Leben, kunst und produktion wie wollen wir arbeiten? dokumentation der jahreskonferenz der dramaturgischen gesellschaft mannheim 23.- 26. januar 2014

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zeitschrift
der
dramaturgischen
gesellschaft
02/14

leben, kunst
und produktion
wie wollen
wir arbeiten?
dokumentation der
jahreskonferenz
der dramaturgischen
gesellschaft
mannheim 23. – 26. januar 2014
editorial
                                        Sagen, was man denkt und tun, was man sagt

outside
the
box:
market                                  w o soll man anfangen, wenn man die diesjährige dg-Jahres-
                                          konferenz zusammenfassen will? Wo aufhören? Vielleicht
                                          war es ein Spezifikum dieser Tagung, dass es keine Bottom
                                          Line, kein eindeutiges Ergebnis, keine politische Forderung
                                                                                                        über die man im Verlauf der Konferenz so ausführlich dis-
                                                                                                        kutiert habe. Mit einem Zitat aus dem alten DEFA-Kultfilm
                                                                                                        Spur der Steine: »Wichtig ist nur eines. Man muss sagen, was
                                                                                                        man denkt und tun, was man sagt.«

5 –7/jun                                  oder gar ein künstlerisches Manifest gab. Vielleicht steht
                                          am Ende die einfache, aber deswegen noch lange nicht über-    In dieser Dokumentation finden Sie, neben einem ausführ-

zeitraumexit                              flüssige Erkenntnis, dass weniger mehr ist. Dass wir Drama-
                                          turgen darauf achtgeben müssen, die Balance zu wahren:
                                                                                                        lichen Bericht über die Konferenz von Maren Kames, die
                                                                                                        prägnantesten Vorträge von Niko Paech, Axel Haunschild

mannheim
                                          zwischen künstlerischem Gestaltungswillen, Angestellten-      und Ulf Schmidt sowie die auf der Konferenz vorgestellten
                                          dasein und Leitungsverantwortung, zwischen kreativer Fik-     Best Practice-Beispiele aus Großbritannien und Belgien
                                          tion und institutioneller Wirklichkeit, zwischen Kunst und    und die Abschlussdiskussion. Einige Eindrücke von den
                                          Leben. Oder ist das alles Work-Life-Bullshit und die Lösung   zahlreichen Beiträgen der Teilnehmer geben wir skizzen-

symposium                                 liegt ganz woanders, etwa im Übergang ins digitale Zeital-
                                          ter? Am Ende dieser Konferenz schwirrte so mancher Kopf,
                                                                                                        haft in den Stichworten der Open Space-Diskussionen und
                                                                                                        einigen Randnotizen wieder.

ideas                                     und das zu Recht. Aber der Reihe nach.
                                                                                                        Wir bedanken uns bei unseren Partnern zeitraumexit und

drafts                                    Niko Paechs Eröffnungsvortrag darf als ein Glücksgriff gel-
                                          ten. Eindrücklich vermittelte der Volkswirtschaftler der
                                                                                                        dem Nationaltheater Mannheim sowie beim Verband deut-
                                                                                                        scher Bühnen- und Medienverlage für die gute Zusammen-

performances
                                          Universität Oldenburg den Anwesenden, dass der moderne        arbeit. Dankbar sind wir außerdem unseren Unterstützern:
                                          Glaube an stetiges Wachstum und unaufhaltsamen Fort-          dem Deutschen Bühnenverein und seinem Landesverband
                                          schritt längst an seine Grenzen gekommen und ein radi-        Baden-Württemberg, dem Ministerium für Wissenschaft,
tryouts                                   kales Umdenken vonnöten ist. Drei Tage diskutierten wir
                                          Dramaturgen also über die Möglichkeiten und Unmöglich-
                                                                                                        Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie der Stadt
                                                                                                        Mannheim, deren Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz die
                                          keiten eines solchen radikalen Umdenkens in zahlreichen       Kulturpolitik als eine seiner zentralen Aufgaben begreift.

speakers:                                 Keynote-Vorträgen, Panels, Workshops und bei anderen
                                          praktischen Formaten. Einer der womöglich intensivs-
                                                                                                        Sein Grußwort leitet diese Dokumentation ein.

jens badura, hendrik folkerts, anders     ten Momente entstand im Rahmen einer Schweige-Perfor-         Ihr dg-Vorstand
härm, bojana kunst, torsten meyer,        mance von Jochen Roller; einer der verblüffendsten beim
                                          Vergleich deutscher Arbeitsstrukturen mit flämischen und
guillaume paoli, walking theory           englischen. Den unbestrittenen Konferenz-Höhepunkt lie-
                                          ferte der zeitgenössische Dramatiker Ulf Schmidt. Der von
www.otb-research.com                      ihm geforderte Übergang vom analogen hin zu einem Netz-
                                          theater (»Willkommen in Digitalien«) wurde im weiteren
                                          Verlauf der Konferenz an vielen Stellen aufgegriffen, kont-
partners:                                 rovers diskutiert und weitergesponnen; ein idealer Einstieg
                                          für den Open Space am Nachmittag desselben Tages in der
                                          von David Gonter gestalteten Work-Life-Oase im Foyer des
                                          Nationaltheaters Mannheim. Es waren drei Tage voller Ener-
                                          gie: Es wurde gedacht und getan, gesagt und geschrieben,
                                          gestritten und geschwiegen. Kaum vorstellbar, was dabei
                                          alles entstand.
                                          Am Ende der Konferenz blieb vor allem ein Wort von Ulrich
gefördert durch die
                                          Khuon hängen. Ganz unscheinbar, kaum hörbar, am Rande
                                          des Abschluss-Panels mit Rolf Bolwin, Matthias Lilienthal,
                                          Barbara Mundel, Marion Tiedtke und Moderator Franz Wille
                                          hatte er es erwähnt: Es komme darauf an, die Dinge zu tun,

                                                                                                                                                                       3
inhaltsverzeichnis

       3   editorial                                           58   open space

       7   grußwort                                            61   unternehmensethik – für das theater?
           Dr. Peter Kurz                                           Daniel Ris

     12    fische im think-tank                                64   die zukunft hat schon begonnen
           Maren Kames                                              Kerstin Retemeyer

      17   zwischen wachstumswahn & askese:                    65   das stadttheater der zukunft: bloß
           auf der suche nach einer neuen balance                   tapetenwechsel oder neubau?
           Niko Paech                                               Isabelle Becker, Laura Kiehne, Viola
                                                                    Köster, Ines Schneider, Nele Winter
     27    um der kunst willen
           Axel Haunschild                                     68   kleist­ - förderpreis 2014
                                                                    Michel Decar mit dem Stück »Jenny Jannowitz«
     33    die politische frage
           Franz Wille                                         69   neues aus den arbeitsgruppen der dg

     43    auf dem weg zum agilen theater                      70   die dg | impressum
           aus dem Vortrag von Ulf Schmidt

     51    the national theatre studio-
           ein raum für experimente
           Sarah Murray

     53    china plate- koalitionen für
           freies theater in großbritannien
           Ed Collier

     55    jeder ist künstler. jeder ist
           manager, jeder ist akrobat
           Erwin Jans

 Unser Dank gilt den Gastgebern und Förderern der Konferenz:

                                                                                                                   5
grußwort
                                                                                                                                           des Mannheimer Oberbürgermeisters Dr. Peter Kurz

                                                                                                            Platel /
                                                               und Behinderung / Geteilte Einsamkeit: Alain
                    Die Kraft der Selbstvergessenheit: Theater                                         a Bran dauer
                                                             y / Die Kunst des Verstummens: Klaus Mari
                    Niedergetrampelt: Bierbichler über Edath

                                                                                                April 2014 • Heft Nr. 4
                                                              e
                     EUR 7 / CHF 14 / www. theat erder zeit.d

