Fürchtet euch nicht! DIGITALE WELT
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DER REPORT 2018 Sonderheft der Themenspecial mit IT, Telekommunikation und Netzwerktechnologie DIGITALE WELT Fürchtet WIR FÜHREN SIE euch nicht! Mit der Verkaufssteuerung von HEROLD BOOM planen Sie Ihren Außendienst ^RͶEINE SŶkXS^de^RkSXdc`NbSWIE Foto: iStock.com/dimdimich TECHNOLOGIE en unte Mehr InformationAUCH DASr: MENSCH-SEIN om/aussendienstst https://www.herold.at/boVERÄNDERN euerung/ WIRD
Concardis: Einfaches Bezahlen. Wir bieten intelligente Lösungen für die umfassenden Anforde- rungen eines modernen bargeldlosen Bezahlprozesses: Akzep- tanz aller gängigen Kredit- und Debitkarten, Kartenterminals, kontaktlose oder mobile Zahlverfahren für den stationären Handel sowie innovative Lösungen für den E- und M-Commerce und Unterstützung beim Kundenmanagement. Concardis Austria GmbH · Triesterstrasse 10 · A-2334 Vösendorf/Wien · www.concardis.at Telefon: +43 1 609-1108 · E-Mail: service@concardis.at
EDiTORial Was passiert mit uns? W ährend ich an diesem Report zum den zu lassen. Es stimmt also nicht, wie Datenschüt- Thema Digitalisierung arbeitete, durfte zer behaupten, dass man seine Festplatte später ich miterleben, was eine Challenge ist: einmal vernichten, schreddern oder abfackeln beispielsweise den Festnetzanschluss meines ver- muss, um die Daten vor dem Zugriff anderer zu storbenen Vaters auf meine Mutter zu übertragen. schützen. Man braucht sich nur ein klein wenig di- im Zeitalter der Digitalisierung kann dies etliche lettantisch zu verhalten und schon hat sich das Pro- Stunden mit mehreren anrufen bei der Service- blem von alleine gelöst. Hotline und Besuchen in der Filiale in anspruch nehmen. Man kann diesbezüglich durchaus auch So wie es aussieht, geht es also nicht bloß darum, von einer art der Erlebnis-industrie sprechen. Für was wir im Rahmen der Digitalisierung alles ma- einen betagten Menschen sind solche Hürden al- chen können, sondern für die meisten von uns ist lerdings kaum zu bewältigen – insbesondere die es auch erheblich, was Digitalisierung mit uns Men- Unterhaltung mit den Bots, die den Eindruck künst- schen anstellt. Solange sich Computer und Robo- licher intelligenz erwecken sollen. Überraschend ter etc. nicht selbst reproduzieren, sind sie arte- war auch, dass eine Bank mehrere Wochen benö- fakte des Menschen. Wir gehen zumeist davon aus, tigt, um ein Konto aus dem Nachlass wieder zu öff- dass wir zur Schaffung von artefakten Organisation nen, während die Schließung zuvor unverzüglich benötigen. Demnach wäre es diese Form der Ver- erfolgt ist. auch hier war ein bürokratischer auf- gesellschaftung, die Höhlenmalereien, Pyramiden, wand nötig, der einer Zeitreise in die k.u.k. Monar- Bücher, autos, Computer, Nasenhaarentferner und chie ebenbürtig war. andere artefakte hervorbringt. Den absoluten Höhepunkt meiner Digitalisie- Was aber wenn diese Kausalität so nicht zwingend rungserfahrungen durfte ich erleben, als ich mei- besteht und der Mensch bereits zu Beginn seines nen laptop nach langer Zeit wieder an die Do- Mensch-Seins nicht nur deshalb gemeinsam mit cking-Station anschloss und ein neues Profil erstellt anderen Menschen zusammengearbeitet hat, um wurde. Mehr als 3.000 Dateien aus den letzten fünf artefakte zu schaffen, sondern es ganz einfach tat, Jahren haben sich in das Nirwana begeben. an- um aus dieser Form der Organisation auch so et- fänglich ein Grund zur Verzweiflung, später aber was wie ein Wohlbefinden, ein Behagen zu gene- ein anlass zur Freude, denn der Großteil dieser Da- rieren? Was aber wenn beispielsweise auch der teien war redundant, nicht mehr aktuell oder Konsens als ein artefakt der Kommunikation seit wurde ohnehin woanders abgespeichert. Diese ra- Urzeiten gar nicht das unbedingte Ziel der daran dikale intervention hat mich also davor bewahrt, beteiligten Menschen ist, sondern das Miteinan- später einmal Stunden oder gar Tage damit zu ver- der-Reden an sich etwas höchst Begehrenswertes bringen, um eine auswahl zu treffen zwischen dem, darstellt? Was passiert also mit uns Menschen, was noch gebraucht wird, oder nicht. wenn uns die Maschinen jetzt diese „Bürde“ der arbeit und der Kommunikation in einem immer „Reframing“ nennt sich das, was dabei in meinem größeren ausmaß abnehmen? Zerbrechen wir Kopf abgelaufen ist: ich habe eine negative Erfah- dann unter der last der unerträglichen leichtigkeit rung in etwas Positives umgedeutet und mich letzt- des Seins? lich über den Schwund an Daten gefreut. Darüber hinaus hat mir dieses Erlebnis die augen geöffnet Dr. Thomas Duschlbauer und gezeigt, dass es trotz Big Data tatsächlich noch Chefredakteur möglich ist, etwas unwiederbringlich verschwin- DER REPORT 2018 Digitale Welt 3
iNHalT Digitalisierung – zwischen Mythos und Realität 6 Börse, Bots und Bitcoin Themen der Digitalisierung beherrschen derzeit 40 auch die Finanzwirtschaft und sind anlass für die impressum 7 Gründung neuer Start-ups. Umdenken ist zu wenig 9 Die Digitalisierung hinterlässt ein neues Bild des eine Branche unter Strom 48 Menschen. Darin besteht kein Zweifel. Die Frage Die Elektrizitätsversorgung befindet sich derzeit in ist lediglich, ob wir uns darin noch wiedererkennen einem raschen Umbruch, der von vielen Faktoren werden. geprägt ist. Die Zukunft jetzt erfinden 14 My home is my body 52 Das austrian institute of Technology (aiT) über- Smart Home ist nicht gleich Smart Home. Die Bran- nimmt die wichtige Funktion, den Weg einer inno- che steckt noch in den Kinderschuhen und hat vation, ausgehend von den Erkenntnissen der For- noch längst nicht alle potenziellen Kundenschich- schung, hin zur Marktreife zu begleiten. Dies ge- ten erreicht, da werden am Horizont schon neue schieht derzeit auch anhand einer Fülle von an- Generationen an Hardware und Software sichtbar. wendungen im Rahmen der Digitalisierung. Für wen lohnt es sich? 54 geht die Bildung vorbei an der Wissensge- Die Digitalisierung wird Wirtschaftsabläufe, Pro- sellschaft? 18 duktionsprozesse und Geschäftsmodelle genauso Bildung 4.0 bedeutet viel mehr, als die Potenziale radikal verändern wie unsere tradierte arbeitswelt. digitaler Endgeräte und einer längst unüberschau- baren Zahl an apps für diese zu nutzen. Es geht in Die digitale Mobilmachung 63 der Wissensgesellschaft um die Kompetenz im Die Entscheidung darüber, welches Verkehrsmittel Umgang mit information und auch Desinforma- zu welchem Zeitpunkt das passende ist, wird in na- tion. her Zukunft am Smartphone getroffen werden. idylle oder Hölle? 