OForum - Pro Bahn Schweiz

 
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                                                               www.pro-bahn.ch

         Pro Bahn Schweiz • Pro Rail Suisse • Pro Bahn Svizzera
         Interessenvertretung der Kundinnen und Kunden des öffentlichen Verkehrs
4/16

                                                                                                      Grafik: SBB

                               Die neuen Kundenberater
                                        Automatisierung und Digitalisierung als Herausforderungen ab Seite 3

                                           Impressionen von der Verkehrsmesse InnoTrans in Berlin
                                         Premiere: Auszeichnung für vorbildliche öV-Mitarbeitende
                                                                                    Schwerpunkt 2/2011 InfoForum 1
OForum - Pro Bahn Schweiz
Editorial

                                                                                                                 Inhalt
                                                                                                                 Aktuell
                                                                                                                 Überlegungen zur Digitalisierung ������������������3-4
                                                                                                                 Aus für Stationshaltermodell .............................4
                                                                                                                 Nein zu gesichtsloser Bahn ................................5
                                                                                                                 SBB-Videoberatung: Ein Selbstversuch ...............6
                                                                                                                 Verkehrsspitzen brechen: Aber wie? ..................7
                                                                                                                 Nachrichten ......................................................8
                                                                                                                 Grünes Land für BLS-Werkstätte ........................9
                        Gerhard Lob                                                                              Ärger mit der Centovallina .............................. 10
                                                                                                                 Renoviert und rutschig: Bahnhof Bellinzona ....11
                        Redaktor                                                                                 Lugano – Milano: Langsamer als 1964 .............12
                        InfoForum                                                                                ÖV-Kolumne: Ein Land sieht rot .......................13
                                                                                                                 Bericht von der InnoTrans .......................... 14-16

                                                                                                                 Leserbriefe...................................... 17-18

      Die schöne neue öV-Welt                                                                                    Pro Bahn
D     Züge ohne Begleitpersonal, Bahnhöfe ohne Schalterbeamte, Billette vom Automaten oder auf
      dem Handy. Kursbücher nur noch in elektronischer Form. Internet-Plattformen. Selbstfahrende
                                                                                                                 Vorbildliche öV-Mitarbeitende:
                                                                                                                 Premio Pro in Luzern überreicht ................ 19-20
                                                                                                                 Unterwegs in der Zentralschweiz:
      PostAutos (in Sitten) – so genannte SmartShuttles. Bald wohl auch Lokomotiven und Triebzüge                Wo Kritik etwas bewegt hat ...................... 21-22
      vollautomatisch ohne Zugführer. Die digitale Revolution und zunehmende Automatisierung
                                                                                                                 Aus den Sektionen ..........................................23
      macht sich tagtäglich im öffentlichen Verkehr bemerkbar, durchdringt unsere Mobilität. Dabei
      ist es wohl vor allem die ältere Generation, die sich mit den neuesten Entwicklungen schwer
                                                                                                                 Frontbild: Grafik der SBB-Videoberatung
      tut, während die junge Online-Generation damit wie selbstverständlich umgeht. In diesem                    (Pilotversuche)
      InfoForum thematisieren wir einige Aspekte dieser Entwicklung, in der Hoffnung, dass der
      Mensch – der Kunde – in der Digitalisierung und Automatisierung nicht vergessen geht. Pro
      Bahn Schweiz wünscht einen angenehmen Jahreswechsel und ein gutes neues Jahr!

                                                                                                                 Impressum
                                                                                                                 InfoForum 4/2016, Versand: 8. Dezember 2016
                                                                                                                 Herausgeber
                                                                                                                 Pro Bahn Schweiz (PBS)
      Le monde merveilleux des transports publics
F
                                                                                                                 Interessenvertretung der Kundinnen und Kunden des
                                                                                                                 öffentlichen Verkehrs
      Des trains dépourvus de personnel et des gares sans guichets. Des billets crachés par des                  8000 Zürich
                                                                                                                 T 044 741 49 90, M 079 401 05 40
      automates ou saisis dans nos téléphones portables. Des horaires disponibles sous forme                     www.pro-bahn.ch, edwin.dutler@swissonline.ch
      électronique, et c’est tout. Des plates-formes internet. Des bus postaux sans chauffeur (à Sion)           Postkonto: 82-4920-4
                                                                                                                 Redaktion
      – appelés SmartShuttles. Des locomotives et des rames entièrement automatisées. Le constat                 Gerhard Lob (gl)
      est quotidien: la révolution digitale et l’automatisation ont pris les commandes des transports            cp 361, 6604 Locarno
                                                                                                                 T 091 752 38 29
      publics et partant, de notre mobilité. Un changement douloureux pour les plus anciens, mais                cescato.lob@ticino.com
      naturel pour la génération connectée multi-écrans. Dans cette édition d’InfoForum, nous                    Mitarbeit Pro Bahn
                                                                                                                 Karin Blättler, Romeo Degiacomi, Edwin Dutler, Kurt Metz,
      avons voulu nous pencher sur certaines facettes de cette évolution, dans l’espoir que l’être               Kurt Schreiber, Michael Strasser, Andreas Theiler, Kaspar P.
                                                                                                                 Woker
      humain – l’usager, le client – ne soit pas, le grand oublié de cette automatisation. Pro Rail
                                                                                                                 Bilder
      Suisse vous souhaite le meilleur pour la nouvelle année!                                                   Pressedienste, Redaktion, soweit nicht anders erwähnt
                                                                                                                 Korrektorat
                                                                                                                 Stefan Schweizer
                                                                                                                 Inserate und Druck
                                                                                                                 Rub Media AG
                                                                                                                 Seftigenstrasse 310, 3084 Wabern
                                                                                                                 Postfach, 3001 Bern
                                                                                                                 T 031 380 14 95, F 031 380 14 89
                                                                                                                 zeitschriftenverlag@rubmedia.ch
      Il mondo nuovo del traffico pubblico
 I
                                                                                                                 Grafisches Konzept und Layout
                                                                                                                 Marco Bernet, Projektathleten GmbH
      Treni senza personale, stazioni senza funzionari agli sportelli, biglietti ottenibili solo alle bigliet-   Holderbachweg 24, 8046 Zürich
                                                                                                                 T 044 362 76 77, M 079 472 35 62
      terie automatiche o sui cellulari. Piani orari unicamente in forma elettronica, piattaforme inter-         marco@projektathleten.ch
      net, autopostali, chiamate ormai SmartShuttle, che viaggiano senza conducente (a Sion sono                 Auflage
                                                                                                                 2000 Exemplare (Ausgabe 4/16: 2750), 4 x jährlich
      già in funzione) e in un futuro non troppo lontano forse locomotive completamente automa-
                                                                                                                 Mitgliedschaften
      tizzate. Ogni giorno nell’ambito del traffico pubblico constatiamo un aumento dell’automatiz-              Europäischer Fahrgastverband, Europäischer Verband für
      zazione. La rivoluzione digitale occupa un ruolo sempre più importante nella nostra mobilità.              die Entwicklung des Schienenverkehrs
                                                                                                                 Nächste Ausgaben
      Le generazioni più anziane stentano ad accettare questi cambiamenti ma la giovane “online                  InfoForum 1/2017, Versand: 9. März 2017
      generation” affronta queste nuove modalità senza difficoltà. In questo numero di InfoForum                 Schwerpunkt: CEVA und Léman 2030
                                                                                                                 Inserate- und Redaktionsschluss 16. Februar 2017
      tratteremo alcuni aspetti inerenti quest’evoluzione. Il nostro auspicio è che in un mondo
                                                                                                                 InfoForum 2/2017, Versand: 8. Juni 2017
      sempre più digitalizzato e automatizzato non vengano dimenticate le persone e continui a sus-              Schwerpunkt: Transport- und Eisenbahnmuseen
      sistere un servizio alla clientela. Pro Bahn augura a tutti un buon anno nuovo!                            Inserate- und Redaktionsschluss 11. Mai 2017

2 InfoForum 4/2016 Editorial
OForum - Pro Bahn Schweiz
Aktuell

Evolution und Revolution
Überlegungen zum Einfluss der Digitalisierung auf die Bahnwelt und den öffentlichen Verkehr.