                                                                                                                                           S    ehr geehrter Herr Holtzhauer, lieber Ulrich von Kirchbach,
                                                                                                                                               meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich,
                                                                                                                                               Sie auch von meiner Seite ganz herzlich hier in Mannheim
                                                                                                                                                                                                             Veränderungsprozess in der Stadtverwaltung zu
                                                                                                                                                                                                             machen, den wir »Change im Quadrat« genannt
                                                                                                                                                                                                             haben. Der Untertitel von »Change im Quadrat«
                                                                                                                                               zur Jahresversammlung der Dramaturgischen Gesellschaft        lautet »gemeinsam mehr bewirken«. Und diese
                                                                                                                                               begrüßen zu dürfen.                                           drei Worte fassen sehr gut zusammen, worum
                                                                                                                                                                                                             es uns in diesem Prozess geht. Da steht als Zen-
                                                                                                                                             Sie sind hier in einer Theaterstadt, für die 2014 eine ganz     tralwort zunächst einmal »bewirken«. Das ist eine
                                                                                                                                             besondere Jahreszahl ist. Denn 2014 begehen wir in Deutsch-     Perspektivenveränderung, die uns weg vom Geld Peter Kurz ist Oberbürger-
                                                                                                                                             land 175 Jahre Kommunaltheater. Mannheim war dabei              führt, weg von den Fragen: Wie viel Geld steht zur meister der Stadt Mannheim.
                                                                                                                                             das erste kommunale Theater. Daher ist der Zusammen-            Verfügung? Für welche Institution, für welches
                                                                                                                                             hang von Stadt und Bühne in dieser Stadt vielleicht beson-      Thema? Und auch weg von den Fragen: Wie viel wird produ-
                                                                                                                                             ders ausgeprägt. Die Geschichte dieses Hauses führt uns         ziert? Wie viele Premieren? Wie viele Stücke? Wie viele Kin-
                                                                                                                                             unmittelbar in die Geschichte der Dramaturgie zurück. Der       derkrippengruppen? Stattdessen führt es uns zu der Frage:
                                                                                                                                             von Lessing geprägte Begriff des Nationaltheaters, der mit      Was bewirkt unser konkretes Tun in der Gesellschaft? Wel-
                                                                                                                                             einer neuen Art von Dramaturgie einherging, war als große       che Wirkung wollen wir erreichen? Also nicht: Wie viel
                                                                                                                                             Ambition gegen das höfische Theater formuliert. Hier in         Geld geben wir für das Thema »Angebote für Jugendliche«
                                                                                                                                             Mannheim wurde das deutschsprachige Nationaltheater             aus? Auch nicht: Wie viel Output findet sich darin? Wie viele
                                                                                                                                             realisiert.                                                     Jugendhäuser? Stattdessen wird relevant: Wie können wir
                                                                                                                                                  Mannheim versteht sich aber nicht nur als Theaterstadt,    feststellen, dass sich Lebensperspektiven verbessern und
                                                                                                                                             sondern als Kulturstadt mit einer Vielfalt von Institutionen,   Haltungen verändern? Was wollen wir tatsächlich errei-
                                                                                                                                             die alle zumindest zum Teil kommunal getragen sind. Das         chen – und können wir das messbar machen?
                                                                                                                                             führt dazu, dass Mannheim den größten Kulturetat aller              Der zweite Gedanke, der sich unmittelbar anschließt,
                                                                                                                                             Städte in der Größenklasse zwischen 200.000 und 500.000         lautet: Wenn wir als Stadt insgesamt Wirkungen beschrei-
                                                                                                                                             Einwohnern hat. Aber es macht noch keine Kulturstadt aus,       ben, zentrale Ziele haben – für uns in Mannheim sind das
                                                                                                                                             viel Geld für diesen Bereich auszugeben. Es macht auch          sieben sogenannte »strategische Ziele« – dann ist die Frage

                                 Auftreten und leuchten
                                                                                                                                             keine Kulturstadt aus, große Institutionen zu beheimaten.       an die jeweilige Einrichtung, an die jeweilige Institution,
                                                                                                                                             Die entscheidende Frage ist: Was bedeuten Kunst und Kul-        an den jeweiligen Fachbereich: Was ist dein Beitrag zu die-
                                                                                                                                             tur tatsächlich für uns?                                        sen Zielen? Was ist dein Beitrag zu Teilhabe, Gerechtigkeit,
                                                                                                                                                  Wir sehen Kultur als Treiber von Stadtentwicklung in       Bildungsgerechtigkeit, Toleranz, bürgerschaftlicher Betei-

                                 Gisela Höhne und das Theater RambaZamba
                                                                                                                                             vielfältiger Dimension. Die für uns relevanten Fragen sind:     ligung? Das ist die Frage, die zunächst an alle gestellt wird.
                                                                                                                                             Was macht überhaupt eine Stadt aus? Was ist eine Stadtge-           Schnell kommen alle Beteiligten zu dem Ergebnis, dass
                                                                                                                                             meinschaft? Was ist Stadtidentität? Diese Fragen bewusst        viele Wirkungen, die wir insgesamt erzielen wollen, in einer
                                                                                                                                             zu beantworten, die Antworten bewusst zu gestalten – das        Stadt, in einer Gesellschaft, nicht von einer Seite allein zu
                                                                                                                                             ist ein kultureller Prozess. Dieser Prozess ist entscheidend    verantworten sind. Das heißt automatisch, dass es, wenn
                                                                                                                                             für viele andere Bereiche, die wir diskutieren: Integration,    ich nach Wirkungen frage, zu Kooperation kommen muss,
                                                                                                                                             soziale Entwicklung, wirtschaftliche Entwicklung. Das hat       weil selten jemand allein eine Wirkung herstellen kann.
                                                                                                                                             bei uns zu der Überlegung geführt, uns um den Titel der         Und deswegen ist das erste Wort unseres Untertitels ebenso
                                                                                                                                             europäischen Kulturhauptstadt zu bewerben. Dabei ist der        von zentraler Bedeutung, nämlich »gemeinsam«. Es bedeu-
                                       Bestellen Sie jetzt ein Probeabo                                                                      Grundgedanke wichtig, der hinter der Kulturhauptstadt           tet, Kooperationsfähigkeit herzustellen. Das ist in einer
                                                                                                                                             steht: die gezielte Entwicklung der Stadt und ihres Selbst-     öffentlichen Verwaltung nicht ganz banal. Weil die öffent-
                                         unter www.theaterderzeit.de                                                                         verständnisses, die Gestaltung des Zusammenlebens und           liche Verwaltung sich in besonderer Weise dadurch aus-

                                       oder per Telefon 030-2423688                                                                          die Art, wie Prozesse gestaltet, Debatten geführt und Ent-
                                                                                                                                             scheidungen getroffen werden, mit Hilfe der Kultur.
                                                                                                                                                                                                             zeichnet, dass sie viele Verantwortungen und viele unter-
                                                                                                                                                                                                             schiedliche Themenbereiche organisiert. Und es gibt kaum
                                                                                                                                                  Die Veranstalter haben mich gebeten, in diesem Zu-         eine Organisation, die solch eine Vielzahl von Produkten
                                                                                                                                             sammenhang und im Rahmen des Themas »Wie wollen                 zusammenfasst; für eine Stadtverwaltung sind das unge-
                                                                                                                                             wir arbeiten« auch einige Ausführungen zu unserem               fähr zweihundert.

