Pädagogik in den Bäumen - Ein erlebnispädagogisches Projekt von Jugendarbeit und Schule - kinderkultur-stadt-hannover.de
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Inhalt Vorwort.......................................................................... 1 Einleitung....................................................................... 2 Die Entstehungsgeschichte des Seilgartens Hannover................................................ 3 Erlebnispädagogik – konzeptionelle Grundlage des Seilgartens Hannover.................................................. 9 Wie funktioniert eigentlich Erlebnispädagogik?............. 13 Der Seilgarten als Handlungsfeld.................................. 17 Risiko und Sicherheit..................................................... 21 Pädagogische Zielsetzungen im Wandel....................... 23 Fazit – 10 Jahre Erfolg................................................... 25 Literatur und Quellen.................................................... 26 Kooperationspartner Verein für Erlebnispädagogik und Jugendsozialarbeit e.V............................................ 27 Landeshauptstadt Hannover......................................... 28 Albert-Schweitzer-Schule, Berufsbildungszentrum des Stephansstiftes und Berufsbildende Schulen in Burgdorf.............................. 29 Jugendverband der Evangelischen Freikirchen............... 30 BBS 3 – Schule für Berufe am Bau................................. 31 Der Jugendverband der SJD-Die Falken......................... 32 Schulen im Hochseilgarten Am Beispiel der IGS Linden........................................... 34 Anschriften................................................................... 35
Vorwort D er Seilgarten im hannoverschen Stadtwald Eilenriede auf dem Gelände des Spielparks WAKITU ist in vieler- lei Hinsicht ein ganz besonderes Projekt. Seine Entstehung fahrungen mit pädagogischen Gruppenprozessen. Im Vordergrund steht nicht das kurzfristige Erlebnis, sondern die intensive Vorbereitung und Durchführung von unbe- verdankt er einigen überwiegend an der Basis tätigen kannten Situationen und die dafür notwendige gemeinsa- sport- und erlebnispädagogischen Jugendarbeitern/innen me Verantwortung in der Gruppe. Sich auf seine Partnerin sowie Lehrern/innen, die mit großem Engagement und bzw. seinen Partner und die Gruppe verlassen zu können, der notwendigen Beharrlichkeit ein modernes Angebot spielt hier eine besondere Rolle. für die Kinder und Jugendlichen dieser Stadt entwickelt Nicht zuletzt spielt der Seilgarten auch für die Ent- haben. wicklung der Kinder- und Jugendarbeit eine besondere Da die Entwickler/innen des Seilgartens aus vielen Rolle. Auf dem Gelände lassen sich gemeinsam Erfahrun- verschiedenen Arbeitszusammenhängen der Kinder- und gen entwickeln, wie sie in keinem Jugendzentrum, in kei- Jugendhilfe kamen, ist der Seilgarten auch ein im besten ner Schule und auch in keinem Betreuungszusammenhang Sinne vernetztes Kooperationsprojekt. Fast alle Arbeits- gemacht werden können. Auch für viele Mitarbeiter/innen bereiche der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Ju- aus diesen unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen ist gendlichen sind im Seilgarten verantwortlich organisato- der Seilgarten mehr als eine willkommene Abwechslung im risch miteinander verbunden und bilden das Gerüst der Arbeitsalltag. Er bietet auf sehr praktische (nonformelle) Art Einrichtung. Träger, Einrichtungen und Mitarbeitende aus eine Vermittlung von Bildung, die den beteiligten Kindern der Kinder- und Jugendarbeit, Erziehungshilfe, Schule und und Jugendlichen sehr lange und damit nachhaltig in Er- Jugendsozialarbeit tragen gemeinsam Verantwortung für innerung bleibt. Dass der hannoversche Seilgarten im WA- die Angebote des Seilgartens und sorgen dafür, dass der KITU sich dementsprechend als „Non-Profit“-Angebot in Seilgarten sich vor interessierten Nutzern/innen kaum ret- seinen Standards und Erfahrungsmöglichkeiten von vielen ten kann. Das besondere an dieser Kooperation ist, dass kommerziellen Angeboten erheblich unterscheidet, ist in auf dem Seilgarten die häufig eher beschworene Zusam- diesem Zusammenhang schon fast müßig zu erwähnen. menarbeit „auf Augenhöhe“ tatsächlich stattfindet. Die In diesem Sinne wird uns der Seilgarten als pädagogi- Mitwirkenden von den diversen Kooperationspartnern sches Kooperationsprojekt der Kinder- und Jugendarbeit, bringen sich dabei gleichberechtigt, sehr konkret und Jugendhilfe, Schule und Jugendsozialarbeit hoffentlich handfest in das Projekt ein. noch lange erhalten bleiben und sich dank des Engage- Für die Kinder und Jugendlichen ist der Seilgarten im ments der beteiligten Träger, Einrichtungen und Mitar- WAKITU weit mehr als ein freizeitpädagogisches Angebot. beitenden den Anforderungen entsprechend weiterent- Vielmehr verbindet er persönliche Erfolgs- und Grenzer- wickeln. Volker Rohde, Stadtjugendpfleger 1
Einleitung D ie Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen ha- ben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Der frühe Einstieg in Betreuungseinrichtungen wie Krabbelstu- nungsfeld und ein ausgezeichnetes Lernfeld für Politik und Pädagogik. Der Fachtag zum zehnjährigen Bestehen erlaubte ei- ben, Kindertagesstätten und der Ausbau der Ganztags- nen genaueren Blick auf die Entstehungsgeschichte und schulen sollen zu einer Entlastung familiärer Strukturen die pädagogische Arbeit des Seilgartens. Die Arbeit im führen, die durch zunehmende Berufstätigkeit der Eltern Seilgarten wird von Kindern und Jugendlichen, Schülern und der damit verbundenen Mehrfachbelastung an ihre und Schülerinnen, Lehrern und Lehrerinnen, den Fach- Grenzen kommen. So gewinnen Bildungssysteme außer- kräften, aber auch von den mitarbeitenden Kollegen und halb der Familie zunehmend an Bedeutung. Innerhalb Kolleginnen besonders geschätzt. Viele Rückmeldungen der unterschiedlichen Betreuungs- und Bildungseinrich- bestätigen, dass dieses gewachsene Projekt zwischen den tungen wie Kindertagesstätten, Schule und Jugendarbeit Bäumen der Eilenriede nachhaltig im Erleben unserer Be- stellt sich so die Frage, welche spezifischen Schwerpunkte sucher und Besucherinnen ist. Aber was sind die Faktoren, die Fachkräfte aus der Jugendarbeit in diesem veränderten die den Seilgarten Hannover so besonders machen und Lebensraum von Kindern und Jugendlichen einbringen vielfältigste Impulse für die pädagogische Arbeit in Stadt können. und Region aussenden? Dass die Schule in der Zukunft für den Unterricht zustän- Die folgende Dokumentation soll informieren, Mög- dig und die Einrichtungen der Jugendhilfe für Freizeitan- lichkeiten außerschulischer Lernorte beschreiben und gebote in der Schule sorgen, wäre zu kurz gedacht. Eine Anregungen für ähnliche Projekte geben, in denen sich wirkliche Vernetzung zwischen Schule und Jugendarbeit Schule und Jugendarbeit sehr gut ergänzen können. Der bringt beiden Seiten eine Vielzahl von Vorteilen, sofern Seilgarten Hannover stützt sein Konzept auf die Erlebnis- sinnvolle Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der pädagogik, auf die in der folgenden Dokumentation nä- Seilgarten in Hannover ist ein Projekt in diesem Span- her eingegangen wird. 2
