Smartphones - die Macht in der Hand - iz3w
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Titelmotiv: GitzAU (Nairobi) Inhalt D·2 Editorial D· 14 Zweifelhafte Entwickler Was bringen Smartphones bei der Armutsbekämpfung? D · 3 Wasser. Smartphone. Essen. von Sven Hilbig An mobiler digitaler Kommunikation kommt niemand mehr vorbei von Christian Stock D · 18 Start-ups in Silicon Savannah Digitalisierung in der afrikanischen Landwirtschaft D· 6 So smart von Heike Baumüller Die Ambivalenz des Kapitalismus steckt in der Jackentasche von Andrea zur Nieden D · 21 Die perfekte Plattform und Christoph Taubmann In China hat die App WeChat ungeheure Macht erlangt von Felix Lee D· 8 Das Smartphone schlägt zurück Trotz Chinas Aufschwung sind D · 24 Soziale Bilderwelten die Arbeitsbedingungen schlecht Alltägliche Smartphone-Fotografie in der Côte d’Ivoire von Peter Pawlicki von Till Förster D · 12 Hätte, hätte, Lieferkette D · 26 Digitalisierte Autonomie Wie fair ist das Fairphone? Welche Rolle spielen Smartphones für Geflüchtete? von Elena Kolb von Sina Arnold Smartphones Weltweit nutzen 3,3 Milliarden Menschen ein Smartphone, Tendenz große Gefahren bergen. Mit keiner anderen systemrelevanten weiter steigend. In nahezu allen Ländern des Südens ist die Ver- Technologie lassen sich Manipulation und Überwachung von Indi- breitung besonders groß. Nicht immer handelt es sich dabei um viduen besser bewerkstelligen als via Smartphone. Die mit erpres- teure Topmodelle, aber gerade wegen ihrer Erschwinglichkeit sind serischen Methoden exekutierte Datensammelwut der großen allein in afrikanischen Ländern 700 Millionen internetfähige Smart- Konzerne hat durchaus eine Entsprechung in der Überwachung phones und nicht-internetfähige Mobile Phones im Gebrauch. durch autoritäre Regime. Dagegen klingen frühere Dystopien à la Selbst in Ländern wie Somalia, wo Infrastrukturen gleich welcher »Big Brother is watching you« harmlos. Art kaum existent sind, funktioniert eines recht zuverlässig: das Mobilfunknetz. In einer High-Tech-Fabrik in Ruanda laufen seit neuestem täglich zehntausend »MaraPhones« genannte Smart- Im Bereich des Politischen wird besonders deutlich, wie groß die phones vom Band. partizipatorischen Potenziale einer Demokratie von unten via Social Media sind, aber auch, wie schnell diese in Regression, Manipula- tion und Repression münden. Der Arabische Frühling galt zu Recht Die durch Smartphones und Mobile Phones entstehenden Mög- als »Facebook-Revolution«, das hierarchische Sender-Empfänger- lichkeiten werden überall auf der Welt ausgiebig genutzt. Tiefgrei- Prinzip war partiell aufgehoben. Was aber vor staatlicher Verfolgung fende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen sind die nicht nur nicht schützte, sondern sie oft überhaupt erst ermöglich- Folge. Familiäre Beziehungen werden neu gestaltet und klassische te. Perfektioniert wird politische Kontrolle via Smartphone einmal Modelle sozialer Interaktion wie »Freundschaft« neu definiert. mehr von der KP der Volksrepublik China. Sie hält ihre 90 Millionen Praktisch jeder Wirtschaftssektor ist gründlich von den Handys auf Parteimitglieder via App auf Kurs – und wehe, jemand liest zu w enig den Kopf gestellt worden. Auch in der kleinbäuerlichen Landwirt- Beiträge und sammelt nicht genügend »Lernpunkte«! schaft in Ostafrika gehören Smartphones längst zum Alltag. Ohne dem Kulturpessimismus zu frönen: Es liegt auf der Hand, Beim Smartphone ist es eben wie beim Beton: Es kommt drauf an, dass all diese Entwicklungen nicht nur Chancen, sondern auch was man draus macht. die redaktion Das Dossier wurde gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des BMZ und aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes durch Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst. iz3w-Dossier D·2
rkritik am Die Kultu artphone ist e is t S m Quälg tigt e rs e it s so berech e in s oft dererseit wie sie an t ist. Filmstill aus »Parasite« / Koch Films sgewand rückwärt ihr angelt es Häufig m r die n , ü b e rhaupt nu da ra zur Mac h t d e s F aktischen zu nehm en: Wasser. Smartphone. Essen. Kenntnis balen a s s g e ra de die glo An mobiler digitaler Kommunikation kommt D ren ichten ih Untersch hne m noch o niemand mehr vorbei Alltag kau isieren m a rt p h o ne organ S können. denn auch das größte Bedrohungspotential für die um ihren Auf- stieg kämpfenden Protagonist*innen. Was ist hier das Privileg? von Christian Stock Wie substantiell Smartphones für die ‚einfachen Leute‘ zur Bewäl- tigung ihres prekären Alltags geworden sind, ist selbst einem wenig Es ist der blanke Horror. Panik bricht aus. Die Nachbarin hat ihr kapitalismuskritischen Linksliberalen wie dem IT-Unternehmer Sascha WLAN plötzlich mit einem Passwort geschützt, es gibt keinen Lobo aufgefallen. Er stellt fest: »Wir leben in Deutschland schon Zugang mehr zum Internet. Die in einem Seouler Armutsviertel auf einer bizarr analogen Insel der Seligen. (…) Man kann hier ganz hausende Familie Kim gerät dadurch in eine existenzielle Notlage. ohne Digitaltechnik prima leben – im Gegensatz zu vielen anderen Abgeschnitten von ihren Tagelöhner-Jobs, die über WhatsApp Weltgegenden (…) Deshalb schauen wir in Deutschland aus einer organisiert werden, droht ihr das soziale Aus. Verzweifelt versuchen unfassbar analogen Perspektive auf die Restwelt, wo man nicht das die Kinder, mit ihren Handys ein anderes WLAN-Netz zu finden. Privileg hat, digitale Instrumente als optional zu betrachten.« (In- Ein modernes Smartphone mit funktionierender Netzanbindung terview in konkret, 10/2019) ist unabdingbar, es ist keineswegs ein Luxusgegenstand. Ein Beispiel mag diese Einschätzung illustrieren: Als 2015 im Dieses Szenario hat Autor und Regisseur Bong Joon-ho nicht »Sommer der Migration« Bilder von Geflüchteten mit eigenem von ungefähr für den Einstieg in seinen metaphernstarken Spielfilm Smartphone die Runde machten, brach in den asozialen Medien »Parasite« gewählt. In Südkorea – ein Land, das sich rühmt, das ein Shitstorm aus. Dass Geflüchtete sich erdreisteten, mehr als ein schnellste Internet der Welt zu haben – geht absolut gar nichts verschlissenes T-Shirt mit sich zu tragen, brachte die Volksseele zum mehr ohne Smartphone, gerade für die Unterschichten. Im weite- Kochen. Der rassistische Alltagsverstand wollte es nicht wahrhaben: ren Verlauf der dramatischen Geschichte über soziale Spaltung Die zentralen Güter von Leuten, die fliehen mussten, sind »Wasser. bekommen die kompromittierenden Bilder auf einem Smartphone Smartphone. Essen. In dieser Reihenfolge.« Mit diesen knappen D·3
