Land in Sicht - Interkulturelle Visionen für Heute und Morgen - Die Förderer - Die Veranstalter
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Die Förderer Dokumentation • 6. Bundesfachkonfress Interkultur • Braunschweig 03 - 05 / 04 / 2017 Die Veranstalter Land in Sicht – Interkulturelle Visionen für Heute und Morgen
2 | Inhalt Inhalt | 3 Inhalt Fachforum 1 4 Vorwort 20 „Europa – Einheit in Vielfalt – Die europäische Gemeinschaft zwischen Tina Jerman | Exile Kulturkoordination Essen zivilgesellschaftlichen Initiativen und identitären Tendenzen“ | Christian Miess 6 Einleitung Rolf Graser | Bundesweiter Ratschlag für kulturelle Vielfalt Fachforum 2 8 Grusswort 24 „Von Wurzeln und Flügeln – Interkulturelle Kunst und Kulturarbeit Joachim Klement | Generalintendant Staatstheater Braunschweig im europäischen ländlichen Raum“ | Gabriela Schmitt 26 „TRAFO-Modelle für Kultur im Wandel“ | Harriet Völker 10 Grusswort Gabriele Heinen-Kljajić | Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur a. D. Fachforum 3 12 Grusswort Caren Marks | Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin 28 „Blick zurück nach vorn – Für eine neue Erinnerungskultur für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Migrationsdiskurs“ | Franz Kröger 29 „Grenzen der jüdischen Erinnerungskultur“ | Monty Aviel Zeev Ott 14 Die Entdecker oder die Entdeckten. Was kam zuerst? Eine literarische Antwort für Menschen ohne Migrationshintergrund 31 „Das Programm Migration und Erinnerungskultur“ | Annemarie Hühne Sharon Dodua Otoo 18 Heimat in flüchtigen Zeiten – 10 Thesen Fachforum 4 Heribert Prantl | Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und 32 „Ablehnung und Vorurteile überwinden – Handlungsansätze in einer Leiter des Ressorts Innenpolitik vielfältigen Gesellschaft“ | Jürgen Markwirth 35 Interview | Jürgen Markwirth im Gespräch mit Cacau Fachforum 5 38 „Gemeinsam Gesellschaft gestalten – Mehrfach-Identitäten in einer diversen Solidargemeinschaft“ | Breschkai Ferhad/Rolf Graser 41 „Wie geht Einwanderungsland? Deutsch-sein und Superdiversität in der mehrheitlich Minderheiten-Gesellschaft“ | Jens Schneider Online verfügbar Fachforum 6 zu Fachforum 1 44 „Kann man Wirkung messen? Evaluation als Strategie und Instrument für Oliver Hidalgo, „Populismus, Rassismus, Extremismus – die Gestaltung kultureller Vielfalt“ | Sabine Schirra eine Gefahr für die Demokratie in Europa?“ PPP 46 „Evaluation in der Entwicklungszusammenarbeit – zu Fachforum 3 ein facettenreiches Lerninstrument“ | Monika Bayr Adnan Softic (PPP/Pdf) Rainer Ohliger, „Der politische und historische Ort der 47 „Warum Ziele in der Kultur“ | Dieter Haselbach Migration“ (Pdf) zu Fachforum 4 Abschluss Daniela Krause, „Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände“ PPP 53 „Willst Du Dein Land verändern… – Herausforderung für eine moderne Thomas Müller, Projektvorstellungen „Communication Einwanderungsgesellschaft“ | Lamya Kaddor for Integration“ und „Stimme für Vielfalt“ 59 Bericht zum Intercultural Slam | Laura-Helen Rüge zu Fachforum 6 59 Bericht Theatersport Berlin | Laura-Helen Rüge Sabine Schirra „WIR! Ein transkulturelles Jugendprojekt“ (PPP) 64 Akteur*innen und Referent*innen
or orw 4| Vorwort | Tina Jerman und Gabriela Schmitt | 5 V Vorwort Tina Jerman und Gabriela Schmitt Der 6. Bundesfachkongress Interkultur, der unter dem Interkultur: Die thematische Programmgestaltung Alltag von Kommunen und den lokalen Akteuren aus? sionen, präsentiert sowohl vom Staatstheater Braun- Motto „Land in Sicht. Interkulturelle Visionen für heute und das begleitende Kulturprogramm entstanden in Und, um Veränderungsprozesse und Wirkungen die- schweig, auch von vielen Kultureinrichtungen der Stadt und morgen“ vom 3. bis 5. April 2017 in Brauschweig enger Zusammenarbeit mit vielen Akteur*innen, dem ser Arbeit zu bewerten: Wie lassen sich die Ergebnisse und Künstler*innen aus der Region. Das letzte Wort stattfand, steht in der Reihe der, vom Bundesweiten Staatstheater Braunschweig und zahlreichen Kultur- messen und belegen? aber hatte die Kabarettistin Idil Baydar, bekannt ge- Ratschlag Kulturelle Vielfalt, alle zwei Jahre veranstal- institutionen vor Ort und ebenso mit der Zivilgesell- In dem unterhaltsamen Format des Intercultural Slam worden u.a. mit ihrer Kunstfigur Jilet Ayse, mit einem teten Kongresse und Fachtagungen. Der Ratschlag schaft, vertreten beispielhaft durch das dortige Haus präsentierten sich am Ende des zweiten Tages einen ironischem „Kehraus“ ein kleines Feuerwerk mit Sze- Kulturelle Vielfalt, ein Bündnis interkulturell aktiver der Kulturen. So konnte auch ein besonderer aktueller Reihe von Projekten und Initiativen, die belegen, dass nen aus dem interkulturellen Alltag präsentierte. Initiativen und Institutionen, besteht seit 2004 und Schwerpunkt im Flächenland Niedersachsen, die in- gerade künstlerische Interventionen ein großes Poten- Mit „Land in Sicht“ haben wir bewusst ein optimis- verfolgt das Ziel, den migrationsbedingten Wandel ter-kulturelle Versorgung im ländlichen Raum, und die tial haben, auf Missstände aufmerksam oder tatsäch- tisches Motto des Kongresses gewählt. Wir wollten in Deutschland öffentlich und reflektierend zu be- konkrete, potentialorientierte Umsetzung interkultu- lich Vielfalt erlebbar zu machen. Raum für Visionen schaffen und Visionen Raum ge- gleiten und mit seinen Chancen und Potenzialen zu reller Strategien und Konzepte zur Diskussion gestellt Mit ihrem Impuls-Beitrag „Willst Du Dein Land ver- ben, allerdings wurde zumeist von den Realitäten her gestalten. und so die jeweiligen lokalen Fragestellungen einge- ändern – Herausforderung für eine moderne Einwan- diskutiert. Ziel der Bundesfachkongresse ist es, die unterschied- bunden werden. derungsgesellschaft“ ging die Islamwissenschaftlerin Aber der Wunsch nach Visionen und neuen gesell- lichen Diskurse im Bereich kulturelle Vielfalt zusam- Angesichts der großen Zahl von Geflüchteten, die im Lamya Kaddor am dritten Tag auf die konkreten Bedarfe schaftlichen Rahmungen ist, wie wir gehört haben, menzuführen und Fragen nach den Perspektiven un- Jahr 2015 nach Deutschland gekommen waren, stan- und Anforderungen an ein multi-kulturelles und multi- groß. Wir als Ratschlag Kulturelle Vielfalt möchten serer diversen Gesellschaft zu stellen. Theoretische den mit den beiden Beiträgen der Autorin Sharon Otoo religiöses Zusammenleben in Deutschland ein. diese Dialoge und Diskurse in unserer Arbeit vertiefen. und praktische Fragestellungen werden in Keynotes, „Die Entdecker oder die Endeckten – Was kam zuerst?