Leben, kunst und produktion wie wollen wir arbeiten? dokumentation der jahreskonferenz der dramaturgischen gesellschaft mannheim 23.- 26. januar 2014
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zeitschrift der dramaturgischen gesellschaft 02/14 leben, kunst und produktion wie wollen wir arbeiten? dokumentation der jahreskonferenz der dramaturgischen gesellschaft mannheim 23. – 26. januar 2014
editorial Sagen, was man denkt und tun, was man sagt outside the box: market w o soll man anfangen, wenn man die diesjährige dg-Jahres- konferenz zusammenfassen will? Wo aufhören? Vielleicht war es ein Spezifikum dieser Tagung, dass es keine Bottom Line, kein eindeutiges Ergebnis, keine politische Forderung über die man im Verlauf der Konferenz so ausführlich dis- kutiert habe. Mit einem Zitat aus dem alten DEFA-Kultfilm Spur der Steine: »Wichtig ist nur eines. Man muss sagen, was man denkt und tun, was man sagt.« 5 –7/jun oder gar ein künstlerisches Manifest gab. Vielleicht steht am Ende die einfache, aber deswegen noch lange nicht über- In dieser Dokumentation finden Sie, neben einem ausführ- zeitraumexit flüssige Erkenntnis, dass weniger mehr ist. Dass wir Drama- turgen darauf achtgeben müssen, die Balance zu wahren: lichen Bericht über die Konferenz von Maren Kames, die prägnantesten Vorträge von Niko Paech, Axel Haunschild mannheim zwischen künstlerischem Gestaltungswillen, Angestellten- und Ulf Schmidt sowie die auf der Konferenz vorgestellten dasein und Leitungsverantwortung, zwischen kreativer Fik- Best Practice-Beispiele aus Großbritannien und Belgien tion und institutioneller Wirklichkeit, zwischen Kunst und und die Abschlussdiskussion. Einige Eindrücke von den Leben. Oder ist das alles Work-Life-Bullshit und die Lösung zahlreichen Beiträgen der Teilnehmer geben wir skizzen- symposium liegt ganz woanders, etwa im Übergang ins digitale Zeital- ter? Am Ende dieser Konferenz schwirrte so mancher Kopf, haft in den Stichworten der Open Space-Diskussionen und einigen Randnotizen wieder. ideas und das zu Recht. Aber der Reihe nach. Wir bedanken uns bei unseren Partnern zeitraumexit und drafts Niko Paechs Eröffnungsvortrag darf als ein Glücksgriff gel- ten. Eindrücklich vermittelte der Volkswirtschaftler der dem Nationaltheater Mannheim sowie beim Verband deut- scher Bühnen- und Medienverlage für die gute Zusammen- performances Universität Oldenburg den Anwesenden, dass der moderne arbeit. Dankbar sind wir außerdem unseren Unterstützern: Glaube an stetiges Wachstum und unaufhaltsamen Fort- dem Deutschen Bühnenverein und seinem Landesverband schritt längst an seine Grenzen gekommen und ein radi- Baden-Württemberg, dem Ministerium für Wissenschaft, tryouts kales Umdenken vonnöten ist. Drei Tage diskutierten wir Dramaturgen also über die Möglichkeiten und Unmöglich- Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie der Stadt Mannheim, deren Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz die keiten eines solchen radikalen Umdenkens in zahlreichen Kulturpolitik als eine seiner zentralen Aufgaben begreift. speakers: Keynote-Vorträgen, Panels, Workshops und bei anderen praktischen Formaten. Einer der womöglich intensivs- Sein Grußwort leitet diese Dokumentation ein. jens badura, hendrik folkerts, anders ten Momente entstand im Rahmen einer Schweige-Perfor- Ihr dg-Vorstand härm, bojana kunst, torsten meyer, mance von Jochen Roller; einer der verblüffendsten beim Vergleich deutscher Arbeitsstrukturen mit flämischen und guillaume paoli, walking theory englischen. Den unbestrittenen Konferenz-Höhepunkt lie- ferte der zeitgenössische Dramatiker Ulf Schmidt. Der von www.otb-research.com ihm geforderte Übergang vom analogen hin zu einem Netz- theater (»Willkommen in Digitalien«) wurde im weiteren Verlauf der Konferenz an vielen Stellen aufgegriffen, kont- partners: rovers diskutiert und weitergesponnen; ein idealer Einstieg für den Open Space am Nachmittag desselben Tages in der von David Gonter gestalteten Work-Life-Oase im Foyer des Nationaltheaters Mannheim. Es waren drei Tage voller Ener- gie: Es wurde gedacht und getan, gesagt und geschrieben, gestritten und geschwiegen. Kaum vorstellbar, was dabei alles entstand. Am Ende der Konferenz blieb vor allem ein Wort von Ulrich gefördert durch die Khuon hängen. Ganz unscheinbar, kaum hörbar, am Rande des Abschluss-Panels mit Rolf Bolwin, Matthias Lilienthal, Barbara Mundel, Marion Tiedtke und Moderator Franz Wille hatte er es erwähnt: Es komme darauf an, die Dinge zu tun, 3
inhaltsverzeichnis 3 editorial 58 open space 7 grußwort 61 unternehmensethik – für das theater? Dr. Peter Kurz Daniel Ris 12 fische im think-tank 64 die zukunft hat schon begonnen Maren Kames Kerstin Retemeyer 17 zwischen wachstumswahn & askese: 65 das stadttheater der zukunft: bloß auf der suche nach einer neuen balance tapetenwechsel oder neubau? Niko Paech Isabelle Becker, Laura Kiehne, Viola Köster, Ines Schneider, Nele Winter 27 um der kunst willen Axel Haunschild 68 kleist - förderpreis 2014 Michel Decar mit dem Stück »Jenny Jannowitz« 33 die politische frage Franz Wille 69 neues aus den arbeitsgruppen der dg 43 auf dem weg zum agilen theater 70 die dg | impressum aus dem Vortrag von Ulf Schmidt 51 the national theatre studio- ein raum für experimente Sarah Murray 53 china plate- koalitionen für freies theater in großbritannien Ed Collier 55 jeder ist künstler. jeder ist manager, jeder ist akrobat Erwin Jans Unser Dank gilt den Gastgebern und Förderern der Konferenz: 5
grußwort des Mannheimer Oberbürgermeisters Dr. Peter Kurz Platel / und Behinderung / Geteilte Einsamkeit: Alain Die Kraft der Selbstvergessenheit: Theater a Bran dauer y / Die Kunst des Verstummens: Klaus Mari Niedergetrampelt: Bierbichler über Edath April 2014 • Heft Nr. 4 e EUR 7 / CHF 14 / www. theat erder zeit.d S ehr geehrter Herr Holtzhauer, lieber Ulrich von Kirchbach, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, Sie auch von meiner Seite ganz herzlich hier in Mannheim Veränderungsprozess in der Stadtverwaltung zu machen, den wir »Change im Quadrat« genannt haben. Der Untertitel von »Change im Quadrat« zur Jahresversammlung der Dramaturgischen Gesellschaft lautet »gemeinsam mehr bewirken«. Und diese begrüßen zu dürfen. drei Worte fassen sehr gut zusammen, worum es uns in diesem Prozess geht. Da steht als Zen- Sie sind hier in einer Theaterstadt, für die 2014 eine ganz tralwort zunächst einmal »bewirken«. Das ist eine besondere Jahreszahl ist. Denn 2014 begehen wir in Deutsch- Perspektivenveränderung, die uns weg vom Geld Peter Kurz ist Oberbürger- land 175 Jahre Kommunaltheater. Mannheim war dabei führt, weg von den Fragen: Wie viel Geld steht zur meister der Stadt Mannheim. das erste kommunale Theater. Daher ist der Zusammen- Verfügung? Für welche Institution, für welches hang von Stadt und Bühne in dieser Stadt vielleicht beson- Thema? Und auch weg von den Fragen: Wie viel wird produ- ders ausgeprägt. Die Geschichte dieses Hauses führt uns ziert? Wie viele Premieren? Wie viele Stücke? Wie viele Kin- unmittelbar in die Geschichte der Dramaturgie zurück. Der derkrippengruppen? Stattdessen führt es uns zu der