VMVERBA ND SMAG VDW RHEINLAND WESTFALEN

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vm         Ve r b a nd s M a g a z i n
                                  Themen, Trends und Fakten der Wohnungs- und
                                  Immobilienwirtschaft – VdW Rheinland Westfalen
                                                                                   #4
                                                                                   2020

                                            32   50. TREFFPUNKT SOZIALARBEIT
                                                 WOHNUNGSLOSIGKEIT
14   SONDERSEITEN:
                                                 GEMEINSAM BEKÄMPFEN!
     DAS CORONAVIRUS UND
     UND DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT

                                  4   SCHWERPUNKT – SELBSTHILFE, SELBST-
                                      VERANTWORTUNG UND SELBSTVERWALTUNG
                                      Genossenschaftliche Werte
                                      in heutiger Zeit
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IMPRESSUM
Herausgeber:                     Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen e. V.
                                 Goltsteinstr. 29, 40211 Düsseldorf, Tel.: +49 (211) 16998-0, Fax: +49 (211) 16998-50
                                 E-Mail: info@vdw-rw.de, http://www.vdw-rw.de

Verantwortlich für den Inhalt:   Alexander Rychter

Redaktion:                       Katrin Stamm (KS, Leitung)
                                 Finn Dresen (FD), Fabian Engel (FE), Jürgen Gnewuch (JG), Christina Göbel (CG),
                                 Cindy Merz (CM), Lisa Metzger (LM), Alexander Meyer (AM), Oliver Niermann (ON),
                                 Hans-Joachim Palm (HP), Dr. Daniel Ranker (DR), Jennifer Rüberg (JRÜ),
                                 Wolfgang Schäfer (WS), Roswitha Sinz (RS), Eva Stelzner (ES), Angelos Tsiokas (AT)

Layout & Gestaltung:             Statement GmbH – Agentur für Marketing- und Designlösungen, Saarbrücken, Köln, Berlin
                                 http://www.agentur-statement.de

Druck:                           Krüger Druck und Verlag

Erscheinungsweise:               10 x jährlich

Auflage:                         ca. 1.500 – 2.000 Exemplare

Anzeigen:                        Statement GmbH – Agentur für Marketing- und Designlösungen, Saarbrücken, Julia Kaiser, Tel.: +49 (681) 99281-37

                                 Der Bezugspreis ist für die Mitglieder der Verbände im Mitgliedsbeitrag enthalten.
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EDITORIAL 1

                     Unternehmerische Orientierung
                     und gesellschaftliche Wirkungen

                     D
                               ie Corona-Krise sorgt für turbulente   Die genossenschaftliche Strategie ist darauf
Foto: IfG Münster

                               Zeiten, die wir erleben und die uns    ausgerichtet, einen Mitgliederwert zu schaf-
                               dazu führen, vieles zu überdenken      fen, der sich nicht an externen Investoren
                     und neu zu planen. Die Unsicherheit für Un-      und auch nicht an staatlich-gemeinnützigen
                     ternehmen und die Menschen steigt. Umso          Vorgaben orientiert. Über Wohn- und Ser-
                     wichtiger ist es, Orientierung zu geben und      viceleistungen sowie über die Möglichkeiten
                     nachhaltig zu agieren. Genau dieses leisten      zur Partizipation und ggf. die Verzinsung von
                     Genossenschaften seit Jahrzehnten. Sie ge-       Anteilen wird der Wert der Genossenschaft
                     ben ihren Mitgliedern die Sicherheit, die für    für ihre Mitglieder sofort spürbar. Doch dazu
                     viele gerade jetzt so wichtig ist.               kommt durch die inhärente Nachhaltigkeit
                                                                      des genossenschaftlichen Geschäftsmodells
                     Wohnungsgenossenschaften bieten konse-           die Option auf Leistungen in der Zukunft.
                     quente Antworten auf die aktuellen Heraus-
                     forderungen, seien sie dauerhafter Natur         Genossenschaften wirken jedoch über ihre
                     oder Ergebnis akuter Entwicklungen auf dem       Mitglieder hinaus. Sie erhalten Infrastruk-
                     Wohnungsmarkt und der Wohnungspolitik.           turen, ermöglichen gesellschaftliche Teil-
                     Es sind Phasen der Veränderung in Wirt-          habe, stabilisieren Quartiere und Stadtteile
                     schaft und Gesellschaft, in denen die genos-     und werten Wirtschafts- und Lebensräume
                     senschaftlichen Besonderheiten nicht nur         auf. Das passt zur Forderung einer stärke-
„Genossenschaften    der Politik, sondern auch vielen Menschen        ren Berücksichtigung der gesellschaftli-
bieten konsequente   bewusst werden. Ganz wie zu der Zeit, als
                     sich Genossenschaften herausbildeten und
                                                                      chen Wirkungen unternehmerischen Tuns.
                                                                      Dies können Genossenschaften seit jeher
Antworten auf die    in eigener Initiative innovative Lösungen        bieten.
aktuellen Heraus­    fanden und Verantwortung übernahmen.

forderungen“         Unternehmerisches Denken ließ Menschen
                     ein arbeitsteilig organisiertes Kooperations-
                     modell erfinden, das Subsidiarität mit den
                                                                      Prof. Dr. Theresia Theurl
                     Effizienzvorteilen gemeinsamer Leistungen
                     kombinierte, was gleichzeitig Solidarität        Professorin für Volkswirtschaftslehre
                     innerhalb und Identifikation mit der Genos-      Geschäftsführende Direktorin des Instituts
                     senschaft ermöglichte.                           für Genossenschaftswesen

                                                                            04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
VMVERBA ND SMAG VDW RHEINLAND WESTFALEN
2       INHALT

4                                                                                                  14
Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung –                                            Corona
Genossenschaftliche Werte in heutiger Zeit

                                                                                                                                              Foto: Romolo Tavani – stock.adobe.com
        SCHWERPUNKT                                                                                     CORONA

    4   Selbsthilfe, Selbstverantwortung                11   „Die genossenschaftlichen Prinzi-     14   Vorwort
        und Selbstverwaltung                                 pien haben auch heute nichts von           Alexander Rychter und
        Genossenschaftliche Werte in                         ihrer Notwendigkeit verloren“              Dr. Daniel Ranker
        heutiger Zeit                                        Interview mit Udo Bartsch,
                                                             Vorstand Eisenbahner Bauverein eG     16   Das Gesetz zur Abmilderung der
  7     „Der Zusammenschluss von
                                                             Düsseldorf (EBV), Vorstandsmitglied
                                                                                                        Folgen der Covid-19-Pandemie im
        Einzelnen zu Gemeinschaften“                                                                    Zivil-, Insolvenz- und Strafverfah-
                                                             Arbeitsgemeinschaft der
        Interview mit Dr. Ingo                                                                          rensrecht
                                                             Eisenbahner-Wohnungsbau-
        Köhler, Wirtschafts- und                                                                        Zahlreiche gesetzliche Änderungen
                                                             genossenschaften
        Unternehmenshistoriker an der                                                                   in Kraft
        Humboldt-Universität zu Berlin                  12   „Auch als Genossenschaft müssen
                                                                                                   17   Umfrage von VdW Rheinland
                                                             die Maßnahmen für uns zu einer
  8     Die Marke Genossenschaften
                                                             Wirtschaftlichkeit führen“
                                                                                                        Westfalen und NRW.BANK zur
        konsequent präsentieren                                                                         Branchenlage
                                                             Interview mit Christoph Rehrmann,
        Die Marketinginitiative der                                                                     Corona-Barometer
                                                             Geschäftsführender Vorstand der
        Wohnungsbaugenossenschaften
        Deutschland e. V.
                                                             Gemeinnützigen Wohnstätten-           18   Auswirkungen des Coronavirus auf
                                                             genossenschaft Hagen eG (GWG),             die Wohnungswirtschaft
                                                             Sprecher Arbeitsgemeinschaft               Gastbeitrag von Prof. Dr. Günter
  9     „Die Kampagne leitet sich direkt
                                                             Hagener Wohnungsgenossenschaften           Vornholz, Professor für Immobilien-
        aus der genossenschaftlichen Idee
        und ihren Vorteilen ab“                                                                         ökonomie an der EBZ Business School
        Interview mit Olaf Rabsilber,
                                                        13   „Durch die Beteiligung unserer
                                                                                                        in Bochum
                                                             Mitglieder haben wir das Ohr
        Vorsitzender der Marketinginitiative
        der Wohnungsbaugenossenschaften
                                                             direkt am Kunden“                     19   Welche Hilfen gibt es für Mieter von
                                                             Interview mit Kai Schwartz,                Land und Bund?
        Deutschland e. V.                                    Vorstandsvorsitzender der                  Unterstützung vonseiten der Politik
                                                             Baugenossenschaft Freie Scholle eG
10      Von der Grundlagenliteratur bis
                                                                                                   20   Reaktionen der Wohnungswirtschaft
        hin zu Best-Practice-Beispielen                                                                 auf die Corona-Krise
        Interview mit Franz-Bernd Große-                                                                Mieten, Mitarbeiter, Baustellen
        Wilde, Vorstandsvorsitzender Verein
        Wohnen in Genossenschaften e. V.,                                                          22   #zusammenhaltimwesten
        Vorstandsvorsitzender Spar- und                                                                 Gemeinsam allein –
        Bauverein eG, Dortmund                                                                          Beispiele gelebter Solidarität