24 Mut zum Unverständnis 66 Mit der Digitalisierung schwinden auch die Distan- „Was wir sofort verstehen, kann nicht neu sein“, zen. Das Verhältnis von urbanen und ruralen Räu- hebt Prof. Gerhard Fröhlich, Kulturtheoretiker und men wird neu definiert. Die Herausforderungen Wissenschaftsforscher am institut für Philosophie sind dabei nicht wenige: Bevölkerungszuwachs, und Wissenschaftstheorie der Johannes-Kepler- Ressourcenknappheit, Klimawandel und luftver- Universität linz, unter anderem in einem interview schmutzung, um nur einige zu nennen. hervor. Digital verwalten und mitbestimmen 70 Digitalisierung als Überlebens-Chance 36 Mit Stand Ende Februar 2018 waren in Österreich Kann es Gesundheit auf Knopfdruck geben? Eine bereits 929.000 Mobiltelefone für die elektroni- Frage, die Menschen schon bei den allerersten sche Handy-Signatur registriert. Die Digitalisierung Schritten der Entwicklung von Computern be- bringt aber nicht nur mehr Service für die Bürger, wegte und zuvor in Zukunftsromanen vorgezeich- sie birgt auch die Gefahren der lückenlosen Über- net wurde. wachung und Kontrolle. Cyber, aber sauber und sicher 72 Big Data und die verstärkte Nutzung von Kunden- daten: Wie geht man damit richtig um bzw. welche Kompetenzen sollten Unternehmen haben, um da- raus auch etwas zu machen? 4 Digitale Welt DER REPORT 2018
Glück Auf. Natursalz aus dem Salzkammergut. Seit 250 Millionen Jahren geschützt und unberührt. Wie schon zur Bronzezeit gewinnen wir auch heute unseren Salzschatz entsprechend alter Bergbautradition und verlesen ihn von Hand. Glück Auf. Weltweit einmalig und vollständig naturbelassen. www.salinen.com Ein Produkt der Salinen Austria AG
Digitalisierung – zwischen Mythos und Realität Plus 250 Prozent: Das ist das Wachstum hinsichtlich der Nachfrage innerhalb der letzten drei Jahre rund um Kurse zum thema Ki und maschinelles lernen am Massachusetts institute of technology (Mit). (Quelle: Mit) B is zum Jahr 2020 wird ein durchschnittlicher menschliche interaktion bei einem Zusammentref- Mensch mehr mit Bots kommunizieren als fen zweier leute mit einer Wahrscheinlichkeit vor- mit seinem Ehepartner. (Quelle: „Top Stra- hersagen, die zu 60,5 Prozent der Fähigkeit eines tegic Predictions for 2017 and Beyond: Surviving Menschen entsprach. (Quelle: „Teaching Machines the Storm Winds of Digital Disruption”, Gartner.) to Predict the Future”, MiT News.) „Wir haben in einem Werk untersucht, wie der Per- Bis 2027 könnten Blockchains bis zu zehn Prozent sonalstand heute ist und wie er in fünf oder zehn des globalen BiP vereinnahmt haben. (Quelle: Jahren aussehen wird. Das Beruhigende war: Es „Making The Next Moves With Blockchain”, D!gi- gibt eher mehr Bedarf an hoch qualifizierten Tech- talist Magazine.) nikern.“ (Quelle: Stefan aßmann, Chef der Sparte Connected industry, Bosch im industriemagazin, Bis 2030 wird das größte Unternehmen im internet april 2017.) ein Bildungsunternehmen mit smarten Bot-instruk- toren und einem personalisierten Programm für je- Bis zum Jahr 2020 werden rund 100 Millionen Kon- den Studierenden sein. (Quelle: „a Top Futurist sumenten mithilfe von augmented Reality ihre Ein- Predicts the largest internet Company of 2030 Will käufe tätigen. (Quelle: „Top Strategic Predictions Be an Online School”, South China Morning Post.) for 2017 and Beyond: Surviving the Storm Winds of Digital Disruption”, Gartner.) Der weltweite investitionsbedarf für infrastruktur- projekte liegt nach Schätzungen der OECD zwi- Nach 5.000 Stunden TV-Konsum war Googles schen 2010 und 2030 bei jährlich rund 1,8 Billio- DeepMind ai in der lage, einen Text mit 34 Prozent nen US-Dollar. (Quelle: Siemens.) mehr Genauigkeit von den lippen abzulesen als ein professioneller lippenleser. (Quelle: „Google’s Carsharing könnte die anzahl der Fahrzeuge bis DeepMind ai Can lip-Read TV Shows Better than 2035 um 90 Prozent reduzieren – das wären 17 Pro- a Pro”, New Scientist.) zent der gegenwärtigen anzahl an Pkw. (Quelle: „Self-Driving Cars are a Disaster for the Car indus- Nach lediglich 600 Stunden Fernsehen konnte ein try, But Great for the Rest of Us”, Seeking alpha.) Deep-learning ai algorithmus des MiT die Foto: aiT/Zinner Foto: Bosch 6 Digitale Welt DER REPORT 2018
Unter der Generation der Millennials gibt es doppelt so viele Menschen, die bereit wären, ihr Fahrzeug zu teilen, als unter der Generation X. Gegenüber den Baby Boo- mern sind es sogar fünfmal so viele. (Quelle: „Cars 2025”, Goldman Sachs.) „Die Erfindung hat so viele Mängel, dass sie nicht ernsthaft als Kommunikations- mittel taugt. Das Ding hat für uns keinen Wert.“ (Memo der Western Union Finan- cial Services zum Einstand des Telefons im Jahr 1876.) „ich denke, dass es weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer gibt.“ (Tho- mas Watson, Chairman von iBM, im Kriegsjahr 1943.) Foto: Bosch „Noch hat ein Rechner wie der ENiaC 18,000 Vakuum-Röhren und wiegt 30 Tonnen. Doch die Computer der Zukunft werden nur noch 1.000 Vakuum-Röhren Olsen, Gründer von Digital Equipment besitzen und vielleicht nur noch 1,5 Ton- Corp. im Jahr 1977.) IMPRESSUM nen wiegen.“ (Popular Mechanics, 1949.) Offenlegung nach § 5 ECG, § 14 UGB, § 24, 25 „apple ist bereits tot.“ (Nathan Myhrvold, Mediengesetz „Datenverarbeitung ist ein Trick, welcher ehemaliger Microsoft-CTO im Jahr Medieninhaber (Verleger), Redaktion: Wirtschafts- nachrichten Zeitschriften Verlagsgesellschaft m.b.H., dieses Jahr nicht überleben wird.“ (Der 1997.) 8010 Graz, Theodor-Körner-Straße 120a, Telefon Chef des Verlages Prentice Hall, 1957.) 0316/834020, Telefax 0316/834020-10, office@eurome- „in zwei Jahren wird das Spam-Problem dien.at, www.wirtschafts-nachrichten.com Herausgeber l & Geschäftsführer: Wolfgang Hasenhütl Co-Herausge- „Es gibt keinen Grund, warum jeder einen gelöst sein.“ (Bill Gates, 2004.) ber & Verlagsleitung: Josef Lipp Standort Oberöster- Computer zu Hause haben sollte.“ (Ken reich: 4020 Linz, Lederergasse 32, Telefon 0732/781282, Telefax DW 4, ooe@euromedien.at Standortleitung: Mag. Hans Graf Standort Niederösterreich, Wien & Burgen- land: Landstraßer Hauptstraße 71/2, 1030 Wien, Tel. 01/2127440, Fax 01/2127440-4, noe@euromedien.at, wien@euromedien.at, burgenland@euromedien.at Standort Vorarlberg, Tirol, Salzburg: 5071 Salzburg- Wals, Pannzaunweg 1 b, Telefon 0662/842841-0, Telefax DW 4, salzburg@euromedien.at, tirol@euromedien.at, vorarlberg@euromedien.at Erscheinungsort: Graz Chef vom Dienst: Mag. Michaela Falkenberg, Bernhard Hofbauer Verkaufsleitung Süd: Mag. Barbara Steiner Redaktion: Dr. Thomas Duschlbauer, Mag. Angelika Do- bernig, Dr. Marie-Theres Ehrendorff, Mag. Andreas Prammer, Mag. Christian Wieselmayer Fotos: Falls nicht anders angegeben: Symbol, Archiv Layout & Grafik: Hans Obersteiner Covergestaltung: Thomas Heider Foto: Siemens Produktion: euromedien verlags gmbH, 8045 Graz, Prenterweg 9 Druck: Leykam – Let’s Print Verlagsver- tretung Slowenien: Business Media d.o.o., Kotnikova ulica 30, 1000 Ljubljana, Telefon/Telefax +386/1/ 5181125,info@bmslovenia.si Verlagsvertretung Kroa- tien: Business Media Croatia d.o.o., Bosutska 9, 10000 Zagreb, Telefon +385/1/6311-800, Telefax DW 810, info@bmcroatia.hr Erscheinungsweise: 10 x jährlich An- zeigenpreise: lt. aktuellem Anzeigentarif. Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Österrei- chischen Zeitungsherausgeberverbandes. Verlags- konto: IBAN: AT32 3843 9001 0081 5787, BIC: RZSTAT2G439 Firmenbuchnummer: 257766v UID-Num- mer: ATU 61454508 Behörde gemäß ECG: Magistrat Graz Kammer: Wirtschaftskammer Steiermark An- wendbare Vorschriften: Österreichische Gewerbeord- nung Gerichtsstand ist das für Graz örtlich und sachlich zuständige Handelsgericht. Allgemeines: Alle Rechte, auch die Übernahme von Beiträgen nach § 44 Abs. 1 und 2 Urheberrechtsgesetz, sind vorbehalten. Aufgrund der einfacheren Lesbarkeit wurde in dieser Publikation auf eine geschlechtssensitive Form verzichtet, die gewählte männliche Form schließt immer gleichermaßen weibli- che Personen ein. Foto: Siemens DER REPORT 2018 Digitale Welt 7
Foto: iStock.com/kentoh Umdenken ist zu wenig Die Digitalisierung hinterlässt ein neues Bild des Menschen. Daran besteht kein Zweifel. Die Frage ist lediglich, ob wir uns darin noch wiedererkennen werden. i m Jahr 1817 veröffentlichte Mary Shelley ihren Körper eines anderen Menschen zu transplantie- Roman „Frankenstein or: The modern Prome- ren. Diese in Fachkreisen höchst umstrittene Ope- theus“. ihr Buch, das sie im alter von 17 Jahren ration soll angeblich noch dieses Jahr in China schrieb, wurde offensichtlich von den Experimen- stattfinden, wofür bereits ein Team aus rund 100 ten des arztes luigi Galvani inspiriert, der bei sei- Spezialisten gebildet wurde. Ohne die Möglich- nen Versuchen mit Strom zur Erkenntnis gelangte, keiten der Digitalisierung wäre dieses ohnehin dass Elektrizität auch für Vorgänge in unserem Kör- schon gewagte Unterfangen allerdings von vorn- per eine wichtige Rolle spielen würde. herein zum Scheitern verurteilt. So wäre beispiels- Geht es nach dem Willen des Mediziners Sergio weise das Finden eines passenden hirntoten Spen- Canavero, dann steht die Menschheit 200 Jahre ders genauso unmöglich wie die Gewöhnung des danach kurz davor, erstmals einen Kopf auf den Patienten an seinen neuen Körper, die mittels Vir- DER REPORT 2018 Digitale Welt 9
Univ.-Prof. DI Wolfgang tual Reality erleichtert werden soll. auch das milli- tieff-Zyklus als Übergang von der industrie- hin zur Schreiner (Research metergenaue adjustieren der während der Ope- informationsgesellschaft zugeschrieben, die wir Institute for Symbolic ration sitzenden Körper und der präzise und wahr- heute auch als Wissensgesellschaft bezeichnen. Computation - RISC), scheinlich alles entscheidende Schnitt durch das in welcher Phase sich dieser auf der Technologie DI Johann Messner Rückenmark wären ohne die Digitalisierung nicht der Digitalisierung basierende Kontratieff-Zyklus (Abteilung Wissenschaftli- im Entferntesten möglich. derzeit befindet und ob durch die Finanzkrise von ches Rechnen) vor dem Niemand kann den Erfolg eines solchen Projektes 2009 nicht sogar bereits ein weiterer Zyklus aus- Supercomputer MACH-2. vorhersagen, aber es zeigt sich schon jetzt, dass gelöst wurde, darüber gibt es unterschiedliche Die Anlage kann bis zu die Digitalisierung am Ende weit mehr sein wird Sichtweisen. 77,4 Billionen Rechenope- als der bloße Einsatz von Technologie, um unseren rationen pro Sekunde aus- alltag zu erleichtern. Die auswirkungen dieser Ent- Schlüsseltechnologie führen. wicklung werden letztlich dazu beitragen, dass wir Tatsache ist jedoch, dass die Digitalisierung mitt- Foto: JKU/Röbl uns als Menschen und in unserer Beziehung zu den lerweile eben durch diese Vorgeschichte eine der- Dingen völlig neu definieren. Denn es geht bei die- artige Reife entwickelt hat, dass sich diese Techno- sem Wandel nicht nur darum, mit unserem Denken logie relativ leicht in alle erdenklichen Bereiche die Welt anders zu gestalten, sondern diese neuen des lebens integrieren lässt. Nicht nur das: Sie er- Technologien werden uns auch dazu veranlassen, möglicht es auch, dass immer mehr Menschen an dass wir das Denken an sich einer komplett neuen Prozessen teilhaben oder diese steuern können, Reflexion unterziehen. Nicht nur worüber wir nach- von denen sie früher aufgrund fehlender techni- denken, sondern insbesondere wie wir denken scher Voraussetzungen oder hoher Kosten ausge- und welche arten des Denkens wir eventuell sogar schlossen waren. Beispiele dafür sind die Miniatu- an Maschinen auslagern können, wird künftig Be- risierung, die unter anderem in 3-D-Druckern ihren deutung erlangen. ausdruck findet oder die Open-Source-Bewe- gung. auch die sogenannte Sharing-Kultur könnte alter Hut? ohne die digitale Mitwirkung bei der Organisation Natürlich können wir die Digitalisierung auch von nicht funktionieren. einem ganz anderen Standpunkt aus betrachten Vieles wird dadurch einfacher und leichter zugäng- und sagen, dass sie eigentlich schon ein alter Hut lich, wodurch aber auch gewisse Risiken entstehen, wäre: So gibt es Computer bereits seit den 50er- die heute in ihrer Tragweite noch gar nicht abzu- Jahren. Die Basistechnologien für das internet ha- schätzen sind. So verbindet die Medien und die ben schon in den 70er-Jahren existiert, und durch Wissenschaften beispielsweise, dass deren infor- Pioniere wie Jaron lanier und Marvin Minsky wur- mations- und Deutungshoheit gegenwärtig massiv den in den 80er-Jahren Begriffe wie Virtual Reality infrage gestellt wird. Gerade durch die Möglich- und artificial intelligence erstmals populär. Spä- keiten der Digitalisierung bzw. durch Fake News testens die Zeit danach wird dem fünften Kontra- und Fake Profile in den sozialen Medien, durch 10 Digitale Welt DER REPORT 2018
