Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164

Die Seite wird erstellt Timo Radtke
 
WEITER LESEN
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
Viertel
jahrs                   1 | 2019

schrift
                        Jahrgang 164
                        der Naturforschenden Gesellschaft
                        in Zürich NGZH

4   Der älteste Tier-   Seit 150 Jahren zeigt der Wildnispark
                        Zürich Langenberg, wie einheimische
    park der Schweiz    Wildtiere in ihren Lebensräumen leben.
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
E DI T O R I A L

      Brief des
      Präsidenten
Aufgrund einer Bitte, auf die Plastikfolien beim
Versand der NGZH-Publikationen aus Umwelt-
schutzgründen zu verzichten, haben wir Alter-
nativen mit unserer Buchdruckerei Koprint AG
besprochen sowie eine Studie der Empa St.
Gallen über die Ökobilanz von Zeitschriftenver-
                                                           Entwicklung der Mitgliederzahlen der
packungen herangezogen. Die Lebenszyklus-
                                                           NGZH seit 1970. Blau: alle Mitglieder, rot:
analyse zeigt, dass die Verpackung mit Papier
                                                           zahlende Einzelmitglieder und Studenten.
bei allen verwendeten Kriterien schlechter ab-             Der Höchststand wurde in der ersten Hälfte
schneidet als die Plastikfolie. Zudem wäre die             der 1980er-Jahre mit rund 1550 Mitgliedern
Papiervariante teurer. Deshalb hat der Vorstand            erreicht. Heute hat die NGZH rund 530
entschieden, den Versand mit Folien beizube-               Mitglieder.
halten. Die Studie kann als PDF bezogen wer-
den via E-Mail an sekretariat@ngzh.ch.

Eine Analyse der Mitgliederzahlen über die ver-      beschlossen. Die Parzelle wurde dem heutigen
gangenen knapp 50 Jahre zeigt eine lang erhoff-      Besitzer abgekauft und der ProNatura geschenkt,
te Trendwende. Die Grafik rechts zeigt, dass die     die die geplante Biodiversitätsaufwertung be-
Mitgliederzahlen seit drei Jahren wesentlich lang-   gleiten und das Gelände langfristig im Auge be-
samer fallen, als dies über die letzten 20 Jahre     halten wird.
der Fall war. Der Vorstand erachtet diese erfreu-
liche Entwicklung als das Resultat seiner Bemü- Ein Sorgenkind bleibt nach wie vor die Haupt-
hungen, die Produkte der Gesellschaft (Publi-   versammlung. Der Vorstand hat versucht, mit
kationen, Vorträge, Exkursionen) modern und     attraktiven Begleitprogrammen Mitglieder für
attraktiv zu gestalten. Ein deutlich sichtbarer die Teilnahme zu motivieren. Auch wurden ver-
Anstieg der Mitgliederzahl erfolgte 2016, als das
                                                schiedene Wochentage ausprobiert, wobei sich
sehr beliebte Neujahrsblatt über den Pfäffiker- jedoch keine Präferenz zeigte. Einzig der Versuch
see 53 Personen motivierte, der NGZH beizu-     im vergangenen Jahr, ins Technorama in Winter-
treten. Wir werden mit einem breiten Spektrum   thur zu gehen, hat mit nur acht Teilnehmenden
von Themen versuchen, die Mitgliederzahl wei-   deutlich gezeigt, dass das Zentrum von Zürich
ter zu stabilisieren und dann zu erhöhen. Um dienicht verlassen werden darf. Die nächste Haupt-
heutige Qualität unserer Publikationen auf langeversammlung wird deshalb am Montagabend
Sicht finanziell aufrecht erhalten zu können, ist
                                                17. Juni von 18 bis 19 Uhr 30 im Eschersaal der
ein Wachstum um rund 100 Mitglieder auf etwa    Zentralbibliothek stattfinden. Die Details dazu
den Stand von 2010 zwingend notwendig.          finden sich auf dem Faltblatt, das diesem Heft
                                                beigelegt ist.
Vor einiger Zeit ist die SCNAT an den NGZH-Vor-        Fritz Gassmann
stand herangetreten mit der Bitte um Mithilfe
bei der Realisierung eines Naturschutzprojektes
im Raum Eglisau, das durch ein Legat von He-
lene Kaiser mit Fr. 500 000 finanziert werden
kann. Nach vielen Diskussionen und Gesprächen
mit Landeigentümern wurde unter mehreren               Naturforschende
möglichen Varianten die Renaturierung des ehe-         Gesellschaft in Zürich
maligen Migrol-Tanklagers Eglisau-Tössriedern          www.ngzh.ch
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
FO R S C H U N G                                       BU L L E T I N

     — A KT U E L L                                         — GESELLSCHAF T
                                                       14   Heinrich Zollinger – ein Biografieprojekt
4    Der älteste
     Tierpark der                                           — N G Z H-E X K U R S I O N E N
                                                       16   Einblicke in die Geologie
     Schweiz                                                der Glarner Alpen

                                                       17   Michelangelo, Galilei und Gravitations-
     — P H YS I K I M A L LTAG                              wellen
8    Technischer Schnee und
     der Mpemba-Effekt
                                                            — O S WA L D H E E R-P R E I S
                                                       18   Ausschreibung zur dritten Preisvergabe
     — P O R T R ÄT
11   Experte für Parasit-
     Wirt-Beziehungen                                       — J U G E N DP R E I S
                                                       19   Ein Kopfhörer mit aktiver Geräuschaus-
                                                            löschung

                                                       22   IMPRESSUM

                                                       23   AG E N DA

     Titelbild: Der Luchs gehört zu den markantesten
     Tieren, die im Wildnispark Zürich Langenberg
     besichtigt werden können.
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
4     FO R S C H U N G
      — A KT U E L L

      150 Jahre Langenberg – der älteste
      Tierpark der Schweiz
      Braunbär, Wolf, Wisent, Steinbock                      Mann von Welt und Einsiedler
      und weitere einheimische oder ehe-             Carl Anton Ludwig von Orelli wurde 1808 geboren.
      mals einheimische Wildtiere leben im           Nach einer militärischen Laufbahn ernannte der
      Wildnispark Zürich Langenberg in               Stadtrat von Zürich den damals gerade einmal
      grosszügigen und naturnahen Anlagen.           27-Jährigen 1835 zum Stadtforstmeister. Von Orelli
      Was vor 150 Jahren als Wildgarten              war ein Mann mit Umgangsformen eines vollende-
      und erster Tierpark der Schweiz                ten Weltmannes und einem grossem Wissensdurst.
      begann, ist heute ein wissenschaftlich         Er las Bücher über Forstwesen, Militär, Geographie,
      geführter Zoo, der die Besucherinnen           Astronomie, Kunstgeschichte, aber auch Ernährung
      und Besucher in die spannenden                 und Gesundheit.
      Lebensräume der Wildtiere eintau-                      Nach 1852 zog sich der einstige Lebemann
      chen lässt.                                    immer mehr zurück und wurde zu einem eigenwil-
                                                     ligen Einsiedler, der fortan in spartanischer Ein-
Alles begann 1869 mit einer längst gehegten Lieb-    fachheit lebte. Schon um 18 Uhr ging er ins Bett und
lingsidee von Stadtforstmeister Carl Anton Ludwig    stand nach Mitternacht wieder auf. Er nahm Eis-
von Orelli. Angesichts der überjagten Wälder des     und Schneebäder, schlief auf einem zottigen Bären-
19. Jahrhunderts wollte er auf dem Langenberg in     fell und bettete sein Haupt auf einem harten Buchen-
Langnau am Albis einen Wildgarten mit einem          scheit als Kopfkissen. Seine Lieblingsidee eines
«schönen und belebten Wald» errichten. Damit         Wildgartens auf dem Langenberg verwirklichte er
schuf er für die damalige Stadtbevölkerung von Zü-   trotz Wiederstand von Seiten des Stadtrats mit dem
rich eine «bleibende Stätte des Genusses» und ei-    Einsatz von 20 000 Franken aus seiner eigenen Ta-
nen «Wallfahrtsort für Erholungsbedürftige und       sche.
Lernbegierige von Nah und Fern». Mit der Besie-
gelung der Stiftungsurkunde für den Wildpark Lan-           Einheimisch versus exotisch
genberg am 11. Dezember 1869 entstand ein erstes     Nach dem Tod seines Gründers im Januar 1890 ver-
begehbares und den gesamten Langenberg einfas-       änderte sich der Wildgarten. Es kamen neue Tier-
sendes Gehege mit Rothirschen, Damhirschen, Re-      arten hinzu, dem damaligen Zeitgeist entsprechend
hen und Gämsen.                                      auch exotische Tiere wie Axishirsche, Zebras und
                                                     Lamas. Mit der Eröffnung des Zoo Zürich 1929 ver-
                                                     schwanden die Exoten wieder. Der Langenberg
                                                     konzentrierte sich fortan auf einheimische und ehe-
                                                     mals einheimische Wildtiere. Der Reihe nach zogen
                                                     Braunbär, Wildschwein, Alpenmurmeltier, Alpen-
                                                     steinbock, Elch, Wisent, Luchs und Wildkatze in
                                                     den Langenberg ein.
                                                            Als jüngste Bewohner kamen vor gut vier Jah-
                                                     ren Hausmaus, Wanderratte und Siebenschläfer im
                                                     sogenannten Müsli-Hüsli dazu. Dort begegnen die
                                                     Besucherinnen und Besucher den Wildtieren auf
                                                     Augenhöhe, und die Grenzen zwischen Tieranlagen
                                                     und Besucherräumen lösen sich scheinbar auf. So

