Eine Sammlung philosophischer Texte - Leipziger Schriften

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Eine Sammlung philosophischer Texte - Leipziger Schriften
Eine Sammlung philosophischer Texte
Eine Sammlung philosophischer Texte - Leipziger Schriften
3. Ausgabe
Leipzig, Juni 2020
Zum Geleit

Liebe Lesende,

wir schreiben den Juni 2020 und es fühlt sich an wie eine Zeit, von der noch geredet
werden wird. Dann jedenfalls, wenn wir uns besinnen und Glück haben, sodass wir eines
Tages wieder dicht beisammensitzen, uns dieser Monate des Umbruchs erinnernd. Sind
das zu drastische Worte? Die Redaktion ist sich uneins.
Als wir mit der Arbeit an dieser Ausgabe begannen – erstmals in einer offenen Redak-
tionsrunde – da trafen wir uns in Kneipen und es war kein Problem, wenn immer noch
ein Stuhl mehr und dann noch einer herangezogen wurde, während die Kerzen herun-
terbrannten. Spürten wir damals schon etwas heraufgrummeln? Spüren wir es jetzt oder
sind wir mittendrin? Was bedeutet die eingebrochene Unsicherheit, die viele lang schon
bestehende Fragen an die Oberfläche schwemmt und Raum böte, endlich Dinge zu ver-
ändern? Sind die Philosophen gefragt, herauszufinden, wie wir weiter miteinander leben
wollen? Oder sollten wir alle mutig Nachdenkende, Träumende, Handelnde sein, die es
wagen, schädliche Gewohnheiten abzulegen und einander vertrauen ohne anzuklagen?
Es ist der erste sehr heiße Tag im Juni, ein Gewitter ist angekündigt und in einem Zim-
mer weit über der Stadt, wo die Schriften ihren letzten Schliff erhalten, spricht man über
die Liebe. Gedeiht sie in einem Geist, der sich ihr zuliebe von allem zu lösen bereit ist,
was er in sich an Regungen spürt, die nicht liebend sind? Wie können wir liebend han-
deln in der Abwehr berechnender Attitüden? Und müssen wir erst zu grübeln aufhören,
um in der Liebe zu sein? Es ist ein schöner Abend und der Raum ist voller Tatendrang
und Hoffnung.
Diese möchten wir durch die dritte Ausgabe der Leipziger Schriften mit Ihnen teilen.
Sie ist eine Aufsatzsammlung zu den Themen Geist und Liebe, die sich nun ins Licht der
Cafés und Lesesäle und anderer wieder geöffneter Orte traut, obwohl sie weiß, dass die
Themen in ihrem Innern ziemlich groß und vielleicht größer sind, als sie sie erfassen
kann. Aber wo sollten wir anfangen, wenn nicht beim Grundlegenden?
Allen ehrenamtlichen Künstlern und Philosophinnen, technischen Bastlern und finan-
ziellen Förderern danken wir herzlichst.

Frohen Mutes
Ihr Leipziger-Schriften-Team
Inhaltsverzeichnis                                                                                                      Wort zur dritten Ausgabe
Wort zur dritten Ausgabe...............................................................................            5
                                                                                                                        „Geisterbahn. Was ist das eigentlich? Etwa der Flur einer Bibliothek, von dem aus es zu
I.        GEIST .................................................................................................. 6    den Regalreihen abgeht?“

                                                                                                                        In den vergangenen Ausgaben war es uns immer ein Anliegen gewesen, sowohl ein The-
          Jonas Held im Gespräch: Philosophie des Geistes? .........................                              8     ma zu wählen, das man zur theoretischen Philosophie zählen kann und eines, das in die
          Jana Baum: Der Begriff des Geistes nach Gilbert Ryle .....................                             14     praktische Philosophie fällt. Vom Thema ‚Natur‘ in der ersten Ausgabe sind wir nun zum
          Pirmin Stekeler-Weithofer: Phänomenologie des Geistes als                                                     Thema ‚Geist‘ fortgeschritten1. In dieser Ausgabe ist der Unterschied zwischen Theoreti-
          spekulatives Selbstbewusstsein............................................................             19     schem und Praktischem möglicherweise bereits aufgelöst. Aber wenn sich theoretische
                                                                                                                        Erkenntnis mit dem beschäftigt, was ist, dann könnte man sagen, dass, wenn das, was ist,
          Matthias Gaudron: Vernünftig, lebendig, allmächtig:                                                           Geist ist, der Geist auch Gegenstand der theoretischen Philosophie sein muss.
          Gott als Geist bei Thomas von Aquin ...............................................                    27     Nun aber, was bezeichnet das Wort ‚Geist‘ überhaupt? Wir kennen im Deutschen so man-
          León Antonio Heim: Transformative Theorien ..............................                              32     cherlei Variationen, die mit der philosophischen Rede von Geist sehr viel bis sehr wenig
          Alexej Licharew: Anthropologie und Geist bei Scheler ...................                               37     zu tun haben, oder gar einen möglichen Kategorienfehler widerspiegeln. Diese Variatio-
          Konrad Lindner: Logik der Freiheit -                                                                          nen gehen vom Zeitgeist über Redewendungen wie „Da scheiden sich die Geister“ bis hin
                                                                                                                        zum Gespenst. In der Philosophie wiederum begegnen wir einem anderen Phänomen,
          Pirmin Stekeler holt Hegel ins Heute..................................................                 30     und zwar, dass die Rede von Geist als eine Art „Verschleierung“ auftritt, als ein Zauber-
                                                                                                                        wort, bei dem wir stehen bleiben und aufhören zu erklären. ‚Geist‘ aber ist ein Wort bei
                                                                                                                        dem wir philosophisch nicht aufhören dürfen, sondern anfangen müssen.
                                                                                                                        Unsere Ausgabe fällt gewiss an vielerlei Stellen ebenfalls in einen solch mysteriös anmu-
II.       LIEBE .................................................................................................. 42   tenden Sprech: Indem wir aber das Thema setzen, möchten wir herzlich zu einem Diskurs
                                                                                                                        der „Entschleierung“ einladen. Die Beiträge sind sehr verschieden, werfen diesmal aber
                                                                                                                        auch einen kleinen Blick auf das Institutsgeschehen der Philosophie an der Universität
          Anna Oswald: Einleitende Überlegungen ........................................                         50     Leipzig. Passend zur Emeritierung von Prof. Pirmin Stekeler-Weithofer, haben wir nicht
          Nico Sebastian Musa: Liebe als Zugang zur Weisheit......................                               51     nur einen Beitrag von ihm selbst in unsere Sammlung mitaufnehmen dürfen, sondern
          Jakob Kümmerer: Zum Liebesbegriff bei Marx................................                             55     auch einen Beitrag erhalten, der sich eigens der Bedeutung seines philosophischen Wir-
          Carmina Röger: Vom Traum des Wir...............................................                        61     kens widmet.
                                                                                                                        Und zur praktischen Philosophie? Nun ja, wir dachten uns, wenn wir schon einmal bei
          Markus Schmidt: Amor - das Ideal der romantischen Liebe...........                                     62     den vermutlich größten Worten und Themen sind, dann kann im Praktischen unser The-
          Anna Heidelk: Verweilen bei einem Freund                                                                      ma nur die Liebe sein. Und wer hätte es gedacht: Wir haben unter den Philosophierenden
          Die Liebe Teresa von Avilas................................................................            71     sogar Mutige gefunden, die für uns dazu geschrieben haben und uns somit einladen, mit
                                                                                                                        ihnen gemeinsam darüber nachzudenken.
                                                                                                                        Und so, wie es bisher galt, so gilt auch für diese Ausgabe: Wir setzen nur das erste und
                                                                                                                        nicht das letzte Wort. Streiten Sie mit!
Wie das Treiben weitergeht............................................................................ 77

                                                                                                                        1 Der Fortschritt von ‚Natur‘ zu ‚Geist‘ ist möglicherweise ein Fortschritt zu einem Gegensatz, der Ersterem eine
                                                                                                                        neue Bedeutung geben könnte. Dies ist jedoch ein Thema für sich, vielleicht auch das Thema schlechthin, sowohl
                                                                                                                        des menschlichen Lebens als auch der Philosophie gleichermaßen.

                                                                                                                                                                                                                                       5
Geist
»Die Erkenntnis des Geistes ist die
 konkreteste, darum höchste und
           schwerste.««

           G. W. F. Hegel
Jonas Held im Gespräch:

          Philosophie des Geistes?