Bots etc. ist es daher noch schwieriger geworden, einen sachlichen Diskurs über die sinnvolle und ethisch vertretbare Nutzung der neuen techni- schen Errungenschaften zu führen. Sackgasse künstliche intelligenz? Dabei stehen hinter diesen innovationen auch ge- waltige wirtschaftliche interessen. Ein Beispiel da- für ist artificial intelligence (ai), in deren Forschung jährlich weltweit Milliardenbeträge investiert wer- den und die auch eng mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaft verknüpft ist. Denn seit den an- fängen des Computers in den 40er- und 50er-Jah- ren bis heute hat sich die anschauung durchge- setzt, dass auch unser Gehirn wie ein Computer ar- beitet. interessant ist dabei, dass es offensichtlich in der Geschichte der Wissenschaften immer wieder ei- nen Konnex zur vermeintlichen Funktion des Ge- kenntnislage erneut genau in jene Richtung be- Virtual Reality war bereits hirns mit aktuellen naturwissenschaftlichen Neue- wegt, wo sich auch die wissenschaftliche Disziplin Anfang der 90er-Jahre ein rungen gab. So haben Denker wie Descartes oder befindet, die derzeit mit sehr neuen Entdeckungen großes Thema. Hobbes, inspiriert von den ersten automaten, an- aufwarten kann: zur Quantenphysik. Foto: lange Nacht - lakeside Park / genommen, dass unser Gehirn über winzige me- Seit 1996 arbeiten beispielsweise die Physiker Stu- Georg luschin chanische Bewegungen gesteuert werden würde. art Hameroff und Sir Roger Penrose an der Quan- Später, als es im 18. Jahrhundert zu nennenswer- tentheorie des Bewusstseins. Darin unterstellen ten Entdeckungen rund um die Chemie und Elek- sie, dass die Seele in winzigen Gefäßen in den Ge- trizität kam, änderten sich auch die Metaphern für hirnzellen sitzt. Unser Gehirn würde demnach nicht unser Denken dementsprechend. ab dem 19. nur ein unsterbliches Bewusstsein besitzen und Jahrhundert kamen die Errungenschaften im Be- nicht bloß wie ein gewöhnlicher Computer arbei- reich der Kommunikation hinzu, die darin gipfel- ten, sondern eher wie ein Quantencomputer funk- ten, dass der deutsche Physiker Hermann von tionieren. Wie jetzt? also wieder retour zu Des- Helmholtz mutmaßte, dass das Gehirn wie ein Te- cartes in das 17. Jahrhundert? auch er hat mit sei- legraf funktionieren würde. all diese Spekulatio- nem Dualismus bereits versucht nachzuweisen, nen zielten also stets auf jene Entdeckungen ab, dass Geist und Materie zwei unterschiedliche „Sub- die gerade als am weitesten entwickelt angesehen stanzen“ wären. auch der Philosoph Sir Karl Pop- wurden. Kein Wunder also, dass beispielsweise der per sowie der Nobelpreisträger und Neurophysio- Mathematiker John von Neumann 1958 in seinem loge John Eccles vertraten im 20. Jahrhundert die Buch „The Computer and the Brain“ schlicht be- ansicht, dass es eine interaktion zwischen Gehirn hauptete, dass das Gehirn wie ein digitaler Rech- und Bewusstsein gäbe und unser ich daher auch ner funktioniere. losgelöst von einem Gehirn existieren könnte. Umgekehrt sind sich die Neurowissenschafter da Es ist daher nicht auszuschließen, dass enorme aber nicht ganz so sicher. Können sie auch nicht Summen in Forschungsprojekte investiert werden, sein, denn sie wissen, dass sie es mit einem extrem die auf fragwürdigen Prämissen beruhen und für komplexen Objekt zu tun haben und dabei mit ih- einen Erfolg noch aufwendige Umwege gehen rer Grundlagenforschung erst ganz am anfang ste- müssen oder gar in einer Sackgasse enden. Ein hen. Sie können heute lediglich attestieren, dass sehr umstrittenes Projekt ist in diesem Zusammen- unser Gehirn informationen speichern kann, aber hang auch das „Blue Brain Project“ der Europäi- wie und wo in den Zellen diese informationen ge- schen Union, wobei es um die Simulation des ge- nau abgespeichert werden, darüber gibt es bloß samten menschlichen Gehirns in einem Supercom- Spekulationen. Die jüngsten Erkenntnisse gehen puter geht. Bis 2023 soll dieses Modell fertigge- dabei auch in jene Richtung, dass es weniger da- stellt sein und neben der Behandlung von Krank- rauf ankäme, wie die Neuronen sich untereinander heiten wie alzheimer auch helfen, das Gehirn und austauschen, sondern was innerhalb der Zellen ge- das Nervensystem als Vorbild für neue Computer- nau abläuft. Und jetzt erleben wir, dass sich die Er- technologien zu nützen. l 13. April 2018: Lange Nacht der Forschung Sie ist Österreichs größter Forschungsevent. Die biennale Veranstaltung ist zum Fixpunkt für den offenen Dialog der Wissen- schaft mit der Gesellschaft geworden und verzeichnet steigendes interesse bei allen Bevölkerungsschichten und altersklassen mit zuletzt über 180.000 Besuchern. Die bundesweiten Maßnahmen rund um diese Veranstaltung werden vom Bundesministe- rium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) und dem Bundesministerium für Verkehr, innovation und Technolo- gie (BMViT) finanziert und vom Bundesministerium für Bildung (BMB) unterstützt. Für die operative abwicklung in den Regio- nen sind Vertreter/innen der Bundesländer zuständig. Die Präsentation der leistungen erfolgt durch die Wissenschafter und Forscher. infos: www.langenachtderforschung.at DER REPORT 2018 Digitale Welt 11
entscheidend ist wohl, D ie Bedingungen unseres Mensch-Seins er- fahren auch einen Wandel dahingehend, wer entscheidet als sich überhaupt die Frage stellt, ob wir weiterhin von einer Conditio humana oder einer Natur des Menschen sprechen können, für die eine allgemein gültige Vereinbarung unter den Men- schen zulässig ist. Zu sehr sind unser Denken, un- sere Kommunikation und unser Handeln bereits Die Digitalisierung wird etlichen wissen- von einer „technischen Natur“ bestimmt und künf- tig sollen auch technische apparate direkt mit un- schaftlichen Disziplinen dazu verhelfen, serem Gehirn verbunden werden. Der Medien- und Wirtschaftsethiker FH-Prof. Michael litschka dass wir zu neuen erkenntnissen gelan- von der FH St. Pölten spricht im interview über die ethischen Herausforderungen, die dadurch er- gen, die viele gewissheiten infrage stel- wachsen und denen wir uns unweigerlich stellen müssen. len. Sie werden nicht nur einfach unser le- Wenn wir an die Conditio humana denken, se- ben, sondern auch unser gesellschaftliches hen wir, dass die Natur des Menschen auch Techniken hervorbringt, die zunehmend mit Zusammenleben neu definieren. dessen Eigenschaften versehen sind. Haben wir dann als Schöpfer nicht auch die Pflicht, diese Wesenheiten später mit gewissen Rechten aus- zustatten, insbesondere dann wenn sie gar ei- nen freien Willen entwickeln würden? Michael Litschka: Wenn wir versuchen, der Tech- nologie ein menschliches antlitz zu geben, muss man diesen Dingen nicht auch schon Rechte zu- gestehen. Denn Rechte sind immer schon mit mo- ralischen Fragen und Fragen der Universalisierung verbunden. Das steht nur diskursfähigen lebewe- sen zu, denn ich kann mir nicht vorstellen, einer Der Medien- und Technologie oder einem technischen Wesen Ver- Wirtschaftsethiker antwortung zu fundamentalen Fragen zu überge- FH-Prof. Michael Litschka ben – nur weil etwa ein algorithmus mit mir spricht. sieht in der gegenwärtigen Mediennutzung eine Wie würden Sie das also am Beispiel selbstfah- Gefahr für die Demokratie. render bzw. selbststeuernder Autos in der Si- Foto: FH St. Pölten tuation eines Unfalles sehen? Dort müsste der Algorithmus ja eine Entscheidung für oder ge- gen in den Unfall verwickelte Personen treffen? Das ist ein wirkliches Problem und daher tun wir uns dabei auch noch so schwer. Mit dem Fortschritt handeln wir uns solche schwierigen moralischen Grenzfragen ein. Eine Möglichkeit stellt zwar viel- leicht ein algorithmus dar, über den sich alle Be- teiligten geeinigt haben und dann akzeptieren, wie immer er auch gewisse Entscheidungen trifft. ich wäre beispielsweise dagegen, dass ich angefahren werde als aufrechnung; also kann das im Sinne des Diskurses nicht funktionieren, weil man über mich hinweg entschieden hat. Wir sprechen immer davon, dass Roboter, künstliche Intelligenz etc. menschliche Eigen- schaften annehmen können. Kann es umge- kehrt nicht auch der Fall sein, dass wir Men- schen immer mehr der technischen Faszination unterliegen und uns selbst entsprechend einer Logik der Effizienz in diese Richtung entwi- ckeln? Das betrifft gleich mehrere interessante Themen. Eines davon ist die Frage, ob uns durch die Tech- nologie die arbeit ausgeht. Wenn die technische Entwicklung fortschreitet, werden viele leute ihre 12 Digitale Welt DER REPORT 2018