“ Alle Teilnehmer*innen des Kongresses „Land in Sicht“ Neben der Vorbereitung des nächsten Bundesfachkon- Fachforen und Diskussionsrunden behandelt. Künst- und des Journalisten Heribert Prantl „Heimat in flüch- waren im Anschluss dazu eingeladen, sich im „Club der gresses werden wir die nun jährlichen Ratschlag-Tref- lerische Beiträge ergänzen die Kongressinhalte und tigen Zeiten“ gleich zwei grundlegende, bewegende Visionäre“ einzufinden und gemeinsam darüber nach- fen um das Format der Denkwerkstatt – eines Think beleuchten die vielfältigen Themenstellungen mit äs- Themen im Raum: die Frage nach den bis heute spür- zudenken und zu spinnen, wie die Zukunft eines „bun- Tanks – erweitern. Für mehr Informationen laden wir thetischen Mitteln. baren Folgen des Kolonialismus und die Frage sowie ten“ Deutschland aussehen könnte. Viele von ihnen, zu einem Besuch unserer neuen Website www.rat- Die wesentlichen Ergebnisse des 6. Bundesfachkon- der Versuch einer Bilanz, wie unsere Gesellschaft, die darunter zahlreiche Aktivist*innen vor Ort, aber auch schlag-kulturelle-vielfalt.de ein. gresses sind nun in dieser Dokumentation in chrono- Institutionen und die vielen zivilen Initiativen mit dem Vertreter*innen von Kommunen und Kultureinrich- Aber jetzt heißt es „Dankeschön“ zu sagen, für tat- logischer Reihenfolge zusammengefasst und können Menschenrecht auf Asyl umgehen. tungen, professionelle Sprecher von politischen oder kräftige, fröhliche und unermüdliche Unterstützung darüber hinaus auch unter www.bundesfachkongress- Die Themen der Fachforen deckten ein breites Spek- Interessensverbänden, konnten hier spontan, präzise bei der Umsetzung des 6. Bundesfachkongress Inter- interkultur-2017.de eingesehen werden. Wir freuen uns, trum ab: Wie umgehen mit einem Europa der gegen- und streitbar ihre Visionen, die sie aus ihrer eigenen ge- kulturdurch das Team des Haus der Kulturen Braun- diese Dokumentation den 400 Teilnehmer*innen des sätzlichen Richtungen in Umgang mit Vielfalt? Wie sellschaftlichen Arbeit entwickelt haben, vorbringen: schweig, Christiana Antonelli, Wiebke Graupner, Georg Kongresses als Erinnerungsstütze und allen weiteren kann die inter-kulturelle Versorgung im ländlichen Der Kongress hatte hier, unterstützt vom Berliner Im- Halupcok und den zahlreichen Mitdenker*innen und Interessierten als Fundgrube für fachliche Anregungen Raum aussehen? Wie gestaltet sich Erinnerungskultur provisationstheater Theatersport, das Wort. Unterstützer*innen. zur Verfügung stellen zu können. in einem vielfältiger werdenden Land? Wie arbeiten Der gesamte 6. Bundefachkongress wurde begleitet von Der 6. Bundesfachkongress spiegelt die aktuellen na- Vorurteile und Rassismen und wie können wir dage- einem vielseitigen, interkulturellen Rahmenprogramm, tionalen und internationalen Diskurse zum Thema gen angehen? Wie sieht die Gestaltung von Vielfalt im mit zahlreichen Konzerten, Darbietungen und Exkur- Tina Jerman Gabriela Schmitt Sprecherrat des Bundesweiten Ratschlags Kulturelle Vielfalt In dieser Dokumentation wird der im April 2017 erreichte Diskussionsstand wiedergegeben, die Posi- tionen einzelner Autorinnen und Autoren können sich in der Zwischenzeit verändert haben.
ffn Erö 6| Eröffnungsrede | Rolf Graser | 7 Eröffnungsrede Rolf Graser Mit dem diesjährigen Motto „Land in Sicht“ haben wir sent ist, samt der sie immer wieder erneuernde Zivilge- Mekonnen Mesghena als Kongressbeobachter beim bewusst einen optimistischen Titel für den diesjäh- sellschaft, ein Teil davon ist heute hier in Braunschweig letzten Bundesfachkongresses in Mannheim eindrück- rigen Kongress gewählt. Für alle, die von Afrika nach versammelt. Es sind hier bei diesem Kongress vor allem lich hingewiesen. Europa fliehen, ist es nicht nur lebensrettend, sondern die Praktiker, die interkulturell Aktiven versammelt. Wer den Menschen und seine Würde in das Zentrum auch Inbegriff einer großen Hoffnung, wenn endlich Und wenn wir von Optimismus reden, dann ist dies des Diskurses stellt, muss auch die soziale Frage stellen. Europa, also „Land“ in Sicht ist. Aber auch für uns, die der „Optimismus des Handelns“, zum dem aber auch, Das Auseinanderklaffen von Arm und Reich hat welt- wir eigentlich gesättigt in Europa, in diesem „Land der engstens miteinander verhakt, der „Pessimismus des weit, aber auch in Deutschland eine noch nie dagewe- Verheißung“ leben, ist Perspektivlosigkeit, in jeglicher Wissens“ gehört. Denn natürlich dürfen wir all die Ge- sene Dimension erreicht. Niemand kommt mehr daran Hinsicht, lähmend. fahren für Diversität und Demokratie nicht negieren. vorbei, sich damit zu beschäftigen. Die soziale Frage Ein optimistischer Titel in einer Zeit, die eigentlich Aber unsere Aktivitäten, unsere Arbeit muss vom Op- muss deshalb zum festen Bestandteil einer jeden Diver- eher den Pessimisten Recht zu geben scheint. Doch, timismus gespeist sein. sitätspolitk werden. Noch tut sich hier viel zu wenig, ohne Rechtspopulismus, Ausgrenzung und all die has- Natürlich müssen wir uns all diesen, unsäglichen Dis- vielleicht auch deshalb, weil ein Großteil derjenigen, serfüllten und vom Gift des Rassismus getränkten kussionen stellen, in denen Selbstverständnisse und die hier aktiv werden könnten, selbst das Privileg ge- Auseinandersetzungen hier und auf der ganzen Welt Selbstverständlichkeiten wieder in Frage gestellt wer- nießt, sich auf der Sonnenseite des Lebens zu tummeln. auch nur eine Sekunde verharmlosen zu wollen, dieser den. Aber: wir dürfen auch nicht in reinen Abwehrde- Um interkulturelle Visionen für heute und morgen zu zunehmend um sich greifende Pessimismus ist auch batten verharren. Wir können nichts bekämpfen, ohne entwickeln, ist das Zusammenführen all dieser Hand- ein mediales Produkt, forciert von deren, die ein fried- gleichzeitig eigene glaubwürdige Alternativen vorwei- lungsfelder erforderlich: Kulturpolitik, Integrationspo- liches und solidarisches Miteinander nicht „schaffen“ sen zu können. Wir müssen gerade in den aktuellen De- litik, Antidiskriminierungsarbeit, alle Nuancen interkul- wollen und uns allen suggerieren, dass dies auch nicht batten den Blick wieder mehr nach vorne richten und turellen Schaffens, und natürlich die Sozialpolitik und zu schaffen sei. eigene starke interkulturelle Visionen entwickeln, Visi- die Sozialarbeit, all das muss zusammengeführt und Dabei sind kulturelle Vielfalt und Mehrfach-Identi- onen, die nicht nur das „Morgen“ beschreiben, sondern zusammen gedacht werden. Und genau deshalb gibt täten längst Realität, was nicht zuletzt deutlich wur- stets auch einen Bezug zum „Heute“ haben und: es gilt, es auch den Bundesfachkongress Interkultur und den de, als die große Anzahl von Geflüchteten, vor allem Wege aufzeigen, wie Visionen zu Realitäten werden Ratschlag kulturelle Vielfalt: Das Zusammenführen all aus arabischen Ländern, zu uns kam. Von vielen wurde können, diversitätsorientiert und antirassistisch. dieser verschiedenen gesellschaftspolitischen Diskur- dies als unüberwindbarer Kulturschock hochstilisiert. Kunst und Kultur nehmen hierbei eine Schlüsselfunk- se war schon von Anfang an, bereits beim ersten Kon- Aber Deutschland, und da gehören alle, ausnahmslos tion ein, nicht zuletzt da sie an menschlichen Fähigkei- gress, den wir 2006 in Stuttgart organisierten, das Ziel alle Menschen dazu, die hier leben, dieses neue und ten und Stärken