Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit

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Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
2-2016

                                                                                      (Un-)Politische Jugend?
                                                                                      Traum von der Ausbildungsgarantie
                                                                                      Inklusion: kommunale Verantwortung
                                                                                      Der (Lehr-)Körper im Fokus
                                                                                      Den Generationenwechsel gendern
                                           DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT   Erfolgreiche Lehrerratsarbeit
68. Jahrgang Februar 2016 ISSN 0720-9673

                                           Perspektiven für
                                           moderne Schulsozialarbeit
K 5141
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
Illustration: artmeetsgraphik, tai111 / fotolia.com
PERSONALRATSWAHLEN 2016

Starke Interessenvertretung
Bei den Personalratswahlen im Mai 2016 wählen Sie Ihre direkten    und regelmäßige Absprachen. Dafür brauchen alle KollegInnen
Vertretungen: die Örtlichen Personalräte bei den Schulämtern       Zeit, die ihnen als Teil der Arbeitszeit angerechnet werden muss.
(Grundschule), die Bezirkspersonalräte bei den Bezirksregie-       Die GEW NRW fordert in einem ersten Schritt den Ausbau der
rungen (alle Schulformen) und die Hauptpersonalräte beim           Schulsozialarbeit an allen Schulen mit mindestens einer unbefris-
Ministerium (alle Schulformen).                                    teten Vollzeitstelle je 150 SchülerInnen.

STARK AUFGESTELLT
Personalräte setzen sich für die Interessen und die Rechte aller
Beschäftigten des Landes an unseren Schulen ein. Dazu gehören
neben den LehrerInnen auch SchulsozialarbeiterInnen, befristet
Beschäftigte, LehramtsanwärterInnen, Lehrkräfte für herkunfts-
sprachlichen Unterricht (HSU), FachlehrerInnen und Werkstatt-
lehrerInnen. Auf vielen Listen der GEW NRW kandidieren neben
beiden Beschäftigungsgruppen – Tarifbeschäftigte und verbeam-
tete KollegInnen – auch Lehrkräfte und Beschäftigte anderer
Professionen.
                                                                       Gewerkschaft wirkt
STARK VERNETZT                                                         Die GEW NRW ist Tarifgewerkschaft und als solche kompe-
Schulen verändern sich, Arbeitsbedingungen verändern sich,             tente Partnerin für alle Beschäftigten. Viele Beschäftigte in
längst befinden sich die Kollegien an den Schulen auf dem Weg          Schule sind tarifbeschäftigt. Für ihre Belange ist die GEW
zu multiprofessionellen Teams. Inklusion und die Bildung von           NRW die richtige Partnerin, wenn es um Fragen zum Tarif-
SchülerInnen, die geflüchtet oder zugewandert sind, stellen die        recht, aber auch zur Rente geht. Als
Schulen vor große Herausforderungen. Zur Bewältigung dieser            Tarifgewerkschaft kümmern wir uns
Aufgaben brauchen wir multiprofessionelle Teams an den                 nicht nur um Besoldung und Dienst-
Schulen, zu denen neben SchulsozialarbeiterInnen auch Schul-           recht. Wir setzen uns für eine gerechte
psychologInnen und weitere Beschäftigte gehören. Alle Kolle-           Bezahlung aller Beschäftigten ein. Alle
gInnen, egal welcher Profession, die an Schule arbeiten,               SchulsozialarbeiterInnen brauchen
brauchen eine starke und kompetente Interessenvertretung. Die          tariflich gesicherte Arbeitsbedingungen.
Personalräte der GEW NRW setzen sich für Sie ein. Die Bildungs-                                                        Maike Finnern
gewerkschaft ist Interessenvertretung für alle Beschäftigten in                   Vorsitzende der Personalratswahlkampfkommission
Schule! Die Arbeit in multiprofessionellen Teams erfordert gute                                                        der GEW NRW
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
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Beziehungsarbeit
auf allen Ebenen
   Schulsozialarbeit als ein kontinuierliches Jugendhilfeangebot im System Schule für alle
Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach den Grundlagen der Sozialen Arbeit – das
ist zeitgemäße Schulsozialarbeit! Schule braucht – heute mehr denn je – multiprofessionelle
Fachkompetenz bei der Erfüllung des ganzheitlichen Bildungsauftrags. Die wenigen personellen
Ressourcen der Schulsozialarbeit, auf die wir kommunal, landes- und bundesweit blicken, sind
oftmals überlastet, weil sie in vielen aktuellen ganzheitlichen Bildungsfragen unterstützen sollen.
                                                                                                      Heike Niemeyer
Diese Ressourcen müssen dringend und ohne Projektstatus ausgebaut werden, damit die Koo-
peration von Jugendhilfe und Schule an dieser Stelle zunehmend präventiv und nicht nur nach           Trägerübergreifende
„Feuerwehrmanier“ funktionieren kann.                                                                 Koordinierungsstelle
                                                                                                      Schulsozialarbeit der
Qualität und Kontinuität sichern – zum Beispiel in Dortmund                                           Stadt Dortmund
   Schulsozialarbeit ist seit 2005 ein wichtiger Baustein in der Weiterentwicklung der kommunalen
Bildungslandschaft in Dortmund. Diese Grundhaltung hat sich auch mit den aktuellen Herausfor-
derungen im System Schule nicht verändert. An Dortmunder Schulen sind SchulsozialarbeiterInnen
kontinuierlich in Schule tätig. Sie leisten aber auch darüber hinaus wichtige Netzwerkarbeit im
Sozialraum und finden außerschulische Kooperationsmöglichkeiten, die der Förderung und dem
Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen dienen. So spielt Schulsozialarbeit als ein Baustein
von Schulentwicklung eine bedeutende Rolle.
   In Dortmund haben sich die „Kooperationsvereinbarung zum Einsatz von Schulsozialarbeit an
Dortmunder Schulen“ zwischen Land, Stadt und den freien Trägern sowie das „Rahmenkonzept
für Schulsozialarbeit an Dortmunder Schulen“ bewährt. Sie bilden eine Grundlage zur träger-
übergreifenden Qualitätssicherung. Zusätzlich unterstützt der Fachbereich Angewandte Sozial-
wissenschaften der Fachhochschule Dortmund, mit dem 2009 eine Kooperationsvereinbarung
geschlossen wurde, die qualitative Weiterentwicklung der Schulsozialarbeit. Die Trägerübergreifende
Koordinierungsstelle Schulsozialarbeit – angesiedelt im Fachbereich Schule – begleitet die Quali-
tätsentwicklung und -sicherung. Sie bietet trägerübergreifend Fachberatung, multiprofessionelle
Fortbildungen, Qualitätszirkel und Kooperationstreffen für die Träger der Schulsozialarbeit an. Die
Koordinierungsstelle versteht sich als eine Servicestelle für Schulsozialarbeit und hat ihre Ange-
botspalette über die Jahre kontinuierlich weiterentwickelt und etabliert. Soziale Arbeit bedeutet
immer Beziehungsarbeit – auch auf Seite der Träger ist dies eine zentrale Gelingensbedingung
für erfolgreiche Schulsozialarbeit!
Sichere Beschäftigungsverhältnisse schaffen
   Um den gegenwärtigen Herausforderungen gerecht zu werden, braucht Schulsozialarbeit
allerorts entfristete Arbeitsverträge, damit Fachkräfte, die in der Begleitung Sicherheit und Ori-
entierung geben sollen, selbst eine gesicherte Existenz haben. Zudem brauchen wir bundesweit
endlich eine angemessene Anzahl von SchulsozialarbeiterInnen in Schulen, die den zunehmenden
Herausforderungen und den unterschiedlichen Arbeitsfeldern im System Schule entspricht. Exper-
tInnen empfehlen ein Betreuungsverhältnis von mindetens 1 : 180 – das wäre ein guter Anfang
und würde zu einer präventiven Qualitätsentwicklung beitragen.
   Schule als ein Lebensort, der die Vielfalt junger Menschen berücksichtigt, der sich der Förde-
rung von Persönlichkeit und Potenzialen widmet, braucht ein multiprofessionelles Team, zu dem
auch die Schulsozialarbeit gehört. Nur so kann es gelingen, jedes Kind mitzunehmen. Zumal die
Vielfalt der jungen Menschen in unserem Land gerade immer bunter wird und das ist gut so! //
                                                                                  Heike Niemeyer
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
4 INHALT

THEMA
punktlandung 2016.1:
Mach‘ Krach!                     17 ff.
Gewerkschaften: Erfolgsprinzip
oder Auslaufmodell?
Shell Jugendstudie 2015:
(Un-)Politische Jugend?
Generationenwechsel im DGB:
Stärker von den Aktiven
aus denken
Best Practice: Nur Chuck Norris            S. 17
übernimmt sich selbst
Best Practice: Children of the
GEWolution
SeminarsprecherIn werden:
Bestimme selbst, wie es läuft!

