, „ich“, „du“) ein begriffliches Vor- Sache sinnkritisch analysiert: Eine Wahr- schon deswegen irrefüh- manifeste empirische Welt verständnis der relevanten Art und damit nehmung kann ‚wahr‘ nur sein im Zu- rend, weil es sich um (meta-)metastufige allgemeine Inhalte und geistige Fähigkei- des Begriffs (eidos) des Gezeigten voraus, sammenhang mit einem (am Ende verbal Kommentare unseres Könnens handelt, ten präsupponieren, werden diese auf den wie der spätere Wittgenstein ebenfalls gefassten) Wahrnehmungsurteil, das sagt, nicht um Erklärungen eines beobachtba- verschiedenen Reflexionsebenen zu the- einsehen wird.3 Außerdem ist das Zei- dass etwas unter eine inferentiell dichte ren Verhaltens. matischen, nicht etwa ontischen, Gegen- gen gleichursprünglich zur (interaktiven) bzw. mit Dispositionen verbundene Klas- Zwar ist ein subjektiver Geltungsanspruch ständen. Sogar schon dann, wenn wir eine Praxis des Perspektivenwechsels als Basis sifikation fällt, also so und so (gemeinsam) im Einzelfall ähnlich fallibel wie die Aus- Subsumtion einer Sache oder eines Gegen- raum-zeitlicher Ordnungen präsentischer zu unterscheiden ist und entsprechend führung eines Könnens, das immer auch standes unter einen Begriff beurteilen, be- Dinge. Um die Sinngleichheit von Witt- unterschieden werden kann oder sollte). aus irgendwelchen kontingenten Ursachen wegen wir uns auf einer Meta- oder gar gensteins und Hegels Einsichten einzu- Jetzt liegt auch der Übergang zu „Kraft schiefgehen kann. Und doch steht der Meta-Meta-Ebene. Daher sagt Hegel, dass sehen, müssen wir freilich die nominale und Verstand“ auf der Hand. Denn die Normalfall häufig so klar und deutlich im Kant in der dritten Kritik, der Kritik der Ausdrucksweise („das Hier“, „das Jetzt“) ‚Eigenschaften‘, die wir in begrifflichen Kontrast zu seinen determinierten Nega- Urteilskraft, wahrhaft spekulativ denkt. als Momente in einem Kommentar zur ob- Unterscheidungen den wahrgenommen tionen wie die 1 als Ziffer und dann auch Denn reflektierende Urteilskraft, die von jektstufigen Verwendung der Demonstra- ‚Gegenständen‘ zusprechen, sind Dis- als Zahl zu allen anderen Ziffern und Zah- einem Beispiel zu einem allgemeinen Be- tivwörter (‚Pronomen‘) begreifen. D. h., im positionseigenschaften. Wir sagen ja von len. Vor dem Hintergrund dieser ‚schwä- griff als Einheit von Unterscheidung, Aus- Nominalisieren („das Ich“, „das Jetzt“ etc.) einem Ding, es habe die „Kraft“, unter die- bischen‘ Ablehnung jeder überschwäng- druck und generischer Normalfallinferenz beziehen wir uns auf keinen mystischen sen und jenen Bedingungen so und so auf lichen Sophistik spricht Hegel nicht ohne übergeht, gehört schon zur freien Ver- Gegenstand, sondern reflektieren auf die andere Dinge und dann auch auf uns zu leise Ironie von einem „sich selbst voll- nunft. Als solche überschreitet sie den Ver- Gebrauchsform von „ich“, „hier“, „jetzt“. wirken. Damit bewerten wir dispositio- bringenden Skeptizismus“. Dabei spielt er stand als das bloße Vermögen der schema- Hegel ruft uns so z. B. in seinem idiosyn- nelle Zuschreibungen als wahr. ‚Empiri- – auf eine für ihn typische Weise – mit der tischen Anwendung schon gesetzter und kratischen Satz der Form „das Jetzt ist die