Im Rahmen dessen, dass Thema unserer           muss jedoch gesagt werden, dass sehr viele
dritten Ausgabe der Begriff des Geistes ist,   Philosophinnen und Philosophen auch
interessiert es uns, was denn genau unter      ein weiteres Verständnis davon haben, was
einer ‚Philosophie des Geistes‘ verstanden     Philosophie des Geistes sei, als das eben
wird. Es wird ja ein Bereich der Philosophie   skizzierte. Wir können darauf vielleicht
so genannt. Was bezeichnet der überhaupt?      gleich noch zu sprechen kommen.
Was für einen Gegenstand hat die Philoso-
phie des Geistes?                              Also das heißt, Philosophie des Geistes wird
                                               als bloßes Randgebiet bzw. als ein Teilbe-
Diese Frage ist meines Erachtens gar nicht     reich verstanden?
so leicht zu beantworten. Die Philosophie
des Geistes wird vielfach als Teildisziplin    Ja, genau. Zumindest Teilgebiet, nicht
der theoretischen Philosophie verstanden.      Randgebiet, denn die Philosophie des
Schaut man sich die vielen Einführungs-        Geistes ist gerade in der analytischen
bücher zu dem Thema an, so bekommt             Philosophie sehr wichtig. Wir können
man leicht den Eindruck, dass die Philo-       aber gerne auch gleich zu einer Kritik an
sophie des Geistes primär das Leib-Seele-      einem solch engen Verständnis der Philo-
Problem zu ihrem Gegenstand hat. Dies          sophie des Geistes übergehen (lacht). Es
war zumindest mein Eindruck, als ich als       ist meines Erachtens vor allem deshalb
Student solche Bücher gelesen habe. Zu-        problematisch, die Philosophie des Geis-
meist beginnen solche Einführungen mit         tes zu stark auf das Leib-Seele-Problem
Descartes und dem Substanzdualismus.           zu beschränken, weil damit die primäre
Da der Substanzdualismus mit offensicht-       Frage, was es für uns bedeutet, geistige –
lichen Problemen konfrontiert ist, wird er     d.h. denkende und fühlende – Wesen zu
lediglich als historische Randnotiz bespro-    sein, etwas in den Hintergrund gerät. Um
chen. Danach werden ausführlich unter-         aber überhaupt zu verstehen, ob und wie
schiedliche Ansätze diskutiert, die zeigen     die Frage nach dem Zusammenhang von
sollen, dass geistige Zustände nicht subs-     Geist und Körper sinnvoll gestellt werden
tantiell verschieden sind von körperlichen     kann, müssen wir zuerst danach fragen,
Zuständen, zum Beispiel Identitätstheorie,     was wir unter Geist genau verstehen. Re-
Funktionalismus oder Supervenienztheo-         flektieren wir auf uns selbst als geistige
rie. Damit wird meines Erachtens aber die      Wesen, so sind damit etwa die Fragen ver-
Philosophie des Geistes nicht nur sehr eng     bunden, wie wir fähig sind, Urteile zu fäl-
auf ein spezifisches Problem beschränkt,       len oder Schlüsse zu vollziehen. Aber auch,
sondern auch mit einer bestimmte Debat-        was es für uns bedeutet, Überzeugungen,
te gleichgesetzt, die in der zweiten Hälfte    Gefühle und Emotionen zu haben. Ver-
des 20. Jahrhunderts innerhalb der ana-        stehen wir die Philosophie des Geistes in      Titel: Urbeath
lytischen Philosophie geführt wurde. Es        diesem Sinne als die Frage, was es für uns

8
Jonas Held im Gespräch                                                                                                                                             Philosophie des Geistes?

bedeutet, über einen Geist zu verfügen, so     gewisser Weise sozusagen eine von außer-        ken sehr ernst, dass wir nicht einfach aus        zu haben, bedeutet für Ryle nicht das Vor-
ist sie nicht mehr mit einer bestimmten        halb des Denkens oder des Geistes? Dass         unserem Denken hinaustreten können.               liegen bestimmter mentaler Zustände oder
Debatte innerhalb der theoretischen Phi-       man drei Dinge hätte: Ich, diejenige, die       Es ist aber wichtig anzumerken, dass dies         Ereignisse, sondern es bezeichnet eine be-
losophie gleichzusetzen, sondern mit einer     untersucht, und dasjenige, was untersucht       gerade nicht bedeutet, dass jeder Einzelne        stimmte Art des Könnens, zum Beispiel
philosophischen Reflexion auf uns selbst,      wird, „mentale Zustände”, und dann will         durch eine Form der inneren Wahrneh-              die Fähigkeit, Begriffe anzuwenden oder
die es schon so lange gibt, wie es Philoso-    man die auch noch irgendwie mit dem Kör-        mung einen besonderen epistemischen               Urteile zu fällen. Vor dem Hintergrund
phie gibt. Die Philosophie des Geistes ist     perlichen zusammenbringen?                      Zugang zu seinem eigenen Geist hätte.             dieser Bestimmung des Geistigen glaubt
dann auch mehr als eine bloße Teildiszi-                                                       Dies anzunehmen, würde wiederum be-               Ryle, bestimmte Probleme der Philoso-
plin oder sie ist zumindest intrinsisch mit    Doch, dem würde ich zustimmen. Es gibt          deuten, den Bereich des Geistigen zu ob-          phie des Geistes als Scheinprobleme ent-
anderen Teildisziplinen verbunden. Um          sicherlich zwei sehr unterschiedliche Me-       jektivieren. Methodisch bedeutet es aber,         larven zu können, etwa die Frage, wie ein
zum Beispiel verstehen zu können, was es       thoden oder Herangehensweise an das             dass die Philosophie des Geistes die erst-        geistiges Ereignis ein körperliches Ereignis
für uns bedeutet, Überzeugungen zu ha-         Thema, je nachdem, wie viel Gewicht             personale Perspektive, d.h. die Perspektive       (eine Handlung) verursachen kann. In ih-
ben, müssen wir etwa                                                wir der Tatsache bei-      des denkenden und fühlenden Subjekts,             ren Überlegungen zum absichtlichen Han-
auch die erkenntnis-                                                messen, dass wir nicht     ernst nehmen muss.                                deln kommt auch Anscombe zu ähnlichen
theoretische Rolle von    »Einen Geist zu ­haben                    einfach aus unserem                                                          Ergebnissen. Ryle und Anscombe sind bei-
Überzeugungen und                                                   Denken hinaussteigen       Dabei muss ich sogleich an Hegel denken,          de von Ludwig Wittgenstein und dessen
deren      sprachlichen  ­bedeutet für Ryle nicht                   und es von außen be-       bei dem Geist unter anderem auch genau            grammatischen Untersuchungen geistiger
Ausdruck in Betracht                                                trachten können. Pro-      diese Art der logischen Selbstbeziehung be-       Ausdrücke beeinflusst. Laut Wittgenstein
ziehen. Darüber hin-         das Vor­liegen be-                     blematisch scheint mir     schreibt, wenn er zum Beispiel schreibt: „In      geht es nicht darum, die Probleme der
aus spielt sicher auch                                              vor allem, wenn der        dem sich selbst erkennenden Geiste [ist] das      Philosophie des Geistes zu beantworten,
die Rolle von Über-         stimmter ­mentaler                      Bereich des Geistigen      Hervorgebrachte eins und dasselbe mit dem         sondern darum zu untersuchen, welche
zeugungen für unser                                                 objektiviert und unter     Hervorbringenden.“, und deswegen könne            Annahmen uns dazu verleiten, zu glau-
Handeln sowie die so-      Zustände oder Ereig-                     Geist ein bestimmter       der Zweck einer Philosophie des Geistes nur       ben, dass es sich dabei um echte Probleme
ziale Dimension von                                                 Bereich der Wirklich-      der sein, „den Begriff [des Geistes] in die Er-   handelt. Seine Methode ist dabei nicht nur
Überzeugungen eine         nisse, s­ ondern es be-                  keit begriffen wird. Vor   kenntnis des Geistes wieder einzuführen“.         negativ. Meines Erachtens ist Wittgenstein
Rolle usw. Die Philo-                                               diesem Hintergrund                                                           durchaus bemüht, durch eine Reflexion
sophie des Geistes hat         zeichnet eine                        verkommt das Leib-         Wenn ich denn verstehe, was Hegel hier            auf die Sprache und die Weise, wie Urteile,
es damit also auch mit                                              Seele-Problem dann         sagt, so scheint mir das tatsächlich mit          Überzeugungen, Gefühle usw. in der Spra-
Fragen zu tun, die in       ­bestimmte Art des                      zu der Frage, wie zwei     dem zuvor Gesagten zusammenzuhängen,              che ausgedrückt werden, zu einem tieferen
der Erkenntnistheo-                                                 Bereiche der Wirklich-     obwohl Hegel einen noch weiteren und              Verständnis des Geistigen zu gelangen. Ich
rie, der Sprachphilo-            Könnens.«                          keit – Entitäten mit       möglicherweise auch interessanteren Be-           glaube, dass seine kritische Methode gera-
sophie, der Hand-                                                   mentalen Eigenschaf-       griff des Geistes hat, als denjenigen, über       de heute und mit Bezug auf ein eher ein-
lungstheorie oder der Sozialphilosophie        ten, im Gegensatz zu solchen mit körper-        den wir bisher gesprochen haben. Ich              geschränktes Verständnis der Philosophie
gestellt werden. Eine zu starke Arbeitstei-    lichen Eigenschaften – sich zueinander          kenne mich mit Hegel aber leider nicht            des Geistes, wie ich es oben beschrieben
lung scheint in der Philosophie grundsätz-     verhalten. Das Leib-Seele- Problem derart       wirklich aus (lacht) und würde daher lie-         habe, noch immer von großer Relevanz ist.
lich nicht möglich. Aber auch ein weites       zu formulieren, ist meines Erachtens nicht      ber noch kurz etwas zu Philosophinnen
Verständnis der Philosophie des Geistes        sinnvoll. Eine ganz andere Perspektive auf      und Philosophen des 20. Jahrhunderts wie          Das ist in der Tat eine spannende Kritik an
lässt noch sehr unterschiedliche Konzep-       das Geistige findet sich etwa bei Immanuel      Elisabeth Anscombe oder Gilbert Ryle sa-          einer gewissen Philosophie des Geistes. Was
tionen davon zu, was Geist letztlich sei. Ob   Kant. Für Kant ist unser Geist nicht ein-       gen, die meines Erachtens einen wichtigen         siehst du hauptsächlich kritisch daran?
unter Geist beispielsweise bestimmte Fä-       fach ein weiterer Bereich der Wirklichkeit,     und kritischen Beitrag zur Philosophie des
higkeiten und Vermögen verstanden wer-         sondern wir verstehen erst durch eine Re-       Geistes geliefert haben, der jedoch manch-        Ich kann dies vielleicht an einem Beispiel,
den oder ob Geist, etwas zugespitzt formu-     flexion auf geistige Akte wie Urteilen und      mal etwas zu wenig gewürdigt wird. Ryle           mit dem ich mich in meiner Dissertation
liert, dasjenige bezeichnet, was in unserem    Schließen, was Wirklichkeit ist und was         würde vielleicht nicht von ‚dem Geist‘ im         beschäftigt habe, etwas verdeutlichen. Es
Kopf vor sich geht, eine Ansammlung von        es bedeutet, diese zu erfassen. Eine solche     Singular sprechen, sondern von unter-             handelt sich dabei um die Frage, wie wir
Zuständen und Prozessen.                       Reflexion ist für Kant zudem wesentlich         schiedlichen geistigen Fähigkeiten, über          den Vollzug einer Schlussfolgerung erklä-
Ist so eine Betrachtungsweise vielleicht in    Selbst-Reflexion, Kant nimmt den Gedan-         die eine Person verfügen kann. Einen Geist        ren. In der gegenwärtigen Debatte wird

