VIELFALT. GRENZEN. MÖGLICHKEITEN - DAS PRINZIP BERGWACHT
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VIELFALT. GRENZEN. MÖGLICHKEITEN. iebe Mitglieder und Freunde der Bergwacht Bayern, unsere Gesellschaft sieht sich mit einer Krise nach der anderen konfrontiert. Die Covid-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die steigenden Energiekosten und übergeordnet der Klimawandel – all diese Probleme beschäftigen und belasten die Menschen. Da ist es nur zu gut nachvollziehbar, dass die Berge zeitlos rein und die Bewegung im Freien eine hohe Anziehungskraft ausstrahlen und viele Bergsportlerinnen und Bergsportler ihre Akkus in der Natur wieder aufladen möchten. Der hohe Freizeitwert unserer bayerischen Bergwelt, gepaart mit einem Thomas Lobensteiner, Landesvorsitzender unvergleichlich hohen Nutzungsdruck, stellen uns als Bergwacht vor neue Adelholzener Mineralwasser. Herausforderungen. Die reine Kraft der Alpen. Das ehrenamtliche Engagement unserer 3.761 Bergwachtfrauen und -männer wird mehr denn je gefordert. Auf den kommenden 60 Seiten zeigen wir Ihnen diese Herausforderungen im Hinblick auf unsere drei Schwerpunkte: Vielfalt, Grenzen, Möglichkeiten. Mit dem Begriff Vielfalt beleuchten wir die Vielfalt der Menschen, die sich dem Ehrenamt verschrieben haben, sowie die Vielfalt der Einsätze in der Bergwacht Bayern. Wir freuen uns, dass uns unterschiedliche Akteurinnen und Akteure in der Bergrettung in Interviews an ihren Rollen und Aufgaben teilhaben lassen. In unserer Porträtserie stellen wir speziell Bergwachtfrau- en in das Rampenlicht – denn was mittlerweile in der Gesellschaft alltäglich erscheint, ist bei der Bergwacht noch lange nicht selbstverständlich. Ebenso vielfältig wie unsere Rettungskräfte sind auch die Einsatzlagen sowie Jürgen Bummer, stellv. Vorsitzender die zukünftigen Aufgaben, denen sich die Bergwacht im Katastrophenschutz stellen muss. Mit Grenzen müssen wir uns in unserer täglichen Rettungsarbeit immer wie- der auseinandersetzen. Wir können mit unserer Leistung Grenzen verschie- ben und alles Menschenmögliche tun, doch auch wir haben nicht alles in der Hand und müssen manchmal der bitteren Wahrheit ins Auge sehen. Dies hat uns im vergangenen Oktober die dramatische Vermisstensuche am Hochkal- ter in den Berchtesgadener Alpen verdeutlicht. Immer wieder eine Grenzerfahrung ist der Unfalltod am Berg, der nicht immer durch einen Absturz hervorgerufen sein muss, wie ihn die Medien gerne zeigen, sondern auch beispielsweise die Folge einer internistischen Erkrankung sein kann, was selbstverständlich für Begleiter, Angehörige und letzten Endes für unsere RetterInnen nicht weniger tragisch ist. Jan Ulbrich, stellv. Vorsitzender Nahezu täglich entwickeln wir Technik und Material im Kontext Bergrettung weiter. Hier im Bergwacht Magazin nehmen wir Sie mit zu den neuesten Ent- wicklungen in der Luftrettung, in der Seiltechnik und im Ausbildungsstan- dard und zeigen unsere Möglichkeiten auf. Auch Sie haben die Möglichkeit, ein Teil der Bergwacht Bayern zu werden und uns dadurch in unserer täglichen Rettungsarbeit zu unterstützen. Mit Ihrer Spende helfen Sie uns, weiterhin Verantwortung zu übernehmen und mit unseren Mitteln und Fähigkeiten in Not Geratene zu retten. Herzlichen Dank an alle Aktiven und Förderer für Ihren Einsatz für die Bergwacht Bayern. Ihr Thomas Lobensteiner im Namen der gesamten Landesleitung der Bergwacht Bayern Klaus Schädler, Geschäftsführer EDITORIAL 5
6 Wenn der Berg der Stärkere ist – 31 Einsätze in den Regionen Von Dezem- ber 2021 bis November 2022 leisteten die Ehrenamtlichen fast 10.000 Notfall- Unglück am Hochkalter einsätze in ganz Bayern und über die Grenzen hinaus: ein Querschnitt. 42 Jugendarbeit in der Bergwacht Die Bergwacht ist formal kein Verband der Jugendarbeit, und dennoch gibt es zahlreiche Jugendgruppen in den 45 Bereitschaften: ein Überblick. 45 „Schult ihr noch oder trainiert ihr 19 schon?“ Neue Formate in der Aus- und Interviewreihe: Frauen „Schult ihr noch Weiterbildung der Bergwacht Bayern in der Bergwacht Bayern oder trainiert ihr schon?“ 52 Nicht alles, was geht, ergibt Sinn! 31 Materialentwicklung in der Bergwacht Bayern Einsätze in den 6 Wenn der Berg der Stärkere ist – 55 „Habt den Mut, auch mal umzukeh- ren.“ Der Alpinrechtsexperte Dr. Klaus Unglück am Hochkalter: Die mehrtägige Burger über das Recht auf Rettung, wie Bergwachtregionen Vermisstensuche in den Berchtes- er zu Risiko am Berg steht und was er gadener Alpen nahm ein tragisches von der Digitalisierung hält Ende. Welche Maßnahmen ergriffen wurden, erzählt Einsatzleiter Michael Renner im Interview 12 Wenn die Katastrophe kommt Katastrophenschutz und die Bergwacht Bayern. Der Klimaforscher Dr. Joachim Schug über den Klimawandel und seine Auswirkungen auf den Katastrophen- schutz Titelfoto Einsatztraining der Bergwacht 28 16 Garmisch-Partenkirchen im Der G-7-Gipfel 2022 in Schloss Elmau Wettersteingebirge Rubriken Das Treffen der G-7-Staatsoberhäupter Foto: Julian Bückers glich einem Kraftakt für die Bergwacht 28 Bergwacht Technik: Der neue Flugsimulator im BW-ZSA in ganz Bayern 41 Statistik 19 Interviewreihe: Frauen in der 48 Leistungsauszeichnungen Bergwacht Bayern 49 Ehrungen Drei Bergwachtfrauen über ihre Rollen 50 Jubiläen und ihr Selbstverständnis 51 Bergwacht International 59 Bergwacht im Fokus: Weil Idealismus 24 Tod im Gebirge Perspektiven zur Ein- ordnung und Einsatzleiter Johannes alleine nicht ausreicht – unterstützen Sie die Bergwacht Bayern Mikenda im Interview über die Rolle 62 Impressum des KID Berg 6 INHALT INHALT 7
Wenn der Berg derUnglück Stärkere ist am Hochkalter – Ein 24-Jähriger aus Niedersachsen rutscht am Hochkalter ab und stirbt, obwohl er nur leichte Verletzungen erlitt und mehrmals mit den Einsatzleitern telefoniert. Text: Sabrina Höflinger; Fotos: BW Ramsau, M. Emik Polizei as ist geschehen? hubschrauber der Bundespolizei konnten mehrere Als die Alarmierung der Leitstelle Tirol die Bergwacht Bergretterinnen und Bergretter in das Ofental an die Ramsau am Samstagnachmittag, 17. September 2022, Wolkenuntergrenze fliegen, während weitere Einsatz- gegen 15 Uhr erreichte, herrschten bereits seit vielen kräfte im Klausbachtal ein Digitalfunk-Gateway für Stunden widrige Witterungsverhältnisse mit Schnee, das ansonsten abgeschattete und nicht erreichbare Starkregen, Wind und Temperaturen von minus sechs Ofental aufbauten. Grad auf 2.600 Meter Höhe – der Beginn eines tage- Gegen 19.30 Uhr erreichte der Trupp aus dem Ofental langen und kräftezehrenden Krimis für die Bergret- rund 2.600 Metern Höhe, wobei die RetterInnen im terinnen und Bergretter aus Ramsau, Berchtesgaden, Aufstieg trotz der schlechten Sicht und des vereisten Bad Reichenhall und Marktschellenberg, für drei und teilweise mit einem halben Meter Schnee be- Bergwachtnotärzte, für das LKLD Team Region deckten Untergrunds die eingeschneiten und einge- Chiemgau, für den