arbeit auch verlieren und können nicht mehr so letzlich gegenüber Propaganda und Falschin- stark zum Gemeinwohl beitragen. Effizient im formation macht. Vielmehr können bald auch Sinne der Wirtschaftswissenschaft ist das u.U. trotz- Hinz und Kunz ein umfangreiches Repertoire an dem. Es ist aber dabei zu bedenken, dass wir ja technischen Programmen bedienen, welche sie auch viel sinnlose arbeit machen, weil wir damit in die Lage versetzen, unsere Wahrnehmung zu Geld verdienen können. Wenn Menschen etwa ar- manipulieren und die Realität noch mehr zu beit beispielsweise an Roboter abgeben, kann das entstellen? dazu führen, dass sie ihr Dasein als sinnlos emp- Die Mediennutzung ist problematisch geworden, finden. Eine andere Frage wäre daher, ob wir auch weil Menschen die Verantwortung an algorithmen Sinn darin finden können, wenn wir eines Tages an- übertragen. Nach diesen Kriterien werden Timeli- deren herausfordernden Berufungen nachgehen, nes gesetzt, welche beispielsweise für die Wer- die allerdings nicht bezahlt werden – etwa das En- bung funktionieren. Die Menschen sind aber nicht gagement für gesellschaftliche anliegen. Nicht nur mehr bereit, sich umfassend zu informieren. Sie die Technologie, sondern auch die (Wirtschafts-) wissen auch nicht mehr, wem sie glauben sollen. Wissenschaft würde mit ihrem Effizienzdenken Es bedarf durchaus einer Eigenverantwortung, aus aber eher gegen diese Möglichkeit sprechen. den Filterblasen auszubrechen, obwohl diese ja Hierbei geht es auch stark um das spezifische Ef- sehr bequem sein können. Deshalb funktionieren fizienzdenken des Utilitarismus, das jenen ansät- Fake News so gut. Dieses Problem der Mediennut- zen der Technologie entgegenkommt. Der Utilita- zung ist tatsächlich ein gesellschaftliches Problem rismus überlegt, wie man Nutzensummen maxi- und es untergräbt auch die Demokratie. l miert, jedoch nicht wie wir den resultierenden Nut- zen verteilen können bzw. ob diese Verteilung auch gerecht ist. Die Menschen sind jedoch nicht gleich und haben unterschiedliche Bedürfnisse. Die einen wollen sich engagieren, andere aber nicht. Die einen können das – physisch, psychisch etc. – die anderen nicht. Daher funktionieren diese ansätze des Utilitarismus in dieser Hinsicht nicht, wobei nicht alle Ökonomen so denken und bereits andere lösungen überlegen. Mit den Bitcoinfarmen oder Kryptomining in- vestieren Menschen erstmals gezielt Ressour- cen, wie beispielsweise Energie, in Maschinen, um daraus mehr oder weniger direkt einen Geldwert zu generieren. Früher haben wir un- Mitte März findet an der Fachhochschule St. Pölten die Jahrestagung sere Arbeitskraft hauptsächlich für die Aufzucht des Interdisciplinary Media Ethics Centre (IMEC) statt. Foto: Katharina Balgavy von Pflanzen und Tieren verwendet, für die Ge- winnung und Weiterverarbeitung von Rohstof- Jahrestagung des Interdisciplinary fen sowie für die Unterstützung unserer Mit- menschen. Wenn wir quasi Maschinen haben, Media Ethics Centre IMEC um Geld zu „züchten“, und beispielsweise in Is- land mehr Strom für Bitcoins als für Haushalte Der Mensch im digitalen Zeitalter: Ethische Fragen zum Einfluss von verbraucht wird, verlieren wir dadurch nicht Ökonomisierung, Digitalisierung und Mediatisierung auf die auch unsere ethische Relation zu den eigentli- conditio humana. chen Dingen, die das Leben auf diesem Plane- ten ausmachen? Die Jahrestagung 2018 des iMEC vom 14. bis 16. März 2018 an der FH Dieses technologisierte Denken ist eine Gefahr für St. Pölten möchte eine möglichst große Perspektivenvielfalt sicherstel- die Gesellschaft. Das sage ich nicht bloß, weil ich len und gibt Medienethik, Philosophie, Psychologie, Wirtschaftswissen- zu jenen gehören würde, die immer behaupten, schaft, Rechtswissenschaft, Soziologie und Technikforschung eine of- dass früher alles besser war. Man muss als Ethiker fene Plattform der wissenschaftlichen Diskussion. ganz einfach auf die Gefahren aufmerksam ma- Thematische Schwerpunkte chen, wenn gewisse Denkweisen und Modelle ge- • Mediatisierung der conditio humana fährlich sind. Das utilitaristische Modell an sich • Ökonomisierung und Digitalisierung der Medien birgt Gefahren. • interdisziplinäre Erkenntnisse im digitalen Zeitalter • Privatsphäre in der digitalen Welt Sie sprechen als Ethiker die individuellen Be- • Kinder und Jugend im Netz dürfnisse des Menschen an und kritisieren, dass • Propaganda im Kontext der Digitalisierung der Utilitarismus diese Individualität verkennt. • Grenzen der aufmerksamkeit Sie reden auch davon, dass wir gemeinsam aus- • Modelle ethischer Entscheidungsfindung und Selbstregulierung handeln sollen, wie wir künftig mit den Mög- • Empirische Forschungsergebnisse und -konzeptionen lichkeiten der neuen Technologien umgehen. Wie soll dieser Diskurs aber funktionieren? Die Anmeldung: Kommunikation ist nicht nur stark von Algorith- www.fhstp.ac.at/de/anmeldung/anmeldung-imec-jahrestagung-2018 men bestimmt ist, was uns ohnehin schon ver- DER REPORT 2018 Digitale Welt 13