04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
VMVERBA ND SMAG VDW RHEINLAND WESTFALEN
INHALT 3

28                                      36                                         48
5G für den Wohnungsbau in               Neugründung von                            Kleinräumige Wohnungs-
Nordrhein-Westfalen                     „Wohnen in Trier“ (Wit)                    marktfolgen von plattformbasierten
                                                                                   Kurzzeitvermietungen

                                                                                                                                           Foto: pikselstock – stock.adobe.com
     AKTUELLES                                                                           AUS DEN UNTERNEHMEN

25   Ausgezeichnet für herausragende    35   Wohnungswirtschaft und Industrie      38    „Wir wollen unseren Mietern ein
     Bau- und Wohnqualität                   blicken nach vorn                           sicheres Zuhause geben“
     Deutscher Bauherrenpreis 2020           Partnertreffen von EBZ und                  Bocholter Heimbau eG
                                             VdW Rheinland Westfalen
                                                                                         Jahresempfang mit über
26   8. Forum Personal
                                                                                         100 Wirtschaftsunternehmen
     „Arbeitgeberattraktivität und           Wohnungswirtschaft und Landtag
     Employer Branding“                      laden gemeinsam ein                         aus der Region
     Personalwesen                           Save the date:                              Spar- und Bauverein Dortmund eG
                                             19. Parlamentarischer Abend
27   Komplettlösungen für
                                              am 24. Juni 2020
     NetZero-Standard vorgestellt                                                        VdW-ARBEITSKREISE
     Energiesprong
                                             AKTUELLES RLP                         39    Praxisbeispiel für ein buntes
                                                                                         Miteinander
     AKTUELLES NRW
                                        36   Intensive Beratung des Arbeits-             Arbeitskreis generationengerechtes
                                                                                         Wohnen
                                             ausschusses der ARGE RP
28   5G für den Wohnungsbau in
                                             Soziale Wohnraumförderung 2020 im
     Nordrhein-Westfalen
                                             Entwurf
     Öffentliche Wohnraumförderung
     2020                                    Neugründung von
                                             „Wohnen in Trier“ (Wit)
30   Bielefeld bekommt
                                             Renaissance kommunaler
     105 Millionen Euro Globalbudget
                                             Wohnungsunternehmen
     Zielvereinbarung unterzeichnet

31   Azubi Branding von A bis Z         37   Frühjahrssitzung der Gesellschafter
                                                                                    40 STEUERN
                                             des Bauforums Rheinland-Pfalz
     Ausbildertag Schuljahr 2019/2020                                               43 RECHT
                                             Treffen bei der ISB Rheinland-Pfalz
     des EBZ
                                             20. Bauforum                           46 TECHNIK UND MULTIMEDIA
     Jetzt bewerben
                                             „Wohnen überwindet Grenzen“            51 FÜR SIE GELESEN
     Vorbildliche Bauten NRW 2020
                                             im ZDF Konferenzzentrum
                                                                                    52 SEMINARE
32   Wohnungslosigkeit                       in Mainz am 7. Mai 2020
     gemeinsam bekämpfen!                    Ankündigung
     50. Treffpunkt Sozialarbeit
                                                                                   Hinweis: Aus Gründen der besseren Lesbar-
34   Wohnen und Mobilität                                                          keit wird die männliche Personenbezeichnung
     sauber durchdekliniert                                                        gewählt. Die Angaben beziehen sich jedoch auf
     4. Bochumer Investorenkonferenz                                               beide Geschlechter.

                                                                                          04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
VMVERBA ND SMAG VDW RHEINLAND WESTFALEN
4      SCHWERPUNKT

Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung
GENOSSENSCHAFTLICHE WERTE IN HEUTIGER ZEIT >> Auf den ersten Blick sind Genossenschaften ein durch-
schlagender Erfolg in Deutschland. In unterschiedlichen Branchen, in der Wohnungswirtschaft, bei
Banken oder im Einzelhandel sind die 8.000 deutschen Genossenschaften zentrale Akteure. Über
22 Millionen Deutsche sind Mitglied einer Genossenschaft. Aber neue Untersuchungen haben gezeigt,
dass viele Menschen gar nicht wissen, welche Prinzipien und Werte sich hinter dem Begriff der Genos-
senschaft verbergen. Für die Genossenschaften ist vor allem alarmierend, dass gerade die Jugend sich
unter genossenschaftlichen Werten nichts mehr vorstellen kann. Wie kommt es zu der Diskrepanz
zwischen wirtschaftlichem Erfolg einerseits und gesellschaftlicher Unwissenheit andererseits?

Zur Annäherung an die Genossen-
schaftsprinzipien Selbsthilfe, Selbstverant-
wortung und Selbstverwaltung hilft ein Blick
in die Geschichte der Genossenschaftsbe-
wegung. Im Allgemeinen wird Friedrich
Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-
Delitzsch zugeschrieben, den modernen Ge-
nossenschaftsgedanken vor über 150 Jahren
etabliert zu haben – in einer Zeit, die vor
allem von zahlreichen sozialen Missständen
geprägt war. Im Zuge der Industrialisierung
entwickelten sich in den Städten untragbare
Wohn- und Lebensverhältnisse und auf
dem Land verarmten breite Bevölkerungs-
schichten.

Unterschiedliche Prinzipien:

                                                                                                                                                                                   Foto: EBV
Raiffeisen und Schulze-Delitzsch
Mit dieser sozialen Frage konfrontiert, ent-
wickelten Friedrich Wilhelm Raiffeisen und
Hermann Schulze-Delitzsch zeitgleich –                                                 Ende des Jahres 1899 kam eine Anzahl Bediensteter der „Preußischen Staatseisenbahn-
aber unabhängig voneinander und durch-                                                 Verwaltung“ in Düsseldorf zu dem Entschluss, auch einen Bauverein auf genossenschaftlicher
aus mit unterschiedlichen Prinzipien – den                                             Basis zu gründen, denn in Hagen, Siegen und Elberfeld waren bereits Eisenbahner-
Genossenschaftsgedanken.                                                               Wohnungsbaugenossenschaften entstanden

Für Friedrich Wilhelm Raiffeisen war die                                               eine solidarische Lösung der sozialen Fra-      Unterstützung für die Genossenschaftsbe-
christliche Nächstenliebe seine zentrale                                               ge im Fokus. Dabei setzte er stark auf die      wegung.
Motivation. Für ihn stand in erster Linie                                              Selbsthilfe, doch forderte er auch staatliche
                                                                                                                                       Diese lehnte der liberale Politiker Hermann
                                                                                                                                       Schulze-Delitzsch kategorisch ab, da er hier-
                                                        Fotos: Wikipedia, gemeinfrei

                                                                                                                                       durch eine Einflussnahme des Staates und
                                                                                                                                       somit eine Aushebelung der demokratischen
                                                                                                                                       Mitbestimmung innerhalb der Genossen-
                                                                                                                                       schaften befürchtete. Ein Streitpunkt, der bei
                                                                                                                                       den Wohnungsbaugenossenschaften noch
                                                                                                                                       heute immer wieder zu Kontroversen im Zu-
                                                                                                                                       ge der Wohnraumförderung und der damit
                                                                                                                                       einhergehenden Belegungsbindungen führt.

                                                                                                                                       Das Zölibat für
                                                                                                                                       genossenschaftliche Angestellte
                                                                                                                                       Doch nicht alle von Hermann Schulze-
                                                                                                                                       Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen
                                                                                                                                       geforderten Prinzipien setzten sich tatsäch-
Victor Aimé Huber (1800 – 1869)                                                        Julius Faucher (1828 – 1878)                    lich durch. So forderte der sehr fromme

04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
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GENOSSENSCHAFTEN 5