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Jonas Held im Gespräch

darunter zumeist ein bestimmter menta-        gen werden. Ich finde es zudem spannend,
ler Prozess verstanden: Ein mentales Er-      dass die oben genannten Autoren, Witt-
eignis (das Akzeptieren der Prämissen)        genstein und Ryle, in ihren Untersuchun-
verursacht ein weiteres mentales Ereignis     gen des Geistes ohne die Verwendung sol-
(das Akzeptieren der Konklusion). Es wird     cher Ausdrücke auskommen.
dann danach gefragt, welche weiteren Be-
dingungen erfüllt sein müssen, damit ein      Nun doch zu Hegel?
derartiger Prozess als Schlussfolgerung
ausgezeichnet und von anderen geisti-         Auch wenn ich oben versucht habe, einem         »Die formale, nicht ihrerseits historisierbare Invariante der
gen Prozessen, zum Beispiel assoziativen      sehr eingeschränkten Verständnis der
Prozessen, abgegrenzt werden kann. Pro-       Philosophie des Geistes, das sich haupt-        Ge­nese von Fiktionen ist der Geist als das menschliche
blematisch an diesem Vorgehen ist etwa,       sächlich mit dem Leib-Seele-Problem
dass damit bereits vorausgesetzt ist, dass    beschäftigt, ein weiteres Verständnis ent-      Vermögen der Selbstbildfähigkeit. Der Mensch lebt sein Leben
Schlussfolgerung und Assoziation etwas        gegenzusetzen, so ist der damit gewonne-
miteinander teilen, in beiden Fällen wird     ne Begriff des Geistigen noch immer viel        im Licht einer Vorstellung davon, wer oder was er ist.«
ein mentales Ereignis durch ein anderes       enger als Hegels Begriff des Geistes. Hegels
verursacht, die Schlussfolgerung ist ledig-   objektiver Geist umfasst etwa die Sphäre                                                                 – M. Gabriel
lich komplexer oder anspruchsvoller als       des Rechts, der Sittlichkeit und des Staates.
die Assoziation. Kant oder auch Gottlob       Wir sehen damit, dass hier ein wesentlich
Frege waren da ganz anderer Meinung.          anderer Begriff des Geistes am Werk ist.
Beide Philosophen glauben, dass die Ver-      Versteht man unter Philosophie des Geis-
bindung von Urteilen im Schluss von ganz      tes diejenige Disziplin, die im Englischen
anderer Art ist, als eine assoziative Ver-    als ‚Philosophy of Mind‘ bezeichnet wird,
bindung von Vorstellungen. Was mich an        so sollte man, wie Prof. Stekeler-Weithofer
dieser Debatte jedoch grundlegend stört,      mir mal gesagt hat, das Englische ‚mind‘
ist, dass im Nachdenken über die Schluss-     besser mit dem deutschen Ausdruck ‚Ge-           »Die Substanz des Geistes ist die Freiheit, d. h. das Nichtabhän-
folgerung bereits bestimmte Begriffe wie      müt‘ als mit dem Ausdruck ‚Geist‘ über-
‚mentaler Prozess‘ oder auch ein bestimm-     setzen. Der Ausdruck Geist hat in der               gigsein von einem Anderen, das Sichaufsichselbstbeziehen.«
tes Konzept der Verursachung schlicht vo-     deutschsprachigen philosophischen Tra-
rausgesetzt werden. Meines Erachtens geht     dition eine viel weitere Bedeutung, als               »[...] die wirkliche Freiheit ist also nicht etwas unmittelbar
es aber umgekehrt gerade darum, dass wir      das, was im Englischen mit dem Ausdruck
durch eine Reflexion auf die Frage, was       ‚mind‘ bezeichnet wird. Da ich, wie gesagt,             im Geiste Seiendes, sondern etwas durch seine Tätigkeit
eine Schlussfolgerung sei, überhaupt erst     leider viel zu wenig von Hegel verstehe,
etwas darüber in Erfahrung bringen, um        will ich mich besser nicht aufs Glatteis wa-              Hervorzubringendes.«
was für eine Art geistigen Vollzug es sich    gen und Hegels Begriff des Geistes hier zu
dabei handelt. Liest man heute Texte zur      erklären versuchen. Dazu bin ich schlicht                                                           – G. W. F. Hegel
Philosophie des Geistes, so werden tech-      nicht in der Lage. Es scheint mir aber rich-
nische Ausdrücke wie ‚mentaler Zustand‘,      tig zu sagen, wie in der Frage zu Hegel, der
‚mentales Ereignis‘ und ‚mentaler Pro-        ich weiter oben ausgewichen bin, bereits
zess‘ fast schon inflationär verwendet. Ich   angedeutet wurde, dass Hegel mehr als je-
bin nicht dagegen, dass solche Ausdrücke      der andere die Selbst-Reflexion des Geis-
verwendet werden. Mir scheint jedoch          tes auf sich selbst, d.h. auf seinen eigenen
wichtig, dass solche Ausdrücke durch eine     Begriff, ernstgenommen und am weitesten
Reflexion auf geistige Vollzüge gewonnen      vorangetrieben hat.
werden und nicht quasi von Außen an eine
Untersuchung des Geistigen herangetra-        Interview: Anna Oswald.
                                              Endredaktion: Nico Sebastian Musa.
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Der Begriff des Geistes nach Gilbert Ryle