Frage: von Lessing geprägte Begriff des Nationaltheaters, der mit Was bewirkt unser konkretes Tun in der Gesellschaft? Wel- einer neuen Art von Dramaturgie einherging, war als große che Wirkung wollen wir erreichen? Also nicht: Wie viel Ambition gegen das höfische Theater formuliert. Hier in Geld geben wir für das Thema »Angebote für Jugendliche« Mannheim wurde das deutschsprachige Nationaltheater aus? Auch nicht: Wie viel Output findet sich darin? Wie viele realisiert. Jugendhäuser? Stattdessen wird relevant: Wie können wir Mannheim versteht sich aber nicht nur als Theaterstadt, feststellen, dass sich Lebensperspektiven verbessern und sondern als Kulturstadt mit einer Vielfalt von Institutionen, Haltungen verändern? Was wollen wir tatsächlich errei- die alle zumindest zum Teil kommunal getragen sind. Das chen – und können wir das messbar machen? führt dazu, dass Mannheim den größten Kulturetat aller Der zweite Gedanke, der sich unmittelbar anschließt, Städte in der Größenklasse zwischen 200.000 und 500.000 lautet: Wenn wir als Stadt insgesamt Wirkungen beschrei- Einwohnern hat. Aber es macht noch keine Kulturstadt aus, ben, zentrale Ziele haben – für uns in Mannheim sind das viel Geld für diesen Bereich auszugeben. Es macht auch sieben sogenannte »strategische Ziele« – dann ist die Frage Auftreten und leuchten keine Kulturstadt aus, große Institutionen zu beheimaten. an die jeweilige Einrichtung, an die jeweilige Institution, Die entscheidende Frage ist: Was bedeuten Kunst und Kul- an den jeweiligen Fachbereich: Was ist dein Beitrag zu die- tur tatsächlich für uns? sen Zielen? Was ist dein Beitrag zu Teilhabe, Gerechtigkeit, Wir sehen Kultur als Treiber von Stadtentwicklung in Bildungsgerechtigkeit, Toleranz, bürgerschaftlicher Betei- Gisela Höhne und das Theater RambaZamba vielfältiger Dimension. Die für uns relevanten Fragen sind: ligung? Das ist die Frage, die zunächst an alle gestellt wird. Was macht überhaupt eine Stadt aus? Was ist eine Stadtge- Schnell kommen alle Beteiligten zu dem Ergebnis, dass meinschaft? Was ist Stadtidentität? Diese Fragen bewusst viele Wirkungen, die wir insgesamt erzielen wollen, in einer zu beantworten, die Antworten bewusst zu gestalten – das Stadt, in einer Gesellschaft, nicht von einer Seite allein zu ist ein kultureller Prozess. Dieser Prozess ist entscheidend verantworten sind. Das heißt automatisch, dass es, wenn für viele andere Bereiche, die wir diskutieren: Integration, ich nach Wirkungen frage, zu Kooperation kommen muss, soziale Entwicklung, wirtschaftliche Entwicklung. Das hat weil selten jemand allein eine Wirkung herstellen kann. bei uns zu der Überlegung geführt, uns um den Titel der Und deswegen ist das erste Wort unseres Untertitels ebenso europäischen Kulturhauptstadt zu bewerben. Dabei ist der von zentraler Bedeutung, nämlich »gemeinsam«. Es bedeu- Bestellen Sie jetzt ein Probeabo Grundgedanke wichtig, der hinter der Kulturhauptstadt tet, Kooperationsfähigkeit herzustellen. Das ist in einer steht: die gezielte Entwicklung der Stadt und ihres Selbst- öffentlichen Verwaltung nicht ganz banal. Weil die öffent- unter www.theaterderzeit.de verständnisses, die Gestaltung des Zusammenlebens und liche Verwaltung sich in besonderer Weise dadurch aus- oder per Telefon 030-2423688 die Art, wie Prozesse gestaltet, Debatten geführt und Ent- scheidungen getroffen werden, mit Hilfe der Kultur. zeichnet, dass sie viele Verantwortungen und viele unter- schiedliche Themenbereiche organisiert. Und es gibt kaum Die Veranstalter haben mich gebeten, in diesem Zu- eine Organisation, die solch eine Vielzahl von Produkten sammenhang und im Rahmen des Themas »Wie wollen zusammenfasst; für eine Stadtverwaltung sind das unge- wir arbeiten« auch einige Ausführungen zu unserem fähr zweihundert. Anzeige_DG_179x265_2014.indd 2 24.03.14 14:34 7
Und jetzt stellt sich die Frage: Wie komme ich aus dem aus Misserfolgen und die Diskussion über selbige als kon- Aufgabe, auch an den Grundpfeilern und Voraussetzungen raus, was die Verwaltungswissenschaft »Silodenken« nennt: struktiv erachtet wird, ist das Problem weitaus geringer als von Gesellschaftlichkeit und Demokratie zu arbeiten. Die »Ich habe mein Thema und meine Verantwortung.« Für bei uns. Worüber wir also zwangsläufig reden, ist nicht nur öffentlichen Institutionen sind gesellschaftliche Akteure übergreifende Fragestellungen müsste ich allerdings koope- über veränderte Konzepte und Strategien, wir reden über und nicht allein Dienstleister. rieren und müsste wahrnehmen, was andere an Aufgaben Kulturwandel. Das ist der Rahmen, den wir jetzt mit »Change im Qua- haben und darauf aufbauend dann zu einer neuen Art von Kulturwandel ist immer eine erhebliche Herausforde- drat« seit sechs Jahren auszufüllen versuchen. Er hat ver- vernetztem Denken kommen. rung, weil Wandel das ist, was uns Menschen am schwersten schiedene Schwerpunkte, die ich im Einzelnen aus Zeit- Zu unserem Neujahrsempfang hatten wir den briti- fällt. Das kann ich auch im Hinblick auf den Umbauprozess gründen nicht darstellen konnte. Ich hoffe, dass mein schen Stadtforscher Charles Landry für einen Vortrag ein- in den letzten sechs Jahren bestätigen. Die Kulturverände- Bericht ein Impuls für die Diskussionen über die Zukunft geladen. Landry hat den Begriff der »Creative City« geprägt. rung ist der Teil, der am längsten dauert und der entspre- Ihrer Arbeit sein kann. Ein Begriff, der auch für uns von Bedeutung ist, da wir die chend die höchste Anforderung in sich trägt. Zielvorstellung der »Kreativen Stadt« in unsere strategi- Wir sind eingestiegen mit der Erwartung, dass es schwie- schen Ziele aufgenommen haben. Bei einem Gespräch mit rig werden wird, wenn man Fachbereiche neu zuschneidet Landry wurde mir bewusst, dass zwischen »change« und und wenn man Prozesse verändert. Das schienen die gro- dem Anspruch »Kreative Stadt« ein unmittelbarer Zusam- ßen Herausforderungen. Aber sie sind es nicht. Denn wir menhang besteht. Seine These ist nämlich, dass eine der haben mittlerweile gelernt, dass dies machbar, sogar rela- Grundvoraussetzungen für eine »Kreative Stadt« das hori- tiv schnell machbar ist. zontale Denken ist. Horizontales Denken in Abgrenzung Aber eine ganz andere Dimension hatte der Umgang zum vertikalen Denken. Wenn eine Stadt nicht in der Lage mit den Fragen nach Verhaltensveränderung, nach echter ist, das zu organisieren, kann sie letztlich auch nicht die Kooperationsfähigkeit und nach der Auseinandersetzung Rahmenbedingungen für das Entfalten von Kreativität schaf- mit der eigenen Situation. August Bebel hat gesagt, die fen. Dies betrifft nicht nur die Verwaltung, sondern natür- wahrhaft revolutionäre Tat sei es, zu sagen was ist. Das ist lich auch die Stadtgesellschaft insgesamt. Insofern sind tatsächlich so. Damit überhaupt zu beginnen, einen offe- die Anforderungen »gemeinsam« und damit »horizonta- nen Diskurs herzustellen, auch innerhalb einer Organisa- les Denken« absolut zentral für die Verwaltung wie für die tion, sich offen und möglichst sachbezogen auszutauschen Stadtgesellschaft. – das ist neues, unbekanntes Land. Es sind drei Wahrnehmungen öffentlicher