Kaspar P. Woker „Nichts wird die Bahnwelt in                 Hand. Mit dem Bewegungsprofil unseres Smart-      mont-Ferrand, wo die Zugverbindungen trotz
den nächsten Jahren so sehr verändern wie                    phones weiss ja Google schon lange, wo und        Schienen praktisch unbenutzbar sind.
die Digitalisierung.“ – „Es passiert schneller,              wie wir uns bewegen.                                  Über eine App finden sich Personen, die
als die meisten Leute denken.“ – „“Wir haben                    Die vom Bundesrat im April 2016 verabschie-    nicht selbst Auto fahren, und Autofahrer, die
die erste Halbzeit der Digitalisierung verloren.“            dete Strategie „Digitale Schweiz“ möchte die      nicht alleine in ihrer „PS-Kiste“ unterwegs sein
– «FlixBus bahnt sich einen Weg durch die                    Chancen der Digitalisierung nutzen und neue,      wollen. Die Automobilisten erhalten ein Ent-
Schweiz.“ und „Sind Fahrgemeinschaften die                   innovative Mobilitätsangebote entstehen las-      gelt, das ihre Kosten minimiert. Für die Mitfah-
Zukunft?“                                                    sen. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) forderte     rer ist die Fahrt günstiger als mit der Bahn oder
    Das sind Schlagworte und Sätze, die anfangs              seinerseits im November 2016 die öV-Unterneh-     mit dem Fernbus. Solche Fahrgemeinschaften
November an zwei spannenden öV-Kolloquien                    men auf, diese Chance zu nutzen, um mit Mo-       boomen auch in Genf. Einerseits nagt dies be-
zu reden gaben. Am Branchen-Treffen der Me-                  dellen der „Sharing Economy“ mit selbstfahren-    denklich an den Frequenzen des TGV-Lyria nach
terspurbahnen in Luzern ist deutlich geworden,               den Fahrzeugen (sprich Metros, Züge, Busse!)      Paris und andererseits passt es bestens für Fahr-
dass nur eine enge Zusammenarbeit mehr Effi-                 die Wettbewerbsfähigkeit des öV zu erhalten.      ten zur ETH-Lausanne, welche von Genf aus nur
zienz bringen kann. Das gilt im Bereich Einkauf,             Es soll Neues entstehen, das den Nutzern mehr     mit Umsteigen erreichbar ist. Diese Entwicklung
Ausbildung, Unterhalt und ganz speziell im Ver-              Komfort und Qualität bringt.                      gilt es zu beobachten.
trieb der Fahrausweise. Hier ist allerdings die                                                                    Auch FlixBus bucht sich fix auf dem Netz.
ganze öV-Branche gefordert, wenn der „Zug“                   BlaBlaCar und FlixBus                             Zürich – München öfters als mit den müden
international nicht an der Schweiz vorbeifahren              An der jährlichen Fachtagung von Ouestrail, der   EC-Zügen von SBB und DB, Konstanz – Zürich
soll, wie BAV-Direktor Peter Füglistaler antönte.            Westschweizer öV-Lobby, kamen BlaBlaCar und       – Genf – Lyon billiger als ein Bahnbillett von
Google, Apple, Booking.com usw. werden sich                  FlixBus zur Sprache. Mit dem marketingmässig      Zürich nach Lausanne. Kabotage (Beförderung
„schleichend“ Verkauf und Reservation von                    genialen Ausdruck „blabla“, was nichts ande-      auf inländischen Strecken bei internationalen
allen Reiseleistungen unter den Nagel reissen                res heisst als „zäme schnurre“, macht das fran-   Verbindungen) ist zwar verboten. Doch das BAV
und dabei gut verdienen: Bahn-, Flug-, Busbil-               zösische Unternehmen Furore und bündelt vor       am „seufzte“ am 11. November in den Medien:
lett, Taxi, Mietwagen und Carsharing aus einer               allem Reisende auf Strecken wie Nîmes – Cler-     Wie soll das kontrolliert werden? Den Passagier,      >>>

Immer und überall vernetzt: Das hat grosse Auswirkungen auf die Kunden.                                                                                 Bild: SBB

                                                                                                                                     Aktuell 4/2016 InfoForum 3
OForum - Pro Bahn Schweiz
Fortsetzung von Seite 3
                                                       Aus für Stationshalter
>>> der in Zürich mit einem Ticket nach Lyon zu-       SBB fokussieren sich auf eigene
     steigt und schon in Lausanne verschwindet,
                                                       Vertriebskanäle und steigen aus
     kann man rechtlich nicht belangen. Er ist zwar
     länger, aber billiger unterwegs als mit dem       dem Billettverkauf durch Dritte aus.
     Zug.
        Fernbus-Konzessionen für Schweizer Un-         PBS  Die SBB steigen per 1. Januar 2018 aus dem
     ternehmen innerhalb der Schweiz würden si-        Billettverkauf durch Dritte aus, wie das Unter-
     cherlich erteilt, wenn dies der Markt fordere,    nehmen Anfang September mitteilte. Konkret:
     so das BAV. Doch Achtung, weder Fernbusse         Die Bundesbahnen werden die Zusammenar-
     noch Fahrgemeinschaften lösen das Problem         beit mit den bisherigen Vertriebspartnern nicht
     der Stosszeiten. Nein, sie werden eher in den     fortsetzen.
     Schwachlastzeiten dem von der öffentlichen            Die SBB arbeiten aktuell mit 52 Partner-Ver-
     Hand mitfinanzierten öV Kunden entziehen.         kaufsstellen zusammen: Die Vertriebspartner
     Das ist brandgefährlich.                          „Migrolino“, “Die Post“ und „Valora“ sowie           SBB mit Fokussierungsstrategie.          Bild: SBB

                                                       die privaten Stationshalter vertreiben im Auf-
     Die Menschen nicht stehen lassen                  trag der SBB ein reduziertes Billett-Sortiment.      weiter. So investieren sie beispielsweise in den
     Tröstlich waren die Worte von Benedikt Wei-       Der Anteil dieses Kanals am Gesamtabsatz ist         Umbau stark frequentierter Reisezentren. Dar-
     bel, dem früheren SBB-Chef und Verwaltungs-       laut SBB über die letzten Jahre kontinuierlich ge-   über hinaus haben die SBB gemeinsam mit den
     ratspräsidenten der privaten österreichischen     sunken und lag zuletzt deutlich unter 1 Prozent.     Kundinnen und Kunden eine neue Version der
     Westbahn in Luzern: „Entscheidend bleibt das      Ganz anders die elektronischen Vertriebskanäle       SBB Mobile App entwickelt und zum digitalen
     Marketing – eine Haltung die konsequent auf       der SBB – online und mobile. Hier sprechen die       Reisebegleiter ausgebaut. Auch über das Inter-
     die Bedürfnisse der Kunden ausgerichtet ist       SBB von „stark wachsenden Absatzzahlen“: Al-         net sind bekanntlich Fahrplanauskünfte und Bil-
     bei Produkt, Preis, Service, Distribution und     lein im vergangenen Jahr wurden via Internet         lette erhältlich.
     Kommunikation“. Das ist und bleibt das Kern-      und Mobile App 40 Prozent mehr als im Vor-               Allerdings: Die Öffnungszeiten wurden an
     geschäft oder die Existenzberechtigung eines      jahr oder insgesamt rund 18 Millionen Billette       vielen – eher schwach frequentierten – Bahn-
     öV-Unternehmens.                                  verkauft.                                            höfen reduziert und manche Stationen sogar
         Aus Sicht von Pro Bahn Schweiz bleibt da          Die Verträge mit den privaten Stationshal-       ganz geschlossen. Überall spriessen Automaten
     nur eines beizufügen: Vergesst die Menschen       tern laufen Ende 2017 aus. Dies nehmen die           wie Pilze aus dem Boden. Wie die SBB in ihrer
     nicht, besonders alle „Nicht-Digitalisierten“!    SBB zum Anlass, um per 1. Januar 2018 aus            Medienmitteilung schrieben, sei der Rail Ser-
     Die individuelle Beratung, zum Beispiel am Bil-   dem Billettverkauf durch Dritte ganz auszustei-      vice jederzeit unter der Telefonnummer 0900
     lettschalter der BLS in Schüpfheim – die SBB      gen. Damit können nach Unternehmensanga-             300 300 (1,19 Fr./Min.) für Auskünfte und Bu-
     machten ihn dicht, weil er unrentabel gewe-       ben Vertriebskosten von rund 5 Millionen Fran-       chungen erreichbar. Der letzte Hinweis der SBB
     sen sei – oder durch eine hilfsbereite Zugbe-     ken jährlich eingespart werden.                      entbehrt nicht einer gewissen Ironie: „Weitere
     gleiterin gehören immer noch dazu. Letzteres          Die SBB fokussieren sich künftig auf ihre        Beratungsmöglichkeiten bestehen am nächst-
     haben auch die SBB wieder entdeckt, wie           eigenen Vertriebskanäle und entwickeln diese         bedienten Bahnhof.“
     uns Alain Barbey, der Verantwortliche für die
     Westschweiz, persönlich versicherte. Sie wer-
     den der Zugbegleitung grössere Aufmerksam-          Videoberatung mit Verkauf wird getestet
     keit schenken als bisher.
                                                         Die SBB testen seit dem 17. November 2016          erhältlichen Fahrausweise können direkt am
         Ins gleiche Thema passt die kürzliche Mit-
                                                         am Bahnhof St. Gallen St. Fiden während            daneben stehenden Automaten ausgedruckt
     teilung von BAV und SBB, dass das „Offizielle
                                                         eines halben Jahres die Videoberatung am           und bezahlt werden. Dazu übernimmt der
     Kursbuch 2017“ die letzte Ausgabe sein wird.
                                                         Billettautomaten. Weitere solche Geräte            Mitarbeitende des SBB Contact Centers die
     Die SBB-App lässt grüssen. Pro Bahn wird sich,
                                                         sind an den Bahnhöfen Brig, Frenkendorf-           Fernbedienung des Automaten. Am Billettau-
     zusammen mit anderen Interessengruppen,
                                                         Füllinsdorf und Netstal in Betrieb. In die-        tomaten nicht erhältliche Angebote wie inter-
     mit Nachfolgelösungen beschäftigen, um das
                                                         sem Pilotversuch wird diese neue Form der          nationale Billette, Gruppenreisen, Jahresabos
     nach den Telefonbüchern einstmals grösste
                                                         Kundenberatung während sechs Monaten               (Halbtax, GA, Streckenabos) können bestellt
     Druckerzeugnis der Schweiz nicht sang- und
                                                         getestet. Die Kundinnen und Kunden können          und mit Kreditkarte bezahlt werden.
     klanglos sterben zu lassen.
                                                         per Knopfdruck mit einem Mitarbeitenden            Noch sitzen die Mitarbeitenden bei diesem
         Auch Pro Bahn Schweiz muss sich dem
                                                         im SBB Contact Center in Brig in Verbindung        Service im SBB Contact Center in Brig im
     Spagat zwischen digitaler Evolution und Be-
                                                         treten und sich über Bahndienstleistungen          Wallis. Doch – wer weiss – vielleicht werden
     wahren von Althergebrachtem stellen: Wie
                                                         beraten lassen (siehe Bild auf der Frontseite      auch diese schon bald in Polen oder Tsche-
     gewinnen wir die „Digital Natives“ für die
                                                         und Artikel auf Seite 6). Der Service steht        chien sitzen. Bei Schweizer Grossbanken
     Mitarbeit, um den Transportunternehmen
                                                         an Werktagen von 10 bis 20 Uhr und an              sind solche Beratungsdienste nämlich schon
     und Behörden als valable Kundenvertretung
                                                         Wochenenden und Feiertagen von 12 bis 20           längst „outgesourct“ – aus Kostengründen
     gegenüber zu stehen? Das wird unsere inter-
                                                         Uhr zur Verfügung. Die am Billettautomaten         natürlich.
     ne Revolution sein.