                                                           Carl Anton Ludwig von Orelli, der Gründer des
                                                           Wildgartens auf dem Langenberg, entwickelte sich
                                                           mit der Zeit zu einem eigenwilligen Einsiedler.
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
5      Vierteljahrsschrift — 1 | 2019 — Jahrgang 164 — NGZH

       Steinböcke gehören genauso zum Wildnispark Zürich Langenberg wie viele andere einheimische oder ehemals
       einheimische Wildtiere.

tanzen etwa die Mäuse auf dem Küchentisch, ma-                       Die moderne Tierhaltung im Langenberg
chen sich die Ratten über den Vorratskeller her und           orientiert sich an den aktuellen Erkenntnissen der
nisten sich die Siebenschläfer rotzfrech in der Ga-           Tiergartenbiologie, Feldforschung, Tiermedizin,
rage ein.                                                     Tierphysiologie und anderer Wissenschaften. Im
       In den vergangenen 150 Jahren hat sich der             Vordergrund stehen nicht mehr das Ausstellen und
Langenberg von der Lieblingsidee des Stadtforst-              das Exotische, sondern das Wohl der Tiere und das
meisters von Orelli zu einem modernen wissen-                 persönliche Besuchererlebnis. Der Grundgedanke
schaftlich geführten Zoo weiterentwickelt. Lebten             eines Erholungs- und Lernortes ist über all die Jah-
1914 die ersten Braunbären noch in einem Bären-               re hinweg wichtig geblieben.
graben und wurden darin in Ketten vorgeführt, so
streifen sie heute durch eine über 11 000 m2 grosse                   Raubtier- und Urzeitrundweg
Waldanlage, in der sie sich Tag und Nacht frei be-            Die drei grossen Räuber Bär, Wolf und Luchs sowie
wegen dürfen. Die Tiere können im Erdreich wüh-               die etwas kleinere Wildkatze lassen sich auf dem
len und ihre Winterruhe in selbst gegrabenen Höh-             30-minütigen Raubtierrundweg miteinander ver-
len verbringen. Zudem haben sie zahlreiche                    gleichen. Leben Wildkatze und Luchs als Einzel-
Möglichkeiten zu klettern, zu baden und sich fort-            gänger, so bevorzugen Wölfe ganz klar das Leben
zupflanzen.Weil sie fast ihr gesamtes natürliches             in der Grossfamilie. Fressen die beiden Kleinkatzen
Verhaltensrepertoire ausleben können, werden sie              fast ausschliesslich Fleisch, kann der Braunbär schon
zu Botschaftern für ihre Artgenossen in freier Natur          fast als Vegetarier unter den Raubtieren bezeichnet
und können für diese Verständnis und Wohlwollen               werden. Drei Viertel des Nahrungsbedarfs decken
erwirken. Dies gilt nicht zuletzt für die drei grossen        Braunbären mit pflanzlicher Kost.
einheimischen Raubtiere Braunbär, Wolf und Luchs,                     Der etwas anspruchsvollere Urzeitrundweg
die nicht überall und von jedermann gerne in den              durch den Westteil des Langenbergs führt zu den
Schweizer Wäldern gesehen werden.                             Spuren unserer Vorfahren im Knochenwald. In der
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
6     FO R S C H U N G
      — A KT U E L L

      Links: Eine Zeitlang konnten auf dem Langenberg auch exotische Tiere bestaunt werden, so etwa die in Süd-
      amerika heimischen Lamas. Rechts: Bären wurden früher in einem engen Graben gehalten. Heute leben die
      grossen Raubtiere in einem weitläufigen, naturnahen Gehege.

Feuerhöhle zeigen Malereien den tiefen Bezug der          ren und auch Fragen stellen. Zudem haben die Ex-
Steinzeitmenschen zur damaligen Tierwelt, und die         pertinnen und Experten immer etwas zum Anfassen
Besucherinnen und Besucher können auf ihrem               dabei, sei es ein Fell oder ein Geweih.
Rundgang auch die Überreste der Jagd identifizie-
ren. Fast auf dem gesamten Rundweg lassen sich                   «Unsere Natur im Blick»
Wisente und Wildpferde beobachten. Wer möchte             Der Fokus im Jubiläumsjahr 2019 liegt wie vor 150
kann sich in Gedanken zurückversetzen lassen in           Jahren auf der Natur direkt vor unserer Haustüre.
eine steinzeitliche Jagdszene.                            «Unsere Natur im Blick» heisst denn auch das Mot-
                                                          to des Jubiläumsprogramms. Verschiedene Veran-
       Erholungs- und Lernort                             staltungen, Ausstellungen und Angebote schaffen
Neben den Themenwegen bieten auch die zahlrei-            im Laufe des Jahrs Einblicke ins Gestern, Heute und
chen Ausstellungen viel Spannendes und Wissens-           Morgen des Tierparks. Mit dabei ist etwa eine Frei-
wertes zu den Langenberger Tieren. Wie die noma-          lichtausstellung zur Geschichte des Langenbergs
dischen Bewohner im Schutzgebiet B der Wüste              oder ein Freilichttheater über den Gründer des Wild-
Gobi in der Mongolei mit den wilden Przewalskip-          gartens, das in der alten Bärenanlage aufgeführt
ferden zusammenleben, erklären Informationsta-            wird.
feln in der Mongolischen Jurte. Was den Rotfuchs                 Das grosse Jubiläumsfest findet am Sonntag,
vermehrt in die grossen Städte wie Zürich zieht und       19. Mai 2019 statt. Vier über das ganze Jahr verteil-
wie die Stadtbevölkerung mit Meister Reinecke im          te Wildnis-Tage lassen über die Schulter von Tier-
eigenen Garten umgehen sollte, greift die Ausstel-        pfleger und Tierarzt blicken. Zudem schaut der Tier-
lung in der Fuchsscheune auf.                             park mit dem Jubiläum auch in die Zukunft. Als
       Wer statt zu lesen lieber verständlichen Er-       erste von vier in der Vision «Tierpark 2030» ge-
klärungen lauscht, kann während der Sommersai-            planten Erlebniswelten soll im Langenberg eine Al-
son zwischen 21. März und Ende Oktober bei den            penwelt mit Rothirsch, Murmeltier und Steinbock
Wildnisbotinnen und Wildnisboten mittwochs,               entstehen. Damit wird im Jubiläumsjahr eine neue
samstags und sonntags viele Informationen erfah-          Lieblingsidee lanciert.
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
7      Vierteljahrsschrift — 1 | 2019 — Jahrgang 164 — NGZH

       Links: Von der kleinen Hausmaus bis zum grossen Braunbären leben heute auf dem Langenberg ganz unter-
       schiedliche Tiere. Rechts: Die Wildnisbotinnen und Wildnisboten vermitteln auf anschauliche Weise interessante
       Hintergründe zu den einheimischen Tierarten.