Foto: aiT / Johannes Zinner Die Zukunft jetzt erfinden Das austrian institute of technology (ait) übernimmt die wichtige Funk- tion, den Weg einer innovation, ausgehend von den erkenntnissen der Forschung, hin zur Marktreife zu begleiten. Dies geschieht derzeit auch anhand einer Fülle von anwendungen im Rahmen der Digitalisierung. B ei der Erfüllung seiner zentralen aufgaben- gebiete nimmt das aiT austrian institute of Nicht länger kryptisch Technology in Österreich und Europa durch Eines der jüngsten Beispiele dafür ist die Block- seine Tätigkeit in der angewandten Forschung und chain, deren Daten mithilfe kryptografischer Ver- die Verwertung innovativer infrastrukturlösungen fahren abgesichert werden. Die Blockchain-Tech- in der Praxis eine führende Position bei innovatio- nologie bietet eine neue art zur dezentralen Spei- nen ein. Erst dieser Brückenschlag zwischen For- cherung von Transaktionen. Die Technologie schung und technologischer Vermarktung ermög- wurde ursprünglich im Zusammenhang mit virtu- licht die Kommerzialisierung neuer Technologien ellen Währungen (Bitcoin) entwickelt, jedoch sowie die Förderung der wirtschaftlichen Entwick- stellte sich schnell heraus, dass die dezentrale, fäl- lung. schungssichere und transparente Speicherung von Dies hat insbesondere für neue anwendungen Be- Transaktionen auch in anderen Bereichen großes deutung, welche auf den Technologien der Digi- anwendungspotenzial eröffnet. Die Mitglieder ei- talisierung basieren. Denn hier gibt es derzeit eine ner Blockchain sind untereinander verbunden und Fülle an neuen Erkenntnissen mit großem Potenzial können Werte und andere informationen direkt für die Wirtschaft, die jedoch noch so neu sind, miteinander austauschen (Peer-to-Peer). alle Trans- dass sich die Möglichkeiten der Umsetzung hin zu aktionen müssen von einer Mehrheit des Netz- innovativen Produkten und Dienstleistungen auf werks aller Beteiligten bestätigt werden, dadurch den ersten Blick nur erahnen lassen. Expertise und sind die gesamte Blockchain und die enthaltenen Erfahrung sind hier gefragt. Transaktionen transparent und nachvollziehbar. 14 Digitale Welt DER REPORT 2018
Die Kernkompetenzen des aiT umfassen dazu insofern haben sie die Kompetenz, High-level- Kenntnisse virtueller Währungssysteme, Plattfor- Feldforschung durchzuführen und in diesem Zu- men zur Entwicklung von Blockchain-lösungen so- sammenhang jene kontextbezogenen Setups zu wie Einblicke in unterschiedliche anwendungsbe- verwirklichen, die ein Höchstmaß an Validität der reiche. Das Forschungsteam beschäftigt sich zum Ergebnisse gewährleisten. Durch die Orientierung einen mit der Fragestellung, unter welchen Bedin- an realen, komplexen und langfristig angelegten gungen der Einsatz der Blockchain-Technologie in Setups schaffen die Mitarbeiter des aiT die Basis den verschiedenen anwendungbereichen, wie z.B. für neuartige, durch Technologie ermöglichte Ge- Handel, logistik und Verwaltung, sinnvoll ist. Und schäftsmodelle und Serviceansätze. zum anderen entwickelt das Team konkrete Block- chain- und Smart Contracts-lösungen auf der Basis Visionäre sind am Werken existierender Blockchain-Plattformen, wie z.B. Eine andere Grundlage, um in der Forschung und Ethereum. Entwicklung weiterzukommen, stellt die Sensor- So beschäftigen sich beispielsweise die Forscher technik dar. Ohne entsprechende Sensoren, die rund um Ross King und Bernhard Haslhofer, Pro- intelligent miteinander verbunden sind, klappen jektleiter von GraphSense, in Forschungsprojekten das internet der Dinge und somit auch industrie auf internationaler Ebene schon länger intensiv mit 4.0 nicht. Erst innovative 3-D-Sensorsysteme er- der Struktur und der Dynamik virtueller Währungs- möglichen die Fülle neuer anwendungen in den systeme. Unzählige FinTechs, aber auch Energie- Bereichen Transport (assistenzsysteme, autonome versorger, Banken und viele andere Branchen wol- Systeme), industrielle automation und inspektion len virtuelle Währungen und die schnelle, kosten- sowie Überwachung. Es müssen daher grundle- günstige und sichere Blockchain-Technologie für gende Problemstellungen, wie z.B. die 3-D-Rekon- sich nutzen. struktion der Umgebung, die Hindernis und Ob- jekterkennung, die präzise Vermessung von Ob- Capturing experience jekten sowie die Selbstlokalisierung des Sensor- Technologie lässt sich nicht losgelöst vom Men- systems und die Pfad- und Bewegungsplanung, schen entwickeln. Bis hin zum Marketing eines fer- zuverlässig, schnell und effizient mit vergleichs- tigen Produktes hat sich die Sichtweise hier in den weise kostengünstiger Bildverarbeitungstechno- letzten Jahren gravierend verändert: Nicht bloß logie gelöst werden. Dazu werden am aiT u.a. al- das Produkt und seine Eigenschaften zählen, son- gorithmen zur stereoskopischen Bildverarbeitung dern erst die Erfahrung der Kunden, die art und erforscht und auf ein effizientes laufzeitverhalten Weise, wie solche innovation in den alltag der in Echtzeitumgebungen hin optimiert. Menschen integriert werden, sind ausschlagge- Eine weitere Kernkompetenz des aiT liegt in der bend für die akzeptanz und den Erfolg. plattformoptimierten Umsetzung derartiger Com- Dies führt zu spezifischen Bedürfnissen aus Expe- puter Vision Verfahren auf energieeffizienten ein- rience-Sicht, individuellen User-Sichtweisen und gebetteten Systemen. Dem Research Service Entwicklungsarbeiten von somit zu kontextbezogenen Phänomenen, die ei- „3-D-Vision and Modeling" ist ein Portfolio thema- „Digital Safety & Security“- ner spezifischen lösung bedürfen. „Capturing“ be- tisch fokussierter Forschungsprojekte mit den Pro- Experten aus der For- deutet in diesem Zusammenhang das „Freilegen“ blemstellungen entsprechenden Forschungs- schungsgruppe „3D Vision von lösungspotenzialen, die auf elementaren em- schwerpunkten zugeordnet. Dabei liegt der Fokus and Modeling“ beim Part- pirisch-wissenschaftlichen Betrachtungsweisen be- auf innovationen und Forschungsthemen wie au- ner Diamond Aircraft in ruhen. Das Verstehen grundlegender Verhaltens- tonomous land Vehicles, airborne Vision und Wiener Neustadt. weisen und deren auswirkungen führt zu hochent- Measuring the World. Foto: aiT / Michael W. Mürling wickelten bzw. weit reiferen lösungen für Benutzer und Kunden, sowohl auf technologischer Seite als auch bei der Schnittstelle Mensch-Technologie. Der Fokus auf eine spezifische anwender-Sicht- weise beinhaltet eine starke individuelle Kompo- nente und folgt somit dem Trend nach Personali- sierung und entsprechender anpassung der an- wendung. Capturing-Experience-Forschung beinhaltet am aiT die Entwicklung und Verwertung spezifischer situationsabhängiger Methoden und Werkzeuge. Diese dienen dazu, neuartige Zugänge im jeweili- gen Kontext zu analysieren und zu evaluieren. Wei- ters liegt der Forschungsschwerpunkt auf neuarti- gen kontextbezogenen Technologien – z.B. Sen- sortechnik bzw. internet-of-Things-Technologien generell – sowohl aus Experience-Perspektive (der Mensch im Vordergrund) als auch aus der Perspek- tive der Datengewinnung durch Experience. So er- forschen die Experten des aiT beispielsweise, wie sich Menschen im Zusammenspiel mit Technologie fühlen bzw. was zur akzeptanz der jeweiligen an- wendung beiträgt, aber auch was die Hauptbe- standteile von Experience an sich sind. DER REPORT 2018 Digitale Welt 15