Die Entstehungsgeschichte des Seilgartens Hannover Wie alles anfing – die 90er Jahre Z u Beginn der 90er Jahre entwickelte sich im Bereich der hannoverschen Kinder- und Jugendarbeit ein sehr aktives Netzwerk von Einrichtungen in kommunaler, existierende „Mitternachtssport“ in Hannover ist z.B. ein Ergebnis dieses Zusammenwirkens von konzeptioneller kommunaler Jugendarbeit, engagierten Jugendarbeiter/ kirchlicher und freier Trägerschaft, das einrichtungsüber- innen und vor Ort wirkender angewandter Wissenschaft. greifend Angebote im Bereich Sport, Spiel und Bewegung Beeinflusst von der damals neu entflammten Dis- organisierte. Getragen wurde dieses Netzwerk von Ju- kussion um die Bedeutung von Erlebnispädagogik in der gendarbeitern/innen, die sich den Stellenwert, den Sport Jugendarbeit1 entdeckte dieses Netzwerk Ende der 90er und Bewegung im Alltag von Kindern und Jugendlichen Jahre auch erlebnispädagogische Angebote für sich. haben, für die pädagogische Praxis nutzbar machten. Während traditionelle erlebnispädagogische Me- Fachlich beeinflusst wurde dieser Kreis u.a. auch von thoden wie Kanufahren von der „Sportgemeinschaft“ in den Arbeiten des Soziologen Gunter A. Pilz, der damals Eigenregie durchgeführt wurden, fehlten für Kletterver- am Institut für Sportwissenschaft der Universität Han- anstaltungen die technischen und fachlichen Kompeten- nover forschte und lehrte und die präventive Bedeutung zen. So entstand die Zusammenarbeit mit dem „Verein von sport- und bewegungsbezogenen Angeboten in der für Erlebnispädagogik und Jugendsozialarbeit (VEJ e.V.), Arbeit mit „schwierigen“ Jugendlichen herausarbeitete. die bis heute anhält. Der VEJ e.V. war ein in Hannover Parallel dazu installierte die kommunale Jugendarbeit gegründeter Zusammenschluss von kletterbegeisterten Mitte der 90er eine Stelle für „Sportkoordination“. Diese Pädagogen/innen, die erlebnispädagogische Angebote beim Fachbereich Jugend und Familie der Landeshaupt- mit dem Schwerpunkt Klettern entwickelten und auf ihre stadt Hannover angesiedelte Stelle hatte primär die För- Praxistauglichkeit für Jugendarbeit und Jugendhilfe über- derung und Vernetzung von sport- und bewegungsbezo- prüften2. genen Angeboten in der außerschulischen Jugendarbeit Eine erste gemeinsame Aktion war 1999 eine zur Aufgabe und arbeitete eng und regelmäßig mit dem Abseilaktion verschiedener Jugendeinrichtungen Netzwerk „Sportgemeinschaft hannoverscher Jugendein- am Kirchturm der „ev.-luth. Bethlehem-Kirchge- richtungen“ (im Folgenden „Sportgemeinschaft“ genannt) meinde“ in Linden-Nord. Mit dem Engagement zusammen. Der breit aufgestellte und bis heute noch der im Keller der Kirche angesiedelten Jugendar- 1 Vergl. Heckmaier, B./Michl, W.(1993): Erleben und Lernen. Einstieg in die Erlebnispädagogik und Fischer, D./Klawe, W./Thiessen, H.-J. (1997): (Er)leben statt Reden. Erlebnispädagogik in der offenen Jugendarbeit 2 Vergl. Pilz, G./Böhmer, H. (Hrsg) 2002: Wahrnehmen–Bewegen–Verändern. Beiträge zur Theorie und Praxis sport-, körper- und bewegungsbezogener sozialer Arbeit und Höser, T. (2000): Mosaikstein Erlebnispädagogik. Felsklettern mit Jugendlichen aus der Nordstadt von Hannover 3
beit („Bethlehem-Kellertreff“) hatte die Kirchengemeinde ihren Kirchturm in den 90er Jahren klettergerecht ausge- baut und in ihre Jugendarbeit integriert. Qualifikationsphase – die Jahre 1999 bis 2003 Der VEJ e.V. entwickelte neben erlebnispädagogischen Angeboten auch Qualifizierungsmaßnahmen, die prakti- sche Kenntnisse im Bereich Klettern in pädagogischen Arbeitsbereichen vermittelten. So ließen sich 1999 und 2000 die ersten Mitarbeiter/innen einiger Jugendeinrich- tungen in der Kletterhalle der Waldorfschule am Maschsee an Kletterwänden ausbilden, um selbständig mit Jugend- lichen Angebote dort durchzuführen. Die Jugendarbeit erkannte schnell die Vorteile, die eine technische und pädagogische Qualifikation für die eigene Arbeit hatte, und die es ermöglichte, erlebnispäda- gogische Angebote sozialräumlich orientiert vorzuhalten. Kistenklettern, Felskletteraktionen im Ith, Abseilaktionen, Seilbrückenbau im Rahmen von Schulprojekten und vieles mehr erweiterte in den Jahren 99 bis 2003 die Angebot- spalette einiger Jugendeinrichtungen im Bereich sport- und bewegungsbezogener Angebote. In den Jahren 2000–2002 bildete der VEJ e.V. zum ers- ten Mal eine größere Gruppe hannoverscher Jugendarbei- ter/innen und Mitglieder von Jugendverbänden zu „Ropes Course Trainern“ aus3. Diese Ausbildung qualifizierte zum fachgerechten Aufbau von temporären niedrigen und ho- hen Kletterelementen, vorwiegend in Baumbeständen. Qualifiziert durch diese Ausbildung führte die „Sport- gemeinschaft“ in den Jahren 2000–2003 in den Ferien ein- bis dreitägige Maßnahmen an temporären Hochseil- elementen in der Eilenriede durch. Im Jahr 2002 begann auch die erste Zusammenarbeit mit der kommunalen Fe- riencard, die ebenfalls bis heute andauert. 3 Heute heißt diese Ausbildung „ERCA zertifizierter Konstrukteur/in für temporäre Seilaufbauten“. 4