ansetzen und nicht die Defizite beto- und die Stärke des Kongresses. Hier sollen sich alle tref- bunte Deutschland ist heute wesentlich vielfältiger nen. Die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger*innen fen und austauschen: die Kulturarbeiter*innen mit den und besser auf die Neuankömmlinge vorbereitet, als jenseits von Herkunft, Geschlecht und sozialer Lage Integrationspolitiker*innen, die Sozialarbeiter*innen z.B. zu Zeiten des sogenannten Gastarbeiter-Zuzugs; ist ein weiterer zentraler Pfeiler unserer Arbeit, aber mit den Antidiskriminierungsstellen, die Migranten- denn damals war Deutschland tatsächlich noch sehr wohl eher die Beschreibung einer Vision als der Reali- organisationen mit Repräsentant*innen staatlich ge- homogen „ursprungsdeutsch“. Damals gab es z.B. weit tät. Denn nicht jeder, der verbal für Gleichberechtigung förderter Hochkultur. weniger Menschen, die ordentlich Spagetti kochen eintritt, ist auch bereit, hierfür Macht, Einfluss und Lassen Sie uns also gemeinsam, und damit meine ich konnten, als es heute Deutsche mit perfekten Ara- eigene Gestaltungsspielräume abzugeben. Dass sich wirklich alle Teilnehmer*innen, Impulse setzen und bisch-Kenntnissen gibt. die kulturell vielfältige Realität weder in Ausschüssen Handlungsempfehlungen entwickeln. Tauschen Sie Diversität ist jetzt schon bundesdeutsche Realität und Gremien, noch auf der Leitungsebene widerspie- sich aus in den nächsten drei Tagen, vernetzen Sie sich, und: Diversität hat ein Potential und eine Dynamik, gelt, hat auch mit diesem Nicht-Abgeben-Wollen von damit wir, trotz allem Wissen über die Probleme dieser die letztlich stärker ist als all die vergangenen Zeiten Macht zu tun. Das Machtgefüge, dessen Bestandteil Welt, als optimistisch Handelnde feststellen können: angehörenden Abgrenzungsideologien, zumindest so- man selbst ist, muss stets selbstkritisch reflektiert „Land in Sicht!“ g lange unsere Demokratie lebt, noch lebendig und prä- und angegangen werden. Hierauf hat übrigens auch n Rolf Graser Sprecherrat des Bundesweiten Ratschlags Kulturelle Vielfalt fnu röf E
ffn Erö 8| Grusswort | Joachim Klement | 9 Grusswort Joachim Klement Meine sehr verehrten Damen und Herren, und häufig genug: Hass. „Über den Hass“ ist der Titel aber bestärkt es uns in der Hoffnung, dass wir die wir freuen uns sehr, dass Sie heute bei uns zu Gast eines Buches der Publizistin und Philosophin Carolin Verhältnisse lenken, nicht umgekehrt. Ich hoffe, sind. Seien Sie herzlich willkommen zur Eröffnung des Emcke, die 2016 mit dem Friedenspreis des Deutschen dass es uns mit den Partnerinnen und Partnern und 6. Bundesfachkongresses Interkultur: „Land in Sicht – Buchhandels ausgezeichnet wurde. den unterschiedlichen Netzwerken auch in diesem Interkulturelle Visionen für heute und morgen“ ist das Sie schreibt: „Vielleicht ist es die wichtigste Geste ge- Jahr wieder gelingt, möglichst viele Menschen aus Thema. Er findet in diesem Jahr parallel zur 6. Themen- gen den Hass: sich nicht vereinzeln zu lassen. Sich nicht verschiedensten Kulturkreisen, Milieus und Gene- woche Interkultur am Staatstheater Braunschweig in die Stille, ins Private, ins Geschützte des eigenen Re- rationen für das Theater, die Kunst, den kulturellen statt. Seit 2012 gibt es dieses besondere Format am fugiums oder Milieus drängen zu lassen. Vielleicht ist Austausch und vor allem aber den jeweils Anderen Staatstheater, einem Haus, an dem täglich Menschen die wichtigste Begegnung die aus sich heraus. Auf die zu begeistern. aus 28 Nationen zusammen arbeiten. Was mit einem Anderen zu. Um mit ihnen gemeinsam wieder die sozi- Ein herzlicher Dank gilt dem Bundesweiten Ratschlag verlängerten Wochenende begann, um die interkultu- alen und öffentlichen Räume zu öffnen.“ Kulturelle Vielfalt, dem Forum der Kulturen Stuttgart rellen Aktivitäten des Hauses zu bündeln und mit Gast- Was bedeutet Interkultur heute? Wie lebt man Viel- und dem Haus der Kulturen Braunschweig als Veran- spielen und Gesprächen zu ergänzen, hat sich durch falt? Was braucht es für kulturelle Teilhabe? Und stalter, – und er gilt den Förderern: Dem Niedersäch- die Kooperation mit vielen Partnern, internationalen, welche Aufgaben stellen sich für die Zukunft in einer sischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, der regionalen und besonders lokalen, zu einem Festival vielleicht komplexer werdenden Gesellschaft? Diese Stadt Braunschweig, der Stiftung Niedersachsen, der im Wochenumfang entwickelt. Axel Preuß, hier lang- Fragen stehen im Zentrum Ihrer Arbeit aber auch des Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz und dem jähriger Chefdramaturg und heute Schauspieldirektor vielfältigen Themenwochen-Programms. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und am Staatstheater Karlsruhe, hat wesentlich zum Erfolg Dazu gehören unter anderem: Die Premiere von »Na- Jugend. beigetragen. Ihm ist auch die Initiative für die Ausrich- dia«, ein Stück über eine junge europäische IS-Sympa- Ich wünsche Ihnen und uns einen spannenden Auf- tung des Bundesfachkongresses in Braunschweig zu thisantin, das Bestandtteil einer internationalen Koo- takt, erfolgreiche und informative Begegnungen, an- verdanken. Als wir 2012 anfingen, befanden wir uns peration der ETC mit Theatern aus Amsterdam, Oslo, regende Foren, viele neue Eindrücke und dem Bundes- in der meist politisch funktionalisierten Debatte über Parma, Liege und Berlin ist. fachkongress damit gutes Gelingen. Parallelgesellschaften und gescheiterte Intergration Das mit Hilfe des Bundesfachkongress Interkultur Haben Sie eine gute Zeit bei uns und in Braunschweig. bis hin zur Beschwörung vom Untergang des Abend- ermöglichte Gastspiel der großartigen ukrainischen Vielen Dank. g landes. Die schlichte Frage stand im Raum, was das Frauen-Band Dakh Daughters heute Abend hier im Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Großen Haus, – sie kommen gerade von einem Gast- n Kulturkreisen eigentlich bedeutet? Wie offen oder ab- spiel aus Hellerau. Oder: Ein Grenzen überwindendes u weisend ist die sogenannte Mehrheitsgesellschaft? Konzert mit Mitgliedern des Staatsorchesters, dem Wie verändert Einwanderung eine Gesellschaft oder »Welcome Board Ensemble« des Musiklandes Nie- n fordert sie heraus? dersachsens und weiteren Gästen. f Fünf Jahre später sind die Fragen dringlicher geworden. Das Theater ist einer der wichtigsten, frei gestaltbaren f Viele Menschen fliehen vor Perspektivlosigkeit, Armut Räume unserer Demokratie, ein Labor sozialer Fantasie. und Krieg und suchen Zuflucht in Europa. Die Zuwan- Jenseits von Ideologie kann hier die Debatte um die ö derung erfüllt viele Menschen mit Sorge. Populistische Frage, wie wir leben wollen, vorbehaltlos geführt wer- Er Parteien in Deutschland und Europa schlagen daraus den. Theater besteht aus Differenzierung, weil es nur Joachim Klement Kapital und propagieren die Ausgrenzung von allem so der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen kann, und es Intendant Staatstheater Braunschweig Abweichenden und Fremden. Aus Vielfalt wird Einfalt stellt Entwürfe vor – Lebensentwürfe. Vor allem bis Spielzeit 2016/2017