Der Begriff des Geistes
                                                                                                         Die Kategorienverwechslung      und   der    selben Kategorie gehören. Der „Mythos
                                                                                                         ­endlose Regress                             vom Geist in der Maschine“ beruht nach
                                                                                                                                                      ihm auf einer „Kategorienverwechslung“

      nach Gilbert Ryle                                                                                  Der Dualismus von Körper und Geist be-
                                                                                                         sagt, dass Körper physikalischen Natur-
                                                                                                                                                      (Ryle 1969, 17). Ein Beispiel von Ryle für
                                                                                                                                                      eine Kategorienverwechslung ist, dass eine
                                                                                                         gesetzen unterliegen und sich in Zeit und    Person nach Amerika reist, um eine Uni-
                                                                     von Jana Baum                       Raum treffen. Der Geist hingegen konsti-     versität zu besichtigen. Da die Universität
                                                                                                         tuiert sich nicht im Raum, die Geister der   kein einheitlicher Gebäudekomplex ist,
                                                                                                         Menschen treffen deshalb nicht direkt auf-   werden ihr in der ganzen Stadt unter-
                                                                                                         einander, und sind unabhängig von Na-        schiedliche Lehrsäle, Bibliotheken etc.
Was heißt es wirklich, vom Geist oder                   Und genau das versucht er zu widerlegen          turgesetzen. Man kann somit nur vermu-       gezeigt. Am Ende fragt die Person, ob sie
geistigen Tätigkeiten zu sprechen? Und                  – er sagt, dass bei der Verwendung von be-       ten, dass „in“ den anderen Körpern auch      nun auch noch die Universität sehen kön-
wie verhalten sich die Geistesbegriffe zuei-            stimmten Begriffen zur Beschreibung des          ein Geist steckt. Entsprechend führen        ne. Der Fehler ist, dass sie die Universität
nander und zu allem anderen? Eine mög-                  Geistigen gegen die R   ­ egeln der Logik ver-   wir alle in unserem Innern „[…] das Le-      in dieselbe Kategorie wie ihre Einzelteile
liche Antwort auf diese Fragen findet man               stoßen werde. Entsprechend möchte er die         ben eines Robinson                                              eingeordnet hat. Ent-
bei Gilbert Ryle.                                       „Logik der Geistestätigkeitsbegriffe rich-       Crusoe des Geistes                                              sprechend wusste sie
                                                        tigstellen“ (Ryle 1969, 14). So ist von An-      […]“ (Ryle 1969, 10).                                           nicht, dass sie die Uni-
Ryle möchte in Der Begriff des Geistes den              fang an klarzustellen, dass er nicht einfach     Ryle schildert folgen-                                          versität bereits gesehen
„altehrwürdigen Gegensatz zwischen Ma-                  den Begriff ‚Geist‘ aufgreift und definiert.     des Problem bei der                                             hatte. Den Geist und
terie und Geist“ (Ryle 1969, 23) auflösen,              Viel eher betrachtet er, was man mit dem         Unterscheidung von                                              den Körper als polares
den er als „Descartes Mythos“ oder als                  Begriff ‚Geist‘ meint, das sind z. B. geistige   Geist und Körper:                                               Gegensatzpaar anzu-
„das Dogma vom Geist in der Maschine“                   Tätigkeiten, und ordnet diese neu ein. So        Galileos mechanische                                            sehen, also in dieselbe
bezeichnet. Gemeint ist                                                    heißen die Kapitel seines     Theorien      brachten                                          Kategorie einzuordnen,
die von ­Philosophinnen                                                    Werkes u. a. „­Können
                                                                           ­                             ein     umfangreiches                                           ist nach Ryle falsch.
und P   ­hilosophen wie           »Der Geist ist kein                      und ­Wissen“, „Der Wil-       Vokabular zur Er-                                               Ausgehend von der Ka-
auch in der Gesellschaft                                                   le“, „“Die Vorstellung“,      klärung von Körper,                                             tegorienverwechslung
­verbreitete Unterschei-          merkwürdiger Ort.«                       „Der Verstand“ etc. Ryle      Bewegung und Raum                                               attackiert Ryle eine in-
 dung zwischen Geist1,                                                     analysiert diese Geistes-     mit sich. Man ver-                                              tellektualistische Posi-
 dem psychischen Innenleben, und Körper,                begriffe und zeigt auf, dass sie sich nicht      suchte jedoch auch                                              tion2, die intellegintes
 dem physischen Außenleben. Nach Ryle                   mithilfe des Gegensatzpaares ‚Geist und          damit, den Geist zu                                             Handeln basierend auf
 ist „[d]er Glaube an den polaren Gegen-                Körper‘ erklären lassen. Specht nennt            beschreiben, was of-                                            dem Dualismus von
 satz zwischen Geist und Materie […] der                Ryles Vorgehen eine „sprachanalytischen          fensichtlich nicht ge-                                          Körper und Geist er-
 Glaube daran, daß sie Ausdrücke dessel-                Entmythologisierung des Geistes“ (Specht         lang, denn „Beschrei-                                           klärt.
 ben logischen Typs sind“ (Ryle 1969, 23).              2005, 297).                                      bungen geistiger Tätigkeiten mußten mit      Nach Ryle verortet der Intellektualismus
                                                        Nachfolgend stelle ich Ryles Argumenta-          Hilfe barer Verneinungen der besonderen      Tätigkeiten wie zum Beispiel intelligentes
                                                        tion gegen den Dualismus von Geist und           Körperbeschreibungen       vorgenommen       Handeln im Geist (und nicht im Körper).
1 Genau genommen, handelt es sich in Ryles Aus-         Körper und eine darauf basierende Posi-          werden; sie sind nicht im Raum, sie sind     Damit eine Handlung intelligent ist, muss
einandersetzung um den englischen Begriff „mind“.
Der vorliegende Artikel bedient sich der deutschen      tion des Intellektualismus zur Erklärung         nicht Bewegungen […] Ein Geist ist nicht     man in Gedanken dabei sein und bestimm-
Übersetzung von „The concept of mind“, und über-        geistigen Handelns vor. Danach werde             ein Stückchen Uhrwerk, es ist nur ein
setzt „mind“ somit mit „Geist“. Diese Übersetzung ist   ich am Beispiel der B  ­ egriffe „Können und     Stückchen Nichtuhrwerk“ (Ryle 1969, 19).     2 Ryle wurde von u. a. Jason Stanley (vgl. Stanley
jedoch mit Vorsicht zu betrachten, da Konsens in der                                                                                                  2011, 14) vorgeworfen, dass es die Art und Weise,
Literatur ist, dass die Begriffe nicht deckungsgleich   Wissen“ zeigen, wie er Geistestätigkeits-        Geht man davon aus, dass der Geist nicht     wie er den Intellektualismus beschreibt, nicht gebe
sind – auch wenn keine Einigkeit darüber herrscht,      begriffe stattdessen auslegt und einordnet.      den determinierenden Naturgesetzen un-       und sein Gegner somit ein „straw man“ – eine Vogel-
inwiefern sie sich unterscheiden. Der Unterschied                                                        terliegt und entsprechend nicht Natur ist,   scheuche – sei. Michael Kremer weist diesen Vorwurf
der beiden Begriffe wird nicht Thema dieses Artikels                                                                                                  in seinem Aufsatz „Ryle’s „Intellectualist Legend“ in
sein.                                                                                                    gelingt es nicht, ihn mit physikalischem     Historical Context“ zurück, indem er einige Intellek-
                                                                                                         Vokabular zu beschreiben. Grund dafür ist    tualisten identifiziert, die Ryle gelesen hat und auf die
                                                                                                         nach Ryle, dass Geist und Körper nicht zur   er, ohne sie direkt zu benennen, höchstwahrschein-
                                                                                                                                                      lich eingegangen ist (vgl. Kremer 2017).

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Jana Baum                                                                                                                                                 Der Begriff des Geistes nach Gilbert Ryle