                                           S. 8

                                           Ausbildung und Studium für Schulsozialarbeit
BILDUNG                                    im Wandel: Spezialisiert und vernetzt
                                           Migrationsspezifische Schulsozialarbeit:
                                                                                            8

                                           Fundament für eine erfolgreiche Schullaufbahn   10
                                           Bochumer Memorandum 2011 bis 2017:
                                           Der Traum von der Ausbildungsgarantie           12
                                           Inklusion und kommunale Verantwortung:
                                           Das Tempo an das Leistbare anpassen             14
                                           Über die Aktualität von Gedenkstättenfahrten:
                                           Lehren über den Holocaust                       15
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
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         ARBEITSPLATZ
        Körperlichkeit im Referendariat:
        Der (Lehr-)Körper im Fokus        26
        Gestaltung des Generationen-
        wechsels: Wir gendern das!        28
        Rechtsgutachten der GEW NRW:
        Besoldungsgesetz jetzt ändern! 29
        Co-Management und Kommuni-
        kation: Lehrerräte setzen sich ein30
        Personalratswahlen 2016:
S. 26   Vertrauensvolle Unterstützung 32
        Aktion „Neujahrsrede“: Tarif-
        beschäftigte Lehrkräfte fordern
        bessere Bezahlung                 33

        In der Heftmitte dieser Ausgabe finden die GEW-Mit-
        glieder aus dem Schulbereich eine aktualisierte Neu-
        auflage des Ratgebers „Arbeitsplatz Schule“. Sollte der
        Ratgeber in Ihrer Ausgabe versehentlich fehlen, wenden
        Sie sich bitte an: versand@gew-nrw.de.

S. 30

        IMMER IM HEFT
           nachrichten6
           kino16
           weiterbildung                          33 / 38
           infothek34
           jubilare37
           termine                                37 / 38
S. 12      impressum39
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
6 NACHRICHTEN

Schulfinanzierung: Ungleiches ungleich behandeln!
 ENTSCHEIDUNGSBASIS FÜR DIE ZUWEISUNG                                                Schulen mit hohem Zuwandereranteil und in sozial benachteiligten
 ZUSÄTZLICHER LEHRKRÄFTE                                                          Stadtteilen brauchen zusätzliche Lehrkräfte. Doch die Mittel hierfür sind
 Die Angaben für das Saarland beziehen sich nur auf Grundschulen, in allen        vielerorts zu gering. Um den individuellen Bedarf einer Schule verläss-
 anderen Bundesländern sind es sowohl Grund- als auch Sekundarschulen.
                                                                                  lich zu ermitteln, braucht es aussagekräftige Indikatoren wie soziale
                                                                                  Benachteiligung und Sprachförderbedarf. Die Analyse des Forschungs-
                                                                                  bereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration
                                                                                  und Migration „Ungleiches ungleich behandeln!“ zeigt, dass nur ein
                                                                                  Teil der Bundesländer landesweit einheitliche Indikatoren anwendet.
                                                                                  Zudem fehlen aussagekräftige auf die einzelne Schule bezogene Daten.
                                                                                  Für eine bedarfsgerechte Schulfinanzierung ergeben sich drei zentrale
                                                                                  Handlungsempfehlungen. Erstens: Jedes Bundesland sollte – etwa mit
                                                                                  schulscharfen Daten oder amtlichen Sozialraumdaten – eine einheitliche
                                                                                  Datenbasis schaffen, um den Mehrbedarf einzelner Schulen transparent
                                                                                  und vergleichend messen zu können. Zweitens: Das Urteil der örtlichen
                                                    größtenteils datenbasiert     Schulbehörden sollte ergänzend genutzt werden, um akuten Mehrbedarf
                                                    teilweise datenbasiert        rechtzeitig zu erkennen und zu decken. Drittens: Es sollte regelmäßig
                                                    kaum datenbasiert
                                                                                  überprüft werden, ob die zusätzliche Förderung bei den SchülerInnen
                                                                                  ankommt. www.tinyurl.com/SVR-Lehrerzuweisung                  hei / SVR
Quelle: SVR-Forschungsbereich, Policy Brief des SVR-Forschungsbereichs 2016-1

                                           Happy Birthday                         Gute Arbeit für junge Beschäftigte
                                               Der Mindestlohn feiert Geburts-       Die DGB-Jugend hat die sechste bundesweite Sonderauswertung des
            Begreifen                      tag: Nach einem Jahr mit branchen-     Index Gute Arbeit „Arbeitsqualität aus der Sicht von jungen Beschäf-
        zum Eingreifen                     übergreifend mindestens 8,50           tigten“ veröffentlicht. Befragt wurden bundesweit 1.382 Jugendliche
                                www.
                                           Euro Stundenlohn zieht der DGB         unter 35 Jahren. Die wichtigste Erwartung junger Menschen an ihren
 Arbeitsmarktintegration                   Bilanz. „Der Mindestlohn ist ein       Arbeitgeber ist die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Genauso wichtig ist
 Eine erfolgreiche Integra-                arbeitsmarktpolitischer Meilenstein.   vielen, sich selbst mit eigenen Ideen einbringen zu können und eine
 tion geflüchter Menschen in               Seit einem Jahr profitieren rund 3,6   nützliche und gesellschaftlich sinnvolle Arbeit zu haben. Gute Arbeit ist
 Deutschland gelingt nur, wenn
 ihnen Perspektiven auf dem                Millionen Menschen von der gesetz-     für junge Beschäftigte jedoch noch in weiter Ferne, hier offenbart die
 Arbeitsmarkt geboten werden.              lichen Lohnuntergrenze“, sagte DGB-    Auswertung Handlungsbedarf: So haben zum Beispiel 31 Prozent von
 „Arbeit sichert soziale Teilhabe          Vorstandsmitglied Stefan Körzell.      ihnen ein monatliches Bruttoeinkommen von weniger als 1.500,- Euro im
 und ist eine wichtige Grundlage,
 um den Lebensunterhalt eigen-
                                           Die Webseite www.dgb.de/schwer-        Monat, nur 25 Prozent arbeiten in einem unbefristeten Vollzeitverhältnis
 ständig bestreiten zu können“,            punkt/1-jahr-mindestlohn erklärt,      und verdienen mehr als 2.500,- Euro monatlich. 52 Prozent der jungen
 erklärt Dr. Stefanie Janczyk,             was von den Mythen der Gegne-          ArbeitnehmerInnen fühlen sich bei der Arbeit „sehr häufig“ oder „oft“
 Vorstandsmitglied der IG Metall.          rInnen geblieben und warum die         gehetzt oder unter Zeitdruck, das führt häufig zu Qualitätsabstrichen.
 Menschenmesserideologie
                                www.       Kaufkraft gestiegen ist.krü           www.tinyurl.com/DGB-Arbeitsqualitaet                         hei / DGB
 Allerorten wird vermessen,
 bewertet, zertifiziert. PISA ist
 überall. Doch was geschieht
                                           Beliebtes Fach                         Schwung in LABG-Debatte
 hier überhaupt? Leiden immer                 12.000 junge Menschen ha-              Mit einer Tagung am 26. Januar 2016 hat die GEW NRW – koordiniert
 mehr SchülerInnen und Leh-
 rerInnen am Bildungssystem,               ben im Studienjahr 2014 / 2015         vom Landesausschuss der Studierenden und gemeinsam mit verschie-
 weil dasselbe bisher einfach zu           ein erziehungswissenschaftliches       denen Bündnispartnern – den Diskurs zur anstehenden Novellierung des
 wenig vermessen worden ist?               Bachelor-Studium aufgenommen –         Lehrerausbildungsgesetzes (LABG) aufflammen lassen. Nachdem Torsten
 Erziehungswissenschaftler Hans
 Brügelmann im Interview.
                                           so viele wie nie zuvor. Der Daten-     Bultmann vom Bund demokratischer WissenschaftlerInnen die aktuelle
                                           report der Deutschen Gesellschaft      Debatte um die Lehrerausbildung historisch eingeordnet hatte, wurden
                                www.
 Gerechte Steuerabgaben                    für Erziehungswissenschaft (DGfE)      wissenschaftlich fundiert durch Vorträge von Prof. Dr. Heinz Sünker,
 Im Jahr 2013 besaßen die obe-             bestätigt: Mehr als 50.000 Studie-     Universität Wuppertal, und Mandy Gratz, freier zusammenschluss von stu-
 ren zehn Prozent der Haushalte            rende waren in einem Hauptfach         dentInnenschaften, die grundsätzliche Ausrichtung des Lehramtsstudiums
 in Deutschland fast 52 Prozent            der Erziehungswissenschaft ein-        und Inklusion als Herausforderung für die Lehrerausbildung diskutiert.
 des Nettovermögens. Gleichzei-
 tig werden diese fast nirgendwo           geschrieben – davon über 38.000        In der Diskussion mit Landtagsabgeordneten wurde der LABG-Entwurf
 steuerlich so stark geschont wie          im Bachelor und über 13.000 im         scharf kritisiert, denn eine Masterplatzgarantie enthält er nicht, er verbietet
 hierzulande. Der DGB kämpft               Master. Knapp 80 Prozent von ih-       bestimmte Fächerkombinationen und bringt nur minimale Verbesserung
 für eine gerechte Besteuerung.
                                           nen sind Frauen.       krü / DGfE     für Studierende in auslaufenden Studiengängen.  Marvin Weißmann
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
nds 2-2016 7