Kriseninterventionsdienst und für wehten Rinnen und Querungen so gut wie möglich die Polizei. abgesucht hatten, aber sich wegen des starken Winds Insgesamt 133 Rettungskräfte suchten über mehrere kaum untereinander verständigen konnten. Unter Tage unter extremen Bedingungen nach dem Mann, diesen Umständen hatten sie ebenfalls nur geringe der trotz mehrmaligen Telefonkontaktes und Ortungs- Chancen, den Vermissten auch nur in wenigen Me- versuchen über mehrere Ortungsdienste nicht gefun- tern Entfernung zu sehen oder zu hören. den werden konnte. Gegen 20 Uhr ließen die Einsatzleiter alle Kräfte auf Laut Einsatzmeldung war eine männliche Person am der Westseite des Berges aufgrund der widrigen Ver- Ofentalhörndl abgestürzt und hatte sich dabei beide hältnisse im Schneesturm abbrechen und absteigen, Arme gebrochen sowie eine Kopfverletzung zugezogen. da das Risiko für die Retterinnen und Retter mit keiner Gegen 15:45 Uhr konnte der Abgestürzte im Rückruf weiteren Maßnahme mehr reduzierbar war. durch die Ramsauer Einsatzleiter dann angeben, dass Ausschlaggebend dafür war die Lageeinschätzung des er zwischen Klein- und Hochkalter abgerutscht war Trupps auf 2.600 Meter Höhe: eine Querung in die und nicht ernsthaft verletzt sei. Danach sei er weiter Wand war unter diesen Bedingungen nicht möglich, durchs Gelände abgestiegen, habe aber im Schnee und der eigene sichere Abstieg musste kritisch be- keine Wegmarkierungen mehr gefunden und sei trachtet werden. Der Gipfeltrupp musste sich noch schließlich weder vorwärts- noch zurückgekommen. vor dem Abstieg in einem Notzelt vor dem eiskalten Der Rettungshubschrauber „Christoph 14“, der Wind in Sicherheit bringen und für den Abstieg auf- Polizeihubschrauber „Edelweiß 2“ und der Transport- wärmen, wobei weitere Retterinnen und Retter den 8 GRENZEN 9
zu gefährlichen Abstieg an der Ofentalschneid unter- brachen, da alles vereist und eingeweht war und aufwendig mit Seilen versichert werden musste. Trotzdem kamenalle Beteiligten sicher talwärts und verließen gegen 22 Uhr das Ofental. Ein weiterer Vorstoß mit Fahrzeugen und zu Fuß über die Blaueishütte und die Ostseite, der um 20 Uhr startete, musste gegen Mitternacht nach Erreichen des Rotpalfen abgebrochen werden, da der weitere Anstieg über den vereisten und eingeschneiten Grat, als nicht kalkulierbar bewertet werden musste. Gegen 21.30 Uhr hatte der Einsatzleiter letztmalig telefonischen Kontakt mit dem Vermissten, wobei er ihm Mut zusprach, auf keinen Fall aufzugeben und trotz der widrigen Verhältnisse durchzuhalten. Am Sonntagmorgen, 18. September 2022, um 6 Uhr startete die Suche erneut, doch bei Neuschnee mit ei- ner Schneehöhe über einem Meter, einer unklaren Lawinengefährdung und schlechter Sicht mussten die Bergwachtkräfte wiederholt kapitulieren. In den nächsten Tagen war die weitere Suche mit Lawinenausrüstung und Überflügen mit modernster Technik ergebnislos. Am Donnerstag, 22. September 2022, nach sechs lan- gen Einsatztagen, beschloss der Einsatzleiter in Ab- sprache mit der Polizei, dass weitere Suchmaß- nahmen ohne konkrete Anhaltspunkte nicht mehr zielführend sind. Rien ne va plus. Mehr geht nicht. Der Berg hat gewonnen. Interview mit Michael Renner Es war alles Bergwacht- und Menschenmögliche ge- tan worden, sogar die Bundeswehr hat zwischenzeit- lich einen Eurofighter über das Suchgebiet geschickt, um hochauflösende Bilder zu erhalten, doch irgend- wann war die Grenze erreicht. Die Grenze, die zwar Wir haben mit Michael Renner von der Bergwacht Ramsau gesprochen. Der 37-jährige Familienvater schwer zu akzeptieren ist, doch sehr deutlich aufzeigt, leitete die Vermisstensuche am Hochkalter und erzählt uns, wie er den Einsatz erlebt hat. dass der Berg manchmal der Stärkere ist. Was bleibt, Text: Sabrina Höflinger; Fotos: BW Ramsau, M. Emik Polizei ist, einen Einsatz aufzuarbeiten, der an Komplexität und Medieninteresse nur schwer zu überbieten ist und der dennoch eine ehrenamtliche und gemein- schaftliche Meisterleistung darstellt. Mit tragischem ie hast du den Tag der Alarmierung erlebt? Ofental eingrenzen konnte. Zunächst habe ich Michael Ende für den Vermissten. Renner: Ich war den ganzen Tag bei Freunden auf der Partholl unterstützt und mich darauf vorbereitet, mit Bei einem Überflug eines österreichischen Polizeihub- Baustelle, habe Fliesen von Wänden und Böden ent- dem Bergwachtnotarzt aus Marktschellenberg bis zur schraubers wurde knapp vier Wochen später in den fernt und die Alarmierung selbst, wegen des Lärms des Wolkenuntergrenze geflogen zu werden, um dann wei- Südwestabstürzen des Hochkalters auf einem Schnee- Bohrhammers, überhaupt nicht mitbekommen. Nicht ter durch das Ofental zum Hochkalter aufzusteigen. Da- feld der leblose Körper des Vermissten entdeckt. Da- ganz eine Stunde nach Alarmierung, in einer Pause, ha- zu kam es nicht mehr, da sich die Wolkengrenze so weit raufhin wurde die Polizeiinspektion Berchtesgaden be ich den Alarm auf meinem Handy gelesen. Zum Zeit- nach unten verschob, dass kein sinnvoller Lufttransport informiert, die in etwa 2.250 Metern Höhe, in der be- punkt der Alarmierung hatte es schon 24 Stunden an- mehr möglich war. So landete ich wieder in der Einsatz- reits vermuteten Absturzrinne, den Leichnam schließ- haltend und teilweise sehr stark geregnet. Ich habe in zentrale und habe dann die Einsatzleitung übernom- lich bergen konnte. der Wache angerufen und Michael Partholl, der Lawi- men beziehungsweise übergeben bekommen. Danach nenhundeführer, hat mir gesagt, dass ich bitte vorbei- gings Schlag auf Schlag weiter und der Einsatz spitzte kommen möchte. Ich bin nach Hause gefahren, habe sich zu. mich auf eine nasse Nacht eingerichtet und bin an- schließend weiter zur Rettungswache. Der Einsatz lief bereits knapp zwei Stunden, als ich dort ankam. Einen solchen Einsatz wie diesen hatte ich noch nie. Noch nie musste ich solche Was waren deine ersten Gedanken und Schritte, die du Telefonate führen. als Einsatzleiter nach der ersten Alarmierung eingelei- tet hast? Renner: Die Rettung hatte sich ins Ofental entwickelt, Wann hast du gemerkt, dass der Einsatz tragisch wird? da der zu Beginn diensthabende Einsatzleiter den Renner: Es zeichnete sich leider sehr schnell ab, dass Einsatzort telefonisch zwischen Hochkaltergrat und die Wetterbedingungen im Einsatzraum für eine 10 GRENZEN INTERVIEW 11