4 InfoForum 4/2016 Aktuell
OForum - Pro Bahn Schweiz
SBB setzen auf gesichtslose Bahn
Die Fokussierungsstrategie der SBB auf die eigenen Vertriebskanäle wirft Fragen auf.

Kurt SchreiberDie bisherigen, zusätzlichen und      einmal mehr auf der Strecke, und die von den             kein Billett verkaufen konnten. Sie haben also
persönlichen Verkaufsstellen beispielsweise in      SBB erwähnten Alternativen kommen eher                   unrentable Dienstleistungen erbracht und ihre
„Avec“-Läden und die Dienstleistungen der           zwiespältig daher.                                       Aufgabe trotz widriger Bedingungen weiterge-
Stationshalter sollen ab 2018 nicht mehr exis-                                                               führt. Fürs Ausharren erhalten sie nun die Quit-
tieren. „Fokussieren auf eigene Vertriebskanä-      Vertragsauflösung als Quittung                           tung, indem die Verträge aufgelöst werden und
le“ bezeichnen die SBB dieses Vorhaben (siehe       Gerade die Stationshalter waren und sind wah-            einigen Leuten die Existenz entzogen wird. Mit
Seite 4), das aber auf nichts anderes als auf       re Reiseprofis, welche in der Lage waren, auch           Service public hat das nichts zu tun. Sozial ist es
eine noch gesichtslosere Bahn hinausläuft. So       knifflige Probleme zu lösen, gerade bei internati-       auch nicht. Pro Bahn Schweiz fordert die SBB
die Ansicht von Pro Bahn Schweiz. Dafür soll        onalen Fahrausweisen und ohne einen Zuschlag             auf, ihre Entscheidung zu überdenken, damit
es modernere Automaten und neue Applikati-          zu verlangen, wie dies die SBB tun. Kommt                ein weiterer Gesichtsverlust vermieden werden
onen auf dem Handy geben, und den nächsten          dazu, dass sie ihre Umsätze steigern konnten,            kann.
bedienten SBB-Bahnhof, sofern er nicht dem-         auch wenn seitens der SBB die Verkaufsbedin-
nächst geschlossen wird oder seine Öffnungs-        gungen mehr als einmal verschlechtert wurden.
zeiten reduziert werden. Stark frequentierte        Mehr noch: Überall dort, wo Reisende mit den              Protest gegen
Reisezentren sollen ausgebaut werden. Dort,         automatisierten Angeboten der SBB nicht mehr              Serviceabbau und
wo es genügend Kunden hat, soll noch mehr           weiterkamen, haben die Stationshalter mit Aus-
investiert werden. Minderheiten bleiben jedoch      künften ausgeholfen, selbst dann, wenn sie
                                                                                                              Enthumanisierung
                                                                                                              Das angekündigte Ende des Stationshal-

Protest hat gefruchtet                                                                                        termodells hat weit über Pro Bahn hinaus
                                                                                                              für Aufsehen gesorgt. Der Verkehrsclub
                                                                                                              der Schweiz (VCS) findet die Entwicklung
Dank Behinderten funktioniert das Stationshalter-Modell in Giubiasco.                                         äusserst bedenklich. Es wurde sogar eine
Es drohte das Aus. Nun wurde eine Lösung gefunden.                                                            mittlerweile von mehr als 22 000 Perso-
                                                                                                              nen unterzeichnete Petition gegen den
                                                                                                              Schalterabbau lanciert (online auf www.
Gerhard Lob Der Bahnhof in der Bellinzoneser Vor-   aber nur für Beratungen, nicht für den Ticket-
                                                                                                              verkehrsclub.ch/petition oder auf Papier).
ortsgemeinde Giubiasco, wo Zugreisende von          verkauf. Die SBB teilten mit, sie hätten ange-
                                                                                                              Der VCS ist der Ansicht, dass es für einen
Lugano nach Locarno und umgekehrt umsteigen         sichts „der besonderen Situation von Giubias-
                                                                                                              wirklichen Service public auch die persönli-
müssen, war eigentlich in den 1990er Jahren ge-     co“ nach alternativen Lösungen gesucht.
                                                                                                              che Beratung brauche. Wer ein Bahnbillett
schlossen worden. Doch 2001 konnte dort im
                                                                                                              benötige, müsse dieses einfach und kun-
Rahmen eines Stationshaltermodells wieder ein
                                                                                                              denfreundlich kaufen können. Für Leute,
Schalter „Alla Stazione“ geöffnet werden. Mög-
                                                                                                              die kein Smartphone hätten oder die Billett-
lich war dies dank einer Initiative der Behinder-
                                                                                                              automaten nicht benutzen könnten, sei dies
tenorganisation FTIA (Federazione Ticinese Inte-
                                                                                                              ein Problem. Gerade für ältere Menschen
grazione Andicap). Vier Personen sind dort fest
                                                                                                              und Menschen mit Behinderung erschwere
angestellt, fünf junge Menschen werden im Be-
                                                                                                              dies den Zugang zum öffentlichen Verkehr.
reich KV ausbildet. Die Finanzierung des Projekts
                                                                                                              Unzufriedenheit gibt es derweil auch auf
ist durch die Invalidenversicherung gesichert.
                                                                                                              Seiten des SBB-Personals.
                                                                                                              Am 22. November protestierten mehrere
Petition lanciert
                                                                                                              Hundert Mitarbeitende vor dem SBB-
Im Jahr 2015 wurden dort laut FTIA 11 000 Ti-
                                                                                                              Hauptsitz in Bern gegen das Projekt „Railfit
ckets verkauft und 103 Gruppenreisen organi-
                                                                                                              20/30“, welches einen Abbau von 1400
siert, insbesondere für Schulen und Sportverei-
                                                                                                              Stellen bis 2020 vorsieht. Die Forderungen
ne aus der Gegend. Der Umsatz betrug 1 Mio.
                                                                                                              des SBB-Personals sind klar: „Es braucht
Franken. Das angekündigte Aus für die Stati-
                                                                                                              wieder Menschen in den Bahnhöfen und
onshaltermodelle traf die Gemeinde Giubiasco
                                                                                                              in den Zügen. Mit der Streichung von 1400
daher wie ein Schlag. Es hagelte Proteste von
                                                                                                              Stellen bis 2020 verfolgen die SBB eine
allen Seiten; eine Petition wurde lanciert. Nun
                                                                                                              Strategie der Enthumanisierung, und das,
haben die Parteien eine Einigung gefunden.
                                                                                                              während eine Verkehrszunahme in diesen
Demnach werden die Auszubildenden der Be-
                                                                                                              Jahren prognostiziert wird. Das ist Unsinn.
hindertenorganisation in den Billett-Verkauf ins
                                                                                                              Mit dem Personalabbau wird die Sicherheit
Reisezentrum Bellinzona integriert, der Schalter
                                                                                                              des Bahnnetzes aufs Spiel gesetzt.“
„Alla Stazione“ in Giubiasco bleibt bestehen,       Eingang zum FTIA-Schalter in Giubiasco.   Bild: G.Lob

                                                                                                                                    Aktuell 4/2016 InfoForum 5
OForum - Pro Bahn Schweiz
Auch ein Service public macht mal Pause
     Ein Erfahrungsbericht über die SBB-Videoberatung am Bahnhof Frenkendorf-Füllinsdorf im Kanton Baselland.

