Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol

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Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
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                                        Outline.

Panoptica
frauen.kultur.tirol
2021

Shortmanual Land Tirol, Stand 12/2019
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
PA N O P T I CA
INHALT                                                                  frauen.kultur.tirol 2021

VORWORT
  Landesrätin Dr.in Beate Palfrader                                                             Seite 3

EINLEITUNG
  Petra Streng                                                                                 Seite 5

KULTUR
  Porträt: Frau „kunst” alles – Eine Prinzipalin und ihr Clan                                  Seite 6
  Moni Brüggeller
  Die Kunst zu reisen, ist fast die Wissenschaft des Lebens – Tirol in Texten reisender Frauen Seite 12
  Iris Kathan
  Bewegte Frauenbilder – Frauenrollen im Tiroler Filmgeschehen                                Seite 18
  Gertraud Eiter & Eva Binder

KUNST
  Der Weg ist die Kunst – Ein Blick hinter die Ateliertüren dreier Tiroler Künstlerinnen      Seite 24
  Maria Peters
  Von der Muse geküsst… oder Mäzenin? – Positionen von Frauen in der Bildenden Kunst          Seite 32
  Simone Gasser
  Bau' mir ein Haus – Architektinnen in Tirol                                                 Seite 38
  Sabine Geiger
  „Frau verewigt” – Reliquien als historisch weibliche Artefakte                              Seite 44
  Andrea Pancheri

KALEIDOSKOP
  Porträt: Glaswelten von Sabine Henkel – Kreativität und Verschmelzung                       Seite 48
  Gerda Gratz
  Eine Ethnie, das sind du und ich – Porträts italienischsprachiger Autorinnen aus Südtirol   Seite 54
  Anna Rottensteiner
  … nimm’ dein kleines Schwesterlein – Frauen in der Badekultur                               Seite 60
  Anne Potocnik-Paulitsch
  Im Kopf und auf dem Kopf hat sie was – Frau trägt Hut in vielen Facetten!                   Seite 68
  Michaela Hutz

KALEIDOSKOP … DES MANNES
  „Richte mich, wer wolle – wir richten, wie wir wollen!” – Ein mörderischer Schluss-Essay    Seite 74
  Christian Kössler

Autorinnen und Autor                                                                          Seite 80
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
VORWORT

Die letzten Monate brachten große Herausfor­
derungen und massive Veränderungen unseres
Alltagslebens mit sich. Die notwendigen Maßnah-
men zur Eindämmung der Pandemie erfordern
Einschränkungen, Verzicht und soziale Distanz.
Die Krise hat gravierende Auswirkungen auf den
gesamten Kulturbereich und stellt die angestrebte
Geschlechtergerechtigkeit angesichts einer Ten-
denz zur Rückkehr in tradierte Rollenbilder in Frage.                               Foto: Land Tirol/ Berger

Umso wichtiger ist es daher, das Bewusstsein für        Ich danke Chefredakteurin Petra
den hohen Stellenwert des künstlerischen Schaf-         Streng für die gelungene Konzeption
fens in unserer Gesellschaft zu schärfen und insbe-     der vorliegenden Panoptica-Ausgabe
sondere die wichtige Rolle von Frauen in Kunst und      sowie den Autorinnen und dem Autor
Kultur in den Fokus zu rücken. Dies ist das Anliegen    für die interessanten Beiträge.
des Frauenkulturmagazins Panoptica, das heuer
bereits zum neunten Mal erscheint.                      Nehmen Sie sich eine Auszeit vom
                                                        Corona-Alltag und tauchen Sie in das
Frauen prägen das kulturelle Leben in Tirol – sei       vielfältige weibliche Kunst- und Kul-
es bei renommierten Festivals, Kulturinstitutionen      turschaffen in Tirol ein. In Zeiten, in de-
und Interessensvertretungen, aber auch bei den          nen kulturelle Veranstaltungen nicht
zahlreichen kleinen Kulturvereinen und Initiativen      oder nur sehr eingeschränkt möglich
in allen Regionen unseres Landes. Panoptica holt        sind und der unmittelbare Austausch
diese engagierten Persönlichkeiten vor den Vor-         zwischen den Kulturschaffenden und
hang und macht deutlich, dass es ein ungeheures         dem Publikum fehlt, braucht es al-
Potential und viele kreative Frauen gibt, die darauf    ternative Formen der Präsentation
brennen, ihre Projekte und Veranstaltungen mög-         und Vernetzung dringender denn je.
lichst bald wieder durchführen zu können. Frauen        Die Lektüre macht stolz auf das, was
in Kunst und Kultur ermöglichen eine kritische Aus-     Frauen in Tirol bewegen und weckt
einandersetzung mit den existenziellen Fragestel-       Vorfreude auf ein blühendes kulturel-
lungen unserer Zeit, sind Motor für Innovation und      les Leben nach dem Überwinden der
vermitteln Hoffnung und Zuversicht. In diesem Sin-      Pandemie sowie auf viele spannende
ne soll auch Panoptica 2021 trotz der besonderen        persönliche Begegnungen!
Situation Optimismus säen und Mut machen – Mut,
um die gegenwärtigen Herausforderungen zu meis-
tern und Kunst und Kultur als unverzichtbares Gut
unserer demokratischen Gesellschaft zu fördern,
Mut, um gerade in schwierigen Zeiten Solidarität
und gesellschaftlichen Zusammenhalt über Einzel­        Dr.in Beate Palfrader
interessen zu stellen, Mut, um Hürden zu überwin-       Landesrätin für Bildung, Kultur, Arbeit
den und Ziele konsequent zu verfolgen.                  und Wohnen

                                                                   PANOPTICA 2021 | VORWORT               3
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
IMPRESSUM

Eigentümer, Herausgeber und Verleger:
© Amt der Tiroler Landesregierung
Für den Inhalt verantwortlich: HR Dr. Thomas Juen, Abteilung Kultur,
Michael-Gaismair-Straße 1, 6020 Innsbruck, email: kultur@tirol.gv.at
Redaktion: Dr. Petra Streng
Druck- und Gesamtherstellung: Alpina Druck, Innsbruck
Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
EINLEITUNG
Die nunmehr neunte Ausgabe der Frauenkultur-
zeitschrift Panoptica 2021 erscheint „in Zeiten wie
diesen...” – so eine bekannte alte Redensart, die
wahrlich keine positiven Bedingungen umschreibt.
Die Pandemie hielt uns 2020 in Atem und wird uns
auch in der nächsten Zeit bewegen. Fast möchte
man sich an die tradierte Märchenwelt wenden, in
der man (vermeintlich) gute alte Zeiten beschwor
und man die Formel bemühte „In den alten Zeiten,
als das Wünschen noch geholfen hat ...”.

Schwierige Gegebenheiten erfordern neue Um-              Frau hat was im Kopf, was nicht nur im
gangsformen, Ideen, Kreativität, Flexibilität und eben   breit gelagerten Multitasking gerade
wohl auch den Wunsch in eine gewissen Normalität         in der Gegenwart augenscheinlich ist,
zurückzukehren. Alle sind hierbei gefordert und gera-    sondern salopp formuliert, auch auf
de die vorliegenden Beiträge zeigen, dass kulturelle     dem Kopf: Die Geschichte von Hut-
Aktivitäten, das Engagement von Einzelnen sehr er-       formen und Tragevarianten sind auch
freuliche Aus- und Einblicke bieten – und wie kreativ,   Spiegelbilder weiblicher Lebenswel-
zeitbezogen gerade Frauen sich behaupten.                ten, von Normen, von Innovation und
                                                         wohl auch vom Aufstand.
Die große Spannbreite reicht von Frauen in der Ar-
chitektur, über Positionen in der Bildenden Kunst bis    Am Beginn stand die oben angeführ-
hin zu Porträts von Künstlerinnen, die ganz unter-       te Märchenwelt mit Wunschvorstel-
schiedliche Werdegänge und Zugangsweisen doku-           lungen und das Ende dieser Ausgabe
mentieren. Frau „kunst” alles: Vom Engagement und        2021 ist ein literarischer Schluss-Essay
der Beharrlichkeit von Kulturorganisatorinnen, Ein-      zum Thema „Richte mich, wer wolle
drücke von weiblichen Reisenden quer durch die Ge-       – wir richten, wie wir wollen!”. Kurz-
schichte oder literarische Bearbeitungen in Südtirol.    geschichten, Anleihen an Sagen und
Wie „das” Medium Glas sich im weiblichen Kunst-          aktuelle Berichte kommentieren hier
handwerk niederschlägt findet ebenso Platz wie ba-       summiert – etwas hart, aber auch mit
dende Weibsbilder im kulturgeschichtlichen Kontext.      einem Augenzwinkern – die Selbstbe-
                                                         stimmung von Frauen.