Anzeige_DG_179x265_2014.indd 2                                                                                            24.03.14 14:34                                                                                                                                                      7
Und jetzt stellt sich die Frage: Wie komme ich aus dem      aus Misserfolgen und die Diskussion über selbige als kon-         Aufgabe, auch an den Grundpfeilern und Voraussetzungen
     raus, was die Verwaltungswissenschaft »Silodenken« nennt:       struktiv erachtet wird, ist das Problem weitaus geringer als      von Gesellschaftlichkeit und Demokratie zu arbeiten. Die
    »Ich habe mein Thema und meine Verantwortung.« Für              bei uns. Worüber wir also zwangsläufig reden, ist nicht nur        öffentlichen Institutionen sind gesellschaftliche Akteure
    übergreifende Fragestellungen müsste ich allerdings koope-      über veränderte Konzepte und Strategien, wir reden über            und nicht allein Dienstleister.
    rieren und müsste wahrnehmen, was andere an Aufgaben            Kulturwandel.                                                          Das ist der Rahmen, den wir jetzt mit »Change im Qua-
    haben und darauf aufbauend dann zu einer neuen Art von               Kulturwandel ist immer eine erhebliche Herausforde-           drat« seit sechs Jahren auszufüllen versuchen. Er hat ver-
    vernetztem Denken kommen.                                       rung, weil Wandel das ist, was uns Menschen am schwersten          schiedene Schwerpunkte, die ich im Einzelnen aus Zeit-
         Zu unserem Neujahrsempfang hatten wir den briti-           fällt. Das kann ich auch im Hinblick auf den Umbauprozess          gründen nicht darstellen konnte. Ich hoffe, dass mein
     schen Stadtforscher Charles Landry für einen Vortrag ein-      in den letzten sechs Jahren bestätigen. Die Kulturverände-         Bericht ein Impuls für die Diskussionen über die Zukunft
    geladen. Landry hat den Begriff der »Creative City« geprägt.    rung ist der Teil, der am längsten dauert und der entspre-         Ihrer Arbeit sein kann.
    Ein Begriff, der auch für uns von Bedeutung ist, da wir die      chend die höchste Anforderung in sich trägt.
    Zielvorstellung der »Kreativen Stadt« in unsere strategi-            Wir sind eingestiegen mit der Erwartung, dass es schwie-
     schen Ziele aufgenommen haben. Bei einem Gespräch mit          rig werden wird, wenn man Fachbereiche neu zuschneidet
    Landry wurde mir bewusst, dass zwischen »change« und            und wenn man Prozesse verändert. Das schienen die gro-
     dem Anspruch »Kreative Stadt« ein unmittelbarer Zusam-         ßen Herausforderungen. Aber sie sind es nicht. Denn wir
    menhang besteht. Seine These ist nämlich, dass eine der         haben mittlerweile gelernt, dass dies machbar, sogar rela-
    Grundvoraussetzungen für eine »Kreative Stadt« das hori-        tiv schnell machbar ist.
    zontale Denken ist. Horizontales Denken in Abgrenzung                Aber eine ganz andere Dimension hatte der Umgang
    zum vertikalen Denken. Wenn eine Stadt nicht in der Lage        mit den Fragen nach Verhaltensveränderung, nach echter
    ist, das zu organisieren, kann sie letztlich auch nicht die     Kooperationsfähigkeit und nach der Auseinandersetzung
    Rahmenbedingungen für das Entfalten von Kreativität schaf-      mit der eigenen Situation. August Bebel hat gesagt, die
    fen. Dies betrifft nicht nur die Verwaltung, sondern natür-     wahrhaft revolutionäre Tat sei es, zu sagen was ist. Das ist
    lich auch die Stadtgesellschaft insgesamt. Insofern sind        tatsächlich so. Damit überhaupt zu beginnen, einen offe-
     die Anforderungen »gemeinsam« und damit »horizonta-            nen Diskurs herzustellen, auch innerhalb einer Organisa-
    les Denken« absolut zentral für die Verwaltung wie für die      tion, sich offen und möglichst sachbezogen auszutauschen
    Stadtgesellschaft.                                              – das ist neues, unbekanntes Land.
         Es sind drei Wahrnehmungen öffentlicher Verwaltung,             Die Organisationssoziologie sagt, dass zwölf Jahre für
     die uns dazu getrieben haben, ein so umfassendes Projekt        einen Kulturwandel ein sehr realistischer Zeitraum sind.
     anzugehen. Die eine ist, dass interessanterweise nie über      Dazu kann ich sagen, dass diese Zeitspanne uns, die wir
    Ergebnisse gesprochen wird. Es gibt eine Ausnahme, aber          den Weg selbst seit sechs Jahren gehen, als angemessen
     die kam nicht aus Deutschland. Das war PISA. Wir sind           erscheint, denn es ist ein sehr umfassender Prozess. Diese
    praktisch erstmals »von außen« evaluiert worden. PISA           Einschätzung teilen mit mir auch viele Mitarbeiterinnen
    brachte uns zum ersten Mal dazu, dass wir wirklich einen        und Mitarbeiter und Personalvertretungen.
     öffentlichen Diskurs über die Ergebnisse von Politik und            Und nun ein paar Sätze zur dritten Dimension der Ver-
    über die Ergebnisse von öffentlicher Verwaltung im Sinne         änderung, die mir besonders wichtig ist: die gestalterische
    von Auswertung geführt haben. Das sind wir in Deutsch-          Dimension. Es war aus dem Blick geraten, dass eine öffent-
    land nicht gewohnt. Vielleicht hat das mit dem Erbe des Idea-   liche Verwaltung nicht allein einen Dienstleistungsauftrag,
    lismus zu tun, zu sagen wir wissen doch was richtig ist          sondern auch einen gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag
    und wenn es theoretisch stimmt interessiert uns die Pra-        innehat. Von dem früheren Verfassungsrichter Böckenförde
    xis nicht so sehr. Das ist vielleicht eine deutsche Denktra-     stammt die Aussage: »Der Staat lebt von Voraussetzungen,
     dition. Es ist durchaus interessant, diese Haltung durch        die er selbst nicht schafft.« Das ist der Verweis auf Kirche,
     einen internationalen Kontext herauszufordern. Und das          auf Familie etc., auf wertbildende und Haltungen bildende
    ist zunächst einmal ein Ausgangspunkt, um zu fragen: Was        Institutionen. Daraus ist teils der Schluss gezogen worden,
     sind überhaupt Ergebnisse? Was wollen wir erreichen? Und        dass wir uns als öffentliche Verwaltung nicht um die eige-
     schauen wir uns Ergebnisse an und reden wir offen darüber      nen Voraussetzungen für Demokratie kümmern müssten
    – auch über Misserfolge? In Kulturen, in denen das Lernen        oder sogar dürften. Das führt in die Irre. Es ist gerade unsere

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fische im think-tank
                   Maren Kames

