Campus Bologna-Reform - Spezial
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campus Das Magazin der TU München 3| 2010 Spezial: Bologna-Reform Politik: Elektro-Mobilität Campusleben: TUM-Sportler gewinnen in Paris
Impressum campus Das Magazin der TU München 3| 2010 Spezial: Bologna-Reform Politik: Impressum ENGMVTQ-Mobilität © Thierry Meouchi Campusleben: TUMcampus TUM-Sportler Das Magazin der TU München für Studierende, gewinnen in Paris Mitarbeiter, Freunde, erscheint im Selbstverlag viermal pro Jahr. Auflage 9 000 Erschöpfte, aber glückliche Sport-Studierende der Herausgeber: Der Präsident der TU München TUM. Gerade haben sie in Paris den internationalen Uni- versitäts-Vergleichswettkampf »Challenge du monde Redaktion: Dr. Ulrich Marsch (verantwortlich) des Grandes Écoles et Universités 2010« für sich ent- Dipl.-Biol., Dipl.-Journ. Sibylle Kettembeil schieden. Mehr über das Sportereignis, bei dem 64 Uni- Gabriele Sterflinger, M.A. versitäten aus sechs Ländern in verschiedenen Einzel- TU München, Corporate Communications Center und Mannschafts-Disziplinen angetreten waren, lesen 80290 München Sie auf Seite 55. Telefon (089) 289-22766 Telefax (089) 289-23388 redaktion@zv.tum.de Und das sind die siegreichen Sportler: www.tum.de/ccc/tumcampus untere Reihe, knieend v.l.: Carsten Schwiewagner (Be- treuer), Martin Lanzinger, Philipp Rodriguez, Markus Gestaltung: Karla Hey Einsiedler, Torben Gartzen, Tamara Strauss, Romy Schwaiger, Isabel Widemann, Marc Michels; Herstellung/Druck: mittlere Reihe, v.l.: Christoph Roscheck, Daniela Pfarr Joh. Walch GmbH & Co, 86179 Augsburg (Betreuerin), Otto Huber (Coach der Mannschaft), Ma- Gedruckt auf chlorfreiem Papier nuela Schwarz, Olivia Baron, Agatha Kaminski (Betreu- erin), Iris Hoffmann, Mona Haslinger, Franziska Krumm, © Copyright by TU München. Alle Rechte vorbehalten. Anna Reithmeier; Nachdruck, auch auszugsweise, nur in Abstimmung mit obere Reihe, v.r.: Jonathan Seeliger, Daniel Bernhard, der Redaktion. Gezeichnete Beiträge geben die Meinung Andrea Wolfrum (Betreuerin), Leopold Haimerl, Anja der Autoren wieder. Für unverlangt eingesandte Manu- Saumweber, Sebastian Schnurrenberger, Alexander skripte und Bildmaterial wird keine Gewähr übernommen. Krämer, Gregor Strasshofer, Carolin Graw, Niklas Ro- scheck, Kerstin Jaburg, Karl Becker, Konstantin Lytis. Redaktionsschluss für Heft 4/10: 30. August 2 TUMcampus 3/10
Editorial Diversität durch Globalisierung H eute sind politische, soziale, ökonomische und ökologische Fragen zunehmend von globaler neues, sondern ein stetig um neue Inhalte und Technologien erweiter- tes Thema. Global zu sein bedeutet Reichweite. Zur Sicherung unserer nicht, dass wir auf unsere lokalen Überlebenschancen müssen wir Verpflichtungen verzichten dürfen. stärker denn je mit anderen Ländern Ganz im Gegenteil, wir folgen dem zusammenhalten. Die globalisierte Motto »Zuhause in Bayern, erfolg- Gesellschaft fordert unsere Univer- reich in der Welt« und wollen durch sität auf, Weltbürger mit Führungs- die Globalisierung unsere Univer- fähigkeiten und globalen Denkwei- sität nach innen und außen sichtbar sen vorzubereiten. machen. Wir wollen unseren Studie- renden beibringen, ihre eigenen Kul- Für eine unternehmerische Univer- turen zu bewahren und gleichzeitig sität wie die TUM ist schon längst andere Kulturen zu schätzen. die ganze Welt zum Gestaltungs- raum geworden. Wir sind mit Part- Global zu sein, bedeutet nicht, ver- nereinrichtungen aus allen Konti- schiedene Kulturen zu nivellieren, nenten vernetzt – gleichzeitig kon- unterschiedliche Denkweisen zu kurrieren wir um die Talente, die vereinheitlichen und Ideen zu kopie- Liqiu Meng Forschungsmittel und auch die öf- ren. Ganz im Gegenteil, die Diver- fentliche Aufmerksamkeit auf einem sität soll durch die Globalisierung globalen Bildungsmarkt. sichergestellt sein. Denn analog zu einem Biosystem trägt die Diversität Wir sind stolz auf das einzigartige, wesentlich zur Vitalisierung und Im- breite Fächerportfolio der TUM, das munstärke des Bildungssystems lungspotenzial, die gleichen ethischen und gesellschaft- uns ein inspirierendes multi- und bei. Derzeit sind von insgesamt lichen Verpflichtungen und eine gleiche Zukunftsvision interdisziplinäres Lern- und For- 623 000 internationalen Studieren- teilen, wenn ihr Zusammenhalt zur Steigerung der Res- schungsumfeld bietet. Wir sind den 20 Prozent in den USA einge- sourceneffizienz führt und nicht zuletzt, wenn ein kon- auch stolz darauf, dass sich bereits schrieben, wo sie sich wiederum struktiver Wettbewerb die wissenschaftliche Produktivi- mehr als 30 000 TUM-Alumni bei mehrheitlich auf elf Spitzenuniver- tät stimuliert. uns gemeldet haben. Zugleich ist sitäten verteilen. Das lässt sich uns aber bewusst, dass wir im Be- zweifelsohne als ein Qualitätslabel Lassen Sie uns gemeinsam die Globalisierung anstre- reich der Alumni-Services noch viel des amerikanischen Elitebildungs- ben! von amerikanischen und asiatischen systems verstehen – deutet aller- Universitäten lernen müssen. Denn dings auch eine mangelnde Diversi- das MIT beispielsweise zählt in sei- tätspolitik an. nem Alumninetz mehr als 25 000 ak- tive Geschäftsführer. Wir sind gut Global zu sein, erfordert zahlreiche Ihre informiert über die weltweite demo- Partnerschaftsbeziehungen über grafische Entwicklung. Allein, dass Landesgrenzen hinweg. Bei der 54 Prozent der Bevölkerung in In- Partnersuche für strategische Alli- dien unter 35 Jahre alt sind, spricht anzen sind wir jedoch selektiv. Denn für die Notwendigkeit, eine TUM- unsere Reputation wird zum Teil an Repräsentanz in Neu Delhi einzu- der Reputation unserer Partner ge- richten, um die besten Köpfe aus messen. Eine Partnerschaft ist nur diesem jungen Land zu rekrutieren. dann für beide Seiten gewinnbrin- gend, wenn beide Partner einen gu- Globalisierung ist ein Prozess der ten Ruf für die fruchtbare und nach- Internalisierung mit weltweiter Be- haltige Zusammenarbeit bereits be- Liqiu Meng teiligung. Sie ist an und für sich kein wiesen haben, das gleiche Entwick- Vizepräsidentin TUMcampus 3/10 3
Inhalt Spezial 6 »Wir brauchen Gestaltungsfreiräume!« 11 TU9 in der Bologna-Debatte Forschen 12 GOCE zeigt Gravitationskraft im Himalaya 14 Elektroautos: Auf den Strom kommt’s an 16 Molekulare Therapien gegen Magenkrebs Herzkranke Kinder in Bewegung bringen 18 Hilfe für traumatisierte Patienten Beschwingter Bio-Chip 20 Bakterien nutzbar machen TUM-Forscherteams bei Transregios an Bord 21 Neutronenquellen kooperieren 22 Guten Morgen, TUM-James! 12 Politik 24 Grüne Biotechnologie in Bayern 25 Quo vadis, Biotechnologie? 26 Doppelter Berufungserfolg 27 Hochschulwahlen 2010 28 CHE-Ranking 29 E-Mobilität: TUM verstärkt Engagement in China 31 »Wenn der Töne Zauber walten...« 32 TUM verknüpft sich mit Beruflichen Schulen 33 US-Verband der Graduate Schools sucht Anregungen bei TUM 34 Graduiertenzentrum Environmental Health 35 Thema »Migration« einbinden! 36 CO2-Kooperationsprojekt als Keimzelle 37 Bildungsmesse in Riad Wissenschaft und 38 TUM und TÜV SÜD starten Wirtschaft Gastprofessoren-Programm Mit UnternehmerTUM zur eigenen Firma 40 Zu Besuch auf dem Campus Peter Bauer, Jürgen Großmann 14 28 4 TUMcampus 3/10