te Regeln oder auch Kriterien erfüllen.                 Können und Wissen                                  entspricht, sondern das eigene Handeln        Können fasst Ryle zusammen: „Die Frage
Beispielsweise ruft ein Koch die Rezepte                                                                   reflektiert und gegebenenfalls verbessert     ist nicht, ob sich gewisse gespenstische
vor sein inneres Auge, bevor bzw. während               Und weiter sagt er: „Vernünftige Hand-             und anpasst. „Jemandes Handeln wird als       Vorgänge ereignet haben oder nicht, son-
er kocht. Intelligentes Handeln beginnt                 lungen unterscheiden sich von unvernünf-           sorgfältig oder gekonnt bezeichnet, wenn      dern ob gewisse ‚könnte‘- oder ‚würde‘-
also mit einer intellektuellen Handlung                 tigen nicht durch ihre Herkunft, sondern           er fähig ist, in seinem Vorgehen Fehler zu    Sätze und gewisse andere Einzelanwen-
im Kopf3, und wird dann vom Körper aus-                 durch ihre Ausführung, und das trifft nicht        entdecken und auszumerzen […] er wen-         dungen von ihnen wahr oder falsch sind“
geführt. „Es ist zuerst ein bißchen Theorie             weniger auf intellektuelle als auf prakti-         det Kriterien an, indem er kritisch vorgeht   (Ryle 1969, 55f).
und dann ein bißchen Praxis“ (Ryle 1969,                sche Handlungen zu“ (ebd.). Vernünftiges           d. h. versucht, was er tut, richtig zu tun“   Entgegen der Theorie von Geist und Kör-
32). Ryles grundliegender Einwand ist fol-              Handeln gehört nach Ryle zu den Geistes-           (ebd.).                                       per als Gegenpole sagt Ryle zusammen-
gender: „Das Erwägen von Sätzen ist selbst              tätigkeitsbegriffen, die wir unter „Intelli-       Während Wissen meint, bestimmte Regeln        gefasst: Der Geist ist kein „merkwürdi-
eine Tätigkeit, die mehr oder weniger in-               genz“ zusammenfassen (Ryle 1969, 27).              zu kennen, heißt Können, sie korrekt an-      ger Ort“ (Ryle 1969, 47) oder die okkulte
telligent, mehr oder weniger dumm aus-                  So beschreiben wir intelligente Tätigkeiten        zuwenden. Die korrekte Anwendung von          Ursache für intelligente Handlungen, son-
geführt werden kann“ (Ryle 1969, 34). So                als u. a. „klug, vernünftig, sorgfältig, […]       Regeln ist zwar eine hinreichende Bedin-      dern die Art und Weise, wie Handlungen
kann man zum Beispiel bestimmte Regeln                  logisch, witzig, aufmerksam, kritisch […]“         gung für Können, aber keine notwendige.       (gedanklich oder körperlich) ausgeführt
falsch aufrufen. Möchte der Koch ein Brot               (ebd.). Wie in obigem Zitat deutlich wird,         Während der Intellektualismus die Intelli-    werden. Die These „Wissen von Regeln ist
backen, reicht es nicht, sich an irgendein              ist es nicht entscheidend für die Intelligenz      genz im Wissen verortet, möchte Ryle mit      Intelligenz.“ verstößt ihm zufolge gegen
Rezept zu erinnern, das er mal gelernt hat.             einer Handlung, dass es eine geistige Ursa-        dem Begriff Können zeigen, dass es kein       die Logik der Geistesbegriffe. Man kann
Es kommt darauf an, dass es ein Rezept für              che gibt, die den Körper in Gang setzt. Es         Wissen braucht,                                                         nämlich sowohl
Brot ist und dass er sich korrekt daran er-             kommt nur auf die Art und Weise an, wie            um intelligent        »Während Wissen meint,                            auf unintelligen-
innert. Der intellektuellen Handlung des                gehandelt wird – nämlich: intelligent oder         zu sein. Bei-                                                           te Weise Regeln
Rezept-Aufrufens muss also eine weitere                 nicht –, und dabei ist es egal, ob die Hand-       spielsweise kann   ­bestimmte ­Regeln zu ­kennen,                       kennen5,       als
intellektuelle Handlung vorausgehen, die                lung nur eine gedankliche ist oder eine öf-        eine Person sehr                                                        auch intelligent
dafür sorgt, dass man es innerlich richtig              fentlich ausgeführte.                              schlagfertig und      heißt Können, sie korrekt                         handeln, ohne
abruft. Also muss man, bevor man eine                   Diesen Sachverhalt verdeutlicht Ryle mit           humorvoll sein,                                                         jedwede Regeln
Handlung intelligent ausführt, intelligent              der Unterscheidung von Können und                  sodass man ihr              ­anzuwenden.«                               zu kennen. Wis-
darüber nachdenken und davor intelligent                Wissen4. Mit Wissen meint er das Wissen            Intelligenz zu-                                                         sen heißt nicht
darüber nachdenken, wie man darüber                     um propositionale Sätze, also, dass man            schreibt. Dabei bezieht sie sich weder auf    zwangsläufig Können, und Können wie-
nachdenkt. Das bezeichnet Ryle als end-                 weiß, dass etwas der Fall ist. Es geht um          bestimmte Regeln des Humorvoll-Seins,         derrum gib es auch ohne Wissen. Intelli-
losen Regress und folgert: „Der Regreß                  Regeln, Kriterien oder Theorien, die man           noch könnte sie welche aufstellen. Was in-    genz hängt viel eher von den Fähigkeiten
ist unendlich, und das macht die Theorie                kennt. Können hingegen meint, fähig zu             telligente Handlungen hingegen bestimmt,      einer Person ab. Es kommt nicht darauf
absurd, nach der eine Handlung nur dann                 sein, bestimmte Dinge zu tun – und zwar            sind Fähigkeiten, Fertigkeiten, Anlagen       an, dass die Person die Handlung wirklich
intelligent sein kann, wenn sie von einer               nicht irgendwie, sondern richtig (vgl.             und Neigungen (vgl. Ryle 1969, 54). Das       ausführt, sondern darauf, dass sie es könn-
vorhergehenden intellektuellen Handlung                 Ryle 1969, 31). In diesem Fall beschreibt          bedeutet auch, dass eine Person eine intel-   te. Und wenn sie die Handlung ausführt,
gelenkt wird“ (Ryle 1969, 35).                          man das Können einer Person als intelli-           ligente Handlung nicht wirklich ausführen     ist nicht entscheidend, dass sie sich dabei
3 Mit „im Kopf “ ist allgemeinsprachlich „im Geist“     gent. Wichtig dafür ist außerdem, dass die         muss, um sie zu können. Der Satz ‚Person      in Gedanken auf Regeln oder Theorien be-
oder „in Gedanken“ gemeint. Da ist also eine Stim-      Person für ihr Können in gewisser Weise            X kann Fahrrad fahren‘, bedeutet nicht,       ruft. „[…] etwas wirksam tun heißt nicht:
me, die das Rezept aufsagt oder das Bild des Rezeptes   verantwortlich ist und nicht wie beispiels-        dass sie gerade wirklich Fahrrad fährt. Nur   zwei Dinge tun. Es heißt: ein Ding auf eine
in unserem Kopf – und nicht in unseren Füßen. Was
heißt im Kopf? Ist der Geist also unser Gehirn? Fall    weise ein Tier im Zirkus dressiert ist.            weil beispielsweise gerade kein Fahrrad da    bestimmte Weise tun (Ryle 1969, 59).
ja, dann wäre er den Naturgesetzen unterlegen und       Während das Tier im Zirkus seine Tricks            ist, heißt das nicht, dass diese Person das
womöglich unfrei. Falls nein, dann ist er von anderer   immer gleich macht, also bestimmten                entsprechende Können nicht besitzt. Und
Qualität, hat aber eine Verbindung zu unserem Kör-
per, sodass er ihn zum Handeln anstößt. Wie kann        Kriterien entspricht, wendet die Person,           wenn sie dann Fahrrad fährt, ruft sie ge-
das sein? Wirft diese vermeintliche Erklärung und       die etwas kann, die Kriterien und Regeln           danklich wahrscheinlich keine Regeln des
Verortung des Geistigen nicht mehr Fragen auf, als      an. Das bedeutet, dass sie ihnen nicht nur         Fahrradfahrens auf. Sie fährt einfach – gut
sie löst? Ryle würde sagen: Ja! Er warnt deshalb vor                                                                                                     5 Beispielsweise indem man sie falsch kennt oder gar
dieser „irreführende[n] Metapher“ (Ryle 1969, 47)       4 Im Englischen spricht er von knowledge how für   oder schlecht. Wenn sie gut fährt, ist das
                                                                                                                                                         nicht weiß, was sie bedeuten, und entsprechend nicht
sowie vor dem dazugehörigen Ausdruck „im Geiste“.       Können und von knowledge that für Wissen.          Können. Über intelligentes Handeln bzw.       fähig ist, sie anzuwenden.

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Jana Baum

                                                                                         Phänomenologie des Geistes
                                                                                                                    als spekulatives Selbstbewusstsein
                                                                                                                                                von Pirmin Stekeler-Weithofer