Verwaltung, Die Organisationssoziologie sagt, dass zwölf Jahre für die uns dazu getrieben haben, ein so umfassendes Projekt einen Kulturwandel ein sehr realistischer Zeitraum sind. anzugehen. Die eine ist, dass interessanterweise nie über Dazu kann ich sagen, dass diese Zeitspanne uns, die wir Ergebnisse gesprochen wird. Es gibt eine Ausnahme, aber den Weg selbst seit sechs Jahren gehen, als angemessen die kam nicht aus Deutschland. Das war PISA. Wir sind erscheint, denn es ist ein sehr umfassender Prozess. Diese praktisch erstmals »von außen« evaluiert worden. PISA Einschätzung teilen mit mir auch viele Mitarbeiterinnen brachte uns zum ersten Mal dazu, dass wir wirklich einen und Mitarbeiter und Personalvertretungen. öffentlichen Diskurs über die Ergebnisse von Politik und Und nun ein paar Sätze zur dritten Dimension der Ver- über die Ergebnisse von öffentlicher Verwaltung im Sinne änderung, die mir besonders wichtig ist: die gestalterische von Auswertung geführt haben. Das sind wir in Deutsch- Dimension. Es war aus dem Blick geraten, dass eine öffent- land nicht gewohnt. Vielleicht hat das mit dem Erbe des Idea- liche Verwaltung nicht allein einen Dienstleistungsauftrag, lismus zu tun, zu sagen wir wissen doch was richtig ist sondern auch einen gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag und wenn es theoretisch stimmt interessiert uns die Pra- innehat. Von dem früheren Verfassungsrichter Böckenförde xis nicht so sehr. Das ist vielleicht eine deutsche Denktra- stammt die Aussage: »Der Staat lebt von Voraussetzungen, dition. Es ist durchaus interessant, diese Haltung durch die er selbst nicht schafft.« Das ist der Verweis auf Kirche, einen internationalen Kontext herauszufordern. Und das auf Familie etc., auf wertbildende und Haltungen bildende ist zunächst einmal ein Ausgangspunkt, um zu fragen: Was Institutionen. Daraus ist teils der Schluss gezogen worden, sind überhaupt Ergebnisse? Was wollen wir erreichen? Und dass wir uns als öffentliche Verwaltung nicht um die eige- schauen wir uns Ergebnisse an und reden wir offen darüber nen Voraussetzungen für Demokratie kümmern müssten – auch über Misserfolge? In Kulturen, in denen das Lernen oder sogar dürften. Das führt in die Irre. Es ist gerade unsere 8 9
fische im think-tank Maren Kames i m Jahr 2005 begann David Foster Wallace eine Rede mit fol- gender Parabel: There are these two young fish swimming along and they happen to meet an older fish swimming the other way who Nun erzählt die Fischgeschichte von Wallace auch von der einfachen Wahrheit, dass die unmittelbarste Umgebung oft am schwierigsten in den Blick zu bekommen ist. Es braucht lachen lässt, das sei doch, wirft Paech ins Publikum, »Ihr Job, oder nicht?« Als Eröffnungsfanfare ließe sich Paechs Denkanstoß neuen Authentizitäts- und Kreativitätsimperativ. Hinter dem »unternehmerischen Selbst« und seiner dauerhaf- ten Selbstvermarktung warte das »erschöpfte Selbst«, das nodds at them and says: Morning, boys. How´s the water? And the jemanden, der einem aus anderer Richtung entgegenkommt mit der Hamburger Band Die Sterne auch so zusammenfas- einem mehr oder weniger diffusen Gefühl permanenten two young fish swim on for a bit, and then eventually one of them und die entscheidenden Fragen stellt. Auf solche diame- sen: »Wir müssen nichts so machen wie wir’s kennen, nur Ungenügens ausgesetzt ist. Das kann, so Haunschild, auch looks over at the other and goes: What the hell is water? 1 tralen, augenöffnenden Denkanstöße setzt die Konferenz weil wir’s kennen wie wir’s kennen.« – Das Feld ist maxi- unter dem Deckmantel jenes klassischen Bohème-Lebens- Foster Wallace meint das Wasser, in dem wir täglich mit Referenten aus fremden Ländern und Disziplinen. Sie mal geöffnet. Und wird am nächsten Konferenzvormittag stils passieren, den Theaterschaffende nicht zuletzt deshalb schwimmen, die stromlinienförmigen Bewegun- stellt ein Programm zusammen, das auf möglichst breiter, bestellt mit Geschichten der Arbeit aus mindestens vier pflegten, um die teils selbstgewählte, teils eingeforderte gen, mit denen wir uns so routiniert wie hektisch gesamtgesellschaftlicher Ebene zu denken beginnt, inter- Perspektiven. Einen historisch-grafischen Anfang macht Fusionierung von Arbeit und Leben und die Unterordnung durch das Fahrwasser des Alltags bewegen. Und disziplinäre und internationale Perspektiven vorstellt und Torsten Bewernitz, dessen Vortrag work in progress. Arbeit im des Privatlebens unter die Arbeit zu legitimieren. Ande- zeigt eine Möglichkeit, diesen frustrierenden Rou- von dort aus immer weiter in die Interna der theatralen Wandel blitzschnell und live von Parastu Karimi und Ans- rerseits könnten gerade die künstlerische Selbstwahrneh- tinen, den festgefahrenen Denkmustern etwas ent- Arbeitswelt zoomt; ein Programm, das darauf ausgelegt gar Lorenz illustriert wird. Zu sehen sind: Marx, die hand- mung und die intrinsische Motivation zur kreativen Aufop- gegen zu halten: »simple awareness«, die schlichte ist, durch den fremden Blick das Eigene anders zu sehen. betriebenen Pflüge der vorindustriellen Landwirtschaft, ferung, die mit diesem Lebensstil verbunden sind, auch als wie schwierige Kunst, gegenüber sich selbst und Den ersten Weitwinkel setzt Wirtschaftswissenschaft- Maschinen, die im Lauf des 19. Jahrhunderts die Handarbeit Methode zur Burnout-Prävention funktionieren. Maren Kames studierte dem, was einen tagein, tagaus umgibt, aufmerk- ler Niko Paech. Er schwört dem Wachstumsimperativ moder- ersetzen, Fabriken, die die fortschreitende Industrialisie- Die Macht der Diskurse wird jedenfalls an diesem Frei- Kulturwissenschaften, sam zu bleiben. ner Konsumgesellschaften ab und stattdessen auf das rung verbildlichen. Es geht um Reproduktions-, Subsistenz- tagvormittag im Schauspielhaus insofern spürbar, als spä- Philosophie und Theaterwis- senschaft in Tübingen und Modell einer Postwachstumsökonomie als unumgängli- und Sklavenarbeit, um Fließbandarbeit, Rationalisierung testens nach dem nun folgenden Vortrag der Arbeits- und Leipzig, außerdem Kreatives »How‘s the water?« – ist im Kern auch das Anliegen che Alternative. »Die Wachstumsparty ist vorbei!«, ruft er und Taylorisierung, schließlich um Virtualisierung, Crowd- Organisationspsychologin Erika Spieß auch der letzte, Schreiben und Kulturjourna- der diesjährigen Jahreskonferenz der Dramaturgi- in eine Zeit, in der das Prinzip, über seine Verhältnisse zu working, Outsourcing und Schwarmarbeit. Am Ende der noch so vitale Konferenzteilnehmer deutlich erschöpfter, lismus in Hildesheim. Sie war schen Gesellschaft. Denn die Leitfrage »Wie wol- leben, omnipräsent ist. Er spricht von Konsumverstopfung Schlagwort- und Bildstrecke liegt ein Clown in einer Hän- mindestens betretener, wenn nicht therapiebedürftiger als Mitherausgeberin der len wir arbeiten?