sches‘ Erkennen setzt dabei den Verstand Ambivalenz des Ausdrucks „vollbringen“, erlernter Regeln, Sätze und Begriffe. Nacht“ auf, sich den Kontrast zu „jetzt ist als Vermögen der Regeln und Begriffe und der ja bedeutet: „etwas erfolgreich tun“. Tag“ vorzustellen. Als Ergebnis von He- dieser setzt allgemeine Geltungsbedingun- Der Erfolg einer performativen Skepsis im 3. Im ersten Kapitel der Phänomenologie gels logischer Analyse sinnlicher Gewiss- gen voraus. ‚Kausales‘ Wissen ist je nur ge- Sinn eines genauen Beobachtens der äu- steht nun der Ausdruck „sinnliche Ge- heit ergibt sich, dass schon das Zeigen und nerisches Wissen. ßeren Formen, eben das meint ja das grie- wissheit“ mal objektartig für meine oder der Gebrauch indexikalischer Ausdrücke In gewissem Sinn macht Hegel dann vor chische Wort „skopein“, besteht nämlich deine Gewissheit, mal für die ‚epistemolo- im Perspektivenwechsel begriffliches All- dem vierten Kapitel der Phänomenologie gerade in einer nicht dogmatischen, gische‘ Position, nach welcher alles Wissen gemeinwissen empraktisch und holistisch eine Art Schnitt, da es ab jetzt um etwas auf sinnlicher Gewissheit ‚aufbaue‘, so also, Neues geht, nicht mehr um ein bloßes Be- als wären die eigentlichen Bezugsgegen- 3 Vgl. die völlige Übereinstimmung im Inhalt mit L. wusstsein oder Wissen von Dingen und 2 Speculari bedeutet, etwas von einer hohen Warte, Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr. z.B. einem Wachtturm, turris specultionis, aus zu be- stände unseres Aussagens über die Welt 38: „Was benennt aber z.B. das Wort „dieses“ (…) Sachen, sondern um Selbstbewusstsein. obachten. Das Wort „speculum“, Spiegel, passt frei- ‚zunächst‘ so etwas wie Sinnesdaten oder „am besten, man sagt garnicht, daß diese Wörter Zum bloßen Proto-Selbstbewusstsein, das lich auch zur Reflexion. etwa benennen“. 20 21
Phänomenologie des Geistes als spekulatives Selbstbewusstsein wir mit Tieren gemein haben, gehören alle Wortes Bewusstsein, obwohl manchmal Empfindungen subjektiver Befriedigung, auf ungrammatische Weise das Verb im auch die Vigilanz, Aufmerksamkeit und Plural steht, so wie wir sagen, dass 1 und das Gewahrsein in Bezug auf sich und die 2-1 gleiche Zahlen sind. präsentische Stellung zu anderen Dingen. Die leibliche Begierde in enaktiver Per- 6. Vorgeschaltet ist ein Vorgriff auf den zeption (Alva Noë) ist dabei bloß erst ein gesamten Rest des Buches, nämlich in animal appetite, wie auch McDowell sagt. einer berühmten Formel, die ich hier in zwei Hälften zerlege: „Das Ich ist ein Wir“. 5. Dieter Henrich und andere (wohl auch Denn jeder, der laut oder leise „ich“ sagt, noch McDowell) lesen (mit Fichte) den sagt es als Teilnehmer in einem Dialog Titel „Selbstbewusstsein“ als unmittel- mit einem realen oder vorgestellten, also bare ‚Begleitung‘ aller (geisti- möglichen Du oder Ihr, in jedem ger) Vollzüge durch das „ich Fall in einer Bezugnahme auf denke“, ganz gemäß der kan- »Das Ich ist uns. Das Ich-Sagen setzt so im- tischen Auffassung von ‚tran- mer schon ein Wir der Sprecher szendentaler Apperzeption‘. ein Wir.