Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS

Die Seite wird erstellt Hauke-Heda Harms
 
WEITER LESEN
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
02 Ausgabe  2020
                                                                                   17. Jahrgang

                 der
                n
              So em
                     a
                th

      Werkstoff mit Zukunft

                 18                               22                                32
technologie                      round table                        Recycling
Qualität und Vielfalt eröffnen   Experten über die Potenziale des   Mit Putz als Re-Use geht die Branche
neue Anwendungsgebiete.          Baustoffs Putz.                    in Richtung Kreislaufwirtschaft.
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
inhalt        >

Ein Wort vom                               REport Plus das unabhängige Wirtschaftsmagazin

                                                werkstoff mit zukunft. Das Come-                             Factsheet. Was Sie
                                           6    back der Putze als Schutz und Stilmittel.             12     über Putze & Mörtel wissen sollten.

Ang e l a H e i s s e n b e rg e r
               Redakteurin Report(+)PLUS

Zukunftsaufgabe
      »Ein schönes Bauwerk zeichnet
 >    sich durch ein angenehmes und
                                                                                                                                                               3
gefälliges Aussehen aus und besitzt ein
ausgewogenes Verhältnis der Einzel-
teile zueinander«, wusste im 1. Jh. v.
Chr. bereits der römische Architekt
Vitruv. Erst das abwechslungsreiche
Spiel mit Struktur und Farbe setzt die
                                           14                                                          32
                                            »Wir haben zehn jahre zeit«                                Next life
charakteristischen Akzente. Leider
                                            Die neue Klimaschutzministerin                             Putze sortenrein zu gewinnen und auf-
ging die Vielfalt der Putztechniken seit
                                            Leonore Gewessler über Ökologie am                         zubereiten, ist noch schwierig. Anders
Anfang des 20. Jahrhunderts sukzessi-       Bau im Report(+)PLUS-Interview.                            ist das bei Putz als Re-Use.
ve verloren – und mit ihr das Wissen
um Handwerk und Materialien.
Galten Putzfassaden lange Zeit als
                                                  Fein herausgeputzt. Optimierte Ei-                         Ein Produkt der Region. Wie Bau-
altmodisch, erleben sie gegenwärtig        18     genschaften durch neue Zusatzstoffe.               44      stoffe Wertschöpfung schaffen.
eine Renaissance. Neue Zusammenset-
zungen eröffnen Anwendungsmöglich-                »Mehr Kommunikation«. Round                                Beton braucht Putz. Schon dünne
                                           22                                                        46      Schichten machen den Unterschied.
keiten in der Wärmedämmung, Akustik               Table zu Putz und seinen Potenzialen.
oder im Brandschutz. Bei Sanierungen
                                                  Im Zeichen des Klimas. Herausfor-                          Best Practice. Zukunftsweisende
bewähren sich Spezialputze als effekti-    36                                                        48      Projekte aus der Baubranche. .
                                                  derungen für die Bauwirtschaft.
ve Problemlöser. Auch als ästhetisches
Gestaltungselement werden Putze                   Gut geschützt. Durch Risse im Putz                         Satire. Selbst ist der Mann. Ein
                                           40     entstehen Schäden am Mauerwerk.
                                                                                                     58      Selbstversuch von Rainer Sigl.
wieder geschätzt.
    Report(+)PLUS widmet dieses
Schwerpunktheft der faszinierenden
Welt der Putze & Mörtel, die wie kaum              IMPRESSUM
eine andere Werkstoffgruppe an der                 Her­­aus­­ge­­ber/Chefredakteur: Dr. Al­­fons Flat­­scher [flatscher@report.at] ­­Verlagsleitung:
Schnittstelle zwischen Tradition und               Mag. Gerda Platzer [platzer@report.at) Chef vom Dienst: Mag. Bernd Affenzeller [affen-
Innovation steht. Wie wir in Zukunft               zeller@report.at] ­­Re­­dak­­ti­­on: Mag. Angela Heissenberger [heissenberger@report.at], Martin
leben wollen, wird zunehmend kon-                  Szelgrad [szelgrad@report.at] AutorInnen: Mag. Karin Legat, Mag. Rainer Sigl Lay­­out: Report
trovers und interdisziplinär diskutiert.           Media LLC Produktion: Report Media LLC, Mag. Rainer Sigl Druck: Styria Me­­dien­­in­­ha­­ber:
                                                   Re­­port Ver­­lag GmbH & Co KG, Lienfeldergasse 58/3, A-1160 Wien Te­­le­­fon: (01) 902 99-0
Klimafreundliches Bauen und Sanieren               Fax: (01) 902 99-37 E-Mail: office@report.at Web: www.re­­port.at
ist kein Trend, sondern eine Zukunfts-
aufgabe für die gesamte Branche.

                                                                                                                      www.report.at            02 - 2020   >
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
>

         Kleines Putz-
                Definition                                  Putzarten
                    Putz, auch Verputz oder Putzmörtel          Gipsputze kommen ausschließlich innen, meist als
                genannt, ist eine mineralische Beschich-    Glättputz, zum Einsatz. Sie sind sehr elastisch und ha-
                tung von massiven Wänden. Er kommt          ben eine geringe Risseneigung. Das maschinelle Auftra-
                bei Gebäuden außen und innen zum Ein-       gen ermög­licht einen schnellen Arbeitsablauf.
                satz und wird ein- oder mehrlagig aufge-        Kalkputze aus Kalkhydrat schaffen durch Regulie-
                tragen.                                     rung der Luftfeuchtigkeit ein behagliches Wohnklima.
                                                                Kalkputze aus hydraulischem Kalk werden zumeist
                Bedeutung                                   bei historischen Gebäuden und der Altbausanierung
                    Das seit dem 15. Jahrhundert ver-       im Innen- und Außenbereich verwendet.
                wendete Wort »putzen« bedeutete ur-             Kalk-Zement-Putze sind vorwiegend in Neubauten
                sprünglich »den Butzen (Unreinigkeit,       ohne spezielle Anforderungen innen und außen zu fin-
                Schmutzklümpchen) entfernen« – die          den.
                Bezeichnung blieb in der »Butzenschei-          Wärmedämmputze schaffen durch die Erhöhung
                be« erhalten. Daraus entwickelten sich      der Wandoberflächentemperatur ein angenehmes
4               die beiden Bedeutungen »säubern, reini-     Raumklima und reduzieren die Heizkosten.
                gen« sowie »verschönern, schmücken«.            Sanierputze sind meist aus Zement oder hydrau-
                                                            lischem Kalk und eignen sich für die Trockenlegung
                Bindemittel                                 von feuchten und versalzten Mauern. Durch den ho-
                    Verputze unterscheiden sich in der      hen Luftporengehalt können Salze im Putz auskristal-
                Regel nach dem verwendeten Bindemit-        lisieren, ohne diesen zu zerstören.
                tel. Zu den mineralischen Bindemitteln
                zählen Kalkhydrat (auch »Luftkalk« ge-      Spezialputze
                nannt) und hydraulisch abbindende               Akustikputz entspricht durch seine spezielle Ober-
                Kalke (z.B. Romankalk, Zement, Gips,        flächenbeschaffenheit und poröse Struktur besonde-
                Lehm und Wasserglas). Organische Bin-       ren akustischen Anforderungen und wird meist im De-
                demittel – sogenannte Kunstharz-Dis-        ckenbereich maschinell aufgespritzt.
                persionen – sind z.B. Polymere aus Vinyl-       Edelputz ist ein farbiger, dekorativer Deckputz mit
                acetat oder Acrylate, die mit Silikonharz   Kalk und Zement als Bindemittel. Er eignet sich für alle
                gemischt werden.                            mineralischen Unterputze und ist als Reib- oder Kratz-
                                                            putz ausführbar.
                Zuschlagstoffe                                  Silikatputz ist ein mineralischer Putz mit Wasser-
                    Quarzsand, Kies, Gesteinsmehle und      glas als Bindemittel. Er wird verarbeitungsfertig (pas­
                Ziegelsplitt sind mineralische Zuschlag-    tös) geliefert und kann zur farblichen Gestaltung außen
                stoffe, die durch unterschiedliche Korn-    und innen auf allen mineralischen Untergründen ver-
                größe zusätzliche Effekte erzeugen. Auch    wendet werden.
                Stroh, Tierhaar oder Glasfaser werden           Silikonharzputz ist ebenfalls verarbeitungsfer-
                manchmal zur Strukturbildung oder           tig und auf mineralischen Untergründen einsetzbar.
                Farbgebung beigemengt. Zugaben wie          Durch seine hydrophobe Eigenschaft hat der Putz eine
                Schaumglasgranulat, Kork oder Bläh-         selbstreinigende Wirkung.
                ton setzen die Wärmeleitfähigkeit herab.        Kunstharzputz ist ein verarbeitungsfertiger Putz,
                Kunststoffe regulieren die technischen      der innen und außen für alle Untergründe geeignet ist
                                                                                                                       Foto: iStock

                Eigenschaften.                              und intensive Farbtöne aufweist.