       Im Sihlwald entsteht etwas Einzigartiges               naler Bedeutung» und ist damit der erste Naturer-
Neben dem Tierpark auf dem Langenberg gehört                  lebnispark der Schweiz. Geeignetes Tor in die ein-
der Naturerlebnispark Sihlwald zur Stiftung Wild-             zigartige Wald-Wildnis ist das Besucherzentrum in
nispark Zürich. Die Stiftung wurde 2009 gegründet             Sihlwald, fünf Minuten von der Station Sihlwald
und wird getragen von der Stadt Zürich, den Ge-               gelegen. Dort erhalten Sie Informationen und Kar-
meinden des Bezirks Horgen, vom Kanton Zürich                 ten für einen erlebnisreichen Aufenthalt im Sihl-
und von Pro Natura Zürich. Der Sihlwald ist ein rund          wald. Im Naturmuseum finden Sie eine interaktive
1‘100 ha grosser ursprünglicher Buchenwald mitten             Ausstellung zur Geschichte des Sihlwalds vom Nutz-
im urbanen Raum Zürich-Zug.                                   wald zum Naturwald sowie wechselnde Sonderaus-
       Dank dem Schutz der natürlichen Prozesse               stellungen zu verschiedenen Naturthemen. Direkt
verwildert der Sihlwald zum Naturwald und bietet              daneben lädt der Wildnis-Spielplatz mit Wasserspiel
zahlreichen Pflanzen, Pilzen und Tieren Lebens-               Kinder zum Klettern und Planschen ein – und die
raum und Nahrung – und den Menschen ein einzig-               Eltern und Grosseltern geniessen auf der grossen
artiges Wildnis-Erlebnis. 72 km Wanderwege, 58                Terrasse des Restaurants das beruhigende Rauschen
km Radwege und 54 km Reitwege warten darauf,                  der Sihl.
entdeckt zu werden.                                                 Martin Kilchenmann
                                                                    Der Autor ist Leiter Kommunikation und Zoologi-
        Park von nationaler Bedeutung                               scher Kurator im Wildnispark Zürich Langenberg.

Lassen Sie sich bei einer Wanderung durch den                       Weitere Informationen unter www.wildnispark.ch
Wildnispark Zürich Sihlwald von mächtigen, über
200-jährigen Baumriesen und imposanten Ausbli-
cken vom Aussichtsturm Albis-Hochwacht verzau-
bern. Oder geniessen Sie mit Ihren Kindern den
zweistündigen Walderlebnispfad.
        Seit 1. Januar 2010 besitzt der Sihlwald das of-
fizielle Label «Naturerlebnispark – Park von natio-
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
8      FO R S C H U N G
       — P H YS I K I M A L LTAG

       Technischer Schnee und
       der Mpemba-Effekt
       Schneekanonen und Schneilanzen                    exakt berechnet werden. Die kälteste durch Verduns-
       beruhen auf interessanten Phänome-                tung von Wasser entstehende Temperatur wird Feucht-
       nen der Wassertröpfchenphysik und                 kugeltemperatur (oder kurz Feuchttemperatur, engl.
       der Meteorologie. Technischer Schnee              wet bulb temperature) genannt und in Tabellen auf-
       kann paradoxerweise in kleinen Men-               gelistet. Sie hängt von der normalen Temperatur
       gen auch mit heissem Wasser erzeugt               (auch Trockentemperatur genannt) und der Luft-
       werden. Die in kalten Gegenden                    feuchte ab (Tab. 1 und Abb. 2).
       beliebten Experimente werden meist                        Feucht- und Trockentemperaturen sind in ge-
       als Beispiele des Mpemba-Effektes                 sättigter Luft gleich, weil bei 100 Prozent Luftfeuchte
       beschrieben – zu Unrecht, denn der                kein Wasser verdunstet werden kann. Der Effekt ist
       seit Aristoteles vermutete Effekt ist             bei trockener Luft am grössten: Bei 20 °C und einer
       eine Illusion.                                    relativen Feuchte von 20 Prozent beträgt die Feucht-
                                                         temperatur nur unangenehme 9,4 °C. Dies ist jedoch
Technischer Schnee wird verwendet, um als Folge          nicht die Temperatur, die wir nach einem Bad bei
des Klimawandels sterbende Wintersportgebiete            Windstille spüren, sondern die niedrigste Tempera-
noch einige Zeit am Leben zu erhalten. Schneekano-       tur, die bei starkem Wind entstehen kann. Deshalb
nen (Abb. 1) versprühen Wasser, das mit mehreren         hüllen wir uns sofort in trockene Tücher, wenn ein
Atmosphären Überdruck durch ringförmig ange-             Wind weht.
brachte Düsen gepresst wird. Um den Gefrierprozess               Im Zusammenhang mit technischem Schnee
zu beschleunigen und die entstehenden Eiskügel-          sind Temperaturen um den Nullpunkt interessant:
chen auf eine grössere Fläche zu verteilen, wird mit     Bei 0 °C und 20 Prozent beträgt die Feuchttempera-
leistungsfähigen Ventilatoren ein Luftstrahl erzeugt,    tur -4,7 °C. Trockene Luft ist also vorteilhaft für die
der die Wassertropfen und Eiskügelchen mitreisst.        Beschneiung. Der für das Erreichen der Feuchttem-
        Schneilanzen verzichten auf diesen energie-      peratur notwendige Wind entsteht bei der Schnee-
intensiven Ventilator und schleudern Wassertröpf-        kanone durch den Ventilator und bei der Schneilanze
chen mit Hilfe hochkomprimierter Luft über die zu        durch den Luftstrahl aus der Hochdruckdüse.
beschneiende Fläche. Beim Austritt aus der Düse                  Wichtig ist auch die ideale Tropfengrösse, die
dehnt sich die Luft aus und kühlt sich dabei ab, was     durch die Wahl der Düsen gesteuert werden kann.
den Gefriervorgang beschleunigt. Bei beiden Syste-
men kann das zu versprühende Wasser zur Erhöhung
der Effizienz vorgekühlt und mit chemischen Mitteln
versetzt werden, welche die Gefriertemperatur er-
höhen.

         Verdunstungskühlung – eine alltägliche
         Erfahrung
Nasse Haut fühlt sich kälter an als trockene, und dies
umso mehr, je stärker der Wind weht. Um ein Gramm
Wasser zu verdunsten, werden 539 Kalorien benötigt
(die sog. Verdampfungswärme). Da der Wärmekon-
takt zwischen der Haut und dem Wasserfilm besser
ist als zwischen dem Wasserfilm und der Luft, wird
die Verdampfungswärme zum grössten Teil aus der                 Tab. 1: Feuchttemperaturen (°C) für verschiedene
                                                                Temperaturen (°C) und Luftfeuchten (%). Entspre-
Haut bezogen, die sich dabei abkühlt. Mit Hilfe des             chende Rechner finden sich im Internet unter dem
Energieerhaltungsgesetzes kann die Abkühlung                    Stichwort Feuchtkugeltemperatur.
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
9      Vierteljahrsschrift — 1 | 2019 — Jahrgang 164 — NGZH

       Abb. 1: Schneekanone (links) und Schneilanze (rechts) in Betrieb.

Die Tropfen sollen genügend Zeit haben, um bis in             sikalisch geschieht dabei Folgendes: Ein kleiner Teil
ihre Zentren zu gefrieren, damit sie nicht in flüssiger       (viel weniger als 20 Prozent) des heissen Wassers
Form auf den Boden fallen und Glatteis bilden. Da-            verdampft und es entsteht eine mit Wasserdampf
für sind kleine Tropfen günstig. Andererseits sollen          übersättigte Zone, in der innerhalb von Millisekun-
sie genügend schnell fallen, um nicht durch Winde             den feine Nebeltröpfchen entstehen. Diese gefrieren
weggeweht zu werden, was für grosse Tropfen spricht.          sofort zu kleinen Eiskriställchen, die langsam zu Bo-
Diese Überlegungen zeigen, dass ein Optimum ge-               den fallen. Mit kaltem Wasser geschieht hingegen
funden werden muss. Nach dem Stoke'schen Fallge-              nichts Aussergewöhnliches.
setz für sphärische Tropfen ergibt sich eine Fallge-
schwindigkeit von 4 Zentimetern pro Sekunde für
Tropfen mit Durchmessern von 1 Millimeter (die
Fallgeschwindigkeit ist proportional zum Quadrat
des Durchmessers). Für den Fall über etwa 5 Meter
brauchen solche Tropfen also rund 2 Minuten. Durch
einen schwachen Wind von 1 Meter pro Sekunde wer-
den sie um gut 100 Meter verfrachtet, was toleriert
werden kann. Nach der Diffusionsgleichung findet
der Temperaturausgleich in einem solchen Tropfen
innerhalb von etwa 2 Sekunden statt. Da beim Ge-
friervorgang 80 mal mehr Wärme abgeführt werden
muss als bei einer Abkühlung um ein Grad, muss                        Abb. 2 (links): Zur Messung der Feuchttemperatur
etwa 20 mal mehr Zeit eingerechnet werden, wenn                       kann ein normales Thermometer verwendet
                                                                      werden, dessen Kugel mit einem befeuchteten
die Feuchttemperatur bei -4 °C liegt, also rund 40                    Stofflappen umwickelt wird. Durch Schwenken des
Sekunden. Die angenommenen 1-Millimeter-Tropfen                       Thermometers oder mit Hilfe eines Ventilators wird
sind also ein guter Kompromiss (Abb. 3).                              Wind erzeugt, um die Verdunstung zu erhöhen.
                                                                      Kennt man die Trocken- und Feuchttemperatur,
                                                                      kann mit einem Rechner die relative Feuchte
       Schnee aus heissem Wasser – Volks-                             bestimmt werden.
       sport bei grosser Kälte                                        Abb. 3 (rechts): Technischer Schnee aus Schneilan-
                                                                      ze auf einem 2-Millimeter-Raster. Die Tropfen
Statt mit Überdruckdüsen kleine Tropfen zu erzeu-                     haben eine sphärische Form mit Durchmessern von
gen, versuchen Leute bei Temperaturen unter etwa                      meist 0,4 bis 0,8 Millimetern. Sie sind etwas
-30 °C sehr heisses Wasser in die Luft zu werfen, um                  kleiner als die oben angenommenen 1-Millimeter-
                                                                      Tropfen und deshalb empfindlicher auf Wind-Ver-
Schnee zu produzieren. Abb. 4 zeigt ein besonders                     frachtung. Schneilanzen erzeugen tendenziell
eindrückliches Ergebnis dieser Bemühungen. Phy-                       kleinere Tropfen als Schneekanonen.
Viertel jahrs schrift - 1 | 2019 Jahrgang 164
10   FO R S C H U N G
     — P H YS I K I M A L LTAG