KOSTENFREIE   NACHHILFE   NACH   VERSCHIEDENEN   SCHULARTEN
Angaben von Eltern zum Schuljahr 2014 / 2015 in Prozent

       insgesamt                          nach   Organisationsform
           N = 579
                      keine
                      Angaben
                                                           20
                      5                            Halbtagsschulen

                                                            25
        69             26
                                                   offene Ganztagsschulen
  kostenpflichtig
                                                                34
                                                   gebundene Ganztagsschulen

Quelle: Bertelsmann Stiftung „Nachhilfeunterricht in Deutschland: Ausmaß –     Der Frauenausschuss des DGB NRW unterstützt den Forderungskatalog, der unter dem
Wirkung – Kosten“, 2016                                                        Hashtag #ausnahmslos veröffentlicht wurde.                     Foto: DGB NRW

Ganztag statt klassischer Nachhilfe                                            Hashtag #ausnahmslos
   Die Ende Januar 2016 vorgelegte Studie der Bertelsmann Stiftung                 Für GewerkschafterInnen ist der Einsatz gegen Sexismus Teil ihres
untersucht Ausmaß, Wirkung und Kosten des Nachhilfeunterrichts. Bildungs-      Grundverständnisses. Der Frauenausschuss des DGB NRW unterzeichnete
forscher Prof. Dr. Klaus Klemm und Erziehungswissenschaftlerin Dr. Nicole      jetzt den Forderungskatalog, den das Bündnis „#ausnahmslos“ – darun-
Hollenbach-Biele haben dazu Anfang 2015 über 4.000 Eltern befragt.             ter Journalistin Kübra Gümüsay, Autorin Anne Wizorek und Bloggerin
Bundesweit investieren sie im Durchschnitt 87,- Euro monatlich in Nach-        Emine Aslan – veröffentlicht hat. Insbesondere nach den Ereignissen
hilfestunden. Mit dem Wechsel von Grund- zu weiterführenden Schulen            in der Silvesternacht in Köln muss die Forderung, die Schutzlücken im
steigt der Nachhilfebedarf: Erhalten in der Grundschule knapp fünf Prozent     Straftatbestand der sexuellen Nötigung sowie der Vergewaltigung zu
der Kinder Nachhilfe, sind es in in der Sekundarstufe I und II insgesamt       schließen, lauter denn je sein. Unter „Gegen sexualisierte Gewalt und
rund 18 Prozent. Am häufigsten verbreitet ist die Lernunterstützung            Rassismus. Immer. Überall. #ausnahmslos“ setzen sich die Verfasserinnen
an Gymnasien (18,7 Prozent). Offensichtlich findet ein nennenswerter           unter anderem für folgende politische Lösungen ein: Die Arbeit der Bera-
Teil dessen, was befragte Eltern als Nachhilfeunterricht wahrnehmen,           tungsstellen muss gestärkt und ihr Angebot ausgebaut werden. Zudem
in Ganztagsschulen in Fördergruppen statt. Wenn diese Interpretation           muss die Gesetzeslage angepasst werden, denn sexuelle Belästigung
zutrifft, gelingt es dem Ganztag die Bedeutung des klassischen Nachhilfe-      ist in Deutschland immer noch keine eigenständige Straftat. Auch eine
unterrichts durch schulinterne Angebote zur individuellen Förderung            geschlechtersensible Pädagogik kann (sexualisierter) Gewalt vorbeugen.
zurückzudrängen, schlussfolgert die Studie. krü / Bertelsmann Stiftung        www.ausnahmslos.org                       krü / Bündnis ausnahmslos

Gleiche Besoldung für alle Lehrkräfte Integration beginnt in der Kita
   Am 22. Januar 2016 veröffentlichte die GEW NRW das Rechtsgutach-               Anfang März 2015 besuchten in Nordrhein-Westfalen 539.150 Kinder
ten zur Frage der Besoldungsgerechtigkeit der Lehrkräfte von Prof. Dr.         unter sechs Jahren ein Angebot der Kindertagesbetreuung – davon
Ralf Brinktrine, Universität Würzburg. Zusammen mit Dorothea Schäfer,          hatte etwa jedes dritte Kind mindestens ein Elternteil, das nicht in
Vorsitzende der GEW NRW, stellte der Jurist die Ergebnisse im Rahmen           Deutschland geboren wurde. Bei annähernd jedem vierten Kind wird zu
einer Landespressekonferenz vor. Zahlreiche PressevertreterInnen, darunter     Hause überwiegend nicht Deutsch gesprochen. In Hamm (51,6 Prozent)
die Deutsche Presse-Agentur dpa, stellten im Landtag NRW ihre Fragen.          und Gelsenkirchen (49,2 Prozent) hatte Anfang März 2015 etwa jedes
Diese konzentrierten sich unter anderem auf die Finanzierbarkeit der           zweite betreute Kind mindestens ein Elternteil, das nicht in Deutschland
Folgerung, die aus dem Gutachten zu ziehen ist: Grundschullehrkräf-            geboren wurde. Die niedrigsten Anteile ermittelten die StatistikerInnen
ten und Lehrkräften der Sekundarstufe I steht die gleiche Besoldung            für die Kreise Coesfeld (10,2 Prozent) und Höxter (15,7 Prozent). Bei
zu – nämlich A 13 Z. Prof. Dr. Ralf Brinktrine machte deutlich, dass es        den Familien, die sich zu Hause überwiegend in einer Fremdsprache
für den Gesetzgeber keine Option ist, aus Gründen der Sparpolitik die          unterhalten, wiesen die Städte Gelsenkirchen (38,9 Prozent), Duisburg
Besoldung nicht korrekt zu zahlen. Dorothea Schäfer zeigte auf, dass die       (38,6 Prozent) und Wuppertal (34,1 Prozent) die höchsten Quoten auf.
Rechtslage dem Gesetzgeber gebietet, die Einordnung aller LehrerInnen          Umso wichtiger ist es, Zugewandete bereits im frühen Kindesalter zu
in das zweite Einstiegsamt der Laufbahngruppe 2 (ehemaliger höherer            integrieren: „Die Kita soll für alle Kinder offen sein – unabhängig davon,
Dienst) vorzunehmen. Dies müsste der Landesregierung spätestens bei der        ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Vor allem für die
Einführung der neuen Lehrerausbildung in 2009 klar gewesen sein. Die           Kinder, die zu Hause mit der Familie kein Deutsch sprechen, kann und
ausführliche Berichterstattung in der örtlichen wie länderübergreifenden       muss die Kita der Ort sein, an dem sie mit der Sprache in Berührung
Presse zeigte, dass die GEW NRW zur richtigen Zeit die Anerkennung des         kommen. Sprache ist der Schlüssel für gute Integration von Anfang an“,
Lehrberufs mit identischer Ausbildungsbiografie angesprochen hat. Mehr         sagt dazu Joyce Abebrese, Referentin für Jugendhilfe und Sozialarbeit
dazu ab Seite 29.                                             Ute Lorenz      der GEW NRW.                                                 krü / IT.NRW
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
Fotos: eritropel, .marqs /photcase.de
8 BILDUNG

Ausbildung und Studium für Schulsozialarbeit im Wandel

Spezialisiert und vernetzt
Wie können die Ausbildung und das Studium für zukünftige
SchulsozialarbeiterInnen attraktiver und zielführender gestaltet
werden? Auch in Nordrhein-Westfalen beschäftigen sich Hoch-
schulen seit einiger Zeit mit entsprechenden Modellen und
Angeboten – zum Beispiel die Fachhochschule Dortmund.