Angespornt durch die Teilnahme von mehreren hun- über 500 Teilnehmer/innen aus Schulen und Jugendein- dert Jugendlichen an den diversen Angeboten in diesen richtungen im September 2003 einen weiteren Erfolg. Jahren entstand Ende 2002 die Idee, einen mobilen Seil- Ermuntert durch die nicht erwartete Resonanz auf die- garten über einen längeren Zeitraum anzubieten. ses kurzzeitpädagogische Projekt entwickelte sich schnell die Idee, 2004 den Seilgarten auf ein halbes Jahr auszu- dehnen5. Die Zahl der Teilnehmenden stieg im Zeitraum Die ersten temporären Seilgärten in Hannover – April bis Oktober auf 2.400 Kinder und Jugendliche an. die Jahre 2003 bis 2006 Die Anlage war mobil konzipiert, der Aufbau dauerte acht, der Abbau zwei Tage. Die temporäre Anlage bestand aus Am 02.09.2003 startete der Seilgarten zum ersten Mal zehn selbstentworfenen und gebauten Hochseilelemen- als vierwöchiges Projekt des Jugendverbandes der SJD-Die ten, die anschließend den Winter über mit dem übrigen Falken und seiner Jugendeinrichtung „Lister Turm“ auf dem Material wie Gurten und Helmen in einer Jugendeinrich- tung gelagert wurden. In der Planungsphase Anfang 2004 wurde schnell klar, dass ein derartiges Projekt von einem Träger alleine nicht zu bewältigen ist. So entstand das Konzept, einen Seilgarten als Kooperationsverbund zu organisieren. Dabei kam dem Projekt zugute, dass einige Initiatoren gut vernetzt in der „Sportgemeinschaft“ waren. Es beteiligten sich nun neben SJD-Die Falken zwei weitere Jugendverbände, der Jugend- verband der Evangelischen Freikirchen in Hannover und das Kreisjugendwerk der AWO, drei Jugendeinrichtungen der kommunalen Jugendarbeit, zwei Kirchengemeinden, der „Verein für Erlebnispädagogik und Jugendsozialarbeit VEJ e.V.“ und aus der Region die Jugendpflege Hemmin- gen. Die Anzahl der beteiligten Trainer/innen verdoppelte sich, zum ersten Mal wurden auch Honorartrainer/innen mit in den Pool der Mitarbeiter/innen aufgenommen. Die Gelände des Erlebnishofs Wakitu4. Ein Teil der mit Bäumen Hauptlast der Betreuungsstunden leisteten aber weiterhin bewachsenen Außenfläche des WAKITUs wurde für das pädagogische Fachkräfte aus Jugendeinrichtungen und Projekt zur Verfügung gestellt. Mit elf Trainern, einem be- Jugendverbänden. scheidenen finanziellen Zuschuss und fast 500 Stunden 2005 gab es eine wichtige Premiere: mit der BBS 3 ehrenamtlichem Engagement feierten die Initiatoren mit stieß eine Schule zum Seilgarten. Die BBS 3 ist mit 2000 4 Der „Erlebnishof Wakitu“ ist eine kommunale Kinder- und Jugendeinrichtung am Rand des großen Stadtwaldes Eilenriede gelegen. Das „Falken-Jugendzentrum Lister Turm“ ist 50m Luftlinie vom Seilgarten entfernt. 5 Unterstützt von der kommunalen „Sportkoordination“ konnte das Projekt durch städtische Projektmittel, mit Geldern aus den Etats eini- ger Bezirksräte, zahlreiche Spenden und vor allen Dingen einer 5-stellingen Zuwendung aus einem Förderprogramm der „Aktion Mensch“ auf eine breitere finanzielle Grundlage gestellt werden. 5
Schülern eine große Berufsbildende Schule, die überwie- gejahre bis 2013 gend für Berufe am Bau qualifiziert. Neben zahlreichen ein. Obwohl die Klassen, die Programme im Seilgarten durchliefen, stellte Nachfrage grö- die BBS 3 auch einen Lehrer zur Verfügung, der im Seil- ßer ist, reichen garten Klassen betreute und das Projekt in die Schule hi- die Kapazität der nein vermittelte. In den Folgejahren baute die BBS 3 ihr Anlage und die Engagement kontinuierlich aus, zeitweise waren bis zu organisatorischen fünf Lehrer am Projekt beteiligt. Ein Lehrer sitzt in der und personellen Projektleitung, dem Steuerungsgremium des Seilgartens. Ressourcen nicht Jährlich durchlaufen an die 45 Klassen der BBS Trainings- aus, um weiter zu programme zur Förderung von Sozialkompetenz, berufs- wachsen. Mit der bezogenen Schlüsselqualifikationen und Teamprozessen Albert-Schweitzer- den Seilgarten. Grundschule aus 2005 tritt der Seilgarten Hannover auch offiziell der Linden-Nord stieß ERCA6 als Mitglied bei und arbeitet seitdem kontinuierlich 2012 erstmals eine im Dachverband mit und bringt seine Praxiserfahrungen allgemeinbildende in verschiedene Gremien ein. Aktuell übt ein Mitglied des Schule zum Seil- Trainerteams dort eine Vorstandstätigkeit aus. gartenverbund dazu. 2013 wurde mit der Berufsbildenden Bis 2007 wurde die Anlage weiterhin als temporäre Schule aus Burgdorf und dem Berufsbildungszentrum des Anlage betrieben, d.h. ein Großteil der Elemente wurde zu Stephansstiftes der Bereich der Beruflichen Bildung und Beginn der Saison aufgebaut, im Herbst wieder abgebaut des Übergangssystems „Schule/Beruf“ im Seilgartenver- und den Winter über eingelagert. Ein Teil dieser Arbeiten bund weiter gestärkt und um den Bereich Jugendhilfe er- wurde weiterhin ehrenamtlich geleistet. Diese Konzeption weitert. stieß aber mit knapp 30 Hohen Elementen zunehmend an Von den Gründungsmitgliedern sind weiterhin die personelle Grenzen. 2008 wurde daher mit dem Fachbe- Stadt Hannover, die Jugendverbände der Falken und der reich Umwelt vereinbart, dass ein Großteil der Sicherungs- Evangelischen Freikirchen, der VEJ e.V. und die BBS 3 en- und Aktionssysteme in den Bäumen belassen werden kön- gagiert. nen. Damit war der Schritt zu einer stationären Anlage Das rasante Wachstum und zunehmende Sicherheits- vollzogen. anforderungen im Bereich Hochseilgärten machten eine weitere Professionalisierung erforderlich. Die Geschäfts- Wachstum, Professionalisierung und führung wird heute hauptamtlich geleistet. Innerhalb des Konsolidierung – die Jahre 2008 bis 2014 Projektverbundes hat sich eine starke Arbeitsteilung etab- liert, die sich in die Bereiche Sicherheit, Ausbildung und Bis 2011 stiegen die Zahlen der Teilnehmenden kon- Qualifizierung, Anlagenbetreuung, Konzeptentwicklung tinuierlich auf durchschnittlich 11.000 Teilnehmer/innen und laufende Geschäftsführung gliedert. Die Hauptver- an. Auf diesem Niveau pendelten sich die Zahlen der Fol- antwortung liegt bei den vier Trägern, die das Steuerungs- 6 European Ropes Courses Association e.V., Die ERCA ist der europäische Dachverband der Seilgartenbranche. Der Verein repräsentiert euro- päische Trainer, Seilgartenbauer und Organisationen, die temporäre, mobile und stationäre Seilgärten betreiben. 6
gremium „Projekt- entscheidende Qualität in der Betreuung von Gruppen leitung“ bilden. ausmachen. Im Jahr 2008 Der Seilgarten Hannover ist im Laufe seiner Entwicklung wird der Seilgarten seinen Grundideen aus den ersten Jahren bis heute treu ge- im Haushalt der blieben und stützt seine Arbeit auf folgende Säulen: Stadt aufgenom- men, so dass seit- • Kooperation: Als Verbund aus acht Trägern bündelt dem eine verläss- der Seilgarten Kompetenzen aus sehr unterschiedlichen lichere Kalkulation pädagogischen Handlungsfeldern wie Jugendarbeit, möglich wird. Die Jugendverbandsarbeit, Jugendhilfe, berufliche Bildung, Mischfinanzierung Schulpädagogik und Erwachsenenbildung. Vorteile, die aus kommunaler einzelne Träger auch aufgrund ihrer unterschiedlichen Förderung (ca. Organisationsstruktur, Trägerkultur und unterschiedli- 25%) und Eigen- chen Fachlichkeit haben, können in vielfältiger Weise mitteln des Seil- produktiv synergetisch genutzt werden. Die Partner gartens (ca. 75%) kooperieren auf Augenhöhe und einvernehmlich, die garantiert somit Dominanz eines einzelnen Trägers besteht nicht. auch weiterhin Nutzungstarife, die für Kinder und Jugend- liche aus sozialen Brennpunkten und sozial benachteilig- • Pädagogische Fachlichkeit: Die strukturelle und perso- ten Familien bezahlbar sind und der kommunalen Leitidee nelle Verankerung in den Bereichen Jugendhilfe, Schule „Hannover als soziale Stadt“ Zugang zu Bildung für alle zu und Jugendarbeit garantiert hohe pädagogische Quali- ermöglichen, gerecht wird. tät durch Fachkräfte, die eben nicht nur sicherungstech- Der Pool der Trainer/innen, die auf der Anlage arbei- nische, sondern auch praxiserprobte fachliche Kompe- ten, besteht mittlerweile aus 60 Mitarbeiter/innen. Die Ko- tenzen einbringen. Unser Konzept ermöglicht einen operationsträger stellen nur noch ein Fünftel der Stunden hohen Betreuungsschlüssel, der Voraussetzung für eine zur Verfügung, die für die Betreuung der Gruppen aufge- pädagogische Arbeit ist. Das gilt auch für Kinder und wendet werden. Der größere Teil wird mittlerweile von Jugendliche, die Handicaps haben oder Zeit brauchen, nebenberuflich tätigen Honorartrainern/innen beigesteu- um sich mit ihren körperlichen und mentalen Grenzen ert, von denen die meisten eine fachliche pädagogische im Bereich Höhe auseinanderzusetzen. Ausbildung nachweisen können. Der Anteil der Trainer/innen, die bei den aktuell 8 Ko- • Top Rope7 statt Selbstsicherung: Wir haben uns be- operationsträgern angestellt sind und punktuell im Seil- wusst für einen Tope Rope Parcours entschieden, der garten mitarbeiten, ist mit 26 Personen aber weiterhin zwar personalintensiver ist, dafür aber eine wesentlich hoch und mitverantwortlich dafür, dass praxiserprobte, intensivere Betreuung und Begleitung von Gruppen er- pädagogische Fachkompetenz und Lebensweltkenntnis- möglicht. Verbunden durch das Seil entsteht auch auf se über die vielfältigen jugendlichen Nutzergruppen eine der symbolischen Ebene eine kurzfristige Verbundenheit 7 Top Rope ist eine Sicherungsmethode, bei der das Sicherungsseil immer über dem Teilnehmenden mitläuft und er jederzeit mit Hilfe des Sicherungsseiles abgelassen werden kann. 7
zwischen Trainer/in und kletternden Teilnehmer/in. So • Soziales Kinder- und Jugendprojekt: Laut offizieller wird der Rahmen für offene Kommunikationsprozesse Statistik gelten 25%–30% Prozent der Kinder und Ju- und gemeinsames Erleben und Lernen geschaffen. Die- gendlichen im Stadtgebiet als arm. Ein Leitbild kom- ses Kleingruppenprinzip, sechs Teilnehmende werden munaler Politik ist es daher, primär auch „Kinder und von einem Trainer/in begleitet, bilden eine entschei- Jugendliche, deren Teilhabechancen aus materiellen und dende Grundlage für diesen Prozess. anderen Gründen gefährdet sind“ zu erreichen8. Dank der Konzeption als gemeinnütziges Projekt ist es uns • Abenteuer im lokalen Sozialraum: Schon bei der auch heute noch möglich, sozial benachteiligten Kin- Gründungsidee war ein handlungsleitendes Motiv, den dern und Jugendlichen aus dem Stadtgebiet bezahlba- Seilgarten als sozialräumliches Angebot zu verankern, re Seilgartenprogramme anzubieten. • Gemeinnützigkeit statt Gewinnorientierung: Der Seilgarten ist ein Projekt, das fast ausschließlich von Kin- dern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt wird, die mit Schulen, Jugendgruppen oder Sportverei- nen Programme buchen. Die Mischfinanzierung durch institutionelle Förderung einerseits und Einnahmen durch Nutzungsentgelte andererseits garantiert mode- rate Teilnahmebeiträge für Schulklassen und Jugend- gruppen und vermeidet so unnötige Zugangsbarrieren zu diesem abenteuerpädagogischen Bildungsprojekt. • Der Seilgarten als Bildungsprojekt: Die Typen der Programmangebote des Seilgartens Hannover lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Klettern im Rahmen von bewegungsbezogenen Freizeitaktivitäten, die haupt- sächlich von der Jugendarbeit nachgefragt werden, um einen Bezug der Nutzer zu ihrer lokalen Alltagswelt und Trainingsprogramme zur Förderung von sozialer in der Stadt herzustellen. Auch unter finanziellen Aspek- und persönlicher Kompetenz, deren Hauptnutzergrup- ten sollten lange Anreisewege für die Gruppen wegfal- pen Schulen, die Jugendhilfe, der Sport und Gruppen len. Mit seiner Lage inmitten der Stadt, am Rande der aus dem Gesundheitsbereich sind. Hier stehen Lerner- Eilenriede, zwei U-Bahnhaltestellen vom Hauptbahnhof fahrungen im Vordergrund, die in den traditionellen entfernt, wird der abenteuerliche Aktionsraum in die Bildungseinrichtungen mit ihrem Schwerpunkt auf for- Stadt verlegt und vermeidet damit einen Exklusivitäts- maler Bildung so nicht herstellbar sind. Der Seilgarten charakter, der sonst manche aufwändige erlebnispäda- Hannover begreift sich daher auch als Bestandteil der gogische Settings auszeichnet. lokalen Bildungslandschaft. 8 Landeshauptstadt Hannover: Der hannoversche Weg. Lokaler Beitrag für Perspektiven von Kindern in Armut unter: http://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Soziales/Kinder-Jugendliche/Kinderarmut-in-Hannover 8
Erlebnispädagogik – konzeptionelle Grundlage des Seilgartens Hannover I n den letzten 30 Jahren hat sich die Erlebnispädagogik im Arbeitsfeld der Jugendarbeit und Jugendhilfe zu ei- nem wichtigen Bestandteil entwickelt. Im Bereich der rum Bildungsinstitutionen der formalen Bildung (Schu- le, Hochschule) bisher wenig von der Erlebnispädagogik Gebrauch machen. Im Gegensatz zu der formalisierten Schule gibt es jedoch gegenüber der Erlebnispädagogik Bildung, die durch Lehrpläne, Prüfungen und Zertifizie- diverse Vorbehalte, die sich erst in den letzten Jahren lang- rungen gekennzeichnet ist, wird das informelle aber auch sam auflösen. Ein Blick auf die Entstehung der Erlebnispä- das non-formale Lernen durch die Betreffenden selbst ge- dagogik kann vielleicht helfen die Nähe zur Schule wieder steuert. Eigene Interessen, Begabungen, Motivation und neu zu entdecken. auch die emotionale Beteiligung der Lernenden sind dabei Die Erlebnispädagogik ist heute ein Teilgebiet der Pä- wichtige Faktoren. So findet dieser Teil des Lernens bisher dagogik. Ihr Ziel es ist, mit herausfordernden Handlungs- zum größten Teil außerhalb der klassischen Bildungsinsti- feldern Impulse für das soziale Lernen und die Persönlich- tutionen statt. Lernen von Gleichaltrigen, interessengelei- keitsentwicklung zu geben. Die klassischen Handlungsfel- tetes, beobachtendes (soziales) Lernen wird hierbei bei- der waren schon lange Natursportarten wie Segeln, Klet- läufig, nebenbei, unbeabsichtigt und auch gelegentlich tern, Kanu und Kajak, Wanderungen und Bergtouren, die ungeplant initiiert. in den letzten Jahren durch Methoden der Spiel-, Theater- und Kulturpädagogik ergänzt wurden. Die Erlebnispäda- Ein Rückblick gogik ist dabei eher der informellen und der non-formalen Bildung zugeordnet. Wenn wir uns heute die Geschichte der Erlebnispä- Das erklärt dagogik anschauen, entdecken wir unterschiedliche auch, Wurzeln, die sich zeitlich versetzt international wa- entwickelt haben. Eine der wichtigsten Wur- zeln ist sicherlich die Reformpädagogik, die sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewann. Die reformpädagogische Bewegung hatte zum Ziel, das autoritäre Bil- dungssystem (Zucht, Ordnung und Disziplin) durch mehr hand- lungsorientierten Unterricht und einer stärkeren Beteiligung der Schüler und Schülerinnen zu ver- ändern. Zu diesem Zweck kam es in dieser Phase zu unterschied- lichsten Schulneugründungen, aber auch Reformen im Bildungs- 9