                 i   m Jahr 2005 begann David Foster Wallace eine Rede mit fol-
                     gender Parabel: There are these two young fish swimming along
                     and they happen to meet an older fish swimming the other way who
                                                                                           Nun erzählt die Fischgeschichte von Wallace auch von der
                                                                                           einfachen Wahrheit, dass die unmittelbarste Umgebung oft
                                                                                           am schwierigsten in den Blick zu bekommen ist. Es braucht
                                                                                                                                                          lachen lässt, das sei doch, wirft Paech ins Publikum, »Ihr
                                                                                                                                                          Job, oder nicht?«
                                                                                                                                                               Als Eröffnungsfanfare ließe sich Paechs Denkanstoß
                                                                                                                                                                                                                          neuen Authentizitäts- und Kreativitätsimperativ. Hinter
                                                                                                                                                                                                                          dem »unternehmerischen Selbst« und seiner dauerhaf-
                                                                                                                                                                                                                          ten Selbstvermarktung warte das »erschöpfte Selbst«, das
                     nodds at them and says: Morning, boys. How´s the water? And the       jemanden, der einem aus anderer Richtung entgegenkommt         mit der Hamburger Band Die Sterne auch so zusammenfas-          einem mehr oder weniger diffusen Gefühl permanenten
                     two young fish swim on for a bit, and then eventually one of them     und die entscheidenden Fragen stellt. Auf solche diame-        sen: »Wir müssen nichts so machen wie wir’s kennen, nur         Ungenügens ausgesetzt ist. Das kann, so Haunschild, auch
                     looks over at the other and goes: What the hell is water? 1           tralen, augenöffnenden Denkanstöße setzt die Konferenz         weil wir’s kennen wie wir’s kennen.« – Das Feld ist maxi-       unter dem Deckmantel jenes klassischen Bohème-Lebens-
                          Foster Wallace meint das Wasser, in dem wir täglich              mit Referenten aus fremden Ländern und Disziplinen. Sie        mal geöffnet. Und wird am nächsten Konferenzvormittag           stils passieren, den Theaterschaffende nicht zuletzt deshalb
                             schwimmen, die stromlinienförmigen Bewegun-                   stellt ein Programm zusammen, das auf möglichst breiter,       bestellt mit Geschichten der Arbeit aus mindestens vier         pflegten, um die teils selbstgewählte, teils eingeforderte
                             gen, mit denen wir uns so routiniert wie hektisch             gesamtgesellschaftlicher Ebene zu denken beginnt, inter-       Perspektiven. Einen historisch-grafischen Anfang macht          Fusionierung von Arbeit und Leben und die Unterordnung
                             durch das Fahrwasser des Alltags bewegen. Und                 disziplinäre und internationale Perspektiven vorstellt und     Torsten Bewernitz, dessen Vortrag work in progress. Arbeit im   des Privatlebens unter die Arbeit zu legitimieren. Ande-
                             zeigt eine Möglichkeit, diesen frustrierenden Rou-            von dort aus immer weiter in die Interna der theatralen        Wandel blitzschnell und live von Parastu Karimi und Ans-        rerseits könnten gerade die künstlerische Selbstwahrneh-
                             tinen, den festgefahrenen Denkmustern etwas ent-              Arbeitswelt zoomt; ein Programm, das darauf ausgelegt          gar Lorenz illustriert wird. Zu sehen sind: Marx, die hand-     mung und die intrinsische Motivation zur kreativen Aufop-
                             gegen zu halten: »simple awareness«, die schlichte            ist, durch den fremden Blick das Eigene anders zu sehen.       betriebenen Pflüge der vorindustriellen Landwirtschaft,         ferung, die mit diesem Lebensstil verbunden sind, auch als
                             wie schwierige Kunst, gegenüber sich selbst und                    Den ersten Weitwinkel setzt Wirtschaftswissenschaft-      Maschinen, die im Lauf des 19. Jahrhunderts die Handarbeit      Methode zur Burnout-Prävention funktionieren.
     Maren Kames studierte dem, was einen tagein, tagaus umgibt, aufmerk-                  ler Niko Paech. Er schwört dem Wachstumsimperativ moder-       ersetzen, Fabriken, die die fortschreitende Industrialisie-          Die Macht der Diskurse wird jedenfalls an diesem Frei-
       Kulturwissenschaften,
                             sam zu bleiben.                                               ner Konsumgesellschaften ab und stattdessen auf das            rung verbildlichen. Es geht um Reproduktions-, Subsistenz-      tagvormittag im Schauspielhaus insofern spürbar, als spä-
  Philosophie und Theaterwis-
     senschaft in Tübingen und                                                             Modell einer Postwachstumsökonomie als unumgängli-             und Sklavenarbeit, um Fließbandarbeit, Rationalisierung         testens nach dem nun folgenden Vortrag der Arbeits- und
  Leipzig, außerdem Kreatives    »How‘s the water?« – ist im Kern auch das Anliegen        che Alternative. »Die Wachstumsparty ist vorbei!«, ruft er     und Taylorisierung, schließlich um Virtualisierung, Crowd-      Organisationspsychologin Erika Spieß auch der letzte,
  Schreiben und Kulturjourna-    der diesjährigen Jahreskonferenz der Dramaturgi-          in eine Zeit, in der das Prinzip, über seine Verhältnisse zu   working, Outsourcing und Schwarmarbeit. Am Ende der             noch so vitale Konferenzteilnehmer deutlich erschöpfter,
 lismus in Hildesheim. Sie war   schen Gesellschaft. Denn die Leitfrage »Wie wol-          leben, omnipräsent ist. Er spricht von Konsumverstopfung       Schlagwort- und Bildstrecke liegt ein Clown in einer Hän-       mindestens betretener, wenn nicht therapiebedürftiger als
          Mitherausgeberin der
                                 len wir arbeiten?«, unter der man sich zum kollekti-      und Strukturaufblähung, von längst überschrittenen mate-       gematte, der schlecht gelaunt sein Recht auf Unsinn und         zuvor im Sessel zu hängen scheint – obwohl, oder vielleicht