Inhalt TUM innen 41 Nah an der Schulpraxis 42 Schulräume zum Wohlfühlen und Lernen 43 TUM bleibt familiengerechte Hochschule Kooperation mit der Stabi 44 Osteoporose – der stille Knochendieb 45 Weltneuheit in der Urologie 46 IBZ und Gästehäuser stärken 47 Klimagerechtes Bauen 48 Bündnis für innovative Technologie Für Sie notiert 49 Neu berufen 54 Bienvenue, Madame Pécresse! 45 Campusleben 55 TUM-Sportler gewinnen in Paris 56 IGSSE-Doktoranden in Brüssel Das Münchner Semesterticket – scheitert es endgültig? 57 Marmor, Stein und Jurakalk 58 Kinder-Uni-Tour auf dem Campus Garching »AstroKlasse« im TUMlab 59 Weltmeister zu Gast Abenteuer am Bach Auszeichnungen 60 Preise und Ehrungen Menschen 64 Wer, was, wo? 66 Vom Reformkanzler zum Generalsekretär 67 Neuer Technischer Direktor am FRM II Ruhestand 68 Girls’ Day 2010 in der Informatik Start in den Beruf 69 TUM intern Standards 2 Impressum 3 Editorial 72 Termine 74 Spiel mit Fragen 75 Vorschau 42 61 TUMcampus 3/10 5
Spezial »Wir brauchen Gestaltungsfr V or elf Jahren wurde die Bologna-Reform gestartet. Bereits im Vorfeld war die TUM der deutsche Vorreiter mit dem »Münchner Modell«. Ziel der Reform ist ein einheit- licher europäischer Hochschulraum mit international kompatiblen Studienprogrammen und vergleichbaren Abschlüssen. Mobilität, internationale Wettbewerbsfähigkeit und Berufsbefähigung der Absolventen sollen gefördert werden. 47 europäische Staaten haben die Bologna-Erklärung unterzeichnet, deren Umsetzung sich allerdings geraume Zeit hinzog. So beklagen die Studierenden zunehmende Verschulung, überfrachtete Stundenpläne, Klausurenmarathon, allgemeine Überforderung. Aber auch Professoren gibt es, die eine »Reform der Reform« fordern. Über den Reformprozess an der TUM unterhielt sich TUMcampus mit den TUM-Vizepräsidenten Prof. Peter Gritzmann und Dr. Kai Wülbern und dem studentischen Vertreter Julian Esselborn. 6 TUMcampus 3/10
Spezial reiräume!« Redaktion: Um die Stundenpläne zu entzerren, will man Bachelor- studiengänge von sechs auf acht Semester umstellen. Was halten Sie da- von? Gritzmann: Es kann durchaus sinnvoll sein, einige Bachelorstudiengänge auf acht Semester anzulegen. Allerdings würde dann der politisch vorge- gebene Deckel von zehn Semestern Gesamtstudiendauer zweisemestrige Masterstudiengänge erzwingen. Und die sind sicherlich nur in den selten- sten Fällen attraktiv. Wir brauchen also dringend Freiräume, die Fächerkul- turen abbilden. Und wir brauchen Freiräume, um auch richtig innovative Studiengänge umzusetzen. Redaktion: Soll also jede Hochschule für sich entscheiden, wie lange es bis zum Bachelorabschluss dauert? Gritzmann: Die Dauer hängt von der Art und vom Profil der Studiengänge ab. Ich würde erwarten, dass wir in einigen Jahren in vielen Naturwissen- schaften achtsemestrige Bachelorstudiengänge haben werden; dann aller- dings verbunden mit der Möglichkeit eines direkten Einstiegs in strukturierte Promotionsprogramme für die Besten. In den Ingenieurwissenschaften wird ohne Zweifel der Master seine zentrale Rolle behalten. Prof. Peter Gritzmann, als Vizepräsident zuständig für Studium und Lehre Esselborn: Auch für uns sind Freiräume wichtig. Sechs oder acht Semester sollten möglich sein, die zehnsemestrige Obergrenze gehört aufgehoben. Speziell in den Naturwissenschaften ist ohnehin die Promotion der Regel- abschluss, nicht der Master. Darum hat der Bachelorabschluss hier eine be- sondere Funktion: Man kann das Fach relativ früh wechseln und hat trotz- dem einen Abschluss. Vielleicht sattelt man Business Administration drauf oder Wissenschaftsjournalismus, dann ist ein achtsemestriger Bachelor gar nicht nötig. Der Bachelor ist dann quasi die Möglichkeit für eine neue Weichenstellung. ➜ TUMcampus 3/10 7
Spezial wir mehr Finanzmittel, weil dann einige länger studieren. Das BAföG soll wohl doch nicht erhöht werden, Hessen will an den Hochschulen sparen, Schleswig-Holstein will die Uni Lübeck schließen, und die finanziellen Zusagen der Länder bezüglich neuer Investitionen im Rahmen der Bildungsgipfel wurden wieder abgeschmolzen. Ich weiß nicht, ob wir es da schaffen, die Blockade der Finanzminister zu brechen, auch acht plus vier zu erlau- ben, und zwar nicht nur in extremen Ausnahmefällen. Wülbern: Natürlich liegt es auch im Verantwortungsbe- reich der jeweiligen Hochschule, wie sie ihre Ressour- cen einsetzt, ob sie Angebote machen will, die die Zehn- Dr. Kai Wülbern, Leiter des Stu- Semester-Grenze reißen. Ich sehe da nicht die Politik in denten-Service- der Verantwortung. Um auf Ihre Frage zu antworten: Die Zentrums Abschlüsse verschiedener Hochschulen können heute per se nicht als gleichwertig betrachtet werden. Hier hat Wülbern: Schwergetan mit dem Thema haben sich unsere Ingenieurwis- sich die Situation durch Abschaffung des Diploms eher senschaften, weil diese mit dem Diplom nicht nur über ein international an- nachteilig entwickelt. Für das Vordiplom etwa war rela- erkanntes Markenzeichen, sondern auch über eine bewährte Studienstruk- tiv genau der Fächerkanon beschrieben, und das Vordi- tur verfügten. Natürlich sah man im Bachelor/Master-Ansatz auch neue plom der einen Universität wurde ohne jede formale Chancen, etwa nach einem sechssemestrigen Fachstudium die Richtung zu Prüfung an der anderen anerkannt. Diese Zeiten sind wechseln. Das halte ich persönlich für sehr attraktiv. Trotzdem war es ver- vorbei. Andererseits war das Vordiplom in vielen Fällen kehrt, alle Disziplinen über einen Kamm zu scheren, wie das manche Uni- auch nichts wert – siehe Chemie! versitäten – nicht die TUM! – getan haben. Wir brauchen mehr Gestaltungs- freiräume, um marktgerechte und an den Bedürfnissen der Studierenden Esselborn: Wichtig ist die Vergleichbarkeit – dass ich orientierte Studienprogramme entwerfen zu können. wechseln und meine Leistungen anrechnen lassen kann. Aber es lohnt sich, gesellschaftlich zu diskutieren, Gritzmann: Ich glaube, wir werden in fünf oder zehn Jahren über die jetzi- ob wir wirklich wollen, dass es nur ein paar gute Uni- gen Probleme lächeln. Wir werden eine Flexibilisierung erleben, die auch versitäten gibt und die anderen abgehängt werden. Das Y-Modelle ermöglicht, wie es sie im europäischen Ausland schon gibt: sehe ich als Fehler des amerikanischen Systems, und Bachelorstudiengänge, die drei Jahre lang allgemein grundlagenorientiert ich bin mir nicht sicher, ob wir diese krassen Unter- sind und im vierten Jahr differenzieren zwischen einem stärkeren Anwen- schiede wirklich wollen. dungsbezug für alle diejenigen, die in die Praxis gehen wollen, und einem stärkeren Forschungsbezug für diejenigen, die eine