Smartphones Worten beschreibt die Migrationssoziologin Marie Gillespie die Angaben laut statista.com). Größter Hersteller ist der südkoreanische existentielle Bedeutung von Smartphones für jene Menschen, die Konzern Samsung mit einem Marktanteil von 23,1 Prozent, gefolgt fast alles Materielle verloren haben – und nun wenigstens noch vom chinesischen Huawei (19 Prozent). Der Marktanteil des US- über ein Mindestmaß an sozialem und kulturellem Kapital verfügen amerikanischen Leitkonzerns Apple ging auf 11,7 Prozent zurück. möchten. Das Smartphone als Trägermedium hat dabei den schlich- Die übrigen Marktanteile verteilen sich hauptsächlich auf weitere ten Vorteil, in eine Jackentasche zu passen. Wer kann schon Foto- chinesische Firmen. alben, Bücher und Faxgeräte mit sich schleppen? Inzwischen bilden Smartphones den Hauptzugang zum Internet: Für eine radikale Kulturkritik des Smartphones und den indivi- 2018 erfolgte die Hälfte aller Seitenaufrufe über Smartphones, duellen Verzicht darauf gibt es triftige Gründe. Nicht zu den guten wobei Europa im Vergleich zu Asien deutlich zurückliegt. Zeitlich Gründen zählt aber die aristokratische Verachtung für den Pöbel, gesehen erfolgte sogar drei Viertel aller Internetnutzung über die schon die Tourismuskritik vergällt hat, wenn sie die Massen für mobile Endgeräte. Dies hat gravierende Folgen für die Gestaltung ihren Massentourismus schmähte. Zu Recht verweist Lobo darauf, von Webseiten und die redaktionelle Aufbereitung von Inhalten. dass »die Abkehr von allgegenwärtigen Technologien selten ein Was nicht Smartphone-tauglich ist, fällt raus. Obwohl die Texte im Zeichen von unteren sozialen Schichten war, sondern oft eine Form Netz immer kürzer ausfallen, werden im weltweiten Durchschnitt von Privileg, eine Art der Freiheit von Alltagszwängen.« Als Beispiel sieben Gigabyte Daten pro Monat abgerufen – eine riesige Menge führt er den Multimillionär Uli Hoeneß an, der ebenso stolzdumm an Informationen und (bewegten) Bildern, die auf die User*innen wie unglaubwürdig verlautbarte: »Ich war noch nie im Internet«. einprasseln. Solche Haltungen sind freilich ein globales Wohlstandsphänomen. Derzeit erregt in der Kulturszene ein Fotoprojekt der neuseeländi- Social Media mit Message schen Fotografin Niki Boon Aufsehen, mit dem sie dokumentiert, wie ihre Kinder ohne Handys und Laptop aufwachsen. »Smartpho- Weltweit gibt es nun 3,5 Milliarden Nutzer*innen von Social Media, ne? Kennt Anton nicht, braucht Anton nicht«, titelte Spiegel online die zum weit überwiegenden Teil Mobilgeräte nutzen. Nicht von beeindruckt und lobt, dass die Bilder von glücklich im Matsch ungefähr ist Facebook nach Google und YouTube eine der am spielenden Kindern »wie aus der Zeit gefallen« wirken. Womit das meisten aufgerufenen Internetseiten. Twitter und Instagram schaf- zentrale Problem dieser Art von kulturkonservativer Smartphone- fen es ebenfalls in die Top Ten. Verweigerung ungewollt auf den Punkt gebracht wird. Auch hier ist die regionale Verteilung aufschlussreich. Im Mitt- leren Afrika nutzen nur sieben Prozent der Bevölkerung Social Media, im nördlichen Afrika sind es aber bereits 40 Prozent, bei So wichtig wie das Fernsehen hohen Wachstumsraten (alle Zahlen laut datareportal.com). Spit- An der Macht des Faktischen kommt jedenfalls keine Kritik des zenreiter bei Social-Media-Nutzung sind auf der einen Seite die Smartphones vorbei. Inzwischen gibt es weltweit 3,3 Milliarden Vereinigten Arabischen Emirate mit 99 Prozent der Bevölkerung, Smartphonebesitzer*innen. Berücksichtigt man auch nicht-inter- auf der anderen Nordkorea mit nur 0,1 Prozent, da dort das Inter- netfähige Mobile Phones, sind es sogar 5,15 Milliarden Menschen, net geblockt ist. Beides markiert Extremwerte, wie sie totalitären also zwei Drittel der Menschheit (aktuelle Daten auf Grundlage von Vergemeinschaftungen innewohnen: Entweder die Individuen sind UN-Statistiken). Damit haben Handys zum Mitmachen mehr oder minder gezwun- nahezu aufgeschlossen zum bislang gen, oder es ist ihnen strikt verboten. In- weitverbreitetsten Telekommunikati- sofern ist die Nutzungsquote von Social onsmedium, dem Fernseher, der in 79 WhatsApp ist in vielen Weltregionen Media ein guter Indikator für die Mei- Prozent aller Haushalte weltweit steht. die einzige Nachrichtenquelle nungs- und Pressefreiheit. Ist sie sehr hoch, Diese gewaltigen Zahlen kommen mangelt es an vernünftigen anderen Me- nur zustande, weil die Verbreitung von dien, ist sie niedrig, regiert die Zensur. Smartphones längst nicht mehr auf den Die Facebook-Tochter WhatsApp ist in vielen Globalen Norden beschränkt ist, sondern insbesondere in Asien Weltregionen die einzige Nachrichtenquelle, denn gedruck- Rekordwerte erreicht. Allein in China nutzen 775 Millionen Men- te Zeitungen sind vielerorts kaum erhältlich. Zugleich sind günsti- schen ein Smartphone, in Indien sind es 387 Millionen. Das nächs- ge Smartphones für viele Menschen die einzige Anbindung ans te Land auf der Liste, die USA, ist schon weit abgeschlagen. Ein Internet. Es überrascht daher nicht, wenn WhatsApp allein in Indi- Mindestmaß an Wohlstand bleibt aber nach wie vor eine wichtige en über 250 Millionen User*innen hat. Dort sorgten über den Determinante bei der regionalen Verteilung: Die weltweit niedrigs- Messengerdienst verbreitete Gerüchte für die Formierung von te Nutzung weist Bangladesch auf, eines der ärmsten Länder der Bürgerwehren gegen angebliche Kindesentführer oder Kuhschlach- Welt. Hier hat nur jeder zwanzigste Mensch ein Smartphone. In ter. Allein zwischen April und Juni 2018 wurden mehr als zwanzig den superreichen Vereinigten Arabischen Emiraten hingegen wird Menschen von aufgebrachten Mobs gelyncht. WhatsApp schränk- der globale Rekord erreicht, dort besitzen 82 Prozent der Bevölke- te daraufhin die maximale Zahl der Empfänger*innen von Nach- rung ein eigenes Smartphone. Mit 57 Millionen Smartphone- richten auf fünf ein, um Massenkampagnen zumindest zu erschwe- Nutzer*innen ist Deutschland zwar kein »Entwicklungsland«, wie ren. Die hindunationalistische BJP-Regierung unternahm hingegen in Sachen Digitalia oft geunkt wird, aber nur Durchschnitt. nichts. Kein Wunder, ist sie doch selbst die größte Verbreiterin von Angesichts dieser fast ubiquitären Verbreitung ist die Produktion Falschmeldungen und darauf aufbauender Propaganda. Sie reiht von Smartphones ein Riesengeschäft. Allein 2018 wurden weltweit sich damit ein in eine immer länger werdende Reihe von 1,4 Milliarden Geräte im Wert von 522 Milliarden US-Dollar verkauft. Politiker*innen, deren Wahlerfolg auf hetzerischen Twitter-Kampa- Insgesamt sind die Zahlen nach dem Rekordjahr 2017 leicht rück- gnen (Trump) und konzertiertem Verbreiten von Fake News via läufig, es scheint eine Marktsättigung eingetreten zu sein (alle WhatsApp (Bolsonaro) beruht. iz3w-Dossier D·4