                                                                                                                    nung von heute, sprich in die Soziale Markt-
                       TABELLE 1: DER GRUNDKANON GENOSSENSCHAFTLICHER WERTE                                         wirtschaft? Beide Systeme basieren auf dem
                                                                                                                    marktwirtschaftlichen Anreizsystem. Da-
         Förderprinzip            Den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder
                                                                                                                    bei geht es bei Wohnungsgenossenschaften
                                  kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern
                                                                                                                    nicht darum, eine Gewinnmaximierung zu
         Identifikationsprinzip   Die Genossenschaft vereinigt zwei Funktionen in einer Organisation, die sich
                                                                                                                    erreichen. Die marktwirtschaftlichen Kräfte
                                  sonst im Wirtschaftsleben gegenüberstehen, beispielsweise Mieter und Vermieter
                                                                                                                    signalisieren den Genossenschaften, wie sie
         Regionalitätsprinzip     Nach dem Regionalitätsprinzip werden die Aktivitäten lokaler Genossenschaften     ihren Förderauftrag, bei dem es nicht nur um
                                  auf einen eng begrenzten Wirtschaftsraum beschränkt                               niedrige Mieten oder hohe Dividenden geht,
         Subsidiaritätsprinzip    Das Subsidiaritätsprinzip besagt, dass bestimmte Aufgaben genau dann von          am effizientesten und zielgerichtet umsetzen
                                  zentralen Einheiten übernommen werden, wenn die Primärgenossenschaften            können. Verlangen die Mitglieder altersge-
                                  diese Funktionen nicht mehr effizient erfüllen können oder wollen                 rechte Wohnungen? Fragen die Mitglieder
         Selbsthilfe              In einer Genossenschaft schließen sich die Mitglieder freiwillig zusammen,        nach Mikroapartments oder nach großen
                                  um gemeinsam zu wirtschaften. Dabei soll die wirtschaftliche Förderung aller      Wohnungen? Denn nur eine wirtschaftlich
                                  Mitglieder aus eigener Kraft gelingen                                             gut aufgestellte Wohnungsgenossenschaft
         Demokratieprinzip        Die grundsätzlichen Entscheidungen werden in der Genossenschaft in der            mit einem marktfähigen Angebot kann eine
                                  Generalversammlung der Mitglieder getroffen. Hier hat jedes Mitglied              nachhaltige Geschäftspolitik betreiben, wie es
                                  unabhängig von seiner Kapitalbeteiligung nur eine Stimme                          unter anderem die GWG Hagen vorlebt (mehr
         Selbstverantwortung      Die Genossenschaft muss marktwirtschaftlich handeln und die Mitglieder haften     dazu auf Seite 12).
                                  für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft
         Selbstverwaltung         Die Genossenschaft und ihr Vermögen steht ausschließlich im Eigentum ihrer        Diese nachhaltige Geschäftspolitik versetzt
                                  Mitglieder. Diese führen und kontrollieren die Organisation. Ausschließlich       die Wohnungsbaugenossenschaften in die
                                  Mitglieder besetzen die Organe                                                    Lage, breiten Bevölkerungsschichten gesell-
                                                                                                                    schaftliche Teilhabe, gerade in den boomen-
                                                                                                                    den Großstädten, zu ermöglichen. Durch
Raiffeisen unter anderem, dass alle genos-                    Grundlage für die heutigen Wohnungsbau-               diese aktive, solidarische und selbstbewusste
senschaftlich Angestellten das Zölibat ab-                    genossenschaften.                                     Teilhabe von wirtschaftlich nicht so starken
legen sollten, damit sie sich ganz auf ihre                                                                         Personenkreisen tragen Genossenschaften
genossenschaftlichen Aufgaben konzentrie-                     Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus den            erheblich zum sozialen Ausgleich, ganz im
ren konnten. An dieser Stelle sei aber auch                   verschiedenen Ansätzen ein Grundkanon                 Sinne der Sozialen Marktwirtschaft, bei. Oft-
erwähnt, dass Raiffeisen und Schulze-De-                      an genossenschaftlichen Werten (vgl. Ta-              mals dienen den Genossenschaften hierbei
litzsch zwar die großen Theoretiker der Ge-                   belle 1).                                             die eigenen Traditionslinien als Orientie-
nossenschaftsbewegung waren, doch die                                                                               rungs- und Wertekompass, wie der Eisenbah-
wirklichen Vordenker der Wohnungsbau-                         Wie für die Soziale                                   ner-Bauverein eG Düsseldorf eindrucksvoll
genossenschaften waren Victor Aimé Huber                      Marktwirtschaft gemacht                               zeigt (mehr dazu auf Seite 11).
und Julius Faucher.                                           Heute gibt es in Deutschland mehr als 2.000
                                                              Wohnungsbaugenossenschaften mit mehr                  Neben marktwirtschaftlichen Anreizsyste-
Diese verbanden ihre Erfahrungen von den                      als zwei Millionen Wohnungen und drei                 men, solidarischer Selbsthilfe und selbstver-
frühen englischen building societies mit                      Millionen Mitgliedern. Doch wie passen die            antwortlichem Handeln bauen sowohl die
dem aufkommenden deutschen Genossen-                          Genossenschaften mit ihren Prinzipien in              Soziale Marktwirtschaft als auch Genossen-
schaftsgedanken und schufen hierdurch die                     die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ord-        schaften auf demokratischen Entscheidungs-
                                                                                                                                                              >>
Fotos: EBV

Vor fünf Jahren komplett kernsaniert und nun wieder fast wie neu: Traditionsquartiere wie die im Besitz der Eisenbahner Bauverein eG Düssel-
dorf befindliche „Dianastraße“ in Düsseldorf-Bilk prägen heute noch die Bestände vieler Genossenschaften und beherbergen begehrte Wohnungen

                                                                                                                          04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
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6      SCHWERPUNKT

                                                                                                                                                       Foto: GWG Neuss
Viele Genossenschaften entwickeln ihre Bestände zeitgemäß und zukunftsfähig weiter – auch durch bestandsersetzenden Neubau wie
beispielsweise die GWG Neuss im Quartier „Stauffenbergpark“ – hier entstanden von 2013 bis 2018 84 Wohnungen (davon 16 öffentlich
gefördert), dazu kam die energetische Sanierung von weiteren 32 Wohnungen

prozessen auf. Dabei beschränken sich die
Genossenschaften nicht nur darauf, ihre ge-                              TABELLE 2: WISSEN SIE, WELCHE PRINZIPIEN UND WERTE
setzlich vorgegebenen Mitgliederversamm-                                    HINTER DEM BEGRIFF GENOSSENSCHAFT STEHEN?
lungen durchzuführen. Viele Genossenschaf-
                                                                   Jahrgänge                             Ja                            Nein
ten, wie zum Beispiel die Freie Scholle eG
Bielefeld, versuchen weitreichende, moderne                          vor 1945                            85                             15
partizipative Prozesse zu implementieren,                          1945 – 1964                           72                             28
um hierdurch eine enge Bindung zu ihren
                                                                   1965 – 1980                           66                             34
Mitgliedern und somit auch zu ihren Kunden
herzustellen (mehr dazu auf Seite 13).                             1980 – 1995                           51                             49
                                                                   1995 – 2010                           44                             56
Die Betrachtung zeigte, dass die Genossen-
schaften wie für die Soziale Marktwirtschaft
                                                        Nach Senta Breuning, Wahrnehmung, Reputation und Image von Genossenschaften aus Sicht
gemacht sind. Hieraus lässt sich die Unwis-
                                                        der deutschen Bevölkerung, in: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen, Band 69,
senheit in der Öffentlichkeit nicht ableiten,
                                                        Heft 4, Seite 249 – 270, S. 261
vielmehr zeigt sich, dass die Genossenschafts-
werte ein unschätzbarer Marketingfaktor ge-
rade gegenüber den jüngeren Generationen                mit Werten zu füllen. Die Wohnungsbauge-              mit den damit verbundenen Werten deutsch-
sind, da sich mit den Genossenschaftswerten             nossenschaften müssen noch aktiver Ver-               landweit bekannter zu machen. Dabei werden
wie selbstverständlich neuere gesellschaft-             knüpfungen zwischen ihrem Tun und den                 auch neue Ansätze verfolgt, den Fördergedan-
liche Trends von Regionalität, Partizipation            erklärenden Werten hinter ihrem Handeln               ken zeitgenössisch zu übersetzen, zum Bei-
und Nachhaltigkeit vereinen lassen.                     herstellen.                                           spiel durch einen Gästewohnungspool (mehr
                                                                                                              hierzu auf Seite 8 und 9). Auch der Verein
Ein Aspekt für die Unkenntnis der Öffentlich-           Mit dem Subsidiaritätsprinzip                         Wohnen in Genossenschaften verfolgt den
keit und insbesondere der jüngeren Gene-                in die Moderne                                        Ansatz, den Genossenschaftsgedanken an die
rationen (vgl. Tabelle 2) ist darin zu suchen,          Genau an dieser Stelle griffen einige Woh-            modernen Gegebenheiten anzupassen. Hier-
dass die Wohnungsbaugenossenschaften                    nungsbaugenossenschaften auf das Subsidi-             zu setzt der Verein vor allem auf ein breites
mit ihren einzigartigen Werten viel zu passiv           aritätsprinzip zurück und schlossen sich zur          Netzwerk aus Partnern, um auf genossen-
umgehen. Zwar bewerben viele Wohnungs-                  Marketinginitiative der Wohnungsbaugenos-             schaftliche Fragestellungen mithilfe von pra-
baugenossenschaften die Selbsthilfe, Selbst-            senschaften Deutschland e.V. und zum Verein           xisorientierter Forschung Lösungen zu finden
verantwortung und die Selbstverwaltung,                 Wohnen in Genossenschaften e.V. zusam-                (siehe hierzu Seite 10).                 FE
aber es schaffen noch zu wenige Genossen-               men. Das erklärte Ziel der Marketinginitiative
schaften, diese Schlagworte auch transparent            ist die Marke „Wohnungsbaugenossenschaft“