Rettung, auch ohne Suche, denkbar schlecht waren. Wann hast du eine Grenze gezogen, dass nun alles Der Schneesturm war so intensiv und laut, dass sich die Bergwachtmögliche getan war, und wie bist du damit Rettungskräfte untereinander nur schwer verständigen umgegangen? konnten. Auch die Funkverbindung ins Tal und unterei- Renner: Wetterbedingt konnten wir erst am 21. Sep- nander war schlecht. Die Netzabdeckung dort ist sehr tember 2022, also vier ganze Tage nach Einsatzbeginn, lückenhaft, und auch mit unserem Gateway konnten zum ersten Mal in das eigentliche Suchgebiet. Wir fan- wir dort nicht alles versorgen. den mit dem Suchverfahren Recco den Rucksack des Tragisch wurde es, als der Rettungstrupp den Gipfel auf Vermissten, in dem sich etwas Proviant, aber sonst we- 2.608 Meter Höhe erreichte, was aufgrund der Wetter- nig befand, was man in solch einer Lage hätte brauchen bedingungen eine Meisterleistung an sich war. Obwohl unsere Retter immer wieder in die Wand geleuchtet können. Das war der Punkt, an dem wir uns absolut keine Hoffnungen mehr machten. Der Gesuchte war SMARTE ENTSCHEIDUNGEN BERUHEN AUF WISSEN. und gerufen haben, konnten sie keinen Kontakt her- definitiv unterhalb der Schneedecke, optisch nicht zu stellen. Ortungsversuche des Handys des Vermissten lokalisieren. Am Folgetag konzentrierte sich unsere Su- durch die Leitstelle schlugen den ganzen Abend über che erfolglos auf die Falllinien ober- und unterhalb der fehl. Die Telefonate mit dem Verletzten waren drama- Fundstelle des Rucksacks, wieder mit Recco und mit La- tisch und wurden mit jedem Mal dramatischer – auch, winensonden. Am Ende dieses Tages unterbrachen wir weil für uns eine Rettung nicht absehbar war. den Einsatz nicht ohne intensive Diskussion. Alle Mittel Michael Partholl wollte den WhatsApp-Standort des waren ausgeschöpft – technisch war keine Steigerung Vermissten herausfinden, aber die Daten zeigten eine unseres Einsatzwertes mehr zu erzielen. Ungenauigkeit von 180 Metern im Durchmesser an. Das ist in dieser Wand ein wahnsinnig großes und un- Wie hast du das mediale Interesse bewerkstelligt? übersichtliches Gebiet – auch ohne Schneesturm. Renner: Am 19. September 2022 war das erste Kame- Die Rettungskräfte am Gipfel bewerteten die eigene rateam in der Ramsau. So weit war das nichts Unge- Situation für sich dann so, dass eine Querung in die wöhnliches. Die mediale Welle brach am 20. Septem- Wand unter diesen Bedingungen nicht möglich sei und ber 2022 mit voller Wucht über uns herein. An diesem sie sich aufgrund der Kälte und Nässe in das Notzelt Tag war aufgrund des Wetters keine Suche möglich. Re- setzen mussten, um sich für den Abstieg aufzuwärmen. porter und Kamerateams waren vor Ort und klingelten Da war mir klar, dass eine erfolgreiche Rettung in die- an der Rettungswache für ein Interview. HÄTTEST DU ES GEWUSST? ser Nacht einem Wunder gleichkommen würde. Wir Unser Telefon hörte nicht auf zu klingeln. Wir hatten Triebschneeansammlung in hatten am Wandfuß (2.250 Meter Höhe) zu diesem bis zu drei Anrufer gleichzeitig in der Leitung. Markus kammnahen Bereichen. Zeitpunkt nur wenige Kräfte, die bei einem Eigenunfall Leitner vom BRK wurde in der Pressemeldung der DPA hätten eingreifen können. Dies war unsere nächste als Ansprechpartner für unseren Einsatz angegeben. große Sorge: den Trupp vom Gipfel für den Abstieg Auch sein Telefon stand nicht mehr still. Für die Folge- solide abzusichern. tage rechneten wir mit einem noch größeren Pressean- So blieb uns für die Suche nur noch der zweite Trupp, sturm, da das Wetter eine Fortsetzung der Suche zulas- der inzwischen den Weg über die Blaueishütte auf sich sen würde. nahm, einen viel längeren Weg über den Grat hätte ab- Markus Leitner bearbeitete vier Tage lang nur Presse- solvieren müssen und letztlich gegen Mitternacht ab- anfragen zu unserem Einsatz. brechen musste. Rudi Fendt (ehemaliger Bereitschaftsleiter), Thomas Meeß (Bereitschaftsleiter), Martin Emig vom Polizei- präsidium Oberbayern Süd und einige weitere küm- Michael Renner, Einsatzleiter BW Ramsau merten sich um die Presse vor Ort (zum Beispiel Radio Bayern 3, Süddeutsche Zeitung …). Ich übernahm abends die Betreuung unserer Social-Ka- näle. Unterm Strich muss man sagen, dass wir als Berg- wacht im Bereich Presse und Kommunikation nur sehr begrenzt eskalationsfähig sind. LERNE LEBENSRETTENDES WISSEN Kannst du dich persönlich von solchen belastenden IM DIGITALEN SAFETY ACADEMY LAB SNOW Situationen distanzieren? Renner: Meistens klappt es ganz gut, durch eine pro- fessionelle Distanz die Belastung nicht an sich heranzu- lassen. Falls es dann doch außergewöhnlich war, dann hat ja jede(r) seine eigene Art, damit umzugehen. Ich denke, es ist dann auch ganz normal, dass einen das ein paar Tage beschäftigt und man das erst für sich ver- arbeitet. In der Situation selbst funktioniert man ein- fach – das ist vielleicht noch so ein Überbleibsel von der Bundeswehr. Einen solchen Einsatz wie diesen hat- te ich jedoch noch nie. Noch nie musste ich solche Te- lefonate führen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich emotional so distanzieren kann, dass einem das nicht in irgendeiner Art nahegeht. Wir (vor allem Michael Partholl und ich) haben danach viel miteinan- Wer in den Bergen unterwegs ist, der gesprochen. Das war gut und hat geholfen. trägt Verantwortung. Dich bestmöglich vorzubereiten ist unsere Aufgabe seit 1980. 12 INTERVIEW 13
denke an den Waldbrand in Sachsen oder die Flut im leisten. Zumal die Bergwachtbereitschaften bei sich Ahrtal beziehungsweise im Berchtesgadener Land nach entwickelnden Großschadenslagen meist von Anfang dem Starkregen. Für uns mögen Sonnensturm, bei an eingebunden sind. Eine Tatsache, die die Politik dem das Magnetfeld zusammenbricht, Erdbeben oder mittlerweile auch erkannt hat. Vulkanausbrüche weit weg erscheinen, doch können Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Ruß, Asche oder riesige Flüchtlingsströme ebenfalls für Bergwacht sich beim Katastrophenschutz engagiert: große Herausforderungen sorgen. Sie hat eine Verpflichtung zur Hilfe gegenüber ihren Pandemie, atomare Bedrohung und wirtschaftliche Mitgliedern, deren Familien sowie Gönnern und Unter- Probleme wie diverse Mangellagen von Materialien, stützern. Das heißt, sie erfüllt damit eine gesellschaftli- Treib- und Sonderstoffen wie Sauerstoff oder AdBlue che Aufgabe. Eine, die an sich eine gesamtgesellschaft- sind längst nicht mehr wegzudiskutieren. All das kann liche Aufgabe sein sollte. dazu führen, dass die gewohnten Infrastrukturen zu- Denn es liegt zuallererst einmal bei jedem Einzelnen, sammenbrechen: Tankstellen, Telefone, Ampeln, auto- dafür Vorsorge zu betreiben, dass eine Katastrophe matische Türen, Kassensysteme, Mobilfunkverbindun- nicht zu massiv wird. Stichwort Eigenverantwortung. gen oder medizinische Gerätschaften funktionieren Diese trifft natürlich auch und im besonderen Maße plötzlich nicht mehr. Naturkatastrophen können den Bergretter: Nur wenn er entsprechend vorbereitet Straßen und Gleise zerstören. ist, kann er auch anderen helfen und verfällt nicht Genau dann ist die Bergwacht gefragt: Sie ist im un- ebenso in Panik, wie die Menschen um ihn herum. Da- wegsamen Gelände heimisch. Sie verfügt unter ande- mit er dann auch wirklich im Einsatzfall tätig werden rem über Fahrzeuge mit einer hohen Watttauglichkeit, kann, braucht es vorbereitete Bereitschaften. Führungsunterstützungsfahrzeuge, Stromerzeuger und Daher hat die