            So weit ist alles verständlich. Überra-
     schend ist jedoch die generelle Bezeichnung
     dieses Phänomens als Mpemba-Effekt, wie
     man dies in Tausenden von Internetseiten
     nachlesen kann. Der Mpemba-Effekt hat aber
     nichts mit Verdampfung und darauffolgender
     Kristallbildung zu tun!

             Der vermeintliche Mpemba-
             Effekt
     1963 machte der Gymnasiast Erasto Mpemba
     in Tanzania eine verblüffende Beobachtung:
     Seine heisse Glacé-Mischung gefror im Ge-
     frierfach schneller als die bereits abgekühlten
     Produkte seiner Kameraden. Denis G. Osbor-
     ne vom University College Dar es Salaam in-
                                                             Abb. 4: Durch eine schwungvolle Kreisbewegung
     teressierte sich für die Beobachtung und pu-            wird das heisse Wasser aus einer Thermosflasche
     blizierte, gestützt auf weitere Experimente,            in die Luft geschleudert. Am linken und oberen
                                                             Rand der Wolke sind die Kondensstreifen einzelner
     zusammen mit Mpemba den «Mpemba-Ef-
                                                             Wassertropfen deutlich zu erkennen.
     fekt» (Mpemba & Osborne 1969, 1979).
             Ab 1995 entdeckten Chemiker und
     Physiker die merkwürdige Publikation und          Wasser in die in Gefrierfächern immer vorhandene
     führten weitere Experimente durch. Ein Jahr-      Eisschicht einschmilzt und für einen guten thermi-
     zehnt später folgten mehrere Publikationen        schen Kontakt mit den Kühlelementen sorgt. Da-
     in seriösen Zeitschriften und es setzte ein       durch werden die Abkühlung und der Gefrierpro-
     Medienrummel ein (Radio, TV, Social Me-           zess beschleunigt.
     dia, YouTube, das Stichwort Mpemba erzeugt              Fritz Gassmann
     heute 540 000 Hits im Internet), der den nie            Der Autor ist Physiker und arbeitete früher am Paul
                                                             Scherrer Institut PSI in Villigen.
     klar bewiesenen Effekt weltweit bekannt
     machte.                                                 Literatur
             Recherchen ergaben, dass der gegen              Bacher M. & Draxler D. 2011. Entwicklung eines
     die Intuition verstossende Effekt – heisses             Prototyps zur Schneeerzeugung im Labor. IAN
                                                             Report 137, Universität Wien: 66 S.
     Wasser gefriert schneller als kaltes – bereits
                                                             Burridge H. C. & Linden P. F. 2016. Questioning
     früher von bekannten Wissenschaftlern ver-              the Mpemba effect: hot water does not cool more
     mutet wurde, z.B. durch Aristoteles (384-322            quickly than cold. Nature Publishing Group, Sci.
     v.Chr.), Francis Bacon (1561-1626), René De-            Rep. 37665: 31 p.
                                                             Lang T. 2009. Energetische Bedeutung der
     scartes (1596-1650) und Joseph Black (1728-
                                                             technischen Pistenbeschneiung und Potentiale für
     1799). Es lohnte sich deshalb, das Phänomen             Energieoptimierungen. BfE-Projekt 102 594: 33 S.
     genauer zu untersuchen.                                 Mpemba E. B. & Osborne D. G. 1969. Cool?
             Die detaillierte Untersuchung von Bur-          Physics Education 4 (3): 172-175.
     ridge & Linden (2016) kam jedoch zum Schluss,           Mpemba E. B. & Osborne D. G. 1979. The Mpemba
                                                             effect. Physics Education 14 (7): 410-412.
     dass kein Effekt nachgewiesen werden kann,
     wenn man alle Fehlerquellen berücksichtigt.
     Insbesondere muss die Verdampfung sorg-
     fältig unterbunden werden. Da Osborne ver-
     storben und der pensionierte Mpemba nicht
     auffindbar ist, wird die Frage nach der Ursa-
     che der seltsamen Beobachtung wohl nie ganz
     geklärt werden können. Eine plausible Er-
     klärung ist, dass sich ein Gefäss mit heissem
11    FO R S C H U N G
      — P O R T R ÄT

      Experte für Parasit-
      Wirt-Beziehungen
      Im Laufe der Evolution haben sich                 ner «Verpackung» und es entstehen begeisselte
      einzellige Parasiten wie Giardia                  Wachstumsformen mit zwei Zellkernen, die sich
      lamblia und Toxoplasma gondii bes-                mit Haftscheiben ans Darmepithel festsetzen und
      tens an die Lebensbedingungen in                  Durchfall und Bauchkrämpfe auslösen können.
      ihren Wirten angepasst. Der Mole-
      kular- und Zellbiologe Adrian Hehl                       300 Millionen Erkrankungen pro Jahr
      erforscht die Eigenheiten dieser                  Gemäss Schätzungen der WHO erkranken pro Jahr
      krankmachenden Einzeller und                      weltweit rund 300 Millionen Menschen an Giardi-
      untersucht, wie die Parasiten mit                 ose. Infizierte scheiden den Parasiten, der sich im
      ihren Wirten interagieren.                        letzten Teil des Dünndarms erneut eine Hülle zu-
                                                        legt, wiederum in Zystenform mit dem Kot aus, wo
Als leidenschaftlicher Segler wollte Adrian Hehl ei-    er wochen- bis monatelang in der Umwelt überle-
gentlich Meeresbiologe werden. Doch es kam an-          ben kann. «Besonders problematisch ist der Erreger
ders. Kurz nachdem er Mitte der 1980er-Jahre an         für Kinder in Entwicklungsländern, wo sauberes
der Universität Bern mit dem Biologiestudium an-        Trinkwasser nicht verfügbar ist», sagt Adrian Hehl.
gefangen hatte, zog ihn die Molekularbiologie in ih-           In den letzten zwei Jahrzehnten erforschten
ren Bann. «Dieses damals noch junge Forschungs-         Hehl und sein Team zelluläre Mechanismen und
gebiet, das sich rasant zu entwickeln begann,           Maschinerien, die für die Ausbildung der verschie-
faszinierte mich ungemein», erzählt der heute           denen Stadien im Lebenszyklus des Parasiten nötig
57-Jährige.                                             sind. Dazu arbeiten Biologen, Veterinärmediziner
       Statt Korallenriffe zu studieren, untersuchte    und Informatiker zusammen. Sie studierten bei-
Adrian Hehl in seiner Diplom- und Doktorarbeit am       spielsweise die Synthese von schützenden Biopoly-
Institut für Mikrobiologie der Universität Bern, wie    meren während der Differenzierung, die Entstehung
einzellige Parasiten ihre Oberflächen verändern,        und Reifung von Zellorganellen und die Bildung der
um das Immunsystem ihrer Wirte zu unterlaufen.          Zystenwand. «Parasiten überleben nur, weil sie ge-
Die Faszination für das Zusammenspiel von Parasit       nau ‹wissen›, wie die Wirte, von denen sie leben,
und Wirt hat ihn seither nie mehr losgelassen. Wäh-     funktionieren», erklärt Adrian Hehl. «Indem wir
rend seiner dreieinhalbjährigen Postdoc-Zeit an der     diese Beziehung erforschen, können wir die Grund-
Stanford University in Kalifornien studierte er nicht   lagen für Impfungen oder Behandlungsmöglichkei-
mehr nur einzelne Gene und ihre Produkte, sondern       ten entwickeln.»
begann zu erforschen, wie sich das Parasit-Wirt-
System im Laufe des Lebenszyklus verändert.                    Minimaler Bauplan
       1998 wechselte Adrian Hehl ans Institut für      Zudem hat Hehls Arbeitsgruppe auch wichtige Er-
Parasitologie der Universität Zürich. «Ich hatte von    kenntnisse gewonnen, welches die minimalsten
Anfang viel Forschungsfreiheit – die einzige Vorga-     Funktionen sind, die einer Zelle das Leben ermög-
be war, den Parasiten Giardia lamblia zu studieren“,    lichen. Denn Giardia lamblia ist ein Meister der Re-
erzählt der Professor für Molekulare Parasitologie      duktion und hat im Laufe der Evolution alles Über-
in seinem Büro auf dem Campus der Vetsuisse Fa-         flüssige über Bord geworfen. So besitzt der Parasit
kultät in Zürich.                                       zum Beispiel gewisse Zellorganellen wie den Golgi-
                                                        Apparat und die Mitochondrien nicht mehr.
      Überlebenskünstler                                       Hehl und andere Wissenschaftler haben da-
Giardia lamblia wird vor allem über verseuchtes         für in Giardia lamblia eine neue Art von Zellorga-
Trinkwasser in seiner Dauerform als Zyste von Men-      nellen beschrieben – die Mitosomen. «Mitosomen
schen, Säugetieren und Vögeln aufgenommen. Im           können als maximal vereinfachte Mitochondrien
Dünndarm des Wirtes entledigt sich der Parasit sei-     gelten», erklärt Adrian Hehl und fügt hinzu «für ei-
12     FO R S C H U N G
       — P O R T R ÄT