                                                         Und um noch einmal auf Wünsche zu-
                                                         rückzukommen: Auch für die Zukunft
                                                         wünschen wir uns für Tirol weiterhin so
                                                         engagierte Frauen im Kulturgeschehen.
                                                         Vielleicht vermögen so manche hier
                                                         vorliegenden Beiträge zu animieren
                                                         und insgesamt Bestätigungen für das
                                                         stetige Wirken von Frauen darzustellen.

                                                         Petra Streng
                                                         Redaktion
Fotos: Petra Streng

                                                                  PANOPTICA 2021 | EINLEITUNG   5
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
PORTRÄT: FRAU „KUNST” ALLES
Eine Prinzipalin und ihr Clan
Moni Brüggeller

Mit dem Festival-Bus touren die Steudltenner nicht nur
durch das Zillertal, um die Werbetrommel zu rühren.
Foto: Moni Brüggeller

6    PANOPTICA 2021 | KULTUR
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
Begegnung mit Bernadette Abendstein. Theater-              dort, wo der Sport den Ton angibt. In
spielen war ihre Leidenschaft schon als kleines Mäd-       Uderns zeigt Bernadette Abendstein,
chen. Aus der Leidenschaft ist ein Beruf geworden.         was Theater kann. Und sie zeigt, was
Die Zillertalerin aber wollte mehr. Sie gründete das       sie mit Theater will: Staunen machen,
Theaterfestival Steudltenn. Mit ihrem Lebensge-            überraschen, zum Nachdenken anre-
fährten und Vater ihrer drei Kinder als künstlerischen     gen. Menschen neue Welten öffnen.
Leiter. Im vergangenen Jahr feierte Steudltenn, das        Welten, die so gar nichts mit dem Zil-
konventionelle Theater-Grenzen sprengt und in sei-         lertal zu tun haben. Weil die Welten
nem spartenübergreifenden Ansatz neue Dimensio-            von Steudltenn Sehnsuchtsorte sind.
nen eröffnet, das zehnjährige Jubiläum. Begegnung          Orte, die verführen und Menschen
mit einer Prinzipalin.                                     zum Träumen verleiten. Steudltenn
                                                           kann das. Steudltenn tut das. Seit zehn
Theater, das liegt Bernadette Abendstein im Blut.          Jahren. Mit aller Kraft. Eine Kraft, die
Die Gene ihres Vaters spielen da wohl eine Rolle. Eine     Menschen und das gesellschaftspoliti-
ganz entscheidende sogar. Hans Abendstein dräng-           sche Umfeld verändert.
te es auch auf die Bühne. Nur – er konnte nicht. Die
Zeit seiner Jugend war eine andere. Eine härtere. Da       Ausgerechnet das vergangene Jubilä-
ging es ums Überleben. Mit seinen Theater-Ambiti-          umsjahr hat das eindrucksvoll gezeigt.
onen kam er bei seinen Eltern nicht durch. Er woll-        Die weltweite Pandemie hat die Welt
te es bei seinen Kindern einmal anders machen. Er          verändert. Die Pläne der Kulturschaf-
hat es anders gemacht! Seine Tochter Bernadette            fenden wurden jäh zerstört. Nicht aber
unterstützte er seit frühester Jugend bei all ihren        die Pläne von Bernadette Abendstein.
Theater-Plänen.                                            Corona zwang sie nicht in die Knie.
                                                           Klein beigeben ist die Sache von Ber-
In Wien hat sie Theater studiert. Bei Elfriede Ott – der   nadette Abendstein nämlich sowieso
Großen, der Unvergesslichen. Auf den bedeutends-           nicht. Verantwortliche in Ämtern und
ten Bühnen – Josefstadt, Volksoper Wien, Theater           Behörden und selbst Tirols Kultur-Lan-
der Jugend in Wien, Stadttheater Walfischgasse             desrätin Beate Palfrader wissen ein
und vielen anderen – ist Bernadette Abendstein ge-         Lied davon zu singen. Wenn die hüb-
standen. Erfolge hat sie auch bei diversen Film- und       sche Zillertalerin mit ihrem charman-
Fernsehproduktionen gefeiert. Die Weichen für eine         ten Lächeln etwas will, dann lässt sie
große – auch internationale – Karriere waren ge-           sich nicht abwimmeln. Und darum
stellt. Doch irgendwann war das für die 42-Jährige         kam es für Bernadette Abendstein im
mit dem Aussehen eines Supermodels zu wenig. Sie           Jubiläumsjahr schon gar nicht in Fra-
wollte mehr. Mehr als nur jeden Abend auf der Bühne        ge, wegen Corona klein beizugeben
stehen. Sie wollte mehr als den schnellen Erfolg.          und das Festival nicht durchzuführen.
Bernadette Abendstein wollte mehr als nur unterhal-        Der Tristesse der vielen coronabeding-
ten. Sie wollte gestalten.                                 ten Absagen setzte sie Optimismus
                                                           entgegen. Mehr noch. Sie trumpfte
In ihrem damaligen Lebensgefährten und heutigen            mit neuen Ideen auf. Dort, wo für vie-
Ehemann und Vater ihrer drei Kinder – dem Regis-           le Kulturveranstalter einfach nichts
seur, Autor und Schauspieler Hakon Hirzenberger            mehr ging, dort bot man bei Steudl-
– hat sie einen Gleichgesinnten gefunden. Und in ih-       tenn eine Perspektive – nicht nur dem
rem Vater Hans einen Verbündeten. Das war die Ge-          Publikum, sondern vor allem auch
burtsstunde von Steudltenn.                                den vielen Künstlern, die Sommer für
                                                           Sommer Uderns zum Mekka für Thea-
Das Geheimnis des Erfolgs: Höchster Kunst- und             ter-Visionen machen. Der uralte Stadl
Kulturanspruch dort, wo sich Fuchs und Has´ gute           mit seiner magisch aufgeladenen
Nacht sagen. Höchster Kunst- und Kulturanspruch            Atmosphäre, Hauptspielstätte von

                                                                       PANOPTICA 2021 | KULTUR    7
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
Bernadette Abendstein (2.v.li.) mit dem Clan: Hakon Hirzenberger (li.), Gerhard und Barbara Kainzer und Hans Abendstein (re.)
Foto: Moni Brüggeller

Steudltenn seit Beginn, bekam mit ei-                    das Leben abseits des Festivals. Und sie gesteht: „Ich
ner neuen Bühne unter freiem Himmel                      mag es, dass mein Leben so voll ist!” Außerdem ist
Konkurrenz. Partout im Jubiläumsjahr                     Bernadette Abendstein überzeugt: „Ich denke, wenn
hat sich damit ein Kreis geschlossen.                    die Kinder nicht nur mich haben, die sie versucht zu
Der Griff nach den Sternen, der Berna-                   erziehen – umso besser. Es gibt ja den Spruch: Zum
dette Abendstein immer angetrieben                       Kinder großziehen braucht man ein ganzes Dorf! Ein
hat, ist Realität geworden.                              bisserl so ist das bei uns!”