     Literaturzeitschrift BELLA
  triste und Teil verschiedener  ven Think-Tank in Mannheim versammelt, greift im          riellen, finanziellen und psychischen Wachstumsgrenzen,        Unproduktivität als Bedingung für die Aufrechterhaltung         gerade weil, ihr Vortrag über die Perspektiven der Kooperation
 literarischer und nicht-litera- Falle dieser Berufsgruppe auf weit größere Bereiche       von Reizüberflutung, Zeitknappheit und Überforderung           von Kreativität verkündet.                                      aus organisationspsychologischer Sicht streckenweise an eine
   rischer Projekte. Momentan    über als auf ein klar abgestecktes nine to five und die   in Zeiten entgrenzter Konsummöglichkeiten und schier                Auf die Hängematte bezieht sich indirekt auch Axel         Einführungsvorlesung im Grundstudium Psychologie erin-
     lebt sie als freie Autorin in
                                 Effizienz seiner Produktionsabläufe. Sie gibt Anstoß      unendlicher Mobilität. Davon, dass eine Befreiung vom          Haunschild in seiner Keynote über die Arbeitsbedingungen        nert. Einzig beim Stichwort »Pseudokooperation« zeigt ein
                          Leipzig.
                                 zur selbstkritischen Bestandsaufnahme, die den            herrschenden Überfluss keine Verzichtleistung sei, son-        im Kreativsektor. Nämlich als Sinnbild einer Fun-Kultur der     Sitznachbar Regung und flüstert etwas von eigenen Erfah-
                                 gesamten Zusammenhang von Arbeit und Leben,               dern Selbstschutz, und Freiheit nicht heiße, viel zu haben,    Arbeit, wie sie aus den freizeitpark-ähnlichen Headquar-        rungswerten im Theater.
  1
    David Foster Wallace: Das
                                 Kunst und Produktion umfasst. Unter dem Ein-              sondern auch, wenig zu brauchen. »Lebt eigenhändig, sou-       ter-Komplexen der Software- und IT-Giganten von Google               Nach der thesen- und theoriestarken Power-Point-Parade
     hier ist Wasser / This is druck, das Wasser stehe einem mindestens bis zum            verän und unerpressbar!«, ruft er. Es gehe nicht um Mehr-      bis Facebook im südkalifornischen Silicon Valley längst         des Vormittags scheint es zunächst erfrischend, dass Tho-
 Water, Kiepenheuer & Witsch Hals, entzieht sich die Konferenz für vier Tage dem           produktion, sondern um alternative Nutzung. Ansagen, die       auf andere Kontinente und Branchen herüber geschwappt           mas Vašek, studierter Mathematiker und Volkswirt, Autor
     2012. Ein zehnminütiger, Strom der Produktionsturbinen, um zu schauen: In             sich, so global und grundsätzlich sie formuliert sind, auch    ist. Diese unternehmerischen Lounge-Kulissen und das            und selbsternannter Philosoph, während seiner Präsenta-
      unbedingt sehenswerter
                                 welche Richtung schwimmen wir? Welchen Strö-              auf ein Theater anwenden lassen, das bei aller Einschrän-      dahinter stehende Feelgood-Management, mit dem Arbeit           tion frei über die Bühne mäandert. Allerdings tut das auch
 Videoclip mit einer gekürzten
     Audioaufnahme der Rede
                                 mungen setzen wir uns aus? Ist es Zeit für einen          kung durch Kürzungspolitiken tendenziell mitspielt im          dem äußeren Anschein nach Freizeitaktivitäten ähnlich           sein Beitrag und kommt dabei nicht wirklich weit hinaus
               findet sich hier: Kurswechsel?                                              Produktionsrennen um den größten, besten, publikums-           wird, haben – mindestens aus Sicht des Arbeitswissen-           über das doch relativ schlichte Abkanzeln der dualistischen
          http://bit.ly/1jkex5a.     Zwischen den Spielstätten des Nationalthea-           wirksamsten Output. Schließlich gehe es darum, so Paech,       schaftlers – neben immerhin atmosphärischer, wenn nicht         Trennung von Arbeit und Leben als »work-life-bullshit«.
                                 ters, das 2014 seinen 175-jährigen Geburtstag fei-        die Krisen und Umbrüche, vor denen wir unabwendbar und         tatsächlicher Entspannung auch den zwiespältigen Effekt,        Vašek erklärt: »Arbeit hat viel mehr Dimensionen, als dass
                         ert, und dem erst im Jahr 2000 gegründeten Künstlerhaus           notwendigerweise stehen, so zu verarbeiten und zu nutzen,      Arbeitsdruck zu verschleiern. Während die im Kreativsek-        Sie damit Geld verdienen!« Arbeit schaffe soziale Kontakte.
                         zeitraumexit trafen vom 23. – 26. Januar freie wie angestellte    dass nicht nur ein angstfreier Umgang mit ihnen möglich,       tor typischen Strukturen, ihre flachen Hierarchien und pro-     Es fänden sogar Diskurse statt am Arbeitsplatz. Aus diesen
                         Dramaturgen, Regisseure, Schauspieler, Autoren, Vertre-           sondern auch ihr überraschendes, kreatives Potenzial sicht-    jektbasierten, flexiblen Arbeits- und Lebensformen mehr         mittelsteilen Prämissen deduziert er: Wir brauchen nicht
                         ter der Stadt-, Landes- und Staatstheater sowie der freien        bar wird. Er erinnert an die leeren vierspurigen Autobahnen    und mehr zum Vorbild für Umgestaltungsprozesse in ande-         mehr Freizeit, sondern mehr »gute« Arbeit. Also solche,
                         Szene, Theatermacher kleiner und großer Häuser aus Ost            zu Zeiten der Öl- und Energiekrise in den 70er Jahren und      ren Berufsfeldern werden, stelle sich andererseits die Frage,   die nicht nur äußere Güter, sondern auch »innere Werte«
                         und West aufeinander. Etwa 280 teilnehmende Gäste und             daran, wie in dieser Endzeitstimmung plötzlich ein klei-       welche neuen Belastungs- und Anforderungsformen dar-            vermittele, »sinnstiftend« sei, dem Menschen und seinem
                        40 Referenten, ein denkbar diverses Sammelbecken ver-              ner Junge mit ausgestreckter Zunge auf einem Bonanza-          aus entstehen. Nach dem Diagnosen-Katalog der Sozial-           »Recht auf Selbstverwirklichung« entspreche. Eine phra-
                         schiedener Berufsbilder und -interessen also, das hier als        Fahrrad durchs Bild rollt oder eine mehrköpfige Familie        wissenschaften, den Haunschild im Gepäck hat, führt             senreiche Brandrede, die einigermaßen deplatziert wirkt
                         ein Biotop zusammenkommt.                                         die fahrzeugfreie Betonwüste als Grillplatz benutzt. Kri-      die stärkere Integration von Selbstverwirklichungsantei-        vor einer Branche, die die von Vašek verteufelte Trennung
                                                                                           sen so zu gestalten und zu bebildern, dass sich darüber        len und »Persönlichkeit« in den Arbeitsprozess zu einem          von Arbeit und Leben seit jeher, sagen wir von berufs