    >   02 - 2020   www.report.at
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
Ab c
                                                                  >

Eigenschaften
    Putz sorgt für ein angenehmes
und gesundes Wohnklima, indem
er die Raumfeuchte und Wärme-
dämmung reguliert. Durch die
mineralische Basis sind Putzober-
flächen nicht nur atmungsaktiv,
sondern verfügen auch über ei-
ne schallabsorbierende Wirkung.
Nach außen dient Putz als Witte-
rungsschutz für das Mauerwerk
und trägt durch farbliche und
strukturierte Gestaltung zum äs-
thetischen Erscheinungsbild des
Gebäudes bei.
                                                                      5
Verarbeitung
    Putze können maschinell oder
von Hand aufgetragen werden. Die
Putzoberflächen werden abgezo-
gen, geglättet, abgerieben und ge-
filzt, wodurch unterschiedliche
Effekte entstehen. Schlitze, Fugen
oder Fehlstellen müssen zuvor mit
Mörtel verschlossen und der Unter-
grund eventuell mit dem Auftragen
von Haftbrücken oder Aufbrenn-
sperren vorbehandelt werden. Als
Untergrund für Fliesen oder Na-
tursteinbeläge wird die Oberfläche
nicht gefilzt oder geglättet.
    Geglättete Putze werden vor-
zugsweise auf Gipsbasis mit Kellen,
Spachteln und Abziehleisten ausge-
führt. Das Abreiben von Kalk-Ze-
ment-Putzoberflächen erfolgt mit
dem Reibebrett. Gefilzte Oberflä-
chen entstehen durch die Bearbei-
tung des abgezogenen Putzes mit
einem Filzbrett. Ungestrichene ab-
geriebene oder gefilzte Putze san-
den leicht ab, das kann durch eine
Beschichtung vermieden werden.

                                      www.report.at   02 - 2020   >
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
>        perspektive

6

         >
                  Schon in der Antike waren Putz-    derte sich an dem pragmatischen Zugang       auch unregelmäßige Mauern aus Bruch-
                  fassaden bekannt – vornehmlich     wenig, wenngleich sich mit der Entwicklung   oder Lesesteinen ließen sich leichter egalisie-
                  um die Gebäude vor Witterungs-     der Freskomalerei auch der Mehrschichtputz   ren.
        einflüssen zu schützen. Struktur und Farbe   gegenüber dem Einschichtputz durchsetzte.        Im Mittelalter diente der Verputz weitge-
        als Gestaltungselemente standen noch im      Dadurch hafteten anspruchsvolle Wandma-      hend als Träger für Wandmalereien und als
                                                                                                                                                    Foto: iStock

        Hintergrund. Als Bindemittel kam Luftkalk    lereien, wie sie vor allem im mediterranen   Schutzschicht des Gebäudes. Rauhe Putz-
        zum Einsatz. Im Laufe der Jahrhunderte än-   Raum gebräuchlich waren, nicht nur besser,   strukturen, wie man sie an gotischen Bauten

    >   02 - 2020   www.report.at
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
perspektive             >

Werkstoff
      mit Zukunft
        Aus der österreichischen Bautradition ist die Verwendung von
        Putz nicht wegzudenken. Zuletzt ein wenig aus der Mode ge-                                                                             7
        kommen, feiert die klassische Wandbeschichtung als bewährter
        Schutz und gestalterisches Stilmittel wieder ein Comeback.
        Von Angela Heissenberger

noch manchmal sieht, bildeten nur den Haft-   Putz vielfältige Oberflächenstrukturen. Auch   nungsbild, je nach Einsatz der jeweiligen
grund für nachfolgende Applikationen.         in der Verarbeitung – mit der Kelle angewor-   Techniken und Instrumente.
    In der Barockzeit etablierte sich der     fen, geglättet, mit der Bürste geschlämmt,
Mehrschichtputz in ganz Europa. Durch         mit dem Jutesack modelliert – entwickelte      >> Lange Lebensdauer
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
>        perspektive

                                                                                                                    Aufgrund der hohen Sorptionsfähigkeit sind
                                                                                                                    Putzoberflächen im Innenbereich ideale Feuch-
                                                                                                                    tepuffer.

        Die Kartause Mauerbach ist eines der wenigen historischen Gebäude mit originalen Putzschichten.
        Sie wird vom Bundesdenkmalamt für Forschungen und Fortbildungen genutzt.

                                                                                                            sikalischen Gründen problematisch sind.
               verputzte Oberflächen mit unterschied-                                                       Da Beton wesentlich härter und dichter als
8              lichen Farben und strukturen bieten                                                          natürliche Baustoffe ist, nimmt er Span-
               gestalterische freiräume, die es wieder zu                                                   nungen anders auf. Hinter dem Beton sam-
               entdecken gilt.                                                                              melt sich oft gestautes Regenwasser. Die In-
                                                                                                            standsetzung solcher fehlsanierter Fassaden
          vor 1800 nur noch an wenigen Baudenk-           überrascht, ist die Langlebigkeit. An man-        gestaltet sich meist sehr aufwendig.
        mälern originale Putzschichten erhalten.          chen historischen Gebäuden halten die-
        Ein wissenschaftlich gut dokumentiertes           se Materialien bereits seit 800 Jahren. Statt     >> Zeit als Kostenfaktor    02 - 2020    www.report.at
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
| IO12-01G |
                                       perspektive              >

                                                                                       IO-Link Master &
                                                                                       Devices für alle
                                                                                       Schutzklassen

onierten in den folgenden Jahrzehnten die Fassadentechnik.
Detaillierte Normvorgaben regeln inzwischen die Zusammen-
                                                                    9
setzung und Anforderungen für Putzmaterialien und mehr-
schichtige Wandbekleidungen.
    Konventionelle Putz- und Mörteltechniken sind dennoch
nicht überholt. Sie zeigen ihre Stärken vor allem, wenn es um
gesundes Wohnen geht, wie Baumit-Geschäftsführer Ge-
org Bursik aufgrund der Erfahrungswerte im firmeneigenen
ViVa-Forschungspark bestätigt: »Nehmen wir zum Beispiel
Beton: Wird er im Innenbereich nur gestrichen oder mit einer
kostengünstigen Dispersionsspachtel beschichtet, dann leiden
die zukünftigen Bewohner unter schlechtem Raumklima, weil
der Feuchtepuffer an der Wand fehlt.«

>> Bewährte Technik
Werkstoff mit Zukunft - Report (+) PLUS
>    perspektive

         Nur noch wenige Fachkräfte, meist Restaurateure, beherrschen das
         umfassende Gewerk des Stuckateurs.

         Schnellbauweisen, die inzwischen auch
                                                             Mineralische Putzoberflächen reduzieren die
     den Innenraum dominieren, wirken sich
     mitunter negativ auf die gesamte Wohnqua-
                                                             Gefahr von Schimmelbildung und sind über
     lität aus. Hellhörige Wände, Luftfeuchtigkeit           ihren gesamten Lebenszyklus betrachtet
     und Wärmeverlust mindern deutlich die Be-               umweltverträglich.
     haglichkeit – so mancher Häuselbauer hät-
     te sich, rückblickend betrachtet, doch lieber   Nachhaltigkeit sprechen verstärkt für traditi-   Abriebe nötig waren. Das Fachwissen über
10
     für ein verputztes Ziegelhaus entschieden.      onelles Handwerk. Allerdings schlägt sich die    dekorative Verputze und strukturierte Ober-
     Mineralischer Putz und Farben können das        lange Vernachlässigung dieser Sparte in aku-     flächen wurde seit den 1960er-Jahren kaum
     Raumklima signifikant verbessern. Alka-         tem Fachkräftemangel nieder. In der Bran-        noch an den Nachwuchs weitergegeben. Die
     lische und sorptionsfähige Oberflächen re-      che beherrschen nur noch wenige Arbeiter         Handschrift des ausführenden Meis­ters –
     duzieren die Gefahr von Schimmelbildung         das umfassende Gewerk des Stuckateurs, da        früher als sein Markenzeichen klar erkenn-
     und sind über ihren gesamten Lebenszyklus       fast jahrzehntelang nur einfache, monotone       bar – sollte unsichtbar bleiben. Die alten
     betrachtet umweltverträglich.                                                                    Putztechniken müssen praktisch neu erlernt
          Architekten und Bauherren sehen bei                                                         werden.
     innovativen Gestaltungsvarianten seltener                                                            Parallel dazu haben sich auch die Materi-
     Putz als Material erster Wahl. Konstruktive                                                      alien weiterentwickelt. Die Hersteller bieten
     Möglichkeiten aus Stahl und Glas erscheinen                                                      inzwischen eine breite Palette an multifunk-
     vielfältiger und moderner. Doch gerade ver-                                                      tionellen Produkten an. An den Außenwän-
     putzte Oberflächen mit unterschiedlichen                                                         den sind hochdämmende Ziegel in Kom-
     Farben und Strukturen bieten gestalterische                                                      bination mit speziellen Dämmputzen eine
     Freiräume, die es wieder zu entdecken gilt.                                                      ökologische Alternative zu herkömmlichen
          Der Schweizer Restaurator Oskar Em-                                                         Dämmplatten. Fugenlos, ohne Hohlräume
     menegger identifizierte 28 verschiedene                                                          und nicht brennbar, verfügen Putze über Ei-
     Putzarten, die nicht nur als Schutzhaut für                                                      genschaften, die heute wieder mehr geschätzt
     das Mauerwerk, sondern auch als individu-                                                        werden. Aufgrund seiner hohen Sorptions-
     elles Gestaltungselement einer Fassade oder                                                      fähigkeit ist der Baustoff ein idealer Feuchte-
     Innenwand fungieren. Er kritisiert den »mo-                                                      puffer, so Baumit-Geschäftsführer Georg
     notonen Fertigputz, wie er überall in Euro-                                                      Bursik: »Darüber hinaus ist Putz perfekt ge-
     pa, gleich einem Eintopfgericht« vorzufin-                                                       eignet – gemeinsam mit dem mineralischen
     den ist. Der Maurer und Gipser werde »zum                                                        Wandbildner – wieder im Sinne der Kreis-
     wertlosen Applizierer degradiert«, so Emme-                                                      laufwirtschaft recycliert zu werden.«
     negger.
                                                                                                      >> Visionäre Anwendungen > Unterschätztes Potenzial    02 - 2020   www.report.at
perspektive            >