Ihre Kinder – Frieda und die Zwillinge                   79 Vorstellungen hat es im vergangenen Jahr gege-
Kajetan und Clara – kommen trotz-                        ben. Trotz Corona. Und dank ausgetüftelten Sicher-
dem nicht zu kurz. „Das geht, weil wir                   heitsmaßnahmen ohne einen einzigen Verdachtsfall!
uns halt im Familienverbund viel hel-                    Viele der Begegnungen in den letzten zehn Jahren
fen. Und man wird, wenn man muss,                        bleiben unvergessen. Für Bernadette Abendstein vor
doch recht effektiv, die Zeit, die man                   allem der Abend mit Elfriede Ott, ihrer Lehrerin: „Sie
zum Arbeiten hat, gut einzuteilen. Bei                   war sehr besonders und ich hatte eine eigene Bezie-
uns ist alles recht bunt, viel in Bewe-                  hung zu ihr. Sie hat mich gefordert und gefördert.
gung und ich versuche sehr flexibel zu                   Sie hat mich an die Josefstadt gebracht. Obwohl sie
sein. Wenn Festival ist, sind die Kinder                 schon nicht mehr ganz fit war, ist sie nach Uderns
viel bei unserem Au-pair-Mädchen.                        gekommen, um mich und den Hakon – der in ihrer
Sie reden Englisch mit ihr und dann                      1. Klasse Schauspielschule am Konservatorium war –
sind – außer letztes Jahr wegen Co-                      zu unterstützen. Das war großartig!” Aber auch der
rona – auch immer Oma und Opa und                        Auftritt von Gerti Drassl im vergangenen Sommer
die Tanten da”, gewährt sie Einblick in                  bleibt in Uderns in Erinnerung: „Am Ende eines sehr

8    PANOPTICA 2021 | KULTUR
Panoptica frauen.kultur.tirol 2021 - Land Tirol
beeindruckenden Abends hat sie als Zugabe für uns          zu machen. Ich möchte, dass sich das
Steudltenner einen Rilke vorgetragen und dem Pub-          Festival noch mehr etabliert. Wir ha-
likum gesagt, dass sie das jetzt für uns macht, weil sie   ben schon so viel geschafft, aber ich
alle so glücklich sind, wieder auf der Bühne stehen zu     möchte, dass wir aus dem Kreis, der
können.” Ein Resümee der vergangenen zehn Jahre?           uns kennt, noch mehr ausbrechen
„Es waren so viele tolle Begegnungen und Abende,           können, um neue, andere Menschen
dass ich grad atemlos bin, weil mir so viele Dinge zu-     zu erreichen. Der Sieg beim Green
gleich einfallen!”                                         Award Austria war so ein Baustein zur
                                                           Weiterverbreitung.” Und dann spricht
Weit mehr als 100.000 Besucher hat Steudltenn seit         Bernadette Abendstein noch ein be-
Bestehen betört. Von Anfang an hat das Festival            sonderes Anliegen an: „Ich wünsch
einen breiten Bogen gespannt. Vom Theater bis zu           mir, dass wir auch weiterhin in einem
Markttagen, eine Reminiszenz an längst vergange-           Land leben, das kleine Festivals unter-
ne Zeiten. Und ob Theater oder Markttage – immer           stützt und nicht nur die großen Tanker
ist es wie eine Symphonie voller Sinnlichkeit. Wie ein     in der Stadt, die oft vergessen, für wen
Rausch voller Abenteuer. Die Steudltenner lassen ihr       sie Theater machen wollen!”
Publikum Abend für Abend spüren, dass es um mehr
geht, als um eine Vorstellung. Vermittelt wird Ge-         Um all die Wünsche auch Realität wer-
borgenheit. Geschaffen wird Identität. Im Respekt          den zu lassen, hat die Theater-Prinzi-
für die Tradition wird das Tor zu neuen Welten geöff-      palin Mitstreiter. Die Erfolgsgeschich-
net. In dieser Balance ergibt sich Aufregendes.            te von Steudltenn ist nämlich auch die
                                                           Geschichte einer Familie. Eine Familie,
Es ist das Miteinander, das im Mittelpunkt steht.          die an einem Strang zieht. Die nicht nur
Gesucht wird die Nähe zu den Menschen. Zu                  die Liebe zum Theater eint. Es ist viel
ihren Problemen. En passant werden da dann neue            mehr. Es ist die Liebe zum Publikum.
Denk­räume geöffnet. Klima- und Umweltschutz               Vater Hans ist seit der Stunde Null die
werden nicht ausgeklammert. „Es genügt nicht, nur          Galionsfigur des Festivals.
über Umweltschutz zu reden und davor Angst zu
haben, im Plastik zu ersticken. Man kann auch et-
was dagegen tun. Nur gemeinsam können wir dazu
beitragen, den drohenden ökologischen Kollaps
zu stoppen. Jeder einzelne kann beginnen, unsere
schöne Welt für sich und für die Allgemeinheit ein
wenig sauberer zu halten und unser Weiterleben auf
diesem Planeten zu gewährleisten”, zeigt sich die
Theater-Visionärin mit einem ausgeprägten Sinn
für die Realität kämpferisch. Dieser für ein Festival
noch eher ungewöhnliche Ansatz hat im vergan-
genen Jahr die Jury des Wettbewerbs „Nachhaltig
gewinnen” des Ministeriums für Klimaschutz und
des Green Events Austria Netzwerks überzeugt.
Unter über 100 Einreichungen ging Steudltenn als
öster­reichweiter Gewinner hervor.

Wer Bernadette Abendstein kennt, weiß – auf Erfolg
ausruhen wird sie sich nicht. Sie wird nie müde wer-
den, nach den Sternen zu greifen. Ihr Wunsch an die
                                                           Die Prinzipalin Bernadette Abendstein mit ihrem
Zukunft? „Ich hoffe, dass wir noch lange die Kraft         Vater Hans, der Galionsfigur des Theaterfestivals
und die Passion haben, Theater für die Menschen            Steudltenn in Uderns.           Foto: Moni Brüggeller

                                                                            PANOPTICA 2021 | KULTUR            9
Hans Abendstein ist im ganzen Ziller-   Nacht!” Es ist ein klares Bekenntnis zu Heimat
tal bekannt wie ein bunter Hund. Das    und Tiroler Tradition, erzählt aus der Distanz ei-
hilft. Besonders am Anfang war das      nes gebürtigen Wieners. Und genau das macht die
entscheidend. Hans Abendstein hat       Spannung aus. Es ist eine mords Gaudi, aber mit
im Zillertal viele kulturelle Weichen   Tiefgang. Unterhaltung gepaart mit literarischem
gestellt. Schon lange bevor es das      Anspruch! Volkstheater eben. Was man in Tirol
Festival Steudltenn gab. Bei den        bisher vor allem von Felix Mitterer kannte, führt
Dreharbeiten für „Die wilde Frau” in    Hakon Hirzenberger in Uderns – nicht zuletzt auch
Uderns hat er Felix Mitterer kennen-    mit seinen entzückenden Kinderstücken – zu neuen
gelernt. Das ist lange her. Aber Hans   Höhen.
Abendstein mit seinem Faible für
Theater und der Tiroler Erfolgsautor    Nicht zu vergessen Bernadettes Schwester Bar-
haben sich nie aus den Augen verlo-     bara Kainzer mit ihrem Mann Gerhard. Barbara ist
ren. Längst sind sie Freunde und Stü-   Hauptverantwortliche für den Kinder- und Jugend-
cke von Felix Mitterer gehören zum      bereich und als Leiterin des Caritaszentrums Zillertal
Pflichtrepertoire bei Steudltenn.       in Uderns bringt sie auch sehr viel Integratives und
                                        Soziales ins Festival ein. Die einzigartigen Bühnen-
Die im Rahmen des Theaterfesti-         bilder von Gerhard Kainzer schaffen in ihrem Mini-
vals stattfindenden Markttage wa-       malismus Raum für die Opulenz der Texte. Und mit
ren ein besonderer Wunsch von Hans      bemerkenswerten Kunst-Interventionen gelingt es
Abendstein. Er wollte an einem Jahr-    ihm auch immer wieder, die Visionen des Festivals
hunderte alten Tauschplatz eine alte    für alle optisch wahrnehmbar umzusetzen.
Tradition zu neuem Leben erwecken.
Der Markt während des Festivals ist     Ganz im Hintergrund steht Louise, die Mutter von
Treffpunkt für Jung und Alt geworden    Bernadette und Barbara. Sie ist die Seele des Festi-
– eine Plattform der Kommunikation,     vals, der gute Geist und die Säule der Familie. Und so
getragen vom unbeschreiblichen Zau-     erklärt sich der einzigartige Erfolg von Steudltenn –
ber des außergewöhnlichsten Thea-       durch den Zusammenhalt einer einzigartigen Fami-
terplatzes Tirols.                      lie. Durch die Theater-Leidenschaft einer Prinzipalin
                                        und ihres Clans.
In ihrem Mann Hakon Hirzenberger
hat die Prinzipalin Bernadette Abend-
stein nicht nur einen unermüdlichen
Unterstützer sondern auch einen be-
gnadeten Komplizen gefunden. Als
Regisseur beweist er in Uderns immer
wieder eindrücklich, dass Theater die
Welt verbessern kann – und die Men-
schen verändern. Das erlebt man in
großen Häusern nur selten, im Stadl
in Uderns fast immer. Und dann ist da
noch der Autor Hakon Hirzenberger.
Mit „Die stillen Nächte des Ludwig
Rainer” etwa hat er ein einzigartiges
Theater-Spektakel mit Kultpotenzial
geschaffen. Hirzenberger blickt da-
bei in die Seele von Ludwig Rainer
und erzählt feinfühlig die knallharte   Mama Louise Abendstein steht im Hintergrund, aber sie ist die Seele
Geschichte von „Stille Nacht, Heilige   des Festivals und die Säule der Familie.        Foto: Moni Brüggeller

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Berührender Moment: Bernadette Abendstein mit ihrer Tochter Frieda bei ihrem ersten Auftritt vor dem Festival-Publikum im Stadl.
Foto: Moni Brüggeller

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DIE KUNST ZU REISEN, IST FAST DIE
WISSENSCHAFT DES LEBENS
Tirol in Texten reisender Frauen
Iris Kathan

                                   Wirtshaus in Tirol,
                                   Stahlstich von
                                   Auguste Hervieu
                                   Frances Trollope: Vienna and the
                                   Austrians. London 1838.