«, unter der man sich zum kollekti- und Strukturaufblähung, von längst überschrittenen mate- gematte, der schlecht gelaunt sein Recht auf Unsinn und zuvor im Sessel zu hängen scheint – obwohl, oder vielleicht Literaturzeitschrift BELLA triste und Teil verschiedener ven Think-Tank in Mannheim versammelt, greift im riellen, finanziellen und psychischen Wachstumsgrenzen, Unproduktivität als Bedingung für die Aufrechterhaltung gerade weil, ihr Vortrag über die Perspektiven der Kooperation literarischer und nicht-litera- Falle dieser Berufsgruppe auf weit größere Bereiche von Reizüberflutung, Zeitknappheit und Überforderung von Kreativität verkündet. aus organisationspsychologischer Sicht streckenweise an eine rischer Projekte. Momentan über als auf ein klar abgestecktes nine to five und die in Zeiten entgrenzter Konsummöglichkeiten und schier Auf die Hängematte bezieht sich indirekt auch Axel Einführungsvorlesung im Grundstudium Psychologie erin- lebt sie als freie Autorin in Effizienz seiner Produktionsabläufe. Sie gibt Anstoß unendlicher Mobilität. Davon, dass eine Befreiung vom Haunschild in seiner Keynote über die Arbeitsbedingungen nert. Einzig beim Stichwort »Pseudokooperation« zeigt ein Leipzig. zur selbstkritischen Bestandsaufnahme, die den herrschenden Überfluss keine Verzichtleistung sei, son- im Kreativsektor. Nämlich als Sinnbild einer Fun-Kultur der Sitznachbar Regung und flüstert etwas von eigenen Erfah- gesamten Zusammenhang von Arbeit und Leben, dern Selbstschutz, und Freiheit nicht heiße, viel zu haben, Arbeit, wie sie aus den freizeitpark-ähnlichen Headquar- rungswerten im Theater. 1 David Foster Wallace: Das Kunst und Produktion umfasst. Unter dem Ein- sondern auch, wenig zu brauchen. »Lebt eigenhändig, sou- ter-Komplexen der Software- und IT-Giganten von Google Nach der thesen- und theoriestarken Power-Point-Parade hier ist Wasser / This is druck, das Wasser stehe einem mindestens bis zum verän und unerpressbar!«, ruft er. Es gehe nicht um Mehr- bis Facebook im südkalifornischen Silicon Valley längst des Vormittags scheint es zunächst erfrischend, dass Tho- Water, Kiepenheuer & Witsch Hals, entzieht sich die Konferenz für vier Tage dem produktion, sondern um alternative Nutzung. Ansagen, die auf andere Kontinente und Branchen herüber geschwappt mas Vašek, studierter Mathematiker und Volkswirt, Autor 2012. Ein zehnminütiger, Strom der Produktionsturbinen, um zu schauen: In sich, so global und grundsätzlich sie formuliert sind, auch ist. Diese unternehmerischen Lounge-Kulissen und das und selbsternannter Philosoph, während seiner Präsenta- unbedingt sehenswerter welche Richtung schwimmen wir? Welchen Strö- auf ein Theater anwenden lassen, das bei aller Einschrän- dahinter stehende Feelgood-Management, mit dem Arbeit tion frei über die Bühne mäandert. Allerdings tut das auch Videoclip mit einer gekürzten Audioaufnahme der Rede mungen setzen wir uns aus? Ist es Zeit für einen kung durch Kürzungspolitiken tendenziell mitspielt im dem äußeren Anschein nach Freizeitaktivitäten ähnlich sein Beitrag und kommt dabei nicht wirklich weit hinaus findet sich hier: Kurswechsel? Produktionsrennen um den größten, besten, publikums- wird, haben – mindestens aus Sicht des Arbeitswissen- über das doch relativ schlichte Abkanzeln der dualistischen http://bit.ly/1jkex5a. Zwischen den Spielstätten des Nationalthea- wirksamsten Output. Schließlich gehe es darum, so Paech, schaftlers – neben immerhin atmosphärischer, wenn nicht Trennung von Arbeit und Leben als »work-life-bullshit«. ters, das 2014 seinen 175-jährigen Geburtstag fei- die Krisen und Umbrüche, vor denen wir unabwendbar und tatsächlicher Entspannung auch den zwiespältigen Effekt, Vašek erklärt: »Arbeit hat viel mehr Dimensionen, als dass ert, und dem erst im Jahr 2000 gegründeten Künstlerhaus notwendigerweise stehen, so zu verarbeiten und zu nutzen, Arbeitsdruck zu verschleiern. Während die im Kreativsek- Sie damit Geld verdienen!« Arbeit schaffe soziale Kontakte. zeitraumexit trafen vom 23. – 26. Januar freie wie angestellte dass nicht nur ein angstfreier Umgang mit ihnen möglich, tor typischen Strukturen, ihre flachen Hierarchien und pro- Es fänden sogar Diskurse statt am Arbeitsplatz. Aus diesen Dramaturgen, Regisseure, Schauspieler, Autoren, Vertre- sondern auch ihr überraschendes, kreatives Potenzial sicht- jektbasierten, flexiblen Arbeits- und Lebensformen mehr mittelsteilen Prämissen deduziert er: Wir brauchen nicht ter der Stadt-, Landes- und Staatstheater sowie der freien bar wird. Er erinnert an die leeren vierspurigen Autobahnen und mehr zum Vorbild für Umgestaltungsprozesse in ande- mehr Freizeit, sondern mehr »gute« Arbeit. Also solche, Szene, Theatermacher kleiner und großer Häuser aus Ost zu Zeiten der Öl- und Energiekrise in den 70er Jahren und ren Berufsfeldern werden, stelle sich andererseits die Frage, die nicht nur äußere Güter, sondern auch »innere Werte« und West aufeinander. Etwa 280 teilnehmende Gäste und daran, wie in dieser Endzeitstimmung plötzlich ein klei- welche neuen Belastungs- und Anforderungsformen dar- vermittele, »sinnstiftend« sei, dem Menschen und seinem 40 Referenten, ein denkbar diverses Sammelbecken ver- ner Junge mit ausgestreckter Zunge auf einem Bonanza- aus entstehen. Nach dem Diagnosen-Katalog der Sozial- »Recht auf Selbstverwirklichung« entspreche. Eine phra- schiedener Berufsbilder und -interessen also, das hier als Fahrrad durchs Bild rollt oder eine mehrköpfige Familie wissenschaften, den Haunschild im Gepäck hat, führt senreiche Brandrede, die einigermaßen deplatziert wirkt ein Biotop zusammenkommt. die fahrzeugfreie Betonwüste als Grillplatz benutzt. Kri- die stärkere Integration von Selbstverwirklichungsantei- vor einer Branche, die die von Vašek verteufelte Trennung sen so zu gestalten und zu bebildern, dass sich darüber len und »Persönlichkeit« in den Arbeitsprozess zu einem von Arbeit und Leben seit jeher, sagen wir von berufs 12 13
2 Carl Hegemann im wegen, längst überwunden hat – und gerade des- seits aller rationalen Zeitökonomie etwas hergestellt, das det in der Work-Life-Oase Yoga ohne Umziehen statt, vor ger Tendenzen Talente zu finden und zu fördern, sich mit Vorwort zu Pörksens Buch halb zusammenkommt, weil ihr die Konsequen- kein vorgängiges Interesse bedient und keinen Nutzen kal- den Spielstätten steht eine mobile Sauna, mit echtem Aus- ihnen auf unwägbare, überraschende Prozesse einzulas- Verschwende deine Zeit. zen daraus mindestens stellenweise problematisch kulieren muss, und die Zuschauer gucken sich das an, ohne ziehen. Gleichzeitig ist die Oase nicht nur Ort der Entspan- sen, dem Ausprobieren zu verschreiben, einem Möglich- Ein Plädoyer, Alexander Verlag Berlin 2013, S. 17 geworden sind. Wenn einer im Rampenlicht die einen bestimmten Nutzen davon zu erwarten.