     Daniel Aenishänslin*  Per Knopfdruck zur ge-
     wünschten Information. Am Bahnhof Frenken-
     dorf-Füllinsdorf kann sich der SBB-Kunde wie-
     der beraten lassen. Allerdings nicht am Schalter,
     wie im letzten Jahrhundert, als die Billette noch
     aus massivem, braunem Karton bestanden,
     der Kiosk noch auf der gegenüberliegenden
     Strassenseite unter mächtigen Kastanienbäu-
     men Zeitungen, Zigaretten und Zuckriges feil
     bot und der Bahnübergang durch eine Barriere
     gesichert war. Viel moderner kommt die neue
     Beratung daher. Per Videostream. Die Testphase
     dauert sechs Monate und findet zudem in Brig,
     St. Gallen St. Fiden und Netstal statt.
         Wir machten den Test. Wie gut ist die Be-
     ratung? Die eine fiktive Reise führt von Fren-
     kendorf nach Ramlinsburg, die andere auf die
     Bettmeralp. Die Informationen dazu kommen
     direkt aus dem „SBB Contact Center“ in Brig.
     Nun gut, so direkt dann auch wieder nicht. Da
     ist dieser neue Apparat, der am Bahnhof steht.
     Da ist dieser Knopf, den man drücken muss und
     der einen verbinden soll. Es ist Samstag 15.20
     Uhr. Nach einigen erfolglosen Versuchen eine
     Verbindung herzustellen, wählen wir die Num-
     mer der Helpline. Wir wollen wissen, weshalb
     uns niemand am Bildschirm willkommen heisst.        Fabienne Lagger, rechts auf dem Video-Bildschirm zu sehen, informiert von Brig aus ratsuchende SBB-Kunden.
                                                         Bild: Daniel Aenishänslin

     Freundlich und kompetent
     0800 11 44 77: Diese Nummer führt übrigens          zu uns um. Frau Lagger ist ebenso gut zu ver-                 Gemeinde kennen. Auch die Macht der Güter-
     ebenfalls ins „SBB Contact Center“ nach Brig.       nehmen. In einem Abstand von drei Metern ist                  züge. Eines nach dem anderen. Wir sollen also
     Wir erfahren, wir sollen es später noch einmal      noch jede Silbe unseres Gesprächs problemlos                  wiederum um 17.14 Uhr einsteigen und in Lau-
     probieren. Die zuständige Person sei gerade in      mitzuverfolgen. Die Umstehenden erfahren                      sen auf die Buslinie 93 umsteigen. So sollten wir
     der Pause. Um 16 Uhr werde es klappen. Zum          also, dass wir nach Ramlinsburg und auf die                   die gewünschte Haltestelle um 17.29 Uhr errei-
     Glück haben wir es nicht eilig. Wie wir später      Bettmeralp wollen.                                            chen. „Eine schnellere Variante? Doch die gibt
     erfahren, hängt das Problem damit zusammen,                                                                       es.“ Die startet um 16.14 Uhr. Allerdings muss
     dass an Wochenenden nur eine Person in der          Güterzug unterbricht Gespräch                                 zweimal umgestiegen werden. In Liestal und in
     Zentrale Dienst tut. Da macht der Service public    Der Service allerdings lässt keine Wünsche of-                Lampenburg. Unser Gespräch mussten wir für
     auch mal Pause.                                     fen. Wir wollen nach 17 Uhr aufbrechen. Die                   22 Sekunden unterbrechen. Ein Güterzug fuhr
         Die SBB wollen die Videoberatung an Werk-       junge, blonde Walliserin – ja, das sieht man                  dröhnend, scheppernd, hämmernd durch den
     tagen von 10 bis 20 Uhr anbieten, an allen üb-      doch – fragt nach: „Wollen Sie dann aufbre-                   Bahnhof. Keine Chance auf Verständigung.
     rigen Tagen von 12 bis 20 Uhr. Es ist nun 16.01     chen oder ankommen?“ Aufbrechen. Die Ant-                        Zum Schluss dreht Fabienne Lagger den
     Uhr und wir starten unseren zweiten Versuch.        wort kommt innert Sekunden: 17.14 Uhr geht                    Spiess noch um. Fragt, wie wir mit dem Ser-
     Und tatsächlich, es klappt. Am Bildschirm er-       unser Zug ab Frenkendorf-Füllinsdorf. Umstei-                 vice zufrieden seien, ob wir die Videoberatung
     scheint mit Fabienne Lagger eine charmante          gen müssen wir in Olten, Brig und in Betten.                  oder die Helpline bevorzugten. Ja, man kann ins
     Person: sehr freundlich und wie sich herausstellt   Auf der Bettmeralp sollten wir um 20.30 Uhr                   Gespräch kommen an so einem Bahnhof. Üb-
     absolut kompetent.                                  eintreffen, nachdem wir zwischen Brig und Bet-                rigens, kontrolliert haben wir die Qualität der
         Ihre Kompetenz fällt auch den SBB-Kunden        ten den Bus nehmen mussten. Natürlich haben                   SBB-Dienstleistung mit der App „SBB mobile“.
     in unserer Nähe auf. Zurückzuführen ist das auf     wir im Vorfeld abgeklärt, welches die optimale                Die ist eigentlich genau so gut wie Frau Lagger.
     die Lautstärke. Drückt der Rat suchende Kunde       Verbindung sein würde. Wir kamen zum exakt                    Aber nicht so nett.
     den Knopf, der zum Kontakt führen soll, ertönt      gleichen Resultat.
                                                                                                                       *Dieser Bericht erschien am 21. November 2016 in der
     ein Jingle aus dem Lautsprecher. Lautsprecher          Für unseren Weg nach Ramlinsburg, Halte-                   Basellandschaftlichen Zeitung. Nachdruck (in leicht gekürzter
     ist definitiv das Wort der Wahl. Man dreht sich     stelle Brunnacker, lernten wir die 87. Baselbieter            Fassung) mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

6 InfoForum 4/2016 Aktuell
OForum - Pro Bahn Schweiz
Allgemeine Ratlosigkeit
Podiumsdiskussion des VöV zum Thema „öV-Verkehrsspitzen brechen – aber wie?“ in Zürich.

Gerhard Lob   Überfüllte Züge, Trams und Busse      senschaften (ZHAW) stellte in ihrem Vortrag               gen: „Alles weist auf Wachstum hin – auch im
während der Stosszeiten – fast leere bezie-         zwar interessante, aber äusserst grundsätzliche           Verkehr.“ Er könne sich durchaus mit Mobility
hungsweise schwach ausgelastete Verkehrsmit-        Thesen zur Mobilität auf, die weit vom The-               Pricing einverstanden erklären. Das heisst: Mo-
tel in den Zwischenzeiten. Die stark oszillieren-   ma der konkreten Massnahmen weg führten.                  bilität wird in nachfragehohen Zeiten teurer.
de Auslastung der öffentlichen Verkehrsmittel       Sicherlich ist es sinnvoll, sich im Rahmen eines              Doch VöV-Vizedirektorin Mirjam Büttler tat
ist ein grosses Problem für Betriebe und Nutzer.    systemischen Ansatzes generell zu fragen, wie             sich schwer damit. „Erst auf Kooperation set-
Etliche Massnahmen werden diskutiert, um die        viel Mobilität unsere Gesellschaft braucht und            zen, dann auf finanzielle Anreize“, so ihre For-
Verkehrsspitzen zu brechen: Mobility Pricing mit    warum Mobilität eigentlich immer positiv be-              derung, um Passagiere in die nachfrageschwa-
zeit- und raumabhängigen Tarifen, flexiblere Ar-    setzt ist und nicht hinterfragt wird. „Ist es gott-       chen Nebenverkehrszeiten zu locken. Wie?
beits- und Schulzeiten, Home-Office, und viele      gegeben, dass die Nachfrage immer steigt?“,               „Vielleicht, indem gratis ein Kaffee offeriert
andere.                                             fragte Hoppe. Und forderte, Mobilität und                 wird.“ Doch ob es ausreicht, mit solchen An-
    Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) tat      Wohlstand zu entkoppeln. Hohe Lebensqualität              geboten Verkehrsströme zu lenken, bleibt mehr
daher gut daran, diese heisse Eisen im Rahmen       müsse jenseits steigender Mobilität stattfinden.          als fraglich. Sicherlich richtig war Büttlers The-
einer Podiumsdiskussion am 15. November in              Nur: Diese verdienstvollen Überlegungen               se, dass Mobility Pricing den offenen Zugang
Zürich anzupacken. Allerdings führte die Dis-       nützen Fahrgästen wenig, die morgens im                   zum öV-System in der Schweiz gefährdet, der
kussion kaum über die bekannten Ideen und           überfüllten Zügen zur Arbeit pendeln. Bis zu              gerade seinen Erfolg ausmacht. Die Akzeptanz
Positionen hinaus.                                  ihrer Pensionierung dürfte keine derartige ge-            für schwankende Preise je nach Uhrzeit sei in
    Das dürfte auch am Einstiegsreferat von         sellschaftliche Revolution stattgefunden haben.           der Gesellschaft nicht gegeben. Akzeptiert aber
Merja Hoppe gelegen haben. Die Dozentin und         Und Marcus Hassler, Projektleiter Infrastruktu-           sind Anreize über Angebote, beispielsweise die
Leiterin für Nachhaltige Transportsysteme an        ren von Economiesuisse, hielt dem Einstiegs-              SBB-Sparbillette, welche eine Zugbindung bein-
der Zürcher Hochschule für Angewandte Wis-          referat denn auch eine Prise Realpolitik entge-           halten.