Promotion zur wissen- schaftlichen Vertiefung anschließen wollen. Redaktion: Wird man sich damit auf europäischer Ebene nicht weiter diffe- renzieren? Die Abschlüsse sollen doch vergleichbar sein. Gritzmann: Ja, aber die Eins-zu-eins-Gleichheit war immer eine Illusion. Was man erreichen kann, ist die vereinfachte Anerkennung von Studienleis- tungen, die an anderen Stellen erbracht worden sind. Aber natürlich wissen wir aus den USA, wie stark der Wert eines Abschlusses davon abhängt, wo man ihn erworben hat. Ein Abschluss von Harvard, Stanford oder dem MIT hat einen anderen Stellenwert als der von einem Community College. Und genau das werden wir in Deutschland auch erleben. Die Arbeitgeber werden sehr viel genauer auf das Qualifikationsprofil der Studiengänge und ihrer Absolventen schauen. Und das kann uns an der TUM nur recht sein! Julian Esselborn studiert im 10. Semester Molekulare Biotech- Esselborn: Was die zukünftige Flexibilisierung angeht, bin ich mir nicht nologie und ist Vorsitzender des Fachschaftenrats. sicher. Sobald wir über die Zehn-Semester-Grenze hinausgehen, brauchen 8 TUMcampus 3/10
Spezial Gritzmann: Durch die Exzellenzinitiative wurde öffent- Gritzmann: Der universitäre Bachelor-Abschluss ist gekennzeichnet durch lich sichtbar, dass nicht alle Hochschulen gleich gut die damit verbundene wissenschaftliche Sozialisation. Bei uns an der TUM sind. Und mal ehrlich: Es ist auch sinnvoll, die Lehr- ist die mathematisch-naturwissenschaftliche Fundierung entscheidend, also formen nach der Qualifikation der Studierenden zu der Wunsch zu verstehen, warum etwas so ist, wie es ist. Dieser Anspruch differenzieren, um alle Begabungspotenziale adäquat zu führt dazu, dass unsere Absolventen auch in 20 Jahren in der Lage sind, völ- fördern. Was uns freilich noch fehlt, ist die Akzeptanz lig neue, heute noch gar nicht absehbare Probleme erfolgreich zu lösen. des Exzellenzgedankens im Bereich der Lehre. Denn natürlich sind die attraktiveren Hochschulen bei den Esselborn: Es sollte mehr um Konzepte gehen als darum, Fakten zu lernen. Studierenden sehr begehrt und ihre Kapazitäten ent- Man muss Ideen haben, Konzepte erstellen und weiterentwickeln. sprechend mehr als ausgelastet. Hier benötigen wir dringend einen »Exzellenzfaktor Lehre«. Die TUM ar- Wülbern: Wurde ein Ingenieur an einer Universität ausgebildet, dann wurden beitet daran. ihm in hohem Maß Grundlagenwissen und Methoden- und Problemlösungs- kompetenz vermittelt. Dagegen bildet die Fachhochschule sehr stark anwen- Esselborn: Mit der Exzellenzinitiative haben wir schon dungsbezogen aus, dort sind die Studienangebote sehr viel spezialisierter. eine gewisse Mittelverteilung an Hochschulen, die zu- mindest in der Forschung mehr leisten. Die Frage ist: Redaktion: Das Thema Bachelor/Master ist ja nicht der einzige Kritikpunkt Wie weit will man diesen Weg der leistungsbezogenen am Bologna-Prozess. Angeblich leidet auch die Internationalisierung… Mittelverteilung wirklich gehen? War es nicht gerade unsere Stärke in Deutschland – und hat es nicht auch Gritzmann: Das widerspricht schlicht den Fakten: Man vergleicht ein fünf- den Diplomingenieur als Marke so stark gemacht –, jähriges Studium bis zum Diplom mit einem dreijährigen Studium bis zum Ba- dass im Prinzip jeder Diplomingenieur so gut war, dass chelor. Tatsächlich hat die Mobilität insgesamt zugenommen. Heute gehen jeder gesagt hat: Den nehme ich sofort. Wenn wir nicht 40 Prozent der Mathematikstudenten der TUM für mindestens ein Semester aufpassen, sind in 20 Jahren vielleicht nur noch die ins Ausland. 40 Prozent! Zu meiner Studienzeit hat nur eine verschwindend Master gut, die mal an der TUM waren, alle anderen kleine Zahl der Studierenden überhaupt an so etwas gedacht. kann man vergessen. Und auch die Marke Diplominge- nieur oder eine »Marke Master of Science« wäre dann nicht mehr stark. Redaktion: An der TUM bekommen die Absolventen der Ingenieurwissenschaften doch eine Doppelurkunde? Wülbern: Ja, wir attestieren auf unserer Urkunde, dass der Master of Science einem Diplomabschluss gleich- wertig ist. Bei dem Umstieg auf Bachelor/Master hat man jedoch übersehen: Der Diplomingenieur war immer so angelegt, dass nach zehn Semestern das erforder- liche Qualifikationsniveau erreicht war. Wenn man nun eine Schnittstelle schaffen möchte, bei der man schon nach sechs Semestern berufsbefähigt ist, dann müsste man das Studium neu strukturieren und in die ersten sechs Semester zusätzliche, praxisorientierte Elemente aufnehmen. Damit müsste das Bachelor/Master-Stu- dium – wenn man die gleiche Kompetenz erwerben möchte – länger dauern als früher das Diplom. Das ein- Wülbern: Man darf nicht vergessen, dass sich unabhängig von Bologna zügige Diplomstudium war einfach effizienter. auch die rechtlichen Rahmenbedingungen verändert haben: Früher musste ein Student nachweisen, dass die Kurse, die er im Ausland absolviert hat, Redaktion: Wie entscheidet sich heute ein Abiturient: gleichwertig sind mit hiesigen Veranstaltungen. Das ist jetzt genau umge- Bachelor an der Uni oder an der Fachhochschule? kehrt, die Hochschule muss nachweisen, dass das nicht der Fall ist. Esselborn: Weil der Abschluss an einer Uni zumindest Esselborn: Vielleicht noch ein Wort zum Weggehen zwischen Bachelor und gesellschaftlich anerkannter ist, fällt relativ schnell die Master. Ich habe das so gemacht und war in der Zeit auch nicht immatriku- Entscheidung für die Universität. liert. Dabei ist mir aufgefallen, dass es dafür keine Förderung gibt, denn ich TUMcampus 3/10 9
Spezial bin in dem Fall kein Student, sondern absolviere nur ein Praktikum. Ich fal- grundsätzlich positiv, denn es bietet innovationsfreudigen le also auch nicht unter die Förderung für Diplom- oder Abschlussarbeiten. Hochschulen wie der TUM die Möglichkeit, sich bei ihren Da muss nachgebessert werden! Studien- und Serviceangeboten zu verbessern und Dinge einfacher zu gestalten. Hier wünsche ich mir eine Abkehr Gritzmann: Aber auch hier ist eine Flexibilisierung eingetreten. Sie können ja von den nivellierenden Vorgaben von HRK und KMK, die entweder zu Ende des Bachelorstudiums ins Ausland gehen, um dort die es wieder schwer machen, Fächerkulturen abzubilden. Bachelorarbeit anzufertigen, Sie können nach dem Bachelor ins Ausland ge- Das ist mein größter Wunsch. hen und danach Ihr Masterstudium aufnehmen. Oder Sie beginnen Ihr Mas- terstudium und gehen dann im Status des Studierenden an eine ausländische Gritzmann: Bei der Bologna-Reform basierte viel auf Hochschule mit dem Ziel, schon die Grundlagen für die Masterarbeit zu legen. Trial and Error. Gemessen an den Rahmenbedingungen, war auch der »erste Aufschlag« gar nicht schlecht. Bei Redaktion: Wie sollte sich der Bologna-Prozess weiterentwickeln? einer so weitreichenden Reform, die im laufenden Be- trieb ohne zusätzliche Ressourcen umgesetzt worden Gritzmann: Wir haben mehr als nur unsere Hausaufgaben