Diese kritikwürdige Entwicklung ist freilich nicht dem Smartphone gesteuerung, wie der Niedergang der Musikindustrie alten Zuschnitts als solchem anzulasten. Zwar fördert es – wie jede Hardware und zeigt. Aber insgesamt ist die digitale Ökonomie ein antriebstarker ihre dazugehörige Software – spezifische Kommunikationsformen Wachstumsmotor fürs Kapital. und behindert andere. Insofern ist das Diktum des Medientheore- Ausgerechnet die Volksrepublik China macht vor, wie das geht: tikers Marshall McLuhan (»Das Medium ist die Botschaft«) auch Der Onlinehandelskonzern Alibaba hat an einem einzigen Tag mit beim Smartphone immer einer Berücksichtigung wert, seinem glamourösen Verkaufs so wie man bei Radio und Fernsehen immer die event »Singles Day« am 11. No- Restriktionen des Sender-Empfänger-Prinzips mit- »In China sehen wir, was auch vember mehr Umsatz mit exter- denken sollte. Aber McLuhans Message sollte nicht nen Marken gemacht als das in Deutschland kommen wird« überstrapaziert werden, wie es in der hiesigen sozial US-amerikanische Pendant Ama- romantischen und rückwärtsgewandten Kulturkritik zon im ganzen Quartal. Wobei des Smartphones gern praktiziert wird. die allermeisten Käufe bei Alibaba Einmal mehr trifft Sascha Lobo den Nagel auf den Kopf, wenn über Smartphones abgewickelt werden. Alibabas Deutschland- er Smartphones und Social Media nicht für per se unemanzipato- Chef Karl Wehner prognostiziert daher vermutlich zu Recht: »In risch hält und dennoch um deren Problematik weiß: »Auf Facebook China sehen wir, was auch in Deutschland kommen wird« (zitiert kann zwar theoretisch gut ein linker Diskurs geführt werden, aber nach Spiegel online, 24.11.2019). leider haben Faschisten das Netzwerk bisher besser verstanden.« Weil sich das durchaus als Drohung verstehen lässt, kommt der (konkret 10/2019). Was folgt daraus? Den Faschist*innen die kul- Kapitalismuskritik auch im digitalen Zeitalter große Bedeutung zu. turelle Hegemonie im Web überlassen – oder sie ihnen streitig Ihre Leitfrage lautet: Wie können digitale (Produktions-)Mittel machen? wieder angeeignet werden, so dass die Digitalisierung einer künf- tigen herrschaftsfreien Gesellschaft große Dienste leistet? Diese Frage wird nicht allein von Open-Source-Nerds beantwortet werden Chinesische Verhältnisse können, die an konzernunabhängigen Apps arbeiten, sondern von Die Digitalisierung des Kapitalismus hat längst sämtliche Lebens- allen User*innen. Im Alltag. bereiche durchdrungen. Zwar hat insbesondere das Internet auch zu einer Sozialisierung beigetragen, etwa durch die Renaissance von Commons, von gemeinschaftlichen Gütern, was etwa durch tt Christian Stock ist Mitarbeiter im iz3w. Seine Handymodelle Open-Source-Software oder Wikipedia versinnbildlicht wird. Auch spiegeln die Verschiebungen von West nach Ost wider: Erst Siemens profitiert nicht jede Branche von digitaler Angebots- und Nachfra- und Nokia, dann Samsung und Xiaomi. Kampf um die Rohstoffe Der Rohstoffbedarf für die Handyproduktion richtet Verwüstungen in Minen, darunter viele, in denen Coltan abgebaut wird. Amnesty im doppelten Wortsinne an. Beispiel Rubaya, ein Bergdorf im Osten International bemängelte 2016 in einem Report, dass Smartphone- der DR Kongo: In den 1990er Jahren entdeckten Geolog*innen Hersteller wie Apple und Samsung keinerlei ernsthafte Maßnahmen unter den fruchtbaren Vulkanböden große Coltan-Vorkommen. ergriffen, um zu überprüfen, ob in den ihnen zuliefernden Minen Coltan (eine Abkürzung für Colombit-Tantalit) ist ein Schlüsselmi- Kinderarbeit verbreitet ist. Die anders lautenden Selbstverpflichtun- neral für die Handy- und Computerproduktion. Der weltweite gen sind den Strom nicht wert, den es zu ihrer Darstellung braucht. Bedarf ist groß, aus der DR Kongo stammt über die Hälfte der Welches Konfliktpotential die Rohstoffe für die Handyproduktion Weltproduktion. In Rubaya zog Coltan wie in einem Goldrausch besitzen, zeigt ein anderes Beispiel aus Bolivien. Das in den dortigen Arbeitssuchende an, die nun Löcher in den Berg gruben. Salzseen vorkommende Alkalimetall Lithium wird zur Herstellung Die Zeiten, in denen Warlords ungehindert den Großteil der von Akkus benötigt. Es ist in nahezu jedem Handy verbaut, der Verkaufserlöse von Coltan einstrichen und damit ihre kriegerischen Bedarf auf dem Weltmarkt ist daher riesig, zumal auch E-Mobilität Aktivitäten finanzieren konnten, sind auch in der DR Kongo vorbei. nicht ohne Lithium-Ionen-Akkus auskommt. Anfang November Doch das unzureichende Minengesetz und die mangelnde Kont- stoppte der damals noch amtierende Präsident Evo Morales ein rolle der Förderung seitens der Regierung lassen viel Spielraum für Joint Venture zur Gewinnung von Lithium, das zwischen der deut- kriminelle Aktivitäten. Die Konflikte um die Coltanförderung gip- schen Firma ACI Systems und dem Staatsunternehmen YLB abge- felten im Oktober 2018 in einem Massaker nahe Rubaya, bei dem schlossen worden war. Hintergrund waren die Proteste der örtlichen nach offiziellen Angaben 13 Menschen, laut anderer Quellen 35 Bevölkerung gegen das Projekt, das nach Ansicht von Kritiker*innen Menschen ermordet wurden (taz, 13.11.2018). einem »Ausverkauf« bolivianischer Ressourcen gleichkam. Die Solche Vorfälle rechtfertigen die drastische Bezeichnung »Blut- Bundesregierung zeigte sich irritiert und versprach ACI Systems, in mineralien«. Dabei ist Rubaya noch eine Vorzeigemine, die bei der Bolivien zu intervenieren. Zertifizierung im Rahmen des ITSCI-Programme for Responsible Dieser Vorgang ist wohl nicht ursächlich für die kurz darauf Mineral Supply Chains in die Kategorie »grün« eingestuft wurde. erfolgte Absetzung von Morales, verdeutlicht aber, warum euro- In vielen anderen Minen ist Kinderarbeit gang und gäbe, was zur päische Regierungen sie offen begrüßten. Bei Einschränkungen der Einstufung »gelb« führt. Laut Angaben von UNICEF aus dem Jahr Exporte von Schlüsselrohstoffen durch Regierungen des Globalen 2014 arbeiten allein im Süden der DR Kongo rund 40.000 Kinder Südens versteht man im Norden keinen Spaß. cst. D·5
Foto: Hugh Han s sind Smartphone Kaum zu glauben, aber Japan erzielt keine Rekordwerte bei der Smartphonenutzung (U-Bahn in Tokyo) ein bloßes viel mehr als tions Kommunika sind etwa »Bei mir kommt erst der Akku medium. Sie ändigen und dann später die Moral« ein Teil der st ierung. (Deichkind: Powerbank) Selbstoptim en nichts Sie versprech als die Geringeres fortlaufende Erweite- So smart lbst, auch rung des Se Die Ambivalenz des Kapitalismus steckt physischen jenseits des Raumes. in der Jackentasche Zugleich bergen die digitalen Dienste ein ungeheures Potenzial Städte viel einfacher zugänglich zu machen als durch papierene Stadt- und Fahrpläne. Nachdem ich endlich die richtige Citybike-App von Andrea zur Nieden und Christoph Taubmann gefunden habe und verstehe, wie sie auch offline zu nutzen ist, flitze ich, navigiert durch meine ebenfalls offline funktionierende Eine Reiseerfahrung hat mir neulich wieder bewusst gemacht, Karten-App, auf dem Fahrrad durch die Gegend. Ich fühle ich mich wie sehr ich auf mein Smartphone