ffn Erö 10 | Grusswort | Gabriele Heinen-Kljajić | 11 Grusswort Gabriele Heinen-Kljajić � Herzlich willkommen zum 6. Bundesfachkongress In- schaftlich ableiten lassen: Aufgrund der demogra- sichern. Es geht nicht darum, Kulturgewohnheiten zu Eingang in die Angebote von Kunst und Kultur? Und terkultur hier in Braunschweig. Wir freuen uns, mit fischen Entwicklung brauchen wir Zuwanderung. Der ändern oder einen Kanon zu vermitteln, es geht nicht welche Rahmenbedingungen müssen wir schaffen, Ihnen gemeinsam über das Thema Interkultur disku- Fachkräftemangel braucht Zuwanderung. Aber die um eine Gebrauchsanweisung für den deutschen Kul- um das Kreativitätspotenzial der Zuwanderung und tieren zu können, denn der Ansatz der Interkultur spielt gesellschaftlich-zivilisatorisch positiven Effekte von turbetrieb. Es geht darum, Wünsche und Erwartungen der sozialen Öffnung unserer Kultureinrichtungen in Niedersachsen eine große Rolle. Migration wirken viel tiefer. Denn Kulturen entwickeln der Migrantinnen und Migranten wahrzunehmen und wirklich auszuschöpfen? Wir haben bei all den regio- Was verbirgt sich hinter dem Ansatz der Interkultur? sich immer nur dann weiter, wenn sie Impulse von au- auszuhandeln, wie diese Erwartungen erfüllt werden nalen Foren, die wir als Ministerium im letzten Jahr in Erst mal beschreibt er eine demografische Realität. ßen erhalten und wenn sie sich austauschen. Und weil können. Und es geht darum, sie mit ihren Erfahrungen unterschiedlichen Städten ausgerichtet haben, eines Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten, ins- das immer schon so war, gibt es auch keine klaren kul- und Lebenswelten vorkommen zu lassen. Denn junge gelernt: Der Ansatz der Interkultur funktioniert, wenn besondere in den letzten Jahren, immer bunter und in- turellen Grenzen oder Zuordnungen. Menschen, die hier aufgewachsen sind und sich für Aufnahmegesellschaft und Migrant*innen miteinan- ternationaler geworden. Allein in Braunschweig leben Kulturen sind immer hochgradig miteinander verfloch- den IS rekrutieren lassen, Menschen mit türkischen der, statt übereinander reden und wenn wir erkennen, fast 60.000 Menschen aus über 150 Nationen. Inzwi- ten und nie statisch, sondern immer in Bewegung. Die Wurzeln, die seit Jahrzehnten hier leben und trotzdem dass beim Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen schen hat jede fünfte Person, die in Deutschland lebt, Idee einer Leitkultur ist deshalb nicht nur ein politischer glauben, dass Herr Erdogan ihre Interessen besser ver- nicht nur Divergenzen, sondern immer auch Anschluss- einen sogenannten „Migrationshintergrund“. In West- Irrweg, sondern auch völlige Illusion. Kunst und Kultur, tritt, als Frau Merkel, Herr Schulz oder Herr Steinmeier, möglichkeiten bestehen. deutschland gilt das für jede vierte Person, bei den Kin- die Kulturpolitik und die Kultureinrichtungen haben zeigen was passiert, wenn man das nicht tut. dern unter fünf Jahren bereits für gut ein Drittel. Das eine ungemein wichtige Bedeutung: Denn Kunst und Wir versuchen hier in Niedersachsen aus den Fehlern alles ist aus der Perspektive der Menschheitsgeschich- Kultur können diesem Austausch, dieser gegensei- der Vergangenheit zu lernen. Alleine für die in Nie- te ziemlich gewöhnlich, denn unsere Geschichte war tigen Befruchtung, einen Ermöglichungsort anbieten. dersachsen gestrandeten Flüchtlinge stellen wir in immer schon eine Geschichte der Migration. Dass Ar- „Interkultur“, „Transkultur“, „Cross Culture“, all diese meinem Haus in den kommenden Jahren jährlich über mut und Krieg die treibenden Kräfte solcher Migration Begriffe beschreiben eben diesen Austausch, diese 50 Millionen Euro zur Verfügung: Für Sprachkurse, für sind, ist übrigens auch nicht neu. Durchmischung und diese gegenseitige Befruchtung. Grundbildungskurse und den zweiten Bildungsweg, Ein Blick in die Geschichte macht ebenfalls deutlich: Diese neuen Ansätze sind auch die Antwort auf eine und eben für den Bereich Kultur. Und wir unterschei- Dort, wo es zu einem Austausch auf Augenhöhe in Deutschland, und nicht nur hier, über Jahrzehnte den beim Zugang zu unseren Maßnahmen übrigens kommt, entwickelt die Migration immer positive Kräf- falsch verstandene Vorstellung einer Integrationspoli- nicht nach Herkunftsland oder Aufenthaltsstatus. te. Dort wo Kulturen sich gegenseitig durchdringen, tik, die das Anpassen, das „Assimilieren“ zum Ziel hat- In der Kultur fördern wir Projekte zur Integration für schaffen sie permanent Neues. „Partizipation“, „Diver- te und die die Integrationsleistung ausschließlich bei Flüchtlinge. Wir finanzieren dreimonatige Praktika, sität“, „Interkultur“ oder „Transkultur“ sollten deshalb den Zugewanderten, nicht aber bei der Aufnahmege- einjährige Stipendien, ein FSJ Kultur für Flüchtlinge selbstverständliche Leitlinien jeder Kulturpolitik zu sellschaft gesehen hat. Kunst und Kultur haben dabei und wir fördern Ausbildungs- und Arbeitsplätze, denn jeder Zeit sein. Diese positiven Effekte der gegensei- in der Vergangenheit keine Ausnahme gemacht. Im Kultur ist auch ein großer Arbeitgeber. Wir sind jeden- tigen Durchdringung sind so stark, dass sie selbst unter Gegenteil: Gerade unsere Kultureinrichtungen, allen falls der Überzeugung, dass es die Aufgabe von lan- schwierigen Bedingungen Wirkung entfalten. voran die großen Einrichtungen wie Theater und Mu- desgeförderten Kulturinstitutionen ist, interkulturell Bei allen Defiziten und allen Fehlern, die wir als Auf- seen, stehen symbolhaft für das Versagen kultureller zu denken, zu handeln und zu arbeiten; und wir sind nahmegesellschaft in Sachen Teilhabe und Chancen- Teilhabe. Und in Sachen Öffnung der Häuser für brei- der Überzeugung, dass sich gerade Kunst und Kultur gleichheit gemacht haben - und immer noch machen: tere Schichten, auch für Migrantinnen und Migranten, in besonderem Maße als Aushandlungsort eignen, zur Einwanderung hat unser Land bereichert, sie hat unse- gibt es noch viel zu tun. Denn in der Praxis wird kul- Beantwortung der Frage, wie wir miteinander leben re Gesellschaft verändert, und sie hat sie weltoffener turelle Teilhabe immer noch allzu häufig als Kulturver- wollen. Schließlich ist es das Wesen der Künste, ande- gemacht. Nicht zuletzt die breit getragene zivilgesell- mittlung im Sinne eines vertraut Machens mit dem re Perspektiven einzunehmen und dem vermeintlich schaftliche Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen bestehenden, tradierten Kulturbetrieb und seinen Fremden Raum zu geben. zeigt, dass unsere Gesellschaft Einwanderung endlich Angeboten verstanden. Partizipation ist aber kein In- Ich wünsche diesem Kongress, dass er Antworten Gabriele Heinen-Kljajić als Herausforderung annimmt, auch weil sie darin eine strument, die Vormachtstellung der Kultur der Aufnah- findet auf die Fragen: Wie finden die Bedürfnisse der Niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur Chance sieht. Diese Chance mag sich auch volkswirt- megesellschaft gegen eingewanderte Kulturen abzu- Migrant*innen, ihre Biographien, ihre Lebenswelt bis November 2017 ung