gemacht und ist, ist natürlich nach ein paar Jahren eine Nachsteue- sind für unsere Initiativen mehrfach ausgezeichnet worden. Was jetzt noch rung erforderlich. So haben wir an der TUM ganz gezielt fehlt, ist eine »Experimentierklausel Lehre« im Hochschulgesetz, die es uns und nachhaltig den Bologna-Prozess optimiert. Das neu wenigstens für einen begrenzten Zeitraum erlaubt, trotz enger rechtlicher gegründete Hochschulreferat Studium und Lehre hilft Randbedingungen innovative Studiengänge umzusetzen. dabei den Fakultäten, ihre Studiengänge flexibel und kreativ weiterzuentwickeln. Esselborn: Ja, wir sollten uns die einzelnen Studiengänge anschauen und mit allen Beteiligten, speziell den Studierenden, darüber reden: Was läuft Esselborn: Das klappt ja an der TUM auch ganz gut. Ich gut, was nicht? Wir schaffen es zum Beispiel nicht, dass alle, die es könn- bin schon ein Freund von Hochschulautonomie. Aber ten, an die Uni kommen. Außerdem ließe sich die Qualität der Lehre noch man muss auch sehen, dass an anderen Hochschulen verbessern, etwa bei der Betreuungsquote. zum Teil ganz großer Mist gemacht wurde. Viele haben ihre Studierenden mit miserablen Studiengängen aus- Redaktion: Die Studienbetreuung soll ja intensiviert werden, so der Plan. gestattet. Hätte da nicht der Staat eingreifen müssen? Wie steht die Professorenschaft dazu? Gritzmann: Man hätte »Bologna« auch mal testweise Gritzmann: Ich sehe überhaupt keinen Widerspruch zwischen guter Lehre laufen lassen können, an einzelnen Hochschulen oder in und guter Forschung. Es ist ja nicht so, dass sich die Hochschullehrer vor einzelnen Fächern für eine Übergangszeit, betreut na- ihrer Lehrverantwortung drücken. Im Gegenteil: Die meisten Hochschul- türlich von Fachleuten. lehrer sind in der Lehre äußerst engagiert. Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass solche Leistungen besonders auch für unsere Nachwuchs- Wülbern: Oder man hätte eine bundes- oder landesweit wissenschaftler karrierefördernd sind. Und genau das tun wir. agierende Koordinationsstelle mit entsprechender Res- sourcenausstattung einrichten können. Ob den Hoch- schulen das so recht gewesen wäre, bezweifle ich. Gritzmann: Aber die Alternative gab es nicht, die Hoch- schulen wurden allein gelassen. Doch sollte man nicht zu sehr klagen: Der Bachelor/Master war immer besser als sein Ruf. Und wir an der TUM haben alle Vorausset- zungen geschaffen, dass unsere Studiengänge richtig gut sind. Darauf können sich unsere Studierenden ver- lassen und auch ihre künftigen Arbeitgeber! © Andreas Heddergott (5) ■ Wülbern: Letzendlich war der Bologna-Prozess bei uns in Deutschland der Anlass für eine große umfassende Hochschulreform. Ich finde »Bologna« 10 TUMcampus 3/10
Spezial TU9 in der Bologna-Debatte TU9-Präsident Prof. Ernst Schmachtenberg betont: »Die TU9- Universitäten haben sich immer konstruktiv in die Bologna- Debatte eingebracht. Wo wir in eigener Verantwortung Verbes- serungen bewirken können, werden wir dies im Sinne unserer Im März 2010 diskutierten die Bildungs- Studierenden weiterhin tun. Wir fordern die Politik aber auch da- zu auf, die technischen Universitäten bei der Reform der Reform minister der EU über zehn Jahre zu unterstützen: Wir brauchen Freiheit und Autonomie, um un- Bologna-Prozess. Zu diesem Anlass sere Profile zu entwickeln. Und wir brauchen die finanziellen Mittel, um Verbesserungen in der Lehre zu erreichen. Dies sind erklärte die TU9: wir – Universitäten und Politiker gemeinsam – den Studierenden schuldig.« Ein TU9-Ausschuss der Vizepräsidenten/Prorektoren für Lehre Der Bologna-Prozess beinhaltet für die deutschen Universitäten und Studium hat zehn Forderungen für die »Reform der Reform« eine Umstellung des Hochschulsystems von historischer Dimen- erarbeitet, deren Zusammenfassung im Internet nachzulesen ist: sion. Die in der TU9 vereinten technisch orientierten Universitäten haben diesen Prozess stets als Chance betrachtet, im Rahmen der Weiterentwicklung des europäischen Hochschulraums die www.tu9.de/presse/3388.php Qualität ihrer Studienangebote zu verbessern. Sie haben ein großes Interesse daran, den Bologna-Prozess zu optimieren, zu ■ Die TU9 ist der Verband der führenden technischen Univer- Medienecho sitäten in Deutschland: RWTH Aachen, TU Berlin, TU Braun- schweig, TU Darmstadt, TU Dresden, Leibniz Universität Hannover, Karlsruhe Institute of Technology, TU München, »Bachelor-Studenten sind einer Studie des Gütersloher Cen- Universität Stuttgart. Die Verbandsgeschäftsstelle hat ihren trums für Hochschulentwicklung (CHE) zufolge vielfach zufrie- Sitz in Berlin. An TU9-Universitäten sind 197 000 Studieren- dener als Diplom- oder Magisterstudenten. Vor allem die de immatrikuliert, das sind rund 10 Prozent aller deutschen Chancen auf dem Arbeitsmarkt würden von vielen Bachelor- Studierenden. In Deutschland stammen 47 Prozent der Uni- Studenten positiv bewertet...« versitäts-Absolventen in den Ingenieurwissenschaften von Süddeutsche Zeitung, 10.6.2010 TU9-Universitäten. Rund 57 Prozent der Promotionen in den Ingenieurwissenschaften werden an TU9-Universitäten »Dabei sollte mit der Umstellung vom althergebrachten Dip- durchgeführt. lom und Magister auf die neuen Abschlüsse Bachelor sowie Master alles besser werden, viel praxis- und berufsorientierter. Doch kaum ein Professor ist bereit, seine Lehrinhalte hint- anzustellen. Die Folge: In sechs Semestern muss oft der Stoff flexibilisieren und fortzuentwickeln. Dem TU9-Verbund ist es ein gelernt werden, für den früher neun zur Verfügung standen...« fundamentales Anliegen, die Qualität der Ausbildung insbeson- Bayerische Staatszeitung, 11.6.2010 dere in den Ingenieur- und Naturwissenschaften sicherzustellen und gezielt weiterzuentwickeln, die Wettbewerbsfähigkeit der Ab- »Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) fordert kurz vor der solventinnen und Absolventen auf dem internationalen Arbeits- Bologna-Konferenz in Berlin, dass mehr Geld für Personal an markt zu stärken und die Studiendauer zu verkürzen. Hochschulen in Deutschland ausgegeben wird. Eine Verbes- serung der Studienbedingungen knüpfe sich unmittelbar an Zehn Jahre nach dem Beginn des Bologna-Prozesses werden ei- eine bessere Betreuung und an eine qualitativ hochwertige nige Fehlentwicklungen bei der Umsetzung deutlich. Auch wurde Lehre, doch dafür sei auch mehr Geld notwendig, so HRK- noch offenkundiger, dass die deutschen Hochschulen schon seit Präsidentin Wintermantel...« Jahrzehnten unterfinanziert sind. Dies muss unbedingt verbessert Focus, 13.5.2010 werden, um insbesondere die Qualität in der Lehre zu erhalten und weiter auszubauen. TUMcampus 3/10 11