angewiesen bin. Ich komme frei wie selten in unbekannten Städten. in eine mir fremde Stadt im Ausland. Ich habe mein Smartphone dabei, aber kein entsprechendes Datenvolumen, kann es also nur Ich bin megavernetzt … im WLAN verwenden. Schnell merke ich, dass ein Großteil der städtischen Infrastruktur für mich nicht nutzbar ist: Bus- und Das Smartphone ist viel mehr als ein Mittel zur Kommunikation mit Bahnfahrpläne gibt es nur online, an den Haltestellen erfährt man anderen geworden. Es handelt sich um eine Universalmaschine, die nichts. Taxidienste wie Uber sind app-basiert. Es gibt ein Citybike, potenziell jede Funktion übernehmen kann. Dafür muss es ständig aber auch dieses ist nur über App nutzbar. Also muss ich meinen in Reichweite sein. Smartphones sind uns so nah an den Leib gerückt, Weg durch die Stadt entweder im Hotel-WLAN vorplanen oder dass wir uns amputiert fühlen, wenn wir es zuhause vergessen haben, ich laufe mir Blasen. Ohne Smartphone kann man alternativ nur keinen Internetempfang haben oder wenn der Akku versagt. mit viel Geduld an Haltestellen warten oder ein teures traditio- Wir führen eine Double-Bind-Beziehung mit unserem Lieblings- nelles Taxi anhalten. instrument: Es verspricht Autonomie – und erzeugt dabei Abhängig- Mir wird klar, wie stark heute der städtische Raum durch den keit und Kontrolle. Das omnipräsente Gerät verheißt universelle virtuellen Raum strukturiert ist und wie ausgrenzend die web- und Verfügbarkeit von Weltwissen und Kommunikationspartner*innen, app-basierten Verkehrsmodelle für diejenigen sind, die über das aber um den Preis, dass wir (es) kaum noch »abschalten« können. neue Medium nicht oder nur begrenzt verfügen. Wie bei anderen Laut Studien erzeugen selbst ausgeschaltete Handys Stress, sobald Technologien auch wird eine Infrastruktur zurückgebaut, wenn sie in Sichtweite liegen. Habe ich wichtige Nachrichten verpasst? sie nicht mehr ökonomisch rentabel ist: Etwa ausgehängte Bus- Wir werden nervös, wenn wir länger als eine Stunde »offline«, also fahrpläne gibt es plötzlich nicht mehr. »von der Leine« gelassen sind. iz3w-Dossier D·6
Smartphones Für wen (Chef*innen, Kolleg*innen, Lebenspartner*innen) wir wann Kommunikationsformen, bei denen ich noch weniger Information auf welchem Kanal (Handy, Festnetz, Chat, E-Mail) erreichbar sein zur Verfügung habe, um die Signale der Anderen zu deuten. müssen, unterliegt immer neuen Aushandlungen. Das medienkom- petente Wählen des richtigen Modus (»Nicht stören«, »Lautlos«, Glatte Aufmachung, brachiale Wucht »Flugmodus«), um wenigstens teilweise seine Ruhe zu haben, ist Teil unseres Selbstmanagements geworden. Wir haben uns die Gerade die Reduktion von Intensität und Verschleierung von An- Ambivalenz des Kapitalismus mit seinen Versprechungen und wesenheit eröffnen aber auch die Möglichkeit, mich regelrecht zu Anforderungen in die Jackentasche geholt. vervielfältigen. Die Interfaces der Apps schieben sich wohltuend zwischen mich und die Außenwelt. Die Schnittstellen filtern, ge- wichten und managen, wer oder was zu mir durchdringt, und sie … aber wer hört zu? ermöglichen mir, viele Kanäle parallel zu bedienen. Medientheoretisch liegt dem eine Verkomplizierung von Anwesen- Dabei hat das Smartphone seinen perfekten Gegenpart in den heit zugrunde: Selbst wenn ich körperlich abwesend bin, etwa in sogenannten Social Media gefunden. Deren Wachstumslogik fol- der Mittagspause außerhalb des Büros, bin ich telefonisch oder per gend, soll ich möglichst meinen Freundeskreis und meine Interak- Social Media erreichbar und im selben virtuellen »Raum« mit an- tionen ausweiten. Neben der klassischen Medienkompetenz muss deren. Schon jede Telefonierende befindet sich dabei zugleich in ich mein Selbstmanagement erweitern, um mich adäquat abzubil- drei Situationen: Körperlich an einem Ort, wo etwa Ablenkung den. Das Smartphone kommt hier im Wortsinn wie gerufen. Ein durch die Umgebung oder andere parallel am PC oder Smartpho- bunter Haufen an Apps zur Selbstoptimierung zaubert auf Fotos ne eingehende Nachrichten gegeben ist. Akustisch ist sie am Ge- meine Pickel weg, sagt mir anhand von Auswertungen meiner schehen am anderen Ende der Leitung beteiligt, wo sich die ande- Kommunikation, wer mein bester Freund ist oder ob mein Body- re Person beispielsweise an einem lauten Lokal aufhält. Interaktiv Mass-Index aus dem Rahmen fällt. Immer häufiger kommuniziere gehören beide dem »ortlosen Raum des Telefonats« an, der Schnitt- ich auch nicht mehr mit Menschen, sondern mit Algorithmen. menge, auf die sie sich fokussieren, indem sie Immer häufiger habe ich keine Ahnung, sich selektiv aus den anderen Situationen ob mein Gegenüber Mensch oder absentieren. Maschine ist, und immer häufiger Ähnliches gilt auch für schriftlich zu be- Kein Wunder, dass das Smartphone interessiert das mich auch nicht mehr. dienende Apps, Messenger und Chats, mit das Auto als Fetisch abgelöst hat Das Smartphone mit seiner glat- denen ich mich immer wieder partiell auch ten, nahezu ätherischen Anmutung in andere »Räume« begebe. Die neuere ist wie gemacht, um die brachiale Mediensoziologie, etwa von Stefan Hirschau- Wucht zu verschleiern und neu zu deu- er, begreift Anwesenheit daher nicht mehr als scharfen Gegensatz ten, mit der die Digitalisierung die meisten Aspekte unseres zur Abwesenheit, sondern als verbindenden »Mechanismus der Lebens umkrempelt. Der für alle Anwendungen offene Touchscreen steigerbaren Involvierung von Personen in soziale Prozesse«. Deren hat die Funktionsknöpfe abgelöst, die noch stärker der Materialität Aspekte seien: Erstens Erreichbarkeit (Ist da wer?) und zweitens verbunden waren. Kein Wunder, dass das Smartphone das Auto steigerbare interaktive Präsenz (Ist er/sie dabei?). Dabei steigern als Fetisch abgelöst hat. Erweiterte letzteres den physischen Akti- alle Formen von Teleinteraktion die Erreichbarkeit auf Kosten der onsradius, so verspricht das Smartphone nichts Geringeres als die interaktiven Präsenz; eine höhere Kontaktfrequenz geht mit einer quasi unendliche Erweiterung des Selbst, auch jenseits des physi- geringeren Kontaktdichte einher: schen Raumes. Ich bin also erstens potenziell an allen Orten erreichbar, an Tatsächlich findet dieses Potenzial aber Grenzen an den physi- denen ich Internet oder Handyempfang habe. Gleichzeitig sind schen Enden der Interaktionen. Dort stellen die Mediennutzer*innen aber die jeweiligen Rezeptionserwartungen im Vergleich zu einer eine »endliche psychophysische Größe« dar, wie Stefan Hirschauer Face-to-Face-Kommunikation verunsichert: Ist meine Nachricht schreibt. Deren Beanspruchung ist im Gegensatz zu den Informa- angekommen und auch gelesen worden? Zweitens ist Präsenz tionsströmen nicht unendlich steigerbar. Das Smartphone lockt uns generell durch den Grad der Involvierung von Aufmerksamkeit dennoch täglich, diese Grenzen zu