       Der Molekularbiologe Adrian Hehl (oben links) untersucht mit seinem Team, wie Parasiten mit ihren Wirten
       interagieren.

nen Darmparasiten, der anaerob lebt eine durchaus          schalten und so deren Funktion zu studieren. Dass
genügende Ausstattung». Mitosomen verfügen ein-            dies aber möglich ist, hat die Gruppe vor kurzem in
zig noch über Biosyntheseproteine für Eisen-Schwe-         einer aufsehenerregenden Publikation erstmals be-
fel-Cluster. Solche Komplexe spielen bei Reduk-            schrieben.
tions- und Oxidationsvorgängen in den Zellen eine
zentrale Rolle, denn sie «schaufeln» Elektronen hin               Reduktive Evolution
und her. Zudem haben die Zürcher Wissenschaftler           Lange Zeit wurde Giardia lamblia als primitiver Eu-
zeigen können, dass das Protein Clathrin, welches          karyot oder sogar als Bindeglied zu Bakterien ange-
für die Nahrungsaufnahme des Parasiten via Endo-           sehen. Genom-Analysen, an denen auch Hehl und
cytose verantwortlich ist, in Giardia lamblia anders       sein Team beteiligt waren, haben aber gezeigt, dass
funktioniert als bei anderen Zellen. In Giardia fällt      viele der scheinbar primitiven Charakteristika, die
Clathrin nicht vom Vesikel ab und wird rezykliert,         der Parasit aufweist – etwa fehlende Organellen – auf
sondern bleibt mit der Vesikeloberfläche verbunden         eine sekundäre Reduktion zurückzuführen sind. Das
und sorgt für ein stabiles Gerüst.                         heisst, sie sind in der Evolution nachträglich wieder
        Da Giardia zwei Zellkerne hat und damit je-        verschwunden, weil der Einzeller dank seines para-
weils vier Allele für jedes Gen hat, ist es für die For-   sitischen Lebensstils auf viele Maschinerien und
schenden sehr schwierig, Proteine gezielt auszu-           Stoffwechselwege verzichten kann.
13     Vierteljahrsschrift — 1 | 2019 — Jahrgang 164 — NGZH

       Der Bauplan des Parasiten umfasst nur noch             nem Team untersucht er, wie sich der Parasit in den
gerade das, was er nicht vom Wirt direkt beziehen             Zellen des Dünndarm-Epithels von Hauskatzen zu-
kann und selbst herstellen muss. Die Fachleute nen-           erst ungeschlechtlich massiv vermehrt, bevor die
nen diesen Vorgang «reduktive Evolution». Nicht               Parasiten eine geschlechtliche Entwicklung einlei-
zuletzt wegen dieser konsequenten Beschränkung                ten und sich zu Oozysten entwickeln. Die Oozysten
auf das Wesentliche ist dieser Einzeller inzwischen           werden dann mit dem Katzenkot in die Umwelt aus-
in der Forschung zu einem begehrten Modellorga-               geschieden.
nismus geworden, um mehr über die Grundlagen                         Ausserhalb des Katzenkörpers entwickeln
des Lebens zu erfahren.                                       sich die Oozysten innerhalb von zwei bis vier Tagen
                                                              so weiter, dass sie in der Umwelt bis zu zwei Jahren
        Wiederaufnahme der früheren For-                      überleben und infektiös bleiben können. Menschen
        schungsarbeit                                         und viele warmblütige Vertebraten, zu denen auch
In den letzten fünf Jahren hat Adrian Hehl seinen             Nutztiere wie zum Beispiel Schweine, Schafe, Rin-
Forschungsschwerpunkt zunehmend wieder auf                    der und Hühner zählen, infizieren sich durch per-
Toxoplasma gondii verlagert. Dieser einzellige Pa-            orale Aufnahme von Oozysten, die von Katzen aus-
rasit, der die Toxoplasmose auslöst, ist ebenfalls            geschieden werden oder durch Verzehr von
weltweit verbreitet und ein Verwandter des Malaria-           ungenügend erhitztem Fleisch, das Toxoplasma-
Erregers. Für Hehl bedeutet dies auch eine Wieder-            Zysten enthält.
aufnahme seiner Forschungsrichtung als Postdoc.
Bereits an der Stanford University hatte er mit To-                   Fünf verschiedene Stadien der Ent-
xoplasma gondii gearbeitet. Gemäss Schätzungen                        wicklung
dürfte bis zu einem Drittel der Weltbevölkerung mit           Hehl und sein Team haben zu fünf verschiedenen
Toxoplasma gondii infiziert sein, allerdings mit star-        Stadien der Entwicklung der Parasiten im Katzen-
ken altersabhängigen und regionalen Schwankun-                darm RNA-Expressionsprofile erhoben. «Wir müs-
gen. Gesunde Menschen bemerken eine Toxoplas-                 sen mit RNA-Profilen arbeiten, denn für Protein-
mose-Infektion meist gar nicht. Nur in wenigen                profile kann der Parasit nicht genügend aufgereinigt
Fällen treten Symptome wie zum Beispiel Fieber                werden», erklärt Adrian Hehl. Die Zürcher Forscher
und Gliederschmerzen auf. Selten kommt es zu Ent-             haben zwölf «heraufregulierte» Gene identifizieren
zündungen der Netzhaut des Auges.                             können, die für die Entwicklung eines Impfstoffs
        Eine durchgemachte Toxoplasmose hinter-               vielversprechend sind.
lässt eine lebenslange Immunität. Allerdings ver-                     Mit Hilfe von Genscheren (CRISPR/Cas9
bleibt der Parasit dauerhaft im Organismus – in               Strategie) haben sie bereits einen Lebendimpfstoff
‹schlafender› Form in Zysten in Muskeln und im                hergestellt, der in Katzen eine Immunität erzeugt
Gehirn. Solche latent persistierenden Parasiten wer-          und die sexuelle Entwicklung zu infektiösen Oozys-
den dann bei immungeschwächten Patientinnen                   ten verhindern kann. Um künftig Tierversuche ver-
und Patienten (etwa durch HIV oder nach einer Or-             meiden zu können, arbeitet Hehls Gruppe nun in-
gantransplantation) zu einer grossen Gefahr. Prob-            tensiv daran, die Parasiten-Differenzierung
lematisch ist ausserdem auch eine erstmalige In-              ausserhalb der Katze studieren zu können. «Wir
fektion mit Toxoplasma gondii in der Schwangerschaft,         sind daran, Zellen des Dünndarmepithels in Kultur
denn der Parasit kann in diesem Fall auf das Unge-            zu bringen und so einen ‹künstlichen Darm› zu
borene übergehen und den Fötus schädigen oder                 schaffen, in dem wir die verschiedenen Stadien der
sogar Aborte verursachen.                                     Entwicklung studieren können», sagt der Moleku-
                                                              lar- und Zellbiologe.
       Sexuelle Vermehrung des Parasiten                            Susanne Haller-Brem
       nur im Katzendarm                                            Die Autorin ist Biologin und arbeitet als Wissen-
Toxoplasma gondii hat einen komplexen Entwick-                      schaftsjournalistin.