« und Hörer voraus. Außerdem Hegel dagegen fragt, wie hier hat jede bewusste Aussage die die Wörter „ich“, „selbst“ und „denke“ folgende selbstbewusste Form: „ich sage, überhaupt zu verstehen sind. Wie kann dass wir sagen können, dass φ“. Frege hat sich ein Selbstbewusstsein auf sich selbst bekanntlich einen Teil dieses Gedankens kognitiv oder praktisch beziehen? Und wie durch den Senkrechten oder Urteilsstrich kann ich das im Selbstbezug performativ ├ φ ausdrücken wollen. Allerdings ge- instantiieren? Man beachte, dass es sich da- braucht er den Urteilsstrich ohne indexi- bei um zwei Fragen handelt. Die erste fragt kalischen Verweis auf das je sprechende nach der allgemeinen, logischen Form Subjekt, was z. B. eine Notation der Form des Selbstbewusstseins als kognitive oder ├ ich φ verlangen würde. Die Folge ist, dann auch praktische bewusste Bezugnah- dass der Urteilsstrich ├ φ in der mathema- me auf ein Wissen oder Bewusstsein, das tischen Begriffsschrift nur noch bedeutet als Vollzug in gewissem Sinne identisch ist „der Satz φ kann im System als wahr ge- mit dem Objekt der Selbstthematisierung. setzt gelten bzw. entsprechend hergeleitet Ich mache mich ja in einem Akt der Form werden“. des Selbstbewusstseins zum Gegenstand Die zweite Hälfte des Hegelschen Merksat- meines Wissens oder Bewusstseins. Es ist zes lautet: Das Wir ist ein Ich. Normaler- ein Akt der Reflexion, der eine Reflexions- weise sagt ‚ein Ich‘ vertretungsweise „wir“. form aktualisiert. Wie verhalten sich dabei Das heißt, ich sage oder du sagst „wir“. Subjekt und Objekt, also das Bewusstsein, Sehr selten, etwa in (zivil)religiöser Li- das im Vollzug etwas tut, etwa über sich turgie und damit im Vollzugsmodus des nachdenkt und von sich etwas weiß, und absoluten Geistes, sagen wir gemeinsam das Bewusstsein als Objekt, der themati- „wir“, nämlich in Chor- oder Kirchenlie- sche Gegenstand? In welchem Sinn sind dern, z. B. auch bei Sportereignissen. sie verschieden, in welchem als ‚identisch‘ Es ist dann je nach Kontext auf verschie- gesetzt? Es ist von entscheidender Bedeu- dene Weise die Frage zu beantworten, ob tung für das Verständnis, dass hier nicht das Wort „wir“ für jeden von uns (distri- von zwei Individuen die Rede ist. Hegel butionell), für eine Gemeinschaft oder für selbst benutzt ja auch keinen Plural des ein generisches Wir steht. Im distributio- 23
Pirmin Stekeler-Weithofer Phänomenologie des Geistes als spekulatives Selbstbewusstsein nellen Fall kann die Aussage „wir gingen ganze Gehirn) den Rest des Leibes so und der Befriedigungsgefühle ‚des Knechtes‘ ge- den Dingen sprechen, nämlich um durch spazieren“ bedeuten, dass du in den Wald so sprechen und handeln lässt. Dabei lese schehen. diese ein typisches Verhalten ‚kausal zu er- und ich in die Stadt ging. Im Gemein- ich das Wort „Arbeit“ metonymisch. Als Am Ende hängt sogar alles vom Tun, der klären‘. Dabei bedenkt Dennett die (repro- schaftsfall gemeinsamen Handelns ist das „gehemmte Begierde“ steht es für eine in- konkreten Arbeit, nicht vom bloß reden- duzierbaren) Vollzugsformen nicht, nach ausgeschlossen – was im Prinzip der gan- tentional gerichtete Erfüllung von Absich- den Denken ab – was sich in der Kritik denen ‚wir‘ etwas erklären oder auch einer ze Inhalt der sogenannten Sozialontologie ten durch eigenes Handeln, nicht für das am Stoizismus noch einmal zeigen wird. artikulierten