                                                                                         1. Hegels Ausdruck „Phänomenologie des                  Der Ausdruck „Phänomenologie“ ver-
                                                                                         Geistes“ ist Überschrift seines (ersten)                weist nun lange vor Husserl und Heideg-
                                                                                         Meisterwerks. Als solche ist sie bis heute              ger zunächst auf eine Logik der Erschei-
                                                                                         noch nicht voll in ihrer verdichtenden Be-              nungen. Von zentraler Bedeutung ist dabei
                                                                                         deutung verstanden. Ursprünglich hatte                  der ‚wesenslogische‘ Satz, dass das Wesen
                                                                                         Hegel als Themenbezeichnung „Wissen-                    (etwa des Geistes oder dann auch Gottes)
                                                                                         schaft vom erscheinenden Bewusstsein“                   das Gesamt seiner Erscheinungen ist. Mit
                                                                                         vorgesehen. Damit scheint klarer als im                 Hilfe von Nominalisierungen und meta-
                                                                                         endgültigen Buchtitel ausgedrückt zu sein,              phorischen Sätzen artikulieren wir grobe
                                                                                         dass es sich um eine kanonische Darstel-                Allgemeinaussagen über derartige ‚Dinge‘.
                                                                                         lung von Wissen über die äußeren Formen                 Teilthemen einer Logik der Reflexionsbe-
                                                                                         und damit die reale Konstitution des Be-                griffe des Geistigen sind auf der subjekti-
                                                                                         greifens und Beherrschens geistiger Inhal-              ven Seite Empfindung, Wahrnehmung,
                                                                                         te – samt deren Verfassung selbst – han-                Verstand, Vernunft; auf der objektiven
                                                                                         delt. Denn Bewusstsein ist Wissen von                   Seite kooperative Praxisformen und In-
                                                                                         etwas in der Welt. Selbstbewusstsein ist                stitutionen, wie sie in ihren besonderen
                                                                                         nicht, wie im Deutschen, Entschlossen-                  Konkretisierungen von den Sozial- und
                                                                                         heit als Charakterzug oder auch Selbstge-               Geschichtswissenschaften, also den Geis-
                                                                                         wahrsein wie im kolloquialen Gebrauch                   teswissenschaften kanonisch dargestellt
                                                                                         des englischen „self-consciousness“. Es ist             werden. Der absolute Geist ist dann der
                                                                                         Wissen vom Wissen, Können und Han-                      selbstbewusste Vollzug gemeinsamen Le-
                                                                                         deln. Wie der aristotelische Ausdruck                   bens, besonders in gemeinsamen Feiern
                                                                                         „noesis tes noeseos“ enthält es das Wissen              der Religion und Kunst, mit Philosophie
                                                                                         um die Bestimmung der Inhalte gerade                    als sinnkritischer Kommentierung.
                                                                                         auch von Intentionen.1 Die Grundlage al-
                                                                                         len Selbstbewusstseins sieht Hegel freilich             2. Hegels Phänomenologie des Geistes ist
Literatur                                                                                schon in der Abfolge von animalischer Be-               also keine Entwicklungsgeschichte des
                                                                                         gierde und Befriedigungsempfindungen.                   Geistes. Es handelt sich nicht um einen
Kremer (2017): Ryle`s „Intellectualist Le-    Specht, E. K. (2005): Ryles sprachanaly-                                                           – mehr oder weniger tragischen, jeden-
gend“ in Historical Context. In: Journal      tische Entmythologisierung des Geistes.    1 Auch für Ludwig Wittgenstein ist die Entwicklung      falls dramatischen – Bildungs- oder Erzie-
                                                                                         von Selbstbewusstsein nicht nur Aufgabe von Phi-
for the History of Analytical Philosophy.     Kant-Studien: Bd. 46. Berlin.              losophie, sondern entscheidet über die ‚Größe‘ der
                                                                                                                                                 hungsroman der Menschheit, wie sich das
Volume 5, Number 5.                                                                      Persönlichkeit oder ‚Fülle‘ der Person: „Je weniger     etwa Alexandre Kojève mit Georg Lukács
                                              Stanley (2011): Know How. Oxford: Ox-      sich Einer selbst kennt und versteht um so weniger      und Karl Marx und viele andere denken,
                                                                                         groß ist er, wie groß auch sein Talent sein mag. Da-
Ryle, Gilbert (1969): Der Begriff des Geis-   ford University Press.                     rum sind unsere Wissenschaftler nicht groß. Darum
                                                                                                                                                 womit sie Hegel in eine Tradition setzen,
tes. Stuttgart: Reclam.                                                                  sind Freud, Spengler, Kraus, Einstein nicht groß.“      wie sie von Lessing zu Schiller und Herder,
                                                                                         Vermischte Bemerkungen 1946, in: Werkausgabe            nicht von Kant zu Hegel führt. Wir finden
                                                                                         (Suhrkamp), Band 8, p. 516.

18                                                                                                                                                                                       19
Pirmin Stekeler-Weithofer                                                                                                              Phänomenologie des Geistes als spekulatives Selbstbewusstsein

in dem Werk aber auch keine Begründung                  sondern phänomenologisch-dialektischen          unmittelbar aufzeigbare ‚Phänomene‘.                  voraussetzt, was dann erst recht für die
von Thesen zur Psychophysik, eher eine                  Aufhebung jedes Skeptizismus.                   Man kann diese ‚Position‘ „Sinnesdaten-               Wahrnehmung gilt.
(sinn)kritische Beurteilung naheliegender,              Unsere Reden über empirische Instantiie-        empirismus“ nennen oder auch „subjekti-
aber zumeist irreführender ‚Theorien‘ (der              rungen von Typen hier und jetzt oder dort       ven Idealismus“ im Sinne der Weltansicht              4. Unter dem Titel „Wahrnehmung“ greift
Entwicklung) des menschlichen Geistes                   und dann enthalten nun längst schon ge-         George Berkeleys und seiner Formel „esse              Hegel auf, was Kant in seiner leicht iro-
und unseres Wissens. Dies geschieht auf                 nerisch-allgemeine und dabei partiell im-       est percipi (posse)“. Es gibt aber gar kei-           nischen Kritik an John Lockes Erkennt-
der hohen, ‚spekulativen‘, Ebene der Re-                mer schon analogische Sprachformen. Erst        ne Sinnesdaten als Bezugsgegenstände, es              nistheorie „Physiologie des Verstandes“
flexion auf das Ideale und Schematische                 recht figurativ sind nominale Ausdrücke         gibt nur sinnlich (und begrifflich) vermit-           genannt hatte. Es handelt sich um die Vor-
sowohl unserer weltbezogenen Begriffe                   und Sätze der Reflexionsebene, auf der wir      telte Unterscheidungen und die (abstrak-              stellung einer ‚kausalen Einwirkung‘ von
als auch aller Reflexions-                                             über Arten, Typen und Be-        ten) Unterschiede, welche gemeinsame                  Dingen auf unsere Sinnlichkeit in der Per-
begriffe.2 Eine ‚Naturalisie-       »Bewusstsein ist                   griffe sprechen und dann in      Unterscheidungen (Unterscheidbarkeiten)               zeption. John McDowells Mind and World
rung‘ der Erkenntnistheo-                                              noch höhergestuften Reflexi-     möglich machen. Dabei setzt jedes Zeigen              ist eine Einführung in die Phänomeno-
rie oder des Geistes, wie          ­Wissen von etwas                   onen über Formen und Mo-         (samt der indexikalischen der deiktischen             logie, indem auch sie die ‚begrifflichen‘
sie der formale Logiker W.                                             mente des Geistes. Während       Wörter wie „dieses“, auch „hier“, „jetzt“,            Vorbedingungen der Wahrnehmung einer
V. O. Quine vorschlägt, ist          in der Welt.«                     wir schon im Reden über die      „dort“, „ich“, „du“) ein begriffliches Vor-           Sache sinnkritisch analysiert: Eine Wahr-
schon deswegen irrefüh-                                                manifeste empirische Welt        verständnis der relevanten Art und damit              nehmung kann ‚wahr‘ nur sein im Zu-
rend, weil es sich um (meta-)metastufige                allgemeine Inhalte und geistige Fähigkei-       des Begriffs (eidos) des Gezeigten voraus,            sammenhang mit einem (am Ende verbal
Kommentare unseres Könnens handelt,                     ten präsupponieren, werden diese auf den        wie der spätere Wittgenstein ebenfalls                gefassten) Wahrnehmungsurteil, das sagt,
nicht um Erklärungen eines beobachtba-                  verschiedenen Reflexionsebenen zu the-          einsehen wird.3 Außerdem ist das Zei-                 dass etwas unter eine inferentiell dichte
ren Verhaltens.                                         matischen, nicht etwa ontischen, Gegen-         gen gleichursprünglich zur (interaktiven)             bzw. mit Dispositionen verbundene Klas-
Zwar ist ein subjektiver Geltungsanspruch               ständen. Sogar schon dann, wenn wir eine        Praxis des Perspektivenwechsels als Basis             sifikation fällt, also so und so (gemeinsam)
im Einzelfall ähnlich fallibel wie die Aus-             Subsumtion einer Sache oder eines Gegen-        raum-zeitlicher Ordnungen präsentischer               zu unterscheiden ist und entsprechend
führung eines Könnens, das immer auch                   standes unter einen Begriff beurteilen, be-     Dinge. Um die Sinngleichheit von Witt-                unterschieden werden kann oder sollte).
aus irgendwelchen kontingenten Ursachen                 wegen wir uns auf einer Meta- oder gar          gensteins und Hegels Einsichten einzu-                Jetzt liegt auch der Übergang zu „Kraft
schiefgehen kann. Und doch steht der                    Meta-Meta-Ebene. Daher sagt Hegel, dass         sehen, müssen wir freilich die nominale               und Verstand“ auf der Hand. Denn die
Normalfall häufig so klar und deutlich im               Kant in der dritten Kritik, der Kritik der      Ausdrucksweise („das Hier“, „das Jetzt“)              ‚Eigenschaften‘, die wir in begrifflichen
Kontrast zu seinen determinierten Nega-                 Urteilskraft, wahrhaft spekulativ denkt.        als Momente in einem Kommentar zur ob-                Unterscheidungen den wahrgenommen
tionen wie die 1 als Ziffer und dann auch               Denn reflektierende Urteilskraft, die von       jektstufigen Verwendung der Demonstra-                ‚Gegenständen‘ zusprechen, sind Dis-
als Zahl zu allen ­anderen Ziffern und Zah-             einem Beispiel zu einem allgemeinen Be-         tivwörter (‚Pronomen‘) begreifen. D. h., im           positionseigenschaften. Wir sagen ja von
len. Vor dem Hintergrund dieser ‚schwä-                 griff als Einheit von Unterscheidung, Aus-      Nominalisieren („das Ich“, „das Jetzt“ etc.)          einem Ding, es habe die „Kraft“, unter die-
bischen‘ Ablehnung jeder überschwäng-                   druck und generischer Normalfallinferenz        beziehen wir uns auf keinen mystischen                sen und jenen Bedingungen so und so auf
lichen Sophistik spricht Hegel nicht ohne               übergeht, gehört schon zur freien Ver-          Gegenstand, sondern reflektieren auf die              andere Dinge und dann auch auf uns zu
leise Ironie von einem „sich selbst voll-               nunft. Als solche überschreitet sie den Ver-    Gebrauchsform von „ich“, „hier“, „jetzt“.             wirken. Damit bewerten wir dispositio-
bringenden Skeptizismus“. Dabei spielt er               stand als das bloße Vermögen der schema-        Hegel ruft uns so z. B. in seinem idiosyn-            nelle Zuschreibungen als wahr. ‚Empiri-
– auf eine für ihn typische Weise – mit der             tischen Anwendung schon gesetzter und           kratischen Satz der Form „das Jetzt ist die           sches‘ Erkennen setzt dabei den Verstand
Ambivalenz des Ausdrucks „vollbringen“,                 erlernter Regeln, Sätze und Begriffe.           Nacht“ auf, sich den Kontrast zu „jetzt ist           als Vermögen der Regeln und Begriffe und
der ja bedeutet: „etwas erfolgreich tun“.                                                               Tag“ vorzustellen. Als Ergebnis von He-               dieser setzt allgemeine Geltungsbedingun-
Der Erfolg einer performativen Skepsis im               3. Im ersten Kapitel der Phänomenologie         gels logischer Analyse sinnlicher Gewiss-             gen voraus. ‚Kausales‘ Wissen ist je nur ge-
Sinn eines genauen Beobachtens der äu-                  steht nun der Ausdruck „sinnliche Ge-           heit ergibt sich, dass schon das Zeigen und           nerisches Wissen.
ßeren Formen, eben das meint ja das grie-               wissheit“ mal objektartig für meine oder        der Gebrauch indexikalischer Ausdrücke                In gewissem Sinn macht Hegel dann vor
chische Wort „skopein“, besteht nämlich                 deine Gewissheit, mal für die ‚epistemolo-      im Perspektivenwechsel begriffliches All-             dem vierten Kapitel der Phänomenologie
gerade in einer nicht dogmatischen,                     gische‘ Position, nach welcher alles Wissen     gemeinwissen empraktisch und holistisch               eine Art Schnitt, da es ab jetzt um etwas
                                                        auf sinnlicher Gewissheit ‚aufbaue‘, so also,                                                         Neues geht, nicht mehr um ein bloßes Be-
                                                        als wären die eigentlichen Bezugsgegen-         3 Vgl. die völlige Übereinstimmung im Inhalt mit L.   wusstsein oder Wissen von Dingen und
2 Speculari bedeutet, etwas von einer hohen Warte,                                                      Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Nr.
z.B. einem Wachtturm, turris specultionis, aus zu be-   stände unseres Aussagens über die Welt          38: „Was benennt aber z.B. das Wort „dieses“ (…)      Sachen, sondern um Selbstbewusstsein.
obachten. Das Wort „speculum“, Spiegel, passt frei-     ‚zunächst‘ so etwas wie Sinnesdaten oder        „am besten, man sagt garnicht, daß diese Wörter       Zum bloßen Proto-Selbstbewusstsein, das
lich auch zur Reflexion.                                                                                etwa benennen“.