ffn Erö 12 | Grusswort | Caren Marks | 13 Grusswort Caren Marks Sehr geehrte Damen und Herren, turkreisen kommen, ist kein Selbstläufer. Damit dieser Geflüchteten und Neuzugewanderten verlangen, lei- Rahmen für einen lockeren Austausch. Und auf der De- Schritt gelingt, brauchen wir Integrations- und Sprach- der auch für manche aus unserer Mitte keine Selbst- mokratie-Konferenz, die vor zwei Wochen im Braun- I. Ich freue mich, heute hier in Braunschweig zu sein, kurse, Angebote zur Nachqualifizierung, Arbeits- und verständlichkeit mehr sind. schweiger Rathaus stattfand, sind mit Sicherheit neue einer Stadt, in der Interkulturalität gelebt wird, ge- Ausbildungsplätze. Und wir müssen den Menschen, Weil das Vertrauen in unsere Demokratie sinkt und Ideen für Projekte geboren worden, die bald unsere stern und heute. Ein Beleg dafür ist der Interkulturelle die dauerhaft bei uns bleiben wollen, offen sagen, was sie angegriffen wird. Einige von Ihnen haben das wo- Demokratie stärken werden. Stadtplan der Stadt. 1971 wurde in Braunschweig der wir als Gesellschaft von ihnen erwarten: Die Achtung möglich schon erlebt. Übergriffe auf Minderheiten, Diese Beispiele zeigen in ihrer Vielfalt, worum es geht: städtische Arbeitskreis für die Probleme ausländischer unserer Gesetze, die Akzeptanz zentraler Werte wie Geflüchtete und Engagierte nehmen zu, ob auf der Wir müssen Demokratie leben! Vor Ort, ganz konkret. Arbeiter gegründet. Er war von Anfang an zu 50 Pro- Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und die Gleichbe- Straße, im Sportverein oder im Einkaufsladen. Dem Diese Botschaft werden wir in den kommenden Wo- zent mit Migrant*innen besetzt. 10 Jahre später rich- rechtigung von Frau und Mann. Aber das alleine macht müssen wir uns klar und entschieden entgegenstellen. chen unter dem Motto „Wer, wenn nicht wir?“ in die tete der „Förderkreis für ausländische Arbeitnehmer“ noch keine erfolgreiche Integration. Vieles fängt im Wir müssen uns fragen: In was für einem Land wollen Fläche tragen: mit Plakaten, auf Litfaßsäulen, in der eine „Einschulungshilfe für ausländische Kinder“ ein. Kleinen an, im Dialog, wenn Menschen auf andere wir leben? Ich will in einem weltoffenen Land leben, Online-Kommunikation, denn Demokratie ist keine Dort wurden die Kinder auf den Schulbesuch vorberei- Menschen zugehen, ihnen die Hand reichen und ihnen in dem alle Menschen frei und gleich an Würde und Selbstverständlichkeit. Sie ist nicht einfach da. Demo- tet und lernten die deutsche Sprache. Aus der Einschu- auf Augenhöhe begegnen. Indem man sich im Fami- Rechten sind, in dem sie miteinander solidarisch sind. kratie ist eine Mitmachveranstaltung. Sie lebt davon, lungshilfe entwickelte sich ein Nachbarschaftsladen, lien- oder Kulturzentrum mit den Kindern begegnet, In dem kulturelle Vielfalt gelebt und geschätzt wird. dass Menschen sie jeden Tag mit Leben füllen, für sie den es bis heute gibt. gemeinsam kocht, musiziert oder über die Fußballer- Wir dürfen nicht hinnehmen, dass diejenigen Zulauf aufstehen und sich einbringen, um unser Land vielfäl- Das sind nur zwei Beispiele von vielen. Aber sie zeigen: gebnisse diskutiert. bekommen, denen genau das ein Dorn im Auge ist und tiger, toleranter und gerechter zu machen. Vor Ort wurde schon früher viel für die Integration und Vor Ort entscheidet sich, ob wir ein gutes Miteinander die unsere offene Gesellschaft bekämpfen. den interkulturellen Dialog geleistet. Diesen Gestal- zwischen Neuzugewanderten und hier lebenden Men- V. Das ist auch ein Ziel dieses Kongresses. Menschen tungswillen und diese Einsatzbereitschaft brauchen schen schaffen. Die meisten wünschen sich genau das. IV. Kulturelle Vielfalt geht nicht ohne interkulturellen aus den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen wie der wir auch heute. Wir haben eine breit aufgestellte Niemand verlässt seine Heimat aus freien Stücken. So Dialog. Mit unserem Bundesprogramm „Demokratie kulturellen Bildung, der Jugendarbeit, aus Bürgerbüros, Zivilgesellschaft, Menschen, die sich für andere stark wie die 19-Jährige Doaa aus Syrien. Zuhause war sie leben!“ wollen wir diesen Dialog stärken. „Demokratie Integrationsbeiräten, Kulturvereinen, Stadtteilbüros, machen. eine gute Schülerin und wollte studieren. Bis sie mit leben!“ unterstützt Initiativen, Vereine und engagierte Bürgerinitiativen und Verbänden, sind hier heute mit Sie, die zu diesem Kongress heute nach Braunschweig ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg nach Ägypten fliehen Bürgerinnen und Bürger, die sich für ein vielfältiges, ge- dabei. Sie finden hier einen guten Rahmen, um sich gekommen sind, sind der beste Beweis. Sie setzen sich musste. Dort lebten sie am Rande der Gesellschaft. waltfreies und demokratisches Miteinander einsetzen, auszutauschen und gegenseitig von den Erfahrungen für den interkulturellen Dialog ein. Sie stehen für ein Eine Zukunft, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz auf allen Ebenen: im Bund, auf der Ebene der Länder und und Kompetenzen, die Sie alle in Ihren Arbeitsbe- vielfältiges, weltoffenes Miteinander in unserem Land, gab es für sie nicht. Aber genau das wollte sie für sich Kommunen. Vor Ort fördern wir lokale Partnerschaften reichen gesammelt haben, zu profitieren. Und um Ihre in Ihrer Nachbarschaft, im Freundeskreis, im Ehrenamt, und ihre Familie: eine Zukunft. Also kratzte sie alles für Demokratie. Gut 260 gibt es bundesweit bereits, Erfahrungen und Ihr Know-How zusammenzuführen. auf der Arbeit. Schön, dass Sie gekommen sind. Geld zusammen, was sie hatte und machte sich auf auch hier in Braunschweig. Gerade diese lokalen Part- Ich freue mich auf Ihre Ergebnisse. den Weg nach Europa. Auf der Flucht wäre sie beina- nerschaften zeigen eindrucksvoll, wie vielfältig der Ein- In der Dokumentation des letzten Kongresses habe II. Auch wenn das Thema Flucht in den Medien derzeit he gestorben, als ihr Boot im Mittelmeer unterging. satz für unsere Demokratie ist und wie wichtig. ich Folgendes gelesen: „Wollen wir aber gemeinsam nicht mehr so präsent ist: Es kommen noch immer Sie konnte sich selbst und ein kleines Mädchen retten, Mir gefällt zum Beispiel die Initiative Welcome Dinner. wachsen und vorankommen, können wir nicht ständig Menschen zu uns. Jeden Monat, jede Woche, jeden Tag. das ihr von deren Mutter übergeben wurde. Die Mut- Braunschweigerinnen und Braunschweiger öffnen ihr einen Bogen um die verminten Felder machen, sondern Ohne die vielen haupt- und ehrenamtlich Engagierten ter verließen die Kräfte – sie konnte nicht mehr weiter Zuhause und laden neuzugewanderte Menschen zum müssen die Minenfelder räumen.