Späterer Vorlesungsbeginn
SBB und Hochschule Luzern streben mit einem Pilotprojekt eine bessere Auslastung von Zügen in
Nebenverkehrszeiten an.

PD Die SBB fördern flexible Arbeitsmodelle                                                                    munikation und Konzernleitungsmitglied der
und motivieren ihre Mitarbeitenden, vermehrt                                                                  SBB, und Michel Berchtold, Leiter SBB Perso-
in den Nebenverkehrszeiten zu reisen. Um die                                                                  nenverkehr Region Mitte, nur Vorteile: Wäh-
Pendlerspitzen zu brechen, ist aber die Zusam-                                                                rend der Hauptverkehrszeiten ist die intensiv
menarbeit von Bund, Kantonen, Unternehmen                                                                     genutzte Strecke Luzern–Zug–Zürich weniger
und Schulen nötig. Eine Vorreiterrolle unter den                                                              stark ausgelastet. Die Umsetzung solcher ver-
Schweizer Bildungsinstitutionen nimmt dabei                                                                   kehrsentlastender Unterrichtsmodelle an Bil-
seit kurzem die Hochschule Luzern ein. Die Vor-                                                               dungsinstitutionen wird darum von der SBB eng
lesungen des neu gegründeten Departements                                                                     begleitet.
Informatik auf dem Campus Zug-Rotkreuz be-                                                                       Matthias Michel begrüsste als für die Berufs-
ginnen erst ab 9.00 Uhr und enden gestaffelt                                                                  bildung und den öffentlichen Verkehr zustän-
um 11.25, 15.20, 18.00 oder 20.55 Uhr.                                                                        diger Zuger Regierungsrat diesen pionierhaften
   An einer Medienkonferenz in Rotkreuz be-                                                                   Schritt. Er verwies auf ein analoges Projekt der
tonte René Hüsler, Direktor des Departements                                                                  Metropolitankonferenz Zürich.
Informatik der Hochschule Luzern, den Nutzen                                                                     Rund 194 000 Studierende waren 2014 an
der neuen Vorlesungszeiten für die Studieren-                                                                 den zehn grössten Schweizer Hochschulen ein-
den: Ihnen stehen dadurch mehr Sitzplätze in        Bahnhof Luzern.                      Bild: Gerhard Lob   geschrieben. Eine umfassende Studie hat ge-
den Zügen zur Verfügung, und sie können in                                                                    zeigt, dass gestaffelte Vorlesungszeiten durch-
Ruhe lernen oder sich auf Vorlesungen vorberei-     schule Luzern in Horw und Luzern problemlos               aus einen Effekt auf die Pendlerspitzen haben:
ten. Das Departement Informatik hat die Block-      möglich ist, um die interdisziplinäre Zusammen-           Rund 18 500 beziehungsweise 16 Prozent aller
zeiten der Studierenden in Rotkreuz so ausge-       arbeit der Departemente zu gewährleisten.                 Studierenden könnten so ausserhalb der Haupt-
richtet, dass ein Transfer mit dem öffentlichen        Auch für die SBB hat diese Vorlesungspla-              verkehrszeit am Morgen zwischen 7.00 und
Verkehr zu weiteren Studienorten der Hoch-          nung gemäss Kathrin Amacker, Leiterin Kom-                8.00 Uhr reisen.

                                                                                                                                   Aktuell 4/2016 InfoForum 7
OForum - Pro Bahn Schweiz
Nachrichten
     Grosses Interesse an                            Stabio–Arcisate eröffnet am                         Geld zurück bei Verspätung
     „SBB Green Class“                               17. Dezember 2017                                   Der Bundesrat will den öV-Passagieren mehr
     Über 2000 Personen haben sich für den Test      Die neue Bahnstrecke Stabio – Arcisate, wel-        Rechte geben. Bei Ausfällen oder langen
     des Mobilitäts-Kombi-Angebots „SBB Green        che eine direkte Verbindung von Mendrisio           Verspätungen sollen Bahn- oder Busunter-
     Class“ beworben. Es kostet 12 200 Franken       nach Varese (Italien) und zum Interkontinen-        nehmen künftig eine Entschädigung zahlen
     für ein Jahr und umfasst unter anderem ein      talflughafen Mailand-Malpensa ermöglicht,           müssen. Diese soll bei Verspätungen ab einer
     1.-Klass-General-Abo, einen BMW i3 inklusi-     wird am 17. Dezember 2017 eröffnet. Dies            Stunde 25 Prozent des Fahrpreises betragen.
     ve Versicherung, eine Park+Rail-Jahreskarte,    hat der italienische Verkehrsminister Grazia-       Ab zwei Stunden Verspätung wäre eine Ent-
     ein Mobility-Carsharing-Abo und ein Publi-      no Delrio den interessierten Gemeinden mit-         schädigung von 50 Prozent fällig. Wer ein
     bike-Jahresabo für 900 Velos und E-Bikes an     geteilt. Die Strecke sollte eigentlich schon seit   GA hat, bekommt keine Entschädigung. Auf-
     100 Stationen. Offenbar haben die SBB mit       Jahren in Betrieb sein, doch die Bauarbeiten        grund des dichten Fahrplanes dürfte es ge-
     dieser Offerte ins Schwarze getroffen. Aber:    lagen wegen des Fundes von arsenhaltigem            mäss BAV aber eher selten zu Entschädigun-
     Die meisten Bewerber werden leer ausge-         Aushubmaterial und juristischer Probleme            gen kommen. Pro Bahn Schweiz begrüsste,
     hen. Denn nur 100 Testkunden sind vorge-        über Jahre still. Nun scheint es vorwärts zu        dass eine für alle Transportunternehmungen
     sehen. Sie werden nach repräsentativen Kri-     gehen. Die Strecke wird auch die Fahrzeit von       verbindliche Regelung eingeführt werden
     terien ausgewählt: Alter, Beruf, Stadt, Land    Lugano in die Westschweiz erheblich verkür-         soll. Dass GA-Besitzer ausgenommen wür-
     und Geschlecht werden berücksichtigt. (lo)      zen. (lo)                                           den, sei vertretbar. (lo)

     PostAuto Schweiz plant                                                                              Mit „NordwestMobil“ in die
     Kooperation mit FlixBus                                                                             Zukunft
                                                                                                         In Basel ist das Pilotprojekt „NordwestMo-
     Bei PostAuto Schweiz ist man gegenüber
                                                                                                         bil“ präsentiert worden. Die Mobilitäts-App
     Fernbusanbieter FlixBus pragmatisch einge-
                                                                                                         schafft die Möglichkeit, private und öffentli-
     stellt. „Wir können uns vorstellen, ab Chur
                                                                                                         che Verkehrsmittel zu kombinieren, was ein
     gewisse Einsätze für FlixBus zu fahren“,
                                                                                                         Novum ist. Die Mobilitäts-App NordwestMo-
     sagte Daniel Landolf, Leiter von PostAuto
                                                                                                         bil zeigt den Kundinnen und Kunden ver-
     Schweiz, im St. Galler Tagblatt. Chur ist ei-
                                                                                                         schiedene Varianten für einen gewünschten
     ner der grössten Postauto-Knotenpunkte.
                                                                                                         Reiseweg an und kombiniert dabei private
     Eine Zusammenarbeit würde gemäss Lan-
                                                                                                         und öffentliche Verkehrsmittel, Sharing-
     dolf nur punktuell erfolgen. „Es ist nicht
                                                                                                         Angebote sowie Velofahrten und Fusswege.
     ausgeschlossen, dass es nächstens zu einer
                                                                                                         Wer kulturelle Veranstaltungen oder ein Mu-
     Kooperation kommt.“ Graubünden begrü-
                                                                                                         seum in Basel sucht, findet sie auf der Mobi-
     sse, dass es Fernbusverbindungen gebe, da
                                                                                                         litäts-App und erfährt zugleich, welches der
     diese Touristen in den Kanton brächten. (lo)
                                                                                                         beste Weg dorthin ist. Hinter dem Test steht
                                                                                                         PostAuto zusammen mit dem TCS und der
                                                                                                         BVB.
     Aus für gedrucktes Kursbuch
     Die öV-Branche hat entschieden, in einem
     Jahr auf den Druck der Gesamtausgabe des                                                            Basler Tramlinie 3 gewinnt
     Schweizer Kursbuchs zu verzichten. Somit                                                            Mobilitätspreis
     erscheint das gedruckte Kursbuch dieses
     Jahr zum letzten Mal. Das Kursbuch besteht                                                          Die Verlängerung der Basler Tramlinie 3 nach
     aus drei Bänden. Allein Band 1 für Bahnen,                                                          Saint-Louis in Frankreich hat den Mobilitäts-
     Seilbahnen und Schiffe ist über 2100 Sei-                                                           preis der österreichischen Verkehrsorgani-
     ten stark. Die weiteren Bände mit Postau-                                                           sation VCÖ gewonnen. Der österreichische
     to- und Busverbindungen umfassen 3800                                                               Umweltminister Andrä Rupprechter sowie
     Seiten. Das gedruckte Kursbuch hatte in                                                             weitere Gratulanten überreichten den Preis
     den 80er und 90er Jahren eine Auflage von                                                           am 19. September in Wien. Das Tramprojekt
     rund 500 000 Exemplaren. Die Nachfrage ist                                                          ist Teil des Agglomerationsprogramms Basel.
     in den vergangenen Jahren kontinuierlich                                                            Die neue Tramlinie, die Saint-Louis mit Basel
     zurückgegangen und beträgt aktuell noch                                                             verbindet, soll den derzeit tiefen öV-Anteil
     25 000. Pro Bahn Schweiz hofft, dass die                                                            im grenzüberschreitenden Personenverkehr
     Gesamtausgabe des Kursbuches künftig als                                                            verbessern und das stark beanspruchte Stra-
     pdf abrufbar sein wird. (pd/lo)                                                                     ssennetz entlasten. Im InfoForum 2/2016
                                                                                                         wurde ausführlich berichtet. (lo)