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Phänomenologie des Geistes als spekulatives Selbstbewusstsein

wir mit Tieren gemein haben, gehören alle       Wortes Bewusstsein, obwohl manchmal
Empfindungen subjektiver Befriedigung,          auf ungrammatische Weise das Verb im
auch die Vigilanz, Aufmerksamkeit und           Plural steht, so wie wir sagen, dass 1 und
das Gewahrsein in Bezug auf sich und die        2-1 gleiche Zahlen sind.
präsentische Stellung zu anderen Dingen.
Die leibliche Begierde in enaktiver Per-        6. Vorgeschaltet ist ein Vorgriff auf den
zeption (Alva Noë) ist dabei bloß erst ein      gesamten Rest des Buches, nämlich in
animal appetite, wie auch McDowell sagt.        einer berühmten Formel, die ich hier in
                                                zwei Hälften zerlege: „Das Ich ist ein Wir“.
5. Dieter Henrich und andere (wohl auch         Denn jeder, der laut oder leise „ich“ sagt,
noch McDowell) lesen (mit Fichte) den           sagt es als Teilnehmer in einem Dialog
Titel „Selbstbewusstsein“ als unmittel-         mit einem realen oder vorgestellten, also
bare ‚Begleitung‘ aller (geisti-                           möglichen Du oder Ihr, in jedem
ger) Vollzüge durch das „ich                               Fall in einer Bezugnahme auf
denke“, ganz gemäß der kan-        »Das Ich ist            uns. Das Ich-Sagen setzt so im-
tischen Auffassung von ‚tran-                              mer schon ein Wir der Sprecher
szendentaler Apperzeption‘.         ein Wir.«              und Hörer voraus. Außerdem
Hegel dagegen fragt, wie hier                              hat jede bewusste Aussage die
die ­ Wörter „ich“, „selbst“ und „denke“        folgende selbstbewusste Form: „ich sage,
überhaupt zu verstehen sind. Wie kann           dass wir sagen können, dass φ“. Frege hat
sich ein Selbstbewusstsein auf sich selbst      bekanntlich einen Teil dieses Gedankens
­kognitiv oder praktisch beziehen? Und wie      durch den Senkrechten oder Urteilsstrich
 kann ich das im Selbstbezug performativ        ├ φ ausdrücken wollen. Allerdings ge-
 instantiieren? Man beachte, dass es sich da-   braucht er den Urteilsstrich ohne indexi-
 bei um zwei Fragen handelt. Die erste fragt    kalischen Verweis auf das je sprechende
 nach der allgemeinen, logischen Form           Subjekt, was z. B. eine Notation der Form
 des Selbstbewusstseins als kognitive oder      ├ ich φ verlangen würde. Die Folge ist,
 dann auch praktische bewusste Bezugnah-        dass der Urteilsstrich ├ φ in der mathema-
 me auf ein Wissen oder Bewusstsein, das        tischen Begriffsschrift nur noch bedeutet
 als Vollzug in gewissem Sinne identisch ist    „der Satz φ kann im System als wahr ge-
 mit dem Objekt der Selbstthematisierung.       setzt gelten bzw. entsprechend hergeleitet
 Ich mache mich ja in einem Akt der Form        werden“.
 des Selbstbewusstseins zum Gegenstand          Die zweite Hälfte des Hegelschen Merksat-
 meines Wissens oder Bewusstseins. Es ist       zes lautet: Das Wir ist ein Ich. Normaler-
 ein Akt der Reflexion, der eine Reflexions-    weise sagt ‚ein Ich‘ vertretungsweise „wir“.
 form aktualisiert. Wie verhalten sich dabei    Das heißt, ich sage oder du sagst „wir“.
 Subjekt und Objekt, also das Bewusstsein,      Sehr selten, etwa in (zivil)religiöser Li-
 das im Vollzug etwas tut, etwa über sich       turgie und damit im Vollzugsmodus des
 nachdenkt und von sich etwas weiß, und         absoluten Geistes, sagen wir gemeinsam
 das Bewusstsein als Objekt, der themati-       „wir“, nämlich in Chor- oder Kirchenlie-
 sche Gegenstand? In welchem Sinn sind          dern, z. B. auch bei Sportereignissen.
 sie verschieden, in welchem als ‚identisch‘    Es ist dann je nach Kontext auf verschie-
 gesetzt? Es ist von entscheidender Bedeu-      dene Weise die Frage zu beantworten, ob
 tung für das Verständnis, dass hier nicht      das Wort „wir“ für jeden von uns (distri-
 von zwei Individuen die Rede ist. Hegel        butionell), für eine Gemeinschaft oder für
 selbst benutzt ja auch keinen Plural des       ein generisches Wir steht. Im distributio-