system. Einige Beispiele sind die Landerziehungsheimbewe- • Mangel an Initiative und Spontanität gung, die eine Veränderung des Lernumfeldes propagierte • Mangel an Sorgsamkeit und diverse Schulgründungen außerhalb der Städte nach sich zog und die von Georg Kerschensteiner gegründete sollte mit seinem erlebnistherapeutischen Konzept, das Arbeitsschule zur beruflichen Bildung der Bevölkerung (Vor- auf läuferin der heutigen Berufs- und Fachschulen). Als einer der Gründungsväter der deutschen • körperlichem Training (u.a. Leichtathletik, Segeln, Kanu, Erlebnispädagogik wird auch immer wieder Kurt Hahn Wandern), • dem Dienst am Nächsten (Ret- tungsübun- gen, Betei- ligung an Feuer- wehr- und Rettungs- dienst), • dem Projekt (Ein hohes er- reichbares Ziel, bei selbststän- diger Planung im technischen oder künstlerischen Bereich), • der Expedition (mehrtägige Tour mit lebenspraktischen und sozialen Er- fahrungen) zitiert, der von 1920 bis 1933 das Landerziehungsheim baute, etwas entgegen gesetzt werden. Schloss Salem am Bodensee leitete. Durch seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus drohte ihm Auch die in England entstandene Pfadfinderbewegung, die Verfolgung, woraufhin er nach England immigrierte die 1907 von Baden Powell gegründet wurde, beeinfluss- und dort die Internatsschule Gordonstoun aufbaute. Die te die Erlebnispädagogik maßgeblich. Die heute weltweit von ihm diagnostizierten Erscheinungen wie verbreitete Bewegung hat mit ihren Grundprinzipien, Kin- dern und Jugendlichen Verantwortung zu übertragen und • Mangel an menschlicher Anteilnahme durch das eigene Handeln zu lernen, viel zur Entwicklung • Verfall körperlicher Tauglichkeit der Erlebnispädagogik beigetragen. 10
Einen weiteren Einfluss auf die heutige Erlebnispäda- gogik und der Jugendarbeit hatten mit der Machtergrei- gogik ist der Kunsterziehungsbewegung und der deutschen fung der Nationalsozialisten 1933 ein plötzliches Ende. Jugendbewegung zuzuschreiben. Die Kunsterziehungs- Die Jugendverbände mussten sich entweder auflösen, mit bewegung wurde maßgeblich durch Alfred Lichtwark der Hitler-Jugend (HJ) fusionieren oder wurden zerschla- geprägt und hatte zum Ziel, Kindern mehr künstlerische gen. Die Selbstbestimmung der Jugendverbände endete Ausdrucksformen zu ermöglichen und ihnen Gestaltungs- so abrupt und musste sich der völkisch-nationalen und stile näher zu bringen. faschistischen Grundstimmung unterwerfen. Nur wenige Die Jugendbewegung und das Treffen 1913 auf dem Verbände konnten ihre Strukturen in der Illegalität erhal- Hohen Meißner schufen einen eigenständigen Ju- gendbegriff. Mit der For- mel: „Die Freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung mit inne- rer Wahrhaftigkeit ihr Le- ben gestalten. Für diese in- nere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.“9 trat sie in die Öf- fentlichkeit und bildete den Impuls zur Gründung vieler Jugendverbände. Jedoch darf dabei nicht außer Acht ten. Dabei bedienten sich die Nationalsozialisten vieler gelassen werden, dass sich in der deutschen Jugendbewe- Prinzipien der Jugendverbände, um Jugend an sich zu gung auch nationalistische und völkische weltanschauliche binden und im Zuge der Militarisierung auf einen Krieg Versatzstücke artikulierten und die nationale Begeisterung vorzubereiten, der fast 70 Millionen Menschen das Leben viele junge Menschen in die Schützengräben des ersten kostete. Weltkrieges führte. Dies war sicherlich auch einer der Gründe, weshalb Die verschiedenen neuen Ansätze der Reformpäda- die Erlebnispädagogik nach dem Krieg viele Jahre brauch- 9 Ahlborn, K. 1913: Das Meißnerfest der Freideutschen Jugend. In: Kindt, W. (Hrsg.) 1963, Grundschriften der deutschen Jugendbewegung 11
te, um wieder als positiver Bestandteil der Pädagogik wahrgenommen zu ist entscheidend werden. Die Uniformierung, das Lagerleben, gemeinsame für die Motivation und dem Rituale und das Eigenleben der Jugendverbände waren damit verbundenen Lernerfolg.) vielen Pädagogen und Pädagoginnen, in der gesellschafts- • Ganzheitlichkeit (Alle Ebenen der Persönlich- kritischen und stark intellektuell geprägten Zeit der „68er“ keit des/der Lernenden sollen angesprochen werden, suspekt. ein Lernen mit Kopf, Herz und Hand.) Erst in den siebziger und achtziger Jahren vollzog sich • Ein pädagogisches Konzept (Der Übergang vom Er- ein langsamer Wandel. Insbesondere in der Jugendarbeit lebnis zur Erfahrung soll initiiert, gestaltet, unterstützt und der Sozialpädagogik wurde das handlungsorientierte und moderiert werden.) Lernen zu einer der neuen Säulen in der Sozialarbeit und Pädagogik. Auch wenn bis heute die Erlebnispädagogik Dieses pädagogische Gesamtkonzept ist heute eines nicht einheitlich definiert werden kann, haben sich doch der wichtigsten Merkmale der modernen Erlebnispäda- Grundprinzipien herausgebildet, die bis heute Bestand ha- gogik. Das Erlebnis über unterschiedlichste Formen der ben. Merkmale moderner Erlebnispädagogik sind: Reflexion in den Kontext der persönlichen Erfahrungen zu transferieren, um so Lernprozesse zu initiieren, ist und • Handlungs- und Bewegungsorientierung (Lernen bleibt Ziel der Erlebnispädagogik. durch eigenes Handeln, Begreifen durch Anfassen und Diese Strukturprinzipien machen aber auch deutlich, sich – auch im metaphorischen Sinn – berühren lassen, warum die Erlebnispädagogik im Schulalltag keine oder Selbstwahrnehmung, körperliches Erleben) nur geringe Verbreitung findet. Sie sind deutliche Hinwei- • Erlebnischarakter (nicht alltägliche Erlebnisse, die real se für informelle und non-formale Bildungsarrangements, und ernsthaft sind) die in formalisierten Systemen wie Schule, aber auch in • Gruppenbezogen (stark auf Gruppe, gemeinsames der Lehramtsausbildung wenig Raum haben. Die Zukunft und individuelles Lernen und auf kooperatives Handeln wird zeigen, ob solche Arrangements in dem nun länger ausgerichtet) werdenden Schulalltag ihren Platz finden können oder ob • Freiwilligkeit (Jeder hat die Wahl, die Art und Stärke der ein wichtiger Teil unserer Bildungslandschaft verschwin- Herausforderung für sich zu bestimmen, Freiwilligkeit den wird. 12