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GENOSSENSCHAFTEN 7

INTERVIEW MIT >> Dr. Ingo Köhler, Wirtschafts- und Unternehmenshistoriker an der Humboldt-Universität zu Berlin

„Der Zusammenschluss von

                                                                                                                                                    Foto: Gerrit Mumme
Einzelnen zu Gemeinschaften“
Dr. Ingo Köhlers Forschungsschwerpunkte liegen in der Wirt-
schafts- und Unternehmensgeschichte. Neben der Entwicklung
der ökonomischen Theorie beschäftigte er sich vor allem
mit der Geschichte des Marketing und der Unternehmens-
kommunikation. Dabei analysiert er, wie Marktausrichtung,
Organisationsform oder individuelle Leistung zum Erfolg oder
Misserfolg von Unternehmen führen.
VM: Der Genossenschaftsgedanke ist              und Dienstleistungen führten. Der Zusam-         zeigt nicht zuletzt der Sharing Econo-
über 150 Jahre alt. In welchem gesell-          menschluss von Einzelnen zu Gemeinschaf-         my-Boom, dass genossenschaftsähnliche
schaftlichen Umfeld entstand der                ten, so das Grundprinzip, sollte deren Markt-    Wirtschaftsformen eine Revitalisierung
Genossenschaftsgedanke?                         position stärken und die Versorgung mit          erfahren, wenn sie Identifikation ermög-
                                                Konsum- und Investitionsgütern, Wohnraum         lichen.
Dr. Ingo Köhler: Die Genossenschafts-           oder Krediten sicherstellen. Man rief also
idee war eine Reaktion auf die Verelen-         weder nach dem Staat noch nach der Revo-         VM: Wohnen ist die neue soziale Frage
dung breiter Bevölkerungsteile in der           lution, sondern nach der Selbstorganisation.     unserer Zeit. Inwieweit sind die Genos-
frühen Phase der Industrialisierung. Viele                                                       senschaftsprinzipien aus Ihrer Sicht
Kleinbauern konnten nun erstmals frei           VM: Was zeichnet die Unternehmensform            heute noch aktuell und können zur
agieren, litten aber unter hoher Verschul-      Genossenschaft Ihrer Meinung nach be-            Lösung beitragen?
dung und Kreditmangel.                          sonders aus?
                                                                                                 Dr. Ingo Köhler: Nun, der Wohnungsbau
Ebenso erging es Handwerks- und Kauf-           Dr. Ingo Köhler: Für mich als Historiker         ist sicherlich eines der Wirtschaftsfelder,
mannsbetrieben, die im Wettbewerb mit           ist auffällig, dass es die Genossenschaften      in denen die Folgen falscher oder fehlen-
der wachsenden Industrie an die Wand            mit ihrem alternativen „Member-Value“-           der Investitionsanreize am deutlichsten
gedrückt zu werden drohten.                     Prinzip geschafft haben, sich über 150 Jahre     sichtbar sind. Wie schon vor 70 oder 150
                                                in ganz verschiedenen Aktionsfeldern zu          Jahren mangelt es an erschwinglichem
Parallel litt das neue Heer von Fabrik-         behaupten. Die Stärken sind sicherlich wei-      Wohnraum, nicht weniger aber an alters-
arbeitern im noch ungezügelten Kapi-            terhin, den Weg zur Selbsthilfe zu ebnen und     und umweltgerechten Wohnkonzepten.
talismus unter niedrigen Löhnen und             dort kooperative Lösungen zu finden, wo
katastrophalen Wohn- und Versorgungs-           rein profitorientierte Einzelstrategien eine     Hier kann das genossenschaftliche Woh-
bedingungen. Die soziale Frage wurde            geringere Nachhaltigkeit, Kosteneffizienz        nen als ein Hybrid zwischen Miete und
zur latenten Gefahr für die bestehende          und Versorgungssicherheit mit Gütern und         Eigentum sicherlich langfristig helfen,
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.          Dienstleistungen aufweisen.                      die Probleme abzufedern. Dies haben
                                                                                                 die Genossenschaften historisch schon
Die Protagonisten des Genossenschafts-          Heute wie damals ist die Bereitschaft zur        bewiesen. Hierzu notwendig sind aller-
gedankens waren keine politischen Um-           Selbstverantwortung eine tragende Säu-           dings hohe Investitionen, die auch den
stürzler, sondern Sozialreformer. Her-          le, um eine Orientierung am Gemeinwohl           Wohngenossenschaften einiges abver-
mann Schulze-Delitzsch und Friedrich            auf der Grundlage marktwirtschaftlicher          langen und Transparenz in den Finanzie-
Wilhelm Raiffeisen wollten das System von       Anreize zu ermöglichen. Es gilt, die ökono-      rungs- und Haftungsfragen erfordern, um
innen heraus mittels institutioneller Inno-     mischen Synergieeffekte zu nutzen und die        ausreichend Mitglieder gerade für kleinere
vationen modernisieren. Orientierung ga-        demokratische Partizipation hochzuhalten.        Genossenschaften und Neubauprojekte
ben ihnen die Ideale des bürgerlichen Li-       Denn hier liegen die Alleinstellungsmerk-        zu werben.
beralismus. Die Genossenschaften sollten        male, die nach innen und nach außen Sinn
in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe bieten.   stiften.                                         Auch hier gilt es, auf alte Prinzipien zu-
                                                                                                 rückzugreifen, aber zugleich innovativ zu
Es galt Unzulänglichkeiten des Marktes          In Zeiten der Hyperindividualisierung der        bleiben und neue Wege der Zusammenar-
ausgleichen, wo Angebotsmonopole und            Gesellschaft sind es gerade diese Werte,         beit zwischen den Genossenschaften, den
mangelndes privatwirtschaftliches Enga-         die eine Kooperation ermöglichen und vor         Kommunen und der öffentlichen Hand
gement zu Fehlallokationen von Gütern           Zerrissenheit schützen. In den letzten Jahren    einzuschlagen.

                                                                                                       04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
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8      SCHWERPUNKT

DIE MARKETINGINITIATIVE DER WOHNUNGSBAUGENOSSENSCHAFTEN DEUTSCHLAND E. V.

Die Marke Genossenschaften konsequent präsentieren

Der Verein „Die Marketinginitiative                     Die Mitglieder sind sich einig, dass Genos-   232 Wohnungsbaugenossenschaften haben
der Wohnungsbaugenossenschaften                         senschaften durch die regionale Orientie-     die Kampagne bereits übernommen und
Deutschland“ ist ein Zusammenschluss                    rung im Prinzip nicht im Wettbewerb zuein-    setzen sie ein.
von 420 Genossenschaften mit 820.000                    anderstehen und dass durch den Austausch
Wohnungen und über einer Million Mit-                   von Wissen und Ideen alle profitieren. Es     Auch in Zukunft volles Programm
gliedern. Und alle haben ein gemeinsa-                  gibt keine Berührungsängste. Es gelingt im-   Pläne für die Zukunft gibt es auch: Der Gäste-
mes Ziel: die genossenschaftliche Idee                  mer besser, die Marke Genossenschaft mit      wohnungspool soll fortentwickelt, der aktuel-
(„Was einer allein nicht schafft, das schaf-            ihren zentralen Eigenschaften konsequent      le Gästewohnungskatalog produziert und ein
fen viele“) bekannter machen und die                    und übergreifend zu präsentieren. Gera-       genossenschaftlicher Reiseführer mit Marco
Marke Wohnungsbaugenossenschaften                       de in Zeiten, in denen über Mietendeckel      Polo aufgesetzt werden. Am sog. „Gäste-
stärken.                                                oder sogar Enteignungen diskutiert wird,      wohnungsservice“ beteiligen sich derzeit 96
                                                        ist es notwendig, deutlich zu machen, dass    Genossenschaften (Tendenz steigend), sie
Gute Ideen werden geteilt                               Wohnungsgenossenschaften für eine zu-         stellen 142 Wohnungen in 47 Regionen für
Es besteht Konsens bei den Mitgliedern:                 verlässige, serviceorientierte, langlebige    Mitglieder der teilnehmenden Genossen-
Wer eine gute Marketingidee entwickelt,                 und wirtschaftlich gesunde Versorgung mit     schaften bereit. Insgesamt ist der Netzwerk-
stellt diese und das Grundkonzept i. d. R.              bezahlbaren und guten Wohnungen stehen.       gedanke ein wichtiger Aspekt der Marketing-
kostenfrei für die Mitglieder des Vereins                                                             initiative: Veranstaltungen sind die beste
zur Verfügung. Bei der Umsetzung einer                  Ein Motto als Programm                        Gelegenheit, sich auszutauschen und mit
Kampagne fallen dann in den anderen Re-                 „Wir sind Deutschlands größte Wohn-           neuen Ideen in den Alltag zurückzukehren.
gionen lediglich die Handlings- und An-                 gemeinschaft – und das soll jeder wissen      Dafür steht neben dem jährlich wiederkeh-
passungskosten an, aber eben nicht alles,               …“. Mit diesem Grundgedanken will die         renden Best-Practice-Tag, der zusammen mit
was mit dem Kreativprozess zu tun hat und               Marketinginitiative bundesweit Flagge         drei Erfahrungsaustauschen (Social Media,
was für gewöhnlich kostenintensiv ist. V. a.            zeigen. Plakat- und Printwerbung, Kino-       Gästewohnungen, Digitalisierung) stattfin-
für die kleinen regionalen Verbünde mit                 und Radiospots und Aktivitäten im Digi-       det, auch das gut eingeführte Symposium im
Genossenschaften, die manchmal nur we-                  talbereich mit gleichen Kernaussagen          November eines jeden Jahres.
nige hundert Wohnungen haben, ist das ein               kommen landauf landab zum Einsatz.                                         Olaf Rabsilber/KS
großer Vorteil.                                         19 regionale Arbeitsgemeinschaften mit

04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
GENOSSENSCHAFTEN 9

INTERVIEW MIT >> Olaf Rabsilber, Vorsitzender der Marketinginitiative der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland e. V.