8 InfoForum 4/2016 Aktuell
OForum - Pro Bahn Schweiz
Lieber Bahnwerkstätten als Einfamilienhäuser
Mühsame Suche nach BLS-Werkstatt-Standorten: Ein Kulturlandverlust ist nicht schön, aber akzeptabel.

Kaspar P. Woker  Im Raum Bern geben zur Zeit         schwere Unterhalt wie Revisionen soll zukünf-                Alle Beteiligten hoffen, dass innert der gesetz-
gleich zwei Bahnprojekte zu reden, die fast          tig in Bönigen vorgenommen werden, wo die                    ten Frist bis 2025 eine Realisierung möglich ist.
ausschliesslich auf Kulturland und Waldboden         Anlagen zu erweitern sind. Die Werkstätte                    Für die öV-Nutzenden ist dies eine grundsätzlich
realisiert werden sollen. Hohe Wellen warf           Spiez, welche zurzeit ausgebaut wird, bleibt                 erfreuliche Entwicklung, denn nur schnell und
2015 die Idee der BLS, eine Grosswerkstätte in       ebenfalls für den leichten Unterhalt in Betrieb.             zuverlässig gewartete Fahrzeuge sind dem An-
Riedbach (Stadt Bern) entlang der Linie nach         Damit würde ein Drei-Werkstätte-Konzept für                  sturm von immer mehr Reisenden gewachsen.
Neuenburg zu realisieren. Ein stattlicher Bau-       die BLS zum Tragen kommen.                                       Etwas mehr Fingerspitzengefühl in der Kom-
ernhof wäre dem Projekt zum Opfer gefallen.                                                                       munikation scheint dem Regionalverkehr Bern–
Nur dank dem Einsetzen einer breit abgestütz-        Realisierung bis 2025 vorgesehen                             Solothurn für sein Projekt eines Depot-Neubaus
ten Begleitgruppe aus Politik, Verkehr, Landei-      Der ganze Prozess hat eindrücklich aufgezeigt,               in Bätterkinden beschieden. Auch dort wird fast
gentümern und Naturschutz konnte die BLS ihr         dass heute solche Bahninfrastrukturen fast nur               ausschliesslich Kulturland beansprucht, doch
Gesicht wahren.                                      noch im Grünen zu realisieren sind, auch wenn                scheinen Standort und Notwendigkeit kaum
   Im Frühling 2016 präsentierte diese Grup-         viele raumplanerische und naturschützerische                 bestritten zu sein.
pe ihr Vorgehen und die Vorauswahl von fünf          Fakten dagegen sprechen. Die einzige Mög-                        Bei der Abwägung von Bahnbetrieb und Kul-
möglichen Standorten (InfoForum 2/2016). Am          lichkeit, diese Werkstätte auf Industrieland zu              turlandverlust sind Kompromisse notwendig.
19. September wurde nun ein Vorschlag zu             realisieren, bot sich in Thun zwischen Gleisen               Halten wir uns aber vor Augen, dass der Bau
Handen der BLS präsentiert: Im Gebiet Chly-          und Aare auf einem Gelände, das heute von der                von Einfamilienhäusern mit Garage im Grünen
forst Nord, ebenfalls in Riedbach, soll eine um      Armee belegt wird. Aus baulichen und bahnbe-                 weit mehr Land verbraucht als eine Bahnwerk-
40 Prozent kleinere Werkstätte für den leich-        trieblichen Gründen ist diese Möglichkeit nun                stätte, die schliesslich einer effizienteren Mo-
ten Unterhalt erstellt werden. Das sind Arbei-       aber weggefallen.                                            bilität dient. Pro Bahn unterstützt deshalb den
ten, welche in Zugspausen von vier Stunden               Die BLS wird ihrerseits die neuen Ergebnisse             Bau von beiden Bahnanlagen, auch wenn sie im
oder über Nacht erledigt werden können. Der          gegen das von ihr favorisierte Projekt abwägen.              Grünen errichtet werden müssen.

Einbahn-Fussgängerverkehr im Bahnhof Bern
PD    Während den Stosszeiten entstehen bei
Zugsankünften auf den Treppen und Rampen
im Bahnhof Bern Engpässe. Deshalb haben die
SBB in der Unterführung die Treppe und die
Rampe, welche zu den Gleisen 3 und 4 führen,
mit leuchtenden Torbögen und Ampelsignalen
ausgerüstet. Sobald sich die Türen eines ein-
fahrenden Zuges öffnen, wird den Reisenden in
der Unterführung mittels roter Ampel und ro-
tem Torbogen signalisiert, die Treppe vorüber-
gehend nicht zu benutzen.
    So wird laut SBB ermöglicht, dass die ausstei-
genden Passagiere ohne Gegenverkehr schnel-
ler in die Unterführung gelangen. Nach zirka 90
bis 120 Sekunden kann die Treppe wieder in
beide Richtungen genutzt werden. Die Rampe
indes bleibt während der ganzen Zeit in beide
Richtungen passierbar, was die grüne Ampel
und der grüne Torbogen signalisieren. Erstmalig
durchgeführt wurde der Versuch am Montag,
                                                     Ein weiterer Versuch, Engpässe zu vermeiden und Fussgängerströme zu lenken. Ob es gelingt?            Bild: SBB
7. November 2016.
    Das System ist nicht automatisiert, sondern
wird vor Ort manuell gesteuert. Der Versuch          führt. Die Wirkung des Einbahnverkehrs auf                   in der Unterführung im Einsatz stehen. Die An-
wird während mindestens zehn Tagen morgens           der Treppe wird mit elektronischen Sensoren                  onymität der Reisenden ist jederzeit gewähr-
und abends in der Hauptverkehrszeit durchge-         gemessen, die auch für die Richtungstrennung                 leistet.

                                                                                                                                            Aktuell 4/2016 InfoForum 9
OForum - Pro Bahn Schweiz
Tarifverbund Arcobaleno
                                                                                                                          Im Tarifverbund Arcobaleno sind zwölf
                                                                                                                          Transportunternehmen im Kanton Tessin
                                                                                                                          sowie in den Regionen Misox und Calan-
                                                                                                                          catal (Moesano) zusammengeschlossen. In-
                                                                                                                          nerhalb des ganzen Arcobaleno-Verbund-
                                                                                                                          gebiets gilt ein Tarifsystem. Damit benötigt
                                                                                                                          man für alle Fahrten mit dem öffentlichen
                                                                                                                          Verkehr nur einen einzigen Fahrausweis.
                                                                                                                          Die Einführung des Tarifverbundes war
                                                                                                                          ein gewaltiger Fortschritt für das Tessin
                                                                                                                          und das Misox. Auf Strecken, für die
                                                                                                                          man früher drei Billette unterschiedlicher
     Zuschlagpflichtig: Panoramazug Locarno – Domodossola.                                            Bilder: G. Lob
                                                                                                                          öV-Unternehmen lösen musste, ist man
                                                                                                                          nun mit einem Ticket unterwegs. Sehr