12   PANOPTICA 2021 | KULTUR
Gemeinsam mit ihrem Ehemann Leonard und ihrem
Seidenäffchen Mitzi begibt sich Virginia Woolf im Mai
1935 auf eine einmonatige Europa-Reise, die sie von
Deutschland durch Tirol nach Italien führt. Für die
Autorin ist die traditionelle Frühlingsreise ins Aus-
land eine willkommene Unterbrechung vom immer
wieder als quälend empfundenen Schreiben: „ich
möchte einen Monat lang mit rein äußerlichem Le-
ben experimentieren – schauen, sich mitteilen, Ideen
& Eindrücke aufnehmen. Und dann beobachten, wie
die alten Forellen auf dem Grunde des Teiches aufstei-
gen. Ich sage voraus, daß der Wunsch zu schreiben so
wild werden wird, wenn wir schließlich auf der Rück-
reise sind, daß ich auf den französischen Straßen un-
unterbrochen Sätze entwerfen werde. […] kann nicht
schreiben ohne das Gefühl, daß mein Hirn gedehnt
wird;” Die Fahrt durchs Deutsche Reich – schon bei
der Einreise „das erste Beugen des Rückens”, Gefühl
der Unterwerfung, demonstrative Judenfeindlichkeit
allerorts, der „Eindruck von tumben Massengefühl” –       Virginia Woolf, Fotografie von George Charles
                                                          Beresford, 1902    www.wikipedia.org/de (public domain)
erleben die Woolfs voller Beklemmung.

Zwei Tage lang bleiben die Seiten des Tagebuchs           gestern und Heute (1936), in dem sie
leer. Als das Ehepaar am 12. Mai Innsbruck erreicht,      beschreibt, wie das Auftreten von Tou-
ist die Erleichterung groß. „L. sagt, jetzt könnte ich    risten zu einem tiefgreifenden Menta-
die Wahrheit aussprechen, aber ich habe 2 Tage der        litäts- und Strukturwandel im Leben
Wahrheit vergessen, & meine Feder weint Tinte”,           der TalbewohnerInnen führt, differen-
notiert Virginia Woolf in Innsbruck – „die Hotels ganz    ziert sprachlich zwischen Touristen und
leer, & die Stadt still wie das Grab, & sehr imposant”    Frauen, Töchtern und Dienstmädchen
– in ihr Tagebuch. Tags darauf passiert das Ehepaar       von Touristen. Und auch wenn seit den
Woolf den Brenner. „Merkwürdig zu sehen, wie die          1920er Jahren vermehrt Frauen unter-
Länder ineinander übergehen. Die Betten werden            wegs sind, bleibt vielen von ihnen nur
jetzt mit Schichten von Deckbetten gemacht. Keine         der inzwischen verbreitete Sommer-
Laken. Die Häuser werden österreichisch, würdevoll.       frische- und Bädertourismus vorbe-
Der Winter dauert in Innsbruck bis Juli. Kein Frühling.   halten, eine Sphäre also, in der Frauen
Italien konfrontiert einen mit einer blauen Schranke.”    mühelos an den für sie vorgesehenen
                                                          Platz manövriert werden konnten.
Als Virginia Woolf durch Tirol reist, ist Reisen keine
rein männliche Domäne mehr. Doch bis weit in die          Beim Blick auf die Tourismusgeschichte
zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Frauen eine       Tirols ist die weibliche Perspektive ver-
verschwindende Minderheit unter den Touristen. Bis        gleichsweise ein blinder Fleck. Sucht
ins 20. Jahrhundert ist der Tourist männlich konno-       man nach historischen Dokumenten
tiert, die Idee des modernen Tourismus nur schwer         reisender Frauen, so hat man es vor al-
mit den weiblichen Rollenzuschreibungen der ge-           lem mit einer kleinen Auswahl zumeist
schlechterpolarisierenden bürgerlichen Ordnung            privilegierter und auch emanzipierter
zu vereinbaren. Lucie Varga, die sich im selben Jahr      Frauen zu tun. Wo Frauen über Reiseer-
wie Virginia Woolf in Tirol und Vorarlberg aufhält, um    fahrungen schreiben, haben wir es also
Feldforschung zu betreiben für ihren bemerkens-           lange Zeit mit Formen der Grenzüber-
werten Aufsatz Ein Tal in Vorarlberg – zwischen Vor-      schreitung, im besten Fall auch mit

                                                                          PANOPTICA 2021 | KULTUR              13
neuen Blickwinkeln zu tun. Schon 1724
schreibt die englische Schriftstellerin
und als „erste Feministin” bezeichnete
Philosophin Mary Astell in einem Vor-
wort zu einem Reisebuch der Schrift-
stellerin Mary Wortley Montagu: „Ich
gestehe, daß ich boshaft genug bin,
mir zu wünschen, die Welt möge se-
hen, mit wie viel besseren Resultaten
die Damen reisen als ihre Herren; und
daß, während die Welt mit männlichen
Reisen übersättigt ist, alle im selben
Ton und vollgestopft mit denselben
Banalitäten, eine Dame das Geschick
hat, einen neuen Weg einzuschlagen.”

Nicht immer freilich führt weibliche
Weltaneignung zu innovativen Ergeb-
nissen. Blickt man auf Reiseliteratur
von Frauen in der Frühphase des mo-
dernen Tourismus, so begegnen einem
häufig Positionen, die sowohl die Kon-       Charlotte von Ahlefeld (Bleistiftzeichnung von Ferdinand von
                                             Blumenbach um 1800)
ventionen des Genres wie das Weib-                                                www.wikipedia.org/de (public domain)

lichkeitsbild der Zeit bedienen, solche,
die mit den an die Frau herangetrage-        Nicht einen Kunstführer zu schreiben sei ihre Inten-
nen Erwartungshaltungen spielen und          tion gewesen, denn „anatomisch zu zergliedern”, äs-
diese immer wieder auch überschrei-          thetische Urteile zu fällen, das sei der Frauen Sache
ten, bis hin – zu allerdings seltenen –      nicht. So „erwarte [sich der Leser] überhaupt nur das
radikal anderen Standpunkten.                einfache Auffassen des wirklich Erlebten, Gesehe-
                                             nen und Empfundenen und allenfalls eine flüchtige
Die Weimarer Schriftstellerin Charlotte      Unterhaltung, durchaus aber keine Belehrung in die-
von Ahlefeld etwa, die 1827 im Alter von     sem Büchlein”. Es ist bezeichnend, dass die Autorin,
46 Jahren gemeinsam mit einer Reise-         als sie über den Achenpass kommend ins Tirolische
gefährtin recht umfassend Tirol bereist      hineinreist, sich aufgrund des vernagelten Verdecks
und ihre Eindrücke in der Reiseschilde-      gezwungen sieht „den Kopf mühselig zu den Fens-
rung mit dem heute umständlich an-           teröffnungen heraus[zu]stecken, um die majestäti-
mutenden Titel Tagebuch auf einer Rei-       sche Gegend zu sehen”. Das Motiv des Fensterblicks
se durch einen Theil von Baiern, Tyrol und   durchzieht den gesamten Text und kann paradig-
Oestreich von der Verfasserin der Erna,      matisch gesehen werden für das im 19. Jahrhundert
Felicitas, Amadea, dem Römbildstift u.       „dominierende weibliche Reisen im Gehäuse” (Anne-
s. w. festhält, orientiert sich nicht nur    gret Pelz), das die reisende Frau geschlossenen Räu-
was die Wahrnehmung Tirols, sondern          men zuweist und eigentliche Begegnungen mit dem
auch was die Inszenierung der eigenen        Fremden verunmöglicht.
Autorinnenschaft betrifft, durchwegs
an der Erwartungshaltung der zeitge-         Auch was die Auswahl des Beschriebenen betrifft,
nössischen LeserInnenschaft. Schon           konzentriert sich die Autorin auf weiblich attribu-
im Vorwort legitimiert die Schriftstel-      ierte Themen, den Zustand von Gaststätten, Spu-
lerin den gängigen Rollenerwartungen         ren und Lebensgeschichten von Monarchinnen,
entsprechend die eigene Publikation.         Physiognomie, Haartracht und Aufzug der hiesigen