Bergwacht Bayern eine Abfrage gestar- Satellitentelefonie sowie Menschen, die mit diesen Ge- tet, um den aktuellen Istzustand der einzelnen Bereit- rätschaften professionell umgehen können. Außerdem schaften zu ermitteln. Aufgrund dieser Datenbasis sind die Einsatzkräfte der Bergwacht trainiert darin, kann die Dachorganisation nicht nur Tipps und Hilfe- Lagen zu überblicken, darzustellen und Lösungen zu stellungen geben, sondern hat auch die Möglichkeit, Die Bergwacht unterstützt die Löscharbeiten eines Bergwaldbrandes in den Ammergauer Alpen 2022. finden. Das können sie ohne großen Aufwand, sehr fle- über den Katastrophenschutzfonds Mittel zu erhalten, xibel und autark bewerkstelligen. Eine gewisse Lei- um mit weiterer Ausrüstung und Ausstattung die Resi- densfähigkeit und große Eigenverantwortung zeichnen lienz, also die Widerstandskraft, der Bergwacht Bayern diesen besonderen Menschenschlag aus. Durch ihre zu steigern. Wenn die Katastrophe kommt … Ausbildung, Intuition und ihr Können wird die Lebens- Die Resilienz in personeller Sicht ist bei der Bergwacht gefahr im Absturzgelände der Berge nicht nur bei Bayern aufgrund der Regionalstruktur der Organisation Rettungsaktionen, sondern auch beim privaten Berg- schon sehr gut ausgeprägt. Damit ist ein flächende- steigen minimiert. ckendes Handeln jederzeit möglich. Ein Beispiel aus der Praxis: Als 2019 die große Schneekatastrophe in Dass die Bergwacht perfekt für Rettungen im unwegsamen Gelände ist, ist wohl jedem klar. Südbayern herrschte, unterstützten nordbayerische Selbst der Einsatz bei Waldbrand oder Hochwasser leuchtet ein. Doch was hat die Bergwacht Bergwachteinheiten die Kollegen vor Ort. Bayern mit dem Katastrophenschutz zu tun? Eine ganze Menge. Letztlich kann die Bergwacht Bayern mit dieser Erhe- Text: Andrea Pitsch, Jörg Häusler; Fotos: BW Bayern bung auch aufzeigen, wo es Defizite in der Vorsorge gibt, und dies gegenüber der Staatsregierung vertre- ten. Dabei ist eines klar: Im Katastrophenfall geht es dann nur gemeinsam. n einem kalten Februartag brechen in Europa alle Katastrophenschutz Bayern 2025 Stromnetze zusammen. Supermärkte werden geplün- Auch wenn wir nicht wissen, wie wahrscheinlich ein dert, keiner kommt mehr an Kraftstoffe, Anarchie solches Szenario ist, gilt es, darüber nachzudenken und Andrea Pitsch ist Redakteurin bei der Hersbrucker Zeitung und hat sich für die Bergwacht Bayern mit dem Thema Katastrophenschutz befasst. bricht aus. Europa liegt im Dunkeln und die Menschen sich bestmöglich vorzubereiten. Die bayerische Staats- stehen vor ihrer bislang größten Herausforderung: regierung hat dazu das Projekt „Katastrophenschutz Überleben. Was sich anhört wie in einem Krimi, ist Bayern 2025“ ins Leben gerufen, bei dem alle tatsächlich einer. Rettungs- und Hilfsorganisationen sowie die Feuer- Temperaturveränderungen aufgrund des Klimawandels Juni bis August 2022 Doch sind wir vom „Blackout“ und seinen Auswirkun- wehren aufgefordert sind, gemeinsam den Katastro- gen, wie ihn Autor Marc Elsberg beschreibt, wirklich so phenschutz in Bayern weiterzuentwickeln. Hier kommt Die Rolle des BW-ZSA weit weg? Ist unser Fortschritt der totalen Vernetzung, auch die Bergwacht Bayern ins Spiel – und das aus Hier birgt das Bergwachtzentrum für Sicherheit und Digitalisierung, Globalisierung und der immer stärker verschiedenen Gründen. Ausbildung in Bad Tölz, kurz BW-ZSA, das zudem zu ei- werdenden Abhängigkeiten – Stichwort Produkte aus Zum einen ist sie aufgrund dieses Gesetzes als Bestand- nem bayerischen Zentrum für alpine Sicherheit erwei- China – vielleicht sogar ein Rückschritt? Und besteht teil der Gemeinschaft der freiwilligen Hilfsorganisatio- tert werden soll, großes Potenzial: Es schult nicht nur wirklich eine reelle Gefahr eines totalen Stromausfalls, nen im Rettungsdienst der Katastrophenhilfe verpflich- eigenes Personal, sondern bietet mit seinen diversen oder machen uns die Politiker gerade mit einem tet. Zum anderen kennt sich die Bergwacht beispiels- Einbauten – wie unter anderem Sessellift, Kabinen- solchen Szenario nur Angst? weise bei einem Stromausfall mit Evakuierungen aus bahn, Kletterwand, Hausdach, Hubschrauber, Wasser- Fakt ist: Der Blackout ist in aller Munde. Und: Wir sind Seilbahnen oder von Hütten sowie Häusern im unweg- becken, Höhle – unterschiedlichste Rettungsszenarien, heute nicht mehr gewohnt, dass mal der Strom weg ist samen Gelände aus. Und nicht zuletzt hat sich die Berg- die auch von Polizei, Feuerwehren, Rettungsorganisa- oder Dienste wie WhatsApp und Co. plötzlich nicht ver- wacht über die Jahrzehnte Fertigkeiten, Ausrüstung tionen, Bundeswehr oder ähnlichen Organisationen fügbar sind. Dabei kann ein Stromausfall nicht nur von und Kenntnisse angeeignet, die der Vielfalt der Bedro- zur Übung und Ausbildung seit Jahren genutzt werden. einem technischen Defekt herrühren, sondern be- hungslagen, die kommen können, gerecht werden. Mit dieser Nischenbegabung kann die Bergwacht Bay- wusst herbeigeführt werden – aufgrund unserer digital Denn auch wenn aktuell den meisten Menschen der ern nicht den großen Katastrophenschutz bewerkstelli- vernetzten Ausrichtung: durch Hacker, einen Staat, der Blackout im Kopf herumspukt: Naturkatastrophen gen, aber einen wichtigen Beitrag im Zusammenspiel einen Blackout als Waffe benutzt, Kriegswirren. werden immer häufiger und wahrscheinlicher – man der Behörden, Verwaltungen und der Blaulichtfamilie 14 VIELFALT VIELFALT 15
Die Bergwacht und das bayerische Katastrophenschutzgesetz Andrea Pitsch im Interview mit Metereologe Joachim Schug Seit dem Jahr 1996 ist im BayKSG verankert, dass die Woher kommt Ihr Interesse am Wetter? Waldbrände, Hochwasser oder Murenabgänge, Glet- Bergwacht Bayern zur Katastrophenhilfe verpflichtet ist. Schug: Ich bin in Sonthofen aufgewachsen. Nach der scherschmelze und Bergabbrüche. Denn sie ist eine freiwillige Hilfsorganisation im Sinn des Mondlandung 1969 habe ich mich – wie viele andere Schug: Der seit Jahrzehnten immer wieder angekündig- Art. 2 Abs. 13 des Bayerischen Rettungsdienstgesetzes auch – für Naturwissenschaften und Astronomie inter- te Klimawandel kommt jetzt genau so und wird auch (BayRDG). ressiert. Als kleiner Bub war es mir aber nachts drau- für immer mehr Menschen immer mehr spürbar! Durch Damit fällt der Bergwacht die Aufgabe zu, Katastrophen ßen doch etwas unheimlich ... Mit dem „Blick nach den Temperaturanstieg steckt viel mehr Energie in der abzuwehren und die dafür notwendigen Vorbereitungs- oben“ wendete ich mich dem Wetter zu. Per Zufall war Atmosphäre, die sich bei entsprechender Wetterlage in maßnahmen zu treffen. Doch was definiert das Gesetz ei- der damalige Leiter der Wetterstation Oberstdorf un- Hitzewellen, schweren Unwettern oder Starkregener- gentlich als Katastrophe? Es ist „ein Geschehen, bei dem ser Nachbar, und nach dem ersten Besuch auf der eignissen manifestiert. Seit zwei Jahren