“ Darum geht es heute, wäre es uns in den letzten beiden Jahren nicht so gut schwimmen und ertrank. Doaa will jetzt ihren Weg bei Essen ein. Jeder, der gerne kocht und Platz an seinem morgen und übermorgen. Lassen Sie uns in den Dialog gelungen, die Menschen, die zu uns geflüchtet sind, zu uns in Europa weitergehen. Tisch frei hat, kann mitmachen. Auch junge Menschen treten. Über die Aufgaben, die vor uns liegen, und über versorgen und unterzubringen, mittlerweile sind wir Sie will sich integrieren, die Sprache lernen und studie- bringen sich ein. Der Jugendring Braunschweig hat im die richtigen Lösungen. gut aufgestellt. Die Erstversorgung funktioniert und ren. Sie will die Chance, die sich ihr bietet, nutzen. Wir letzten Jahr zusammen mit anderen Verbänden aus der Ich wünsche Ihnen einen interessanten, vielfältigen die Notunterkünfte leeren sich. Auf den ersten Schritt, sind in der Verantwortung, sie und die vielen anderen Zivilgesellschaft und mit geflüchteten Jugendlichen Austausch, gute Impulse und facettenreiche Kultur- die Ersthilfe und Versorgung, muss aber der zweite Geflüchteten dabei zu unterstützen. im Jugendschutzhaus Neustadtmühle ein Kulturfest beiträge. Schritt folgen: die Integration. Wir wissen: die Integra- III. Und wir haben die Verantwortung, sie zu schützen, veranstaltet. Musik und internationale Gerichte, die tion von Menschen, die mehrheitlich aus anderen Kul- weil die Werte, deren Anerkennung wir von zu uns viele Jugendliche selbst gekocht hatten, bildeten den Vielen Dank! Caren Marks, MdB g MdB Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundes- n ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fnu
ffn Erö 14 | Kurzgeschichte | Sharon Dodua Otoo | 15 Die Entdecker oder die Entdeckten: Was kam zuerst? Eine literarische Antwort für Menschen ohne Migrationshintergrund Eine Kurzgeschichte von Sharon Dodua Otoo Yaa hatte sich verkleidet. Heute wollte sie losziehen, Eltern redeten darum mit ihm besonders gern. „Welche Gruppe?“ fragte Karin nach einigen Sekun- setzt. Das Lachen der Kinder ihrer Klasse klang jetzt um die Antwort auf eine große Frage zu suchen. Eine „Menschen wie ich, werden immer nur entdeckt,“ ant- den. „Ich rede von den Entdeckern und den Entdeckten schon in ihren Ohren. Sie würden sich Montag in der er- Frage, der sie wohl nur im Raumanzug nachgehen wortete Yaa. „Ich möchte auch mal entdecken. Wollen – was kam zuerst? Das ist die Frage, die ich den Leuten sten Stunde über ihre seltsame Lebensgefährtin noch konnte. wir das nicht letztendlich alle?“ stellen möchte.“ „In Niedersachsen?“ erwiderte Karin. mehr lustig machen, als sie es ohnehin schon taten. „Raumanzug – ernsthaft?“ Karin verdrehte die Augen. Karin legte ihren Stift zur Seite, lehnte sich zurück in „Das wird sowas von in die Hose gehen ...“ während sie Um von den Kolleg*innen ganz zu schweigen. „Frau „Ich muss mich schützen,“ antworte Yaa, als würde die ihrem Stuhl und fixierte Yaa. „Das ist dein Anliegen?“ verstummte, schüttelte sie den Kopf. sieht sich,“ winkte Yaa zum Abschied und fuhr los. Aussage ohne weitere Erklärung Sinn ergeben. „Ich stammelte sie. „Du weißt, es ist inzwischen 2017?“ „Wollen wir mal sehen,“ antwortete Yaa – und packte Vom Raumschiff aus hatte Yaa die nötige Distanz, um fahre auf eine Entdeckungsreise!“ Sie platzte fast vor „Darum geht es aber immer noch,“ antwortete Yaa. ihre selbstgebastelte Fahne in ihren Rucksack ein. Na- bestimmte Phänomene genauer erforschen zu kön- Stolz. Denn, je mehr Yaa in den Tagen zuvor darüber „Ihr Linken, ihr streitet euch immer über Genderthe- türlich wusste Yaa, dass es draußen vor ihrer Haustür nen. Sie würde erst den richtigen Ort aussuchen, dann nachgedacht hatte, desto besser hatte ihr die Idee von men, oder Rassismus oder Klassismus. Identität und fortgeschrittene Zivilisationen gab. Ethnien, die in die Fahne hissen, und anschließend die Reaktionen der künstlerischen Intervention gefallen. Als Karin end- Privilegien und so. In Wahrheit gibt es eigentlich nur gut funktionierenden politischen Systemen organi- der Vorbeigehenden beobachten. Natürlich würde sie lich verstand, dass ihre Frau mit dem Anzug auf die zwei Gruppen in dieser Welt: die Entdecker und die siert waren und Zugang zu Handel und Medizin und auch versuchen, mit den Eingeborenen Yaalands ins Straße gehen wollte, schreckte sie hoch. Entdeckten.“ „Ich habe keinen blassen Schimmer, wo- Wissenschaften und sogar W-Lan hatten. Sie wusste Gespräch zu kommen. Es war allerdings gut möglich, „Bitte nicht,“ meinte sie. „Oder zumindest nicht hier. von du redest ...“ auch, dass es ganze Bevölkerungen gab, die sich liebten dass die Aktion vielen von denen nicht gefallen würde. Nicht in Braunschweig.“ Es war noch nicht genug Zeit Karins linkes Auge fing an zu zucken. Yaa merkte das oder sich bekriegten je nach Fußballspiel-Ergebnis. Es Bei der letzten Intervention hatte Yaa sogar eine Anzei- vergangen, seit Yaas letzter Intervention. Karin wurde aber nicht und redete einfach pausenlos weiter. „Neh- gab auch Bildung, Kunst und Kultur – richtig schöne ge erhalten, wegen Ruhestörung. Obwohl sie nicht als von den Eltern an der Schule, wo sie Kunst unterrichte- men wir als Beispiel diese völlig verzerrte und unnötige Sachen. Dennoch, obwohl es „inzwischen 2017“ war, Erste geschrien hatte. Es war keine gute Idee gewesen, te, gelegentlich immer noch darauf angesprochen. Obsession mit dem Thema Migration.“ „Obsession?“ hatten die hiesigen Eingeborenen es noch immer nicht mit dem Polizisten in Streit zu geraten. Sie saß wirklich Doch Yaa war gedanklich schon ganz woanders. Sie „Klar!“ Yaa stand auf und fing an, im Zimmer auf und geschafft, einen menschenwürdigen Umgang mit Mi- einige Stunden lang danach in der Zelle, bis Karin sie hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie ab zu gehen. Was nur mäßig gut klappte, weil sie mit gration – oder gesellschaftlicher Vielfalt überhaupt – nach der Schule abholen konnte. Diesmal würde Yaa das Ganze ablaufen sollte. Yaa würde das Gebiet, das dem Raumanzug nicht überall zwischen den Möbeln hinzubekommen. Das fand Yaa bedauerlich und wollte einfach ruhig bleiben. Nicht mehr als unnötig provo- sie bald in Beschlag nehmen würde, nach sich selbst durchkam. deswegen ihren eigenen kleinen Beitrag dazu leisten, zieren. Sie hielt kurz an, schrieb ihre Gedanken in ihr benennen. Sie fand das kein bisschen egozentristisch. „Du weißt doch, es geht selten um Migration im ei- diesen Missstand zu ändern. Schwarz-Rot-Gold-Notizbuch auf, und fuhr weiter. „Bis Cecil Rhodes hatte es seinerzeit schließlich vorge- gentlichen Sinne, sondern meist nur um die Migrati- „Starte dort, wo du stehst. Benutze das, was du hast. zum Ende des Tages habe ich meine Antwort,“ lachte macht. Der Name Yaadesia würde aber nicht gehen. on ganz bestimmter Menschen aus ganz bestimmten Tu das, was du kannst,“ proklamierte sie – und zog los. sie. „Klingt eher wie ein Freizeitpark,“ gab sie zu. „Oder wie Gebieten – denen es vermeintlich angesehen werden Gerne wäre sie in dem Moment eigenständig und wür- Während sie weiterfuhr, meinte Yaa den Ort, den sie eine chronische Krankheit,“ grummelte Karin. Immer kann, dass sie nicht deutsch sind ...