lungszyklus. «Als Endwirte sind aber nur die Haus-
katze und andere Mitglieder der Familie der Felidae
bekannt», erklärt Adrian Hehl. Zusammen mit sei-
14     BU L L E T I N
       — GESELLSCHAF T

       Heinrich Zollinger – ein Biografieprojekt
       Der Naturforscher Heinrich Zollinger               Beilage im «Zürcher Oberländer». Im Dezem-
       wurde 1818 geboren und starb 1859 – im             ber erschien dann der grosse Aufsatz zum Le-
       Alter von 41 Jahren. Die beiden Jubiläums-         ben des Lehrers und Seminardirektors. Die Bio-
       daten sind für den Autor Anlass, im Jahr           grafie von Prof. Hans Wanner im Neujahrsblatt der
       2018 und 2019 die Biografie dieses Mannes          NGZH auf 1984 und dieser Aufsatz im Zürcher Taschen-
       mit verschiedenen Veranstaltungen und              buch auf 2019 bilden nun die Grundlage für eine um-
       Publikationen ans Licht zu holen.                  fassende Biografie.
                                                                   Heinrich Zollinger wirkte am Seminar nicht
       Rückblick auf das Jahr 2018                        als Naturforscher, sondern als Lehrer von Leh-
Startschuss für das umfassende Biografiepro-              rern. Eine verbesserte Allgemeinbildung oder
jekt war der Vortrag über Heinrich Zollinger für          eine wissenschaftliche Ausbildung, so war Zollin-
die NGZH vom 6. November 2017, zusammen                   ger überzeugt, sollten Volksschullehrer auf dem
mit PD Dr. Reto Nyffeler, Kurator Herbarium am            universitären Weg erwerben. Aber das Zürcher
Institut für Systematische und Evolutionäre Bo-           Volk verwehrte 1872 die höhere Ausbildung. Die
tanik der UZH. Kurz darauf, im Januar 2018,               Lehrer suchten fortan andere Wege. Sie wurden
ging die Webseite www.heinrich-zollinger.ch online, die   zu «Meistern des Lokalen» und erforschten Flo-
sämtliche Informationen zum Jubiläumsprojekt              ra und Fauna, Geologie und Volkskunde ihres
zusammenfasst. Im März 2018 – Zollinger wur-              Ortes oder ihrer Region. Tobias Scheidegger hat
de am 22. März 1818 geboren – wurde im Alten              dies im Artikel über Citizen Science im 19. Jahr-
Botanischen Garten der UZH eine Biografietafel            hundert in der Vierteljahrsschrift 3/2018 dargestellt.
aufgestellt, die an den grossen Forscher erinnert.
       Zollingers Wirken war im Juni auch The-                   Ausblick auf das Jahr 2019
ma an der 27. Jahrestagung der Deutschen Ge-              1841 wurde Zollinger Mitglied der NGZH und
sellschaft für Geschichte und Theorie der Bio-            wahrscheinlich im Jahr 1855 deren Ehrenmit-
logie an der Friedrich-Schiller Universität in Jena.      glied. Er war der erste Schweizer Vulkanologe,
Dort hatte nicht nur Lorenz Oken, der erste Rek-          noch vor Albert Heim, der 1911 am Semeru
tor der UZH, gewirkt, der Heinrich Zollinger das          stand, in der Gegend also, wo Zollinger begra-
Studium in Genf empfohlen hatte. In Jena hat-             ben worden war (Neujahrsblatt, 1916) . Zusammen mit
ten auch die damaligen Präsidenten der NGZH,              Emil Stöhr (Mitglied der NGZH) hatte Zollin-
Horner und Schinz studiert. Und Jena war auch             ger 1858 im Jahr vor seinem Tod noch Vulkane
der Ort, wo sich Zollingers Vorbilder, Goethe und         und Schwefel untersucht. Zollinger war auch
Alexander von Humboldt, trafen. Einen biogra-             der erste Schweizer Ethnologe in Ostasien.
fischen Bezug gab es im Juni auch beim Vortrag                   An all dies erinnert der biografische Spa-
vor der Lesegesellschaft Horgen, wo Zollinger             ziergang, der ab April 2019 im Alten Botanischen
1838 erster Sekundarlehrer gewesen war.                   Garten begangen werden kann. Ab Mitte Mai
                                                          wird zudem im Palmenhaus eine Ausstellung
       Tropenglück und Schulfreunde                       aus zwei grossen Lesebüchern und mit botani-
Ein Höhepunkt des Jahres war die szenische                schen Motiven bedruckten Fahnen eröffnet.
Lesung «Tropenglück und Schulfreunde», die                       Die Büste, bei der der biografische Spa-
als Hauptprobe zunächst im Naturmuseum Win-               ziergang beginnt, wurde von der Schulsynode
terthur über die Bühne ging. Dort befinden sich           aufgestellt und erinnert zuerst an Heinrich
ethnologische Objekte aus Zollingers Samm-                Zollinger als Autodidakten und Vorbild der
lungen. Die zweite Lesung fand in der Buch-               Volksschullehrer und dann an den Tropenfor-
handlung «Doppelpunkt» in Uster statt, wo der             scher. Kaum jemand in Zürich hatte sich vor
«fiktive Nachlass» Zollingers während 6 Wochen            Zollinger mit der Tropenflora befasst oder konn-
inszeniert wurde. Begleitend zu den Lesungen              te sich eine Vorstellung von der Vegetation im
erschien im Oktober ein «Heimatspiegel» als               indischen Archipel machen. Zwar erkannte man
15    Vierteljahrsschrift — 1 | 2019 — Jahrgang 164 — NGZH

      Links: Die Büste im Alten Botanischen Garten erinnert an den grossen Naturforscher Heinrich
      Zollinger. Dort beginnt der szenische Spaziergang, der ab April 2019 begangen werden kann.
      Rechts: Impressionen von den szenischen Lesungen «Tropenglück und Schulfreunde» in
      Winterthur (oben) und Uster.

in der Tertiärflora die tropischen Pflanzen; in              September wird es an mehreren Abenden sze-
den Gesteinsschichten waren sie aber tot.                    nische Lesungen im Palmenhaus geben. Es
Zollinger erforschte sie in der Malesiana in ei-             steht dann noch die Aufarbeitung der Kokos-
nem lebendigen Zusammenhang.                                 plantage von Zollinger an. Es war eine der
       Sein Engagement für die Volksschule                   grössten und frühesten Investitionen von
nach dem Züri-Putsch, das Gefälle zwischen                   Schweizer Aktionären in Ostindien – unter ih-
Universität und Volksschule sowie die unter-                 nen notabene auch wichtige Exponenten der
schiedliche Herangehensweise an die Tropen                   Wirtschaft und Bankengründer.
verhinderten eine Zusammenarbeit zwischen                              Im Mai 1859 starb Zollingers Vorbild:
Oswald Heer und Heinrich Zollinger. Begegnet                 Alexander von Humboldt (1769-1859). Zollin-
sind sie sich allerdings im Botanischen Garten:              ger wurde zwar nicht wie Franz Wilhelm Jung-
Heer als Direktor und Zollinger in der Aufsichts-            huhn (1809-1864) «Humboldt von Java» ge-
kommission. Sie waren sicher beide an der                    nannt; doch mit der «Flora Malesiana», (VJS, Band
Einweihung des Palmenhauses. Sie hätten                      2/1857) , hatte er ein ebenso bedeutendes Werk
voneinander lernen können und das hätte mög-                 geschaffen. Die «Flora Malesiana» ist nicht
licherweise die Gedanken zur Evolution be-                   Botanik-Geschichte, sondern auch heute noch
fruchtet. Doch dazu kam es aber nicht.                       ein lebendiges Forschungsprojekt.
                                                                       Peter Schulthess Hürlimann
      Ein lebendiges Forschungsprojekt
                                                                   Weiterführende Informationen:
Vom 30. Juni bis 5. Juli 2019 findet auf Bor-
neo im Sultanat Brunei die 11. «Flora Malesia-                     Webseite über H. Zollinger (wird laufend
na» Konferenz statt. Dort präsentiere ich die                      nachgeführt): www.heinrich-zollinger.ch
Biografie von Zollinger und seine Gedanken                         Stefan Ungricht: Unser Mann in Java – Beitrag
zur «Flora Malesiana» von 1857. Im Sommer                          auf der NGZH-Webseite, zu finden unter:
2019 biete ich zudem im Alten Botanischen                          www.ngzh.ch/news/
Garten der UZH Führungen an und gegen Ende
16    BU L L E T I N
      — N G Z H-E X K U R S I O N E N