   Vor einigen Semestern erreichte mich über die    zu kompensieren oder in den an Schulen im-          Vertiefendes Lernen ermöglichen
Dortmunder Koordinatorin für Schulsozialarbeit,     mer beliebter werdenden Trainingsräumen auf             Moderne Schulsozialarbeit braucht vor allem
Heike Niemeyer, folgende ungewöhnliche Anfra-       „Kundschaft“ zu warten – also auf SchülerInnen,     AbsolventInnen, die sich sehr gut vernetzen,
ge: „Nicole, ich habe aufgrund der Investitionen    die im Unterricht stören oder aus anderen           analytisch denken und flexibel agieren können.
im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes         Gründen eine Auszeit brauchen, bei der die          Sie sollen beraten und intervenieren können
derzeit 80 freie Stellen in der Schulsozialarbeit   Schulsozialarbeit sie begleiten soll. Auch sind     und vor allem eine Schnittstellen- und Vermitt-
zu besetzen. Kannst du mir gute AbsolventInnen      sie keine Pausenaufsichten oder Spielzeug-          lungsfunktion übernehmen.
empfehlen?“ Eine derartige Anfrage gab es noch      verleihdienste, sondern ernst zu nehmende               Bei guten Rahmenbedingungen, wie unbe-
nie und wird es sicher in Zukunft während mei-      PartnerInnen in einem Netzwerk von allen an         fristeten Vollzeitstellen, räumlicher, technischer
ner Zeit als Hochschullehrerin auch nicht noch      Schule beteiligten Personen.                        und finanzieller Ausstattung, einer Betreuungs-
einmal geben. Diese Frage hat allerdings eine                                                           relation von 1:150 und einer kooperierenden
                                                    An vielen Hochschulen nicht etabliert
Welle von weiteren Gedanken ausgelöst, die sich                                                         Schulleitung sowie einem Kollegium, das un-
um die Ausbildungsqualität der zukünftigen             SchulsozialarbeiterInnen sollten kontinu-
                                                    ierlich und am besten in gemischtgeschlecht-        terstützend wirkt und Hilfe annehmen sowie
SchulsozialarbeiterInnen drehen.
                                                    lichen Teams an einer Schule tätig sein und         geben kann, können und sollen Schulsozialarbei-
Hochprofessionell, aber unterbezahlt                mit Lehrkräften gemeinsam am ganzheitlichen         terInnen auch präventiv und unterstützend ar-
und unterschätzt                                    Bildungs- und Erziehungsauftrag arbeiten. Als       beiten und Einzelfallhilfen, sozialpädagogische
   Spätestens mit dem Bundeskongress Schulso-       BeziehungsarbeiterInnen bedürfen sie einer          Gruppenarbeiten und sozialraumorientierte
zialarbeit, der am 4. und 5. Dezember 2015 an       kontinuierlichen Präsenz in der Schule. Darüber     Projekte anbieten.
der Fachhochschule Dortmund stattfand, und          hinaus leistet die Schulsozialarbeit wichtige           Um das zu lernen, reicht ein grundständiges
der dort proklamierten Forderung nach 60.000        Netzwerkarbeit mit außerschulischen Koopera-        Studium nicht aus. Derzeit entwickeln die jewei-
zusätzlichen Stellen ist deutlich geworden, dass    tionspartnern im Sozialraum. In diesem Kontext      ligen Fachbereiche daher sogenannte profilbil-
die Schulsozialarbeit ein boomendes Arbeitsfeld     kommt der Schulsozialarbeit auch als Baustein       dende Bachelor- und/oder Masterstudiengänge.
mit hohen Ansprüchen, Anforderungen und             von Schulentwicklung eine bedeutende Rolle zu.      Hierbei wird, wie beispielsweise an der Fach-
Herausforderungen geworden ist.                        Um diese Aufgabe leisten zu können, reicht       hochschule Dortmund seit einigen Semestern,
   Die immer noch zu einem großen Teil unterbe-     ein grundständiger Bachelorabschluss Soziale        interessierten Studierenden die Möglichkeit
zahlte und dennoch hochprofessionell agierende      Arbeit, wie er bisher die Basisausbildung der       geboten, sich während des Studiums bereits
und daher dringend benötigte und bisher häufig      AbsolventInnen abbildet, nicht aus. Das Bache-      mit für die Schulsozialarbeit relevanten Themen-
nur als „Feuerwehr im Schulkontext“ wahrgenom-      lorstudium Soziale Arbeit bereitet grundsätzlich    bereichen vertiefend auseinanderzusetzen.
mene Profession ist zu einer ernst zu nehmenden     erst einmal auf alle Handlungsfelder der sozialen       Für das von der Fachhochschule Dortmund
Kooperationspartnerin geworden. Sie hat es sich     Arbeit vor. Ob die Schulsozialarbeit nun explizit   und der Landesarbeitsgemeinschaft Schulsozial-
als Anwältin für Kinder, Jugendliche und junge      dabei ist, hängt in ganz Deutschland von der        arbeit NRW ausgestellte Zertifikat über den
Erwachsene zur Aufgabe gemacht, als intensivste     Stellensituation an Hochschulen und dem En-         erfolgreichen Abschluss des Profils werden die
Form der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und         gagement einzelner KollegInnen ab, die dieses       regelmäßige und erfolgreiche Teilnahme beschei-
Schule zu agieren.                                  Arbeitsfeld beforschen und dort lehren. Es ist      nigt und die Noten der absolvierten Prüfungen
   Hiermit sei noch einmal deutlich hervorgeho-     also durchaus möglich, dass StudentInnen der        aufgeführt sowie die weiteren besuchten außer-
ben: SchulsozialarbeiterInnen sind nicht dazu da,   Sozialen Arbeit der Schulsozialarbeit während       hochschulischen Veranstaltungen aufgelistet.
Lehrkräften zu assistieren, Unterrichtsausfälle     ihres Studiums gar nicht begegnen.                  Zu den Veranstaltungen gehören:
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
nds 2-2016 9

                                                                                                        Nachgefragt

                                                                                                                          Markus Klecker
                                                                                                                          Pädagogischer Mitarbeiter
                                                                                                                          im Fortbildungsdezernat
                                                                                                                          der Bezirksregierung Arnsberg

                                                                                                        nds: Welchen Stellenwert hat Fort- und Weiterbil-
                                                                                                        dung in der Schulsozialarbeit?
                                                                                                        Markus Klecker: Da nur wenige Fachkräfte wäh-
                                                                                                        rend ihrer Ausbildung geahnt haben, später ein-
                                                                                                        mal am Arbeitsplatz Schule tätig zu sein, können
                                                                                                        Fortbildungen in der Schulsozialarbeit den not-
                                                                                                        wendigen Brückenschlag zwischen Sozialer Arbeit
                                                                                                        und Schulpädagogik bieten. Hinzu kommt, dass
                                                                                                        die Angebote einen besonderen Stellenwert in der
                                                                                                        Vernetzung der jeweiligen Fachkräfte haben, die in
                                                                                                        den jeweiligen Schulen ja häufig fachlich alleinge-
                                                                                                        stellt sind.
◆◆ Einführung in das Handlungsfeld Schulso-        Gesellschaftliche Entwicklungen                      Im Sinne der Nachhaltigkeit richten sich Fort-
                                                                                                        bildungen der Dezernate für Lehreraus- und
   zialarbeit                                      im Blick                                             -fortbildung daher immer an bestehende Netz-
◆◆ Empirisches Forschungsprojekt zu einer             Die meisten Bachelorstudiengänge haben sich       werkgruppen oder beinhalten zum Beispiel in
   Forschungsfrage aus dem Handlungsfeld           sicherlich auch auf die im Arbeitsfeld immer deut-
                                                                                                        Einstiegsfortbildungen die obligatorische Bildung
   Schulsozialarbeit                                                                                    von Peer-Gruppen, die auch nach Fortbildungsende
                                                   licher werdende Heterogenität von Lerngruppen        häufig weiterbestehen. Dies geschieht jeweils in
◆◆ Handlungs-, Sozial- und Selbstkompetenzen
                                                   und die damit verbundenen Herausforderungen          engem Dialog zwischen schulfachlichen Aufsichten
   in der Schulsozialarbeit                                                                             und den Fortbildungsdezernaten mit der Zielset-
                                                   eingestellt und zeigen in ihren theoretischen
◆◆ Grundlagen zur Gerechtigkeit im Bildungs-                                                            zung, die aufgabenspezifische Professionalisierung
                                                   und empirischen Ausrichtungen und der klaren         der Fachkräfte zu unterstützen.
   wesen
                                                   Orientierung an der Praxis, dass sie die gesell-
◆◆ Einführung in Themen des Kindeswohls und                                                             Wie haben sich die Themen für die Fort- und Wei-
                                                   schaftlichen Entwicklungen im Blick haben. Sie       terbildung in den letzten Jahren verändert, ins-
   dessen Gefährdung
                                                   sorgen zudem dafür, dass beispielsweise eine         besondere in Hinblick auf migrationsspezifische
◆◆ Praxissemester (100 Tage Vollzeit) in einer                                                          Schulsozialarbeit?
                                                   fundierte rechtliche Ausbildung und psycho-
   Schule                                                                                               Sowohl durch den Inklusionsprozess als auch durch
                                                   logische Orientierung als auch soziologische
◆◆ Sozialpädagogische Projekte planen, durch-                                                           die Arbeit mit Migranten- und Flüchtlingskindern
                                                   sowie politische Diskurse stattfinden können.        rücken individuelle Unterstützungs- und Beratungs-
   führen, evaluieren
                                                      An für das Arbeitsfeld an der Schnittstelle       konzeptionen verstärkt in den thematischen Blick-
◆◆ Beratungskompetenzen
                                                   zwischen Jugendhilfe und Schule hoch moti-           winkel. In diesen Fortbildungen wird ein umfas-
◆◆ Konzeptentwicklung                                                                                   sender Blick darauf geworfen, wo Möglichkeiten
                                                   vierten StudentInnen mangelt es sicher nicht,
◆◆ Netzwerkarbeit                                                                                       und Grenzen der Schulsozialarbeit in derartigen,
                                                   eine Hürde zur Nachwuchsgewinnung könnten            gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozessen
◆◆ Bachelorarbeit zu einem Thema der Schul-
                                                   höchstens die immer noch nicht ausreichenden         liegen. Dahingegen hat die ehemals zentrale Fra-
   sozialarbeit                                                                                         gestellung der Rollenklärung und konzeptionellen
                                                   Rahmenbedingungen und die Zufälligkeit einer
Zusätzlich zu diesen Veranstaltungen aus dem                                                            Verankerung sozialer Arbeit in Schulen deutlich an
                                                   gezielten Ausbildung für diesen Beruf sein. //
Bachelorstudiengang Soziale Arbeit werden                                                               Bedeutung verloren.
erwartet:                                                                                               Wie unterstützt speziell das Fortbildungsdezer-
◆◆ die Teilnahme an mindestens einer Tagung                                                             nat in Arnsberg die Fachkräfte der Schulsozial-
   zum Themenfeld Schulsozialarbeit                                                                     arbeit?