«2 nung, sondern auch der Konfrontation. So kann es passie- machen. Hier ein dreistimmiges Patchwork-Cut-Up ihrer Arbeit theoretisch als »komplexe Lebensform« fei- Julian Pörksen hat außerdem einen Film darüber ge- ren, dass man beim absichtslosen Herumspazieren in eine Statements, Arbeitsweisen und Visionen: ert, während denen davor die Überkomplexität in der Pra- macht, wie sich einer hinsetzt und nichts mehr tut. Der läuft kleine Box gerät, in der Tanja Krone hinter einem Stehtisch xis über den Kopf wächst, scheint das vor allem ignorant abwechselnd mit Carmen Losmanns Dokumentarfilm Work mit 25 Fragen zum Ist-Zustand des Arbeitsalltags ihrer Besu- we see ourselves as BROKERS OF OPPORTUNITIES | stay 3 Hier kann nur eine dürftige vor dem Hintergrund, dass selbst in der Kultureinrichtung hard / Play hard in der Lobby des Werkhauses vom National- cher wartet: »Wo fängt deine Arbeit an? Wofür bekommst contemporary, relevant and INNOVATIVE | live and work like Nachbildung dieser Wasserbombe stattfinden. Theater – und das wissen die im Bühnenraum vermutlich theater und heißt: Sometimes we sit and think and sometimes we du Geld? Rechnet sich deine Arbeit? Was heißt hier Leis- an ACROBAT, who lives in a field of constant tensions | that In ihrer vollumfänglichen sehr genau – nicht jede Arbeit so großartig selbstverwirk- just sit und könnte damit auch Titel des von Jochen Roller tung? Wie lässt sich ein Gleichgewicht zwischen Kunst und refers to discipline, excercise, creativity, risk, experience, Sprengkraft findet sie sich lichend sein kann, wie der da oben es gern hätte. angebotenen Workshops Really Nothing sein. Apparat herstellen? Wo und wie nimmst du Einfluss? Was intuition, trust | it´s no point in trying to solve these TEN- Powerpointmaterial auf Der Nachmittag wird beweglicher und interaktiver. Die Anleitung zur Übung: »just sit«. Ein karger, neonbe- war das größte Risiko, das du eingegangen bist?« Zusatz- SIONS, they are essential for his work | negotiate these ten- www.dramaturgische- Während im Werkhaus um die Ecke über die Kommunika- leuchteter Raum im zeitraumexit, Tische, Stühle, 20 Men- frage für alle: »Was ist qualitativ gute Kunst?« sions | celebrate artistic experimentation and RISK TAKING gesellschaft.de tion zwischen Verlegern und Dramaturgen diskutiert wird schen, 45 Minuten. Zwischen den sich gegenübersitzenden Fragen, die sich so oder ähnlich auch vor der im Foyer | focus on the PROCESS | our passion is to make work that und art but fair-Mitglied Daniel Ris im oberen Foyer des Paaren nichts, kein Wort, keine absichtsvollen Gesten, keine platzierten Wanderausstellung von Gesche Piening und is narratively engaging and formally ADVENTUROUS | help to Nationaltheaters über Unternehmensethik für das Thea- intendierte Kommunikation, nur Wasserflaschen und für Ralph Drechsel stellen. Sie zeigt auf Basis von Zahlen aus give the artist´s early ideas the best chance to shine | take ter spricht, berichten Turbo Pascal im unteren Stockwerk jeden ein Lolli. Sich der Ereignislosigkeit aussetzen, die Zeit dem Report darstellende Künste (2010) die Lebens- und Arbeits- the audience to an UNEXPECTED JOURNEY | placing complete von ihrem künstlerischen Langzeit-Forschungsprojekt im absitzen, kollektive Untätigkeit. Manchmal hört man jeman- bedingungen freier Tanz- und Theaterschaffender in zwölf TRUST in the artists to realize their ideas | give them space Rahmen ihrer Doppelpass-Kooperation mit dem Stadtthea- den trinken. Einer steht auf und geht. Die Blicke schwei- pointierten Grafiken. Ein bis allerhöchstens drei Prozent and time, administrative supports and creative inspira- ter Freiburg. Über den Verlauf eines ganzen Jahres prob- fen, man beobachtet zufällig irgendwas. Manche schlie- des öffentlichen Gesamthaushalts stehen der Kultur zur tion | introduce them to other creative minds who might ten sie, »als Kollektiv durch die Strukturen des Hauses zu ßen die Augen. Man wechselt die Sitzposition. Manchmal Verfügung, von diesem winzigen Etat wiederum gehen 0,3 take them off in an unexpected but wonderful direction | toben«, also die kollektive Arbeitsweise einer freien Gruppe kratzt sich einer. bis maximal 2,5 Prozent an freie Theater. Rechnet sich vor encourage an HONEST DIALOGUE about the succes or failure of mit den arbeitsteiligen Strukturen und Prozessen innerhalb Danach die Frage: War das jetzt verschwendete Zeit? diesem Hintergrund deine Arbeit? Wofür bekommst du those ideas | pay the artist for all of this | expect nothing in des Stadttheaters aufeinandertreffen zu lassen. Wie war die Zeit? War das »really nothing«? – Offenbar war Geld und was heißt Leistung, angesichts von 33 Prozent return except the COMMITMENT from that artist, that they‘re Am gegenüberliegenden Ende des Foyers geht es kon- es sehr viel Verschiedenes. Man spricht über die Gruppen- Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern? Nach open to experimentation and play | the work we make is templativer um Zeitverschwendung. Julian Pörksen wundert dynamik von Bewegungen und Geräuschen, von hochkon- 45 Berufsjahren liegt die durchschnittliche Rente der Frei- always done with the principle of friendship and collabo- sich leise über die Mechanismen, mit denen jede Freizeit- zentrierten, völlig zerstreuten oder angenehm benebelten schaffenden bei 427,50 Euro – welche Art von Sicherheit ration | we don´t make work because of the financial poten- aktivität sofort wieder in einen Zweck-Nutzen-Zusammen- Gedankengängen, eine spricht von einer ganz großarti- brauchst du? Eine so zynische wie treffende Antwort gibt tial it has, but because we feel it has something IMPORTANT hang gebracht wird. Die schon begrifflich anstrengende gen Inspiration. der Titel der Ausstellung: brenne und sei dankbar. to say about the world we live in | we believe, that experi- Methode des Power-Nap oder die Frage, welche Sorte Yoga Überlegungen zur Zeitverschwendung werden auch Am nächsten Morgen ändert sich die Strömung. Die mental work can and should have a broad appeal | fight for die effektivste sei, scheine sämtliche Entspannungsme- angestellt im Foyer des Nationaltheaters, das vom Bühnen- drei, die jetzt unter dem Programmpunkt »Impulse aus the UNMEASURE, continue to produce it, try to find out what thoden selbst zu Teilen eines Produktivitäts- und Optimie- bildner David Gonter mit Plastikpalmen, Sonnenstühlen, dem Ausland« auf die Bühne kommen, wirken nach den that unmeasure is | KEEP DISTANCE from what is called crea- rungsparadigmas zu machen. Wie geht dann eigentlich einem zum Springbrunnen umfunktionierten Bauschutt- gedanken- und bedenkenvollen bisherigen Konferenz- tive industry, because it´s already to much involved with richtig absichtsloses Zeitvertrödeln, Bummeln, Schlum- container und gelbem Licht zur Work-Life-Oase ausgestal- stunden wie Regenbogenfische aus einem anderen, bun- the measure, with what is calculated | SEE RISKY IDEAS BECO- mern, Rumgammeln? Pörksen hat Antworten und Bei- tet ist. Hier halten sich die Künstler vom offenen Netzwerk ten Biotop. Sarah Murray vom Studio des National Theatre MING SOMETHING BRILLIANT. spiele gesammelt: Becketts zur Tatenlosigkeit verdammten geheimagentur auf und haben einen losen Plan: Sie stellen, of Great Britain, Ed Collier, Co-Direktor und Mitbegründer Clown, Benjamins Flaneur, Melvilles Verweigerungskünst- gezielt oder ungezielt, absichtlich oder aus Versehen, in von China Plate London, und Erwin Jans vom Antwerpe- Und dann kommt in das durch diese Impulse weit geöff- ler Bartleby, Eichendorffs Taugenichts und in Ansätzen von spontanem Austausch oder gemeinsamem Nichtstun mit ner Toneelhuis stellen zwar keine großformatigen Fragen nete Becken der wohl dickste Fisch der gesamten Konfe- Barthes, Bataille und Schlegel. Helden des