„Die Kampagne leitet sich direkt aus der
genossenschaftlichen Idee und ihren Vorteilen ab“
Olaf Rabsilber ist Vorsitzender der Marketinginitiative der Wohnungsbaugenossenschaften
Deutschland e. V. und Vorstand der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Oberhausen-
Sterkrade eG. Im Interview erklärt er, wie es zur Kampagne der Marketinginitiative kam, welche
Ziele im Mittelpunkt stehen und welches Potenzial für Genossenschaften darin steckt.

VM: Wie beeinflusst die aktuelle             gne für Genossenschaften? Welche Ziele          aus der genossenschaftlichen Idee und
wohnungspolitische Diskussion die            sollten erreicht werden? Und welche Ziel-       ihren Vorteilen ab, besetzt Wohnungsbau-
Arbeit der Marketinginitiative?              gruppen?                                        genossenschaften mit positiven Werten
                                                                                             und basiert auf einer klaren und spitzen
Olaf Rabsilber: Aus den Regionen und         Olaf Rabsilber: Die Zeit ist reif, gemeinsam    konzeptionellen Leitidee. Die Kampagne
den Genossenschaften, die bisher eher in     aktiv zu werden. Gemeinsam wollen wir           ist so konzipiert, dass sie langfristig tragfä-
der Betrachtungsrolle oder aufgrund der      überregional einheitlich auftreten, die Mar-    hig und gleichzeitig variabel einsetzbar ist.
guten Wohnungsmärkte zurückhaltend           ke „Wohnungsbaugenossenschaften“ klar           Neben der positiven Außenwirkung kann
waren, steigt das Interesse. Aber auch die   am Markt positionieren und deren Profil         die Kampagne als kommunikative Klam-
Wahrnehmung einer Kampagne unter             inhaltlich schärfen.                            mer für unsere über 400 Mitglieder fun-
dem Dach eines Markenzeichens („Wer-                                                         gieren. Denn als einheitlich auftretende
te“) zeigt Wirkung.                          Ziel der in Berlin entwickelten Kampagne        Marketinginitiative bringen wir die Werte,
                                             ist es, die genossenschaftliche Idee zu be-     für die Wohnungsbaugenossenschaften
VM: Was waren die Beweggründe für            werben und deren Bekanntheit weiter zu          stehen, kreativ, öffentlichkeitsstark und
die Entwicklung einer eigenen Kampa-         steigern. Die Kampagne leitet sich direkt       gemeinsam auf den Punkt.

                                                                                             Zielgruppen? Alle. Gleichwohl wollen
                                                                                             wir insbesondere auch die jungen Men-
                                                                                             schen erreichen. Denn wir sind nicht nur
                                                                                             Vermieter, sondern auch Ausbilder und
                                                                                             Arbeitgeber.

                                                                                             VM: Wenn Sie einmal zehn Jahre in die
                                                                                             Zukunft denken: Was ist Ihr Wunsch für
                                                                                             die Wahrnehmung von Genossenschaf-
                                                                                             ten? Wofür sollten Genossenschaften
                                                                                             stehen?

                                                                                             Olaf Rabsilber: Kurz gesagt: dass Genos-
                                                                                             senschaften modern, serviceorientiert
                                                                                             und sozial engagiert und der Inbegriff für
                                                                                             leistungsstarkes, attraktives und bezahl-
                                                                                             bares Wohnen sind. Und darüber hinaus
                                                                                             als attraktive Arbeitgeber und Ausbilder
                                                                                             v. a. auch bei jungen Menschen bekannt
                                                                                             sind.
Fotos: Marketinginitiative

                                                                                             Wir sind überzeugt: Die Menschen wer-
                                                                                             den unsere „Bauklötzchen“ und Genos-
                                                                                             senschaften gerade angesichts der all-
                                                                                             gemeinen Entwicklungen rund um das
                                                                                             Thema Wohnen mehr denn je zu schätzen
                                                                                             wissen.

                                                                                                    04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
10                        SCHWERPUNKT

    INTERVIEW MIT >> Franz-Bernd Große-Wilde, Vorstandsvorsitzender Verein Wohnen in Genossenschaften e.V.,
                     Vorstandsvorsitzender Spar- und Bauverein eG, Dortmund

   Von Grundlagenliteratur
   bis zu Best Practice-Beispielen

  D
            er Verein „Wohnen in Genos-                 von Immobilien, sondern insbesondere die          Mitglied werden kann jede Wohnungsge-
            senschaften“ engagiert sich für             nachhaltige Substanz-, Wert- und Ergeb-           nossenschaft in Deutschland. Zudem kön-
            die Förderung der Forschung auf             nisstabilisierung des Gesamtportfolios im         nen auch private und juristische Personen
   dem Gebiet des genossenschaftlichen                  Zusammenspiel mit den sozialen Bedürf-            als Mitglied einen Beitrag zur Forschung
   Wohnens. Dazu bildet er eine Schnittstelle           nissen der Mitglieder. Das generationen-          im Genossenschaftswesen leisten. Einzige
   zwischen der Forschung und wohnungs-                 übergreifende Gedankengut in Strategie und        Beitrittsvoraussetzung ist ein jährlicher
   wirtschaftlicher Praxis. Denn genauso wie            Projektmanagement sowie die ganzheitlich          Mindestbeitrag von 130 Euro.
   die Wissenschaft auf das Wissen der ge-              angelegten Handlungskonzepte bieten viel
   nossenschaftlichen Praxis angewiesen ist,            Gestaltungsspielraum für die verantwortli-        Sofern es sich bei dem Mitglied um eine
   stellen die daraus gewonnenen Erkennt-               chen Akteure.                                     Wohnungsgenossenschaft handelt, wer-
   nisse Grundpfeiler und Innovationsmög-                                                                 den 0,26 Euro pro eigene Wohnung pro
   lichkeiten für die Genossenschaften dar.             Da eine Genossenschaft von ehrenamtli-            Jahr erhoben; auf eigenen Wunsch der
   In Kooperation mit dem EBZ in Bochum                 chem Engagement und der Partizipation             Genossenschaft könnte der sich daraus
   baute der Verein ein Archiv zur genossen-            der Mitglieder lebt, spielt die Pflege der per-   ergebende Mindestjahresbeitrag freiwil-
   schaftlichen Literatur auf. Zudem arbeitet           sönlichen Nähe zu den Genossenschaftsmit-         lig weiter aufgestockt werden. Sämtliche
   er mit verschiedenen wissenschaftlichen              gliedern eine wichtige Rolle. Die Mitglieder      Beiträge dienen der Finanzierung unserer
   Einrichtungen zusammen, die mit Publi-               zu motivieren, sich ohne finanzielle Reize        wissenschaftlichen Projekte.
   kationen das Thema „Wohnen in Genos-                 einzubringen, ist wohl die größte Heraus-
   senschaften“ aufgreifen und beleuchten.              forderung.                                        VM: Wie versucht der Verein konkret
                                                                                                          den Gedanken des genossenschaft-
   VM: Was zeichnet für Sie die                         VM: Was waren die Beweggründe für die             lichen Wohnens zu fördern?
   Wohnungsgenossenschaften aus und                     Gründung des Vereins Wohnen in Genos-
   wie unterscheiden sich diese von                     senschaften? Was sind die Ziele des Ver-          Franz-Bernd Große-Wilde: Die Mitglie-
   anderen Wohnungsunternehmen?                         eins und wer kann Mitglied werden?                der werden aktiv animiert, sich in Auswahl
                                                                                                          und inhaltliche Gestaltung von Projektstu-
   Franz-Bernd Große-Wilde: In einer                    Franz-Bernd Große-Wilde: Genossen-                dien einzubringen. Die Vorstandsmitglie-
   Genossenschaft spielt die Balance aus                schaften haben aufgrund ihrer Unterneh-           der erarbeiten dazu das Grundgerüst, wäh-
   wirtschaftlicher und sozialer Betrach-               mensgröße selten eine eigene Forschungs-          len Themenfelder aus, setzen die Agenda
   tungsweise bei jeder Entscheidung ei-                abteilung. Dadurch fehlt an vielen Stellen        und Methodik der Bearbeitung, verhan-
   ne bedeutsame Rolle. Entscheidend ist                die Chance, zeitgemäße Herausforderungen          deln mit wissenschaftlichen Partnern.
   also nicht allein die Wirtschaftlichkeit             grundsätzlich wissenschaftlich zu durch-
                                                        leuchten. Unser Verein bietet den Mitglie-        Wichtige Synergieeffekte ergeben sich für
                                                        dern eine gemeinsame Plattform, relevante         den Verein aus der engen Kooperation
                                                        Themen mit entsprechender Fachexpertise           mit dem VdW Rheinland Westfalen: Dies
     Foto: Roland Baege