“ devoll durch die Wohnungstür hinausgegangen, doch suchte, am Horizont erkennen zu können. Land in Sicht! wenn sie ihren Unterricht vorbereiten musste, fing sie Yaa hatte natürlich recht, Karin wusste aber aus bit- die war viel zu schmal und deswegen war Yaa auf Ka- Oder, wie Yaa kurzerhand daraus machte, „Deutsch- früher oder später an, über Gesundheitsprobleme zu terer Erfahrung auch, dass es jetzt besser wäre, still rins Hilfe angewiesen. Karin verdrehte die Augen noch land in Sicht“. An jenem fernen Ort, dem Yaa natürlich reden. zu bleiben. „Obwohl alle wissen, dass es seit Jahrhun- einmal, begleitete sie schließlich doch von der Woh- jetzt entgegensteuerte, gab es noch Ungerechtigkeit „Die Vereinigte Staaten von Yaa klingt etwas hoch- derten Einwanderung überall auf der Welt gibt, der nung bis zum Treppenhaus, und dann half Karin ihr und Konflikte – sogar leider noch Diskriminierung. Das gegriffen in meinen Ohren.“ „Definitiv,“ nickte Karin, Diskurs darüber wird hier immer noch geführt, als wäre auch durch die Flügeltüren im Erdgeschoss, damit Yaa spürte sie einfach. ohne von ihren Unterlagen hochzuschauen. sie etwas Neues.“ zum Hinterhof gelangen konnte. Yaa merkte nicht, wie Jedoch waren die Menschen, die an jenem Ort lebten, „Yaaland!“ rief Yaa nach einigen Minuten. „Reimt sich Yaa setzte sich wieder hin und schaute Karin direkt schlecht gelaunt Karin war – dafür war der Himmel zu in der Lage, konstruktiv und empathisch miteinander mit Saarland – das gefällt mir!“ Karin schloss die Augen an. „Warum haben wir nie das Wort „Entdecker-Kri- offen, die Sonne zu freudig, die Stimmung insgesamt umzugehen. Wenn eine Person Unrecht tat, blieb der und hielt kurz inne. Von allen Ideen Yaas war dies ein- se“ gehört? Erklär‘ mir das bitte mal!“ Karin schwieg viel zu leicht. Es war ein wunderschöner Tag, um auf Fokus auf der Wirkung ihrer Handlung und nicht auf deutig die Absurdeste. „Warum machst du das?“ Karin weiterhin. Was eine gute Entscheidung war, weil Yaa Entdeckungsreise zu gehen. der Intention. Es gab leider immer noch ungleichen Zu- wusste nämlich jetzt schon, dass sie am Montag Ärger sich sowieso nur abreagieren wollte. „Doch die ent- Yaa stieg in ihr Raumschiff ein. Oder eigentlich auf. gang zum Arbeitsmarkt, zum Gesundheitssystem und bei der Arbeit bekommen würde. Herr Torberg wollte scheidende Frage ist nicht mal das,“ Yaas Stimme klang Wenn wir wirklich genau sein wollen, stieg sie auf ihr zur Bildung. Jedoch wurde auf allen Ebenen jener Orga- sich als neuer Schulleiter gegenüber den Eltern bewei- allmählich etwas sanfter. „Die wirklich entscheidende Fahrrad und zog das Raumschiff über den Anzug an. nisationen Beteiligung von Menschen aus unterreprä- sen. Er nahm darum deren Sorgen besonders ernst. Die Frage ist: Welche Gruppe kam zuerst?“ „Du hast ein Raumschiff gebastelt?“ Karin war ent- sentierten Gruppen ermöglicht. Es wurde anerkannt,
16 | Kurzgeschichte | Sharon Dodua Otoo Kurzgeschichte | Sharon Dodua Otoo | 17 dass Prozesse der Veränderung langatmig sein können. solchen eher seltsamen Vorhaben locker umgehen. nander und sortierte die Plastik und Papierstücke in die neu zu erkunden. Aber dann dachte ich – nee, du bist Individuen wurden ermutigt, kritikfähig zu werden, „Warum aber soweit weg? Es gibt doch genug hier zu verschiedenen Container. Die künstlerische Interventi- natürlich Entdeckte, weil – wie du gesagt hast – egal um handlungsfähig zu bleiben. Die Grundstimmung entdecken.“ „Das was ich suche, gibt es hier nicht.“ on war vorbei, Karin würde sich freuen. Yaa schloss ihr was du machst, deine Geschichte und deine Kultur der Bevölkerung, optimistisch; die Orientierung der Po- „Das glaube ich nicht. Was suchen Sie denn?“ Fahrrad ab und war dankbar, dass es den ganzen Rück- stets als etwas völlig Neues präsentiert wird. Oder litik, menschlich. Und als Yaa die Humboldtstr. entlang Yaa sah die Person genauer an. Sie hatte nämlich nicht weg nach Hause nicht geregnet hatte. nicht? Dann dachte ich aber, Menschen die entdeckt fuhr, fiel ihr ein, dass „Yaastraße“ auch etwas hatte. damit gerechnet, dass diese Person auch Fragen stellen Vielleicht ist es ihr nur so vorgekommen, aber Yaa werden, sind doch auch Entdecker – sie haben es nur Nach einiger Zeit sprach sie eine Person an. Na ja, sie würde. Einheimische hatten in der Regel ruhig zu sein meinte, erkannt zu haben, dass der Himmel sich ver- zuerst gemacht. Also was kam denn deiner Meinung räusperte sich eher. Es war ziemlich anstrengend, die und Forschung über sich ergehen zu lassen. Kolumbus dunkelt hatte, nachdem die Person, mit der sie gespro- nach zuerst?” ganze Zeit im Raumanzug plus Raumschiff zu fahren. hätte sich sicherlich mit sowas nicht herumschlagen chen hatte, ebenfalls nach Hause aufgebrochen war. „Ach,“ sagte Yaa. „Dadurch, dass ich weiblich bin, fühle Yaa war dankbar, dass sie mal stehen bleiben konnte. müssen. Yaa überlegte, wie sie mit dieser unerwar- „Hallo Käpt’n!“ rief Karin, als Yaa die Wohnungstür auf- ich mich sowieso nicht von den Kategorien angespro- „Guten Tag,“ sagte Yaa. „Ich möchte Ihnen ein Paar teten Situation umgehen sollte. Sie überlegte, ob sie schloß. „Ich habe fest damit gerechnet, dass du mich chen.“ „Da hast du auch wieder recht,“ stimmte Karin Fragen über diese Gegend stellen. Haben Sie kurz erwähnen sollte, dass sie letzte Woche eher zufäl- irgendwann anrufst, und mich bittest, dich von irgend- zu. Zeit?“ „Ich bin aber nicht aus Nordstadt,“ antwortete lig den Fernseher angemacht hatte, und sah, wie ein wo abzuholen.“ Karin lachte, als Yaa das Wohnzimmer „Aber,“ sagte Yaa nach einigen Momenten der Stille, die Person. Das war nicht unfreundlich gemeint, war Mann, vom Beruf her Pilot, vom Tod seiner Kleinfamilie betrat. Yaa lächelte nachdenklich zurück. „ich weiß wie die Einheimischen Yaalands heißen wür- aber schon etwas fantasielos. Yaa überlegte wie die berichtete. Seine Frau, seine dreijährige Tochter und „Alles ok?“ Yaa setzte sich hin und nickte. „Doch,“ sagte den, sollte ich jemals eine Kolonie gründen.“ „Wie wür- Entdecker damals in einer ähnlichen Situation reagiert sein einjähriger Sohn waren alle am Tag zuvor im Mit- sie. „Alles blendend. Allein, ich bin nicht dazu gekom- den sie heißen?“ hätten, und konterte: „Für meine Zwecke ist das ein telmeer ertrunken. Er hatte erzählt, dass er das Wort men, der Bevölkerung meine eigentliche Frage zu stel- unerhebliches Detail.“ „Familienzusammenführung“ auswendig konnte; er len.“ „Yaasager!“ Und somit wurde die Person zur Ureinwohnerin. Ihre kannte das Wort „erfolgreich“ nicht. Karin hatte inzwischen die Unterrichtsvorbereitungen Frisur „typisch“, ihre Kleidung „authentisch“, ihre Aus- Und Yaa wunderte sich über die vielen verschiedenen fertig und war jetzt am Malen. Klassische Musik lief im sprache „repräsentativ.