◆◆ die Teilnahme an mindestens einer externen                                                           Neben einer Einstiegsqualifizierung, die wir ent-
                                                            LWL: Jugendhilfe-aktuell, Schwerpunkt-
                                                                                                        sprechend der Einstellungen in den Landesdienst
   Veranstaltung der Landesarbeitsgemeinschaft     PDF      thema Schulsozialarbeit (Ausgabe 2/2011)
                                                                                                        regelmäßig anbieten, ist für uns die Planungs-
   Schulsozialarbeit NRW (LAG Schulsozialarbeit)            www.tinyurl.com/Jugendhilfe-aktuell
                                                                                                        gruppe „Schulsozialarbeit“ tätig. Hier wirken ver-
◆◆ die Teilnahme an einer gemeinsamen Veran-                Bundeskongress Schulsozialarbeit: Die       schiedene Fachkräfte als ModeratorInnen mit.
                                                   PDF      Dortmunder Erklärung                        Sie bringen ihre eigene langjährige Erfahrung in
   staltung mit Studierenden des Lehramtes der              www.tinyurl.com/DO-Erklaerung               die Begleitung der Netzwerkgruppen der Schul-
   Technischen Universität Dortmund                                                                     sozialarbeit ein und entwickeln bedarfsgerechte
Weitere spezialisierte und vernetzte Studien-                                                           Fortbildungsangebote. Zudem finden für die Re-
gänge finden sich derzeit an den Lehrstühlen von                                                        gionalgruppen der Schulsozialarbeit an Gesamt-
                                                                  Prof. Dr. Nicole Kastirke             schulen in etwa anderthalbjährigen Abständen
Prof. Dr. Anke Spies der Universität Oldenburg
                                                                                                        Fortbildungstage statt. Für die Berufskollegs gibt
und von Prof. Dr. Elisabeth Schlemmer an der                      Professorin für Erziehungswissen-
                                                                                                        es die sogenannten Regionalkonferenzen, die eine
                                                                  schaft mit Schwerpunkt Schul-
PU Weingarten, wo jeweils Lehramtsstudierende                                                           Mischform aus Dienstbesprechung und Fortbil-
                                                                  sozialarbeit an der Fachhochschule
und Studierende der Sozialen Arbeit in Phasen                                                           dungsangebot darstellen.
                                                                  Dortmund
                                                                                                                  Die Fragen für die nds stellte Anja Heifel.
des Studiums gemeinsam lernen.
Perspektiven für moderne Schulsozialarbeit
10 BILDUNG

Migrationsspezifische Schulsozialarbeit

                                                                                                                                                                   Fotos: Nordreisender (l.), view7 (r.) / photocase.de
Fundament für eine
erfolgreiche Schullaufbahn
An der Max-von-der-Grün-Abendrealschule im Dortmunder Unionviertel
gelingt vielen Studierenden das, was ihnen an regulären Tagesschulen nicht
möglich war: ein Schulabschluss, der den Weg für die Berufslaufbahn ebnet.
Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eine große Portion Motivation –
und helfende Hände von Lehrerkollegium und Schulsozialarbeit, die da sind,
wenn sie gebraucht werden.

   Ein Donnerstag im Dortmunder Unionviertel.        selbst. Eines aber haben viele gemeinsam: einen        zu ermutigen und zu motivieren. Ich setze al-
Es ist still in dem großen, grünen Gebäude der       Migrationshintergrund. „Der Anteil der auslän-         les daran, immer im Gespräch zu bleiben, um
Max-von-der-Grün-Abendrealschule. Letzter Schul-     dischen Studierenden an unserer Schule beträgt         Probleme entweder erst gar nicht entstehen zu
tag im Wintersemester, leere Klassenzimmer und       zurzeit rund 70 Prozent“, erklärt Schulleiter Falko    lassen oder eben sofort da zu sein, wenn es mal
leere Flure. Noch! Später, am Nachmittag, wird       Grunau. Der Grund: „Gerade Jugendliche nicht-          schwierig wird.“
es fröhlich und laut. Die Studierenden kommen,       deutscher Herkunft gehen an Tagesschulen oft
                                                                                                            Individuelle Geschichten: Schulsozialar-
um ihre Zeugnisse entgegenzunehmen – 43              unter; der Anteil derer, die scheitern, liegt bei 15
                                                                                                            beit für MigrantInnen und Geflüchtete
davon gehören zur Abschlussklasse. Sie haben         Prozent. Bei uns an der Abendrealschule haben
die Fachoberschulreife erreicht, 14 von ihnen mit    die Jugendlichen und jungen Erwachsenen die                Was braucht Schulsozialarbeit zusätzlich
Qualifikationsvermerk. Hinter den kleinen, offi-     Gelegenheit, ihre Schulabschlüsse nachzuholen.“        neben der üblichen Unterstützung, wenn sie
ziellen Papieren der AbsolventInnen verbergen           Damit der zweite Anlauf von Erfolg gekrönt          an einer Schule erfolgreich sein soll, an der ein
sich 43 Geschichten. Ganz individuelle und oft       ist, braucht es eine große Portion Mut und             Großteil der Studierenden aus anderen Ländern
nicht ganz einfache Geschichten von Menschen,        Durchhaltevermögen von den Studierenden –              stammt? „Generell unterscheide ich nicht da-
die an der Abendrealschule zwei Jahre lang für       und Menschen, die sie unterstützen, wenn es            nach, aus welchem Land die jungen Menschen
einen Abschluss gekämpft haben. Menschen,            mal schwierig wird. Solche Menschen gibt es            kommen, welche Sprache sie sprechen – doch es
die auf dem zweiten Bildungsweg das geschafft        an der Abendrealschule viele: engagierte und           ist natürlich so, dass ein Studierender, der aus
haben, was ihnen an einer regulären Tagesschule      erfahrene LehrerInnen, Schulleiter Falko Grunau        Bangladesch kommt und als Minderjähriger
unerreichbar erschien.                               und seit fast fünf Jahren auch Driton Gashi. Der       aus seinem Heimatland geflüchtet ist, einfach
                                                     Schulsozialarbeiter begleitet die Studierenden         andere Probleme hat als ein deutscher Mutter-
Schulsozialarbeit und Lehrerkollegium:
                                                     mit viel Engagement und Herzblut.                      sprachler oder eine türkische Schülerin, die in der
Hand in Hand für die zweite Chance
                                                                                                            dritten Generation hier lebt. Deutschstämmige
   Die Bildungsbiografien der AbsolventInnen         Präventiv arbeiten: Kontakt halten                     Studierende und die MigrantInnen der dritten
sind so unterschiedlich wie die Studierenden         und Mut machen                                         Generation unterstützen die neu Zugewanderten
                                                        Ob Bewerbungen schreiben, Praktika suchen,          sehr. Ihre Hilfsbereitschaft ist enorm“, sagt Driton
 Ich bin selbst erstaunt, wie viel in den letzten    Anträge für eine Ausbildungsförderung oder das         Gashi begeistert. Freundschaften entstehen,
 Jahren in Sachen Schulsozialarbeit an der Max-      Bildungs- und Teilhabepaket ausfüllen sowie            Alltagshilfe wird angeboten, Sprachkenntnisse
 von-der-Grün-Abendrealschule passiert ist. Un-
 zählige Studierende voller Tatendrang und
                                                     ganz persönliche Probleme – der Schulsozial-           werden verbessert. Für viele neu Zugewanderte
 Motivation haben meine Sprechstunde aufge-          arbeiter steht mit seiner Erfahrung zur Seite.         sind die Kontakte in der Schule sehr wichtig,
 sucht. Aber auch solche, die voller Selbstzwei-     „Psychische Probleme treten bei uns auf dem            da sie sonst in ihrem Alltag sehr wenige Mög-
 fel waren und viel Zuspruch und motivierende        zweiten Bildungsweg schon manchmal auf. Mei-           lichkeiten haben, zur Mehrheitsgesellschaft
 Worte für ihren mühsamen Weg zum begehrten
 Schulabschluss brauchten. Dass das Handlungs-       ne Aufgabe ist es, die Studierenden aufzufangen,       Zugang zu finden.
 feld Schulsozialarbeit vielfältig ist, hören wir    einen vertraulichen Rahmen zu schaffen. Viele              In der Beratung geht es um Themen wie Ver-
 oft in der Theorie. Als Praktiker kann ich dieser   müssen erst einmal lernen, dass Schule nicht           lust von Heimat und um Trauer. Um schwierige
 These voll zustimmen: Ja, unsere Arbeit bündelt     per se etwas Schlimmes ist.“                           Lebensverhältnisse, wenn Angehörige nachge-
 verschiedene pädagogische Schwerpunkte, sie
 erfordert ständige Fortbildung und Selbstrefle-        An oberster Stelle steht für den 40-Jährigen        zogen sind und nun alle zusammen auf engem
 xion. Sie stellt insgesamt eine tägliche Heraus-    dabei die präventive Arbeit. „Denn wer es bei          Raum leben. Der Umgang damit erfordert eine
 forderung für alle Beteiligten dar.                 uns nicht schafft, steht ohne Schulabschluss da.       hohe interkulturelle Kompetenz. Dass der Schul-
             Driton Gashi, Schulsozialarbeiter      Am wichtigsten ist deshalb, die Studierenden           sozialarbeiter diese mitbringt, liegt auch daran,
nds 2-2016 11