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Frauen, insbesondere alter Frauen, wobei durch-           vom Wege. Außer der Freude, die man
wegs ein männlicher Blick antizipiert wird. Es ver-       über neue Eindrücke hat, genießt man
wundert nicht, dass sie, als sie in der drückenden        den Triumph, alle anderen Reisenden
Hitze Bozens aus ihrem Kutschenfenster hinaus             überflügelt und noch mehr gesehen
Frauen beim Verlassen der Kirche beobachtet und           zu haben als in den Taschenbüchern
sich lang und breit über deren unschickliches Auf-        angeführt ist”. Dafür nimmt sie eini-
treten auslässt, diesen Frauen in einer Art Umkeh-        ges in Kauf, ist risikofreudig und gerne
rung feindselige Blicke zuschreibt: „Sonderbarer          zu Fuß unterwegs. Die Aneignung des
Weise waren viele darunter lahm und hinkten sehr          Fremden erfolgt vor allem visuell, denn
disgraziös, den Rosenkranz durch die gelben Finger        Trollopes Eroberungswille zeigt sich im
drehend und mit flüsternd bewegten Lippen abbe-           Aufsuchen und Auffinden immer wie-
tend, und das ungekämmte Haar in seiner ganzen            der neuer Blickwinkel, in der Lokalisie-
Häßlichkeit, nicht einmal durch Ordnung verschö-          rung idealer Aussichtspunkte sowie in
nert, den Rücken herabhängend, mit so feindseli-          der wiederkehrenden Reflexion über
gen Blicken an mir vorüber, als hätten sie eine Ah-       Bedingungen der Wahrnehmung.
nung davon, daß eine Ketzerin im Wagen saß.”
                                                          Etwa indem sie die Bedeutung des
Anders löst den Konflikt zwischen Rollenerwartun-         Zu-Fuß-Gehens betont für die Wahr-
gen und Eroberungslust die englische Schriftstellerin     nehmung von Landschaft, darüber
Frances Trollope, die rund 10 Jahre später gemein-        schreibt, dass man die Hofkirche idea-
sam mit zwei von ihren insgesamt sieben Kindern,          lerweise besuchen sollte, wenn sie leer
dem Landschaftsmaler Auguste Hervieu und ihrer            und dunkel ist oder in Innsbruck Über-
Zofe Coxe in einer Postkutsche durch Tirol reist. Ihre    legungen darüber anstellt, wie Archi-
Reiseschilderung Vienna and the Austrians erscheint       tektur das Umland rahmt. Und auch
schon im darauffolgenden Jahr in London und wird          wenn Trollope mit der Betonung der
umgehend ins Deutsche übersetzt. Anders als Ahle-         eigenen Empfindsamkeit und Gefühls-
feld scheint Trollope mit gängigen Rollenzuschrei-        regungen der Anforderung eines senti-
bungen zu spielen und sich dadurch einer eigenen          mentalistischen Weiblichkeitsbildes
unverwechselbaren Stimme anzunähern.                      entspricht und sie sich innerhalb einer
                                                          reiseliterarischen Praxis bewegt, in
„Ich hoffe darum, daß Du mit mir Nachsicht hast, so-      der Subjektivität und Erlebnisfähigkeit
lange ich unter dem Einfluß dieser bemerkenswerten        gefordert waren, so besticht ihr Reise-
Region stehe und zuweilen jenen gewohnten Ton der         bericht doch durch einen ungewöhnli-
Mäßigung überschreite, in dem alle irdischen Din-         chen Blick, der sich von vergleichbaren
ge besehen und besprochen werden sollen. Verlaß           Texten der Zeit wohltuend abhebt.
Dich aber darauf, daß Gebirgsluft sich nicht völlig un-
gestraft atmen läßt. Den einen macht sie schwind-         „Die Kunst zu reisen, ist fast die Wis-
süchtig, den anderen fieberkrank, in anderen regt         senschaft des Lebens. Ich rühme mich
sie fremde, wilde Freuden, und diese werden von           dieser Wissenschaft des Reisens”,
den von allen Seiten auf sie einstürmenden Eindrü-        schreibt die französische Schriftstel-
cken halb oder auch ganz verrückt. Bedenke dies und       lerin George Sand von sich, deren ei-
lasse meinen Ergüssen Barmherzigkeit widerfahren,         gentlicher Name Amantine Aurore
selbst wenn sie an jene verpönteste aller Gefühlsre-      Lucile Dupin de Francueil lautete, und
gungen, an Schwärmerei, erinnern sollten.”                die sich seit 1832 – anders als viele
                                                          zeitgenössische Schriftstellerinnen –
Trollope ist angetrieben von dem Wunsch Neuland           ganz offen eines männlichen Pseudo-
zu erobern und sich damit auch im Terrain des lite-       nyms bediente, von sich in männlicher
rarischen Feldes zu behaupten, denn so die Autorin,       Form sprach, Zigarren rauchte und im
„ich weiß nichts Wonnevolleres als dieses Abweichen       Männerkostüm Paris durchstreifte:

                                                                      PANOPTICA 2021 | KULTUR   15
und den Erwartungshaltungen der LeserInnenschaft,
                                                          die beständig überschritten werden. Das Spiel mit
                                                          Geschlechteridentitäten irritierte und provozierte
                                                          das zeitgenössische Lesepublikum.

                                                          Die vorwiegend fiktiven Reisebriefe lassen sich vor
                                                          allem aber als poetologische Standortbestimmung
                                                          lesen, deren Ort einer der Fahrt und Bewegung ist,
                                                          nicht außerhalb der Welt, doch losgelöst von als ein­
                                                          engend erlebten gesellschaftlichen Verhältnissen.

                                                          Nicht nur die Konzeption von George Sands Rei-
                                                          sebriefen ist bemerkenswert, auch eine darin auf-
                                                          tauchende Tirol-Passage, die sich nicht zuletzt als
                                                          ironischer Kommentar auf die den Markt flutenden
                                                          Reisebeschreibungen und darin stattfindender Ste-
                                                          reotypisierungen liest.

                                                          Der Reisende begründet darin seine „Anhänglichkeit
                                                          für Tirol”, das er nicht aus eigener Erfahrung kennt.
                                                          Sie verdanke sich einer in der Kindheit vernommenen
                                                          „Romanze” sowie einer Begegnung mit einem Mäd-
                                                          chen irgendwo unterwegs im Niemandsland. Ihre
George Sand, Gemälde von Auguste Charpentier              Toi­lette ist „problematisch”, sie spricht ein schlech-
(1838)            www.wikipedia.org/de (public domain)
                                                          tes Französisch und ist äußerst schweigsam. Der Rei-
                                                          sende versucht sie in ein Gespräch zu verwickeln. Als
„Mir war zumute, als könnte ich so                        sie andeutet aus Tirol zu sein: „Sie sind aus Tyrol? rief
die Reise um die Welt beginnen. Mei-                      ich. Ach Gott, ich kannte früher eine Romanze über
ne Kleidung hatte nun nichts mehr zu                      Tyrol, die mich mit offenen Augen träumen ließ. Es
scheuen; ich konnte bei jedem Wetter,                     ist also ein sehr schönes Land? Ich weiß nicht, warum
zu jeder Tageszeit ausgehen...”                           es sich in einem Winkel meines Kopfes eingenistet
                                                          hat. Haben Sie die Gefälligkeit, mir es ein wenig zu
In ihren unter dem Titel Lettres d’voya-                  beschreiben.” „Ich bin aus Tyrol, antwortete sie mit
geur (1837) versammelten Reisebrie-                       sanftem, schwermütigem Tone, aber entschuldigen
fen verhandelt die Autorin die Fra-                       Sie, ich kann nicht davon sprechen.” Während das
ge der weiblichen Autorschaft ganz                        Mädchen von da an beharrlich schweigt, schließt der
unverhohlen. Im Text angelegt ist ein                     Reisende die Augen, „um die Landschaft nicht mehr
Spiel mit Geschlechterkategorien,                         zu sehen” und beschreibt Tirol ausführlich, freilich
damit einhergehend auch mit den                           ohne etwas zu sagen. Tirol bleibt Leerstelle, Projekti-
Konventionen des gewählten Genres                         onsfläche, Phantasmagorie des Reisenden.