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          Carl Hegemann im  wegen, längst überwunden hat – und gerade des-        seits aller rationalen Zeitökonomie etwas hergestellt, das        det in der Work-Life-Oase Yoga ohne Umziehen statt, vor          ger Tendenzen Talente zu finden und zu fördern, sich mit
  Vorwort zu Pörksens Buch  halb zusammenkommt, weil ihr die Konsequen-           kein vorgängiges Interesse bedient und keinen Nutzen kal-         den Spielstätten steht eine mobile Sauna, mit echtem Aus-        ihnen auf unwägbare, überraschende Prozesse einzulas-
 Verschwende deine Zeit.
                            zen daraus mindestens stellenweise problematisch      kulieren muss, und die Zuschauer gucken sich das an, ohne         ziehen. Gleichzeitig ist die Oase nicht nur Ort der Entspan-     sen, dem Ausprobieren zu verschreiben, einem Möglich-
  Ein Plädoyer, Alexander
  Verlag Berlin 2013, S. 17 geworden sind. Wenn einer im Rampenlicht die          einen bestimmten Nutzen davon zu erwarten.«2                      nung, sondern auch der Konfrontation. So kann es passie-         machen. Hier ein dreistimmiges Patchwork-Cut-Up ihrer
                           Arbeit theoretisch als »komplexe Lebensform« fei-           Julian Pörksen hat außerdem einen Film darüber ge-           ren, dass man beim absichtslosen Herumspazieren in eine          Statements, Arbeitsweisen und Visionen:
                   ert, während denen davor die Überkomplexität in der Pra-       macht, wie sich einer hinsetzt und nichts mehr tut. Der läuft     kleine Box gerät, in der Tanja Krone hinter einem Stehtisch
                   xis über den Kopf wächst, scheint das vor allem ignorant       abwechselnd mit Carmen Losmanns Dokumentarfilm Work               mit 25 Fragen zum Ist-Zustand des Arbeitsalltags ihrer Besu-          we see ourselves as BROKERS OF OPPORTUNITIES | stay 3 Hier kann nur eine dürftige
                   vor dem Hintergrund, dass selbst in der Kultureinrichtung      hard / Play hard in der Lobby des Werkhauses vom National-        cher wartet: »Wo fängt deine Arbeit an? Wofür bekommst           contemporary, relevant and INNOVATIVE | live and work like Nachbildung dieser
                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wasserbombe stattfinden.
                   Theater – und das wissen die im Bühnenraum vermutlich          theater und heißt: Sometimes we sit and think and sometimes we    du Geld? Rechnet sich deine Arbeit? Was heißt hier Leis-         an ACROBAT, who lives in a field of constant tensions | that
                                                                                                                                                                                                                                                                                      In ihrer vollumfänglichen
                   sehr genau – nicht jede Arbeit so großartig selbstverwirk-     just sit und könnte damit auch Titel des von Jochen Roller        tung? Wie lässt sich ein Gleichgewicht zwischen Kunst und        refers to discipline, excercise, creativity, risk, experience, Sprengkraft findet sie sich
                   lichend sein kann, wie der da oben es gern hätte.              angebotenen Workshops Really Nothing sein.                        Apparat herstellen? Wo und wie nimmst du Einfluss? Was           intuition, trust | it´s no point in trying to solve these TEN- Powerpointmaterial auf
                        Der Nachmittag wird beweglicher und interaktiver.              Die Anleitung zur Übung: »just sit«. Ein karger, neonbe-     war das größte Risiko, das du eingegangen bist?« Zusatz-         SIONS, they are essential for his work | negotiate these ten- www.dramaturgische-
                   Während im Werkhaus um die Ecke über die Kommunika-            leuchteter Raum im zeitraumexit, Tische, Stühle, 20 Men-          frage für alle: »Was ist qualitativ gute Kunst?«                 sions | celebrate artistic experimentation and RISK TAKING gesellschaft.de
                   tion zwischen Verlegern und Dramaturgen diskutiert wird        schen, 45 Minuten. Zwischen den sich gegenübersitzenden               Fragen, die sich so oder ähnlich auch vor der im Foyer       | focus on the PROCESS | our passion is to make work that
                   und art but fair-Mitglied Daniel Ris im oberen Foyer des       Paaren nichts, kein Wort, keine absichtsvollen Gesten, keine      platzierten Wanderausstellung von Gesche Piening und             is narratively engaging and formally ADVENTUROUS | help to
                   Nationaltheaters über Unternehmensethik für das Thea-          intendierte Kommunikation, nur Wasserflaschen und für             Ralph Drechsel stellen. Sie zeigt auf Basis von Zahlen aus       give the artist´s early ideas the best chance to shine | take
                   ter spricht, berichten Turbo Pascal im unteren Stockwerk       jeden ein Lolli. Sich der Ereignislosigkeit aussetzen, die Zeit   dem Report darstellende Künste (2010) die Lebens- und Arbeits-   the audience to an UNEXPECTED JOURNEY | placing complete
                   von ihrem künstlerischen Langzeit-Forschungsprojekt im         absitzen, kollektive Untätigkeit. Manchmal hört man jeman-        bedingungen freier Tanz- und Theaterschaffender in zwölf         TRUST in the artists to realize their ideas | give them space
                   Rahmen ihrer Doppelpass-Kooperation mit dem Stadtthea-         den trinken. Einer steht auf und geht. Die Blicke schwei-         pointierten Grafiken. Ein bis allerhöchstens drei Prozent        and time, administrative supports and creative inspira-
                   ter Freiburg. Über den Verlauf eines ganzen Jahres prob-       fen, man beobachtet zufällig irgendwas. Manche schlie-            des öffentlichen Gesamthaushalts stehen der Kultur zur           tion | introduce them to other creative minds who might
                   ten sie, »als Kollektiv durch die Strukturen des Hauses zu     ßen die Augen. Man wechselt die Sitzposition. Manchmal            Verfügung, von diesem winzigen Etat wiederum gehen 0,3           take them off in an unexpected but wonderful direction |
                   toben«, also die kollektive Arbeitsweise einer freien Gruppe   kratzt sich einer.                                                bis maximal 2,5 Prozent an freie Theater. Rechnet sich vor       encourage an HONEST DIALOGUE about the succes or failure of
                   mit den arbeitsteiligen Strukturen und Prozessen innerhalb          Danach die Frage: War das jetzt verschwendete Zeit?          diesem Hintergrund deine Arbeit? Wofür bekommst du               those ideas | pay the artist for all of this | expect nothing in
                   des Stadttheaters aufeinandertreffen zu lassen.                Wie war die Zeit? War das »really nothing«? – Offenbar war        Geld und was heißt Leistung, angesichts von 33 Prozent           return except the COMMITMENT from that artist, that they‘re
                       Am gegenüberliegenden Ende des Foyers geht es kon-         es sehr viel Verschiedenes. Man spricht über die Gruppen-         Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern? Nach              open to experimentation and play | the work we make is
                   templativer um Zeitverschwendung. Julian Pörksen wundert       dynamik von Bewegungen und Geräuschen, von hochkon-               45 Berufsjahren liegt die durchschnittliche Rente der Frei-      always done with the principle of friendship and collabo-
                   sich leise über die Mechanismen, mit denen jede Freizeit-      zentrierten, völlig zerstreuten oder angenehm benebelten          schaffenden bei 427,50 Euro – welche Art von Sicherheit          ration | we don´t make work because of the financial poten-
                   aktivität sofort wieder in einen Zweck-Nutzen-Zusammen-        Gedankengängen, eine spricht von einer ganz großarti-             brauchst du? Eine so zynische wie treffende Antwort gibt         tial it has, but because we feel it has something IMPORTANT
                   hang gebracht wird. Die schon begrifflich anstrengende         gen Inspiration.                                                  der Titel der Ausstellung: brenne und sei dankbar.               to say about the world we live in | we believe, that experi-
                   Methode des Power-Nap oder die Frage, welche Sorte Yoga             Überlegungen zur Zeitverschwendung werden auch                   Am nächsten Morgen ändert sich die Strömung. Die             mental work can and should have a broad appeal | fight for
                   die effektivste sei, scheine sämtliche Entspannungsme-         angestellt im Foyer des Nationaltheaters, das vom Bühnen-         drei, die jetzt unter dem Programmpunkt »Impulse aus             the UNMEASURE, continue to produce it, try to find out what
                   thoden selbst zu Teilen eines Produktivitäts- und Optimie-     bildner David Gonter mit Plastikpalmen, Sonnenstühlen,            dem Ausland« auf die Bühne kommen, wirken nach den               that unmeasure is | KEEP DISTANCE from what is called crea-
                   rungsparadigmas zu machen. Wie geht dann eigentlich            einem zum Springbrunnen umfunktionierten Bauschutt-               gedanken- und bedenkenvollen bisherigen Konferenz-               tive industry, because it´s already to much involved with
                   richtig absichtsloses Zeitvertrödeln, Bummeln, Schlum-         container und gelbem Licht zur Work-Life-Oase ausgestal-          stunden wie Regenbogenfische aus einem anderen, bun-             the measure, with what is calculated | SEE RISKY IDEAS BECO-
                   mern, Rumgammeln? Pörksen hat Antworten und Bei-               tet ist. Hier halten sich die Künstler vom offenen Netzwerk       ten Biotop. Sarah Murray vom Studio des National Theatre         MING SOMETHING BRILLIANT.
                   spiele gesammelt: Becketts zur Tatenlosigkeit verdammten       geheimagentur auf und haben einen losen Plan: Sie stellen,        of Great Britain, Ed Collier, Co-Direktor und Mitbegründer
                   Clown, Benjamins Flaneur, Melvilles Verweigerungskünst-        gezielt oder ungezielt, absichtlich oder aus Versehen, in         von China Plate London, und Erwin Jans vom Antwerpe-             Und dann kommt in das durch diese Impulse weit geöff-
                   ler Bartleby, Eichendorffs Taugenichts und in Ansätzen von     spontanem Austausch oder gemeinsamem Nichtstun mit                ner Toneelhuis stellen zwar keine großformatigen Fragen          nete Becken der wohl dickste Fisch der gesamten Konfe-
                   Barthes, Bataille und Schlegel. Helden des Müßiggangs          vorbeikommenden Konferenzteilnehmern Forschungen                  und Thesen in den Raum, berichten aber so plastisch und          renz geschossen – und schmeißt Wasserbomben. In einer
                   sind für ihn auch Leonce und Lena, deren ausschweifen-         an, die die Gründung einer Agentur für Zeitverschwendung vor-     prägnant aus ihrer unmittelbaren Arbeitspraxis, dass ein         Mischung aus analytischer Schärfe, wahnsinniger Wert-
                   des, frei assoziierendes Herum-Monologisieren ihn auf die      bereiten sollen. Gemeinsam will man den Zeitverschwen-            Bild davon entsteht, wie vielschichtig, inspiriert und span-     schätzung der eigentlichen Potenziale und ehrlicher Ver-
                   Idee brachte, ab und zu mal »bei sich selbst ins Theater zu    dungsstrategien der Konferenz auf die Spur kommen und             nend organisiert zeitgenössische Theaterproduktion ausse-        zweiflung über den akut desolaten Zustand liest Ulf Schmidt
                   gehen«, dem eigenen Kopf ungesteuert beim Denken zuzu-         eigene Zeitverschwendungsservices entwickeln; wie und             hen kann. So unterschiedlich ihre Institutionen aufgestellt      dem deutschen Theater der Gegenwart kräftig die Leviten –
                   sehen. Theater ist für Pörksen sowieso ein »idealer Ort [für   was genau dabei passiert, ist ergebnisoffen.                      und strukturiert sind, scheinen sie doch eine ähnliche Hal-      und zeichnet zugleich die Vision eines Theaters der Zukunft,
                   solche Strategien], denn es ist eine der Zeitverschwendung          Das dicht getaktete Konferenzprogramm hat selbst             tung zu teilen: das Selbstverständnis als experimentierende      die einen radikalen Kurswechsel nicht nur unbedingt not-
                   gewidmete Institution, hier wird mit großem Einsatz jen-       Entspannungsmomente eingeplant: Allmorgendlich fin-               Laboratorien, dazu da, im pulsierenden Pool gegenwärti-          wendig, sondern möglich und umsetzbar scheinen lässt.3