beobachten Leben oder Gesundheit einer Vielzahl von Menschen Station – ich habe Abitur in Oberstdorf gemacht – war wir auch global „record shattering“: Bisherige Wetter- oder die natürlichen Lebensgrundlagen oder bedeuten- der Fall klar: grenzenlose Begeisterung fürs Wetter, die extreme werden nicht nur ein bisschen überboten, de Sachwerte in ungewöhnlichem Ausmaß gefährdet bis heute geblieben ist. sondern massiv. Hitzerekorde in Kanada vor zwei Jah- oder geschädigt werden und die Gefahr nur abgewehrt ren (5–10 Grad über dem bisherigen Rekord), Hitze die- oder die Störung nur unterbunden und beseitigt werden Sie haben neben Meteorologie, Synoptik – also die sen Sommer in London mit ungeahnten 42 Grad, Stark- kann, wenn unter Leitung der Katastrophenschutzbehör- Kunst des Vorhersagens – und Geophysik auch Glazio- regen letzten Sommer in NRW (doppelter Wert der bis- de die im Katastrophenschutz mitwirkenden Behörden, logie studiert. herigen Rekorde), schwere Tornados (wie in den USA) Dienststellen, Organisationen und die eingesetzten Kräfte Schug: Nach dem Abitur entschied ich mich für Inns- in Tschechien … Früher oder später gibt es auch in zusammenwirken“. Expertenwissen werde zu wenig abgefragt, reale Einsatz- bruck als Studienort. Das meteorologische Institut der München Hitze mit deutlich über 40 Grad, Gewitter An diesem Zusammenwirken soll nun gefeilt werden. erfahrung zu wenig berücksichtigt. Uni Innsbruck ist ein Mekka für alpine Meteorologie. ziehen mit bisher unbekannter Stärke (Sturm, Starkre- Bayerns Innenminister Joachim Herrmann will den Katas- Die Lösung: ein Verbund aus dezentralen Kompetenz- Zum Studiengang gehörte auch Geophysik, und das In- gen, Hagel) übers Land, Dürreperioden können auch im trophenschutz weiterentwickeln, da die Einsatzlagen bei und Einsatzzentren, die verschiedene Risiken für die stitut machte Gletscherforschung im Ötztal. Während Alpenraum immer öfters zu Waldbränden führen. Katastrophen laut seiner Aussage im August 2022 immer jeweiligen Schutzziele abdecken. Das Motto müsse des Studiums habe ich alles gemacht, was sich geboten komplexer werden. Diese Reform erfolgt derzeit durch ei- „regional führen, zentral koordinieren“ lauten: Denn die hat: Glaziologie auf dem Hintereisferner, studentischer Wer kann da Aufklärung betreiben im Vorfeld bezie- nen Prozess mit allen am Hilfeleistungssystem Beteiligten Fachkenntnis und der Erfahrungsschatz aus Lagen in der Mitarbeiter beim WMO Alpex Forschungsprogramm, hungsweise wie können wir da noch gegensteuern? und soll bis zum Jahresende im gemeinsamen Papier „Ka- Region ist mit das wertvollste Gut und obliegt den Kräften Wetterbeobachter auf der Rudolfshütte, Überwinte- Schug: Den Klimawandel will die Menschheit anschei- tastrophenschutz Bayern 2025“ münden, das dem baye- vor Ort. Sie wissen, welches Gebiet tückische Gefahren rung 1984 auf der Georg-von-Neumayr-Station in der nend nicht stoppen: Weder die Bevölkerung noch die rischen Innenministerium vorgelegt werden soll. birgt oder wo welches Rettungsmittel am besten einge- Antarktis, glaziologische Forschung auf Colle Gnifetti/ Politik machen irgendwelche Schritte. Die Propaganda Im Zuge dessen erarbeiten Feuerwehren, Rettungs- und setzt werden soll. Monte Rosa, Meteorologe auf der „Polarstern“ … Mei- der Erdölindustrie von „russia today“ beispielsweise Hilfsorganisationen, also auch die Bergwacht, ihre Forde- Unterstützt werden könnte dieser Ansatz dann von Maß- ne Diplomarbeit habe ich dann über den einzigen Glet- hat offenbar gewirkt. Auch wenn heute Abend ein rungen und Anpassungsvorschläge. Die Bergwacht plä- nahmen, die Innenminister Joachim Herrmann angekün- scher der Allgäuer Alpen, den Schwarzmilzferner süd- Jungforscher unser Energieproblem sauber lösen könn- diert hier vor allem für eine bessere Vernetzung und digt hat: Er plant, Notstromaggregate und Satellitentele- lich der Mädelegabel, geschrieben: In ein paar Jahren te: Die globale Erwärmung würde trotzdem noch ein Kommunikation der Akteure, wenn es an überregionale fone zu beschaffen, die Logistik der bayerischen Hilfe- wird er leider ganz verschwunden sein … Trotz des Aus- bis zwei Jahrzehnte anhalten – wegen der Trägheit des Schadenslagen geht. Die Strukturen, die für Einsätze vor leistungskontingente aufzurüsten und einen Fokus auf flugs in die Forschung und Glaziologie, meine große Systems Atmosphäre. Somit geht es jetzt nur um Ort passen, seien nach Ansicht von Thomas Lobensteiner, die Aus- und Fortbildung zu legen. Sein Ziel ist eine ge- Liebe ist die Wettervorhersage, also die Synoptik. Klimaanpassung, also wenigstens vorbereitet zu sein Landesvorsitzender der Bergwacht Bayern, dann zu starr. samtgesellschaftliche Vorsorgeplanung auf allen Ebenen. auf die wildesten Szenarien. Alte Regeln und Gewiss- Worauf muss man bei der Wettervorhersage in den Ber- heiten sollte man vergessen und immer mehr mit dem gen achten, etwa im Gegensatz zu anderen Regionen? Schlimmsten rechnen. Wir müssen vorbereitet sein auf Schug: Prognosen haben überall ihre Schwierigkeiten: Hitzewellen, unglaubliche Regenfluten, Gewitterstür- in den Alpen die komplexe Topografie, an der Nordsee me und Tornados. Die gibt's eben jetzt nicht nur mehr wiederum überraschender Nebel und Hochnebel, der in den USA. hereinzieht. Der Klimawandel kommt – Welche Bedeutung kommt Ihrer Meinung nach in Wettervorhersagen sind oft recht allgemein. Wie groß Bezug auf Naturkatastrophen der Bergwacht zu – in sind die regionalen Unterschiede? Oder kommt es auf Sachen Aufklärung, Warnung, Hilfe? und auch die Bergwacht die bei langfristigen Prognosen gar nicht an? Schug: Die Bergwacht muss damit rechnen, dass das Schug: Die Basis für die Wettervorhersagen ist in den Wetter extremer wird, neuartige Gefahren kommen letzten Jahren eigentlich immer besser geworden, lei- wie Waldbrände und wegen zunehmender Hitzebelas- wird es spüren der kommt das beim „normalen“ Kunden oft nicht an. tung im Flachland viel mehr Leute im Sommer ins (küh- Medien wollen mehr Show als Information – Stichwor- lere) Gebirge strömen. Vermutlich sind das größte Pro- te: Klicks, Zuschauerzahlen. Hinzu kommt, dass sich blem aber die Menschen: Sie verdrängen den Klima- Mediennutzer nicht mehr konzentrieren können und wandel, verstehen einfache Texte und Warnungen nur noch kurzen Beiträgen im Radio folgen. In den Me- nicht mehr und überschätzen sich. Ich kenne das selbst: Er arbeitet in einer Wetterfabrik in Appenzell in der dien sind Vorhersagen wirklich sehr oft allgemein: ge- Ich bin im Sommer oft im Alpstein (Säntisgebiet) hinter Schweiz. Doch Joachim Schug macht weder Regen bietsweise da und dort Schauer möglich. Bei den mit- unserem Büro unterwegs und jeweils geschockt, wie noch Schnee oder Experimente damit: Der gebürti- tel- und längerfristigen Vorhersagen kann man sich die leichtsinnig und schlecht ausgerüstet die Leute ge Oberallgäuer war – wie er sich selbst nennt – Details sparen. Da geht es mehr darum: wärmer oder unterwegs sind. Vermutlich ist das mehr ein soziologi- „Medien-Wetterfrosch“ und ist nun als Meteorolo- kälter als jetzt, wann ist die größte Chance für zwei bis sches, kommunikatives Problem: Wie erreiche ich ge bei DTN Schweiz für Wetterdienste im gesamten drei trockene Tage … Wanderer und Bergsteiger, dass sie auch entsprechend deutschsprachigen Raum zuständig. Er weiß, was in handeln. Denn Facts zum Klimawandel, den zuneh- Sachen Klimawandel und Folgen auf uns zukom- Wie sehen Sie die Wetterentwicklung in den nächsten menden Wetterextremen und so weiter gibt es eigent- men wird. Jahren? Stichworte: Naturkatastrophen wie Dürren, lich seit vielen Jahren zur Genüge. 16 VIELFALT INTERVIEW 17