16   PANOPTICA 2021 | KULTUR
Foto: Petra Streng

PANOPTICA 2021 | KULTUR        17
BEWEGTE FRAUENBILDER
Frauenrollen im Tiroler Filmgeschehen
Eva Binder & Gertraud Eiter

Vorführung des sowjetischen Stummfilms Baby rjazanskie
(Die Frauen von Rjazan) aus dem Jahr 1927, Leokino, kinovi[sie]on 2009
Foto: kinovi[sie]on

18    PANOPTICA 2021 | KULTUR
Film ist ein wunderbares Medium, um das Leben in        Cutterinnen waren und sind in der
all seinen Facetten zu zeigen. Film macht vielfälti-    männerdominierten Filmbranche im-
ge Wirklichkeiten und Lebensentwürfe sichtbar, er-      mer wieder mit Ungleichbehandlung
öffnet neue Welten und bewirkt eine Reflexion der       und Benachteiligung konfrontiert.
eigenen Sichtweisen. Film lässt uns träumen, bringt     Martha M. Lauzen spricht – analog zur
uns zum Lachen und zum Weinen, ermöglicht Imagi-        „gläsernen Decke” – von einer „cellu-
nation und Identifikation.                              loid ceiling”, einer Zelluloid-Decke1,
                                                        die Frauen im Filmbusiness selbst im
Als Geburtsstunde des Kinos gilt das Jahr 1895.         21. Jahrhundert nur selten durchbre-
Frauen waren von Anfang an bei der Produktion           chen. Dies bestätigt auch die österrei-
von Filmen und bei deren Gestaltung dabei. Als          chische Kamerafrau und Regisseurin
erste Filmemacherin der Filmgeschichte ist Alice        Astrid Heubrandtner: „Dort wo mehr
Guy-Blaché (1873–1968) bekannt. Sie drehte 1896         Geld ist, findet man weniger Frauen,
den ersten fiktionalen Kurzfilm La fée aux choux, in    ein Faktum, das sich nicht nur auf die
welchem eine Blumenfee aus riesigen Kohlköpfen          Filmbranche beschränkt.”2
Babys hervorzaubert. In ihrem Kurzfilm A House Di-
vided inszenierte sie als Gegenpart zur häuslichen      Wie es um die Geschlechterverhältnisse
Ehefrau eine freche, rebellische Sekretärin. Insge-     im österreichischen Film heute und die
samt realisierte sie über 1000 Kurzfilme, darunter      Situation von Frauen und Männern im
Cowboy Filme, Literaturverfilmungen, Reiseberich-       nationalen Filmwesen steht, veran-
te, Slapstickkomödien, Melodramen. Die US-Ame-          schaulicht der Film Gender Report 2012–
rikanerin Louis Weber (1882–1939) griff in ihren Fil-   2016 3 , welcher im Mai 2018 vom Öster-
men tabuisierte Themen auf und drehte Filme über        reichischen Filminstitut veröffentlicht
Armut, Abtreibung, Geburtenkontrolle, häusliche         wurde. Aus dem Report geht klar her-
Gewalt und Prostitution. Louise Kolm [Fleck] (1873–     vor, dass die österreichische Filmbran-
1950) ging als erste Regisseurin Österreich-Ungarns     che auf allen Ebenen – von der Film-
in die Filmgeschichte ein.                              förderung, über die Produktion, den
                                                        Vertrieb und die Vergabe von Auszeich-
Ob die Filme dieser Filmpionierinnen auch in den        nungen – weit von einer Geschlechter-
Tiroler Wanderkinos oder in den ersten Lichtspiel-      parität entfernt ist. Die Zahlen ergeben
häusern hierzulande zu sehen waren, ist fraglich. Es    ein entsprechendes, klares Bild: 80%
wären intensive Recherchen notwendig, um heraus-        der Herstellungsförderungen für Kino-
zufinden, welche Frauenbilder in den Tiroler Kinos      filme, die zwischen 2012 und 2016 in
Anfang des 20. Jahrhunderts propagiert wurden und       Österreich produziert wurden, gingen
welche nicht zulässig waren.                            an Männer. Bei rund 75% der produ-
                                                        zierten Filme führten Männer Regie,
      Ich wünsche mir mehr Frauen im Regiesessel,       nur 21% der Filme wurden von Frauen
             denn sie repräsentieren die Hälfte der     realisiert und 4% der Filme wurden von
             Weltbevölkerung. Ohne ihre Arbeit als      Regie-Teams bestehend aus Frauen und
          Drehbuchautorinnen oder Regisseurinnen        Männern gedreht.
       werden wir nie die ganze Geschichte kennen.
                                     Jane Campion       Ein weiteres aufschlussreiches Ergebnis
                                                        der Studie ist, dass Filme von Filmteams
Mit der Einführung des Tonfilms Ende der 1920er         mit hohem Frauenanteil sowohl weibli-
und Anfang der 1930er Jahre wurden weibliche Film-      che als auch männliche Figuren diffe-
schaffende immer mehr aus Positionen mit Einfluss       renzierter darstellen als jene Filmteams
und Entscheidungskompetenz gedrängt, und die            mit hohem Männeranteil. Die Vertei-
Filmpionierinnen gerieten in Vergessenheit. Regis-      lung von Ressourcen sowie Macht- und
seurinnen, Drehbuchautorinnen, Kamerafrauen oder        Entscheidungspositionen sind also eng

                                                                    PANOPTICA 2021 | KULTUR   19
mit der Durchbrechung oder eben der
Reproduktion von stereotypen Rollen­
bildern im Film verknüpft. Zu ähnli-
chen Erkenntnissen kommen Studien
zum deutschen Kino oder Analysen des
US-amerikanischen Films.

     Ich denke es ist an der Zeit, daran
       zu erinnern: Die Vision des Femi-
        nismus ist nicht eine „weibliche
      Zukunft”. Es ist eine menschliche
         Zukunft. Ohne Rollenzwänge,
      ohne Macht- und Gewaltverhält-
       nisse, ohne Männerbündelei und      Filmprojektion Die Dohnal, kinovi[sie]on 2020
               ohne Weiblichkeitswahn.     Foto:kinovi[sie]on

                        Johanna Dohnal
                                           vorwiegend heterosexuell. Ältere Frauen, Bösewich-
Eine Rollenvielfalt auf der Kinolein-      tinnen, Widerständige, Frauen mit Behinderung –
wand und unterschiedliche weibliche        sie sind im Film meist abwesend. Migrantinnen und
Vorbilder im Film sind nicht nur für       Frauen in Ländern des globalen Südens abseits von
Mädchen und Frauen wichtig, sondern        Viktimisierung oder Romantisierung stellen eine wei-
es profitieren alle Menschen davon.        tere Leerstelle im Mainstream-Kino dar. Im Anima-
Eine spannende Methode um festzu-          tionsfilm stechen Stereotype noch stärker ins Auge:
stellen, ob Stereotype in einem Film       75% der weiblichen Zeichentrickfiguren sind dünner
durchbrochen werden und Frauen im          als anatomisch möglich, Phantasiewesen sind vor-
Film nicht nur als optischer Aufputz       wiegend männlich und die wenigen weiblichen Phan-
dienen, stellt der Bechdel-Test 4 dar.     tasiewesen sind meist stark sexualisiert.5 Die stereo-
Der Bechdel-Test besteht aus drei sim-     typen Rollenbilder von Frauen und auch Männern,
plen Fragen:                               die das Mainstream-Kino reproduziert, lassen die
1.) Gibt es im Film zwei Frauen und ha-   Möglichkeiten des Kinos ungenützt, die Diversität
     ben diese einen Namen?                unserer Gesellschaften zu zeigen und die Vielfalt an
2.) Sprechen diese zwei Frauen mitein-    Lebenskonzepten und Lebensrealitäten von Frauen
     ander?                                (und Männern) vor Augen zu führen.
3.) Sprechen sie über etwas Anderes als
     über Männer?                          Da Filme die Gesellschaft nicht nur abbilden sondern
                                           auch formen und einen bedeutenden Anteil daran
Viele Filme des Mainstream-Kinos (oder     haben, wie wir unsere Welt wahrnehmen und ver-
vielmehr Malestream-Kinos) bestehen        stehen, sollten wir, wenn wir über „Frauenrollen im
den Bechdel-Test nicht und reprodu-        Tiroler Filmgeschehen” sprechen, folgende grund-
zieren entsprechend Geschlechterste-       sätzliche Fragen stellen: Bietet ein Film unterschied-
reotype. Weibliche Filmfiguren werden      liche Identifikationsmöglichkeiten für alle? Führen
– im Gegensatz zu männlichen Filmfi-       Frauen im Film ein selbstbestimmtes Leben – ohne
guren – oft auf ihr Äußeres reduziert      auf die Rolle der Geliebten oder Mutter reduziert
und gängige Opfer-Täter*innen-Nar-         zu werden? Werden auch Themen wie Gewalt an
rative werden wiederholt, wie der Film     Frauen, Schwangerschaftsabbruch, lesbische Liebe
Gender Report 2012–2016 aufgezeigt         angesprochen? Mit welchen Perspektiven und mit
hat. Des Weiteren sind die Hauptfigu-      welchen ästhetischen Herangehensweisen arbeiten
ren meist zwischen 25 und 45 Jahre         Filmemacher*innen? Repräsentiert ein Film allein
alt und ihre sexuelle Orientierung ist     die Mehrheitsgesellschaft oder haben darin auch