GOCE zeigt Gravitationskraft im Himalaya Seit gut einem Jahr umkreist der ESA-Satellit GOCE die Erde und vermisst ihr Schwerefeld so exakt wie kein Instrument zuvor. Im Mai präsentierte die TUM erste Daten der Mission. D ie Gravitation, eine der Grund- kräfte der Natur, ist keineswegs überall gleich groß. Die Erdrotation, Explorer), der am 17. März 2009 in die Erdumlaufbahn geschossen wurde (s. TUMcampus 2/2009, S. 6 ten für die Modellberechnungen nutzbar gemacht. Schon jetzt er- kennen die Forscher, darunter Wis- die Höhenunterschiede der Erd- ff.). GOCE soll es möglich machen, senschaftler der TUM, dass die bis- oberfläche und die Beschaffenheit auch in unwegsamen Regionen wie herigen Modelle des Schwerefelds der Erdkruste bewirken deutliche dem Himalaya die Gravitationskraft in Teilen der Erde tatsächlich gründ- Unterschiede im globalen Schwere- detailliert zu bestimmen. lich überholt werden können – GO- feld. Diese in bislang unerreichter CE wird einen deutlichen Fortschritt Genauigkeit zu messen und damit In den vergangenen Monaten haben der Kartierungen ermöglichen, er- zum Verständnis ihrer Auswirkun- die Wissenschaftler des GOCE Gra- klärt TUM-Geodät Prof. Reiner gen beizutragen, ist die Aufgabe vity Consortiums, einer Gruppe von Rummel, der Vorsitzende des Kon- des Satelliten GOCE (Gravity Field zehn europäischen Instituten aus sortiums: »Es kristallisiert sich he- and Steady-State Ocean Circulation sieben Ländern, Daten des Satelli- raus, dass wir gute Informationen 12 TUMcampus 3/10
Forschen licher Satellit die Erde umkreist hat. kann eine detaillierte Kartierung Damit er nicht abstürzt, muss stän- dazu beitragen, die Dynamik in der dig mit Ionentriebwerken nachge- Erdkruste besser zu verstehen. Wa- steuert werden. »Das funktioniert rum und wo sich die Kontinental- hervorragend«, freut sich Rummel. platten bewegen und Erdbeben ver- Zur Hilfe kommt der Mission die ursachen, ist besonders für Regio- Sonne, die sich in den vergangenen nen an den Plattenrändern wie den Monaten ausnehmend ruhig verhal- Himalaya und die Anden von großer ten hat. Eine stärkere Aktivität wür- Bedeutung. Die Forscher hoffen, de den Luftwiderstand erhöhen und dass die Mission wichtige Erkennt- damit die Steuerung erschweren. nisse zum Verständnis dieser Pro- zesse beitragen kann. Die Wissenschaftler erwarten von der Mission ein besseres Verständ- ■ nis für viele Prozesse in der Erde und an ihrer Oberfläche. Da die Gra- vitation direkt mit der Massevertei- Blick ins Kontrollzentrum der Mission lung im Erdinnern zusammenhängt, für geophysikalisch interessante Mit jeweils sechs simultanen Messungen des Schwerefelds Regionen bekommen.« tastet GOCE die Erde exakt ab. Vor allem im Himalaya, in Teilen Afrikas und in den Anden vermu- teten die Wissenschaftler die Schwachstellen bisheriger, mit ter- restrischen Methoden durchgeführ- ter Messungen. Tatsächlich bestäti- gen die ersten Auswertungen der GOCE-Daten diese Hypothese. »Messungen, die von der Erdober- fläche aus in schwer zugänglichen Bereichen gemacht werden, bergen ein hohes Fehlerrisiko«, erläutert Rummel. »Der Satellit hat damit na- © ESA/AOES Medialab (3) türlich kein Problem.« Als ebenso robust wie die Daten er- weist sich GOCE selbst. Ursprüng- lich sollte er ein Jahr lang messen, mit einer Pause nach sechs Mona- ten. Doch seine Energieversorgung arbeitet so gut und er ist so stabil, dass diese Ruhephase nicht nötig war. Die Wissenschaftler hoffen, so- gar drei bis vier Jahre durchmessen zu können. Dabei wandert GOCE auf einer äußerst anspruchsvollen Strecke: Seine Arbeitshöhe von 255 Kilometern ist die niedrigste Bahn, auf der jemals ein wissenschaft- TUMcampus 3/10 13
Forschen © Heinrich Kleeberger Vor dem Nordgebäude der TUM schaut Georg Simon Ohm wohlwollend auf das Elektroauto des Lehrstuhls herab. Elektroautos: Kraftwerkspark wäre so bis 2040 in Auf den Strom kommt’s an der Lage, 20 Millionen E-Autos energiewirtschaftlich kostengünstig zu integrieren. Die »Kraftstoffkos- ten« für eine 100-km-Fahrt würden Sind Elektroflitzer wirklich Nullemissionsautos? Das ist eine der Kern- nur rund 1,20 Euro betragen, inklu- fragen, die angesichts der anspruchsvollen Ziele der Bundesregierung sive alle derzeitigen steuerlichen – bis 2020 sollen eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen rol- Abgaben. Ein wahres Schnäpp- len – immer stärker in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses chen! rückt. Wissenschaftler des TUM-Lehrstuhls für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik (IfE) sind dieser Frage auf den Grund gegangen. Gemäß dem Lademanagement zu lastschwachen Zeiten stammt der Strom hauptsächlich aus Kohle- kraftwerken mit hohen CO2-Emis- Will man Fahrzeuge mit Verbren- muss das in den frühen Morgen- sionen. Der CO2-Ausstoß eines nungsmotor mit Elektroautos ver- stunden geschehen – also dann, Elektroautos entspräche damit den gleichen, muss man die Energiefor- wenn nur wenige Verbraucher Emissionen eines konventionellen men – Kraftstoff versus Strom – bi- Strom benötigen und die Netzlast Mittelklasse-Pkw: rund 140g CO2/km. lanzieren. Beim Elektroauto gilt es, somit gering ist. Dadurch lassen Zukünftige Mobilität soll aber nicht die Kraftwerke genauer unter die sich die vorhandenen Kraftwerks- nur weiterhin für jeden bezahlbar Lupe zu nehmen, die den Strom er- kapazitäten besser ausnutzen; es bleiben, sondern muss auch um- zeugen. Sollen E-Autos möglichst müssten keine zusätzlichen Kraft- weltfreundlich und nachhaltig ge- kostengünstig aufgeladen werden, werke gebaut werden. Der deutsche staltet werden. 14 TUMcampus 3/10
Forschen © IfE Außen kalt (blau), innen warm (rot): Auch in einem Elektroauto sollen sich die Insassen wohlfühlen. Tankstelle der Zukunft: Erneuerbare Energie wird über das Schnellladen (SLS) aufge- nommen, oder die leere Batterie wird gegen eine volle ausgetauscht (BWS). Soll das Nullemissionsauto Wirklich- ist es im Vergleich zu Schnelllade- Abwärme des Verbrennungsmotors keit werden, muss man die Strom- konzepten möglich, Strom aus er- nutzen lässt, muss das E-Auto erzeugung aus erneuerbaren Ener- neuerbaren Energien erheblich kos- wegen seiner hohen Stromeffizienz gien mit den Ladezeiten der Elektro- tengünstiger (Faktor 5) zu den Lade- beim Antrieb die kalte Außenluft zu- fahrzeuge physikalisch in Einklang zeiten der E-Autos bereitzustellen. sätzlich rein elektrisch aufheizen. bringen. Die Herausforderung dabei Das ist energietechnisch und wirt- ist, die gut prognostizier- und steu- Ein weiterer Forschungsschwer- schaftlich problematisch, da die erbaren Ladezeitpunkte der Autos punkt ist die Analyse und Senkung elektrische Beheizung mit einem durch die stark fluktuierende Strom- des peripheren Energieverbrauchs. signifikanten Rückgang der Reich- erzeugung aus Wind und Sonne Hier konnten die Wissenschaftler weite einhergeht. Um diesen Punkt abzudecken. Insbesondere bei des IfE durch Simulationsmodelle genauer zu untersuchen, wollen die Windstille und bedecktem Himmel den Fahrenergiebedarf verschiede- Wissenschaftler verschiedene Heiz- wird das Aufladen stark einge- ner Nutzer von E-Autos zu unter- konzepte analysieren: Abluftwärme- schränkt. Eine technische Lösung schiedlichen Jahreszeiten nachbil- tauscher, Wärmepumpen, Latent- könnten Zwischenspeicher in Form den. Ein wichtiges Ergebnis ist: Der wärmespeicher und konventionelle stationärer Batterien sein oder auch Energiebedarf zur Konditionierung Standheizungen. ein Batteriewechselkonzept. Zwar des Innenraums kann ein wesent- stellt der Austausch der Batterie licher Verbrauchsfaktor sein. Im Bodo Gohla-Neudecker höhere Anforderungen an die Kon- Winter wird durchschnittlich 30 Pro- struktion der Karosserie, hat jedoch zent mehr Energie verbraucht als in den Vorteil, dass der Ladevorgang den Sommermonaten; Grund: der www.ewk.ei.tum.de nicht länger dauert als das Tanken Heizbedarf im Innenraum. Während bei konventionellen Pkws. Zudem sich beim konventionellen Auto die ■ TUMcampus 3/10 15