Absicht gemäß handeln. Es (Margaret Gilbert, Michael Bratman, Rai- Arbeiten eines leiblichen Sklaven für einen Im Kampf zwischen dem denkenden mag nicht leicht sein, das Haben von Inten- mo Tuomela, John Searle) ist: Wir müssen geistigen Herrn. Herrn und dem die Befriedigung seiner tionen robust von bloßen Zuschreibungen dann immer überprüfen, ob das, was wir Im Urbild der Metapher oder Allegorie Neigungen begehrenden Knecht, dem zu unterscheiden. Denn das setzt eine Art tun, noch ein hinreichend gemeinsames ist freilich jemand Herr, wenn er einem Selbstbewusstsein der Selbstbestimmung ‚Harmonisierung‘ von Fremd- und Selbst- Tun ist. Was das je konkret bedeutet, ist Knecht sagen kann, was er tun soll. Der und dem Proto-Selbstbewusstsein in der zuschreibungen voraus. Aber es ist absurd, durch Normen für das gemeinsame Han- Knecht handelt dann nicht nach eigenem Befriedigung animalischen Begehrens, ha- die eigenen Vorsätze und Absichtszu- deln und Leben bestimmt, z. B. durch eine Begehren, sondern aus der „Furcht des ben also beiden Teile oder Momente ein schreibungen nur als Rationalisierungen Sitte und durch das Ethos der Sittlichkeit, Herrn“ (die aller Weisheit Anfang ist). lebhaftes Interesse daran, den je anderen eines vorgängigen Tuns oder Verhaltens das auch das erlaubte individuelle Han- Die Dialektik von Herr und Knecht wird Teil am Leben oder die je andere Macht ex post anzusehen. Damit wird klar, dass deln einschränkt. Generisch aber ist jedes jetzt zu einer analogischen Kritik daran, in ihrer Wirksamkeit zu erhalten. Daher mancher Pragmatismus (etwa auch der Wir, das in Aussagen vorkommt, in denen wie man sich üblicherweise (und wie sich ist der Kampf um gegenseitige Anerken- Quines und Davidsons) den Kontrast zwi- wir es auch durch das Wort „man“, „die schon Platon) das Verhältnis zwischen nung zwischen Herr und Knecht, Vorsatz schen Subjekt und Objekt auf ‚behaviorale‘ Leute“ oder „der Mensch“ ersetzen könnte, dem (personalen) Ich als dem subjektiven und Begierde, Handlung und einem nei- und damit, wie schon Hegel weiß, inko- etwa in Sätze der Art „wir Menschen kön- Geist in seiner (also je meiner) Verleib- gungsmotivierten Verhalten sozusagen härente Weise so ‚aufhebt‘, dass alle Sub- nen sprechen und betreiben Kunst und lichung und dem (empirischen) Ich (als nur im Prinzip oder gar nur zum Schein jekte im Vollzug ihres Tuns ‚von uns‘ bloß Wissenschaft“. Nicht jeder kann sprechen Leib im präsentischen Tun hier und jetzt) ein Kampf auf Leben und Tod. als sich irgendwie bewegende Dinge auf- und nur wenige nehmen an der Praxis der vorstellt, etwa als Entgegensetzung von gefasst werden, denen ‚wir aus pragmati- expliziten Entwicklung von Können und praktischer Vernunft (Kants gutem Willen) 8. Daniel Dennett, dessen Arbeiten man schen Gründen‘ der Erklärung des Verhal- Wissen und damit an einer Art ‚Selbstent- und einer leiblich-animalischen Neigung mit Recht als hervorragendes Beispiel heu- tens geistige Intentionen als Dispositionen wicklung des Geistes‘ teil. (die der Wille bzw. das Denken wie einen te verbreiteter Ansichten diskutieren kann, sozusagen einhauchen. Sklaven zu beherrschen hätten). begeht in seinen (nicht weniger metapho- 7. Die eigentliche Überlegung