Wie funktioniert eigentlich Erlebnispädagogik? D ass Erlebnispädagogik etwas mit Erleben zu tun hat, ist wohl selbstverständlich. Aber was macht den Be- griff Erleben eigentlich aus? Wenn wir an Erlebnisse den- Einige erlebnispädagogische Erklärungsmodelle ge- hen davon aus, dass sich der Mensch in seinem Alltag ger- ne in einer sogenannten Komfortzone bewegt. Hier sind ken, wird schnell deutlich, dass sie in der Regel eine hohe uns die Regeln bekannt, wir wissen, mit welchem Verhal- emotionale Qualität haben. Erlebnisse sind häufig mit ten wir welche Reaktion erzeugen können. Soziale Gesetz- Emotionen behaftet, die es uns erleichtern diese Momente mäßigkeiten ermöglichen uns einen überschaubaren und auch nachträglich ins Bewusstsein rufen zu können. halbwegs berechenbaren Tagesablauf. Innerhalb einer er- Wichtige und starke Emotionen sind Angst, Hoff- lebnispädagogischen Veranstaltung wird jedoch die soge- nung, Freude, Stolz, Trauer, Glück, Dankbarkeit. So blei- nannte Komfortzone angekratzt. Plötzlich sehen sich die ben angstbesetzte Situationen, die wir gemeistert haben, Teilnehmenden Aufgaben gegenüber, für die sie keine oder als Momente von erlebter Handlungskompetenz lange im nicht ausreichende Handlungsmuster haben. Neue Anfor- Gedächtnis. Es können aber auch tiefe sinnliche Wahrneh- derung an Gruppen außerhalb ihres bewährten Hand- mungen sein, die Freude in uns auslösen, wie ein Blick in lungsmusters können entstehen und nur im Aushandeln die Ferne, ein besonders geschmackvolles Essen, ein be- neuer Regeln, Strategien und Muster miteinander gemeis- sonderes Konzert, der intensiv gespürte Körper. Aus die- tert werden. Hier kommen nun die Emotionen ins Spiel, sem Grund stellen Situationen, die mit hoher Wahrschein- lichkeit Emotionen auslösen, einen wichtigen Schlüssel zur Erlebnispädagogik dar. Reflexion • Persönlich • Fähigkeiten • Motivierend • Rückblick • Wissen • Emotional • Bezug • Meinung • Ungewohnt • Neudefinition • Verhalten • Probehandeln Erlebnis Erfahrung 13
die diesen Prozess 4. Direktives häufig begleiten. Handlungs- Die innere Bewe- lernen gung, die durch (Frontloading) das Ankratzen der Mit zielgerich- Komfortzone ent- teten Fragen steht, sucht nach in Bezug auf einem Ausgleich, gemachte Er- der als kognitiver fahrungen wird Akt einen bewuss- auf die spezi- ten Lernprozess ellen Heraus- nach sich ziehen forderungen kann. So ist der der kommen- Schritt vom Erleb- den Aktivität nis zur Erfahrung hingewiesen eingeleitet. Dabei und mögliche spielt die Reflexion eine besondere Rolle. Handlungsmuster entworfen. In der Erlebnispädagogik werden dabei unterschiedli- 5. Metaphorisches Handlungslernen che Reflexionsmodelle und Programmtypen genutzt, die Hierbei weist die Aktivität eine Analogie zum Alltag auf, in ihrer Form von Simon Priest10, aufbauend auf die Arbei- sodass Erfahrungen aus der Aktivität in den Kontext der ten von S. Bacon beschrieben wurden. Alltagserfahrungen gebracht werden können. 1. Das reine Handlungslernen 6. Indirekt-metaphorisches Handlungslernen Es findet keine Reflexion statt. Die Erfahrung, die aus Es wird in diesem Verfahren u.a. mit Paradoxien gear- der Aktivität gewonnen wird, ist eher zufällig. beitet. Jedoch ist dies eher eine therapeutisch orientier- te Arbeitsweise, die in der Pädagogik selten angewandt 2. Kommentiertes Handlungslernen wird. Lernziele und Strategien der Umsetzung werden von der Anleitung beobachtet und kommentiert. Diese Modelle können natürlich auch parallel oder ergänzend genutzt werden, um unterschiedliche Lern- 3. Handlungslernen durch Reflexion muster anzusprechen. Zur besseren Unterscheidung wird Im Anschluss an die Aktion wird durch Fragen der anlei- anhand von Programmtypen die Zielrichtung erlebnispä- tenden Person eine Reflexion angeregt. dagogischer Maßnahmen unterschieden. 10 Vergl. Heckmair/Wagner, Lernmodelle und Programmtypen – Neues zur erlebnispädagogischen Methodik. In: Erleben und Lernen, 3, S.4–7, 1995 14
Ziele Beispiele Merkmale Freizeit Erholung, Ausruhen, per- Jugendfreizeiten, Reisen, Aktivitäten auch für sönliches Wohlbefinden, Offene Tür im Jugendzen- Großgruppen, geringer Auftanken, neue Fertigkeiten trum, Ferienpassaktionen, Betreuungsschlüssel, erlernen, Spaß, Möglichkei- Vereins- und Sportaktivi- wenig (keine) Reflexion, ten für Freizeitgestaltung, täten, Theaterspiel, Musik, hohe Aktivitätszeit, Kennenlernen Bau- und Beteiligungspro- niederschwellig, freiwillig jekte Bildung Historische, politische und Umweltrallye, historische Übersichtliche Gruppen- gesellschaftliche Zusam- Stadtspiele, Gewässerun- größe, klare Bildungsziele, menhänge verstehen und tersuchungen, Gedenkstät- Organisations-/Institutions- neue Kenntnisse darüber zu tenarbeit, Jugendaustausch, bindung erlangen, andere Menschen interkulturelle Arbeit, kennenlernen, sich Wissen Bildungsurlaub aneignen Training Funktionales Verhalten zu Verhaltensbezogene Jun- Kleine Gruppe (max. 20), erproben und zu entwickeln, gen- und Mädchenprojekte, hoher Betreuungsschlüssel soziale Beziehungen zu an- Selbstbehauptungstraining, (1:5/10), Zeit für Planung deren entwickeln, Förderung soziale Gruppenarbeit, und Nachbereitung, der Selbst- und Fremdwahr- Bewegungsförderung, zeitintensiv (Tage/Wochen), nehmung und persönliche Teamtraining, Personalent- intensive Reflexion, häufig Kompetenzen und Fähigkei- wicklung projektbezogen ten Therapie Änderung von negativem, Suchttherapie, Verhaltens- Kleine Gruppe (max. 10), dysfunktionalem Verhalten therapie, Sozialtherapie hoher Betreuungsschlüssel und persönlichen Mustern, (Soziale Trainingskurse, (2:10), Zeit für Planung und Widerstände und Blockaden Anti-Gewalt-Training, Anti- Nachbereitung, zeitintensiv bearbeiten Aggressions-Training) (Monate/Jahre), intensive Reflexion 15