des einzubringen. Bedruckter oder gefräs-

                                                       »Wertschätzung
ter Putz, 3D-gedruckte Zusätze oder Stem-
peltechniken sind nur einige Beispiele, die
für die Wandlungsfähigkeit des Werkstoffes

                                                       des Handwerks«
stehen. Derzeit noch Zukunftsmusik, aber

                                                       Verputze erleben wieder einen Aufschwung. Gerhard
                                                       Garber, Leitung Produktmanagement Österreich bei
                                                       Röfix AG, setzt auf innovative Produkte und Nachhal-
                                                       tigkeit.
Restaurator Oskar Emmenegger: »Maurer und
Gipser werden zu wertlosen Applizierern degra-
diert.«

vielleicht bald Wirklichkeit sind Putze, die
als Nährboden für Pflanzen dienen und für
begrünte Fassaden sorgen bzw. die Raumluft                                                                         Verputze
filtern. Licht emittierende Bestandteile las-
sen die Putzoberflächen leuchten oder mit
                                                                                                                 sind nicht nur
farblichen Effekten erstrahlen. Denkbar sind                                                                      Schutz und
auch »smarte« Wände, die durch datenspei-                                                                        Ausgleich des
chernde Zuschlagstoffe Informationen ver-                                                                        Mauerwerks.
arbeiten und senden können, oder Fassaden,
die sich je nach Wetterlage öffnen, schließen
oder atmen.
                                                                                                                                                      11
     Neben der Funktionalität sollte aber
auch die ästhetische Produktentwicklung
verstärkt in den Vordergrund rücken, meint
Forscher Markus Schlegel: »Innovative An-
                                                                 (+) plus: Was zeichnet Putz-

                                                        >
sätze sind zwar vorhanden, der Blick in die                                                          rung, die neuen Bauweisen zu bedienen
Zukunft muss jedoch noch viel mehr im In-                        oberflächen aus?                    bzw. entsprechend mitzuentwickeln. Als
teresse unserer Baukultur stattfinden.« Im-                      Gerhard Garber: Verputze sind       innovatives Unternehmen haben wir da-
merhin prägen Putze das Erscheinungsbild               nicht nur Schutz und Ausgleich des Mau-       her Produkte entwickelt, die diese neuen
der Städte und Gemeinden – sie sind die                erwerks, sondern werden auch zu gestal-       Bauweisen unterstützen, z.B. unsere Aero-
DNA unserer Außenhaut.                    n           terischen Maßnahmen verwendet. Diese          gel-Hochleistungsdämmsysteme, unsere
                                                       erleben momentan einen Aufschwung. In         dünnschichtigen Heizsysteme für Fuß-
                                                       Innenräumen entstehen durch die Ver-          böden und eine Vielzahl mineralischer
 Sorptionsfähigkeit
                                                       bindung von handwerklichem Geschick           Design­putzoberflächen zur attraktiven
 von Innenputzen                                       mit hochwertigen Baumaterialien sehr          Wand- und Fassadengestaltung.
                                                       ansprechende Oberflächen, die unsere
      Wasseraufnahme Sorption [g/m2]
                                                       mitteleuropäische Wohnkultur unter-                (+) plus: Wie kann sich der Baustoff
 30
                                                       streichen. Im Fassadenbereich greifen Ar-     Putz wieder stärker als zukunftsfähiges
                                                       chitekten immer öfter auf gestalterische      Material positionieren?
 20                                                    Fassadengliederungen, wie sie unseren              Garber: Wir setzen beim traditionell
                                                       baugeschichtlichen Ansprüchen entspre-        verarbeiteten Putz auf Wertschätzung des
                                                       chen, zurück. Auch hier werden speziell       Handwerks mit den ökologischen Eigen-
 10                                                    dafür entwickelte Deckputzsysteme ver-        schaften eines nachhaltig produzierten
                                                       wendet.                                       Baustoffes. Unser Unternehmen ist schon
                                                                                                     seit Beginn von den positiven Eigenschaf-
  0                                                        (+) plus: Neue Bauweisen setzen der       ten diverser Kalkprodukte überzeugt. Die
   0,0 Stunden 1,0              2,0             3,0
                                                       Produktgruppe zu. Sind konventionelle         positiven Eigenschaften, wie die Verbesse-
    n Klima Putz                                       Putz- und Mörteltechniken überholt?           rung des Wohnraumklimas, die Erhöhung
    n Kalkzement Putz                                      Garber: Es ist Tatsache, dass neue Bau-   des Schallschutzes, die schnelle und ein-
    n Gips Putz                                        weisen traditionelle Produktgruppen und       fache Bauweise werden zunehmend wich-
                         Quelle: ViVa Forschungspark   Baustoffe unter Druck setzen. Wir haben       tiger. Diese Punkte rücken immer mehr in
  Ein Vier-Personen-Haushalt produziert ca. 5 l        das erkannt und sehen uns als Baustoff-       den Fokus der kreativen Denkwerkstätten
  Feuchtigkeit pro Tag. Die Sorptionsfähigkeit         Komplettanbieter vor der Herausforde-         unserer Baubranche.                    n
  des Putzes sorgt für ein behagliches Klima.

                                                                                                                   www.report.at      02 - 2020   >
>

     Wussten Sie,
                                           … als »Tadelakt« ein antiker marokkani-
                                           scher Kalkputz bezeichnet wird, der durch
                                           die Verdichtung mit Halbedelsteinen über
                                            hohe Festigkeit und Wasserbeständigkeit
             … Opferputz ein                    sowie besonderen Glanz verfügt?
           umgangssprachli-
            cher Ausdruck für
           reine Luftkalkput-
              ze ist, die durch
           ihre hohe Porosi-
                                      … die Berufs-
             tät lösliche Salze
12
                                       bezeichnung
            leicht aufnehmen
                                      Stuckateur nur
             und deshalb vor
                                       in Österreich           … durch alle Stilepochen hindurch
             allem im Denk-
                                    gebräuchlich ist?           versucht wurde, mittels Putz und
              malschutz oder
                                     In Süddeutsch-             spezieller Techniken die Illusion
            nach Hochwasser
                                     land und in der             eines hochwertigeren Materials
           zum Einsatz kom-
                                     Schweiz werden               (z.B. Naturstein) zu erzeugen?
                    men?
                                    diese Handwerker
                                    Gipser genannt, in
                                    Norddeutschland
                                          Putzer.

                 … Lehm das erste
                   von Menschen                      … in mittelalterlichen Burgen oft die Rasa-
                 verwendete Putz-                     Pietra-Technik (»verstrichener Stein«)
                    material ist?                   angewandt wurde? Dabei verstreicht man den
                                                     Mörtel zwischen den einzelnen Steinen, bis
                                                     die Mauer eine nahezu ebene Fläche bildet.
                                                          Die Steinköpfe bleiben unbedeckt.

 >   02 - 2020   www.report.at
>

dass …
                                                   … einer Studie des Instituts für
                                                    Baugeschichte der TU zufolge
                                                   Wien eine »graue Stadt« war?
                                                   Statt farbiger Fassaden wurden
                                                  im Historismus Reliefs bevorzugt.