Müßiggangs vorbeikommenden Konferenzteilnehmern Forschungen und Thesen in den Raum, berichten aber so plastisch und renz geschossen – und schmeißt Wasserbomben. In einer sind für ihn auch Leonce und Lena, deren ausschweifen- an, die die Gründung einer Agentur für Zeitverschwendung vor- prägnant aus ihrer unmittelbaren Arbeitspraxis, dass ein Mischung aus analytischer Schärfe, wahnsinniger Wert- des, frei assoziierendes Herum-Monologisieren ihn auf die bereiten sollen. Gemeinsam will man den Zeitverschwen- Bild davon entsteht, wie vielschichtig, inspiriert und span- schätzung der eigentlichen Potenziale und ehrlicher Ver- Idee brachte, ab und zu mal »bei sich selbst ins Theater zu dungsstrategien der Konferenz auf die Spur kommen und nend organisiert zeitgenössische Theaterproduktion ausse- zweiflung über den akut desolaten Zustand liest Ulf Schmidt gehen«, dem eigenen Kopf ungesteuert beim Denken zuzu- eigene Zeitverschwendungsservices entwickeln; wie und hen kann. So unterschiedlich ihre Institutionen aufgestellt dem deutschen Theater der Gegenwart kräftig die Leviten – sehen. Theater ist für Pörksen sowieso ein »idealer Ort [für was genau dabei passiert, ist ergebnisoffen. und strukturiert sind, scheinen sie doch eine ähnliche Hal- und zeichnet zugleich die Vision eines Theaters der Zukunft, solche Strategien], denn es ist eine der Zeitverschwendung Das dicht getaktete Konferenzprogramm hat selbst tung zu teilen: das Selbstverständnis als experimentierende die einen radikalen Kurswechsel nicht nur unbedingt not- gewidmete Institution, hier wird mit großem Einsatz jen- Entspannungsmomente eingeplant: Allmorgendlich fin- Laboratorien, dazu da, im pulsierenden Pool gegenwärti- wendig, sondern möglich und umsetzbar scheinen lässt.3 14 15
zwischen wachstumswahn und askese: auf der suche nach einer neuen balance Niko Paech In wenigen, erschreckenden Zahlen beamt Schmidt die temporären Mini-Think-Tanks unter jeweils einem gemein- 1. Das Spiel ist aus schleichende Abwicklung der deutschen Theaterlandschaft samen Anliegen zusammen, ein flirrendes paralleles Den- Technologische, politische oder kommunikative Nachhal- Kommunikationsstrategien, Lernprozesse oder als reale Gefahr auf die Projektionsleinwand. »Kürzen, Per- ken und Debattieren. Die Teilergebnisse dieser konspirati- tigkeitsbemühungen orientierten sich bislang an einer öko- Managementkonzepte motiviert werden könnte, hat sonal abbauen, zusammen legen, schließen – so sieht es ven Arbeitsgruppen finden sich am nächsten Tag auf bunten, logischen Modernisierung. Dieser ideologische Überbau nicht einmal das ohnehin dürre Spektrum nachhal- aus, wenn Branchen platt gemacht werden.« Katastrophal wild gestalteten Plakaten in der Lobby Werkhaus des Natio- liefert vermeintlich aufgeklärten Konsumgesellschaften tigkeitskompatibler Alltagspraktiken stabilisieren seien aber nicht allein die blanken Zahlen, sondern die naltheaters, wo man sich nach dem Empfang des Verbandes ein Alibi dafür, den Wandel zum Weniger bis auf unbe- können, welches Ende der siebziger und Anfang der Gleichgültigkeit, mit der die breite Öffentlichkeit auf diese Deutscher Bühnen- und Medienverlage in der Nacht zuvor stimmte Zeit aufzuschieben oder als unnötig abzulehnen. achtziger Jahre vorübergehend erkennbar wurde. bestandsgefährdenden Entwicklungen reagiere ohne jede und dem morgendlichen dg-Mitgliederbrunch mit entspre- Denn schließlich, so die Hoffnung, könnte ein techni- Ausnahmslos alle gesellschaftlichen Nischen, die Rebellion. Der Grund: Theater wirkten nicht mehr in die chend kleinen Augen zu den letzten Veranstaltungen der scher Wandel das Nachhaltigkeitsproblem ohne mühevolle sich ökologisch-progressiv gerieren, wurden inzwi- Niko Paech ist Wirtschafts- Gesellschaft hinein und die Gesellschaft finde sich nicht Tagung trifft. Es ist der Mittag der Intendanten und Elefan- Umstellungen und Anspruchsmäßigungen lösen. Dumm schen von materieller Aufrüstung, Digitalisierung, wissenschaftler und Professor mehr im Theater wieder. ten. Nicola May und Ulrich Khuon berichten als »Fallbei- nur, dass es ausgerechnet viele der zu diesem Zweck ent- kerosintriefender Mobilität sowie von einer nie für Produktion und Umwelt Diese Gesellschaft stehe im Zeichen einer fundamenta- spiele« von der Arbeit als Leiter ihrer Häuser und den prinzi- wickelten Effizienz-, Energiewende- oder sonstigen Green dagewesenen Einwegmüll- und Elektronikschrott- an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. len Zäsur. Schmidt nennt es das Zeitalter der digitalen Nais- piell rezeptfreien Manövern, mit denen sie die heterogenen New Deal-Innovationen sind, die den materiellen Raubbau lawine erfasst. Der Versuch, Nachhaltigkeit jenseits sance und sagt: »Wir leben in einem revolutionären Umbruch Berufsbilder und -interessen dieser »kleinen Gesellschafts- sogar intensivieren, indem sie bislang verschont geblie- glaubwürdiger Lebensstilvorbilder zu kommunizie- ohne revolutionäres Subjekt, ohne revolutionäres Konzept, modelle« unter einem Theaterdach koordinieren. In einer bene Naturgüter und Landschaften einer »grünen« Ver- ren, hat sich längst ad absurdum geführt. ohne revolutionäre Utopie. Diese Veränderung überfor- letzten Podiumsdikussion versammeln sich Rolf Bolwin, wertung zuführen. Jetzt geht es nicht mehr um die Vermeidung des Kollap- dert jeden und es gibt keine Institution, die hier als refle- Mathias Lilienthal, Barbara Mundel und Marion Tiedtke um Alle Fakten legen nahe, endlich mit einem Reduktions- ses, sondern nur noch um seine bestmögliche Gestaltung. xives Auge im Sturm agiert, es sein denn: das Theater der die Frage »Wie können – oder müssen – wir zukünftig arbei- programm ernst zu machen, statt ein »Green Growth« zu Was könnte die Beendigung einer egozentrischen Konsum- nächsten Gesellschaft. Weil Theater der einzige Ort ist, an ten?«. Der Raum ist so voll wie die Köpfe, die Luft relativ ver- beschwören. Das Konzept der »Postwachstumsökonomie« und Mobilitätskultur mehr erleichtern als Argumentations- dem sich Analoges und Mediales treffen und reflektiert braucht, die Diskussionsansätze nicht unbedingt. Trotzdem böte sich als Alternative an. Allerdings würde es erstens hilfen, durch die sich ihrem Dahinscheiden etwas Positives werden können […]. Weil Theater ein Ort der Gesellschaft bleiben sie eher quer gegeneinander stehende Statements – bescheidenere und zweitens eigenständigere, also gradu- abringen lässt? Darauf soll im Folgenden skizzenhaft ein- in der Gesellschaft ist, an dem sich in Gesellschaft über möglicherweise ist die Frage doch zu groß, die Perspektiven ell auf Subsistenz beruhende Versorgungsmuster vorausset- gegangen werden. Sodann werden die Konturen der »Post- Gesellschaft ästhetisch reflektieren lässt.« Dieses Theater zu verschieden für die knapp bemessene Zeit. zen, somit die zeitgenössische Komfortzone in Frage stellen. wachstumsökonomie« (Paech 2008, 2012) besichtigt. der nächsten Gesellschaft verstehe sich als Teil der Netzge- Danach wird es still. Dharmacarin Sunayaka spricht Unabdingbar wären Lebensstile, die mit hoher Spezialisie- sellschaft, es sei wagemutig, neugierig und provozierend, mit seiner buddhistischen Meditation zum Abschluss der rung und Konsumorientierung kaum vereinbar sein können. 