überschreiten und quasi mit der steigerbar. Face-to-Face besteht die Möglichkeit zum Blickkontakt, Universalmaschine psychophysisch zu verschmelzen. Denn wenn der sich als Idealsituation gegenseitiger Wahrnehmung beschreiben wir das nicht tun, könnten wir aufhören, ein (selbst)bestimmter lässt. Stefan Hirschauer formuliert es so: »Ich sehe am und im Blick Teil dieser Gesellschaft zu sein, also von der Bildfläche verschwinden. des Anderen, dass er jetzt sieht, dass ich ihn sehe, (…) dass wir uns Es droht nichts Geringeres als der soziale Tod. uns sehen sehen«. Eine geringere Aufmerksamkeit wird etwa durch das sichtbare Abwenden aus der Kommunikation (Weggucken) Literatur angezeigt, worauf das Gegenüber reagieren kann. – Ruth Ayaß: Interaktion ohne Gegenüber. In Jäckel/Mai (Hg.): Bei der Kommunikation über Smartphones ist dies nicht so leicht Online-Vergesellschaftung? Wiesbaden 2005 möglich, denn die für eine Interpretation der Äußerungen des – Stefan Hirschauer: Intersituativität. In Heintz/Tyrell (Hg.): Interaktion – Organisation – Gesellschaft revisited, Stuttgart 2015 Anderen nötigen Ressourcen sind medial produziert, wie die Sozio- login Ruth Ayaß erklärt. Je nach Situation werden dabei nicht alle Sinne bedient. Schon bei klassischer Telekommunikation ist daher fraglich, inwieweit das Gegenüber nicht nur dran, sondern auch tt Andrea zur Nieden ist Soziologin an der Universität Freiburg mental dabei ist. Selbst wenn Gesprächssequenzen durch verbale und beschäftigt sich u. a. mit Fragen der Medizin-, Körper- und Signale (mhm, ja) des Anderen bestätigt werden, ist der Grad der Techniksoziologie. Christoph Taubmann arbeitet als Projektmana Aufmerksamkeit ungewiss. Dies gilt erst recht für schriftbasierte ger bei einer IT-Firma. D·7
Foto: Gauthier Delecroix Der Weltmarkt für Smart- phones ist ries ig. Seit mittlerweile zw ei Jahrzehn- ten profitieren davon vor allem chinesis che, taiwa- nesische und südkoreani- sche Unternehm en. Wie kam es zu den gewaltigen Verschiebungen in der internationale n Arbeitstei- lung, und was bedeuten sie für die Arb eitswelt? Straßenszene in Qingsao/China, wie überall Das Smartphone schlägt zurück Trotz Chinas Aufschwung sind die Arbeitsbedingungen schlecht von Peter Pawlicki Was ist das, ein Smartphone? Es wäre nichts ohne Inhalte, durch haben Zentralen außerhalb von China. Was ist passiert? Und was die wir stundenlang wischen, die wir tausendfach teilen, die auf heißt das für die internationale Arbeitsteilung und die Arbeitsbe- Servern irgendwo liegen, um von der digitalen Ökonomie als dingungen? profitträchtige Information wiedergekäut zu werden. Ein Smart- phone ist auch nichts ohne das Netzwerk, die Mobilfunksender, Es lebe die Kernkompetenz die digitalen Schaltanlagen, durch welche die Inhalte hin und her geschickt werden. Und trotz dem oft angekündigten »Ende der Siemens, Nokia, Ericsson, Alcatel – Europa war einmal eine Region, Arbeit« ist das Smartphone nichts ohne die vielen Arbeiter*innen, die bei Entwicklung und Fertigung von Technologien und Geräten die in Bergwerken die Rohstoffe schürfen, in Fabriken die Geräte für die mobile Kommunikation führend war. Der in den 1980er herstellen und sie in den Büros entwickeln – oft unter menschen- Jahren vom Europäischen Institut für Telekommunikationsnormen unwürdigen Bedingungen. entwickelte und durch die Europäische Gemeinschaft abgesicher- ‚Früher‘ war es einfach: Es gab Apple und Samsung als wichtige te GSM-Standard – 2G – verschaffte den teilnehmenden europäi- Produzenten von Smartphones. Und heute? Samsung, Apple, schen Unternehmen enorme Vorteile. Telefone und Telefonanlagen Xiaomi, Huawei, LG, Vivo, Oppo, Oneplus, Lenovo, Tecno, Infinix, wurden in Europa entwickelt und hergestellt. In den Fabriken Nokia HMD, Meizu... Nur die Konzerne Samsung, Apple und LG herrschte ein hohes Niveau an Automatisierung, es gab starke iz3w-Dossier D·8
Smartphones Betriebsräte und gute Tarifverträge. Betriebe wie der von Siemens der Elektronikindustrie aufgestiegen. In Hong Kong begann diese Mobile in Kamp-Lintfort galten bis in die frühen 2000er Jahre als Entwicklung schon Anfang der 1960er Jahre mit dem Aufbau der regionale Vorzeigebetriebe. ersten ausländischen Elektronikfabrik von Fairchild Semiconductors. Ende der 1990er Jahre begann auch in Europa der unmittelba- Anfangs wurde nur einfache Fertigung angesiedelt. Doch schon re Druck der Finanzmärkte auf das strategische Management der die einfachste Fertigung braucht auch Ingenieur*innen, die den Konzerne zu wirken. Auslagerungen und Verlagerungen wurde nun Prozess kontrollieren. Und die immer stärker werdende Auslagerung das Wort geredet, der globale Wettbewerb als Antrieb definiert. von Entwicklungsfunktionen führte zu einer stetig ansteigenden Dies hatte zur Folge, dass die Produktion von Mobiltelefonen zuerst Ansiedlung von Ingenieur*innenfunktionen außerhalb westlicher nach Mittel- und Osteuropa, später nach Asien verlagert wurde. Industriezentren. Ein Übriges tat die Zielsetzung der chinesischen Gleichzeitig wurde sie an Kontraktfertiger wie Flextronics, Foxconn Regierung, das Land von einer ‚Werkbank‘ zum Entwicklungsstand- oder Jabil ausgelagert. Denn Fertigung, so wurde behauptet, das ort zu entwickeln. Die damit verbundenen Investitionen in Univer- waren nur Kosten und gebundenes Kapital – auf jeden Fall keine sitäten und Grundlagenforschung drehten das Rad noch weiter. Quelle der Innovationen, dem vermeintlichen Kern des Produkts. Kurze Zeit später wurde der Sinn einer eigenen Mobiltelefon- Innovative Hightech-Bergräuber sparte in Frage gestellt – so trennten sich sowohl Ericsson als auch Siemens vom Endgerätegeschäft, das ein Jahrzehnt später jedoch Die rund um Shenzhen aufgebauten Betriebe wurden nicht nur seine zentrale Bedeutung wiedererlangen sollte. Nur ein paar für die Umsetzung von Produktideen westlicher Unternehmen Jahre später stellten europäische Konzerne den Sinn der Entwicklung genutzt. Die chinesischen und taiwanesischen Zulieferer nutzten von Netzwerkausrüstung in Frage. Die Folge waren mehrere die über die Fertigung und Entwicklung für Auftraggeber aufgebaute Schrumpfungen und Fusionen, die den Bedeutungsverlust spiegel- Expertise auch für eigene Produkte. Die als ‚Shanzhai‘ (übertragen: ten. Aus Siemens und Nokia wurde 2007 N okia Bergräuber) bezeichneten Produkt Siemens Networks und ein paar Jahre später innovatoren konnten so eine gewis Nokia Networks, während Alcatel zu Alcatel- se Eigenständigkeit in den globalen Lucent wurde, um 2016 von Nokia Networks Europa wird im Bereich der mobilen Lieferketten entwickeln. Während aufgekauft zu werden. Kommunikation weiter abgehängt Kritiker*innen im Westen vom Dieb- In der Elektronikindustrie wurde nicht stahl geistigen Eigentums schwa- nur die Fertigung an Kontraktfertiger wie dronierten, wohlweislich histori- Foxconn (mit Hauptsitz in Taipeh) oder Flex- sche Beispiele wie die des Porzellans tronics (Hauptsitz in Singapur) ausgelagert, sondern auch zuneh- vergessend, entwickelten die Shanzhai beispielsweise Tele mend die Produktentwicklung. Firmen wie Quanta oder Inventec fone mit Funktionen, die bei den großen Marken fehlten. Meist machten das Modell des Original Design Manufacturing erfolgreich. handelte es sich um einfache Dinge, wie lautere Klingeltöne und Sie entwickeln Produkte wie Laptops oder Mobiltelefone fast voll- größere Akkus. ständig selbst. Ihre Kunden können ihre Markennamen darauf Die chinesische Smartphonefirma Xiaomi brachte es innerhalb schreiben und zusätzlich noch spezielle selbstentwickelte Techno- von vier Jahren zum zweitgrößten Anbieter auf dem chinesischen logien integrieren lassen. Damit wurde die Aus- und Verlagerung Markt, auch weil sie verstand, das Apple-Modell ins 21. Jahrhundert der Tätigkeiten von Entwicklungsingenieur*innen einfacher. zu übertragen. Während die Apple-Fans sich noch wie im 19. In zwei kurzen Jahrzehnten verlor Europa so einige tausend Jahrhundert in langen Schlangen vor echten Warenhäusern dräng- gewerkschaftlich gut organisierte Arbeitsplätze in der Fertigung ten, schaffte es Xiaomi durch eine kluge Verknappungs- und Mar- und Entwicklung. Die Forschung an Technologien für den Mobil- ketingpolitik, Millionen Chines*innen vor ihren Bildschirmen hoffen funkmarkt blieb aber weiterhin hier angesiedelt. Globale periphe- zu lassen, dass der nächste Klick auf den Kaufknopf endlich erfolg- re und semiperiphere Länder – namentlich China und Taiwan – reich sein wird. Die Firma Xiaomi ebnete so den Weg für den Erfolg gewannen in diesem Zeitraum jedoch sowohl Fertigungs- als auch chinesischer Smartphonemarken wie Oneplus, Oppo, Vivo, Tecno, Entwicklungskompetenzen. Infinix oder Meizu. Das aktuell stark in der Diskussion stehende Unternehmen Hu- awei stammt aus Shenzhen und ist innerhalb von knapp 30 Jahren Die Renaissance der Fertigung zum weltweit größten Anbieter von Netzwerkausrüstung und in- In den frühen 2000er Jahren wurde viel von globaler Produktion nerhalb von nur acht Jahren zum zweitgrößten Anbieter von Smart- gesprochen. Diese konnte angeblich überall angesiedelt und schnell phones aufgestiegen. Zuerst fiel das Unternehmen durch Netz- verlagert werden. Doch das Kapital sucht nach immer denselben werkausrüstung für den vernachlässigten Markt kleinerer Städte in Kriterien: hohe staatliche Hilfsleistungen, niedrig gehaltene Löhne, China auf – billig, an die lokalen Infrastrukturprobleme angepasst, stetiger Nachschub von Arbeitskräften und geringe Regulation. ohne unnötige Funktionen, mit chinesischen Benutzeroberflächen Dies führt sehr oft zu regionalen Clustern, die den angesiedelten und mit einem dichten Servicenetzwerk. Über die Jahre zahlte sich Unternehmen zusätzlich durch sogenannte Verbundvorteile helfen, bei Huawei die eigene Technologie- und Produktentwicklung aus. also durch kurze Wege beim Austausch von Wissen, Maschinen Das Unternehmen konnte immer größere Zuwächse zuerst in und Komponenten. Ländern der kapitalistischen Peripherie und Semi-Peripherie und Die Elektronikindustrie ist nicht anders organisiert. Zwar bietet später auch in den Industriezentren verzeichnen. Bis zu 30 Prozent sie ihre Produkte global an, produziert diese aber in einigen weni- geringere Investitionskosten bei fast gleicher Qualität kann niemand gen stark vernetzen Zentren. Die chinesische Provinz Kanton gehört ausschlagen, der profitorientiert ist. zu den wichtigsten. Insbesondere Shenzhen, die an Hong Kong Unterstützt vom Programm zur Entwicklung eines eigenen chine angrenzende Stadt im Süden Chinas, ist zum globalen Zentrum sischen Technologiestandards für Mobiltelefonie – TD-SCDMA – D·9
gelang es Huawei, auch zum Standardsetzer aufzusteigen. Beim Die Elektronikindustrie hat einen grundsätzlich problematischen neuen Mobiltelefonie-Standard 5G setzt Huawei die technischen Bezug zu Überstunden. In China, dem größten Produktionsland Leitlinien, zusammen mit Unternehmen wie Ericsson und Nokia. der Elektronik, erlaubt das Arbeitsgesetz 40 Wochenstunden Re- Weiter liefert das Unternehmen die entsprechenden Anlagen zum gelarbeitszeit plus maximal 36 Stunden pro Monat an Überstunden. Aufbau der Netzwerke, zudem auch die Telefone der Endkund*innen. Der vom globalen Industrieverband Responsible Business Alliance Was europäische Manager*innen einstmals als beschränkend defi- festgelegte Standard von maximal 60 Wochenstunden ist in China nierten, nutzt Huawei zur Innovation und zum Markterfolg. demnach illegal. Und selbst ihren rechtlich problematischen Stan- Analyst*innen sehen den Erfolgsfaktor von Huawei oft in der Ver- dard kann die Industrie nur teilweise einhalten, wie sie in ihren bindung von Netzwerkausrüstung und Smartphones innerhalb eines Nachhaltigkeitsberichten regelmäßig einräumt. Unternehmens. So können etwa Testläufe viel einfacher und schneller abgeschlossen werden. Nur diskursiv verbessert Die skizzierten Entwicklungen führten zum Aufstieg Südchinas von der verlängerten Werkbank der Welt zu einem Techno- logiezentrum, das in der Elektronikindustrie bei der Techno- logie- und Produktentwicklung mitentscheidet. Dieser Sprung in der Hierarchie des globalen Kapitalismus ist beachtlich. Doch wie hat sich dies auf die Situation der Arbeiter*innen ausgewirkt? Ist es ihnen gelungen, eine mit den Lohnabhän- gigen des Nordens vergleichbare Situation zu erreichen? Spätestens seit den Selbstmorden ausgebeuteter Arbei ter*innen bei Foxconn im Jahr 2010 kennen viele Smart phonenutzer*innen weltweit die mit ihren Geräten ver bundenen miserablen Arbeitsbedingungen. Nach Angaben der Industrie hat sich seitdem viel getan. Die Markenfirmen haben laut eigenen Aussagen verstanden, dass sie die Ver- antwortung für Vorgänge in ihren Lieferketten annehmen müssen. Sie veröffentlichen jährlich schön gestaltete Berich- te über Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility, sie investieren in Vorzeigeprojekte und rühmen sich sozialer und ökologischer Fortschritte. Sie beauftragen Auditfirmen, um ihre Lieferkette in Bezug auf Menschenrechtsstandards zu prüfen. Während sich auf der diskursiven Ebene tatsächlich einiges verändert hat, sind die Zustände in den Fabriken der Elektro- nikindustrie nicht wirklich besser geworden. Manche Stimmen aus der kritischen Forschung vertreten sogar die Ansicht, dass das System von Sozialaudits eher die negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen verstärkt.1 Der lange Zeit größ- te und profitabelste Smartphoneanbieter Apple veröffentlicht etwa seit über zehn Jahren Nachhaltigkeitsberichte. Bei kriti- scher Durchsicht wird klar, dass darin zumindest implizit ein sozialer Stillstand eingestanden wird. Themen wie extrem viele Überstunden und zu niedrige oder gar nicht ausgezahl- te Löhne dominieren das Bild unverändert. »Mobile Phone« von Liu Bolin (Ausschnitt) Zieht man die industrieunabhängige Berichterstattung von zivilgesellschaftlichen Organisationen hinzu, wird der Befund noch krasser. Im Sommer 2019 berichtete China Labor Watch zum In den Betrieben auf der zweiten und dritten Stufe der Lieferkette wiederholten Mal über Menschenrechtsverstöße und Verstöße ist die Situation noch schlimmer. Da hier selbst die zumindest gegen das chinesische Arbeitsgesetz in den Lieferketten von Ama- begrenzte Wirkung der industriegeführten Sozialaudits ausbleibt, zon und Apple. In einer Foxconn-Fabrik in der Provinz Hunan, die mangelt es erheblich beim Arbeits- und Gesundheitsschutz. für Amazon Echo Dot und Kindle-Geräte herstellt, wurden neben Arbeiter*innen müssen etwa ohne Handschuhe mit gefährlichen den bekannten problematischen Arbeitsbedingungen zusätzlich Chemikalien hantieren und giftige Dämpfe einatmen. 