 … der Besenwurf
  eine Technik aus
    dem 18. Jahr-
   hundert ist, um
   Kalkmörtelputz                 … die traditionelle Putzregel besagt, dass
    aufzutragen?               aufeinanderfolgende Schichten immer weicher
  Die Handwerker                               werden sollten?
   tauchten einen
   Reisigbesen in
   den Mörtel und
 schlugen ihn über
  einen Stock – je                                … bei einem Fresko der frische
  geringer der Ab-                                 Putz mit Kalkfarbe bemalt
  stand zur Wand,                                                                               13
                                                  wird, wodurch Farbe und Putz
  desto gröber war                                 gemeinsam zu künstlichem
    die Körnung.                                      Kalkstein aushärten?

                       … bei Stuckmar-
                        mor spezielle
                       Zusatzstoffe und
                       Pigmente durch                  … die ideale
                        Polieren und                 Raumluftfeuchte
                       Wachsen in eine               zwischen 40 und
                       marmorähnliche                  60 % liegt?
                       Oberfläche ver-
                       wandelt werden?

               … das Pigment für das berühmte »Schönbrunner Gelb« – Mar-
                kenzeichen der österreichisch-ungarischen Monarchie – aus
               böhmischen Ockergruben stammte, da französische Importe zu
              teuer waren? Ursprünglich war das Schloss Schönbrunn jedoch in
                              Rosa- und Grautönen gestrichen.

                                                                    www.report.at   02 - 2020   >
>    Interview

      Wir
      haben
      zehn
14

      Jahre
      Zeit
       Von Bernd Affenzeller

       Im Interview mit Report(+)PLUS erklärt die neue Klimaschutzministerin Leonore Gewessler,
       wie sie Österreich klimaneutral machen will, warum es der aktuellen Regierung gelingen
       wird, das lang gehegte Ziel der 3%-Sanierungsrate tatsächlich zu erreichen und wie sie zu
       einer verpflichtenden Herkunftsbezeichnung von Baustoffen steht. Trotz der im Regierungs-
       programm festgeschriebenen Forcierung von Holz spricht sie sich klar für eine Produktneu-
                                                                                                   Foto: Cajetan Perwein

       tralität bei Baumaterialien aus. Eine ökologische Bewertung von Baustoffen soll über den
       gesamten Lebenszyklus erfolgen.

 >   02 - 2020   www.report.at
Interview           >

               »Es liegt auf der Hand, dass Baumaterialien mit kurzen Transportwegen
                im Sinne des Klimaschutzes den Vorzug gegenüber Produkten haben
                        sollen, die weit gereist sind«, erklärt Leonore Gewessler.

                                                                                                                                          15

          (+) plus: Dem Klimaschutz wird im aktuellen Re-

 >
                                                                Ziele. Zwar ist es im Gebäudesektor schon in der Vergangenheit
          gierungsübereinkommen große Bedeutung zuge-           gelungen, die Treibhausgasemissionen deutlich zu senken. Für
          schrieben. Welchen Stellenwert hat dabei aus Ihrer    eine Dekarbonisierung bis 2040 braucht es aber – so wie in allen
Sicht der Gebäudesektor?                                        anderen Sektoren auch – deutlich verstärkte Anstrengungen.
    Leonore Gewessler: Unser Programm für die kommen-           Im Regierungsprogramm haben wir Maßnahmen im Gebäu-
den Jahre ist ambitioniert: 2040 soll Österreich klimaneutral   de- und Wärmesektor vereinbart, die sicherstellen sollen, dass
sein. Um die Weichen dafür richtig zu stellen, haben wir, wie   Österreich seinen europarechtlichen Verpflichtungen, den Ver-
die Wissenschaft es uns sagt, zehn Jahre Zeit. Die Reduktion    pflichtungen aus dem Pariser Übereinkommen und dem Ziel
der CO2-Emissionen im Gebäudebestand ist ein bedeutender        der Klimaneutralität bis 2040 in sozial und ökonomisch ver-
Baustein für die Erreichung der klima- und energiepolitischen   träglicher und kosteneffizienter Weise nachkommen kann.

                                                                                                          www.report.at       02 - 2020   >
>    Interview

                                Städtische und ländliche Regionen
                              benötigen unterschiedliche Konzepte für
                                         die Energiewende.
               (+) plus: Im Rahmen der anvi-
          sierten Dekarbonisierung ist im Re-
          gierungsprogramm auch von neuen
          Projekten wie einer »energieeffizienten
          Stadt« und einem »energieeffizienten
          Dorf« die Rede. Was genau kann man
          sich darunter vorstellen?
               Gewessler: Städtische und länd-
          liche Regionen benötigen unterschied-
          liche Konzepte für die Energiewende.
          Während im städtischen Bereich we-
          gen hoher Bevölkerungsdichte bei-
          spielsweise eine leitungsgebundene
          Wärmeversorgung wirtschaftlich ist,
          können in ländlichen Regionen de-
          zentral verfügbare erneuerbare Ener-
          gieträger eingesetzt werden. Bei den
          Projekten »energieeffiziente Stadt«
          und »energieeffizientes Dorf« geht
          es um ganzheitliche und individuell
16
          zugeschnittene Konzepte. Sie sollen
          Städte und Gemeinden unkompliziert
          dazu verhelfen, bis 2040 klimaneutral           »Ich bin im
          zu werden, und zwar durch gezielte           Wirkungsbereich
          Maßnahmen wie Energieraumpla-               meines Ressorts auf
          nung, Sanierung öffentlicher und pri-       Produktneutralität
          vater Gebäude auf einen zukunftsfit-        bei Baumaterialien
          ten Standard oder beispielsweise auch       bedacht – natürlich
          durch effiziente Straßenbeleuchtung.        unter der Maßgabe,
          Beispielgebend dafür sind schon jetzt         dass diese über
          KEM-Regionen (aktuell rund 95 Kli-            ihren gesamten
          ma- und Energiemodellregionen in Ös-           Lebenszyklus
          terreich; Anm.d.Red.) oder e5-Gemein-       hinweg bestmöglich
          den (224 Gemeinden und Städte aktu-            zum Umwelt-
          ell; Anm.d.Red).                             und Klimaschutz
                                                          beitragen.«
              (+) plus: Laut dem aktuellen Re-
          gierungsprogramm soll der Baustoff
          Holz forciert werden. Handelt es sich
          dabei nicht um eine Wettbewerbs-
          verzerrung gegenüber anderen Bau-
          stoffen wie Ziegel oder Beton, die sich,
          wie mehrere Studien zeigen, bei einer
          Lebenszyklusbetrachtung in Sachen          benszyklus hinweg bestmöglich zum Um-        stoff. Die Formulierung im Regierungs-
          Nachhaltigkeit nicht vor Holz verste-      welt- und Klimaschutz beitragen. Holz ist    programm »Forcierung des Holzbaus und
          cken müssen?                               ein Beispiel für einen regenerativen Roh-    ökologischer Baumaterialien« schließt
              Gewessler: Ich bin im Wirkungs-        stoff, der bei nachhaltiger Produktion und   auch andere Baumaterialien, welche die
          bereich meines Ressorts auf Pro-           kurzen Transportwegen den Schutz des         genannten Kriterien erfüllen, mit ein.
          duktneutralität bei Baumaterialien         Klimas und regionale Wertschöpfung gut
          bedacht – natürlich unter der Maßga-       in Einklang bringen kann. Aber das gilt         (+) plus: Regionalität spielt nicht
          be, dass diese über ihren gesamten Le-     natürlich nicht exklusiv für Holz als Bau-   nur in der Lebensmittelindustrie eine

 >   02 - 2020   www.report.at
Interview            >

immer größere Rolle, sondern ist für viele       wir mit dem Koalitionspartner festgehal-              Gewessler: Durch ein offensives und ak-
Konsumenten auch bei der Wahl des Bau-           ten, dass im Neubau ab 2025 keine Gaskes-        tives Vorantreiben von Maßnahmen Rich-
stoffes entscheidend. Können Sie sich eine       sel bzw. Neuanschlüsse von Objekten an das       tung Klimaneutralität eröffnet sich für in-
verpflich­tende Herkunftsbezeichnung für         Gasnetz mehr erfolgen. Was die Gasinfra-         novative österreichische Unternehmen die
Baustoffe vorstellen, um zu verhindern, dass     struktur angeht, soll kein weiterer Ausbau       große Chance, sich an vorderster Stelle im
Konsumenten unabsichtlich zu einem (im-          von Gasnetzen zur Raumwärmeversorgung            internationalen Wettbewerb in einem dy-
portierten) Baustoff greifen, der durch weite    mehr vorgenommen werden, ausgenom-               namischen Wachstumsmarkt zu behaupten.
Transportwege einen deutlich schlechteren        men es handelt sich um eine Verdichtung          Gerade in dem breiten Technologiefeld Bau-
ökologischen Fußabdruck hat als vielleicht       innerhalb bestehender Netze.                     en, Sanieren und effiziente Wärmeversor-
angenommen?                                           Um die Energieeffizienz von Gebäuden        gung verfügt Österreich über ein reichhal-
     Gewessler: Die Forderung nach einer         zu steigern, braucht es ganz grundsätzlich       tiges Know-how und ist für diese Herausfor-
verpflichtenden Herkunftsbezeichnung für         eine Erhöhung der Sanierungsrate sowie der       derung hervorragend aufgestellt. Neben der
Baustoffe gibt es schon seit längerer Zeit. Es   Sanierungsqualität und die Weiterentwick-        klimapolitischen Notwendigkeit ist es somit
liegt natürlich auf der Hand, dass Baumate-      lung der Kriterien in den Bauvorschriften,       ein ökonomisches und auch arbeitsmarktpo-
rialien mit kurzen Transportwegen im Sinne       sodass Schritt für Schritt Nullemissionsge-      litisches Gebot der Stunde, die Energiewen-
des Klimaschutzes den Vorzug gegenüber           bäude zum Standard werden.                       de umgehend und entschlossen in Angriff zu

                          Als Grundlage für die Kaufentscheidung
                               braucht es auch bei Baustoffen
                                vergleichbare Informationen.