Der 1.095 260 20 18 15 12 2 Einsatz in Zahlen (18.06.–01.07.2022) Personaltage Einsatzkräfte Bergrettungs- Einsatzleit- Mannschafts- ATV-Gelände- E-Bikes Alle Icons von stock.adobe.com: krissikunterbunt, wektorygrafika, hobrath. martialred, far700, anatolir, Daniel Berkmann fahrzeuge fahrzeuge fahrzeuge fahrzeuge Rettungskräfte und Ausrüstung Partenkirchen. In der gesamten G-7-Zeit wurden durch Erschwerend für die Planung waren die wenig bis kaum die beteiligten Rettungswachen insgesamt 17 Bergret- verfügbaren Übernachtungsmöglichkeiten im Land- tungseinsätze bewältigt – allerdings alle ohne direkten Der G-7Gipfel 2022 kreis Garmisch-Partenkirchen. Die meisten der Einsatz- Bezug zur Veranstaltung in Elmau. Darunter auch ein kräfte stammten daher aus der Bergwacht Region sehr tragischer Einsatz in Mittenwald, bei dem ein jun- Hochland, um lange Anfahrtswege zu vermeiden und ges Pärchen im Karwendel beim Klettern tödlich verun- in Schloss Elmau – möglichst viele Heimschläfer zu haben. glückte. Einsatzmäßig verliefen die Gipfeltage im Gro- Aus ganz Bayern wurden für die Mobilität der Kräfte ßen und Ganzen ruhig. Die eingesetzten Bergwacht- Bergwachtfahrzeuge zur Verfügung gestellt. Herausfor- kräfte nutzten die Zeit für Ausbildungen und für kleine- ein Kraftakt für die derung war dabei, keine Absicherungslücken für das re und größere Umbauten an den Wachen. Vor allem primäre Bergrettungsgeschehen entstehen zu lassen. waren die Dienste geprägt vom „kameradschaftlichen“ Mit Mitteln des Freistaats Bayern konnte die IT- und Miteinander. Besuche von Führungskräften anderer Bergwacht Kommunikationsstruktur in den beteiligten Bergret- ehrenamtlicher Hilfsorganisationen und aus der Politik tungswachen ertüchtigt werden. Zur Vorbereitung ge- sorgten für interessante Gespräche und Kontakte. Am hörte auch die Schulung der Einsatzkräfte auf mögliche Montag, den 27. Juni 2022, fand schließlich der Stern- Szenarien im Einsatzfall. Spezielle Verletzungsmuster, marsch der G-7-Gegnerinnen und -Gegner zum Schloss welche nach möglichen Terrorakten, Massenpaniken Elmau statt. Dieser führte durch das originäre Einsatz- oder Gewalttaten entstehen könnten, galt es zu erör- gebiet der Bergwacht. Resultierend aus den Erfahrun- Text: Johannes Zollner, Roland Ampenberger; Fotos: BW Bayern tern und deren Versorgung zu schulen. Mehrere Wo- gen aus 2015, baute die Bergwacht vier Versorgungs- chen waren die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und stationen auf. Weiterhin begleiteten mehrere Bergret- E Mitarbeiter der Bergwacht damit beschäftigt, die viel- tungsfahrzeuge und zwei E-Bikes, gefahren von einem nde November 2021: Eine hohe Anzahl von Reservie- Gemeinschaft des Bayerischen Roten Kreuzes ist uns fältigen logistischen Aufgaben im Vorfeld der Veran- Bergwacht-Notarzt und einem Notfallsanitäter der rungen von Unterkünften im Werdenfelser Land und ein wichtiges Anliegen im Kontext der Veranstaltung“, staltung abzuarbeiten. Bergwacht Oberau, den Protestmarsch. Umgebung durch polizeiliche Behörden ließ vermuten, so der Einsatzleiter im Stab der Bergwacht, Josef Lohr, „Als Bergwacht sind wir unserer Rolle gerecht gewor- dass der G-7-Gipfel wieder an den Fuß des Wetter- zur Rolle der Bergwacht im Vorfeld. Die Einsätze den, für alle da zu sein. Unser Konzept und unsere Pla- steingebirges zurückkehren wird, in das Dienstgebiet Zurückgreifen konnte man auf die Erfahrungen und Nach einem halben Jahr an Vorbereitungen ging es ab nungen sind aufgegangen. Die dauerhafte Präsenzbe- der Bergwacht Region Hochland. Anfang Januar 2022 Konzepte vom Gipfel 2015. Allerdings war die Vorberei- dem 18. Juni 2022 in den Einsatz. setzung von Rettungswachen ist ein immenser Auf- dann die Gewissheit: Der G-7-Gipfel findet erneut im tungszeit von einem guten halben Jahr extrem kurz. Bereits am 19. Juni 2022 ging ein Alarm für die Berg- wand. Mein Dank gilt unserer gesamten Mannschaft, Schloss Elmau statt, wie bereits 2015. Viele Einsatzkräf- Relativ schnell mussten alle Organisationen mit Sicher- wacht Ohlstadt zur Unterstützung der Feuerwehr bei den ehrenamtlichen Kräften, die hier viel Freizeit inves- te konnten sich noch gut an das damalige Großereignis heitsaufgaben erkennen, dass sich die Welt stark ver- einem Bergwaldbrand in Eschenlohe ein. Eine erste Be- tiert haben, und unseren hauptamtlichen Mitarbeite- erinnern. Die Sicherheitsvorkehrungen rund um den ändert hatte und das Einsatzkonzept von damals sich währungsprobe für die aufgebaute Kommunikations- rinnen und Mitarbeitern, die insbesondere im Vorfeld G-7-Gipfel der Staats- und Regierungschefs auf Schloss nicht mehr eins zu eins kopieren lassen würde. struktur des Bergwachteinsatzstabes in den Räumen mit den Unabsehbarkeiten in der Organisation zurecht- Elmau Ende Juni waren immens: 18.000 Einsatzkräfte Insgesamt waren rund 280 ehrenamtliche Bergret- der Regionalgeschäftsstelle Hochland in Garmisch- kommen mussten.“, resümiert Heinz Neiber. der Polizei aus Bayern, der Bundespolizei, anderer Bun- terinnen und Bergretter für die Absicherung am desländer, aus Österreich sowie dem Bundeskriminal- Einsatz beteiligt. „Der kurze Zeitraum für die Vorberei- amt bereiteten sich über Monate auf den größten Ein- tung und die Corona-Pandemie waren eine zusätzliche satz in Bayern seit Jahren vor und waren im Werdenfel- Herausforderung für uns“, so Heinz Neiber, Regional- ser Land stetig präsent. leiter und Leiter des Stabes der Bergwacht Region Doch nicht nur die Politik machte sich auf den Weg in Hochland. „Mit Beginn des Ukrainekonfliktes kam zu- die bayerischen Berge. Man rechnete auch mit einer dem eine völlig neue geopolitische Sicherheitslage auf größeren Anzahl von Gipfelgegnerinnen und -gegnern, uns zu.