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zwischen wachstumswahn
                                                                                                                                        und askese: auf der suche
                                                                                                                                        nach einer neuen balance
                                                                                                                                        Niko Paech

     In wenigen, erschreckenden Zahlen beamt Schmidt die             temporären Mini-Think-Tanks unter jeweils einem gemein-              1. Das Spiel ist aus
     schleichende Abwicklung der deutschen Theaterlandschaft         samen Anliegen zusammen, ein flirrendes paralleles Den-              Technologische, politische oder kommunikative Nachhal-         Kommunikationsstrategien, Lernprozesse oder
     als reale Gefahr auf die Projektionsleinwand. »Kürzen, Per-     ken und Debattieren. Die Teilergebnisse dieser konspirati-           tigkeitsbemühungen orientierten sich bislang an einer öko-     Managementkonzepte motiviert werden könnte, hat
     sonal abbauen, zusammen legen, schließen – so sieht es          ven Arbeitsgruppen finden sich am nächsten Tag auf bunten,           logischen Modernisierung. Dieser ideologische Überbau          nicht einmal das ohnehin dürre Spektrum nachhal-
     aus, wenn Branchen platt gemacht werden.« Katastrophal          wild gestalteten Plakaten in der Lobby Werkhaus des Natio-           liefert vermeintlich aufgeklärten Konsumgesellschaften         tigkeitskompatibler Alltagspraktiken stabilisieren
     seien aber nicht allein die blanken Zahlen, sondern die         naltheaters, wo man sich nach dem Empfang des Verbandes              ein Alibi dafür, den Wandel zum Weniger bis auf unbe-          können, welches Ende der siebziger und Anfang der
     Gleichgültigkeit, mit der die breite Öffentlichkeit auf diese   Deutscher Bühnen- und Medienverlage in der Nacht zuvor               stimmte Zeit aufzuschieben oder als unnötig abzulehnen.        achtziger Jahre vorübergehend erkennbar wurde.
     bestandsgefährdenden Entwicklungen reagiere ohne jede           und dem morgendlichen dg-Mitgliederbrunch mit entspre-               Denn schließlich, so die Hoffnung, könnte ein techni-          Ausnahmslos alle gesellschaftlichen Nischen, die
     Rebellion. Der Grund: Theater wirkten nicht mehr in die         chend kleinen Augen zu den letzten Veranstaltungen der               scher Wandel das Nachhaltigkeitsproblem ohne mühevolle         sich ökologisch-progressiv gerieren, wurden inzwi- Niko Paech ist Wirtschafts-
     Gesellschaft hinein und die Gesellschaft finde sich nicht       Tagung trifft. Es ist der Mittag der Intendanten und Elefan-         Umstellungen und Anspruchsmäßigungen lösen. Dumm               schen von materieller Aufrüstung, Digitalisierung, wissenschaftler und Professor
     mehr im Theater wieder.                                         ten. Nicola May und Ulrich Khuon berichten als »Fallbei-             nur, dass es ausgerechnet viele der zu diesem Zweck ent-       kerosintriefender Mobilität sowie von einer nie für Produktion und Umwelt
          Diese Gesellschaft stehe im Zeichen einer fundamenta-      spiele« von der Arbeit als Leiter ihrer Häuser und den prinzi-       wickelten Effizienz-, Energiewende- oder sonstigen Green       dagewesenen Einwegmüll- und Elektronikschrott- an der Carl von Ossietzky
                                                                                                                                                                                                                                                              Universität Oldenburg.
     len Zäsur. Schmidt nennt es das Zeitalter der digitalen Nais-   piell rezeptfreien Manövern, mit denen sie die heterogenen           New Deal-Innovationen sind, die den materiellen Raubbau        lawine erfasst. Der Versuch, Nachhaltigkeit jenseits
     sance und sagt: »Wir leben in einem revolutionären Umbruch      Berufsbilder und -interessen dieser »kleinen Gesellschafts-          sogar intensivieren, indem sie bislang verschont geblie-       glaubwürdiger Lebensstilvorbilder zu kommunizie-
     ohne revolutionäres Subjekt, ohne revolutionäres Konzept,       modelle« unter einem Theaterdach koordinieren. In einer              bene Naturgüter und Landschaften einer »grünen« Ver-           ren, hat sich längst ad absurdum geführt.
     ohne revolutionäre Utopie. Diese Veränderung überfor-           letzten Podiumsdikussion versammeln sich Rolf Bolwin,                wertung zuführen.                                                  Jetzt geht es nicht mehr um die Vermeidung des Kollap-
     dert jeden und es gibt keine Institution, die hier als refle-   Mathias Lilienthal, Barbara Mundel und Marion Tiedtke um                  Alle Fakten legen nahe, endlich mit einem Reduktions-     ses, sondern nur noch um seine bestmögliche Gestaltung.
     xives Auge im Sturm agiert, es sein denn: das Theater der       die Frage »Wie können – oder müssen – wir zukünftig arbei-           programm ernst zu machen, statt ein »Green Growth« zu          Was könnte die Beendigung einer egozentrischen Konsum-
     nächsten Gesellschaft. Weil Theater der einzige Ort ist, an     ten?«. Der Raum ist so voll wie die Köpfe, die Luft relativ ver-     beschwören. Das Konzept der »Postwachstumsökonomie«            und Mobilitätskultur mehr erleichtern als Argumentations-
     dem sich Analoges und Mediales treffen und reflektiert          braucht, die Diskussionsansätze nicht unbedingt. Trotzdem            böte sich als Alternative an. Allerdings würde es erstens      hilfen, durch die sich ihrem Dahinscheiden etwas Positives
     werden können […]. Weil Theater ein Ort der Gesellschaft        bleiben sie eher quer gegeneinander stehende Statements –            bescheidenere und zweitens eigenständigere, also gradu-        abringen lässt? Darauf soll im Folgenden skizzenhaft ein-
     in der Gesellschaft ist, an dem sich in Gesellschaft über       möglicherweise ist die Frage doch zu groß, die Perspektiven          ell auf Subsistenz beruhende Versorgungsmuster vorausset-      gegangen werden. Sodann werden die Konturen der »Post-
     Gesellschaft ästhetisch reflektieren lässt.« Dieses Theater     zu verschieden für die knapp bemessene Zeit.                         zen, somit die zeitgenössische Komfortzone in Frage stellen.   wachstumsökonomie« (Paech 2008, 2012) besichtigt.
     der nächsten Gesellschaft verstehe sich als Teil der Netzge-        Danach wird es still. Dharmacarin Sunayaka spricht               Unabdingbar wären Lebensstile, die mit hoher Spezialisie-
     sellschaft, es sei wagemutig, neugierig und provozierend,       mit seiner buddhistischen Meditation zum Abschluss der               rung und Konsumorientierung kaum vereinbar sein können.        2. Kleiner Almanach der Wachstumskritik
     vielformatig, spielerisch und komplex in seinen Erzähl-         Konferenz ein Bewusstsein an, das nach vier durchdachten             Das Leben in einer Postwachstumsökonomie meistern zu           2.1 Reichtum durch organisierte Verantwortungs-
     weisen. Es verwandle sich vom Industrietheater zum agi-         Tagen zur Abwechslung nicht analytisch in den Synapsen               können ist keine Frage der Einsicht, des Wollens oder der      losigkeit
     len Theater, arbeite kollaborativ und kollektiv, sei Zent-      ausgelöst wird, sondern beim Körper anfängt. Eine andere             bekundeten Akzeptanz, sondern der eingeübten Befähi-           Der seit Beginn des Industriezeitalters enorm gewachsene
     rum eines interdisziplinären, künstlerischen Netzwerkes,        Art, den Strom zu stoppen und zu sehen, in welchen Gewäs-            gung, also eines substanziellen Könnens und – vor allem –      materielle Wohlstand spiegelt sich in modernen Erzählun-
     vernetzt mit der Welt und in seinen Organisationsformen         sern man sich bewegt.                                                hinreichender Belastbarkeit.                                   gen wider, die sich um technischen Fortschritt, Wissens-
     selbst ein künstlerisches Gebilde.                                  Also: What the hell ist, kann und soll Theater sein, unter            Würde ein politischer Akteur das liebgewonnene Ein-       generierung, die Effizienzeigenschaften des Marktmecha-
          Der donnernde Applaus spricht von überwältigender          welchen Arbeitsbedingungen von heute, mit welchen Aus-               kaufs- und Mobilitätsparadies zurückbauen wollen, müsste       nismus und vor allem industrielle Spezialisierung ranken.
     Dankbarkeit, nicht nur dafür, dass hier einer – im Modus        sichten für morgen? Wie lässt sich aus dem Schwarm von               er die Systemlogik moderner Konsumdemokratien durch-           Letztere erlaubt die Abschöpfung komparativer Kosten-
     einer fundamentalen Kritik zwar, aber gerade darin so           Ideen, Ansätzen und Einsichten, die einem hier entgegen-             brechen. Diese besteht in einem Überbietungswettbewerb:        vorteile und deren Umwandlung in zusätzlichen Output.
     maximal alarmierend – an die potenzielle Bedeutungs-            gekommen sind, ein Kurs bestimmen? Und was wird aus                  Wer kann den Wählern noch mehr materielle Freiheiten           Entscheidend ist dabei der Grad an räumlicher und funk-
     macht des Mediums Theater erinnert hat, sondern auch            dem Kurswechsel, wenn am Tag nach der Konferenz die                  und Schutz vor Zumutungen versprechen und das resultie-        tionaler Arbeitsteilung. Das sich daraus ergebende Trans-
     für die Aussicht, dass sich am offenbar kollektiv empfun-       gewöhnliche Strömung wieder einsetzt? – »The point is that           rende Rundum-sorglos-Paket gleichzeitig von allen ökolo-       formationsmuster wird zumeist folgendermaßen erklärt:
     denen Bedeutungsverlust eigenhändig etwas ändern lässt.         petty, frustrating crap like this is exactly where the work of       gischen Gewissensbissen reinwaschen, indem auf ein nun-        Wenn eine bestimmte Versorgungsleistung in möglichst
     Denn bei aller groß angelegten visionären Diagnostik gibt       choosing is gonna come in,« sagt Foster Wallace, »a con-             mehr grünes Wachstum gesetzt wird? Davon abzuweichen           viele isolierte Teilprozesse zerlegt wird, auf die sich einzelne
     Ulf Schmidt auch zu verstehen, dass die Frage »Wozu Thea-       cious decision about how to think and what to pay atten-             käme politischem Selbstmord gleich. Mehrheitlich durch-        Unternehmen entsprechend ihrer jeweiligen Kompetenzen,
     ter heute und morgen?« individuell und lokal in jeder ein-      tion to«. Die Konferenz dürfte dabei geholfen haben, die-            setzbar ist nur, was ins Desaster führt. Mit anderen Wor-      Ressourcenausstattung oder Größenvorteile konzentrieren,
     zelnen Spielstätte, im eigenen Arbeitszusammenhang, im          sen Moment auch innerhalb der Alltagsroutinen zu finden,             ten: Die nötigsten Entwicklungspfade sind zugleich die         kann insgesamt mehr produziert werden als im vorherigen
     singulären Projekt beantwortet werden muss.                     eine Konzentration auf das, was einem in der Theaterarbeit           unwahrscheinlichsten.                                          Autarkiezustand. Mit zunehmender Ortsungebundenheit
     Mit dieser Initialzündung im Gehirn diffundieren die Teil-      eigentlich wesentlich ist. Mit Sicherheit aber hat sie Einsicht           Nicht minder hat die sozialwissenschaftliche Nachhal-     und Flexibilität der separierten Produktionsstufen können
     nehmer der Konferenz am Nachmittag in den Open Space.           in die Notwendigkeit gegeben, »that we have to keep remin-           tigkeitsforschung versagt. Das Herausarbeiten endogener        diese geographisch je nach Kosten- oder Qualitätsvorteilen
     Verteilt über die Foyers des Schauspiels findet man sich in     ding ourselves.«                                                     Potenziale eines sozial-ökologischen Wandels, der durch        verlagert werden. Dabei sorgt das Tausch- und Koordinati-