Forschen Molekulare Therapien gegen Magenkrebs Der Entwicklung neuer Therapieansätze beim fortgeschrittenen Magenkarzinom widmet sich das Projekt CANCERMOTISYS. 2,3 Millionen Euro stellen das deutsche und das österreichische Bundesforschungsministerium sowie Industriepartner in den kommenden drei Jahren dafür zur Verfügung. Das Institut für Pathologie der TUM bringt seine langjährige For- schungserfahrung mit Magenkarzinomen in das Projekt ein. Magenkrebs zählt zu den häufigsten Krebserkrankungen in Europa. Bei töd- lich verlaufenden Tumorerkrankungen steht Magenkrebs bei Männern an zweiter, bei Frauen an dritter Stelle. Im Projekt CANCERMOTISYS unter- sucht ein Team unter Leitung der TUM-Wissenschaftler PD Dr. Birgit Luber und Prof. Heinz Höfler gemeinsam mit Partnern aus Deutschland und Ös- terreich, wie sich der Erfolg von Therapien besser vorhersagen lässt. Die Entwicklung molekularer Therapien hat in den letzten Jahren das Spek- Herzkranke Kinder trum zur Behandlung von Krebspatienten stark erweitert. Das Besondere an diesen neuen Therapieformen ist die Verwendung von Medikamenten, die sich gezielt gegen einzelne Moleküle auf Tumorzellen richten. Die Wirk- samkeit der Medikamente hängt jedoch von den individuellen genetischen Anlagen der Patienten ab. Diese genetischen Merkmale können daher als »Biomarker« dazu dienen, die Wirksamkeit der Therapie vorherzusagen. in Bewegung Die deutschen und österreichischen Forscher testen, wie ein therapeuti- bringen scher Antikörper auf verschiedene Magenkrebszellen wirkt. Der Antikörper blockiert ein bestimmtes Protein, das eine zentrale Rolle bei Wachstum und Ausbreitung von Tumoren spielt und in Tumorzellen des Magenkarzinoms überrepräsentiert ist. Wichtigstes Ziel des Projekts ist es, effiziente Bio- Wenn wenige Tage nach der Herzoperation die marker für die Wirksamkeit dieser zielgerichteten Therapie zu finden und im Krankengymnastik beginnt, sind besonders Kinder Rahmen einer personalisierten Medizin zu berücksichtigen. oft nur schwer zu motivieren. Wissenschaftler vom Lehrstuhl für Sport und Gesundheitsförderung der CANCERMOTIYSYS ist ein Projekt im Rahmen der deutsch-österreichi- TUM und Kinderkardiologen des Deutschen Herz- schen Förderinitiative der Medizinischen Systembiologie. Neben der TUM zentrums München der TUM haben darum ein sind die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die deut- Bewegungsprogramm entwickelt, das mit Spielkon- schen Unternehmen Biomax Informatics AG und GenXPro GmbH sowie die sole und Fernseher die Kinder aus dem Bett lockt österreichischen Unternehmen Software Competence Center Hagenberg und die Krankengymnastik ergänzt. Langfristiges GmbH und Viscovery Software GmbH beteiligt. Ziel sind ärztliche Leitlinien und Bewegungstests, mit deren Hilfe Ärzte, Eltern und die Kinder selbst ■ einschätzen können, welche körperlichen Belastungen in welcher Intensität möglich sind. 16 TUMcampus 3/10
Forschen Herzzentrum München. Da Exergames weniger anstrengen als normaler Sport und sich zudem im Krankenzimmer spielen lassen, eignen sie sich für ärztlich überwachte erste Belastungstests besonders gut. Erste sportmoto- rische Analysen deuten darauf hin, dass Exergames krankengymnastische Übungen sinnvoll ergänzen könnten. Ob das tatsächlich zutrifft und wie Exergames sich später in ein ambulantes Bewegungsprogramm integrieren lassen, soll eine vom Förderverein Deut- sches Herzzentrum München unterstützte Folgestudie untersuchen. Regel- mäßig werden anfangs Gleichgewicht und Koordinationsfähigkeit, später auch Ausdauer und Kraft der Kinder getestet. Ziel ist es, ein Bewegungs- programm zu etablieren, das nach dem Krankenhaus die Wartezeit – oft bis zu einem Jahr – auf einen Platz in einem der vier Rehabilitationszentren in Deutschland überbrückt und später Bewegung und Sport in den Alltag integ- riert. Prof. Renate Oberhoffer, Ordinaria für Sport und Gesundheitsförderung der TUM und gleichzeitig Kinderkardiologin am Deutschen Herzzentrum Mün- chen, erklärt: »Wir möchten Kindern, Eltern und Erziehern die Sicherheit vermitteln, wie stark jedes einzelne Kind belastbar ist. Dazu werden wir ein Programm aus sportmotorischen Tests entwickeln, die in regelmäßigen Abständen nach der Operation Auskunft über die körperliche Fitness geben, © Markus Bernards ähnlich wie die Untersuchungen U1 bis U9 dies über den frühkindlichen Ent- wicklungsstand tun.« In der Nachsorge sind die Münchener Sportwissenschaftler bereits aktiv, Durch Balancieren versuchen die Kinder, einen Pinguin auf etwa mit dem Sommercamp »KidsTUMove«: Herzkranke und übergewichti- dem Bildschirm auf seiner schaukelnden Eisscholle zu halten. ge Kinder nehmen eine Woche lang an einem Bewegungs- und Freizeitpro- Mit diesem Exergame trainieren sie ihren Gleichgewichtssinn und lösen körperliche Schonhaltungen. gramm auf dem TUM-Campus Olympiapark teil. Zudem bietet der Lehrstuhl Herzkranke Kinder sind häufig mehrfach belastet: Man- che leiden unter weiteren angeborenen Krankheiten, manche liegen wegen langer Klinikaufenthalte in der Das Sommercamp »KidsTUMove« motorischen Entwicklung zurück, und viele werden von findet vom 1. bis 7. August 2010 auf dem TUM-Campus Olympiapark Eltern und Erziehern »überbehütet« und haben selbst statt. Teilnehmen können Kinder im Alter von 8 bis 14 Jahren mit Über- Angst vor Überanstrengung. Es drohen Übergewicht gewicht und/oder angeborenem Herzfehler. und soziale Absonderung. Nach einer Operation könn- www.kidstumove.sp.tum.de ten die kleinen Patienten zwar wieder normal in Sport und Spiel aktiv werden, doch Ängste und Unsicherheit bleiben. Auch Ärzte sind weitgehend auf eigene Erfah- rungen angewiesen. Denn es fehlen wissenschaftlich erarbeitete Leitlinien dazu, welche Arten von Sport und für Sport und Gesundheitsförderung eine Kinderherzsportgruppe »Klettern« Bewegung in Abhängigkeit von Schweregrad der Herz- an. Auf seine Initiative hin wird der Universitäts-Sportclub die »Kindersport- erkrankung, Operationserfolg und Alter der Kinder zu schule (KISS) für chronisch Kranke« ins Leben rufen, um Sportangebote für empfehlen sind. betroffene Kinder zu erstellen. Diese Unterrichtsstunden sollen für Studie- rende geöffnet werden, die so frühzeitig lernen, adäquat mit »Herzkindern« Spielkonsolen mit Bewegungsspielen, »Exergames«, umzugehen. können Kinder schon bald nach ihrer Herzoperation zu moderatem Sport motivieren. Das ergab eine Pilotstudie www.sp.tum.de/lsg mit 90 Patienten, durchgeführt von Sportwissenschaft- lern der TUM und Kinderkardiologen am Deutschen ■ TUMcampus 3/10 17