Produkten haben sollen, die weit gereist sind.        (+) plus: Seit vielen Jahren träumen Po-    nehmen. Die Energiewende, die wir uns vor-
    Die Möglichkeiten für die Einführung ei-     litik und Experten von einer Sanierungsrate      genommen haben, bedeutet zweifellos eine
                                                                                                                                                 17
ner Herkunftsbezeichnung für Baustoffe wä-       von 3 %. In der Realität hat man sich davon      große Kraftanstrengung, birgt aber auch un-
ren zu prüfen. Allerdings ist hier zu gewähr-    aber immer weiter entfernt, aktuell liegt sie    glaubliche Chancen für alle Bevölkerungs-
leisten, dass die Ausweisung der Herkunft        bei unter 1 %. Was konkret werden Sie anders     gruppen. Damit uns so etwas großes Gelin-
und des ökologischen Fußabdrucks nach            als Ihre Vorgängerregierungen machen, um         gen kann, braucht es einen Schulterschluss
einem standardisierten Prinzip für alle Bau-     dieses Mal das Ziel auch tatsächlich erreichen   zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und
materialien erfolgt, ganz gleich ob es sich um   zu können?                                       Politik. Genau das verbindet Umweltorgani-
Ziegel, Beton, Zement, Holz, diverse Dämm-            Gewessler: Es braucht aus meiner Sicht      sationen und Sozialpartner.
materialien oder andere Produkte handelt.        ein gut aufeinander abgestimmtes Bündel
Die Marktakteure sollen dadurch bei allen        an Maßnahmen, das neben Kommunikati-                 (+) plus: Welche auf den Bau- oder Ge-
Baustoffen vergleichbare Informationen als       on und Bewusstseinsbildung auch Anreize          bäudesektor bezogenen Maßnahmen möch-
Grundlage für ihre Kaufentscheidung zur          insbesondere zur Abfederung sozialer Här-        ten Sie in Ihrem ersten Amtsjahr umsetzen,
Verfügung haben.                                 tefälle, aber auch steuerliche Erleichterungen   um – auf diesen Bereich bezogen – von einem
                                                 und konkrete gesetzliche Vorgaben wie das        erfolgreichen Start sprechen zu können?
     (+) plus: Welche konkreten Maßnah-          Erneuerbaren-Gebot bei Tausch einer alten            Gewessler: Besonders wichtig ist mir,
men zur Senkung der CO2-Emissionen sind          Ölheizung enthält.                               dass wir rasch klare Rahmenbedingungen
für den Gebäudesektor geplant?                        Mit einem solchen Bündel an Maßnah-         für den Ausstieg aus Ölheizungen gestalten.
     Gewessler: Es braucht eine umfassende       men wird es uns gelingen, auch den Gebäu-        Alle relevanten Stakeholder wie Energiever-
thermisch-energetische Sanierung bislang         debestand sozial verträglich auf ein innova-     braucher und Investoren brauchen mög-
nicht sanierter Gebäude, Niedrigstenergie-       tives und zukunftsfittes Niveau zu bringen.      lichst schnell Sicherheit, um die richtigen
standards für Neubauten und den zügigen          Im Rahmen der ökosozialen Steuerreform           Entscheidungen treffen zu können.
und konsequenten Ausstieg aus der Nut-           arbeiten wir gemeinsam mit dem Koaliti-              Außerdem ist mir eine enge Partner-
zung von fossilen Brennstoffen. Hier sieht       onspartner nun Details dazu aus.                 schaft mit den Bundesländern ganz be-
das Regierungsprogramm vor, dass ab 2020                                                          sonders wichtig. Die Wärmewende kann
keine Neuerrichtung von Öl- und Kohlehei-             (+) plus: Sie waren mehrere Jahre Ge-       nur gelingen, wenn alle Beteiligten – Bund,
zungen im Neubau mehr erfolgt, ab 2021           schäftsführerin von Global 2000. Die Um-         Länder, Gemeinden, Wirtschaft und Ener-
soll der Austausch von alten Öl- und Koh-        weltorganisation hat 2010 gemeinsam mit          giekonsumenten – an einem Strang ziehen
leheizungen durch neue nicht mehr zuläs-         den Bausozialpartnern die Nachhaltigkeits-       und den Weg in Richtung dekarbonisierte
sig sein und ab 2025 ist ein verpflichtender     initiative Umwelt+Bauen gegründet – eine         Wärmeversorgung ebnen. Daher werden
Austausch von Heizgeräten älter als 25 Jah-      auf den ersten Blick durchaus ungewöhn-          wir gemeinsam mit den Bundesländern
re vorgesehen. Neben den Ölheizsystemen          liche Liaison. Könnte so eine enge Zusam-        eine Wärmestrategie entwickeln, um auch
sind es Gasheizungen, die einen wesent-          menarbeit zwischen Umweltschützern und           einen geeigneten Rahmen für die Dekarbo-
lichen Teil der Treibhausgasemissionen im        Industrie auch Vorbildwirkung für die Poli-      nisierung im Gebäudesektor bis 2040 ein-
Sektor Gebäude verursachen. Daher haben          tik haben?                                       zuleiten.                                n

                                                                                                                www.report.at      02 - 2020     >
>    technik

18

                                                           Fein
                                                           herausgeputzt
      >
                Putz und Mörtel gleichen Une-
                benheiten des Mauerwerks aus,
                nehmen Feuchtigkeit auf und ge-
                                                       Putze und Mörtel sind seit Jahrhunderten bewährte
     ben sie wieder ab, verbessern den Dämmwert        Baustoffe. Durch neue Zusatzstoffe und optimierte
     und den Schall- und Brandschutz der Wän-          Zusammensetzungen können sie ihre positiven
     de. Je nachdem, ob der Putz innen oder au-
     ßen aufgetragen wird, ob man eine glatte
                                                       Eigenschaften noch besser ausspielen.
     oder strukturierte Oberfläche wünscht oder
     die Wand bestimmte Eigenschaften erfüllen         Von Angela Heissenberger
     soll, kommen ganz unterschiedliche Pro-
     dukte zum Einsatz. Doch Putze sind noch           verloren – Wissen, das es sich wiederzuent-     fungen, die auf der Fassade ein interessantes
     viel mehr als eine funktionelle Hülle: Sie ver-   decken lohnt. Im Mittelalter und in der Re-     Licht- und Schattenspiel erzeugen.
     leihen Gebäuden ein Gesicht.                      naissance wurde mit relativ einfachen Instru-       Mit dem Aufkommen des industriell
          Seit der Antike ist Stuck eine wichtiges     menten wie Nagelbrettern, Kämmen, Besen         hergestellten Mörtels entstanden zwar neue
     Element für die Gestaltung von Innenräu-          oder Stempeln gearbeitet, um die Putzober-      Gestaltungsmöglichkeiten, dennoch gingen
     men und Fassaden. Durch alle Epochen              fläche zu strukturieren. Im Barock erfreuten    die regionale Vielfalt und der gestalterische
     konnten sich unterschiedliche Techniken           sich sogenannte Buckelquaderungen großer        Ausdruck immer mehr verloren. Viele der
     etablieren, die im Laufe der Zeit das Er-         Beliebtheit; diese fügten sich harmonisch in    alten Techniken kommen nur noch in der
     scheinungsbild mitteleuropäischer Städte          die weichen Formen dieser Epoche ein. Im        Denkmalpflege zur Anwendung.
     prägten. Gleichen die heute üblichen Fassa-       Bauboom der Gründerzeit gelang es mithilfe
     den einander wie ein Ei dem anderen, zeigen       von Zement, die beliebten, aber teuren Na-      >> Aufs Korn genommen    02 - 2020    www.report.at
technik           >