2. Kleiner Almanach der Wachstumskritik vielformatig, spielerisch und komplex in seinen Erzähl- Konferenz ein Bewusstsein an, das nach vier durchdachten Das Leben in einer Postwachstumsökonomie meistern zu 2.1 Reichtum durch organisierte Verantwortungs- weisen. Es verwandle sich vom Industrietheater zum agi- Tagen zur Abwechslung nicht analytisch in den Synapsen können ist keine Frage der Einsicht, des Wollens oder der losigkeit len Theater, arbeite kollaborativ und kollektiv, sei Zent- ausgelöst wird, sondern beim Körper anfängt. Eine andere bekundeten Akzeptanz, sondern der eingeübten Befähi- Der seit Beginn des Industriezeitalters enorm gewachsene rum eines interdisziplinären, künstlerischen Netzwerkes, Art, den Strom zu stoppen und zu sehen, in welchen Gewäs- gung, also eines substanziellen Könnens und – vor allem – materielle Wohlstand spiegelt sich in modernen Erzählun- vernetzt mit der Welt und in seinen Organisationsformen sern man sich bewegt. hinreichender Belastbarkeit. gen wider, die sich um technischen Fortschritt, Wissens- selbst ein künstlerisches Gebilde. Also: What the hell ist, kann und soll Theater sein, unter Würde ein politischer Akteur das liebgewonnene Ein- generierung, die Effizienzeigenschaften des Marktmecha- Der donnernde Applaus spricht von überwältigender welchen Arbeitsbedingungen von heute, mit welchen Aus- kaufs- und Mobilitätsparadies zurückbauen wollen, müsste nismus und vor allem industrielle Spezialisierung ranken. Dankbarkeit, nicht nur dafür, dass hier einer – im Modus sichten für morgen? Wie lässt sich aus dem Schwarm von er die Systemlogik moderner Konsumdemokratien durch- Letztere erlaubt die Abschöpfung komparativer Kosten- einer fundamentalen Kritik zwar, aber gerade darin so Ideen, Ansätzen und Einsichten, die einem hier entgegen- brechen. Diese besteht in einem Überbietungswettbewerb: vorteile und deren Umwandlung in zusätzlichen Output. maximal alarmierend – an die potenzielle Bedeutungs- gekommen sind, ein Kurs bestimmen? Und was wird aus Wer kann den Wählern noch mehr materielle Freiheiten Entscheidend ist dabei der Grad an räumlicher und funk- macht des Mediums Theater erinnert hat, sondern auch dem Kurswechsel, wenn am Tag nach der Konferenz die und Schutz vor Zumutungen versprechen und das resultie- tionaler Arbeitsteilung. Das sich daraus ergebende Trans- für die Aussicht, dass sich am offenbar kollektiv empfun- gewöhnliche Strömung wieder einsetzt? – »The point is that rende Rundum-sorglos-Paket gleichzeitig von allen ökolo- formationsmuster wird zumeist folgendermaßen erklärt: denen Bedeutungsverlust eigenhändig etwas ändern lässt. petty, frustrating crap like this is exactly where the work of gischen Gewissensbissen reinwaschen, indem auf ein nun- Wenn eine bestimmte Versorgungsleistung in möglichst Denn bei aller groß angelegten visionären Diagnostik gibt choosing is gonna come in,« sagt Foster Wallace, »a con- mehr grünes Wachstum gesetzt wird? Davon abzuweichen viele isolierte Teilprozesse zerlegt wird, auf die sich einzelne Ulf Schmidt auch zu verstehen, dass die Frage »Wozu Thea- cious decision about how to think and what to pay atten- käme politischem Selbstmord gleich. Mehrheitlich durch- Unternehmen entsprechend ihrer jeweiligen Kompetenzen, ter heute und morgen?« individuell und lokal in jeder ein- tion to«. Die Konferenz dürfte dabei geholfen haben, die- setzbar ist nur, was ins Desaster führt. Mit anderen Wor- Ressourcenausstattung oder Größenvorteile konzentrieren, zelnen Spielstätte, im eigenen Arbeitszusammenhang, im sen Moment auch innerhalb der Alltagsroutinen zu finden, ten: Die nötigsten Entwicklungspfade sind zugleich die kann insgesamt mehr produziert werden als im vorherigen singulären Projekt beantwortet werden muss. eine Konzentration auf das, was einem in der Theaterarbeit unwahrscheinlichsten. Autarkiezustand. Mit zunehmender Ortsungebundenheit Mit dieser Initialzündung im Gehirn diffundieren die Teil- eigentlich wesentlich ist. Mit Sicherheit aber hat sie Einsicht Nicht minder hat die sozialwissenschaftliche Nachhal- und Flexibilität der separierten Produktionsstufen können nehmer der Konferenz am Nachmittag in den Open Space. in die Notwendigkeit gegeben, »that we have to keep remin- tigkeitsforschung versagt. Das Herausarbeiten endogener diese geographisch je nach Kosten- oder Qualitätsvorteilen Verteilt über die Foyers des Schauspiels findet man sich in ding ourselves.« Potenziale eines sozial-ökologischen Wandels, der durch verlagert werden. Dabei sorgt das Tausch- und Koordinati- 16 17
onsmedium Geld dafür, dass alle zerlegbaren Teilprozesse oder Konsument –, wird mit keinem sichtbaren Gegenüber maschine« (Mumford 1967/1977) in Gang zu setzen. Genau dies mit zusätzlichen materiellen Bestandsgrößen und und Ressourcen in »die fruchtbarere Hand« gelangen, um konfrontiert. Industrielle Arbeitsteilung neutralisiert jede genommen ähnelt moderne Produktion einem Verstärker, Flächenverbräuchen erkauft wird. Außerdem sind die alten »ein Maximum des in ihnen latenten Wertes zu entbinden« moralische Signifikanz, sie bedingt eine Entpersönlichung der ein menschliches Signal in eine donnernde Sinfonie Kapazitäten und Infrastrukturen zu beseitigen. Aber wie (Simmel 1900, 306). der von den Folgen Betroffenen. der Energie- und Materialumwandlung übersetzt. Durch könnte die Materie ganzer Industrien und Infrastrukturen Wenn die Produktion einer Ware in viele Einzelprozesse Um das System der organisierten Verantwortungslosig- eine Rückkehr zum menschlichen Maß würden moderne ökologisch neutral verschwinden? zerlegt wird, um die betriebswirtschaftliche Effizienz zu keit zu therapieren, erscheint es naheliegend, Prozessketten Gesellschaften also nur aufgeben, was ihnen ohnehin nie Hinzu kommt ein zweites Dilemma: Wie kann das BIP steigern, entsteht eine Kette spezialisierter und eigenstän- zu verkürzen, um Transparenz und Kontrolle wiederzuer- zustand, sondern mittels technischer Hilfsmittel geplün- dauerhaft wachsen, wenn jedem grünen Wertschöpfungs- diger Organisationen. Die räumliche und funktionale Aus- langen. Aber eine deglobalisierte, womöglich regionali- dert wurde. gewinn ein Verlust infolge des Rückbaus alter Strukturen differenzierung hat eine entscheidende Konsequenz: Wenn sierte Ökonomie – Kohr (1957) sprach vom »Kleine-Ein- entgegenstünde? Die von der Green Growth-Gemeinde sich die Verantwortung für den Gesamtprozess auf hinrei- heiten-Prinzip« – wäre nicht nur mit weiterem Wachstum, 2.3 Lässt sich wachsender Konsumwohlstand von bestaunten Wertschöpfungsbeiträge der erneuerbaren chend viele Zuständigkeiten verteilt, wird sie damit gleich- sondern bereits mit der Aufrechterhaltung des derzeitigen ökologischen Schäden entkoppeln? Energien sind nur ein Strohfeuereffekt infolge des vorüber- sam ausgelöscht. Jeder Akteur, der innerhalb komplexer Konsumwohlstandes unvereinbar. Zuwächse des Bruttoinlandsproduktes setzen zusätzliche gehenden und additiven Kapazitätsaufbaus. Danach redu- Prozessketten lediglich einen