     Ärger über Centovallina                                                                                              lobenswert sind auch die günstigen Tarife.
                                                                                                                          Weniger lobenswert sind die Automaten
                                                                                                                          dieses Tarifverbundes. Die Nutzerfüh-
     Die Schmalspurbahn durchs Centovalli ist pittoresk, aber wenig                                                       rung ist verwirrend. Gerade Touristen
     kundenfreundlich.                                                                                                    verzweifeln häufig beim Bedienen dieser
                                                                                                                          Automaten. Ein weiterer Schwachpunkt
                                                                                                                          ist die Tatsache, dass an vielen Automaten
     Gerhard Lob    Die 1923 eröffnete Schmalspur-            auf Bildschirmen erschienen. Doch leider ist das
                                                                                                                          nur bar bezahlt werden kann. Am Anfang
     bahn von Locarno nach Domodossola, im Tes-               nicht der Fall. Die Ansagen haben Seltenheits-
                                                                                                                          waren alle Automaten mit einem Karten-
     sin „Centovallina“ und auf italienischer Seite           wert und sind offenbar von der Stimmung der
                                                                                                                          bezahlsystem ausgerüstet. Dieser Teil ist
     „Vigezzina“ genannt, macht eine traumhafte               Zugführer abhängig. Bildschirme gibt es nicht.
                                                                                                                          bei vielen neueren Arcobaleno-Automaten
     Fahrt durch das Centovalli und das Val Vigezzo              Das Resultat ist leider, dass immer wieder
                                                                                                                          mit einer Platte abgedeckt. (lo)
     möglich. Zwei Bahngesellschaften sind für diese          Touristen an falschen Haltestellen aussteigen.
     internationale Strecke zuständig: die „Ferro-            Schon öfter haben wir etwa an der Haltestellte
     vie Autolinee Regionali Ticinesi SA“ (FART) auf          S. Martino Fahrgäste angetroffen, die eigentlich
     Schweizer Seite, die „Società Subalpina Imprese          nach Ponte Brolla wollten. Zudem kommt es
     Ferroviarie” (SSIF) auf italienischer Seite.             vor, dass in den alten Zügen die Druckknöpfe
         Die Fahrt durch die wildromantische Bergge-          nicht funktionieren, um einen Halt zu signalisie-
     gend ist ein Erlebnis, doch man braucht Zeit.            ren. Wer sich beschwert, wird in der Regel vom
     Für eine Streckenlänge von rund 53 Kilometern            Personal angepflaumt.
     benötigt der Zug 1 Stunde und 51 Minuten.
     Das ergibt eine mittlere Reisegeschwindigkeit            Wenig attraktiv im Nahverkehr
     von etwas mehr als 30 km/h. Allerdings über-             In Richtung Locarno sind die Regionalzüge häu-
     windet die Bahn von Locarno (198 m ü. M.)                fig verspätet, was den Übergang zur S-Bahn TILO             Arcobaleno-Automaten: Mit und ohne
                                                                                                                          Kartenbezahlmöglichkeit.
     bis an ihren Kulminationspunkt in Santa Maria            zum Stress werden lässt. Auch von einem stünd-
     Maggiore (831 m ü. M.) mehr als 600 Höhen-               lichen Taktfahrplan kann man bei der Centoval-
     meter, und fast so viele geht es wieder abwärts          lina nur träumen. Im Regionalverkehr Richtung             1961 (!) D-Züge finden, die schneller unterwegs
     nach Domodossola (273 m ü. M.).                          Camedo gibt es ab 19 Uhr nur einen Zwei-Stun-             waren als heute. Abfahrt in Locarno 9.43 Uhr,
         Zwischen Locarno und dem Grenzörtchen                den-Takt. Weder um 20 Uhr noch um 22 Uhr                  Ankunft in Domodossola 11.22 Uhr. Reisezeit:
     Camedo verkehrt die Centovallina als Regio-              verkehren Züge ab Locarno in Richtung Cento-              1 Stunde 39 Minuten! Und damals gab es noch
     nalbahn. Und leider ist sie auf dieser Strecke           valli. Attraktiver Nahverkehr sieht anders aus.           keinen Tunnel beim Bahnhof Locarno.
     häufig ein Ärgernis. „Halt auf Verlangen“ steht              Nicht die besten Neuigkeiten bringt auch die              Die italienische SSIF hat ihrerseits Panorama-
     irgendwo geschrieben, denn die Bahn hält nicht           Fahrplanumstellung am 11. Dezember: Es wurde              wagen eingeführt, die zuschlagpflichtig sind.
     automatisch an allen Haltestellen, doch für              entschieden, den letzten Zug von Locarno (Ab-             Auch dies sorgt immer wieder für Diskussionen.
     ortsunkundige (und manchmal auch ortskundi-              fahrt 18.48 Uhr) nach Domodossola (Ankunft                Der Zuschlag von 1,50 Euro (2 Franken) ist zwar
     ge) Fahrgäste ist es gerade im Dunkeln praktisch         20.36 Uhr) zu streichen, genauso wie umgekehrt            nicht hoch, aber doch gewöhnungsbedürftig,
     unmöglich zu wissen, wo sie sich befinden. Zwi-          die momentan letzte Verbindung von Domodos-               zumal Locarno – Domodossola als GA-Strecke
     schen Locarno und S. Martino fährt das Bähn-             sola (Abfahrt 20.35 Uhr) nach Locarno (Ankunft            klassifiziert ist. Viele andere Dinge liessen sich
     chen im Tunnel. Manchmal hält es an der unter-           22.15 Uhr). Dafür soll neu ein Zug um 19.30 Uhr           aufzählen: So haben wir auch schon einen Zug-
     irdischen Station S. Antonio, manchmal nicht.            von Domodossola nach Locarno verkehren.                   begleiter beobachtet, der im Führerstand gemüt-
     Das Problem liesse sich lösen, wenn die Halte-               Interessant ist es schliesslich, alte Fahrpläne       lich eine Zigarette rauchte. Es bleibt zu hoffen,
     stellen laut und deutlich angesagt würden oder           zu studieren. Da lassen sich etwa für das Jahr            dass es ein Einzelfall war.

10 InfoForum 4/2016 Aktuell
Das neue Tor in den Süden
Pünktlich zur Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels sind die Bahnhöfe von Bellinzona und Lugano
erneuert worden.

Gerhard Lob   Nach über zwei Jahren Renovati-
onszeit und Investitionen von rund 36 Millio-
nen Franken erstrahlt der Bahnhof Bellinzona in
neuem Glanz und ist rechtzeitig vor der fahr-
planmässigen Inbetriebnahme des Gotthard-
Basistunnels eröffnet worden. Er ist das „Tor
zum Süden“, der erste Halt für Reisende aus
dem Norden in Richtung Italien via Gotthard-
Basistunnel. Umgesetzt wurde ein eher konser-
vatives Projekt, das aber den Erfordernissen des
Denkmalschutzes gerecht wird.
    Aus Kundensicht ist vor allem wichtig, dass
die Erreichbarkeit der Bahnsteige eindeutig ver-
bessert wurde. Aus dem grosszügigen Atrium
kann man nun via Rolltreppe die Unterführung
erreichen, und via Rampe oder Lift auf den je-
weiligen Bahnsteig gelangen. Eine Kuriosität         Schön, aber rutschig: Das Atrium im Bahnhof Bellinzona.                                           Bilder: G. Lob

von Bellinzona bleibt die Tatsache, dass es sechs
Bahnsteige gibt, aber nicht die Nummer 5. Auf        Tessiner Granit gesehen hätten. Bedenklich ist             von Luzern. Die Billettschalter werden auch sonn-
einem Seitengleis ist dafür Bahnsteig 809 zu er-     allerdings, dass sich der verwendete Belag bei             tags geöffnet bleiben. Integriert ins Reisezentrum
blicken, eine Nummerierung, die an Bahnsteig         Regen in eine spiegelglatte Fläche verwandelt.             ist ein InfoPoint von Bellinzona Tourismus.
„9 3/4“ aus Harry-Potter-Romanen erinnert.           Die Rutschgefahr muss nun mit hässlichen gel-                  Nicht nur Bellinzona Tourismus, sondern
    Dreh- und Angelpunkt des neugestalteten          ben Plastikschildern signalisiert werden.                  auch die SBB rechnen als Folge des neuen Gott-
Bahnhofs ist das „City Bistro“, das sich schon                                                                  hard-Basistunnels mit steigenden Passagierzah-
seit seiner Eröffnung Anfang Mai als Treff-          Mehr Passagiere erwartet                                   len im Bahnhof Bellinzona: Von aktuell 9000
punkt entwickelt hat. Es ist von 5 Uhr bis 22        Wie andere Bahnhöfe der Schweiz hat nun auch               soll die Zahl der täglichen Passagiere dereinst
Uhr geöffnet. Ausgesprochen kühl und wenig           Bellinzona in der Bahnhofspassage einen eigenen            auf 15 000 hochschnellen. Neben Bellinzona
einladend ist dafür der nahe gelegene Warte-         Laden (Coop) sowie einen Take-Away (Migros).               wurde auch der Bahnhof Lugano erneuert. Dort
raum. Es ist zu hoffen, dass hier noch etwas         Etwas versteckt befindet sich der Brezelkönig              gibt es eine neue Passage, die einen direkten
nachgebessert wird. Nachbessern muss man             in einer Ecke, gleich gegenüber den Schliessfä-            Übergang zur Standseilbahn ohne mühsames
wohl auch im grossen Atrium. Dort wurde als          chern. Im Erdgeschoss lassen sich im neuen Rei-            Treppensteigen bietet. Auch der Weg zur Pon-
Belag römischer Travertin verwendet, was be-         sezentrum Billette kaufen, glücklicherweise nicht          te-Tresa-Schmalspurbahn ist angenehmer und
reits zu Protesten der Tessiner führte, die gerne    so versteckt wie etwa im umgestalteten Bahnhof             kundenfreundlicher geworden.