nen dünn-, mittel- und dickschichtig aufge-     dem Eigenschaften wie die Dichte, die Erstar-    Drücken, Tupfen oder Schlagen die Putzo-
tragen werden. Dickere Putzschichten lassen     rungsdauer, die Bildung von Luftporen sowie      berflächen zu gestalten. Besenzugputz findet
sich leichter strukturieren und ermöglichen     das Verhalten beim Eindringen von Wasser         man häufig an Gründerzeit- oder Jugendstil-
wieder Techniken, die wegen des höheren         beeinflusst werden. Organische Bindemittel       fassaden. Gerade auf großflächigen, schlich-
Aufwands in Vergessenheit gerieten.             erhärten durch Polymerisation – ein schnell      ten Gebäuden entfaltet die charakteristische
    Je nach gewünschtem Gesamteindruck
stehen unterschiedliche Materialien zur Ver-
fügung. Die Korngröße macht den Unter-                    täuschung. Im Bauboom der
schied. Mit einer Körnung von 0,5 mm lassen               Gründerzeit gelang es mithilfe von Zement, die
sich besonders feine, glatte Oberflächen er-
                                                          beliebten, aber teuren Natursteinoberflächen zu
zielen. Körnungen bis zu 8 mm erzeugen ei-
nen kräftigen, prägnanten Gesamteindruck.                 imitieren.
Nach Jahren, in denen vor allem ebenmäßige
Wände gefragt waren, stehen derzeit wieder      härtender und wasserundurchlässiger Bau-         Linienstruktur eine besondere Wirkung.
grobe Strukturen hoch im Kurs.                  stoff ist etwa Kunstharzmörtel. Silikatputz          Statt in Putz getauchter Reisigbündel
    Großen Einfluss auf das Erscheinungs-       erhärtet durch Verkieselung und wird vor-        setzt man heute Feinputzmaschinen ein. In
bild haben die Zuschlagstoffe. So entsteht      wiegend als Endputz auf Wärmedämmver-            mehreren Schichten wird feinkörniges Ma-
die ebenmäßige Oberfläche von Filzputz          bundsysteme aufgetragen.                         terial aufgespritzt.
durch einen feinen Zusatz, der beim Abrei-                                                           Am weitesten verbreitet ist der Schei-
ben mit dem feuchten Filzbrett einen beson-     >> Charakteristische Struktur
>    technik

     Traditionelle Putztechniken wie Kammzug, Nagelbrettputz, Rechenstrichputz und Besenzug (v. li.) erzeugen eine charakteristische Struktur.

        richtung bei der Reibung kann die Ober-         auf; ihre Häufigkeit hat in den letzten Jahren      aber Wasserdampf durchlassen. Die mit der
     fläche variabel gestaltet werden.                  stark zugenommen. Die Risse zeichnen ein            aufsteigenden Nässe transportierten Salze
          Diverse Kratztechniken kommen eben-           regelmäßiges Bild, das dem Fugenverlauf des         können auskristallisieren.
     falls wieder vereinzelt zur Anwendung – auch       Mauerwerks folgt.                                       Abhilfe schaffen bei großer starker
     in Innenräumen. Putz lässt sich beispielswei-          Baubedingte Ursachen können nicht               Durchfeuchtung auch Sanierputze oder so-
     se auf einzelnen Wänden wie eine kleine Ge-        vollfugig vermörtelte Lager- oder Stoßfu-           genannte Opferputze. Letztere sind reine
     birgslandschaft strukturieren. Dafür wird          gen und feuchtes Mauerwerk sein. Gerade             Luftkalkputze, die vor allem im Denkmal-
     der Putz relativ dick (5 bis 6 mm) aufgetra-       die hohe Untergrundfeuchtigkeit wird oft            schutz eingesetzt werden und bauschäd-
     gen und nicht glatt gezogen, sondern mit der       unterschätzt und über die Sichtprüfung hi-          liche Salze aufnehmen. Wenn die Oberfläche
     Kelle durch unterschiedlichen Druck unre-          naus keiner eingehenden Messung unterzo-            starke Ausblühungen aufweist, wird sie abge-
     gelmäßige Flächen und Kanten erzeugt. Ist          gen. Putzbedingte Ursachen sind meist zu            schlagen und das Mauerwerk neu verputzt.
     der Putz vollständig durchgetrocknet, kann         geringe bzw. wechselnde Putzdicke oder un-          Dieses Verfahren kommt auch bei der Tro-
20
     die Oberfläche farbig lasiert werden.
          Eine Besonderheit stellen Edelkratz-
     putze dar. Sie werden recht dick – 10 bis 15
     mm – aufgetragen. Die Körnungen sind da-
                                                                    Kostendruck. Risse in Putzen sorgen
                                                                    bei Bauherren für Ärger und Unverständnis. Oft
     bei nicht mit einem Bindemittelfilm umge-
     ben. Nach dem Erhärten wird die Oberfläche                     sind aber die Bau- und Trocknungszeiten zu kurz
     mit einem Nagelbrett bis auf eine Schichtdi-                   bemessen.
     cke von 8 bis 10 mm abgekratzt, durch das
     dabei herausspringende Korn entsteht die
     augenfällige Struktur.                             zureichende Nachbehandlung. Ein wichtiges           ckenlegung von Gebäuden, etwa nach Hoch-
                                                        Baudetail ist der oft stiefmütterlich behan-        wasser, zum Einsatz.
     >> Unter Druck > Verbesserte Eigenschaften    02 - 2020    www.report.at
>    rOUND tABLE

                                                                                                         ut,
                                                                                                    ist g
                   u kt     mehr
               rod      cht
           as P    bra u
         »D ber es
22
                              a                                                  Report(+)PLUS hat Vertreter von
                                                                                 Bauträgern, Industrie, Verarbeitern
                                                                                 und Architektur zu einem runden
                                                                                 Tisch über Vor- und Nachteile und
                                                                                 die Potenziale des Baustoffs geladen.
                                                                                 Herausgekommen ist eine spannende
                                                                                 und ehrliche Diskussion über ver-
                                                                                 schiedene Bauweisen, Nachhaltig-
                                                                                 keit, die Notwendigkeit von Systemen
                                                                                 sowie Fehler und Versäumnisse aller
                                                                                 Beteiligten.
                                                                                 Putz ist ein jahrhundertealtes Material, das Oberflächen von
                                                                                 Bauwerken eine spezifische Textur verleiht und auch über zahl­
                                                                                 reiche positive bauphysikalische Eigenschaften verfügt, von der
                                                                                 Raumakustik über Wärmedämmung bis zur Regulierung von
                                                                                 Luftfeuchte und CO2. Dennoch hat die Bedeutung von Putz­
                                                                                 oberflächen in den letzten Jahren abgenommen.
                                                                                     Warum das so ist und was man dagegen unternehmen kann,
                                                                                 hat Report(+)PLUS versucht, im Rahmen eines Round Tables
                                                                                 mit Auftraggebern, Planern, Verarbeitern und Herstellervertre­
                                                                                 tern herauszufinden.

                                                                                     (+) plus: Herr Pech, als Vorstandsvorsitzender des Öster­
                                                                                 reichischen Siedlungswerks zählen Sie zu den größten Bauträ­
                                                                     >

                                                                                 gern des Landes. Entspricht es auch Ihrer Wahrnehmung, dass
                                                                                                                                                     Foto:Report Verlag

                                                                                 die Bedeutung von Putzoberflächen nachgelassen hat?
                                          ÖSW-Vorstandsvorsitzender Michael          Michael Pech: Es gibt rund um den Putz sicher viele kri­
                                                   Pech wünscht sich System-     tische Aspekte, dennoch möchte ich zu Beginn der Diskussion
                       lösungen, um das Risiko der Auftraggeber zu reduzieren.   eine Lanze für den Putz brechen. Putz ist nicht nur ein traditio­

 >   02 - 2020   www.report.at
rOUND tABLE                >

                                                                                               er
                                                                                          zell
                                                                                      fen

             «
                                                                                 Af
                                                                             rnd

            n
                                                                         B  e
                                                                     Von

        atio
    unik
  mm
Ko
                                                       >
           Die Teilnehmer (alphabetisch)
> Clemens Hecht, Referent für Putz Mörtel im
Fachverband Steine-Keramik
> Michael Pech, Vorstandsvorsitzender ÖSW
> Bruno Sandbichler, Sandbichler Architekten
> Andreas Traunfellner, Sedlak Bau

neller Baustoff, sondern auch ein Baustoff mit sehr vielen posi­
                                                                                                                                   23
tiven Eigenschaften. Dennoch ist es gerade in Wien so, dass der
Putz eine immer geringere Rolle spielt. Das liegt vor allem an
der hier im mehrgeschoßigen Wohnbau dominanten Bauweise
in Stahlbeton mit einem Innenausbau in Leichtbauweise. Da
spielt der Putz nur eine untergeordnete Rolle. Der Vorteil eines
echten, traditionellen Innenputzes, die Beweglichkeit oder die
klimatische Speicherung und Abgabe von Feuchtigkeit, kommt
da kaum mehr zur Geltung. Das gilt auch für den Außenputz,
der ebenfalls viele positive Eigenschaften aufweist wie etwa die
Reparaturfähigkeit.In den Bundesländern ist die Situation eine
andere. Da wird mehr mit Ziegel gebaut. Dort setzen wir auch
heute noch stark auf Innen- und Außenputze.