                                                        zu hinterfragen und für die praktische Arbeit     betrifft sowohl die Ablauforganisation
                                                        aufzubereiten. Auf diese Art und Weise soll       als auch die Zusammenarbeit mit Netz-
                                                        eine breite wissenschaftliche Basis für das       werkspartnern bis hin zur Akquise von
                                                        Genossenschaftswesen geschaffen werden –          möglichen Fördergeldern.
                                                        von der Grundlagenrecherche bis hin zu
                                                        Best Practice-Beispielen.                         Zu detaillierteren Informationen ver-
                                                                                                          weise ich auf unseren Webauftritt unter
                                                        Ein wesentlicher Baustein ist es, wissen-         www.wohnen-in-genossenschaften.de.
                                                        schaftliche Studien durch Praxiserfahrun-         Dort finden Sie eine Übersicht zu den
                                                        gen anzureichern und greifbarer zu machen;        Publikationen der letzten Jahre sowie ein
                                                        aus diesen können dann Ausstrahleffekte für       Antragsformular, sollten Sie sich für eine
                                                        die jeweils eigene Arbeit und Handlungs-          Mitgliedschaft im Verein entscheiden. Wir
                                                        empfehlungen für alle Mitglieder abgeleitet       würden uns sehr über Ihre Mitwirkung
                                                        werden.                                           freuen!

04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
GENOSSENSCHAFTEN 11

INTERVIEW MIT >> UDO BARTSCH, VORSTAND EISENBAHNER BAUVEREIN EG DÜSSELDORF (EBV),
VORSTANDSMITGLIED ARBEITSGEMEINSCHAFT DER EISENBAHNER-WOHNUNGSBAUGENOSSENSCHAFTEN

„Die genossenschaftlichen Prinzipien haben auch heute
nichts von ihrer Notwendigkeit verloren“
Udo Bartsch ist seit 2001 hauptamtliches
und seit 2005 geschäftsführendes haupt-
amtliches Vorstandsmitglied der Eisen-
bahner-Bauverein eG Düsseldorf (EBV).
Zu Zeiten der Deutschen Bundesbahn
verantwortete der waschechte „Bahner“
u. a. die Grundstücks- und Liegenschafts-
verwaltung für den Bezirk Düsseldorf.
Heute liegen seine Arbeitsschwerpunk-
te in der (energetischen) Sanierung des
EBV-Wohnungsbestandes, im bestands-
ersetzenden Neubau und dem Ankauf
der Erbbaugrundstücke des Bundeseisen-
bahnvermögens.

VM: Die EBV wurde 1900 von Eisenbah-           Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und      Udo Bartsch: In einer boomenden Großstadt
nern gegründet. Inwiefern prägt diese          Eigenvorsorge durch Selbsthilfe waren das      wie Düsseldorf und dem damit verbundenen
Vergangenheit auch heute noch die              Fundament.                                     Mangel an preiswertem Wohnraum hat die
Genossenschaft?                                                                               EBV ihren Platz nicht nur für Eisenbahner,
                                               Diese genossenschaftlichen Prinzipien ha-      die es nicht leicht haben, sich mit preiswer-
Udo Bartsch: Zukunft braucht Herkunft. Aus     ben auch heute nichts von ihrer Notwen-        tem Wohnraum zu versorgen, sondern für
diesem Grund stehen wir auch weiterhin         digkeit verloren, wenn man die Situation       alle wohnungssuchenden Menschen.
in der Tradition als eine von Eisenbahnern     auf den Wohnungsmärkten, gerade in den
gegründete Wohnungsbaugenossenschaft.          Großstädten, betrachtet. Sie sind eigentlich   Bereits 1975 hat sich die EBV für alle Woh-
Noch heute sind wir eine anerkannte be-        moderner und notwendiger denn je. Bei          nungssuchenden geöffnet und muss sich am
triebliche Sozialeinrichtung der Bahn und      allen Veränderungen im Wirkungskreis der       Markt wie jedes andere Wohnungsunterneh-
des Bundeseisenbahnvermögens, die auch         Genossenschaft, im Staat, der Wirtschaft       men behaupten. Unsere Rolle wird es in
weiterhin ein Belegungsrecht an unseren        und der Gesellschaft konnte die EBV sich       Zukunft sein, weiterhin als Partner der Bahn
Wohnungen haben.                               vieles von den Überzeugungen ihrer Gründer     und des Bundeseisenbahnvermögens für
                                               bewahren.                                      wohnungssuchende Eisenbahner zur Verfü-
In den letzten Jahren wurde diese Belegung                                                    gung zu stehen und uns weiter aktiv am
auch wieder stärker genutzt, sodass durch-     Gerade dies ist das eigentliche Erfolgsmo-     Düsseldorfer Wohnungsmarkt als Unterneh-
schnittlich ein Viertel aller zur Vermietung   dell, nicht nur von Eisenbahner-Wohnungs-      men einzubringen – bei weiterhin hohen
zur Verfügung stehenden Wohnungen im           baugenossenschaften. Heute hat die EBV         Bestandsinvestitionen, bestandsersetzenden
Jahr wieder mit Eisenbahnern belegt werden.    einen Bestand von 2.185 Wohnungen bei          Neubaumaßnahmen und einer guten, kun-
Noch heute gibt es einen Zusammenschluss       2.900 Mitgliedern in Düsseldorf mit Nut-       denorientierten Qualität unserer Arbeit.
von 35 Eisenbahner-Wohnungsbaugenos-           zungsgebühren, die sich deutlich unterhalb
senschaften aus ganz Deutschland mit einer     der Mietrichtwerttabelle für Düsseldorf be-
sehr regen und aktiven Zusammenarbeit.         finden. Die Genossenschaft steht auf einem
                                                                                                  Fotos: EBV

                                               gesunden wirtschaftlichen Fundament. Die-
VM: In den letzten 120 Jahren hat sich         se positive wirtschaftliche und soziale Be-
die Welt komplett verändert. Sind für          deutung verdankt sie nicht zuletzt dem Enga-
Sie die genossenschaftlichen Prinzi-           gement ihrer Mitglieder, sondern auch den
pien Selbsthilfe, Selbstverwaltung und         genossenschaftlichen Prinzipien Selbsthilfe,
Selbstverantwortung überhaupt noch             Selbstverwaltung und Selbstverantwortung.
zeitgemäß?
                                               VM: Düsseldorf boomt wie andere
Udo Bartsch: Schon vor 120 Jahren war der      Großstädte in NRW auch. In welcher
Einzelne i. d. R. nicht in der Lage, Wohnei-   Rolle sieht sich die EBV in diesem
gentum und damit ein Stück soziale Sicher-     angespannten Wohnungsmarkt – auch
heit zu erwerben. Nicht der Forderungsge-      in Abgrenzung zu anderen Wohnungs-
danke oder der Ruf nach dem Staat, sondern     unternehmen und -genossenschaften?

                                                                                                               04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
12       SCHWERPUNKT

INTERVIEW MIT >> CHRISTOPH REHRMANN, GESCHÄFTSFÜHRENDER VORSTAND DER GEMEINNÜTZIGEN WOHNSTÄTTEN-
GENOSSENSCHAFT HAGEN EG (GWG), SPRECHER ARBEITSGEMEINSCHAFT HAGENER WOHNUNGSGENOSSENSCHAFTEN

„Auch als Genossenschaft müssen die Maßnahmen
für uns zu einer Wirtschaftlichkeit führen“