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Der Seilgarten als Handlungsfeld H äufig wird die Frage gestellt, wann denn der erste Seilgarten gebaut wurde. Diese Frage lässt sich eben- so wie die Entstehung der Erlebnispädagogik nur beant- war integraler Bestandteil der Seefahrerausbildung. Der französische Marineoffizier George Hébert entwickelte so Trainingsmethoden mit Seilgartenelementen, die der worten, wenn wir uns auch hier unterschiedliche Entwick- „Charakterbildung“ dienten. Aber erst Mitte der 1960er lungslinien anschauen. Jahre wurden Seilgärten als Handlungsfeld entwickelt und Klettern und Balancieren sind schon immer Grund- in pädagogischen Trainings eingesetzt. Anfang der 1960er formen der menschlichen Bewegung gewesen. Diese For- Jahre wurde der erste moderne Seilgarten in der von Kurt men der Bewegung fanden in der Pädagogik durch den Hahn mit gegründeten Outward Bound Schule in Aberdo- deutschen Pädagogen Johann Christoph Friedrich Guts- vey erbaut. In der Folge entwickelte sich weltweit, durch Muths erstmals Berücksichtigung, als er 1793 das Lehr- viele Neugründungen von erlebnispädagogisch ausge- buch „Gymnastik für die Jugend“ herausbrachte. Der von richteten Bildungsstätten, das Prinzip der Seilgärten (Ro- ihm entworfene Turnplatz um 1804 sollte zum Wagnis pes Courses, Challenge Courses). und der „Leibesertüchtigung“ ermuntern und wurde in Heute sind unter dem Begriff Seilgarten eine Vielzahl den Folgejahren von Friedrich Ludwig Jahn (der Turnvater) unterschiedlicher Anlagentypen zusammengefasst, die weiterentwickelt. Der Turnplatz hatte schon viele Ähnlich- ein breites Anwendungsfeld auch außerhalb der keiten mit den heutigen Seilgärten und erforderte Kletter- Pädagogik haben. Viele Seilgartenanlagen (Ad- techniken, Kraft, Balance und auch Mut. venture Parks, Waldseilgärten, Indooranlagen) Einen weiteren Zugang zu den sind heute eher touristisch angelegte Anlagen, die Seilgärten stellte die Seefahrt dar. Der Umgang mit dem Seil, Turnplatz von 1804 nach das Klettern in Netzen, Mas- Johann Christoph Friedrich GutsMuths ten und Seilen 17
gewinnorientiert arbeiten und Bewegungs- und Sportar- rangements bieten, jedoch keinen pädagogischen Zielen folgen. Die pädagogischen Anlagen, die in der Regel von Jugendeinrichtungen, Bildungsstätten oder Schulen be- trieben werden, charakterisieren sich dagegen durch fol- gende Punkte: • Pädagogische Zielsetzungen stehen im Vordergrund Welche Zielsetzungen mit einem Seilgartenbesuch be- absichtigt sind, werden in Vorgesprächen abgeklärt. Allgemeine Intentionen wie Gewaltprävention, Kom- munikation oder Selbsterfahrung können zwar auch Ziele sein, jedoch erleichtert eine differenzierte Abspra- che die Arbeit für die begleitenden Fachkräfte. Reale Anlässe geben für die praktische Arbeit bessere Ansatz- punkte. Klare und zuvor formulierte Ziele sind besser für Motivation und die Transparenz eines Trainings. • Sie arbeiten mit pädagogisch qualifiziertem Personal Das Personal in einem Seilgarten sollte in mehreren Kompetenzbereichen gut qualifiziert sein. Im Bereich der technischen Kompetenzen geht es um die siche- re Durchführung der Seilgartenaktivitäten. Neben den Sicherungs- und Rettungstechniken muss eine Sensibi- lität für mögliche Gefahren vorhanden sein, um mögli- che Risiken zu verhindern oder zu minimieren. Im Bereich der Sozialkompetenz sind Einfühlungsver- mögen, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, aber auch Konfliktfähigkeit ein wichtiger Baustein, um in Anleitungssituationen pädagogisch angemessen handeln zu können. Nicht zuletzt ist Methodenkompetenz erforderlich, um Arbeitstechniken zielführend einzusetzen, damit ein möglichst großer Lerntransfer ermöglicht wird und Teilnehmende mit ihren individuellen Anforderungen entsprechend gefördert werden können. 18
• Die Angebote sind auf Gruppen und • Die Angebote beinhalten pädagogisch weniger auf Einzelpersonen ausgerichtet begleitete Reflexionsphasen In pädagogischen Seilgärten liegt der Schwerpunkt auf Erleben bedeutet nicht zugleich Lernen. Das, was wir der Gruppenarbeit. Gemeinsam etwas zu erreichen, ei- erleben (körperlich, emotional) wird erst im Kontext der nen gemeinsamen respektvollen Umgang miteinander eigenen Interpretation, der Rückschau auf das Erlebte zu pflegen, sich zu unterstützen und sich weiterzuent- (Reflexion) und im Austausch mit anderen zu einem wickeln ist in der Regel die Hauptausrichtung. Jedoch bewussten Bestandteil unserer Erfahrung. Aus diesem können auch individuelle Kompetenzen, wie der Um- Grund ist es nötig, solche Reflexionsphasen professio- gang mit Angst, Ausdauer, Motivation und Selbstbe- nell anzuleiten und zum Bestandteil des Erfahrungsler- wusstsein Entwicklungsziele sein. nens zu machen. • Der Teilnehmer-Betreuer/innen-Schlüssel ist höher • Das Hochseilgartenangebot wird durch Menschen sind unterschiedlich. Neben körperlichen Niedrigseilgartenaktivitäten und kooperative Merkmalen gibt es eine Vielzahl von Verhaltenswei- Abenteuerspiele ergänzt und erweitert sen, Einstellungen, Wertesystemen und Prägungen, die Die Höhe spricht nicht alle an. So erlebt man häu- Einfluss auf die Arbeit mit Grup- fig in Seilgärten, dass ein Teil der Gruppe am Boden pen haben. Eine Pädagogik, bleibt und die anderen nur passiv beobachtet. Damit die sich gegen eine Normie- bleiben diese Teilnehmenden von möglichen Lernpro- rung oder Anpassung wendet, zessen ausgeschlossen. An dieser Stelle können jedoch muss differenzieren können. die Teilnehmenden am Boden eingebunden werden, Auf individuelle Schwächen, indem sie unter Anleitung Sicherungsaufgaben oder aber auch Stärken soll be- Hilfestellungen für andere leisten. Sobald jedoch Aktivi- wusst eingegangen werden, täten am Boden dazu kommen, haben alle Teilnehmer um individuellen Lebens- die Gelegenheit sich zu beteiligen. Die Chance steigt lagen gerecht zu werden. erheblich, statt Ausgrenzung ein gemeinsames Erleben Dazu muss im Training und Lernen zu fördern. Raum geschaffen werden und eine Differenzierung Erst durch Berücksichtigung dieser Grundsätze wird der Anforderungen statt- ein Seilgarten zu einem pädagogischen Handlungsfeld. finden. Auf diese Weise Die Wirkungen von Seilgärten, die wissenschaftlich unter- entsteht in der Gruppe sucht wurden, zeichnen deshalb auch ein differenziertes trotz unterschiedlicher Bild. Hohe Wirkungen lassen sich in der Regel in Trainings Fähigkeiten ein größt- für die Persönlichkeitsentwicklung bei Jugendlichen und möglicher Raum für Mo- jungen Erwachsenen sowie in therapeutischen Program- tivation. Mehr Trainer/innen bedeuten mehr men11 erkennen, als Personalentwicklungsmaßnahme Möglichkeit für Differenzierung. sind Hochseilgartentrainings eher umstritten. 11 Vgl. Dr. K. Mehl/M. Wolf, Erfahrungsorientiertes Lernen in der Psychotherapie, Bodnegg 2007 19