     (+) plus: Herr Sandbichler, auch bei Architekten hat Putz
an Beliebtheit verloren. Dabei bietet doch Putz enorm viele
Möglichkeiten, um Oberflächen innen und außen differenziert
zu gestalten. Wird Putz zu Unrecht von der Architektur ver­
nachlässigt?
     Bruno Sandbichler: Der klassische Putz verliert gemeinsam
mit der Ziegelbauweise an Bedeutung. In meiner Schulzeit war
es völlig undenkbar, einen Wohnbau nicht mit Ziegel, sondern
in Stahlbeton zu errichten. Dabei war der Putz unerlässlich. Das
ist heute mit dem Siegeszug des Stahlbetons anders. Dazu muss
man sagen, dass der Putz auch in der Ausbildung, speziell im
Architekturstudium, unterrepräsentiert ist. Das sieht man dann
auch an den Ergebnissen, die werden beliebig.

    (+) plus: Arbeiten Sie persönlich mit Putz?
    Sandbichler: Eigentlich nicht. Ich hab im Westen Öster­
                                                                                                                       >

reichs begonnen, da ging es um Holz, Glas und Plattenfassa­
den. Putz wurde weitgehend vermieden. Heute arbeite ich mit                           Architekt Bruno Sandbichler (oben) fordert
Putz nur in Verbindung mit Vollwärmeschutz und Verspach­           von der Industrie einen nachhaltigen, »sympathischen« Putz,
telungen.                                                                        den die Konsumenten auch tatsächlich wollen.

                                                                                               www.report.at        02 - 2020      >
>    rOUND tABLE

            Für Clemens Hecht geht durch
            unzureichende Ausbildung die hohe
            Qualität der Produkte verloren.                               >
            (+) plus: Herr Hecht, warum hat der Putz an Bedeu­
     tung verloren?
          Clemens Hecht: Aus meiner Sicht liegt das größte Problem
     im Bereich der Ausbildung. Da bin ich ganz bei Herrn Sand­
     bichler. Damit geht die eigentlich hohe Qualität der Produkte
     unter. Dieses Thema gibt es natürlich auch bei anderen Pro­
     dukten. Das gesamte Bau-Spektrum ist deutlich größer gewor­
     den. Es gibt eben nicht mehr nur den klassischen Ziegelbau.
     Das alles in der Ausbildung entsprechend zu berücksichtigen,
     ist natürlich enorm schwierig. Da geht dann vieles unter. Da­
     zu kommt, dass bei vielen Alternativen zu Putzoberflächen der
     Preis eine große Rolle spielt. Es ist uns einfach nicht mehr ge­
     lungen, die Qualität des Produkts und der Verarbeitung im
     Preis darzustellen.

         (+) plus: Herr Traunfellner, jetzt wurden schon mehrmals
     die Ausbildung und die Qualität der Verarbeitung angespro­
     chen. Liegt es daran, dass Putz an Marktanteilen verliert?
         Andreas Traunfellner: Die Lehrlingsausbildung ist qualita­
     tiv hervorragend. Wir haben aber ein eklatantes Problem mit
24
     der Quantität. Hätten wir mehr Lehrlinge, gäbe es auch mehr
     qualifiziertes Personal auf den Baustellen. Wir bei Sedlak ha­
     ben aktuell 20 Lehrlinge, weil wir unsere eigenen Facharbeiter
     ausbilden wollen. Aber damit sind wir in Wien eine absolute
     Ausnahme. Es liegt nicht daran, dass wir unser Handwerk nicht
     können, sondern dass wir zu wenig Personal haben. Initiativen
     wie »Lehre mit Matura« sind gut und richtig. Das muss man
     nun in die Breite bringen.
         Ich sehe es auch so, dass der Wiener Markt anders ist. Ich
     kann mich noch an Zeiten erinnern, als Bruttogeschoßflächen
     gefördert wurden und der Ziegelbau geboomt hat. Wienerber­
     ger hat dafür extra den Quattro-Ziegel produziert. Da gab es
     keinen Gemeindebau, der nicht mit Ziegeln errichtet wurde.
     Und innen und außen kam natürlich Putz drauf.

         (+) plus: Speziell in Wien versuchen Ziegelhersteller ak­
     tuell, den Ziegel verstärkt im mehrgeschoßigen Wohnbau zu
     positionieren. Ist das aus architektonischer Sicht eine sinnvolle
     Alternative oder ein Vorstoß in eigener Sache?
         Sandbichler: Wirtschaftlich betrachtet ist es wohl eher eine
     Herzensangelegenheit (lacht). Wir haben das in einem Projekt
     versucht, ein Bausystem mit Ziegeln mit integrierter Dämmung
     zu entwickeln. Das war nur darstellbar, weil der Hersteller zu
     enormen Preisnachlässen bereit war, damit der Ziegel zum Ein­
     satz kommen kann.
         Das muss man auch an dieser Stelle festhalten. Es gibt eine
     totale Schieflage, was die Kosten betrifft. Wenn ich als Architekt
                                                                                                                             >

     in Wien mit Bauträgern zusammenarbeite, dann komme ich an
     einem Wärmedämmverbundsystem nicht vorbei.
                                                                                                         »Fehler in der Verarbeitung
         Pech: Da muss ich Ihnen recht geben. Die Frage, ob ich mit                              liegen nicht daran, dass wir unser
                                                                                         Handwerk nicht können, sondern dass wir
     Ziegel baue oder nicht, muss zu Beginn des Planungsprozesses             zu wenig Personal haben«, bricht Andreas Traunfellner
     geklärt sein, damit der Architekt weiß, was möglich ist und was                                  eine Lanze für die Verarbeiter.

 >   02 - 2020    www.report.at
rOUND tABLE                                   >

nicht. Und da stehe ich dann schnell vor dem Thema der Kosten.              Oberfläche funktioniert, sondern die Hersteller müssen den Schritt
Dazu kommt auch ein Unterschied in der Herangehensweise zwi­                weiter gehen, auf welchen Untergründen und unter welchen Rah­
schen Wien und den Bundesländern. Ein selbstwohnender Eigentü­              menbedingungen das Produkt funktioniert. Da geht es auch um das
mer, der die Wohnung nicht als Anlage sieht, achtet auf die Qualität        Mikroklima. Und wir wissen heute, dass sich das Mikroklima etwa
und ist auch bereit, mehr zu zahlen. Denn über den Lebenszyklus be­         in der Stadt Wien in den letzten Jahren verändert hat. Damit ändert
trachtet, relativieren sich die höheren Kosten schnell. Putz ist ein sehr   sich klimatisch bedingt die Belastung an der Wandoberfläche. Das
langlebiges Produkt, wie man an den zahlreichen Gründerzeitbauten           Produkt funktioniert aber nunmal nur auf bestimmten Oberflächen.
sieht. Ein Problem für uns Bauträger in der Vergangenheit war, dass         Deshalb brauchen wir ein verstärktes Wechselspiel aller Beteiligten.
wir Wandbildnersysteme brauchen. Es reicht nicht, eine Wand mit             Dazu zähle ich neben den Herstellern, Planern und Verarbeitern auch
Dünnputz und Dämmung zu haben. Da hatten wir als Bauträger vor              die Sachverständigen, die die Möglichkeiten und Toleranzen eines
20 Jahren das Problem, dass es kaum Erfahrungen mit den Systemen            Produkts kennen müssen.
als Ganzes gab. Das hat zum Siegeszug des Wärmedämmverbundsy­
stems geführt und dazu, dass Putz weniger eingesetzt wurde. Aus dem              Sandbichler: Ein ganz wichtiger Aspekt in der ganzen Thematik
einfachen Grund, dass die Erfahrung mit gewissen Kombinationen              ist auch die Nachhaltigkeit. Wir sind die erste Generation von Archi­
fehlte und wir Angst vor Problemen hatten. Wir brauchen diese Sys­          tekten, die wirklich aufgefordert ist, ohne Kompromisse nachhaltig
teme und da braucht es ganz strenge Verarbeitungsrichtlinien und            zu bauen. Da ist auch der Konsument gefragt. Wir planen aktuell ge­
Verordnungen. Da wäre es auch hilfreich, wenn Herstellervertreter           rade das erste Baugruppen-Hochhaus in Wien. Der Vorteil ist, dass
die Baustellen besuchen würden.                                             man mit den späteren Bewohnern in direktem Kontakt steht. Die
                                                                            können klar artikulieren, was sie wollen. Die wollen nicht mit Beton
    (+) plus: Was können Hersteller machen, um diese Situation              und Vollwärmeschutz arbeiten, auch Holz ist aufgrund der Höhe
zu entschärfen?
    Hecht: Wichtig ist die Kommunikation. Wir haben die Herstel­
ler mit ihrem Produkt, dann die Planer, die das Produkt beauftragen
müssen, und schließlich die Verarbeiter, die unter Berücksichtigung                »Wir brauchen echte Kosten-
der Produkteigenschaften die planerischen Vorgaben umsetzen müs­
sen. Da hilft es natürlich, wenn man miteinander redet. Da sind si­                wahrheit und strengere Regeln
cher auch die Hersteller gefragt. Mir gefällt auch der angesprochene               für nachhaltiges Bauen.«
Systemgedanke sehr gut. Dass der Putz nicht nur als Produkt auf der
                                                                                                                                                                           25