20   PANOPTICA 2021 | KULTUR
ältere Frauen, Menschen mit Behinderung, queere
Personen oder people of color einen aktiven Part (vor
und hinter der Kamera) inne? Diversität fängt nicht
erst bei der thematischen Ausrichtung eines Films
und der Auswahl der Protagonist*innen an.

Da Rollenvielfalt bereits mit der Ausbildung beginnt,
initiierte FC-Gloria 6 das Projekt See it – be it. Der in
Wien verortete und österreichweit aktive Verein ist
ein Netzwerk österreichischer Filmemacher*innen,

                                                                                                                         DESIGN: BUREAU F
engagiert sich für Gleichbehandlung und Vielfalt im
Film und setzt Aktionen, um auf Geschlechterstereo-
type aufmerksam zu machen. Durch die Sichtbar-
machung weiblicher role models wird die Vielfalt von
möglichen Filmberufen vorgestellt und junge Frauen
werden ermutigt, auch männlich konnotierte Film-
berufe anzustreben.                                                       75% der weiblichen
                                                                          Zeichentrickfiguren
                            If she can see it, she can be it.             sind dünner als
                                                                          anatomisch möglich.
                                                   FC-Gloria
                                                                          Nur durch operative Entfernung von Rippen
                                                                          und Organen wären solche Proportionen
Das Medium Film ist ein Spiegel der (Mehrheits-)Ge-                       erreichbar. Bei männlichen Figuren trifft
                                                                          das auf 6% zu.
sellschaft. Machtverhältnisse zeigen sich nicht nur
in dem, was dargestellt wird, sondern auch in den                         WWW.DIAGONALE.AT

Auslassungen. Die Tatsache, dass die Abwesenheit                          WWW.FC-GLORIA.AT
                                                                          WWW.IZI.DE

von Frauen in der Programmgestaltung der Kinos
ihre Fortsetzung finden, bewog zwei Mitarbeiterin-
                                                                  Bierdeckelaktion 2018 von FC Gloria und Diagonale
nen des Innsbrucker Otto Preminger-Instituts, des                 Foto: Bureau F, FC Gloria Frauen Vernetzung Film und Diagonale,
Trägervereins von Leokino und Cinematograph, im                   Festival des österreichischen Films

Filmplakatausstellung im Foyer des Leokinos, kinovi[sie]on 2009
Foto:kinovi[sie]on

                                                                                      PANOPTICA 2021 | KULTUR                               21
Jahr 2005 dazu, eine neue Programm-
schiene ins Leben zu rufen. Der Impuls
für die Initiative war eingängig und
überzeugend: „Frau und Film bilden
ein ungleiches Paar: Er (der Film) zeigt
– sie (die Frau, von Garbo bis Kidman)
wird gezeigt.” In jedem Fall war die Ini-
tiative dies für den Vereinsvorstand, für
den Eva Binder als Obfrau hier stellver-
tretend spricht. kinovi[sie]on sollte die
neue Programmschiene heißen, doch
die beiden Initiatorinnen – Gertraud
Eiter und Gerlinde Schwarz – hatten
selbst in einem sich stets als links und
fortschrittlich verstehenden Kulturver-
ein die Zelluloid-Decke zu überwinden:
Sollte die Programmierung nicht bes-
ser in einer (damals männlichen) Hand
bleiben? Würde denn ein der­      artiges   Tizza Covi im Leokino, kinovi[sie]on 2007
Programm vom Publikum angenom-              Foto:kinovi[sie]on

men werden? Wer sollte die adminis-
trative Mehrarbeit erledigen? Und           künstlerischen Vielfalt sowie in den unterschiedli-
schließlich: Werden die beiden Frau-        chen filmischen Gattungen des Spiel-, Dokumentar-,
en wohl auch die nötigen finanziellen       Kurz- und Experimentalfilms.
Mittel aufbringen?
                                            Im Rahmen von kinovi[sie]on waren auch Filme von
Nach mittlerweile 16 Jahren kinovi­         Filmemacherinnen aus Nord- und Südtirol zu se-
[sie]on und insgesamt 425 präsentier-       hen, wie Sabines Groschups origineller, von Hand
ten Lang- und Kurzfilmen7 zweifelt          auf 35mm-Streifen gezeichneter Trickfilm Gugug
niemand mehr daran, dass die vorge-         aus dem Jahr 2006, das 2019 realisierte intime do-
schlagene „Therapie” des ungleichen         kumentarische Porträt Becoming me der Südtiroler
Paares Film und Frau erfolgreich war.       Regisseurin Martine De Biasi über eine Geschlechts-
Am 8. eines jedes Monats wurden             anpassung oder 4640 km – A Journey Towards Hope
nunmehr 16 Jahre lang Filme präsen-         von Helene Senfter, Absolventin des Medienkollegs
tiert, an denen Frauen maßgeblich           Innsbruck, über die Flucht der Syrerin Manar und ih-
beteiligt waren.                            rer Familie bis nach Innsbruck. Die aus Bozen stam-
                                            mende Tizza Covi war mit Babooska8, einem Doku-
Der feste Monatsrhythmus war das            mentarfilm über die Betreiberin eines Wanderzirkus,
eine, die sprachliche Genauigkeit das       im Leokino zu Gast, und die in Lienz geborene und in
andere. Nicht Frauenfilme (sprich Fil-      Wien lebende Kamerafrau Judith Benedikt war eben-
me über die gemeinhin angenomme-            falls mit ihren Arbeiten bei kinovi[sie]on anwesend.
nen Interessen von Frauen) sollten
gezeigt werden, sondern Filme von           Von der lokalen Gegenwart führte kinovi[sie]on im-
Frauen, um die Filmarbeit, die von          mer wieder weit in die Filmgeschichte zurück und in
Frauen seit der Erfindung des Kinos ge-     ferne Regionen: so beispielsweise in die Sowjetunion
leistet wurde, sichtbar zu machen. Und      mit ihren Filmpionierinnen, die aus der Oktoberrevo-
das in der gesamten Bandbreite der          lution hervorgegangen waren – mit Stummfilmen,
inzwischen 125-jährigen Filmgeschich-       die von österreichischen Musiker*innen vertont und
te, in der gesamten thematischen und        live begleitet wurden.

22   PANOPTICA 2021 | KULTUR
kinovi[sie]on stand von Anfang an aber auch dafür,                   Nur der Monatsrhythmus wird im 17.
über Filme zu sprechen, zu diskutieren, zu reflektie-                Jahr des Bestehens von kinovi[sie]on
ren und sowohl zeitgenössische Regisseurinnen wie                    zugunsten eines Schwerpunktpro-
auch Referent*innen nach Innsbruck einzuladen. Und                   gramms jeweils im Frühjahr und
schließlich wurde einmal im Jahr – zum Internationa-                 Herbst aufgegeben. Also Vorhang auf
len Frauentag am 8. März – ein Fest im Kino gefeiert.                für weitere bewegte Frauenbilder und
Dieses wird – so bleibt zu hoffen – auch im Jahr 2021                Frauenrollen im Tiroler Film- und Kino-
stattfinden.                                                         geschehen!