                                                                                                                                Driton Gashi (o. r.) hat mit den Studierenden
                                                                                                                                der Abendrealschule das Projekt „Das Union-
                                                                                                                                viertel spricht viele Sprachen“ auf die Beine
                                                                                                                                gestellt, das als Ausstellung durch Dortmund
                                                                                                                                wandert. Auf rund 50 verschiedene Mutter-
                                                                                                                                sprachen sind sie dabei gestoßen (o. und u. l.).
                                                                                                                                Mit dem regelmäßigen Musikworkshop hat
                                                                                                                                der Schulsozialarbeiter den Nerv der jungen
                                                                                                                                Erwachsenen getroffen (u. r.).
                                                                                                                                 Fotos: Max-von-der-Grün-Abendrealschule

                                                      sprechen drei, vielleicht vier Sprachen: russisch,        nommen. Das steigert wiederum den Mut, sich
 Schulsozialarbeit erweitert und vertieft das
 wichtige Aufgabengebiet Beratung. Der Bera-          türkisch, arabisch, italienisch. Wir wollten aber         hier zu engagieren, Deutsch zu lernen und sich
 tungsbedarf ist in einer hochkomplexen Gesell-       jede Sprache erwähnen, die bei uns an der                 zugehörig zu fühlen. Darum geht es!
 schaft und Bildungslandschaft in den letzten                                                                      Die Zeugnisübergabe neigt sich dem Ende zu,
                                                      Schule und im Unionviertel gesprochen wird
 Jahren enorm gewachsen. Insofern ist es natür-
 lich für Zugewanderte essenziell, kompetent be-      und sind dabei auf Muttersprachen gestoßen,               die letzte Studentin nimmt ihr Zeugnis entgegen.
 raten zu werden. Schulsozialarbeit leistet hier in   von denen viele von uns vorher kaum gehört                Zwischen den stolzen AbsolventInnen stehen
 Verbindung mit Beratungslehrkräften und den          hatten. Zum Beispiel Tigrinya, das wird in Eritrea        Schulsozialarbeiter Driton Gashi, Schulleiter
 vielen Netzwerkpartnern in Stadt und Land un-                                                                  Falko Grunau und das Lehrerkollegium. In ihren
 schätzbare Dienste, immer unter besonderer           gesprochen, Luo in Kenia oder Igbo in Nigeria“,
 Wertschätzung der Ratsuchenden und stärkend          erzählt Schulleiter Falko Grunau.                         Gesichtern spiegelt sich der Stolz wider, den die
 im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe. Integration       Viele dieser Sprachen sind in den Heimat-              AbsolventInnen empfinden. „Momente wie diese
 in eine Schule und in eine Gesellschaft können                                                                 sind der Lohn für unsere Arbeit“, sagt Driton
                                                      ländern der Studierenden nicht anerkannt und
 nur gelingen, wenn es ein deutliches Engage-                                                                   Gashi. „Zu sehen, wie bestärkt und ermutigt
 ment dieser helfenden Hand Schulsozialarbeit         werden in den Schulen dort nicht gesprochen.
 gibt, die allerdings nicht ins Leere greifen darf.
                                                                                                                die Studierenden nach der Zeit bei uns sind
                                                      „Das setzt sich dann hier fort“, musste Driton
 Wenn beide Hände sich aber treffen, dann ge-                                                                   und wie optimistisch sie ihren Weg antreten.“ //
                                                      Gashi bedauernd feststellen. „Für solche Pro-
 lingen nach unseren Erfahrungen Ermutigung,
 Bestätigung und Zuversicht, die letztlich zu ei-     bleme wollten wir ein Bewusstsein schaffen“,
 ner Stabilität und zum Erfolg im Alltag führen.      sagt er weiter. Mit nachhaltigem Erfolg: Rund             www.      Max-von-der-Grün-Abendrealschule
                       Falko Grunau, Schulleiter      50 Sprachen haben die Studierenden im Laufe                         www.ars-do.de
                                                      der Zeit recherchiert und kennengelernt. Die
                                                      Projektausstellung wurde bereits dreimal auf                              Denise Heidenreich
dass er selbst vor 25 Jahren aus dem Kosovo
                                                      verschiedenen Veranstaltungen präsentiert.                                Freie Journalistin
nach Deutschland gekommen ist. „Ich erinnere
                                                      Auch zur Motivation der Studierenden selbst
mich gut daran, wie ich als 15-Jähriger in einer
                                                      trägt das Projekt viel bei: Sie fühlen sich als
internationalen Förderklasse saß und kein Wort
                                                      Person und mit ihrer Muttersprache ernst ge-
verstanden habe. Wichtig ist es, Menschen mit
Migrationshintergrund nie das Gefühl zu geben,
dass sie etwas nicht können. Ich begegne daher         Systemische Beratung bei privaten Problemen
allen Studierenden auf Augenhöhe.“                     Systemische Beratung nimmt bewusst nicht nur             Mit jedem einzelnen Fall müssen SozialpädagogInnen
                                                       den einzelnen Menschen in den Blick, sondern zielt       sensibel umgehen. Die Gespräche brauchen Zeit und
Stadtteilprojekt: Das Unionviertel
                                                       auf die gesamte Umgebung, in der er sich bewegt.         fordern Kraft. Die Kooperation mit Beratungsstellen
spricht viele Sprachen                                 Sie fußt auf der Erkenntnis, dass nie nur Einzelne       wie dem Jugendamt, Regionalen Bildungsbüros oder
   Dazu gehört auch, die jungen Menschen in            an Problemen beteiligt sind. Es sind zumeist meh-        schulpsychologischen Stellen ist dabei unverzichtbar,
                                                       rere Personen, die Einfluss nehmen.                      eine Vermittlung aber nicht immer erfolgreich. Einige
ihrer Persönlichkeit und in ihrer Muttersprache
                                                                                                                junge Menschen schaffen den Weg zu einer Fachbera-
ernst zu nehmen und wertzuschätzen. Vor zwei           Das Ziel Systemischer Beratung ist, in den Beteiligten
                                                       vorhandene Kräfte zu wecken. Auf diese Weise finden      tung aus Schamgefühl oder aus Angst nicht. Hier hat
Jahren entstand daraus die Idee zum Sprachen-                                                                   die Schulsozialarbeit eine ganz besondere Verantwor-
                                                       Ratsuchende Problemlösungen mit einem konkreten
projekt „Das Unionviertel spricht viele Sprachen“.     Ziel vor Augen. Mit einem systemischen Beratungs-        tung: Sie gibt den jungen Menschen Halt und fängt
„Wir wollten zeigen, wie viele Sprachen bei uns        ansatz sollen die jungen Erwachsenen und teilweise       sie auf. SchulsozialarbeiterInnen begleiten – wenn nö-
                                                       ihre Eltern und PartnerInnen Impulse erhalten, um        tig bis vor eine Klinik oder eine Beratungsstelle.
in der Schule und im Unionviertel eigentlich ge-
                                                       Wege der Veränderung zu finden.                                              Driton Gashi, Schulsozialarbeiter
sprochen werden. Oft heißt es ja, MigrantInnen
12 BILDUNG

Bochumer Memorandum 2011 bis 2017: Ausbildungsmarkt

Der Traum von der
Ausbildungsgarantie

                                                                                                                                                               Foto: suze, jUliE:p / photocase.de
Den hohen Anspruch einer Ausbildungsgarantie hat die Landes-
regierung mehrfach selbst formuliert. Das Bochumer Memo-
randum nimmt sie beim Wort und fragt: Wie ist es um den
Ausbildungsmarkt in NRW bestellt? Konnte Rot-Grün das selbst
gesteckte Ziel erreichen?