2014 hat 16 bis 18jährige Jugendliche als Praktikant*innen zu Überstunden das Recherchenetzwerk Verité einen Bericht über Zwangsarbeit von und Nachtarbeit gezwungen. Und in einem Foxconn-Werk, das für Wanderarbeiter*innen in der Elektronikindustrie in Malaysia veröf- Apple Geräte herstellt, wurden ein illegal hoher Anteil von fentlicht. Unternehmen wie HP haben darauf recht zügig mit der Leiharbeiter*innen festgestellt sowie monatlich etwa hundert Über- Veröffentlichung von Richtlinien zur Einstellung ausländischer stunden pro Arbeiter*in. Wanderarbeiter*innen in ihren Lieferketten reagiert. iz3w-Dossier D · 10
Smartphones Zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation kam es aber dells angesiedelt. Der Betrieb weist einen Sachverhalt auf, der in nicht. Mitte 2019 veröffentlichte Danwatch in Zusammenarbeit den letzten zehn Jahren als extrem unwahrscheinlich galt: Er mit dem Projekt Make ICT Fair einen Bericht zur Situation von verfügt über einen Betriebsrat und einen Tarifvertrag. Der Grund Wanderarbeiter*innen in Malaysia. Ein komplexes Netzwerk von dafür besteht in einem sehr hohen Automatisierungsgrad, der als Leiharbeitsfirmen führt hier zu Zwangsarbeit. Um an Arbeit zu Modell »Industrie 4.0« verkauft wird. gelangen, müssen die Arbeiter*innen Anwerbegebühren an die Eine in Medien oft gestellte Frage ist, ob es angesichts der Leiharbeitsfirmen entrichten, die oft ihre Pässe einziehen. So kom- Menschenrechtsverstöße und der extrem negativen ökologischen men sie in eine Art moderner Schuldknechtschaft. Auch deutsche Auswirkungen bei der Smartphone- und Akkuproduktion (die hier Unternehmen sind davon betroffen, wie Spiegel+ am 28. Juni ausgelassen sind) überhaupt möglich sei, fair und nachhaltig berichtete. Die Kieler Unternehmensgruppe Possehl, die Infineon produzierte Kommunikationstechnik zu kaufen. Nachgeschoben zuliefert, lässt in Melaka Einzelteile für die Chipproduktion fertigen. werden dann meistens Empfehlungen, was als Konsument*in zu Danwatch konnte in diesem Werk Zwangsarbeit und Schuldknecht- machen sei. Die darin zum Ausdruck gebrachte Besorgnis ist schaft dokumentieren. Infineon reagierte richtig, die Frage dennoch falsch. auf die Vorwürfe lediglich mit dem Ver- Nicht die Kund*innen bestim- weis auf die Verpflichtung aller Liefer men, wie privatwirtschaftlich anten zur Einhaltung internationaler In einigen Betrieben sind Zwangsarbeit organisierte Unternehmen ihre Standards. und Schuldknechtschaft dokumentiert Produktion organisieren. Und es In den noch weiter vorgelagerten sind nicht die Kund*innen, die Teilen der Lieferkette der Elektronik Verantwortung für diese Ent- industrie wie dem Rohstoffabbau ist die scheidungen tragen. Hier hat die Situation noch schlechter. Hier wird schon die bloße neoliberale Diskurshoheit es erfolgreich geschafft, die soziale und Bereitschaft von Unternehmen, grundlegende Menschenrechte ökologische Verantwortung von den Unternehmen auf die einzuhalten, als ein Erfolg gewertet. Bei alledem ist es aber wichtig Kund*innen abzuwälzen. zu verstehen, dass dies nicht lokale Probleme in bestimmten Län- Um auf die falsche Frage mit Zahlen zu antworten, denn die dern sind. Es handelt sich vielmehr um systemische Probleme, die können ja angeblich nicht lügen: Bei einem jährlichen Verkauf von auch in Fabriken in Mittel- und Osteuropa existieren. Auch hier über 1,4 Milliarden Smartphones dürften die Entscheidungen kommt es regelmäßig zu Verstößen gegen Arbeitsgesetze. einiger weniger Kund*innen der Industrie ziemlich egal sein. Selbst bei den Ingenieur*innen in der Produktentwicklung sind Ohnehin ist die Entscheidung weitgehend nichtig, denn alle Te- in letzter Zeit gravierende Verstöße an die Öffentlichkeit gelangt. lefone werden aus denselben oder sehr ähnlichen Komponenten In der unter der Bezeichnung »996« in China geführten Debatte von denselben Kontraktfertigern gebaut. kritisieren Hochqualifizierte die Länge ihres Arbeitstages von neun Mehr Erfolg könnte dem Konzept des bewussten Konsums Uhr morgens bis neun Uhr abends bei sechs Wochentagen. Huawei vielleicht im Fall der äußerst lukrativen öffentlichen Anschaffungen stellte Ingenieur*innen Matratzen neben die Bürotische, um die beschieden sein. Seit 2014 kann bei öffentlichen Beschaffungen Übernachtung im Büro zu erleichtern. Laut Berichten gibt es so in der EU die Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards genannte »Kämpfer -Verträge«, in denen Beschäftigte sich ‚freiwil- eingefordert werden. Somit können Städte, Universitäten und lig‘ verpflichten, Überstunden zu leisten sowie auf den bezahlten andere Einrichtungen der öffentlichen Hand beim Einkauf von Jahresurlaub und den Mutterschafts-/ Vaterschaftsurlaub zu ver- Informations- und Kommunikationstechnik beispielsweise die zichten. Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnormen als Mindeststandard ver- langen. Wichtig ist dabei jedoch, dass die öffentlichen Beschaffer*innen Europa, war da noch was? die Einhaltung sozialer und ökologischer Kriterien durch indust- Europa wird derweil im Bereich der mobilen Kommunikation wei- rieunabhängige Organisationen überprüfen lassen. Dieser Hand- ter abgehängt. Die Fertigung ist fast vollständig ausgelagert, die lungsansatz beträfe allerdings zumeist andere Informations- und Produktentwicklung hinkt hinterher. Nur Teile der Technologieent- Kommunikationstechnik-Produkte als Smartphones, welche über- wicklung sind noch dageblieben. Gleichzeitig sind chinesische wiegend individuelle Konsumgüter sind. Unternehmen stärker sichtbar. Allein Huawei betreibt mindestens Letztlich wird für eine Humanisierung der Produktion die Fähig 18 Entwicklungszentren in zehn europäischen Ländern und be- keit der Arbeiter*innen, sich zu organisieren, entscheidend sein. schäftigt über 1.500 Hochqualifizierte. Hier wird Grundlagenfor- Da sie es aber mit Megakonzernen und globalen Lieferketten zu schung betrieben, die dann in China zu marktfähigen Produkten tun haben, sind sie auf Unterstützung aus den Zentren angewiesen, weiter entwickelt wird. Hinzu kommen Innovationszentren, in die sie nutzen können, um den notwendigen Raum zur Organi- denen Huawei direkt mit Netzbetreibern an ‚Lösungen‘ arbeitet. sation zu bekommen. Darüber hinaus betreibt die Firma zwei regionale technische Hilfs- zentren, zehn Trainingszentren und fünf lokale Netzwerkbetreiber- Anmerkung zentren. 