Sabine Groschup, Gugug (AT 2006), Filmstill                                                      Foto: Bildrecht, Wien 2021

1	
   „The Celluloid Ceiling: Behind-the-Scenes Employment of Women on the Top 100, 250, and 500 Films of 2016” von
   Martha M. Lauzen.
2	
   „Unter welchen Bedingungen arbeiten weibliche Filmschaffende in Österreich” von Andrea Heinz, in: „an.schläge
   Mai 2010”.
3	
   Der Film Gender Report 2012–2016 wurde vom Institut für Soziologie der Universität Wien im Auftrag des Österrei-
   chisches Filminstituts und des Bundeskanzleramtes erstellt. Die zentralen Ergebnisse sowie der Endbericht sind zu
   finden unter: www.film-gender-report.univie.ac.at.
4	
   Der Bechdel-Test bzw. Bechdel-Wallace-Test hat sich international als Erhebungsinstrument durchgesetzt.
   Der Bechdel-Test wurde 1985 von der US-amerikanischen Comic-Zeichnerin Alison Bechdel und ihrer Freundin Liz
   Wallace entwickelt, vgl. www.bechdel-test.com.
5	
   Vgl. Bierdeckelaktion 2018 von FC Gloria und Diagonale, bezugnehmend auf Studien vom Internationalen Zentral­
   institut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in Bayern, unter der Leitung von Dr.in Maya Götz.
6	
   Näheres unter: www.fc-gloria.at.
7	
   Alle bisher präsentierten Filmtitel (inkl. Filmbeschreibungen) sind auf der Website des Leokinos archiviert: www.
   kinovisieon.at.
8	
   Tizza Covi realisierte Babooska gemeinsam mit Rainer Frimmel.

                                                                                   PANOPTICA 2021 | KULTUR              23
DER WEG IST DIE KUNST
Ein Blick hinter die Ateliertüren dreier Tiroler Künstlerinnen
Maria Peters

                                                 Fotocollage
                                                 mit Arbeiten von
                                                 Martina Tscherni
                                                 Heidi Holleis
                                                 Claudia Fritz
                                                 Fotos: siehe Folgeseiten

24   PANOPTICA 2021 | KUNST
Ein Leben als Künstlerin bedeutet zuallererst: nie                           Martina Tscherni empfing mich in ih-
einem vorgezeichneten Weg folgen zu können. Aus-                             rer Wohnung, sie arbeitet hier ebenso
bildungswege, Stil- und Themenfindung und nicht                              wie in ihrem Atelier in einer alten Fa-
zuletzt das Kreieren eines Überlebenskonstruktes,                            brik in Wien. Sie erzählte mir, dass sie
müssen individuell gefunden, ja, nicht selten erst                           bereits in der Schule das Nähen und
einmal erfunden werden. Denn die persönliche Ge-                             das Zeichnen liebte, jedoch erschien
schichte und die Lebensweise prägen – unvermeid-                             ihr alles damals als zu wenig profes-
lich – das Gesicht einer jeden künstlerischen Arbeit.                        sionell – sie strebte nach möglichster
                                                                             Perfektion.
Um mir das näher anzusehen, besuchte ich die drei
sehr unterschiedlichen Tiroler Künstlerinnenper-                             Während ihres Studiums an der An-
sönlichkeiten Martina Tscherni, Heidi Holleis und                            gewandten in Wien entdeckte sie ihr
Claudia Fritz in ihren Ateliers.                                             Interesse für Rauminstallationen und
                                                                             Bühnenbild. Sie war, wie sie selbst es
Mein erster Besuch galt Martina Tscherni in Wien.                            formuliert, fasziniert von der Heraus-
Sie wurde 1963 in Hall in Tirol geboren, ihr Ausbil-                         forderung, ein Modell in einen real
dungsweg war der „klassische”. Nach dem Besuch                               also begehbaren Raum zu übersetzen,
der HTL Innsbruck für Malerei studierte sie an der                           sich der Überprüfung der eigenen Ima-
Universität für Angewandte Kunst in Wien Tapis-                              ginationen zu stellen.
serie und zugleich Grafik bei Ernst Caramelle. Bald
nach ihrem Diplom wurde sie von renommierten                                 Doch trotz dieser analytischen Über-
Galerien vertreten, wurde auf Kunstmessen (u.a.                              legungen pflegte Martina Tscherni im-
auf der Art Basel) gezeigt und hatte schon früh zahl-                        mer auch ihre meditative und intuitive
reiche Ankäufe.                                                              Seite. War ihr Frühwerk noch geprägt
                                                                             von einer expressiven Zen-Malerei, so
Die Arbeiten von Martina Tscherni sind akribische                            änderte sich ihre Verfassung um die
sensible Zeichnungen, oft ziehen sich ihre Motive                            40. Sie war mehrmals in Nepal unter-
über viele Meter lange Papierbahnen, darüber hin-                            wegs, auch mit dem Fahrrad. Sie reiste
aus macht sie Trickfilme und textile Bilder.                                 nach Lahsa, sie ist eine leidenschaftli-
                                                                             che Kletterin.

                                                                             Ihre „erste Liebe”, das Streben nach
                                                                             Perfektion, gewann wieder ganz die
                                                                             Oberhand. Akribisches Handwerk, Ge-
                                                                             nauigkeit und bewusste Langsamkeit
                                                                             prägen seither ihr Werk.

                                                                             Ihre Liebe zum Klettern hat wohl auch
                                                                             mit ihrer Begeisterung für Fossilien
                                                                             und Strukturen zu tun. Für ihre heu-
                                                                             tigen Zeichnungen isoliert Martina
                                                                             Tscherni Elemente aus Mikroskopau-
                                                                             fnahmen. Diese biomorphen Formen
                                                                             entwickelt sie in der grafischen Um-
                                                                             setzung zu ornamental anmutenden,
                                                                             rätselhaften „Wesen” weiter. Typisch
                                                                             für Tescherni sind ihre bis zu zwanzig
Martina Tscherni, Haus im Grünen, 130 x 150 cm, Graphit, Buntstift auf       Meter langen Papierrollen. Sie selbst
Papier                                              Foto: G. u. K. Watzek   sagt, diese seien wie Skizzenbücher zu

                                                                                          PANOPTICA 2021 | KUNST   25
Martina Tscherni, Atelieransicht                                                  Foto: G. u. K. Watzek

lesen, so gut wie täglich zeichnet sie    Kamera die Rolle entlang, doch plötzlich bewegen
an ihnen weiter. Jede Rolle bekommt       sich einzelne Elemente. Sie drehen sich, sie verän-
ihre eigene Schatulle, es sind aus mit    dern ihre Farbe, mikroskopische Aufnahmen wer-
Stoff bezogenem Karton gemachte           den überblendet.
Faltschachteln – von ihr weiterentwi-
ckelt nach einem raffinierten Prinzip     In ihrer Ausstellung Anfang 2021 im Rabalderhaus in
buddhistischer Schriftrollenbehälter      Schwaz animierte sie einen Käfer mittels „Augmen-
– aus welchen die Zeichnungen durch       ted Reality”: wird der Käfer durch die Handykamera
einen Schlitz herausfließen und sich      betrachtet, fliegt er fort.
über die jeweils zur Verfügung ste-
henden Wände hinaufziehen. Ein Ab-        Martina Tscherni erfindet also immer wieder neue
schnitt der Zeichnung verbleibt also      Möglichkeiten, ihre präzise Handarbeit, ihre Obses-
immer im Verborgenen. Man beginnt         sion fürs das Zeichnen, in Form von Installationen
zwangsläufig darüber zu rätseln, was      oder Filmen neu zu inszenieren. Kleine und norma-
es wohl noch alles zu entdecken gäbe.     lerweise verborgene Welten werden in ihrer Arbeit
                                          sichtbar, machen auf fast träumerische Weise be-
Erst in ihren Trickfilmen sieht man die   wusst, wie viele Geheimnisse in der Natur noch zu
gesamte Zeichnung. In ihren ersten        entdecken wären. In ihren auf Leinwand gedruckten
Filmen tastete die Kamera die Rollen      und bestickten Ausschnitten von Landkarten hat
systematisch ab. Doch später, so sagt     sich ihre textile Vergangenheit konserviert. In diesen
Tscherni, reizte es sie, die gezeichne-   Arbeiten verweist sie auf ihre Herkunft: Frau Hitt,
ten Elemente mit Leben zu erfüllen.       Bettelwurf – stabil stehen die wohlbekannten Berge
In ihren aktuelleren Filmen fährt die     dem fremd anmutenden Mikrokosmos gegenüber.

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