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onsmedium Geld dafür, dass alle zerlegbaren Teilprozesse       oder Konsument –, wird mit keinem sichtbaren Gegenüber           maschine« (Mumford 1967/1977) in Gang zu setzen. Genau        dies mit zusätzlichen materiellen Bestandsgrößen und
     und Ressourcen in »die fruchtbarere Hand« gelangen, um         konfrontiert. Industrielle Arbeitsteilung neutralisiert jede     genommen ähnelt moderne Produktion einem Verstärker,          Flächenverbräuchen erkauft wird. Außerdem sind die alten
     »ein Maximum des in ihnen latenten Wertes zu entbinden«        moralische Signifikanz, sie bedingt eine Entpersönlichung        der ein menschliches Signal in eine donnernde Sinfonie        Kapazitäten und Infrastrukturen zu beseitigen. Aber wie
     (Simmel 1900, 306).                                            der von den Folgen Betroffenen.                                  der Energie- und Materialumwandlung übersetzt. Durch          könnte die Materie ganzer Industrien und Infrastrukturen
         Wenn die Produktion einer Ware in viele Einzelprozesse         Um das System der organisierten Verantwortungslosig-         eine Rückkehr zum menschlichen Maß würden moderne             ökologisch neutral verschwinden?
     zerlegt wird, um die betriebswirtschaftliche Effizienz zu      keit zu therapieren, erscheint es naheliegend, Prozessketten     Gesellschaften also nur aufgeben, was ihnen ohnehin nie           Hinzu kommt ein zweites Dilemma: Wie kann das BIP
     steigern, entsteht eine Kette spezialisierter und eigenstän-   zu verkürzen, um Transparenz und Kontrolle wiederzuer-           zustand, sondern mittels technischer Hilfsmittel geplün-      dauerhaft wachsen, wenn jedem grünen Wertschöpfungs-
     diger Organisationen. Die räumliche und funktionale Aus-       langen. Aber eine deglobalisierte, womöglich regionali-          dert wurde.                                                   gewinn ein Verlust infolge des Rückbaus alter Strukturen
     differenzierung hat eine entscheidende Konsequenz: Wenn        sierte Ökonomie – Kohr (1957) sprach vom »Kleine-Ein-                                                                          entgegenstünde? Die von der Green Growth-Gemeinde
     sich die Verantwortung für den Gesamtprozess auf hinrei-       heiten-Prinzip« – wäre nicht nur mit weiterem Wachstum,          2.3 Lässt sich wachsender Konsumwohlstand von                 bestaunten Wertschöpfungsbeiträge der erneuerbaren
     chend viele Zuständigkeiten verteilt, wird sie damit gleich-   sondern bereits mit der Aufrechterhaltung des derzeitigen        ökologischen Schäden entkoppeln?                              Energien sind nur ein Strohfeuereffekt infolge des vorüber-
     sam ausgelöscht. Jeder Akteur, der innerhalb komplexer         Konsumwohlstandes unvereinbar.                                   Zuwächse des Bruttoinlandsproduktes setzen zusätzliche        gehenden und additiven Kapazitätsaufbaus. Danach redu-
     Prozessketten lediglich einen Teilaspekt bearbeitet, folgt                                                                      Produktion voraus, die als Leistung von mindestens einem      ziert sich die ökonomische Wirkung auf einen Energiefluss,
     einer eigenen, sich aus dem isolierten Aufgabenbereich         2.2 Wie verdient ist der Konsumwohlstand?                        Anbieter zu einem Empfänger übertragen werden muss            der vergleichsweise wenig Aufwand an wertschöpfungs-
     ergebenden Zweckrationalität. Die Folgen der vollständi-       Zumindest nach Überschreitung eines bestimmten mate-             und die einen Geldfluss induziert. Der Wertschöpfungs-        trächtigen Inputs verursacht und nicht beliebig gesteigert
     gen Prozesskette, insbesondere für die Ökosphäre, bleiben      riellen Niveaus lässt sich der historisch einmalige Güter-       zuwachs hat somit eine materielle Entstehungsseite und        werden kann – es sei denn, die Produktion neuer Anlagen
     für ihn unsichtbar. Es kommt zur »Erzeugung moralischer        reichtum kaum damit legitimieren, dass er von seinen             eine finanzielle Verwendungsseite des zusätzlichen Ein-       wird ohne Begrenzung fortgesetzt. Aber dann droht wie-
     Indifferenz« (Bauman 2002, 32). Innerhalb der (betriebs-       Nutznießern »verdient« oder »erarbeitet« wurde. Versuche,        kommens. Beide sind ökologisch zu neutralisieren. Selbst      der der alte Wachstumskonflikt. Die schon jetzt unerträg-
     wirtschaftlichen) Zweckorientierung seiner Einzelorgani-       den gestiegenen Wohlstand auf eigene Arbeit oder eine            wenn sich die Entstehung einer geldwerten und damit BIP-      lichen Landschaftszerstörungen nähmen entsprechend zu,
     sation erfüllt der Handelnde letztlich »nur seine Pflicht«.    Abfolge von Effizienzfortschritten zurückzuführen, ver-          relevanten Leistungsübertragung technisch entmateriali-       weil die materiellen Bestandsgrößen expandieren. Daran
         Diese Immunisierung gegenüber ethischen oder ande-         schleiern, dass die Insassen moderner Konsumgesellschaf-         sieren ließe – was mit Ausnahme singulärer Laborversu-        zeigt sich zudem, dass derartige grüne Technologien ohne-
     ren außerökonomischen Logiken betrifft auch die Nach-          ten auf mehrfache Weise über ihre Verhältnisse leben (vgl.       che aussichtslos ist –, bliebe das Entkopplungsproblem        hin kein ökologisches Problem lösen, sondern nur in eine
     frager selbst. Konsumenten verbrauchen grundsätzlich           Paech 2012, S. 25ff). Materieller Reichtum wird a) mittels       solange ungelöst, wie sich mit dem zusätzlichen Einkom-       andere physische, räumliche, zeitliche oder systemische
     Dinge, die sie nicht selbst hergestellt haben. Verbrauch und   Energie umwandelnder Apparaturen, b) durch systemati-            men beliebige Güter finanzieren lassen, die nicht vollstän-   Dimension transformieren. Deshalb sind die Versuche,
     Herstellung bilden somit getrennte Sphären. Zwischen der       sche Verschuldung, also auf Kosten zukünftiger Genera-           dig entmaterialisiert sind.                                   Entkopplungserfolge empirisch nachzuweisen, nur so
     Entstehung eines Bedarfs und der damit ausgelösten Pro-        tionen, und c) durch die Einverleibung entfernt liegender                                                                      brauchbar wie es gelingt, alle räumlichen und sonstigen
     duktion liegen unzählige, über beträchtliche Distanzen         Ressourcenquellen erzeugt. Was sich Konsumenten mit-             2.3.1 Entstehungsseite des BIP: Materielle                    Verlagerungseffekte zu inkludieren. Aber wie sollen bei-
     miteinander verkettete Einzelhandlungen. Indem die Aus-        tels Kaufkraft an physischen Leistungen angedeihen las-          Rebound-Effekte                                               spielsweise CO2 ­– Einsparungen und Landschaftszerstö-
     führung über viele Stufen hinweg delegiert wird, erfolgt       sen, steht also in keinem Verhältnis zur eigenen physi-          Wie müssten Güter beschaffen sein, die als geldwerte Leis-    rungen saldiert werden?
     eine »Mediatisierung« (Lachs 1981), das heißt eine Vermitt-    schen Arbeitskraft.                                              tungen von mindestens einem Anbieter zu einem Nachfra-
     lung von Handlungen. Diese werden grundsätzlich von                 Denn andernfalls müsste, gemessen am heutigen Kon-          ger übertragen werden, deren physischer Transfer, Her-        2.3.2 Verwendungsseite des BIP: Finanzielle
     einem Dritten ausgeführt, der »zwischen mir und den Fol-       sum- und Mobilitätswohlstand, die produktive Leistung            stellung, Nutzung und Entsorgung jedoch aller Flächen-,       Rebound-Effekte
     gen meines Tuns steht, so dass diese mir verborgen blei-       menschlicher Individuen seit der jüngeren Steinzeit auf          Materie- und Energieverbräuche enthoben sind? Bisher          Selbst wenn entmaterialisierte Produktionszuwächse je
     ben« (Bauman 2002, 38).                                        geradezu fantastische Weise zugenommen haben. Aber               ersonnene Green Growth-Lösungen erfüllen diese Voraus-        möglich wären, müssten die damit unvermeidlich korre-
         So schafft das Wesensprinzip moderner, funktional aus-     faktisch haben sich die physischen Qualitäten des homo           setzung offenkundig nicht, ganz gleich ob es sich dabei um    spondierenden Einkommenszuwächse ebenfalls ökolo-
     differenzierter Gesellschaften jene pathologischen Beding-     sapiens seither kaum verändert. Noch sind es zwei Arme,          Passivhäuser, Elektromobile, Ökotextilien, Photovoltaik-      gisch neutralisiert werden. Aber es ist schlicht undenkbar,
     ungen, unter denen einzelwirtschaftliche Entscheidungen        zwei Beine und ein Kopf, über die ein Individuum ver-            anlagen, Bio-Nahrungsmittel, Offshore-Anlagen, Block-         den Warenkorb jener Konsumenten, die das in den grü-
     nahezu perfekt vor moralischen Hemmungen abgeschirmt           fügt. Der immense physische Aufwand, ohne den der mär-           heizkraftwerke, Smart Grids, solarthermische Heizun-          nen Branchen zusätzlich erwirtschafte Einkommen bezie-
     werden. Wenn die Komplexität eines Versorgungssystems,         chenhafte Wohlstand undenkbar wäre, wird im Rahmen               gen, Cradle-to-cradle-Getränkeverpackungen, Carsharing,       hen, von Gütern freizuhalten, in deren globalisierte Pro-
     insbesondere die physischen und psychischen Distanzen          maschineller, elektrifizierter, automatisierter, digitalisier-   digitale Services etc. handelt. Nichts von alledem kommt      duktion fossile Energie und andere Rohstoffe einfließen.
     zwischen Verbrauch und Produktion hinreichend weit             ter, dafür aber umso energieabhängigerer Umwandlungen            ohne physischen Aufwand, insbesondere neue Produk-            Würden diese Personen keine Eigenheime bauen, mit dem
     gediehen ist, ist die Aufdeckung etwaiger Schwachstellen       erbracht. Umgeben von unzähligen »Energiesklaven« (Dürr          tionskapazitäten und Infrastrukturen aus. Könnten die         Flugzeug reisen, Auto fahren und übliche Konsumaktivi-
     so aussichtsreich wie die Suche nach einer Stecknadel im       2000) beschränkt sich die »Arbeit« moderner Konsumen-            grünen Effizienz- oder Konsistenzlösungen den weniger         täten in Anspruch nehmen?
     Heuhaufen. Dies steigert die Wahrscheinlichkeit oppor-         ten zusehends darauf, Signale zu verarbeiten, körperliche        nachhaltigen Output nicht einfach ersetzen statt addiert          Ein zweiter finanzieller Rebound-Effekt droht, wenn
     tunistischen Handelns. Wer innerhalb entgrenzter Ver-          Verrichtungen an entfernt liegende Produktionsstätten            zu werden? Um eine materielle Substitution zu erwirken,       grüne Investitionen den Gesamtoutput (vorübergehend)
     sorgungssysteme operiert – ganz gleich ob als Produzent        zu delegieren oder per Mausklick eine industrielle »Mega-        reicht es nicht aus, nur Outputströme zu ersetzen, wenn       erhöhen, weil nicht zeitgleich und im selben Umfang die

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