Forschen Hilfe für traumatisierte Diese Hypothesen prüfen die Mediziner im Rahmen der randomisiert-kontrollierten Studie an insgesamt 192 Pa- Patienten tienten. Dafür vergleichen sie in jeweils drei Sitzungen die Anwendung von EMDR mit zwei Kontrollbehandlun- gen: EMDR mit Blick auf die unbewegte Hand und Ex- Die Klinik für Psychosomatische Medizin des TUM- position ohne visuelle Aufmerksamkeitsfokussierung. Klinikums rechts der Isar startet ein Forschungs- PD Dr. Martin Sack, Oberarzt der Klinik für Psychoso- projekt zur Behandlung von Patienten mit posttrau- matische Medizin und am Klinikum rechts der Isar für matischen Belastungsstörungen mittels »EMDR- die Studie verantwortlich, setzt große Erwartungen in Methode«. Die DFG fördert die gemeinsam mit der das Projekt: »Wir gehen davon aus, dass die Studie ei- Justus-Liebig-Universität Gießen durchgeführte nen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der Wirkmecha- Studie zunächst für drei Jahre mit insgesamt nismen der EMDR-Behandlung erbringen wird. Damit 250 000 Euro; 150 000 Euro davon erhält das Rechts bietet sie eine Grundlage für weitere Verbesserungen der Isar. der psychotherapeutischen Behandlung der posttrau- matischen Belastungsstörungen.« ■ Beschwingter Bio-Chip Bei der Bekämpfung von Krankheiten wie Krebs könnte der präzise Nachweis bestimmter Eiweiße einen neuen Weg zur gezielten Bekämpfung weisen. TUM-Wissenschaftler des Walter Schottky Instituts (WSI) haben zusammen mit dem japanischen Unter- nehmen Fujitsu Laboratories Ltd. einen neuartigen Bio-Chip entwickelt, der nicht nur für bestimmte Krankheiten charakteristische Eiweiße erkennt, sondern auch sagen kann, ob die Eiweiße durch © Michael Stobrawe Krankheit oder Medikamente verändert wurden. Das Immunsystem erkennt Krankheitserreger an be- Dr. Martin Sack stimmten Proteinen auf der Oberfläche der Erreger. Die- behandelt eine Bei dem Verfahren EMDR – Eye Movement Desensitiza- ses in der Biologie weit verbreitete Prinzip wird in der Patientin mit dem EMDR-Verfahren. tion and Reprocessing – folgt der Patient mit den Augen Medizin bereits für Tests genutzt. Nachteil vieler Labor- der sich hin und her bewegenden Hand des Therapeu- tests: Es sind relativ große Probenmengen nötig, was ten, während er sich an das belastende Erlebnis er- die Untersuchung vieler Probleme ausschließt. Oder die innert. Die Wirksamkeit dieser Behandlung ist wissen- zu erkennenden Eiweiße müssen erst mit Reagenzien schaftlich bereits nachgewiesen. Doch nach wie vor un- chemisch verändert werden. Das braucht Zeit und gut klar ist, ob der spezifische Effekt durch die bilaterale Sti- ausgebildetes Laborpersonal. mulation durch Augenbewegungen erfolgt und die The- rapie auf diese Weise ähnliche Verarbeitungsprozesse Der Bio-Chip der WSI-Wissenschaftler erkennt für be- wie der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) aktiviert. In stimmte Krankheiten charakteristische Proteine hun- dieser Schlafphase bewegen sich die Augen schnell hin dertmal so empfindlich wie bisherige Tests. Er ist mit und her und es wird intensiv geträumt. Andere Hypo- künstlich hergestellten DNA-Molekülen bestückt, die in thesen gehen davon aus, dass der Blick auf die beweg- wässriger Lösung negativ geladen sind und darum in te Hand Orientierungsreaktionen auslöst oder dass einem elektrischen Wechselfeld ständig hin- und her- durch den dualen Aufmerksamkeitsmodus während der schwingen. An ihrer Spitze ist ein fluoreszierender Farb- Exposition eine gezielte Ablenkung stattfindet. stoff angebracht, der hell leuchtet, wenn die Moleküle 18 TUMcampus 3/10
Forschen abgestoßen werden, und schwach, wenn sie wieder an- taufte Methode sind die medizinische Diagnostik und gezogen werden. Ganz oben auf die Spitze setzen die die Arzneimittelentwicklung. Später könnte das einfache Wissenschaftler Moleküle, die zu dem zu erkennenden und schnelle Analysegerät auch in Arztpraxen helfen, In- Protein passen wie ein Schlüssel zum Schloss. Ist das fektionskrankheiten zu erkennen. Protein vorhanden, bindet es an das Schlüsselmolekül. Dadurch wird der Faden wesentlich schwerer und Mit Hilfe der TUM und des Kooperationspartners Fujitsu schwingt deutlich langsamer. Da auch Form und Größe Laboratories Ltd. wollen Rant und sein Team ihre Ent- des Proteins die Schwingung beeinflussen, kann man wicklung in einer Ausgründung vermarkten. Weitere aus den Schwingungsmessungen sehr genau ableiten, Unterstützung erhalten sie aus dem Forschungstrans- ob das gesuchte Protein vorhanden ist, in welcher Kon- ferprogramm EXIST des Bundesministeriums für Wirt- zentration es vorliegt und ob es durch die Krankheit schaft und Technologie. Auch beim Businessplan Wett- oder den Einfluss eines Medikaments verändert wurde. bewerb »Science4Life« und beim Münchener Business- Derart präzise Messungen sind mit keinem anderen Bio- plan Wettbewerb waren sie in der ersten Stufe erfolg- Chip möglich. reich. Die Forschungsarbeiten werden seitens der TUM Bis Ende 2010 soll ihr Verfahren »switchSENSE« als Prototyp vor- liegen und Kun- den vorgestellt © TU München werden (v. l.): Dr. Jens Niemax, Ralf Strasser, Dr. Kenji Arinaga, Dr. Ulrich Rant. Zurzeit arbeiten die Wissenschaftler mit einem Chip, der unterstützt aus Mitteln der International Graduate 24 verschiedene Eiweiße parallel analysieren kann. »Die School of Science and Engineering. Ulrich Rant ist Carl Möglichkeit, viele Proteine gleichzeitig auf einem Chip von Linde Junior Fellow des Institute for Advanced Stu- bezüglich mehrerer Parameter zu analysieren, stellt ei- dy der TUM. Eine weitere Doktorandenstelle wird über nen bedeutenden Fortschritt dar«, sagt Dr. Ulrich Rant, die International Graduate School of Materials Science wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Experi- of Complex Interfaces finanziert. mentelle Halbleiterphysik I und Kopf des Projekts. Wich- tige Anwendungsbereiche für die »switchSENSE« ge- ■ TUMcampus 3/10 19