ist ein Hardware-Software-Co-Design die erfolgs- bringende Vorgehensweise. Neue Konzepte für noch leistungsfähigere Kame- ras und Hardware erfordern auch neue Konzepte bei der Software und den algorithmen. Speziell bei den neuen Multiprozessor- und den zukünfti- gen Manycoresystemen ist das Wissen über eine korrekte Verteilung der Daten und der auswerte- lasten auf die einzelnen Komponenten der Hard- warearchitektur der Schlüssel zu einem erfolgrei- chen High-Speed-image-Processing-System. Die Themen in diesem Forschungsfeld umfassen da- her sowohl Kameras als auch Hardware und Soft- ware sowie deren Zusammenspiel in der Bildver- arbeitung. Ein zusätzlicher wichtiger aspekt ist die Entwicklung anwenderfreundlicher Benutzer- schnittstellen, damit diese komplexen Systeme auch sicher und einfach konfiguriert und erfolg- reich eingesetzt werden können. Typischerweise werden die „High-Performance-Vi- Neben der 3-D-Sensortechnik liegt ein weiterer sion“-Technologien des aiT für zwei- und dreidi- Das AIT war auch bei der Schwerpunkt in der High-Perfomance-Vision. Die- mensionale Oberflächeninspektionen eingesetzt. Vienna Cyber Security ser Bereich ist angesiedelt bei aufgabenstellun- Beispiele dazu sind die Qualitätsprüfung im Druck- Week 2018 vertreten. gen mit derart hoher Geschwindigkeit, bei denen bereich. Dabei wird bedrucktes Papier mit hoher Foto: aiT/Raimund appel das menschliche auge zu langsam, aber die Qua- Geschwindigkeit an den Kameras vorbeibewegt, lität eine sicherheitsrelevante Eigenschaft der Pro- um selbst kleinste Druckfehler zu erkennen. Ein dukte ist. Um derartige Bildverarbeitungssysteme weiteres Beispiel ist die Qualitätsprüfung von im obersten leistungsbereich erfolgreich zu ent- Schienen. Hier werden von einem fahrenden Zug wickeln, muss man sowohl auf schnelle Einzelkom- aus die Gleise auf sicherheitsrelevante Defekte ge- ponenten als auch auf eine sorgfältig ausbalan- prüft. cierte Gesamtarchitektur achten. in diesem Sinne Sicherheit als Wettbewerbsvorteil Nicht zuletzt dank des speziellen Know-hows am AIT entwickelt aiT gilt Österreich international als Hightech- Standort für Cyber Security. aufgrund seiner lang- Multimedia Analyse Plattform jährigen Erfahrung im Bereich digitaler Sicherheit hat sich das aiT auf diesem Gebiet als verantwor- im neuen großen Europäischen Forschungsprojekt ViCTORia zeichnet tungsvoller Partner für die entsprechenden natio- das aiT als Konsortialpartner für die Entwicklung fortschrittlicher ana- nalen Behörden und als anerkannte institution für lyse-Module verantwortlich und bringt dessen gebündelte Expertise im Cyber Security in der europäischen Forschungs- Bereich Video- und audio-analyse sowie dem Einsatz von Modellen landschaft etabliert. Die Experten des aiT setzen künstlicher intelligenz ein. auf Machine learning, um bahnbrechende Tech- nologien und lösungen für das künftige Cyber-Se- Die Sammlung und auswertung von Videomaterial über verübte Terror- curity-Ökosystem zu entwickeln und damit den Be- anschläge und schwere Verbrechen stellen heute eine kritische Kompo- drohungen entgegenzuwirken, die sich durch nente im Kontext einer erfolgreichen, unmittelbaren Strafverfolgung neue umfangreiche iKT-infrastrukturen mit steigen- dar. Überwachungskameras können im Verbund mit z.B. tragbaren Ka- der Vernetzung und unklaren angriffsflächen er- meras von Polizeieinsatzkräften (Wearables) und von Videoaufnahmen, geben. Diese speziellen iT-Sicherheitslösungen die von zufällig am Tatschauplatz anwesenden mit Handy-Kameras ge- setzen neue Standards und tragen dazu bei, die macht wurden, eine Fülle an verwertbaren Video- und audioinformatio- Wettbewerbsfähigkeit heimischer Produkte auf nen für die Untersuchung des Tathergangs und die nachfolgende Fahn- dem globalen Markt durch österreichisches Know- dung liefern. Die Strafverfolgungsbehörden müssen diese Bilderflut bei how sicherzustellen. ihren Erstuntersuchungen jedoch meistens sehr ressourcenintensiv ma- nuell auswerten, sodass eine zeitnahe Extraktion der wesentlichen Bild- Neue technik für ältere Menschen informationen nicht möglich ist. Die demografische Entwicklung stellt unsere Ge- sellschaft vor große Herausforderungen: Men- „im Projekt Victoria vereinen wir unsere besonderen Video-Technologie- schen werden älter, leben zunehmend in Single- kenntnisse mit Big Data Science und Machine learning, um eine intelli- haushalten und werden, in welcher Form auch im- gente lösung zu entwickeln. Mit dieser speziellen forensischen Platt- mer, Unterstützung brauchen. So leben auch 80 form können sehr große und unstrukturierte Rohdatenströme, wie bei- Prozent der pflegebedürftigen Menschen zuhause, spielsweise aus Videos, Bildern, Tonaufnahmen oder Dokumenten, intel- wo sie betreut werden. ligent gefiltert, sortiert und automatisch vorannotiert werden, damit un- im Business Case Care Solutions beschäftigt sich tersuchende Beamte sehr effizient eine digitale Ermittlungsakte erstel- aiT, Biomedical Systems mit der Forschung und len können", so Martin Boyer, Projektleiter und Experte für Softwarear- Entwicklung innovativer Technologien, welche me- chitektur im Bereich Videoanalyse am aiT Center for Digital Safety & Se- dizinische und pflegerische anwendungsbereiche curity. unterstützen und auch Komfort und Sicherheit im persönlichen Wohnumfeld älterer Menschen so 16 Digitale Welt DER REPORT 2018
lange wie möglich gewährleisten. Zentrale Säule erhaften F&E-Kooperationen mit Wirtschaftsunter- Die Leichter-Wohnen-App, eines solchen Systems bildet eine Middleware, nehmen, der Politik und institutionellen Einrichtun- „LW App“ welche modulare lösungen zur integration von gen der Medizin und Pflege für Biomedical Sys- Foto: aiT Sensortechnologien und individuellen Services tems zu erreichen und letztendlich als Standard bietet. Neue ansätze für intuitive und mobile Er- des Supports für ältere Menschen und deren Be- fassung von Gesundheitsdaten ermöglichen zeit- treuung zu positionieren. l nahe information an medizinische und pflegende Personen sowie gezielte Therapieentscheidungen. Weitere infos zum aiT: www.ait.ac.at Die Erinnerung an im Therapieverlauf vorgese- hene Medikamenteneinnahmen, die Erfassung und auswertung von aktuellen Vitaldaten und Zuverlässige 5G-Funktechnologie Möglichkeiten der sozialen interaktion über spe- zielle seniorengerechte applikationen stellen nur für künftige autonome Fahrzeuge einen Teil der Forschung und Entwicklung von Bio- medical Systems im Business Case Care Solutions Selbstfahrende autos, mit Menschen kollaborierende Roboter und viele dar. „Die Bereiche Care Solutions und Clinical & weitere „smarte“ Technologien für Städte, die Medizin oder die industrie Diagnostics Therapy Monitoring bieten für mich benötigen extrem schnelle und zuverlässige Kommunikationssysteme. als aiT-austrian-institute-Business-Manager