S
      eit dem 1. Januar 2008 ist Christoph              Außerdem müssen die Bestände unserer Ge-
      Rehrmann geschäftsführender Vor-                  nossenschaft energetisch und optisch so auf-
      stand der Gemeinnützige Wohnstät-                 bereitet werden, dass sie entsprechend nach-
tengenossenschaft Hagen eG (GWG). Sein                  gefragt werden. Zudem widmen wir uns der
aktuelles Tagesgeschäft am Standort Hagen               individuellen Beratung und der Betreuung in
ist dominiert von der Sanierung der genos-              technischer, sozialer und gesellschaftlicher
senschaftseigenen Bestände, dem Abriss und              Hinsicht. Dazu gehört u. a. die Anpassung
Neubau von Wohnungen, der Planung einer                 der Wohnungen an die sich wandelnden
dreizügigen Grundschule mit Schwimmhalle                Bedürfnisse unserer Mieterschaft. Auch die
und Sporthalle und einer achtzügigen Kita –             Nachfrage nach altersgerechten Wohnungen
und das an einem Standort jenseits der boo-             steigt stetig an.
menden Metropolen.
                                                        VM: Mit welchen konkreten Strategien,                       Mit diesen Maßnahmen erreichen wir, dass
VM: Leerstand, Bevölkerungsrückgang                     Instrumenten und Maßnahmen begegnen                         unsere Objekte i. d. R. zu einer marktge-
und demografischer Wandel: Hagen                        Sie diesen Herausforderungen in Neubau                      rechten Miete vermietet werden können.
gehört zu den Städten in NRW mit großen                 und Bestand?                                                Sicherlich steht nicht die Gewinnmaximie-
wohnungswirtschaftlichen Herausfor-                                                                                 rung durch Erzielung von Spitzenmieten,
derungen. Was bedeutet das für Sie als                  Christoph Rehrmann: Zum einen gilt es,                      sondern die Förderung der Gemeinschaft im
Wohnungsgenossenschaft?                                 die traditionsbewusste Genossenschaftsidee                  Vordergrund unserer Geschäftspolitik. Aber
                                                        bei gleichzeitiger innovativer Gestaltung                   nur die marktgerechte Miete ermöglicht uns,
Christoph Rehrmann: Natürlich machen                    von Wohnraum auf den aktuellen Stand                        auch weiterhin auf dem hohen Niveau zu
sich der Bevölkerungsrückgang und der de-               der Technik zu bringen. So legen wir bereits                arbeiten. Auch als Genossenschaft müssen
mografische Wandel auch auf dem Hagener                 seit 2006 unser Augenmerk auf die vollum-                   die Maßnahmen für uns zu einer Wirtschaft-
Wohnungsmarkt durch eine hohe Anzahl an                 fängliche Modernisierung ganzer Quartiere,                  lichkeit führen und besondere Projekte auch
leer stehenden Wohnungen bemerkbar. Dies                einschließlich Grundrissänderungen und                      mal im oberen Mietsegment liegen, um tat-
stellt eine große Herausforderung für uns               Wohnumfeldverbesserungen. Zum anderen                       sächlich die ganze Breite einer Bevölkerung
dar. Denn neben der Besinnung auf die tra-              sind Verkäufe von allein stehenden Häusern                  mit Wohnraum zu versorgen.
dierten Werte unserer Genossenschaft gilt es            oder auch der Abriss ganzer Quartiere für
gleichzeitig, sich den Herausforderungen der            uns Mittel zur zukunftsträchtigen Bestands-                 VM: Welche Rolle spielen die genos-
Gegenwart und der Zukunft zuzuwenden.                   verwaltung.                                                 senschaftlichen Werte Selbsthilfe,
                                                                                                                    Selbstverwaltung und Selbstverantwor-
                                                                                                                    tung in Ihrer täglichen Arbeit und den
                                                                                                                    Mitgliedern gegenüber?

                                                                                                                    Christoph Rehrmann: Es gilt die zukünfti-
                                                                                                                    gen Maßnahmen den aktuellen Gegebenhei-
                                                                                                                    ten anzupassen und sowohl die Mitglieder
                                                                                                                    als auch die Mieterschaft im Rahmen der
                                                                                                                    Möglichkeiten einzubeziehen. So stehen wir
                                                                                                                    nicht nur im Dialog mit den Vertretern in
                                                                                                                    unseren regelmäßig stattfindenden Wahlbe-
                                                                                                                    zirksversammlungen, in denen uns aus den
                                                                                                                    Quartieren berichtet wird. Auch führen wir
                                                                                                                    Mieterversammlungen und Mieterbefragun-
                                                                                                                    gen durch, an deren Ende Handlungsmaß-
                                                                                                 Fotos: GWG Hagen

                                                                                                                    nahmen aus den Befragungsergebnissen
                                                                                                                    generiert werden. Dieses Vorgehen ermög-
                                                                                                                    licht uns den Bezug zu den konkreten Be-
                                                                                                                    dürfnissen unserer Mieterschaft, die dann
                                                                                                                    eben bei den zukünftigen Maßnahmen be-
Neubauvorhaben Beethovenstraße: 33 frei finanzierte Wohnungen                                                       rücksichtigt werden können.

04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
GENOSSENSCHAFTEN 13

INTERVIEW MIT >> Kai Schwartz, Vorstandsvorsitzender der Baugenossenschaft Freie Scholle eG

„Durch die Beteiligung unserer Mitglieder
haben wir das Ohr direkt am Kunden“
Kai Schwartz, 56 Jahre, ist gelernter Elektriker und Diplom-Wirtschaftsmathematiker. Seit 25 Jahren
arbeitet er bei der Baugenossenschaft Freie Scholle eG und ist zurzeit Vorstandsvorsitzender.

VM: Selbstverwaltung gilt als eines der        umgesetzt. Was beinhaltet es und was

                                                                                                                                                    Fotos: Freie Scholle Bielefeld eG
zentralen Genossenschaftsprinzipien.           war Ihre Motivation?
Welchen Stellenwert hat die Selbstver-
waltung für Sie?                               Kai Schwartz: Das neue Beteiligungskon-
                                               zept stellt die Einbindung der Mitglieder
Kai Schwartz: Die Selbstverwaltung hat         auf eine breitere Basis als vorher. Jeder Be-
für die Freie Scholle einen sehr hohen         wohner hat die Möglichkeit, direkt Einfluss
Stellenwert. Sie ist das Herzstück un-         darauf zu nehmen, wie das Wohnen in der
serer Genossenschaft, denn Mitglieder          Freien Scholle gestaltet werden soll.
sind nicht nur Kunden, sondern auch
gemeinschaftliche Eigentümer der Genos-        Gesteuert wird dieser Prozess durch den Be-
senschaft. Ihre Einbindung in Entschei-        teiligungsmanager, einer Stabsstelle, die di-
dungsprozesse und deren Teilhabe an der        rekt dem Vorstand unterstellt ist und Zugriff
Gestaltung der Geschäftspolitik ist für uns    auf alle Ressourcen der Verwaltung hat. Er
ein wichtiger Erfolgsfaktor.                   ist erster Ansprechpartner für die Mitglieder,
                                               stellt die organisatorische Umsetzung ange-
Wir gehen mit ihr weit über die Vorga-         schobener Themen sicher und steuert die
ben des Genossenschaftsgesetzes und            Kommunikation zwischen den Bewohnern
Satzung hinaus und ermöglichen so eine         und der Verwaltung. Mit Siedlungsratssit-        oder das Engagement von Eltern, sich für
stärkere Selbstverwaltung. Ganz konkret        zungen, Workshops, Arbeitsgruppen und            einen neuen Spielplatz einzusetzen. Weil
und hautnah erleben das unsere Vertrete-       Hausversammlungen verfügt er über genau          wir die Beteiligung ganz bewusst nieder-
rinnen und Vertreter alljährlich auf einer     definierte Beteiligungsinstrumente, die je       schwellig aufgebaut haben, können wir
zweitägigen Genossenschaftskonferenz.          nach Anlass eingesetzt werden können.            mehr Menschen als vorher motivieren,
Hier werden gemeinschaftlich aktuelle                                                           sich zu engagieren.
Themen wie z. B. Erarbeitung einer neuen       Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich
Hausordnung, das neue Beteiligungsmo-          die Menschen gerne einbringen, wenn es um        VM: Kritiker sagen, dass Beteiligung
dell oder Satzungsänderungen diskutiert.       ihre unmittelbaren Interessen geht. Mit dem      v. a. Geld kostet und Entscheidungswe-
Oder wie im letzten Jahr: Wie soll die Freie   neuen Beteiligungskonzept ermöglichen wir        ge verlangsamt. Was antworten Sie?
Scholle mit den Auswirkungen des Klima-        unseren Bewohnerinnen und Bewohnern,
wandels umgehen?                               sich für einzelne, zeitlich begrenzte Projek-    Kai Schwartz: Das sehe ich nicht so.
                                               te zu engagieren, die sie direkt betreffen.      Durch unser Beteiligungsmodell binden
VM: Sie haben vor drei Jahren ein neu-         Das kann zum Beispiel das Anlegen eines          wir aktiv viele Mitglieder ein und geben
es Beteiligungskonzept erarbeitet und          Innenhofes vor der eigenen Haustür sein          jedem die Möglichkeit, das Wohnen selbst
                                                                                                mitzugestalten. Das führt eindeutig zu
                                                                                                einer größeren Wohnzufriedenheit und
                                                                                                Akzeptanz. Die Beteiligung rechnet sich
                                                                                                aber nicht nur deshalb, denn wir kennen
                                                                                                dadurch die Bedürfnisse und Wünsche
                                                                                                unserer Mitglieder besser und vermeiden
                                                                                                unnötige Fehlinvestitionen. Durch die Be-
                                                                                                teiligung unserer Mitglieder haben wir das
                                                                                                Ohr direkt am Kunden und können mit
                                                                                                ihnen gemeinsam unsere Genossenschaft
                                                                                                weiterentwickeln und zukunftsfähig aus-
                                                                                                bauen. Letztendlich ist Beteiligung aktive
Siedlungsworkshop –                            Garagenwandgestaltung im Siekerfeld              Vorsorge und somit definitiv besser als
Gestaltung der Grünfläche                                                                       aufwendige Nachsorge.