   „Wir werden den im Ausbildungskonsens            immer einen bestimmten Anteil an Jugendlichen        100 BewerberInnen von einem auswahlfähigen
beschlossenen Weg des Umbaus des Über-              gibt, die suchend gemeldet sind, ging das Bo-        Angebot. Angesichts dieser Definition ist das im
gangssystems Schule – Beruf konsequent wei-         chumer Memorandum von einer Restgröße an             Bochumer Memorandum von 2011 definierte
tergehen. Wir wollen dafür sorgen, dass jede        unversorgten Jugendlichen von drei Prozent aus.      Ziel bescheiden: Demnach sollte das Angebot
und jeder Jugendliche einen ‚Anschluss an den          Die Dunkelziffer ist allerdings deutlich höher,   in keiner Region unter 90 Stellen pro 100 Be-
Abschluss‘ erhält und so eine Ausbildungsga-        weil viele Jugendliche aus der Erfassung segre-      werberInnen fallen.
rantie ermöglichen. Der Bildungsweg soll ohne       gieren. So verbleiben etwa 20 Prozent jedes
Warteschleifen in eine Ausbildung münden            Altersjahrgangs regelmäßig ohne jede berufliche
können.“ So steht es im Koalitionsvertrag 2012      Qualifizierung. Angesichts fehlender Beschäf-
                                                                                                          Ausbildungsstatistik
bis 2017 der rot-grünen Landesregierung. Damit      tigungsmöglichkeiten für Geringqualifizierte
wurde der Anspruch, der bereits seit 2010 im        entsteht hier eine verfestigte Langzeitarbeits-       Augenwischerei
Koalitionsvertrag galt, fortgeschrieben.            losigkeit bei gleichzeitigem Fachkräftemangel.
                                                                                                          Eigentlich sollten sie die Gesamtdimension des
   Diese von der Landesregierung selbst ge-            Und heute? Die Ergebnisse sind ernüchternd.        Problems realistisch abbilden, doch die Statis-
steckte Zielvorgabe wirkte sich natürlich auf       Trotz einer leichten demografischen Entlastung        tiken der Arbeitsagenturen rechnen die Situation
die im Bochumer Memorandum formulierten             treten wir auf der Stelle. Auch im abgelaufe-         auf dem Ausbildungsmarkt schön.
Leistungsziele zur Bewertung der Ausbildungs-       nen Berufsberatungsjahr 2015 waren 23.251             Die Statistiken der Arbeitsagenturen mit Stichtag
platzsituation aus. 2011benannte das Memoran-       Jugendliche unversorgt. Mit 16,86 Prozent an          30. September 2015 weisen die unversorgten Be-
                                                                                                          werberInnen in zwei getrennten Kategorien aus:
dum zwei zentrale Indikatoren, anhand derer die     Unversorgten bewegt sich der Anteil nahezu            Sie unterscheiden zwischen Unversorgten (6.698
Umsetzung der Ausbildungsgarantie beurteilt         auf Vorjahresniveau und ist auch in der Ent-          Jugendliche) und BewerberInnen mit Alternative
werden kann: zum einen die Zahl der unver-          wicklung seit 2010 fast unverändert geblieben.        (16.553 Jugendliche). Zur zweiten Gruppe gehören
sorgten Jugendlichen an einem bestimmten            Ein beschämendes Ergebnis. Und das obwohl             zum Beispiel auch diejenigen Jugendlichen, die
                                                                                                          berufsschulpflichtig sind und deshalb zwangsweise
Stichtag und zum anderen die regionale Vertei-      die Arbeitgeber im vergangenen Jahr erstmals          einen Bildungsgang am Berufskolleg besuchen.
lung der Stellen im Verhältnis zu den gemeldeten    konkrete Zusagen gemacht hatten: 3.000 zu-            Doch genauso wie die unversorgten Jugendlichen
BewerberInnen. Hat es seit 2011 nennenswerte        sätzliche Ausbildungsverträge sollten demnach         der ersten Gruppe halten auch sie noch Wochen
                                                                                                          nach dem offiziellen Start des Ausbildungsjahres
Veränderungen in diesen Bereichen gegeben, die      abgeschlossen werden. Statt einer erkennbaren
                                                                                                          ihren Vermittlungswunsch aufrecht; ein passendes
auf eine Verbesserung des Ausbildungsmarktes        Steigerung ging die Zahl der abgeschlossenen          Ausbildungsangebot konnte ihnen bis zum Stich-
hindeuten?                                          Verträge jedoch minimal zurück.                       tag jedoch nicht unterbreitet werden.
                                                                                                          Die Darstellung der Arbeitsagenturen folgt politi-
Unversorgte Jugendliche                             Mehr BewerberInnen als Stellen                        schen Vorgaben durch die Bundesebene. Eine He-
   Jedes Jahr am 30. September zieht die Arbeits-      Besonders dramatisch sind die enormen re-          rangehensweise, die die Dimension des Problems
agentur die Bilanz des Berufsberatungsjahres.       gionalen Unterschiede auf dem Ausbildungs-            auf dem Ausbildungsmarkt gewollt herunterspielt.
                                                                                                          Im Ausbildungskonsens besteht seit Längerem eine
Insofern bot sich diese Stichtagsregelung auch      markt, der zweiten Messgröße des Bochumer             Übereinkunft, die Gesamtdimension des Problems
für das Bochumer Memorandum an. Auch Wo-            Memorandums. In fast allen Regionen gibt es           zu benennen. Unverständlich bleibt auch, dass
chen nach Ausbildungsbeginn waren 2010              deutlich mehr BewerberInnen als Stellen. Aus          sich die Regionaldirektion in ihren Presseverlaut-
                                                                                                          barungen nicht der gängigen Praxis im Ausbil-
immerhin noch 17 Prozent der bei den Arbeits-       gewerkschaftlicher Sicht ist der Grundsatz der
                                                                                                          dungskonsens anschließt und damit zu einer
agenturen gemeldeten BewerberInnen – also           Berufswahlfreiheit ein hohes Gut. Das Bundes-         Verharmlosung der Problematik beiträgt.
23.500 Jugendliche – suchend gemeldet. Da es        verfassungsgericht spricht bei 112,5 Stellen pro
nds 2-2016 13

   Doch auch hier gibt es keine positiven Ent-                                   einen leichteren und schnelleren Zugang finden                 Prof. Dr. Bodo Pieroth entsprechende Hand-
wicklungen: Landesweit gab es in Nordrhein-                                      und die viel beschworenen Matchingprobleme                     lungsoptionen auf und verfassungsrechtliche
Westfalen im Berufsberatungsjahr 2015 nur 78                                     in den Griff zu bekommen sind, hat sich bislang                Bedenken können nicht mehr angeführt werden.
Stellen pro 100 BewerberInnen. Die regionalen                                    nicht erfüllt. Außerdem wurden die im Konzept                     Wie es gehen kann, zeigt sich in der Alten-
Disparitäten verschärfen die Gesamtsituation                                     KAoA angedachten ergänzenden Ausbildungs-                      pflege. Hier hat die Landesregierung eine Umlage
weiter. In den Regionen mit einer besonders un-                                  angebote nie realisiert. Anders als die Gewerk-                eingeführt. Und siehe da: Die Ausbildungsplatz-
günstigen Stellen-BewerberInnen-Relation – oft                                   schaften hatten Kammern, Arbeitgeber und                       zahlen konnten in kürzester Zeit um 50 Prozent
sind es die strukturschwachen Regionen – liegt                                   Landesregierung gehofft, der Markt würde die                   gesteigert werden – obwohl es sich nicht um
das Verhältnis der Stellen zu den BewerberInnen                                  Dinge regeln und die rückläufige Demografie                    einen Top-Ten-Beruf handelt, der bei Jugendlichen
fast bei 1 : 2.                                                                  den Rest erledigen – das rächt sich nun. Weder                 ganz oben auf der Wunschliste steht. //
Alternativen zur freiwilligen                                                    in den Referenzregionen, die seit 2011 am Start
Selbstverpflichtung der Wirtschaft                                               sind, noch in den anderen Regionen sind posi-
   Das Bochumer Memorandum fordert kei-                                          tive Tendenzen erkennbar. Das Marktversagen
                                                                                                                                                         Prof. Dr. Bodo Pieroth / Dr. Tristan Barczak:
ne konkreten Instrumente zur Umsetzung der                                       ist offensichtlich und kaum noch zu leugnen.                   PDF      Rechtsfragen einer landesrechtlichen
Ausbildungsgarantie. Es beschränkt sich auf                                      Sind die vorhandenen Instrumente überhaupt                              Berufsausbildungsplatzabgabe
                                                                                 geeignet, um dem Anspruch „Kein Kind zurück-                            www.tinyurl.com/Gutachten-Pieroth
die Frage, ob und inwieweit die Messgrößen
                                                                                                                                                         DGB: Ausbildungsmarkt: Es bleibt viel zu
erreicht werden konnten. Hier bleibt es leider                                   lassen“ gerecht zu werden? Offensichtlich stößt                www.
                                                                                                                                                         tun (Interview mit Elke Hannack)
dabei: Das gewünschte Ziel einer Ausbildungs-                                    die freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft                      www.tinyurl.com/Ausbildungsmarkt-
garantie wurde nicht erreicht und auch von einer                                 an ihre Grenzen. Oder drastischer gesagt: Sie                           Hannack
positiven Tendenz kann nicht die Rede sein.                                      funktioniert nicht!
   Offenbar haben sich die Anstrengungen um                                         Deshalb liegt der Spielball wieder im Feld
eine verbesserte Berufsorientierung im Rahmen                                    der Politik. Sie ist gefordert, die Konsequenzen                              Norbert Wichmann
von „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA)                                       zu ziehen, die der Koalitionsvertrag andeutet.                                Abteilungsleiter für Bildung,
                                                                                                                                                               Berufliche Bildung und Handwerk
nicht auf die Angebotssituation und auf die ab-                                  Der DGB fordert seit Langem eine Umlagefinan-
                                                                                                                                                               des DGB NRW
geschlossenen Ausbildungsverträge ausgewirkt.                                    zierung in der beruflichen Bildung. 2014 zeigte
Die Hoffnung, dass gut orientierte Jugendliche                                   ein Rechtsgutachten des Verfassungsrechtlers