                                                                                                                                                      ng
                                                                                                                                                ivi
                                                                                                                                           yL
                                                                                                                                      th
                                                                                                                                     al
                                                                                                                                He
                                                                                                                               it
                                                                                                                              Baum

                                                                                                                                                            WERTE
                                                                                                                                                                    ASSE
                                                                                                                                                                KL

                                                                                                                                                       INNER
                                                                                                                                                           E

                                                                                                                                                              S
                                                                                                                                                               T

                                                                                                                                                      MASSE I
                                                                                                                                                                     ST

                                                                                                                                                          I           R
                                                                                                                                                 DÄMMEN F

                                                                                                          Sanierung ist
                                                                                  Sanova          Alte Substanz & neuer Wert
                                                                                  Baumit SanierPutze sind für alle alten Gebäude speziell für feuchtes
                                                                                  und schadstoffbelastetes Mauerwerk geeignet, da diese über eine 4-6 Mal
                                                                                  höhere Lebensdauer als herkömmliche Putze verfügen. So erhalten Baumit
                                                                                  SanierSysteme alte Substanz und schaffen nachhaltigen, gesunden Wohnraum.
                                                                                  Baumit Saniersysteme – aus Liebe zu alten Mauern.

                                                                                  ■ für alle alten Gebäude
                                                                                  ■ für innen und außen
                                                                                  ■ Jahrzehnte lange Erfahrung

                                                                                                                                      Baumit. Ideen mit Zukunft.
>    rOUND tABLE

         Clemens Hecht,
         Michael Pech, Andreas
         Traunfellner und Bruno
         Sandbichler waren sich
         einig, dass Putz ein
         hervorragender,
         aber vernachlässigter
         Baustoff ist.

        ausgeschieden. Sie wünschen sich einen ökologischen Ziegelbau.         Da gibt es nur die klassischen Putze und am anderen Ende der Skala
     Da kommt dann auch der Putz wieder ins Spiel. Die Herausforderung         den Lehmputz, der sehr kompliziert und schwierig in der Verarbei­
     liegt natürlich einmal mehr in den Kosten.                                tung ist. Es reicht nicht, wenn die Hersteller Systeme entwickeln, sie
         Pech: Aufgrund der Kosten ist Wien durch die Förderung und            müssen Produkte entwickeln, die auch gewollt und gekauft werden.
     der geforderten Qualität im Grundstücksbeirat in einem sehr engen
     ökonomischen Korsett. Wir verlagern das Risiko zum Generalun­                 (+) plus: Klafft hier von Herstellerseite tatsächlich eine Lücke?
     ternehmer. Wenn Probleme auftauchen, muss das der Generalun­              Entspricht Putz nicht dem Zeitgeist?
     ternehmer mit seinen Subunternehmern lösen. Das ist nicht immer               Hecht: Das glaube ich nicht. Putz ist schon ein Produkt, dass den
     einfach. Deshalb bin ich auch auch ein großer Befürworter von abge­       heutigen Anforderungen entspricht. Putz ist klimatisch, sorgt für Be­
     nommenen Gesamt-Wandbildner-Systemen, die mit Gutachten und               haglichkeit und Wohlbefinden. Ich glaube aber, und das betrifft alle
     Prüfattesten für langfristige Sicherheit beim Bauherrn sorgen. Daran      Baustoffe, dass wir es über die Jahre verlernt haben, die positiven As­
     wird es in Zukunft kein Vorbeikommen geben.                               pekte der Dinge, mit denen wir uns tagtäglich beschäftigen, auch ent­
26
                                                                               sprechend herauszustreichen und zu kommunizieren. Da ist es in den
         (+) plus: Herr Traunfellner, können Sie als Verarbeiter dem           letzten Jahren oft mehr darum gegangen, die Schwächen des anderen
     Systemgedanken etwas abgewinnen?                                          aufzuzeigen. Gäbe es das eine, perfekte Produkt, gäbe es nichts an­
         Traunfellner: Jein. Geprüfte Systeme sind schon sinnvoll, aber        deres. Aber die Wünsche und Bedürfnisse sind unterschiedlich, und
     nicht, wenn alles von einem Hersteller kommt. Ein Ziegelproduzent         jeder soll sich das auswählen, was er gerne möchte.
     wird jetzt auch nicht groß in die Putzindustrie einsteigen. Wir brau­
     chen verschiedene Innen- und Außenputze, die gemeinsam mit einem              (+) plus: Was muss also passieren, damit Putz in Zukunft wieder
     Wandsystem geprüft sind. Das muss man aber auch nicht alles neu           eine größere Rolle spielt?
     erfinden. Die Verarbeitungsrichtlinien für Innen- und Außenputze              Hecht: Wir müssen einfach die Stärken und Vorteile von Putz
     umfassen für jeden Wandbildner sämtliche Informationen, von der           stärker herausstellen und kommunizieren.
     Arbeitsvorbereitung über den richtigen Haftvermittler bis zur Ober­
     flächengestaltung.                                                            (+) plus: Herr Pech, gerade im geförderten Wohnbau spielen die
                                                                               Errichtungskosten eine große Rolle. Wäre ein Umdenken in Richtung
         Hecht: Wir haben im Prinzip beim Feuchteschutz normativ nach­         Lebenszykluskosten aus Ihrer Sicht sinnvoll?
     weisfreie Konstruktionen, die gelistet und katalogisiert sind. Wenn           Pech: Die Errichtungskosten spielen natürlich eine große Rolle,
     man darauf zurückgreift, ist sichergestellt, dass man kein Problem        weil wir ja bestimmte Mieten darstellen müssen. Eine Betrachtung
     mit Feuchtigkeit haben wird. Wenn man davon abweicht, geht man            über den Lebenszyklus wäre auf jeden Fall sinnvoll, weil dann auch
     ins Risiko. Das geht vom Gedanken her in dieselbe Richtung.               höhere, aber sinnvolle Mehrinvestitionen bei der Errichtung möglich
         Traunfellner: Das meine ich. Wenn man sich an die Regeln hält         wären. Andererseits nutzt mir das beste Haus nichts, wenn es sich un­
     und sorgfältig arbeitet, die Richtlinien und Herstellerempfehlungen       sere Zielgruppe nicht leisten kann. Das ist die Quadratur des Kreises,
     beachtet, dann wird das Ergebnis am Ende des Tages sehr gut sein.         an der wir jeden Tag arbeiten. Ich würde auch gerne mehr mit Putz
     Aber leider ist das nicht zuletzt durch den vorherrschenden Zeit­         arbeiten, aber leider ist das kostentechnisch nicht immer möglich.
     druck nicht immer der Fall.
                                                                                   (+) plus: Herr Traunfellner, welchen Beitrag können die Verar­
         (+) plus: Herr Sandbichler, woran scheitert der Einsatz von Putz      beiter leisten, um Putz wieder salonfähig zu machen?
     in der Architektur?                                                           Traunfellner: Es wird sicher nicht über den Preis gehen. Ich glau­
         Sandbichler: Die Industrie denkt in Richtung technische Mach­         be auch, dass es darum geht, die Vorteile von Putz hervorzustreichen.
     barkeit und Verkauf. Das ist sicher wichtig, aber was mir fehlt, ist      Auch die Frage der Förderung müsste geklärt werden, ob der Putz zur
     die Frage nach dem »sympathischen« Putz, der die Anforderungen            Wohnfläche zählt oder nicht. Denn auch wenn es sich nur um einen
     der Zeit erfüllt. Wenn man heute ein Bauwerk von Grund auf plant,         Zentimeter handelt, kommt da bei einem mehrgeschoßigen Wohn­
     dann sollte es als eine Erweiterung der Natur gesehen werden und          bau in Summe einiges zusammen.
     nicht als industrieller Gegenpol zur Natur. Das ist ein echter Paradig­       Ganz wichtig ist natürlich das Thema der Ausbildung. Unse­
     menwechsel. Da fehlen mir im Bereich Putz die passenden Produkte.         re Facharbeiter sind gut ausgebildet, aber es sind einfach zu weni­

 >   02 - 2020    www.report.at
Sie können auch lesen