      Einblicke in die Geologie
      der Glarner Alpen
Diese eintägige NGZH-Exkursion führt uns an   3) Beglingen Kerenzerbergstrasse: Überblick
einem Samstag im Mai in die einzigartige Tek- über die frontalen Teile der helvetischen De-
tonik-arena der Glarner Alpen, ins Weltkultur-cken im Glarner Unterland
erbe-Gebiet Sardona (vgl. VJS 2/2018) . Unser fach-
                                              4) Lochsite Sernftalstrasse: Der klassische
kundiges Vorstandsmitglied, der emeritierte   Aufschluss der Glarner Hauptüberschiebung
Geologieprofessor Wilfried Winkler, wird uns  5) Engi Schieferbrüche: Beziehung zwischen
mit einem Reisebus zu ausgesuchten Punkten    Sedimentation und Tektonik sowie der Abbau
führen und dort die erdgeschichtlichen Prozes-von Dachschiefern
se erläutern, die sich über Jahrmillionen hinweg
                                              6) Matt: Ein kleiner Aufschluss zeigt Sediment-
abgespielt und die heutigen Glarner Alpen ge- strukturen in der Matt-Formation
formt haben.                                  7) Elm: Glarner-Überschiebung an den Tschin-
                                              gelhörnern, Elmer Bergsturz und Taveyannaz-
Auf dem Programm stehen folgende sieben Sandstein
Stationen:
1) Ziegelbrücke Bahnhof: Durch Flüsse trans- Als Verpflegung dient ein individuell mitge-
portierte Gerölle aus dem frühen Spätoligozän brachter Lunch. Je nach der Teilnehmerzahl
(ca. 30 Mio. Jahre alt)                       wird der Ausflug 50 bis 70 Franken pro Per-
2) Filzbach Römerturm: Deckenbau der Chur- son für den Bus betragen. Interessierte melden
firsten, Entstehung des Walensees und Berg- sich bitte bei sekretariat@ngzh.ch.
sturz von Amden

      Das Gebiet der Tektonikarena Sardona gehört zu den geologisch spektakulärsten Regionen der
      Schweiz. Wer sich für die Hintergründe interessiert, erhält an der NGZH-Exkursion Einblicke
      aus kompetener Hand.
17    Vierteljahrsschrift — 1 | 2019 — Jahrgang 164 — NGZH

      Michelangelo, Galilei und
      Gravitationswellen
Die fünftägige NGZH-Reise führt nach Florenz,
Pisa und zum Gravitationswellen-Observatorium
VIRGO. Dr. Babis Bistolas wird dabei die rei-
chen kulturellen Sehenswürdigkeiten beleuch-
ten. Er ist Chemiker und hat sich ein riesiges
historisches und botanisches Wissen angeeig-
net. Der Physiker Fritz Gassmann wird die Be-
deutung Galileo Galileis aufzeigen und das Phä-
nomen Gravitationswellen (vgl. VJS 4/2015, S. 11-16)
verständlich machen.
      Wir werden mit dem Zug reisen und in
einem renovierten historischen Gebäude in
Florenz logieren. Der Pauschalpreis inkl. Trans-
porte, Halbpension und Eintritte in Museen
beträgt pro Person im Doppelzimmer Fr. 1500,
im Einzelzimmer Fr. 1600.

Die Reise dauert vom 23. bis zum 27. Oktober
2019. Interessierte melden sich bitte bis spä-
testens 28. April bei sekretariat@ngzh.ch.

       Programm
Mi 23. Oktober: 9:09 Abfahrt Zürich HB;
Transfer zur Foresteria Valdese bei der Piazza
Santo Spirito; Spaziergang im Quartier, zum
Palazzo Pitti und zur Ponte Vecchio; Nachtes-
sen im Ristorante il Latini
Do 24. Oktober: Besuch Kloster Santa Maria
Novella und Galleria degli Uffizi; Nachtessen
in der Foresteria Valdese. Anschliessend er-
läutert Fritz Gassmann im Saal der Foresteria
mit Hilfe einfach zu begreifender Vergleiche,
was Gravitationswellen sind und wie man sie
in der Astronomie verwenden kann.
Fr 25. Oktober: Besuch Palazzo Vecchio und
Museo Galileo sowie weitere Sehenswürdig-
keiten; Nachtessen in der Trattoria Casalinga
Sa 26. Oktober: Transfer per Bahn nach Pisa
und Besuch des Gravitationswellen-Observa-
toriums VIRGO (www.virgo-gw.eu); am Nach-                    Die NGZH-Exkursion in die Toskana bietet
mittag Besuch des Centro Storico von Pisa;                   für alle etwas: Kulinarische Köstlichkeiten,
Rückreise nach Florenz und Nachtessen in der                 vielfältige Kultur in Florenz und Pisa und
Foresteria Valdese                                           nicht zuletzt auch Einsichten in die
So 27.Oktober: 11:00 Abfahrt Firenze S.M.N.;                 moderne Physik beim Gravitationswellen-
16:51 Ankunft Zürich HB                                      Observatorium VIRGO.
18    BU L L E T I N
      — O S WA L D H E E R-P R E I S

      Ausschreibung zur dritten Preisvergabe
Der Oswald Heer-Preis wird seit 2016 alle zwei
Jahre verliehen, 2020 also zum dritten Mal.
Er soll an den grossen Glarner Paläontologen,
Botaniker und Entomologen und an die Grün-
derpersönlichkeit Oswald Heer (1809–1883)
erinnern. Mit dem Preis werden hervorragende
Arbeiten von Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern ausgezeichnet, die in der Schweiz
tätig sind und in den Forschungsgebieten Os-
wald Heers arbeiten.
       Federführend für die Preisvergabe ist
gegenwärtig die Schweizerische Paläontologi-
sche Gesellschaft. Daneben wird der Oswald
Heer-Preis von den folgenden Vereinigungen
mitgetragen: Naturforschende Gesellschaft
des Kantons Glarus, Historischer Verein des
Kantons Glarus, Naturforschende Gesellschaft
in Zürich, Schweizerische Akademie der Na-
turwissenschaften SCNAT, Schweizerische
Botanische Gesellschaft, Schweizerische Geo-
logische Gesellschaft sowie Schweizerische
Gesellschaft für die Geschichte der Medizin
und der Naturwissenschaften. Delegierte die-
ser Gesellschaften bilden das Preiskomitee              Der grosse Naturforscher Oswald Heer in
unter der Leitung eines Vorstandmitglieds der           einer bisher unveröffentlichen Abbildung
Schweizerischen Paläontologischen Gesell-
schaft.                                           Fachgebiete mit Bezug zur Schweiz. Die Preis-
       Der Oswald Heer-Preis wird für hervor-     summe beträgt ca. CHF 2000 und wird jeweils
ragende Arbeiten, publiziert maximal zwei Jah-    vom Preiskomitee festgelegt. Das Preisgeld
re vor dem Jahr der Preisausschreibung, an        wird in einem Fonds aus verschiedenen Quel-
eine junge Wissenschaftlerin oder einen jungen    len gesammelt.
Wissenschaftler vergeben. Zum Zeitpunkt der              Bewerbungen mit einem kurzen Lebens-
Bewerbung dürfen die Kandidatinnen bzw. Kan-      lauf und Publikationsverzeichnis der letzten fünf
didaten maximal 35 Jahre alt sein.                Jahre und der zu bewertenden Arbeit sind in
       In Anbetracht der Herkunft Oswald Heers    digitaler Form an Prof. Dr. Christian Klug
sind wissenschaftliche Arbeiten von Glarnern      (chklug@pim.uzh.ch) der Schweizerischen Pa-
und Glarnerinnen sowie Arbeiten über einen        läontologischen Gesellschaft zu senden. Die
Forschungsgegenstand aus dem Glarnerland          Unterlagen müssen bis Ende August 2019 ein-
unter Berücksichtigung der für alle Bewerbun-     gereicht werden.
gen gleich geltenden wissenschaftlichen Qua-             Bitte informieren Sie Ihre Kolleginnen und
litätskriterien bei der Preisvergabe vorzuzie-    Kollegen, Studierende, Promovierende und an-
hen.                                              dere potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten
       Die auszuzeichnenden Fachgebiete um-       über den Oswald Heer-Preis. Weitere Informa-
fassen Paläontologie (insbes. Paläobotanik),      tionen erhalten Sie von Prof. Dr. Christian Klug
Flora der Alpen (insbes. der Schweiz), Evolu-     (chklug@pim.uzh.ch) oder Prof. Dr. Conradin
tionsbiologie der Pflanzen und Tiere sowie die    A. Burga (conradin.burga@bluewin.ch).
Wissenschaftsgeschichte der oben erwähnten               Conradin A. Burga
19    BU L L E T I N
      — J U G E N DP R E I S