2014 beschäftigte Huawei rund 10.000 Menschen in 1 LeBaron und Lister (2016): Ethical Audits and the Supply Chains of Global Europa. Und wie jedes große Technologieunternehmen (das zudem Corporations. SPERI Global Political Economy Brief No. 1 in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeitet) hat Huawei seit über fünf Jahren ein eigenes sehr aktives Büro für die Lobbyarbeit in Brüssel. tt Peter Pawlicki ist Soziologe und forscht zur Entwicklung der Seit einiger Zeit werden aber auch wieder Smartphones in Eu- internationalen Arbeitsteilung in der Elektronikindustrie. Derzeit ropa gefertigt. In Bocholt hat Gigaset die Endfertigung eines Mo- arbeitet er für die Nichtregierungsorganisation Electronics Watch. D · 11
Smartphones Hätte, hätte, Lieferkette Als das erste 2013 auf dem Fairphone Markt Wie fair ist das Fairphone? erschien, erre gte es viel Aufmerksam keit. Endlich ein Smartpho ne, das ohne Konfliktminer alien und plizierten Problemen ohne Kinderarbeit von Elena Kolb hergestellt einen klaren Mittelweg umge- wurde! Doch konnte es ben.« Nach zwei Jahren der September 2019: Stolz präsentiert das niederländische den Anspruch Diskussion wurde die Initiative einlösen, Sozialunternehmen Fairphone B.V. die dritte Genera- in sozialer wie für gescheitert erklärt. in ökolo tion seines gleichnamigen Smartphone-Modells. »Es gischer Hinsi Für die Endmontage des Fair- cht fair ist kein Geheimnis: Wir wollen die Welt verändern. produziert zu phone 3 wurde eine neue Part sein? Fairphone stellt Mensch und Umwelt an erste Stelle«, nerschaft mit Arima in Suzhou heißt es zu diesem Anlass auf der Webseite. Für 450 in China eingegangen. Die Ar Euro erhalten die Kund*innen mit dem Fairphone 3 beitnehmer*innen werden dort ein Mittelklasse-Smartphone. Im Gegensatz zu den nun von Fairphone selbst zu ihren beiden vorherigen Generationen lässt es sich äußer- Wünschen und Verbesserungsvor- lich kaum noch als klobiges Ökohandy identifizieren. schlägen befragt. Vor kurzem Die Käufer*innen des Fairphones unterstützen wurden Wahlen für eine Vertretung eine Firma, die sich Recycling und Kreislaufwirtschaft, faire Mate- der Arbeiter*innen eingeführt und rialien, nachhaltige Endprodukte und gerechte Arbeitsbedingungen eine neue Kantine eröffnet. Außerdem wurde untersucht, wie auf ihre Fahnen schreibt. Fairphone B.V. entstand aus einer Kam- hoch eine existenzsichernde Bezahlung sein müsste. Das Ergebnis: pagne der Waag Society zu Konfliktmineralien und wird heute von Ab November 2019 werden pro hergestelltem Fairphone 1,50 Euro mehreren sozialen Investor*innen getragen. Regelmäßig werden zusätzlich an die gesamte Arbeiter*innenschaft ausgezahlt. außerdem Fremdmittel beantragt und Crowdfundings initiiert. Für das Fairphone 3 wurden bisher Produktionsanlagen von 76 Bisher verkaufte das Unternehmen 60.000 Fairphones der Ge- Komponentenherstellern in China, Japan und Korea identifiziert. neration Eins und 115.000 Fairphones der zweiten Generation. Bis Doch damit sind noch nicht alle Zulieferbetriebe erfasst und es ist Ende 2019 sollen 40.000 Fairphones der dritten Generation auf nicht geklärt, wo sich alle zugehörige Minen sowie Schmelz- und den Markt kommen. Das ist nicht viel im Vergleich zu anderen Veredelungsanlagen befinden. Bisher wurden nur in sechs dieser Herstellern. Die Geschäftsführerin von Fairphone, Eva Gouwens, Firmen Programme zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen vergleicht das Nischenunternehmen daher mit einem »Moskito«, durchgeführt. das die Global Player in der Elektronikindustrie nachts nicht schla- Fairphone versucht auch, die Lieferketten der verbauten Mate- fen lässt. rialen zu prüfen. Zusammen mit der Dragon Fly Initiative wurden über 40 verschiedene Materialien im Fairphone festgestellt. Die Dragon Fly Initiative aus Großbritannien setzt sich für nachhaltige Probleme ohne Mittelweg Lieferketten von Mineralien ein und vermittelt Hersteller an sozial Seit das erste Fairphone Aufsehen erregte, ist viel passiert und verantwortliche Lieferanten und Produzenten. Fairphone legt den Fairphone musste einige Niederlagen eingestehen. Der Anspruch, Fokus auf die Lieferketten von acht Materialien, bei denen das ein »gerechtes« Smartphone herzustellen, erwies sich angesichts größte Verbesserungspotential erkannt wurde: Kobalt, Kupfer, Gold, komplexer Produktionsketten als utopisch. Im Impact Report vom Lithium, Neodymium, Plastik, Zinn und Wolfram. Die Lieferketten Dezember 2018 heißt es: »Während wir sorgfältig recherchieren, dieser Rohstoffe sollen bis zum Jahr 2020 möglichst fair gestaltet sind wir oft durch die Informationen begrenzt, die Lieferanten mit werden. uns teilen können oder wollen. Darüber hinaus gibt es für einige Am Vorzeigebeispiel Gold lässt sich der bisher größte Erfolg unserer Schwerpunktmaterialien noch keine nachhaltigen Quellen ablesen. Das im Fairphone verbaute Gold ist mit dem Fair-Trade- – deshalb müssen wir Wege finden, mit einem Netzwerk von Part- Siegel ausgezeichnet. Es wird in peruanischen Minen abgebaut nern verantwortungsvollere Lieferketten aufzubauen.« und ist bis zur Goldraffination in der Schweiz zurück verfolgbar. Im Fairphone legt Wert auf faire Arbeitsbedingungen bei der End- Shanghai Gold Exchange (SGE) kommt es jedoch zum zulässigen montage. Dafür war geplant, beim chinesischen Endmontage- »Mengenausgleich«, das heißt ab diesem Zeitpunkt wird das faire Hersteller für das Fairphone 2 einen Worker Welfare Fund einzu- Gold mit konventionellem Gold vermischt. Da alle chinesischen führen, der unter anderem den Dialog zwischen Arbeiter*innen Lieferbetriebe, die an der Produktion des Fairphones beteiligt sind, und Management fördern sollte. Im Impact Report von 2018 heißt ihr Gold über das SGE erwerben, ist ein späterer Mengenausgleich es dazu: »Wir sahen uns mit rechtlichen und bürokratischen zurzeit nicht möglich. Deshalb versucht Fairphone, eine neue Hindernissen durch Gesetze der Chinesischen Union sowie Bank- Goldlieferkette mit Kleinbergbau in Uganda zu implementieren anforderungen konfrontiert. Hinzu kamen Bauteilengpässe und und kooperiert dazu mit UNICEF und Stop Child Labour. Dieses unregelmäßige Fairphone-Produktionen, und wir waren von kom- Projekt wurde für den Responsible Business Award 2019 nominiert. iz3w-Dossier D · 12
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