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Risiko und Sicherheit J eder Mensch, der beim Klettern hoch hinaus will, wünscht sich, auch sicher hinunterzukommen. Um dies zu gewährleisten, hat der Seilgarten Hannover ein diffe- renziertes Konzept für das Sicherheitsmanagement entwi- ckelt. Es ist in zwei Bereiche gegliedert. Anlagenbau und -sicherheit Der Seilgarten in Hannover ist von qualifizierten Seil- gartenkonstrukteuren und -konstrukteurinnen, die aus der Jugendarbeit kommen, selbst konzipiert und errichtet worden. Durch das hohe Maß an Professionalität hat die- se Anlage ein bundesweit vorbildliches Sicherheitsniveau entwickelt. Ein multiprofessionelles Bauteam, unterstützt durch Fachpraxislehrer und -lehrerinnen der gewerblichen Berufsschulen richtet die Anlage jedes Jahr so ein, dass alle Komponenten geprüft werden und erst nach ausgiebiger Erprobung und Kontrolle in Betrieb gehen können. Die Anlage ist so konzipiert, dass in den Wintermona- ten der Betrieb ruht, und den Bäumen so eine Erholungs- pause gewährt wird. So kann auch dem Umweltschutz Rechnung getragen und die Belastung für Baum und Um- welt reduziert werden. Die Anlage entspricht der europaweit gültigen Seil- gartennorm EN 15567 und wird jedes Jahr durch eine ERCA12 zertifizierte Prüfstelle abgenommen. Die externe Prüfung und Zertifizierung stellt sicher, dass der Seilgarten die Normenanforderungen erfüllt. Dazu gehören, neben einer jährlichen Baumkontrolle, die Anlagenprüfung und die Prüfung der persönlichen Schutzausrüstung (Kletter- gurte, Helme, usw.). 12 Die „European Ropes Course Association“ (ERCA) ist der europa- weite Zusammenschluss von Seilgartenbauern und Betreibern. 21
Bei dem jährlichen Auf- und Abbau der Anlage im sind, hilflose Teilnehmende aus der Höhe wieder sicher zu Frühjahr und Herbst sind alle Trainer/innen ehrenamtlich Boden zu bringen. mit dabei und unterstützen das Bauteam. So wird auch Neben der jährlichen Einweisung gibt es Rettungstrai- praktisch dokumentiert, dass der Seilgarten Hannover ein nings, in denen die Retter und Retterinnen ihre Fähigkei- Gemeinschaftsprojekt ist und ohne ehrenamtliche Arbeit ten weiter entwickeln können und den Umgang mit der nicht auskommt. Bei einer gemeinsamen Suppe bleibt Rettungsausrüstung erproben. Alle Mitarbeiter und Mitar- dann auch immer noch Zeit für persönlichen und fachli- beiterinnen des Seilgartens müssen an sogenannten Auf- chen Austausch. frischungskursen teilnehmen, um ihre ERCA zertifizierten Ausbildungen zu verlängern. Qualifizierung und Weiterbildung Neuen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wird durch begleitende und angeleitete Hospitationen und einem Die Betreuer und Betreuerinnen des Seilgartens, die für Coaching durch speziell qualifizierte Trainer/rinnen der Ein- den sicheren Ablauf der Veranstaltungen zuständig sind, stieg in die verantwortungsvollen Tätigkeiten im Seilgarten qualifizieren sich regelmäßig nach einer durch die ERCA zertifizierten Ausbildung weiter. Zusätzlich findet jährlich seilgartenintern eine zweitägige Einweisung statt, an der alle Mitarbeitenden ehrenamtlich teilnehmen und in der Veränderungen in den Trainingsabläufen und Sicherheits- routinen dargestellt werden. Besonderes Augenmerk bekommen bei der Einwei- sung auch Gefahrenstellen, auf die die Teilnehmenden bei den Trainings hingewiesen werden müssen. Durch das eigene Erleben während der Einweisungstage ist es mög- lich, eine bessere Empathie mit den Teilnehmenden zu entwickeln. So können viele Situationen, die auf Teilneh- mende bedrohlich wirken könnten, besser angeleitet und begleitet werden. Tipps und Hilfestellungen werden da- durch authentischer und selbstverständlicher vermittelt. In Übungen werden Rettungssituationen und Not- fälle simuliert, zu denen es im Seilgarten kommen könn- erleichtert. So kann die Sicherungstechnik und das Wissen te. Da alle Betreuer und Betreuerinnen über regelmäßig über die Anlage unter Aufsicht perfektioniert werden. aufgefrischte Erste-Hilfe-Kenntnisse verfügen, ist es kein Ergänzend finden regelmäßig Fortbildungen statt, um Problem, bei den sehr seltenen Zwischenfällen wie z.B. die pädagogische Qualität und Fachlichkeit der Veranstal- Hyperventilation, einer Prellung, einem Insektenstich oder tungen zu optimieren. Ziele dieser Qualifizierungsmaß- einer Abschürfung die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. nahmen sind die Vermittlung von Reflexionsmethoden, Selbst für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, das Teil- Umgang mit herausfordernden Situationen und aktuell nehmende sich in den hohen Elementen verfangen oder die praktische Umsetzung des Inklusionsgedankens, um nicht mehr herunter können, stehen jeden Tag ausgebil- auch Menschen mit Behinderung die Teilhabe an Seilgar- dete Retter und Retterinnen auf dem Platz, die in der Lage tentrainings zu ermöglichen. 22
Pädagogische Zielsetzungen im Wandel D er Seilgarten Hannover versteht sich als Kinder- und Jugendprojekt. Losgelöst Verschulung jugendlicher Bio- graphien stetig ab. Davon sind die Jugend- von den gesetzlichen Vorga- verbandsarbeit, die offene Ju- ben sehen wir die Zielgruppe gendarbeit und viele Vereine der 10–26-Jährigen als unsere betroffen, denen das langfris- Kernzielgruppe an. So nutzen tige Engagement der Jugendli- Kinder ab Ende des Grund- chen verloren geht. Durch die schulalters sowie Jugendliche Verschulung des Alltags verlie- und junge Erwachsene im ren aber auch die Jugendlichen Übergangsystem Schule/Beruf häufig die Schul- und Lernfreu- den Seilgarten. de, da die Zeit im formellen Eine der größten Her- Bildungssystem zunimmt. ausforderungen für den Seil- Das Dreieck Schule-Fa- garten, aber auch für andere milie-Freizeit muss neu austa- Kinder- und Jugendeinrichtun- riert werden, um eine Balance gen stellt der Auf- und Ausbau zwischen den Autonomie- der Ganztagsschulen dar, der bestrebungen und Interessen durch einen gesellschaftlichen junger Menschen, der Freiwil- Wandel erforderlich wurde. ligkeit in der Jugendhilfe und Die Anwesenheit eines El- dem staatlichen Bildungsan- ternteils, das ausschließlich für spruch herzustellen. Sofern die Kindererziehung verant- dieser Weg weitergegangen wortlich ist, nimmt stetig ab. wird, muss die Trennung von In einer Gesellschaft, in der im- formaler und informeller Bil- mer noch Herkunft und ökono- dung überdacht werden und mische Leistungsfähigkeit über Schule zu einem echten Le- Bildungschancen entscheiden, bensort neben der Familie muss am System Schule erheb- werden. Die Schule muss dafür lich nachgebessert werden, jedoch mehr leisten als bloße um diese Ungleichbehandlung Wissensvermittlung. Sie muss zu verringern. Die Zeit, die daher konzeptionell neu aus- Kindern und Jugendlichen zur gerichtet und personell besser freien Verfügung steht, nimmt und interdisziplinärer ausge- jedoch mit dem Prozess der stattet sein. 23
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