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Pirmin Stekeler-Weithofer                                                                                                      Phänomenologie des Geistes als spekulatives Selbstbewusstsein

nellen Fall kann die Aussage „wir gingen      ganze Gehirn) den Rest des Leibes so und        der Befriedigungsgefühle ‚des Knechtes‘ ge-               den Dingen sprechen, nämlich um durch
spazieren“ bedeuten, dass du in den Wald      so sprechen und handeln lässt. Dabei lese       schehen.                                                  diese ein typisches Verhalten ‚kausal zu er-
und ich in die Stadt ging. Im Gemein-         ich das Wort „Arbeit“ metonymisch. Als          Am Ende hängt sogar alles vom Tun, der                    klären‘. Dabei bedenkt Dennett die (repro-
schaftsfall gemeinsamen Handelns ist das      „gehemmte Begierde“ steht es für eine in-       konkreten Arbeit, nicht vom bloß reden-                   duzierbaren) Vollzugsformen nicht, nach
ausgeschlossen – was im Prinzip der gan-      tentional gerichtete Erfüllung von Absich-      den Denken ab – was sich in der Kritik                    denen ‚wir‘ etwas erklären oder auch einer
ze Inhalt der sogenannten Sozialontologie     ten durch eigenes Handeln, nicht für das        am Stoizismus noch einmal zeigen wird.                    artikulierten Absicht gemäß handeln. Es
(Margaret Gilbert, Michael Bratman, Rai-      Arbeiten eines leiblichen Sklaven für einen     Im Kampf zwischen dem denkenden                           mag nicht leicht sein, das Haben von Inten-
mo Tuomela, John Searle) ist: Wir müssen      geistigen Herrn.                                Herrn und dem die Befriedigung seiner                     tionen robust von bloßen Zuschreibungen
dann immer überprüfen, ob das, was wir        Im Urbild der Metapher oder Allegorie           Neigungen begehrenden Knecht, dem                         zu unterscheiden. Denn das setzt eine Art
tun, noch ein hinreichend gemeinsames         ist freilich jemand Herr, wenn er einem         Selbstbewusstsein der Selbstbestimmung                    ‚Harmonisierung‘ von Fremd- und Selbst-
Tun ist. Was das je konkret bedeutet, ist     Knecht sagen kann, was er tun soll. Der         und dem Proto-Selbstbewusstsein in der                    zuschreibungen voraus. Aber es ist absurd,
durch Normen für das gemeinsame Han-          Knecht handelt dann nicht nach eigenem          Befriedigung animalischen Begehrens, ha-                  die eigenen Vorsätze und Absichtszu-
deln und Leben bestimmt, z. B. durch eine     Begehren, sondern aus der „Furcht des           ben also beiden Teile oder Momente ein                    schreibungen nur als Rationalisierungen
Sitte und durch das Ethos der Sittlichkeit,   Herrn“ (die aller Weisheit Anfang ist).         lebhaftes Interesse daran, den je anderen                 eines vorgängigen Tuns oder Verhaltens
das auch das erlaubte individuelle Han-       Die Dialektik von Herr und Knecht wird          Teil am Leben oder die je andere Macht                    ex post anzusehen. Damit wird klar, dass
deln einschränkt. Generisch aber ist jedes    jetzt zu einer analogischen Kritik daran,       in ihrer Wirksamkeit zu erhalten. Daher                   mancher Pragmatismus (etwa auch der
Wir, das in Aussagen vorkommt, in denen       wie man sich üblicherweise (und wie sich        ist der Kampf um gegenseitige Anerken-                    Quines und Davidsons) den Kontrast zwi-
wir es auch durch das Wort „man“, „die        schon Platon) das Verhältnis zwischen           nung zwischen Herr und Knecht, Vorsatz                    schen Subjekt und Objekt auf ‚behaviorale‘
Leute“ oder „der Mensch“ ersetzen könnte,     dem (personalen) Ich als dem subjektiven        und Begierde, Handlung und einem nei-                     und damit, wie schon Hegel weiß, inko-
etwa in Sätze der Art „wir Menschen kön-      Geist in seiner (also je meiner) Verleib-       gungsmotivierten Verhalten sozusagen                      härente Weise so ‚aufhebt‘, dass alle Sub-
nen sprechen und betreiben Kunst und          lichung und dem (empirischen) Ich (als          nur im Prinzip oder gar nur zum Schein                    jekte im Vollzug ihres Tuns ‚von uns‘ bloß
Wissenschaft“. Nicht jeder kann sprechen      Leib im präsentischen Tun hier und jetzt)       ein Kampf auf Leben und Tod.                              als sich irgendwie bewegende Dinge auf-
und nur wenige nehmen an der Praxis der       vorstellt, etwa als Entgegensetzung von                                                                   gefasst werden, denen ‚wir aus pragmati-
expliziten Entwicklung von Können und         praktischer Vernunft (Kants gutem Willen)       8. Daniel Dennett, dessen Arbeiten man                    schen Gründen‘ der Erklärung des Verhal-
Wissen und damit an einer Art ‚Selbstent-     und einer leiblich-animalischen Neigung         mit Recht als hervorragendes Beispiel heu-                tens geistige Intentionen als Dispositionen
wicklung des Geistes‘ teil.                   (die der Wille bzw. das Denken wie einen        te verbreiteter Ansichten diskutieren kann,               sozusagen einhauchen.
                                              Sklaven zu beherrschen hätten).                 begeht in seinen (nicht weniger metapho-
7. Die eigentliche Überlegung im Selbst-      Dabei gibt es, andererseits, tatsächlich eine   rischen) Reden über intentionale Syste-                   9. Zum Abschluss kann nun nur noch eine
bewusstseinskapitel hat eine analogische      Art ‚Kampf auf Leben und Tod‘, nämlich          me (die bei ihm auch Tiere oder Roboter                   kurze Liste der Seelenbegriffe kommen-
Form. Es geht lange vor Gilbert Ryles         zwischen Absicht und Begierde, Vernunft         sein können) einen eklatanten Fehler, der                 tiert werden, welche in ihren individual-
The Concept of Mind (auch vor den Tex-        und Neigung: Wird im ‚arbeitenden‘ Han-         zugleich die in sich widersprüchlichen                    psychologischen, (mikro-)soziologischen
ten Maurice Merleau-Pontys) um Sinn-          deln nicht das getan, was den Vorsatz als       Vorurteile eines metaphysischen Objek-                    (bzw. ethnologischen), logischen (philo-
kritik an der Vorstellung, im kantischen      Artikulation einer Absicht praeter hoc er-      tivismus (Naturalismus, Materialismus)                    sophischen) und dann auch ethischen (re-
Ausdruck „ich denke“ sei eine Geistseele      füllt, verwandelt sich die Absicht des Vor-     aufweist. Dennett meint, wir schrieben                    ligiösen und theologischen) Aspekten zu
Herrin und der Leib vollführe in der Äu-      satzes ex post zu einem bloßen (Selbst-)        anderen Wesen und uns selbst Intentionen                  unterscheiden sind.
ßerung oder im Handeln (dem prakti-           Wunsch und wird als Absicht annulliert.         und andere geistige Kräfte oder Zustände                  Die Leibseele als Lebenskraft lebendiger
schen Denken des Descartes) die Rolle         Ähnlich ergeht es – nur umgekehrt – der         in ähnlicher Weise zu, wie manche ‚Wil-                   Wesen ist lange vor dem Buch De Anima
des Knechtes, der, wie ich es ausdrücke,      zunächst unmittelbaren Begierde, wenn           den‘ etwa nach Frazer4, Wilhelm Wundt5                    des Aristoteles eine geradezu weltweite
eine Sprecher- oder Handlungsabsicht          sie durch die im Vorsatz geplante Hand-         oder Sigmund Freud über Dämonen in                        Redeform und trägt das Bild, nach dem
(leiblich) in die Tat umsetzt. Nach meiner    lung gehemmt und die Neigung damit                                                                        sie im Sterben als letzter Atem aus dem
Lektüre (und Hegels Text bestätigt sie voll   umgelenkt wird. In der Bewertung der Er-        4 J.G. Frazer, The Golden Bough. A new abridgement,       Körper entweicht. Aristoteles unterschei-
                                                                                              ed. by R. Fraser, Oxford Univ. Pr. 1994. Vgl. auch „Be-
und ganz) geht es um die Destruktion der      füllung der Bedingungen des Inhalts der         merkungen über Frazers Golden Bough“, in. L. Witt-        det zwischen vegetativer, sensitiver und
Vorstellung, es gäbe eine ontische Seele,     Absicht genießt das Selbstbewusstsein wie       genstein, Vortrag über Ethik u.a. kl. Schriften, Suhr-    noetischer Seele, womit aber im Grunde
die unmittelbar Zugriff auf Inhalte, auch     im sozialen Urbild ‚der Herr‘ die Früchte       kamp 1989, besonders auch p. 36: „Wir müssen die          nur die Seinsformen von Pflanze, Tier und
                                                                                              ganze Sprache durchpflügen“ und p. 38 „In unserer
Intentionen, haben soll und ihnen ge-         der Arbeit. All das kann aber nicht ohne        Sprache ist eine ganze Mythologie niedergelegt“.          Mensch skizziert sind, so aber, dass die je
mäß (etwa über die Zirbeldrüse oder das       Umlenkung des Begehrens des Leibes bzw.         5 Vgl. dazu z.B. W. Wundt, Elemente der Völkerpsy-        tiefere Ebene in der höheren sozusagen
                                                                                              chologie, Leipzig: A Kröner 1912.

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