Teilaspekt bearbeitet, folgt Produktion voraus, die als Leistung von mindestens einem ziert sich die ökonomische Wirkung auf einen Energiefluss, einer eigenen, sich aus dem isolierten Aufgabenbereich 2.2 Wie verdient ist der Konsumwohlstand? Anbieter zu einem Empfänger übertragen werden muss der vergleichsweise wenig Aufwand an wertschöpfungs- ergebenden Zweckrationalität. Die Folgen der vollständi- Zumindest nach Überschreitung eines bestimmten mate- und die einen Geldfluss induziert. Der Wertschöpfungs- trächtigen Inputs verursacht und nicht beliebig gesteigert gen Prozesskette, insbesondere für die Ökosphäre, bleiben riellen Niveaus lässt sich der historisch einmalige Güter- zuwachs hat somit eine materielle Entstehungsseite und werden kann – es sei denn, die Produktion neuer Anlagen für ihn unsichtbar. Es kommt zur »Erzeugung moralischer reichtum kaum damit legitimieren, dass er von seinen eine finanzielle Verwendungsseite des zusätzlichen Ein- wird ohne Begrenzung fortgesetzt. Aber dann droht wie- Indifferenz« (Bauman 2002, 32). Innerhalb der (betriebs- Nutznießern »verdient« oder »erarbeitet« wurde. Versuche, kommens. Beide sind ökologisch zu neutralisieren. Selbst der der alte Wachstumskonflikt. Die schon jetzt unerträg- wirtschaftlichen) Zweckorientierung seiner Einzelorgani- den gestiegenen Wohlstand auf eigene Arbeit oder eine wenn sich die Entstehung einer geldwerten und damit BIP- lichen Landschaftszerstörungen nähmen entsprechend zu, sation erfüllt der Handelnde letztlich »nur seine Pflicht«. Abfolge von Effizienzfortschritten zurückzuführen, ver- relevanten Leistungsübertragung technisch entmateriali- weil die materiellen Bestandsgrößen expandieren. Daran Diese Immunisierung gegenüber ethischen oder ande- schleiern, dass die Insassen moderner Konsumgesellschaf- sieren ließe – was mit Ausnahme singulärer Laborversu- zeigt sich zudem, dass derartige grüne Technologien ohne- ren außerökonomischen Logiken betrifft auch die Nach- ten auf mehrfache Weise über ihre Verhältnisse leben (vgl. che aussichtslos ist –, bliebe das Entkopplungsproblem hin kein ökologisches Problem lösen, sondern nur in eine frager selbst. Konsumenten verbrauchen grundsätzlich Paech 2012, S. 25ff). Materieller Reichtum wird a) mittels solange ungelöst, wie sich mit dem zusätzlichen Einkom- andere physische, räumliche, zeitliche oder systemische Dinge, die sie nicht selbst hergestellt haben. Verbrauch und Energie umwandelnder Apparaturen, b) durch systemati- men beliebige Güter finanzieren lassen, die nicht vollstän- Dimension transformieren. Deshalb sind die Versuche, Herstellung bilden somit getrennte Sphären. Zwischen der sche Verschuldung, also auf Kosten zukünftiger Genera- dig entmaterialisiert sind. Entkopplungserfolge empirisch nachzuweisen, nur so Entstehung eines Bedarfs und der damit ausgelösten Pro- tionen, und c) durch die Einverleibung entfernt liegender brauchbar wie es gelingt, alle räumlichen und sonstigen duktion liegen unzählige, über beträchtliche Distanzen Ressourcenquellen erzeugt. Was sich Konsumenten mit- 2.3.1 Entstehungsseite des BIP: Materielle Verlagerungseffekte zu inkludieren. Aber wie sollen bei- miteinander verkettete Einzelhandlungen. Indem die Aus- tels Kaufkraft an physischen Leistungen angedeihen las- Rebound-Effekte spielsweise CO2 – Einsparungen und Landschaftszerstö- führung über viele Stufen hinweg delegiert wird, erfolgt sen, steht also in keinem Verhältnis zur eigenen physi- Wie müssten Güter beschaffen sein, die als geldwerte Leis- rungen saldiert werden? eine »Mediatisierung« (Lachs 1981), das heißt eine Vermitt- schen Arbeitskraft. tungen von mindestens einem Anbieter zu einem Nachfra- lung von Handlungen. Diese werden grundsätzlich von Denn andernfalls müsste, gemessen am heutigen Kon- ger übertragen werden, deren physischer Transfer, Her- 2.3.2 Verwendungsseite des BIP: Finanzielle einem Dritten ausgeführt, der »zwischen mir und den Fol- sum- und Mobilitätswohlstand, die produktive Leistung stellung, Nutzung und Entsorgung jedoch aller Flächen-, Rebound-Effekte gen meines Tuns steht, so dass diese mir verborgen blei- menschlicher Individuen seit der jüngeren Steinzeit auf Materie- und Energieverbräuche enthoben sind? Bisher Selbst wenn entmaterialisierte Produktionszuwächse je ben« (Bauman 2002, 38). geradezu fantastische Weise zugenommen haben. Aber ersonnene Green Growth-Lösungen erfüllen diese Voraus- möglich wären, müssten die damit unvermeidlich korre- So schafft das Wesensprinzip moderner, funktional aus- faktisch haben sich die physischen Qualitäten des homo setzung offenkundig nicht, ganz gleich ob es sich dabei um spondierenden Einkommenszuwächse ebenfalls ökolo- differenzierter Gesellschaften jene pathologischen Beding- sapiens seither kaum verändert. Noch sind es zwei Arme, Passivhäuser, Elektromobile, Ökotextilien, Photovoltaik- gisch neutralisiert werden. Aber es ist schlicht undenkbar, ungen, unter denen einzelwirtschaftliche Entscheidungen zwei Beine und ein Kopf, über die ein Individuum ver- anlagen, Bio-Nahrungsmittel, Offshore-Anlagen, Block- den Warenkorb jener Konsumenten, die das in den grü- nahezu perfekt vor moralischen Hemmungen abgeschirmt fügt. Der immense physische Aufwand, ohne den der mär- heizkraftwerke, Smart Grids, solarthermische Heizun- nen Branchen zusätzlich erwirtschafte Einkommen bezie- werden. Wenn die Komplexität eines Versorgungssystems, chenhafte Wohlstand undenkbar wäre, wird im Rahmen gen, Cradle-to-cradle-Getränkeverpackungen, Carsharing, hen, von Gütern freizuhalten, in deren globalisierte Pro- insbesondere die physischen und psychischen Distanzen maschineller, elektrifizierter, automatisierter, digitalisier- digitale Services etc. handelt. Nichts von alledem kommt duktion fossile Energie und andere Rohstoffe einfließen. zwischen Verbrauch und Produktion hinreichend weit ter, dafür aber umso energieabhängigerer Umwandlungen ohne physischen Aufwand, insbesondere neue Produk- Würden diese Personen keine Eigenheime bauen, mit dem gediehen ist, ist die Aufdeckung etwaiger Schwachstellen erbracht. Umgeben von unzähligen »Energiesklaven« (Dürr tionskapazitäten und Infrastrukturen aus. Könnten die Flugzeug reisen, Auto fahren und übliche Konsumaktivi- so aussichtsreich wie die Suche nach einer Stecknadel im 2000) beschränkt sich die »Arbeit« moderner Konsumen- grünen Effizienz- oder Konsistenzlösungen den weniger täten in Anspruch nehmen? Heuhaufen. Dies steigert die Wahrscheinlichkeit oppor- ten zusehends darauf, Signale zu verarbeiten, körperliche nachhaltigen Output nicht einfach ersetzen statt addiert Ein zweiter finanzieller Rebound-Effekt droht, wenn tunistischen Handelns. Wer innerhalb entgrenzter Ver- Verrichtungen an entfernt liegende Produktionsstätten zu werden? Um eine materielle Substitution zu erwirken, grüne Investitionen den Gesamtoutput (vorübergehend) sorgungssysteme operiert – ganz gleich ob als Produzent zu delegieren oder per Mausklick eine industrielle »Mega- reicht es nicht aus, nur Outputströme zu ersetzen, wenn erhöhen, weil nicht zeitgleich und im selben Umfang die 18 19
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