“ Die Sonne schien der Person Menschen, denen dieser Mann bestimmt begegnet Radio. Das Zimmer roch nach Ölfarben, Terpentin und direkt in die Augen, Yaa bemerkte das aber nicht. Wahr- war. Menschen, die alle ihren kleinen Beitrag zum Tod Kaffee. Sie arbeitete einfach und vertraute darauf, dass scheinlich weil sie noch immer ihren Helm auf hatte, der Familie geleistet haben, in dem sie im falschen Mo- Yaa weiter erzählen würde, wenn sie soweit war. Yaa und die Blendung nicht selbst mitbekam. ment „nein“ gesagt hatten. Yaa hatte die Stimme des betrachtete Karins Bild und beruhigte sich. Karin war „Die Menschen hier schauen etwas grimmig,“ notierte Mannes nicht hören können, denn seine Worte wurden in vielen Aspekten nicht wie Yaa. Yaas Eltern und Groß- sie jedoch später in ihr Logbuch. „Vorsicht ist geboten.“ mit Hilfe einer Dolmetscherin übertragen. Aber die Au- eltern kamen alle aus Braunschweig und haben immer „Meine erste Frage: Wie komme ich am besten dort- gen. Yaa konnte seine Augen nicht vergessen. Voll und nur dort gelebt. Karins Mutter hingegen, war zwar in hin?“ Yaa zeigte zum Ort am Horizont. In Yaas Wahr- tief und blau wie ein Ozean. Die Idee für die Interventi- Berlin aufgewachsen, aber in Oslo geboren. Und Karins nehmung schimmerte und glänzte er, als bestünde er on ist ihr in derselben Nacht gekommen. Vater, der in Frankfurt geboren war, hat eigentlich fast aus Diamanten. „Ich suche einen Ort, an dem Menschen keine Angst sein ganzes Leben in New York gelebt. Karin malte ab- Die Person schielte, gab aber nach wenigen Momenten haben,“ antwortete Yaa, wohlwissend, dass sie durch strakte Bilder, immer wieder Variationen mit den Far- zu, „Ich sehe nichts. Was ist da?“ Es stimmte, dass der die Begegnung mit dieser Person vielleicht doch schon ben schwarz, rot und gelb. Ort weit entfernt lag. Sehr weit entfernt. Dennoch war angekommen war. „Also,“ sagte Karin, irgendwann nachdem einige Minu- er erreichbar und absolut erkennbar. Warum konnte „Starte dort, wo du stehst,“ antwortete die Person. ten vergangen waren. „Die Frage hast du nicht beant- die Frau ihn nicht sehen? Und Yaa bekam große Augen – woher kannte sie die- wortet.“ „Welche Frage?“ „Die Entdecker-Frage.“ „Das ist der Ort, den ich entdecken möchte,“ antwor- sen Spruch? „Hatte ich doch gesagt, dass ich keine Antwort hatte.“ tete Yaa schließlich. Sie rechnete damit, dass die Person „Komm,“ nickte die Person, „Ich begleite dich ein biss- „Aber du warst gerade echt lange unterwegs. Gab es entweder loslachen würde, oder spätestens jetzt sich chen.“ Und sie liefen zusammen los. Einige Stunden nicht mal Ansätze von Ideen?“ Karin machte eine Pau- von ihr abwenden würde. Aber offenbar konnte eine später radelte Yaa nach Hause, ihr Kopf schwer mit den se und schob sich die Haare aus dem Gesicht. „Zum Person, die kein Problem hatte, mit einer im Raum- ganzen neuen Informationen. Im Hinterhof nahm sie Beispiel, ich habe gedacht, vielleicht bist du Entdecker Sharon Dodua Otoo schiffanzug angezogenen Frau zu sprechen, auch mit bedächtig ihr Raumschiff und den Raumanzug ausei- ... du bist ja schließlich losgezogen, um deine Heimat Autorin ung ffn rö
18 | Thesen | Heribert Prantl Thesen zum Vortrag Heimat in flüchtigen Zeiten. Von Heribert Prantl 1. „Wir schaffen das“: Eindreiviertel Jahre nach Merkels so einseitig, so gegenläufig ist, ist Europa keine runde 14 Buchstaben ist die Gesellschaft zerrissen, sie ist par- Sache. Die Migration in Eur0pa sollte keine Not-Migra- tiell schwer verängstigt. Eine Politik der 15 Buchstaben tion sein, keine, die man wagt, weil man dazu gezwun- wäre jetzt notwendig: "Entängstigt euch!" Das funk- gen ist, wenn man einigermaßen überleben will. Die tioniert nur auf der Basis einer Leitkultur, die auf den Migration innerhalb von Europa sollte eine Lust-Migra- Werten des Grundgesetzes aufbaut. Und das funkti- tion sein: also eine, die man nicht macht, um existieren oniert nur dann, wenn sich die Menschen beheimatet zu können, sondern eine, die man macht, um sich zu und geschützt fühlen. Dann haben sie Kraft, selbst qualifizieren, um seine Lebenschancen zu mehren. und Schutz zu geben. Jeder zehnte Deutsche engagiert sich auch deshalb, weil man sich nicht nur als Grieche, als ehrenamtlich, zumindest gelegentlich, für Flüchtlinge. Italiener, als Pole oder Rumäne fühlt, sondern auch als Immer noch und trotz alledem. Das ist außergewöhn- Europäer – weil einem Europa zur zweiten Heimat ge- lich; das ist spektakulär. Das kommt im politischen All- worden ist oder wird. tag viel zu kurz; der politische Alltag ist zu sehr fixiert 5. Hauptaufgabe der Sozialisation in einem Einwande- auf AfD und Co. rungsland Deutschland wird es sein müssen, Hetero- 2. Der Raum ist kleiner geworden, in dem Mitgefühl und genität als Normalität nicht nur zu ertragen, sondern Hilfsbereitschaft zum Zuge kommen. Wenn Flüchtlin- zu akzeptieren und zu respektieren. Es geht nicht nur ge öffentlich immer öfter der Kategorie potenzieller um Toleranz, es geht um Respekt voreinander. Verbrecher und Terroristen zugeordnet werden, wird 6. Migration darf nicht zu andauernder Entwurzelung aus dem Willen zur Hilfe Widerwille; die Verantwor- führen, nicht zur Heimatlosigkeit. Das Bedürfnis nach tung wird abgeschüttelt. Es zählt nicht mehr der Ein- Beheimatung, nach Sesshaftigkeit, nach Kontinuität zelfall, sondern die Generalprävention. Das ist ein Kli- darf nicht vergessen werden. Anders gesagt: Europa ma für Abschiebung und Desintegration. sollte kein Kontinent von Flachwurzlern werden. Fle- 3. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, hieß es früher. Ist xibilität und Mobilität sind nicht Selbstzweck. Green- das wirklich noch so? Jeder ist seines Glückes Schmied? cards und Bluecards können wichtig sein; der Abbau Jeder? Überall? Ich fürchte, die alten Lebensweisheiten von bürokratischen Hürden, die die Migration erschwe- sind verbraucht, weil es das Fundament nicht mehr ren, ist wichtig. Die unkomplizierte Anerkennung von gibt, auf dem sie gewachsen sind. Junge Menschen, ausländischen Berufsqualifikationen ist auch wichtig. die in soziale Randlagen geworfen sind; junge Men- Aber: Lebens"lauf" sollte nicht zum Synonym für ein schen, die allein sind in fremder Umgebung, in fremder neues Nomadentum werden. Der Mensch braucht Hei- Sprache, in fremder Kultur; junge Menschen, die sich in mat auch in flüchtigen Zeiten. Das ist der Sinn und das einer völlig neuen Umgebung zurechtfinden müssen; Ziel von Integration sie können nichts schmieden, solange sie keinen Aus- bildungs- oder Arbeitsplatz haben. 4. Bisher ist es in Europa so: Von Norden nach Süden reist man – in Ferien, zur Erholung, zum Ausspannen, zum Genießen. Von Süden nach Norden migriert man – zum Arbeiten, um existieren zu können. So lange das Prof. Dr. Dr. h.c. Heribert Prantl g ist Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und Leiter des Ressorts Innenpolitik nun f
Sie können auch lesen