im Selbst- Dabei gibt es, andererseits, tatsächlich eine rischen) Reden über intentionale Syste- 9. Zum Abschluss kann nun nur noch eine bewusstseinskapitel hat eine analogische Art ‚Kampf auf Leben und Tod‘, nämlich me (die bei ihm auch Tiere oder Roboter kurze Liste der Seelenbegriffe kommen- Form. Es geht lange vor Gilbert Ryles zwischen Absicht und Begierde, Vernunft sein können) einen eklatanten Fehler, der tiert werden, welche in ihren individual- The Concept of Mind (auch vor den Tex- und Neigung: Wird im ‚arbeitenden‘ Han- zugleich die in sich widersprüchlichen psychologischen, (mikro-)soziologischen ten Maurice Merleau-Pontys) um Sinn- deln nicht das getan, was den Vorsatz als Vorurteile eines metaphysischen Objek- (bzw. ethnologischen), logischen (philo- kritik an der Vorstellung, im kantischen Artikulation einer Absicht praeter hoc er- tivismus (Naturalismus, Materialismus) sophischen) und dann auch ethischen (re- Ausdruck „ich denke“ sei eine Geistseele füllt, verwandelt sich die Absicht des Vor- aufweist. Dennett meint, wir schrieben ligiösen und theologischen) Aspekten zu Herrin und der Leib vollführe in der Äu- satzes ex post zu einem bloßen (Selbst-) anderen Wesen und uns selbst Intentionen unterscheiden sind. ßerung oder im Handeln (dem prakti- Wunsch und wird als Absicht annulliert. und andere geistige Kräfte oder Zustände Die Leibseele als Lebenskraft lebendiger schen Denken des Descartes) die Rolle Ähnlich ergeht es – nur umgekehrt – der in ähnlicher Weise zu, wie manche ‚Wil- Wesen ist lange vor dem Buch De Anima des Knechtes, der, wie ich es ausdrücke, zunächst unmittelbaren Begierde, wenn den‘ etwa nach Frazer4, Wilhelm Wundt5 des Aristoteles eine geradezu weltweite eine Sprecher- oder Handlungsabsicht sie durch die im Vorsatz geplante Hand- oder Sigmund Freud über Dämonen in Redeform und trägt das Bild, nach dem (leiblich) in die Tat umsetzt. Nach meiner lung gehemmt und die Neigung damit sie im Sterben als letzter Atem aus dem Lektüre (und Hegels Text bestätigt sie voll umgelenkt wird. In der Bewertung der Er- 4 J.G. Frazer, The Golden Bough. A new abridgement, Körper entweicht. Aristoteles unterschei- ed. by R. Fraser, Oxford Univ. Pr. 1994. Vgl. auch „Be- und ganz) geht es um die Destruktion der füllung der Bedingungen des Inhalts der merkungen über Frazers Golden Bough“, in. L. Witt- det zwischen vegetativer, sensitiver und Vorstellung, es gäbe eine ontische Seele, Absicht genießt das Selbstbewusstsein wie genstein, Vortrag über Ethik u.a. kl. Schriften, Suhr- noetischer Seele, womit aber im Grunde die unmittelbar Zugriff auf Inhalte, auch im sozialen Urbild ‚der Herr‘ die Früchte kamp 1989, besonders auch p. 36: „Wir müssen die nur die Seinsformen von Pflanze, Tier und ganze Sprache durchpflügen“ und p. 38 „In unserer Intentionen, haben soll und ihnen ge- der Arbeit. All das kann aber nicht ohne Sprache ist eine ganze Mythologie niedergelegt“. Mensch skizziert sind, so aber, dass die je mäß (etwa über die Zirbeldrüse oder das Umlenkung des Begehrens des Leibes bzw. 5 Vgl. dazu z.B. W. Wundt, Elemente der Völkerpsy- tiefere Ebene in der höheren sozusagen chologie, Leipzig: A Kröner 1912. 24 25
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