ein Die künftige Mobilfunkgeneration 5G wird dies ermöglichen. Vor die- spannendes aufgabengebiet. Einerseits weil un- sem Hintergrund startete das aiT gemeinsam mit NOKia und aVl das sere Forschung und Entwicklung mit ihren innova- neue nationale 5G-Forschungsprojekt MaRCONi, in dem die für 5G not- tiven ansätzen und lösungen Märkte für anwen- wendige Funkwellenausbreitung untersucht und neue Simulationsmo- dungen erschließen will und andererseits aus dem delle und Funksysteme für die industrie und für autonome Fahrzeuge medizinischen und pflegerischen Bereich nach lö- entwickelt werden. sungen für die Zukunft gesucht wird“, so Heimo Oesterreicher vom Center for Health & Bioresour- Die Kooperation der Fahrzeuge hilft, die Verkehrssicherheit zu verbes- ces. Die anforderungen für die Herausforderun- sern und sich dem Ziel eines unfallfreien Straßenverkehrs zu nähern. Vor gen der Zukunft erarbeitet Biomedical Systems ge- allem für die neuen ioT-anwendungen arbeiten weltweit die Hersteller meinsam mit institutionalisierten Pflege- und Be- mit Hochdruck an der Entwicklung der neuen 5G-Technologien. Das aiT treuungseinrichtungen, Medizinern und Stakehol- besitzt diesbezüglich eine besondere Hightech-Kompetenz im Bereich dern des Gesundheitswesen und natürlich auch intelligenter antennen und Funkverhalten in anspruchsvollen dynami- mit den Menschen, denen die Entwicklungen aus schen Umgebungen. Thomas Zemen, führender Experte für 5G-Systeme dem Bereich Care Solutions dienlich sein sollen. und Projektleiter am aiT: „Wir messen die Funkwellenausbreitungsei- „Es ist für mich geboten, zwischen pharmazeuti- genschaften zwischen mehreren Fahrzeugen und der Basisstation. schen Unternehmen, dem Gesundheitswesen, der Diese Messdaten werden verwendet, um ein Modell für die numerische Pflegedienstleistung, dem Wohnbau und der Po- Simulation von 5G Systemen zu entwickeln. auf dieser Basis erforschen litik eine Brücke zur Unterstützung älterer Men- wir dann neuartige Sende- und Empfangsalgorithmen, um höchste Zu- schen und ihrer Selbstständigkeit im persönlichen verlässigkeit in der Kommunikation für die künftigen anwendungen zu Wohnumfeld durch aiT-Biomedical Systems- erreichen. Diese algorithmen werden schließlich auf dem aiT software- Schlüsseltechnologien zu schlagen“, so Oesterrei- definierten Radio-Testsystem in Echtzeit getestet.“ cher, der das Ziel verfolgt, einen Bestand an dau- DER REPORT 2018 Digitale Welt 17
geht die Bildung vorbei an der Wissensgesellschaft? Bildung 4.0 bedeutet viel mehr, als die Potenziale digitaler endgeräte und einer längst unüberschaubaren Zahl an apps für diese zu nutzen. es geht in der Wissensgesellschaft um die Kompetenz im Umgang mit infor- mation und auch Desinformation, um Vielfalt und die gezielte Förderung von talenten. in vielen Bereichen ist Bildung in Österreich aber noch vom Phantasma des standardisierten absolventen geprägt, während die ent- wicklung eindeutig hin zu individuellen und maßgeschneiderten Bil- dungswegen tendiert. S chon im Kindergarten müsste es Maßnah- auch dies ein Umstand, dem in Schulen und Uni- men geben, digital literacy, also Grundfer- versitäten viel zu wenig Rechnung getragen wird. tigkeiten im Umgang mit digitalen Techno- Wo bleiben europäische Online-arbeits- und lern- logien, zu fördern: „Oft geschieht es mit der bes- gruppen, wo sind mit gesellschaftlichen Playern, ten absicht: Kindern wird der Umgang mit Com- mit Organisationen und Firmen vernetzte virtuelle puter, internet oder Handy verweigert, um sie vor Projektgruppen? letztlich sollte es ein Ziel sein, möglichen Gefahren zu schützen. Doch das größte selbst auch zu Produzenten von inhalten zu wer- Risiko besteht darin, Kinder nicht ausreichend bei den, sich in gesellschaftliche und wirtschaftliche der Entwicklung von Medienkompetenz zu unter- Prozesse einzubringen und diese mitzugestalten. stützen“, betont etwa Barbara Buchegger, Medien- pädagogin bei saferinternet.at, einer von Öster- Konkrete Projekte an Volksschulen reichs Regierung beauftragten informationsinitia- im Kindergarten in Maurach am achensee (Tirol) tive. Ähnlich sieht das die Berliner Pädagogin und gibt es etwa das Projekt „Mein Heimatort“: Sowohl Buchautorin antje Bostelmann: „Die lebenswelt mit Papier und Stift als auch mit Video und Tonauf- der Kinder muss sich in dem abbilden, was wir tun. nahmen erforschen Kinder den eigenen Heimat- Und da gehören die digitalen Medien dazu.“ ort, dokumentieren Begegnungen mit verschiede- Kinder und Jugendliche müssen also nicht nur nen Personen und visualisieren Vorstellungen über technische Fähigkeiten lernen – so fordert etwa die die Weiterentwicklung des eigenen Ortes. Österreichische Computergesellschaft, dass im Volksschulbereich sind Tabletklassen etabliert, „Coden“ und Programmieren allerspätestens in wobei dies weit mehr bedeutet, als einfach für ei- der Volksschule ein Thema sein sollte. Es geht auch nige Wochen Tablets an Schüler und Schülerinnen um Fähigkeiten, wie etwa die effiziente und treffsi- auszugeben. Wie sinnvolle arbeit mit und am chere Suche nach informationen, das Beurteilen, Computer aussehen kann, zeigt etwa Barbara Zu- ob einer Quelle vertraut werden kann oder nicht, liani an der VS Breitenlee: Dort programmieren dem Einander-gegenüber-Stellen von informatio- Kinder mit der Software „scratch“ eigene Projekte nen und deren kritische aufarbeitung. oder sie steuern „Ozbots“, Miniroboter, die nach Maßgabe der Kinder Zeichenaufgaben umsetzen. Online-offline arbeitsgruppen in zahlreichen Unternehmen haben sich bereits hy- Projects, Peers, Passion, Play bride arbeitsprozesse mit nahtlosen Wechseln zwi- Josef Buchner ist lehrer für Geschichte, Psycholo- schen analogen und digitalen Prozessschritten gie/Philosophie und informations- und Kommuni- etabliert. Produkte werden über Kontinente und kationstechnik (iKT) an einem Wiener Gymnasium. Zeitzonen hinweg in internationalen Teams konzi- Er setzt auf Thesen des lernforschers Mitchel Res- piert und auch der Fernwartungstechniker für be- nick, der vier „P’s“ für kreatives lernen in einer von liebige anlagen sitzt mitunter einige Staaten ent- technologischem Wandel geprägten Welt postu- fernt an seinem Terminal. intensive Zusammenar- liert: „Projects, Peers, Passion and Play“. So entwi- beit offline und online sind gelebte Realität und ckeln die Schüler mit den eignen Smartphones kein seltener Zufall mehr; digitale Medien ermög- augmented-Reality-Sequenzen: Zeichnungen, QR- lichen eben in einer sehr intensiven Weise das ge- Codes, Texte werden mit dem Smartphone ge- meinsame arbeiten an verschiedensten aufgaben. scannt und automatisch starten z.B. selbstge- 18 Digitale Welt DER REPORT 2018
Sie können auch lesen