“ die in München, Garmisch und im Gelände rund um Im Vergleich zu 2015 war es das Ziel, die Anzahl der den Tagungsort gegen das Treffen demonstrieren soll- permanent eingesetzten Kräfte zu reduzieren, den- ten. Weitgehend unter dem Radar der allgemeinen noch aber das Schutzziel, einen Massenanfall von Ver- Aufmerksamkeit sorgten Tausende weitere Akteurin- letzten nach den organisatorischen und rettungs- nen und Akteure für die Sicherheit rund um das Gipfel- dienstlichen Vorgaben sicherzustellen. Die Bergret- Vorbereitung des Materials im BW-ZSA Gemeinsam im Einsatz mit THW, Feuerwehr und BRK treffen: Schon Tage vor der Konferenz und im Nach- tungswachen Garmisch-Partenkirchen, Krün und Mit- gang bis Anfang Juli waren Helferinnen und Helfer un- tenwald dienten als Hauptrettungswachen. Weitere terschiedlicher Behörden und Hilfsorganisationen in Einsatzkräfte waren in den „vorgelagerten“ Bergret- enger Zusammenarbeit aktiv. Auch die Rettungsdiens- tungswachen Grainau, Oberau, Ohlstadt und Kochel im te hielten sich bereit, darunter täglich bis zu 160 Ein- Bereitschaftsdienst. Ein Rettungsstützpunkt am Scha- satzkräfte der Bergwacht Bayern, die an zehn Wach- chen wurde eingerichtet. Das ganze Gebiet um die posten vor allem für bergrettungsdienstliche Einsätze Wettersteinalm und das Schachenhaus war während im unwegsamen Gelände rund um Schloss Elmau stati- der Gipfeltage mit Fahrzeugen zwar nicht mehr er- oniert wurden. reichbar, jedoch kein touristisches Sperrgebiet. Mit Ein- „Unser Ziel ist es, unter den besonderen Bedingungen satzkräften der Bergwacht waren zudem die beiden allen bestmögliche Hilfe zu leisten, unabhängig davon, Rettungszentren Nord und Süd im nahen Umfeld von weshalb diese benötigt wird. Die Neutralität als Schloss Elmau besetzt. Schulung der Einsatzkräfte für besondere Einsatzlagen Versorgungszelt bei der G-7-Demonstration 18 VIELFALT VIELFALT 19
Interviewreihe: 1100 Lumen max. | 38 Lux Frauen in der Bergwacht Normal, aber nicht alltäglich. Text: Sabrina Höflinger; Fotos: Julian Bückers, BW Bayern 86g Lampenkopf G erade einmal 30 Jahre ist es her, dass die damals Auf den kommenden Seiten haben wir drei Bergwacht- 29-jährige Elke Conrad vor die Zivilkammer des Land- lerinnen nach ihrer Perspektive gefragt und wie sie ihre gerichts München zog und die Zulassung von Frauen Rollen wahrnehmen. bei der Bergwacht Bayern gerichtlich erwirkte. Die im 120m Reichweite Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung von Mann Marga Lehrberger leitete zwölf Jahre lang die Berg- und Frau gelte auch für die von öffentlichen Mitteln wacht Reit im Winkl und war damals nicht nur eine der mitfinanzierte Bergwacht Bayern, begründete der ersten Frauen bei der Bergwacht, sondern auch die ers- Gerichtsvorsitzende Eberhard Heiss die Entscheidung. te Bereitschaftsleiterin ab 2001. Die pensionierte Leh- PENTA Heute sind von den insgesamt 4.945 Mitgliedern der rerin wurde jüngst in der Allerheiligen-Hofkirche der Bergwacht Bayern 862 weiblich, was nahezu 18 Pro- Residenz München für ihr jahrelanges intensives Enga- zent ausmacht. gement mit der Leistungsauszeichnung in Silber von Die Bergwachtfrauen durchlaufen die gleiche Ausbil- der Bergwacht Bayern geehrt. dung und Prüfung wie ihre männlichen Kameraden und bringen die gleiche Leistung im Einsatzgeschehen. Nach Hilde Haas bei der Bergwacht Forchheim und Iris In Führungs- und Ausbildungsfunktionen sind die Frau- Zelnhöfer bei der Bergwacht Nürnberg ist Franziska Kompakt, stark, vielseitig. en in der Bergwacht jedoch noch stark unterrepräsen- Wolf die dritte Frau der Region Frankenjura, welche die tiert, viele leisten wertvolle Dienste als Einsatzleiterin Rolle und Verantwortung der Bereitschaftsleiterin bei oder in der Luftrettung, aber auch in Spezialverwen- der Bergwacht Erlangen übernahm. Von aktuell insge- Stirnlampe mit 1100 Lumen, integriertem Akku dungen wie beispielsweise der psychosozialen Notfall- samt vier Bereitschaftsleiterinnen bei der Bergwacht und zahlreichen Leuchtfunktionen. versorgung und als Lawinenhundeführerin. Bayern ist sie mit 23 Jahren die jüngste. Derzeit werden vier der 109 Bereitschaften in Bayern von Bereitschaftsleiterinnen geführt, und zehn Frauen Angela Köck ist bei der Berufsfeuerwehr München, ak- übernehmen eine verantwortungsvolle Funktion in der tive Einsatzkraft der Bergwacht Bayern, Lawinenhun- Ausbildung. Hier ist noch viel Potenzial ungenutzt. Un- deführerin und bei der Skiwacht. Wie sie ihre zahlrei- ser gemeinsames Ziel sollte es sein, Frauen in der Berg- chen Aufgaben und das Ehrenamt mit dem Familienle- lupine.de wacht verstärkt zu fördern. Unsere Frauen sollen er- ben mit ihrem Mann, ihrer kleinen Tochter und ihren mutigt werden, sich für verantwortungsvolle Tätigkei- beiden Lawinenhunden vereinbaren kann, verrät uns ten und Führungspositionen zur Verfügung zu stellen. die 32-Jährige im Interview auf den folgenden Seiten. 20 VIELFALT 21
Interview Interview Franziska Wolf Marga Lehrberger Bereitschaftsleiterin ehem. Bereitschaftsleiterin Bergwacht Erlangen Bergwacht Reit im Winkl ann und warum hast du dich für die Bergwacht ent- ann und warum hast du dich für die Bergwacht ent- schieden? In einem Einsatz müssen alle gemein- schieden? Die Arbeit von Frauen und Männern bringt unter- Wolf: Grundsätzlich waren meine Faszination und Lei- sam an einem Strang ziehen und die Lehrberger: Ich komme ursprünglich vom Skilauf. Mit schiedliche Betrachtungswinkel in die Bergwacht denschaft für die Berge ausschlaggebend. individuellen Stärken einbringen. 17 Jahren bin ich in die Alpenvereinsjugend der Sektion und diese Vielfalt ist entscheidend, unter ande- Über das Wettkampfklettern beim Deutschen Alpen- Kössen/Reit im Winkl eingetreten und habe dort die rem für die Professionalität unserer Rettungs- verein, sowie meinen Skilehrertätigkeiten in Österreich ersten größeren Bergtouren mit Alpenvereinsmitglie- organisation. bin ich zur Bergwacht Bayern gekommen. Außerdem dern unternommen, die allesamt Mitglieder der Berg- hat mich die Kombination Medizin und Outdoorsport kraft weiß: „Nicht immer ist meine Meinung oder mei- wacht waren. begeistert. Im Oktober 2017 war ich beim ersten Aus- ne Einstellung die Richtige.“ In der Diskussion kann ich Im Alpenverein habe ich eine solide Grundlage im bildungsabend und bin noch heute mit Herzblut dabei. meine Einstellung begründen oder eben auch feststel- Bergsteigen erhalten, die schließlich auch zur Ausbil- sehr gut ausgebildet und üben ihren Dienst ohne Ein- len, dass es noch Alternativen gibt. dung als Hochtouren- und Skihochtourenführerin führ- schränkungen und völlig vergleichbar mit den männli- Was sind deine Hauptaufgaben als Bereitschaftsleite- Das bedeutet sicher nicht, dass jede Entscheidung dis- ten. Zudem war mein Bruder Mitglied der Bergwacht, chen Bergwachtlern aus. rin, und wie lassen sich diese Aufgaben mit deinem kutierbar wird, aber das ist unabhängig davon, ob du weshalb ich schon etwas früher einen Einblick in deren Alltag vereinbaren? Frau oder Mann bist. Arbeit bekam. Du warst die erste Frau in einer Führungsposition bei Wolf: Primär ist meine Aufgabe die Führung und Wei- Ein Eintritt für Frauen war erst mit Beginn der 90er Jah- der Bergwacht Bayern – wie selbstverständlich war das terentwicklung der Bereitschaft. Da meine Stellvertre- Was sagst du zu