                                                                                                      04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
14       CORONA

                              Liebe Leserinnen und Leser,
                              liebe Mitglieder des VdW Rheinland Westfalen,
                               unser gewohntes Leben hat sich verändert in den vergangenen Tagen und Wochen. Das soziale
                               und Wirtschaftsleben ganzer Länder und Kontinente wurden wegen der COVID-19-Pandemie
                               in wenigen Tagen auf Null gefahren, die Zahl infizierter Menschen steigt stündlich weiter an, in
                               Deutschland liegt bei uns in Nordrhein-Westfalen leider unverändert ein Schwerpunkt der ge-
                               meldeten Infektionsfälle.

                               Um insbesondere die Menschen schützen zu können, die aufgrund ihres Alters oder relevanter
                               Vorerkrankungen einer besonders gefährdeten Risikogruppe angehören, und unser Gesund-
                               heitssystem für die Behandlung gerade dieser Menschen arbeitsfähig zu halten, wurden in den
                               vergangenen Wochen viele Veranstaltungen in allen Bereichen des öffentlichen und wirtschaftli-
                               chen Lebens abgesagt – auch von uns als VdW Rheinland Westfalen.

                               Nun begegnen wir uns in unserem Arbeitsalltag digital und virtuell, in Telefonkonferenzen oder
                               über Bildschirme. Die Art und Weise, wo, wie und in welcher Geschwindigkeit wir unsere Arbeit
                               machen, hat sich in nur wenigen Tagen spürbar gewandelt und wird sich in den kommenden
                               Wochen, vielleicht Monaten, noch weiter wandeln müssen. Wir werden flexibler, digitaler und
                               innovativer und wundern uns, wie wir gegenwärtig Dinge verändern, die noch vor Kurzem
                               schwer vorstellbar schienen. Wenn in dieser Krise etwas Gutes stecken mag, dann der Impuls
                               und Anstoß für uns alle, im Verband, aber auch in vielen Mitgliedsunternehmen und -genossen-
                               schaften, neue Wege zu finden und zu gehen.

                               Die digitale und virtuelle Kommunikation wird auch künftig die persönliche Kommunikation
                               im Kontakt zu Kunden, Mietern und Mitgliedern weiter ergänzen. Der Gesetzgeber hat bei-
                               spielsweise schon jetzt umfangreiche Möglichkeiten eröffnet, gesellschaftsrechtlich notwendige
                               Versammlungen im virtuellen Raum durchzuführen. Wo diese neuen Möglichkeiten eine ech-
                               te Lösung bieten, sollten wir sie auch mutig nutzen. In einigen Fällen mag es besser sein, aus
                               Gründen der Partizipation und sozialen Teilhabe aller Interessensgruppen abzuwarten – und
                               dann zu gegebener Zeit wieder persönlich zusammenzukommen.

                               Um in den anstehenden Abschlussprüfungen trotz aller Widrigkeiten einen verhältnismäßig
                               reibungslosen Arbeitsablauf gewährleisten zu können, werden digitale Kommunikationsinstru-
                               mente, die in den letzten Jahren vorbereitet wurden, nun in Breite angewendet. Der unmittel-
                               bare Austausch bleibt auch dabei unverzichtbar, auch wenn er im Wesentlichen im virtuellen
                               Raum stattfindet.

                               Aufgrund der von Bund und Ländern beschlossenen einschneidenden Maßnahmen machen
                               sich viele unserer Mieter angesichts der notwendigen Schließungen von Geschäften, Restau-
                               rants und vielen kleinen und mittleren Betrieben Sorgen um ihren Arbeitsplatz, befürchten
                               spürbare finanzielle Einbußen und damit in die Situation zu geraten, nicht wie gewohnt ihren
                               Mietzahlungsverpflichtungen nachkommen zu können. Als Wohnungswirtschaft sind wir uns
                               unserer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst und werden als ehemals ge-
                               meinnützige, als gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft für die Menschen, die aufgrund
                               dieser Situation unverschuldet in finanzielle Notlagen geraten, partnerschaftlich und im Mitei-
                               nander Lösungen finden – mit staatlicher Unterstützung, durch Verzicht auf Mieterhöhungen,
                               unbürokratische Ratenzahlungen oder Mietstundungen.

                               Um Sie als unsere Verbandsmitglieder in der gegenwärtigen Situationsdynamik zu allen rele-
                               vanten Fragen rund um die Themen Infektionsschutz und Seuchenrecht, Arbeits- und Miet-
                               recht, betriebliche Pandemiemaßnahmen, über Einschränkungen im öffentlichen und nicht-
                               öffentlichen Raum sowie über neue Fördermöglichkeiten zur Bewältigung der wirtschaftlichen
                               Folgen dieser Krise und allen weiteren wichtigen Informationen auf dem Laufenden zu halten,
                               ist unser VerbandsMagazin bei aller Beliebtheit und wohnungswirtschaftlichen Aktualität nur
                               ein unzureichendes Medium.

04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
CORONA 15

Daher haben wir für Sie neben unseren regelmäßigen Rundschreiben auf unserer Internetseite
unter https://share.vdw-rw.de/corona eine Sonderseite eingerichtet, auf der Sie alle entschei-
denden Informationen finden und die von uns kontinuierlich, oft mehrfach am Tag, aktualisiert
wird. Über alle Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise informieren wir auch
tagesaktuell über unser www.netzwerkwohnungswirtschaft.de in der Gruppe Erfahrungsaus-
tausch Corona-Virus VdW-RW. Falls Sie noch keinen Zugang zum Netzwerkwohnungswirtschaft
haben, können Sie sich einfach und unkompliziert unter https://netzwerkwohnungswirt-
schaft.de/users/sign_up anmelden. Mehr als ein Drittel unserer Mitgliedsunternehmen und
-genossenschaften ist dort bereits aktiv, stellt Fragen und Informationen ein, bekommt zügige
Rückmeldungen und das aus unserem gesamten Netzwerk, aus allen Bundesländern und Regi-
onalverbänden und von vielen anderen Verbandsmitgliedern des GdW.

Neben diesem kontinuierlichen Informationsangebot und dem fachlichen und kollegialen
Austausch stehen aber auch viele andere Fragen im Raum: Was macht diese Krise aus uns? Wie
verändert sie den Alltag von Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften? Wie reagieren wir
auf einschneidende Veränderungen wie das sogenannte COVID-19-Gesetz, mit weitreichenden
Änderungen zum Kündigungsschutz? Wie reagieren wir auf ausbleibende Mieten, stillgelegte
Baustellen und ausbleibende Handwerker? Was passiert in unseren Wohn- und Stadtquartieren
und mit den Menschen, die bei uns wohnen und leben? Und wie kommen wir aus dieser Krise
hinaus, wenn viele Themen wie bezahlbares Wohnen oder Klimawandel und Dekarbonisierung
wieder auf uns warten?

Mit dieser und den kommenden Ausgaben des VerbandsMagazins möchten wir Ihnen auf extra
erstellten Sonderseiten zur Coronakrise ein Stück weit darüber berichten. Jetzt, in diesen Zeiten,
in denen Leben und Alltag eben nicht mehr wie gewohnt verlaufen können, werden wir Men-
schen aus unseren Mitgliedsunternehmen und -genossenschaften zu Wort kommen lassen, die
zeigen, wie sie Ältere nun in der eigenen Häuslichkeit, oft alleine, isoliert und auf Hilfe angewie-
sen, Hilfestellung beim Einkaufen geben, Familien mit Betreuungsangeboten unterstützen und
nachbarschaftliche Netzwerke, Kommunikation oder auch das kleine Konzert von Nachbarn für
Nachbarn im abendlichen Innenhof organisieren.

Denn viele Verbandsmitglieder tun genau das und noch vieles mehr und zeigen damit Gemein-
sinn, Nachbarschaft und Füreinanderdasein. Unter dem Hashtag #zusammenhaltimwesten
veröffentlichen wir auf unserem Twitter-Kanal https://twitter.com/VdWRW regelmäßig Bei-
spiele, auf die wir als gesamte Branche stolz sein können.

Keiner von uns weiß, wie sich die Situation weiter entwickeln und wie lange sie andauern wird,
lassen Sie uns daher bitte auch weiter im engen Dialog bleiben, hier im VerbandsMagazin, aber
auch in allen unseren anderen Netzwerken.

Wir bedanken uns für Ihre Unterstützung in diesen außergewöhnlichen Zeiten und wünschen
Ihnen, Ihren Familien und allen Menschen, die Ihnen persönlich nahestehen, dass sie gesund
bleiben.

                           Alexander Rychter                                  Dr. Daniel Ranker
                           Verbandsdirektor                                   Prüfungsdirektor

                                                                                    04/2020 • VerbandsMagazin des VdW Rheinland Westfalen
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