                                                       Petition für Alptransit-Süd
                                                       Im Tessin hat sich ein Initiativkomitee gegrün-          worden, darunter auch eine Untertunnelung
                                                       det, das unter dem Namen „Pro San Got-                   des Luganer Sees. Bis anhin bleibt das Projekt
                                                       tardo“ eine Petition lanciert hat, um den Bun-           Alptransit am Gotthard ein Stückwerk. Ab Lu-
                                                       desrat zur Verwirklichung des ursprünglichen             gano rollt der gesamte Bahnverkehr auf der
                                                       Alptransit-Projekts – von Grenze zu Grenze               alten Gotthard-Linie weiter, teilweise durch
                                                       – zu drängen. Die erst für 2050 vorgese-                 dicht besiedelte Gebiete und über den Damm
                                                       hen Verlängerung von Alptransit zwischen                 von Melide. Dasselbe Problem gibt es in
                                                       Lugano und der Landesgrenze bei Chiasso                  Bellinzona, wo auf die Umfahrung mit Tunnel
                                                       soll gemäss diesem Komitee unbedingt                     aus Kostengründen verzichtet wurde. Alle
                                                       vorgezogen werden, möglichst auf 2035,                   Güter- und Personenzüge via Gotthard fahren
                                                       ebenso wie der Ausbau nördlich von Erstfeld              daher mitten durch die Kantonshauptstadt.
                                                       in Richtung Deutschland. Bisher haben fast
                                                       3000 Personen diese Petition unterschrieben.
                                                       Einst waren mehrere Lösungen angedacht                   Internet: www.change.org/p/alptransit
Wenig einladend: der neue Warteraum in Bellinzona.

                                                                                                                                    Aktuell 4/2016 InfoForum 11
Lugano – Mailand mit Fahrzeitverlängerung
     Beschleunigung dank Gotthard-Basistunnel: Doch südlich von Lugano verkehren EuroCity-Züge langsamer
     nach Mailand als bisher.

     Gerhard Lob Ab dem 11. Dezember 2016 gilt                                                                            mindest theoretisch, wenn diese pannenanfäl-
     der neue Fahrplan im Bahnverkehr. Bekannt-
                                                            Tempi di percorrenza                                          ligen Neigezüge pünktlich unterwegs waren.
     lich betrifft die grösste Veränderung die Inbe-
                                                            Milano Centrale - Lugano                                      Nun werden die Fahrzeiten wieder länger. SBB-
     triebnahme des Gotthard-Basistunnels (GBT).                          TEE/EC*               TILO RE   TILO S10        Sprecherin Roberta Trevisan bestätigt diesen Be-
     Die Reisezeit auf der Nord-Süd-Achse verkürzt            1964        64 min.                                         fund. Sie weist darauf hin, dass es auf diesem
     sich um rund 30 Minuten. Zwischen Zürich und             1982        62 min.                                         Abschnitt viele Baustellen gebe, unter anderem
                                                              2005        59 min.
     Mailand brauchen Bahnfahrer im EuroCity statt                                                                        wegen des Ausbaus für den Vier-Meter-Korri-
                                                              2013        60 min.
     der bisherigen 4 Stunden und 3 Minuten fahr-             2016        67 min.               68 min.   76 min.
                                                                                                                          dor: „Dazu kommt ein kurzer Halt in Chiasso
     planmässig nur noch 3 Stunden und 26 Minu-               2017       76-86 min.             68 min.   75 min.         für die Kontrollen der Grenzwacht.“ Besonders
     ten – eine Fahrzeitverkürzung von 37 Minuten.            *TEE: Trans Europ Express / EC: EuroCity                    problematisch sei aber die Situation im Gross-
     Der gleiche Zeitgewinn resultiert zwischen Lu-       Fahrzeiten Milano Centrale – Lugano
                                                                                                                          raum Mailand mit regelrechten Staus auf dem
     zern und Mailand, wobei – mit Ausnahme eines                                                                         Gleisnetz. Züge könnten nur in einem bestimm-
     direkten Zuges – in Arth-Goldau umgestiegen          in der lombardischen Metropole (10.15 Uhr)                      ten „Slot“ in Milano Centrale ein- beziehungs-
     werden muss.                                         ganze 86 Minuten bis Lugano benötigen wird,                     weise ausfahren. Zudem geniesst der Regional-
         Diese globale Zeitersparnis verschleierte al-    fast eineinhalb Stunden für gut 80 Kilometer.                   verkehr in Italien Vorrang vor dem Fernverkehr.
     lerdings die Tatsache, dass die internationalen      Selbst die S-Bahn TILO (Ticino-Lombardia) mit                       Aus diesen Gründen wurden Zeitpuffer ein-
     Züge auf dem Teilabschnitt Lugano – Mailand          Halt in allen Stationen auf dieser Strecke ist                  gebaut, um den Fahrplan für die EuroCity ein-
     länger unterwegs sein werden als bisher. Wäh-        schneller als der EuroCity und braucht nur 75                   halten zu können. Gemäss dem Motto: Lieber
     rend ein in Italien zuschlags- und reservations-     Minuten.                                                        fahrplanmässig, aber länger unterwegs sein,
     pflichtiger EuroCity heute in 67 Minuten von                                                                         als mit Verspätung. Nach der Inbetriebnahme
     Lugano nach Milano Centrale fährt, wird er mit       Langsamer als 1964                                              des Ceneri-Basistunnels im Jahr 2021 wird laut
     der Fahrplanumstellung mindestens 76 Minuten         Im Jahr 1964 brauchten die legendären TEE ge-                   Trevisan eine Fahrzeit von 70 Minuten bei den
     benötigen. Das gilt auch für die Gegenrichtung.      nau 64 Minuten zwischen Lugano und Mailand.                     Fernverkehrszügen zwischen Lugano und Mai-
     Besonders extrem ist der EC 158 von Mailand          In der Ära Cisalpino reduzierte sich die Fahrzeit               land die Regel sein. Das ist immer noch 6 Minu-
     nach Basel via Luzern, der nach seiner Abfahrt       sogar kurzzeitig (2005) auf 59 Minuten – zu-                    ten länger als mit dem TEE vor über 50 Jahren.

     Vertrauen auf italienisches Rollmaterial
     Nur ein Drittel der internationalen Verbindungen zwischen der Schweiz und Italien durch den neuen
     Gotthard-Basistunnel wird mit Zügen der SBB bestritten.

     Edwin Dutler   Die völlig verfehlte Rollmaterial-                                                                    gesprochen. Offenbar wurde hier wieder ein-
     Beschaffungspolitik des SBB-Managements in                                                                           mal Wunschdenken und Realität verwechselt.
     Zusammenhang mit dem Gotthard-Basistunnel                                                                               Ab Karfreitag, 14. April 2017 verkehrt an
     mit der leider viel zu späten Bestellung des Gi-                                                                     Feiertagen und Wochenenden, in den Som-
     runo zeigt sich im neuen Fahrplan: Von den                                                                           mermonaten täglich, der Gotthard-Panorama-
     täglich 18 EC-Verbindungen werden 12 mit                                                                             Express über die Gotthard-Bergstrecke. Der Zug
     Rollmaterial von Trenitalia – teilweise sogar in                                                                     fährt ein Mal pro Tag in beide Richtungen und
     Doppeltraktion – geleistet, nur sechs Verbin-                                                                        darf nur mit einer Sitzplatzreservation mit Zu-
     dungen können mit SBB-eigenem Rollmaterial                                                                           schlag benützt werden. Der Zuschlag inklusive
     sichergestellt werden. Ein italienfähiger Dis-                                                                       Sitzplatzreservation beträgt 24 Franken, wenn
     pozug, der früher einmal versprochen wurde,                                                                          vor dem Scheiteltunnel ausgestiegen wird 12
     kann auch das Christkind nicht hervorzaubern.                                                                        Franken. Der Zug besteht aus drei Panoramawa-
     Beim grössten Teil der internationalen Verbin-                                                                       gen der 1. Klasse und zwei Wagen der 2. Klas-
                                                          Bald bis zu 24 Franken Zuschlag: der Gotthard-Panorama-
     dungen haben die SBB in den nächsten drei Jah-       Express.                                         Bild: G.Lob   se, wobei bei einem Wagen zum Fotografieren
     ren somit keinen Einfluss auf die Zuverlässigkeit,                                                                   die Fenster geöffnet werden können. Positiv ist,
     die Verfügbarkeit, die Servicequalität sowie auf     neut verlängert (siehe weiterer Artikel auf die-                dass an den Wochenenden ab Juni 2017 wieder
     die gastronomische Qualität. Und damit die           ser Seite). Wie wurde doch an der Eröffnung                     ein Direkt-EC von Zürich nach Venedig verkehrt
     Verspätungen nicht nochmals ansteigen, wurde         des Gotthard-Basistunnels von den Rednern                       (Zürich ab 06.09 Uhr, Venedig an 12.40 Uhr;
     die Fahrzeit zwischen Lugano und Milano er-          begeisternd von Hochgeschwindigkeitsverkehr                     Venedig ab 15.20, Zürich an 21.51 Uhr).

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