Bereitschaften, die noch immer keine re möglich, ich selbst bin 1993 eingetreten. Einer der damals für dich? Gab es Gegenwind? terin und ich ein großartiges Team haben, können wir Frauen in ihren Reihen haben? Gründe für mein Engagement bei der Bergwacht war Lehrberger: Für mich war die Übernahme einer Füh- uns voll auf unsere Ressortverantwortlichen verlassen. Wolf: Frauen waren auch früher in der reinen „Män- der Wunsch, Menschen in Notsituationen auf dem rungsaufgabe selbstverständlich, da ich auch beruflich Nur gemeinsam mit den Stärken aller lässt sich eine Be- ner- Bergwacht“ immer eine Stütze als Familienmitglie- Berg helfen zu können, wissend, dass man selbst in ei- bereits in Führungsfunktionen tätig war. reitschaft heute führen und voranbringen. Damit ich der, Partnerinnen oder Helferinnen. Frauen als gleich- ner solchen Notlage um jede Hilfe froh ist. In meiner Bereitschaft Reit im Winkl stellte dies auch neben der ganzen Bürokratie auch meine Hobbys ein- berechtigte Mitglieder in der Bergwacht zu sehen, ist überhaupt kein Problem dar, von Anfang an hatten wir bringen kann, beteilige ich mich aktiv in der Sommer- für mich so normal, dass ich mich mit diesem Punkt Woher kommt die Liebe zu den Bergen, und was bedeu- eine sehr gute Zusammenarbeit und ich bekam jegli- und Winterausbildung und in der Notfallmedizin. Zu- wenig beschäftige. Wenn wir unsere Bereitschaft als tet das heute für dich? che Unterstützung. Ein Problem „Frau“ war dort völlig dem leiten eine Kameradin und ich gemeinsam unsere Beispiel aufführen: Wir haben einen Frauenanteil von Lehrberger: Durch die Lage meines Wohnortes in den unbekannt. Jugendgruppe, sodass ich auch meine Erkenntnisse aus etwa 43%. Jede und jeder hat ihre/seine Stärken, Bergen entstand schon früh eine enge Beziehung zu dem Lehramtsstudium in der Bergwacht praxisnah ein- welche die eigene Bereitschaft voranbringen. Die Mi- den Bergen: die Natur genießen, mit all ihren Blumen Wie wichtig ist generell eine gewisse Vielfalt in der fließen lassen kann. schung macht es einfach aus. und Tieren, und sich in einer einzigartigen Landschaft Bergrettung? aufhalten zu können. Lehrberger: Vielfalt in der Bergrettung ist enorm wich- Mit welchen Herausforderungen siehst du dich als jun- Wie gut ergänzen sich Frauen und Männer in der Berg- Über das Umfeld der zunächst heimatlichen Berge hi- tig. Es kann nicht jede/r in allen alpinen Disziplinen und ge Bereitschaftsleiterin konfrontiert? rettung? naus konnte ich später auch hohe und anspruchsvolle technischen Angelegenheiten Spitzenkraft sein. Ge- Wolf: Das sind zwei auf mich zutreffende Wörter: Wolf: In einem Einsatz müssen alle gemeinsam an ei- Berge weltweit besteigen. Das hat schon besondere genseitige Unterstützung bringt hohes Expertenwis- „jung“ und „Bereitschaftsleiterin“. nem Strang ziehen und die individuellen Stärken ein- Glücksgefühle und bleibende Erinnerungen gebracht. sen. Das ist bei unseren höchst anspruchsvollen und Mein junges Alter stellt mich sehr häufig vor Herausfor- bringen. Wenn eine Einsatzkraft – und hier ist es egal, Das ist selbst heute noch so, auch wenn die Schwierig- fordernden Einsätzen unabdingbar. derungen, aber ich habe die positive Erfahrung ge- ob Mann oder Frau – sich etwas nicht zutraut, dann keiten „altersgemäß“ etwas abgenommen haben. macht, dass ich in der Führungsposition akzeptiert wird diese Einsatzkraft eben für andere Aufgaben ein- Welche Entwicklung wünscht du dir künftig für die werde. Ich lerne täglich dazu, erweitere meinen Hori- gesetzt. Ein Rettungseinsatz besteht aus so vielen Frauen in der Bergwacht – wie war das früher im Ver- Bergwacht Bayern? zont und erlange mehr Selbstbewusstsein. Dabei habe Einzelaufgaben, und nicht jede Einsatzkraft ist in allem gleich zu heute? Lehrberger: Großes Ziel muss es weiterhin sein, junge ich eine Bereitschaft und eine Region hinter mir, die spezialisiert. Es ist unabhängig vom Geschlecht, ob sich Lehrberger: Zunächst gab es nur vereinzelt weibliche Leute für das Ehrenamt in der Bergwacht zu begeistern mir von Beginn an gesagt haben: „Wo es menschelt, jemand beispielsweise eher im Bereich der techni- „Exemplare“. Der Eintritt von Frauen war zu Beginn der und ihnen eine solide Bergrettungsausbildung zukom- passieren Fehler!“ schen Rettung oder in der medizinischen Versorgung Neunziger etwas ganz Neues und für manchen Berg- men zu lassen. Man sollte aber auch Augenmaß im Klar wünsche ich mir ab und an, die (eher Männern wohlfühlt, ob er eher Klettern und Fels oder Eis und wachtler sozusagen „gewöhnungsbedürftig“. Gele- Umgang mit den jungen Nachwuchskräften zeigen, sie zugeschriebenen) Gaben zu haben, beispielsweise bei Schnee bevorzugt. gentlich entstand der Eindruck, dass doch ein bisschen müssen in ihre Tätigkeit schließlich erst hineinwachsen. diskussionswürdigen Themen mal auf den Tisch zu Und genau das finde ich in der Bergwacht so beeindru- genauer hingeschaut werden muss, zum Beispiel bei Wichtig ist, ihnen zu vermitteln, dass soziales Engage- hauen. Aber das bin nicht ich. Meine Vision ist, lö- ckend: Es gibt unterschiedliche Geländearten, Schnee, den ersten Prüfungen. ment auch ein persönlicher Gewinn ist. sungsorientiert zu denken sowie Partizipation und das Fels oder Höhle, und verschiedenste Aufgabenvertei- Anlässlich von Filmaufnahmen des Bayerischen Rund- Der Frauenanteil kann in jedem Fall noch gesteigert soziale Miteinander zu stärken. lungen bei der Rettung und in der Organisation der Be- funks über Frauen in der Bergwacht Mitte der 90er Jah- werden. Frauen müssen unbedingt auch zur Übernah- reitschaft. Dazu der Umgang mit Wetterbedingungen re durfte der Titel (nach Vorgabe der Bergwacht Bay- me von Führungspositionen in der Bergwacht ermun- Gab es kritische Stimmen, gegen die du dich behaupten oder der Outdooraspekt mit seinem Improvisations- ern) nicht „Frauen in der Bergwacht“ heißen, sondern tert werden – sie können das! Die Arbeit von Frauen musstest? und Weiterentwicklungsdruck. Außerdem sind wir musste umbenannt werden in „Einsatz am Abgrund“. und Männern bringt unterschiedliche Betrachtungs- Wolf: Kritische Stimmen gibt es überall, was in einem doch alle aus dem gleichen Grund zur Bergwacht ge- Ein damaliger Abschnittsgeschäftsführer meinte dazu: winkel in die Bergwacht, und diese Vielfalt ist entschei- gesunden Maße auch gut ist. Ich plädiere für Offenheit kommen: Menschen bei ihrem Engagement zu unter- „Die Mädels hätten wir nicht gebraucht.“ dend, unter anderem für die Professionalität unserer und Ehrlichkeit, was meist zu einem offenen Austausch stützen und anderen, mit den gleichen Hobbies, in un- Heute sind Frauen in der Bergwacht selbstverständlich Rettungsorganisation. führt. Viel wichtiger ist es, dass heute jede Führungs- wegsamen Geländen zu helfen. und aus ihr auch nicht mehr wegzudenken. Sie sind 22 INTERVIEW INTERVIEW 23
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