      Ein Kopfhörer mit aktiver
      Geräuschauslöschung
      Kristina Lehtinen von der Kantonsschule       Dieses Prinzip wird im aktiven Kopfhörer genutzt,
      Hottingen hat in ihrer Maturarbeit einen      um ein Störsignal (rot) auszulöschen. Dazu wird
      Kopfhörer mit aktiver Geräuschauslöschung     das Störsignal mit einem Mikrofon aufgenom-
      entwickelt. Dafür wurde sie im letzten        men, in das passende Gegensignal durch Inver-
      November mit dem Jugendpreis der NGZH         tieren (graphisch gesehen durch Spiegeln des
      ausgezeichnet. Wie sie die Funktionsweise     Störsignals) umgewandelt und schliesslich vom
      dieses Kopfhörers nach und nach entschlüs-    Lautsprecher wiedergegeben (violett).
      selte, zeigt sie in diesem Beitrag auf.              Allerdings breitet sich das störende Schall-
                                                    signal während der Umwandlung weiter aus; das
Gerade erlebe ich ein kleines Déjà-vu aus der       Aufnehmen, Berechnen und Wiedergeben muss
Zeit, als meine Maturarbeit noch ungeschrieben      also in einem bestimmten Zeitrahmen funktio-
war, Lärm unbekämpfbar schien und ich, wie ich      nieren. Dies ist nur möglich, weil die Schallge-
es im Vorwort meiner Maturitätsarbeit ausdrü-       schwindigkeit v = 340 m/s beträgt, elektrische
cke, am Sonntagmorgen nach Ruhe lechzend in         Signale aber sozusagen unendlich schnell über-
meinem Zimmer nichts als schlafen wollte. Und       tragen werden. So bleiben bei einem Abstand
jetzt? In einem ziemlich vollen Zug in die Berge,   von 3 Zentimetern zwischen Mikrofon und Laut-
umgeben von Musik und Gesprächen, habe ich          sprecher 88 Mikrosekunden Zeit.
zum Glück meine Kopfhörer mit aktiver Ge-
räuschauslöschung mitgebracht, die vielleicht       Doch leider ist alles nicht so einfach. Wenn man
nicht jedes nette Gespräch um mich herum ver-       ein Störgeräusch aufnimmt, wird es im Laut-
schwinden lassen, das monotone Rauschen der         sprecher nämlich stark gedämpft und verzögert
Schienen aber durchaus auslöschen können.           wiedergegeben. Die Aufnahme kann also nicht
       Das physikalische Prinzip dahinter ist die   einfach «nur» invertiert werden, um das pas-
Interferenz, die bei allen möglichen Schallwellen   sende Auslöschungssignal zu erhalten. Man
funktioniert. Wenn sich zwei oder mehr Wellen       muss zusätzlich auch die Verzögerung und
überlagern, addieren sich zu jedem Zeitpunkt die    Dämpfung kompensieren.
Amplituden der einzelnen Wellen. Verstärken               Um diese beiden Faktoren besser zu ver-
sich die Wellen, spricht man von konstruktiver      stehen, habe ich in meiner Arbeit Modelle erstellt.
Interferenz; schwächen sie sich gegenseitig         Diese sollen die notwendigen Schritte zeigen,
ab,spricht man von destruktiver Interferenz.        wie aus der verzerrten Aufnahme ein auslöschen-
Wenn man also zwei gegenphasige Sinussig-           des Signal wird, dargestellt als Funktionsblöcke.
nale mit gleicher Amplitude überlagert, resul-
tiert ein Null-Signal.

                                                    Wird die Verzögerung (als Phasenverschiebung
                                                    zwischen rotem und violettem Signal darge-
                                                    stellt) nicht kompensiert, resultiert keine Aus-
                                                    löschung, auch wenn das Signal zuvor im Funk-
                                                    tionsblock I invertiert wurde. Um eine
                                                    Auslöschung zu erreichen, muss die Verzöge-
                                                    rung kompensiert werden, im Modell durch
20    BU L L E T I N
      — J U G E N DP R E I S

                                                    Bestätigt wird diese Vermutung der Frequenz-
                                                    abhängigkeit mittels eines Experimentes, bei
                                                    dem ein so genannter Chirp generiert wird, ein
                                                    Signal, bei dem die Frequenz im Bereich 440Hz
                                                    bis 8800Hz kontinuierlich zunimmt. Dieser
                                                    Chirp wird abgespielt und zeitgleich aufgenom-
Funktionsblock V dargestellt. Das Mikrofon          men. Im Ausgangssignal erkennt man, dass das
nimmt nimmt nun das Störsignal (rot) auf. Die       Signal bei einigen Frequenzen stärker gedämpft
Aufnahme ist nun ein elektrisches Signal (vio-      wird als bei anderen. Aus der Spektraldarstel-
lett), das gegenüber dem Störsignal entspre-        lung lässt sich nun für jede Frequenz die Dämp-
chend verzögert und im Funktionsblock I in-         fung ablesen und damit die entsprechende not-
vertiert wird, so dass das Störsignal ausgelöscht   wendige Verstärkung ermitteln.
wird, wenn das umgewandelte Signal am Laut-                Beispielsweise ermittelt man in der Auf-
sprecher ausgegeben wird.                           nahme für die Frequenz 5000 Hz die Amplitude
                                                    0,5. Setzt man nun diesen Wert in Relation zur
Dieses Modell hat noch die Dämpfung ausser          Amplitude bei 5000 Hz beim ursprünglichen
Acht gelassen. Diese entsteht durch verschiede-     Signal kann man daraus den benötigten Verstär-
ne Eigenschaften des Mikrofons und des Laut-        kungsfaktor zur Korrektur des Aufnahmesignals
sprechers, weshalb sich das ursprüngliche Sig-      ermitteln. Mit viel Aufwand liesse sich das für
nal (rot) von dessen Aufnahme (violett) in der      alle Frequenzen durchführen und würde dem
Höhe der Amplitude unterscheidet.                   Frequenzgang entsprechen. Die Differenz der
                                                    beiden Frequenzgänge ergibt die notwendigen
                                                    Korrekturfaktoren. Analog zur Dämpfung gibt es
                                                    auch eine ähnliche Frequenzabhängigkeit bei der
                                                    Verzögerung.

                                                    Um die bisher gewonnenen Erkenntnisse zu über-
       Wird die Dämpfung nicht behoben, würde       prüfen, habe ich in einem weiteren Teil meiner
das Störsignal nicht durch die Wiedergabe (blau)    Arbeit Simulationen durchgeführt, um ein prak-
des invertierten, aufgenommenen Signals (vio-       tisches Verfahren zur Auslöschung von beliebi-
lett) ausgelöscht. Wird die Dämpfung jedoch         gen Signale zu entwickeln.
kompensiert, d.h. in diesem Fall das aufgenom-            In diesen Simulationen habe ich ein Signal
mene Signal (violett) im Funktionsblock D ver-      bestehend aus den drei Frequenzen 1000 Hz,
stärkt, kann die Wiedergabe (blau) des im Funk-     2000 Hz und 3000Hz betrachtet, die einzeln
                                                    generiert (Spuren 1 bis 3) und dann überlagert
                                                    werden (Spur 4). Dieses Signal wird abgespielt
                                                    und gleichzeitig aufgenommen (Spur 5).

tionsblock I invertierten Signals das Störsignal
(rot) aufheben.
       Eine genauere Untersuchung der Dämp-
fung ergibt eine Frequenzabhängigkeit, das
heisst: Unterschiedliche Wellenlängen werden
unterschiedlich stark gedämpft. Von Mikrofon-
herstellern wird dies in Form eines Frequenz-
ganges dargestellt.
Sie können auch lesen