Forschen Bakterien © Lehrstuhl für Mikrobiologie nutzbar machen Elektronenmikroskopische Aufnahme Rund 2,1 Millionen Euro erhält von Thermus thermophilus. Dieses der Forschungsverbund »Neue hitzeliebende Bakterium soll für die mikrobielle Expressionssysteme Suche nach biotechnologisch nutzba- ren Enzymen eingesetzt werden. für industriell relevante Gene« (ExpresSys) vom Bundesministe- rium für Bildung und Forschung. Acht Arbeitsgruppen aus sieben uni- versitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen werden bis 2013 daran arbeiten, die mikrobielle Vielfalt für biotechnologische Anwendungen zu erschließen. Koordinator des Forschungsverbunds ist Prof. Wolfgang Liebl, Ordinarius für Mikrobiologie der TUM. Die mikrobielle Vielfalt birgt eines der letzten großen Geheimnisse der Bio- logie: Mikroorganismen leben in unvorstellbarer Menge überall auf der Welt, doch die meisten lassen sich nicht im Labor kultivieren oder gar genauer TUM- untersuchen. Dabei beinhaltet die unerforschte mikrobielle Biodiversität auch die genetische Basis für neue, biotechnologisch nutzbare Enzyme, Forscherteams Stoffwechselwege und Wirkstoffe. Die Tücke des Objekts Mikrobe steckt im Detail, wie Wolfgang Liebl erklärt: »Leider kann man 99 Prozent der bekannten Mikroorganismen nicht mit den bei Transregios gängigen Techniken im Labor züchten.« Hilfe bietet die »Metagenomana- lyse«. Mit ihr kann man auch das Erbgut nicht kultivierbarer Mikroben iso- an Bord lieren und nach biotechnologisch nutzbaren Abschnitten absuchen. Dafür braucht man jedoch Wirtsorganismen: gut charakterisierte und für eine gen- technische Modifikation zugängliche Mikroorganismen. Die DFG hat zum 1. Juli 2010 den SFB-Transregio Einige Mikroben werden schon seit Jahren gentechnisch verändert und (SFB-TRR) 89 »Invasive Computing« bewilligt, an dann in Forschungslabors und Fabriken eingesetzt: Das Darmbakterium dem die TUM beteiligt ist: Standortkoordinator der Escherichia coli etwa hilft, Aminosäuren, Basischemikalien und pharma- TUM ist Prof. Andreas Herkersdorf, Ordinarius für zeutische Eiweiße herzustellen, das Bodenbakterium Bacillus licheniformis Integrierte Systeme. Zusätzlich wurde der SFB- liefert Enzyme, die Waschmitteln zugesetzt werden. Doch die wenigen Transregio 36 »Grundlagen und Anwendung adop- etablierten »Bio-Kraftwerke« taugen nicht für jede Frage und alle Produk- tiver T-Zelltherapie« verlängert; dessen Standort- tionszwecke. Hier setzt ExpresSys an: »Wir wollen neue, alternative Wirts- koordinator ist Prof. Dirk Busch, Ordinarius für organismen entwickeln und ihre Nutzbarkeit für biotechnologische Anwen- Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und dungen ausloten«, so Liebl. Hygiene der TUM. Besonders genau schaut sich der Forschungsverbund einige »Exoten« an: Der TUM stehen für den SFB-TRR 89 für die nächsten etwa an extreme Hitze angepasste Bakterien, Mikroorganismen, die Licht- vier Jahre 3,2 Millionen Euro für die beteiligten fünf Lehr- energie nutzen, oder Bakterien mit Sozialverhalten. Insbesondere will man stühle in den Fakultäten Elektrotechnik und Informa- neue Wirtsorganismen identifizieren, mit denen man im nächsten Schritt tionstechnik sowie Informatik zur Verfügung. Unter dem nach Genen für Eiweiß-Biokatalysatoren mit industriellem Anwendungs- Begriff »Invasives Rechnen« sollen neue Wege für den potenzial suchen kann. Begleitet wird diese Grundlagenforschung von fünf Entwurf und die Programmierung zukünftiger paralleler namhaften deutschen Industrieunternehmen. ■ Rechensysteme erforscht werden. Die Grundidee be- steht darin, parallelen Programmen die Fähigkeit zu ver- 20 TUMcampus 3/10
Forschen Vielkernprozessoren sind die Basisbau- steine künftiger Hochleistungsrechner. besonders auf neuen Immuntherapie-Verfahren, etwa durch adoptiven Transfer Tumor/Virus-reaktiver T-Zellen. Der SFB-TRR 36 beschäftigt sich in seiner zweiten Förderperiode gezielt mit der Entwicklung und Evaluierung von Verfahren, mit denen effektive T-Zellen für adoptive Zelltherapien her- gestellt werden können. Die TUM-Wissenschaftler arbeiten mit Teams der Charité (Sprecherhochschule) und des Max-Delbrück-Zentrums in Berlin sowie mit Gruppen des Helmholtz Zentrums München und der LMU zu- sammen. Dieser Verbund wird adoptive Immuntherapien zur Behandlung von Infektionen und einigen Tumorerkrankungen in den nächsten Jahren signifikant verbessern. ■ Neutronenquellen kooperieren Die Forschungs-Neutronenquelle Heinz-Maier-Leibnitz (FRM II) der TUM auf dem Forschungscampus Garching und die zukünftige Euro- päische Spallations-Neutronenquelle ESS im schwedischen Lund leihen, in einer als »Invasion« bezeichneten Phase Be- haben eine weitreichende Zusammenarbeit vereinbart. rechnungen auf eine Menge aktuell verfügbarer Res- sourcen zu verteilen und nach paralleler Abarbeitung in einer Phase des »Rückzugs« wieder freizugeben. Die Ein entsprechendes Memorandum of Understanding unterzeichneten im TUM arbeitet im SFB-TRR 89 mit Teams der Friedrich- April 2010 Prof. Winfried Petry, wissenschaftlicher Direktor des FRM II, und Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Sprecher- ESS-Direktor Prof. Colin Carlile mit den Wissenschaftsministern Bayerns hochschule) und des Karlsruher Instituts für Techno- und Dänemarks, Dr. Wolfgang Heubisch und Charlotte Sahl-Madsen, in Ko- logie (KIT) zusammen. Andreas Herkersdorf betont: penhagen. Dänemark hatte sich gemeinsam mit Schweden erfolgreich um »Mehr- und Vielkernprozessoren sind eine Schlüssel- den Sitz der 1,5 Milliarden-Euro-Investition ESS in der Øresund-Region be- technologie für künftige Systeme der Informationstech- worben. Der FRM II hat 2005 seinen Routinebetrieb aufgenommen und ist nik. Die Einrichtung des SFB-TRR ›Invasive Computing‹ die Neutronenquelle mit dem breitesten Anwendungsspektrum. Die ESS ermöglicht durch Bündelung von Kompetenzen im ba- wird 2019 ihren Betrieb starten und dann die stärkste Spallations-Neutro- disch-bayerischen Forschungsdreieck Karlsruhe, Erlan- nenquelle der Welt sein. gen und München international führende Forschung auf Augenhöhe mit namhaften US-Großprojekten.« Die Zusammenarbeit umfasst die Unterstützung der Design- und Konstruk- tionsphase der ESS durch den FRM II ebenso wie die Stärkung der euro- Für ihre Teilprojekte im SFB-TRR 36 wurden der TUM päischen Nutzerstruktur für Forschungsneutronenquellen bis hin zur engen für eine zweite, vierjährige Förderperiode insgesamt Kooperation in Forschung und Lehre. Die TUM-Wissenschaftler helfen 2,2 Millionen Euro bewilligt. Die Behandlung von Tumor- schon während der Planungs- und Konstruktionsphase der ESS dabei, die erkrankungen und chronisch viralen Infektionskrankhei- erwarteten Neutronenintensitäten zu berechnen und die wissenschaftlichen ten ist eine der größten klinischen Herausforderungen Geräte und die Auslegung der Detektoren zu konstruieren. Auch rund 1 000 unserer Zeit. Gerade in Fällen, bei denen klassische Gastwissenschaftler, die in Garching jährlich mit Neutronen forschen, wer- Therapieverfahren wie Chemotherapie, Chirurgie oder den von der Kooperation mit der ESS profitieren: Geplant sind internatio- Bestrahlung versagen, werden dringend alternative nale Forschungsprojekte zu Energiespeicherung und -transport, Lebens- Behandlungsstrategien benötigt. Große Hoffnung ruht wissenschaften oder zerstörungsfreier Materialprüfung. ➜ TUMcampus 3/10 21
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