                                                                                                                                                                                                         Anzeige
Unversorgte Jugendliche zum 30. September

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                                                                          2014

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                                                                                                                                                           Meine
Gemeldete Ausbildungsstellen je Bewerber im September 2015
                                                                                                                                                           CREATIVA –
                                                                                                                                                           meine Welt
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                                                                    ip

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                                                              0,8

Beschämendes Ergebnis: Seit 2010 ist der Anteil der unversorgten Jugendlichen na-
hezu unverändert geblieben. Im Berufsberatungsjahr 2015 blieben 16,86 Prozent der
suchend gemeldeten Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz (o.). Besonders dramatisch
sind die starken regionalen Unterschiede in der Stellen-BewerberInnen-Relation (u.).
                                    Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit

                                                                                                            011516_CRE16_AZ_Puppen_90x126_RZ.indd 1                                              15.01.16 11:27
14 BILDUNG

Inklusion und kommunale Verantwortung

Das Tempo an das
Leistbare anpassen

Wie zentral die kommunale Ebene für gelingende Inklusion ist, hat die Onlinebe-                      festen Standards für die Inklusion erschwert.
fragung der GEW NRW deutlich gezeigt: Bei 50 Prozent der allgemeinen Schulen                         Zudem sind die Kommunen bei ihrer Schulent-
und 40 Prozent der Förderschulen gibt es keinen inklusiven Schulentwicklungs-                        wicklungsplanung zunehmend vor immense He-
plan der Kommune. Weit über die Hälfte der allgemeinen Schulen beklagt eine                          rausforderungen gestellt: Die Kumulation von
unzureichende Material- und Raumausstattung. Es fehlen Anlaufstellen vor Ort,                        Inklusion, Beschulung von geflüchteten Kindern
die Schulen in Inklusionsfragen unterstützen können. Dr. Bernd Jürgen Schneider,                     und demografischem Wandel bringt eine starke
Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, im Gespräch über                            Veränderung der Schullandschaft mit sich. Die
kommunale Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten.                                                  steigenden Anforderungen an die Schulentwick-
                                                                                                     lungsplanung sind zurzeit für einige Kommunen
Die Schulen in NRW verfügen laut Online-          oder in der Haushaltssicherung können nicht so     kaum leistbar. Gerade in kleineren Kommunen
befragung nur zum Teil oder gar nicht über        viel tun wie es pädagogisch wünschenswert wäre.    muss oftmals auf externen Sachverstand zurück-
eine ausreichende Materialausstattung zum         Dass die Qualität des inklusiven Unterrichts bei   gegriffen werden. Bis ein Orientierungsrahmen
differenzierten Lernen und über geeignete         Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen         für die Inklusion vorliegt, muss das Tempo an das
Räume. Hier stehen die Kommunen als Schul-        von den unterschiedlichen finanziellen Mög-        Leistbare angepasst werden. Dazu gehört auch,
träger in der Verantwortung und es besteht        lichkeiten der Kommunen abhängt, kann nicht        Förderschulen nicht vorschnell zu schließen.
großer Handlungsbedarf. Wie unterstützt           hingenommen werden. Das Projekt Inklusion          Denn die Erfahrungen haben gezeigt, dass sich
der Städte- und Gemeindebund NRW seine            kann nur gelingen, wenn einerseits der Qua-        nicht wenige Eltern eine Alternative zu einem
Kommunen bei der Problemlösung?                   litätsanspruch definiert und andererseits die      inklusiven Angebot für ihre Kinder wünschen.
                                                  erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt
   Trotz der Anstrengungen der Kommunen                                                              80 Prozent der Schulen wünschen sich eine
                                                  werden. Der Städte- und Gemeindebund NRW
erreichen die Förderstandards der allgemeinen                                                        zentrale Anlaufstelle zur Unterstützung der
                                                  fordert deshalb ein rasches Nachsteuern bei der
Schulen oft nicht das Niveau der Förderschulen.                                                      Inklusion. Die GEW NRW fordert seit langem
                                                  schulischen Inklusion durch den Gesetzgeber.
Weiterhin fehlt es an sächlichen, aber auch an                                                       ein Fachzentrum für inklusive Bildung vor Ort.
Personalressourcen, insbesondere an Sonderpä-     Mit der Inklusion ändert sich die Schulland-       Gibt es Kommunen, die den Schulen bereits
dagogInnen. Der Städte- und Gemeindebund          schaft in den Städten und Gemeinden: Viele         eine solche zentrale Anlaufstelle bieten? Wie
NRW hat von Beginn an immer wieder deutlich       Förderschulen werden geschlossen. 57 Prozent       könnte eine zentrale Anlaufstelle Ihrer Ansicht
gemacht, dass gut gemachte Inklusion viele        der Förderschulleitungen geben allerdings an,      nach aussehen?
Ressourcen benötigt. Leider hat es das Land       dass ihre Schule nicht angemessen an der              Eine zentrale Anlaufstelle für inklusive Bil-
                                                  Schulentwicklungsplanung beteiligt wurde.          dung dürfte sich vor allem in größeren Kom-
unterlassen, verbindliche Qualitätsstandards zu
                                                  Außerdem beklagt ein Großteil der Schulen          munen anbieten, die über eine gewisse Anzahl
definieren. Gerade Kommunen im Stärkungspakt
                                                  das Fehlen von (inklusiven) Schulentwick-          an Inklusionsfällen verfügen. Überlegungen
                                                  lungsplänen. Wie erklären Sie sich das und         in diese Richtung sind bislang nur vereinzelt
                                                  was kann künftig dagegen getan werden?             aus kreisfreien Städten oder auf Kreisebene
                                                     Möglicherweise hängt die geringe Beteili-       bekannt. Sicherlich hat die Bündelung in einer
                                                  gung damit zusammen, dass die Mitwirkung           zentralen Anlaufstelle Vorteile für BürgerInnen,
                                                  der Schule bei der Aufstellung von Schulent-       Schulen und Verwaltungen. Gleichwohl sind
                                                  wicklungsplänen im Schulgesetz etwas versteckt     für ihre Einrichtung jedoch auch Sach- und
                                                  geregelt ist und nicht aus Paragraf 80 selbst      Personalressourcen erforderlich, die in kleineren
                                                  hervorgeht. So wünschenswert eine gute Koope-      Verwaltungen nicht ohne Weiteres bereitzu-
                                                  ration zwischen Schule und Schulträger ist – die   stellen sind. Eine Ansiedlung auf Kreisebene
                                                  Schulentwicklungsplanung obliegt letztlich aber    könnte eine Alternative darstellen. Sie bringt
                                                  dem Schulträger.                                   insbesondere in größeren Landkreisen aber auch
                                                     Die inklusive Schulentwicklungsplanung wird     den Verlust von Ortsnähe mit sich. //
                                                  durch das bereits angesprochene Fehlen von              Die Fragen für die nds stellte Frauke Rütter.
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