Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen

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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
Zeitschrift der        Hessen
 für Erziehung, Bildung, Forschung

75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022
                    zum Inhaltsverzeichnis

      TITELTHEMA:
 Demokratie und Menschenrechte
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
IN DIESER HLZ                                                                                                                                 HLZ 1–2/2022         2

                                                                                                                           Zeitschrift der GEW Hessen
                                                                     Steuererklärung 2021                                  für Erziehung, Bildung, Forschung
                                                                                                                           ISSN 0935-0489
                                                               Alle Jahre wieder steht sie an: die
                                                               Steuererklärung. Die Beiträge für die     I    M       P      R      E     S      S     U       M
                                                               Mitgliedschaft in der GEW können
                                                                                                         Herausgeber:
                                                               steuerlich abgesetzt werden. Auch         Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
                                                               wenn inzwischen keine Belege mehr         Landesverband Hessen
                                                               beigefügt werden müssen, möchte           Zimmerweg 12
                                                                                                         60325 Frankfurt/Main
                                                               man die Höhe der Beiträge wissen und      Telefon (0 69) 971 2930
                                                               einen Beleg für eine mögliche Nach-       Fax (0 69) 97 12 93 93
                                                               frage des Finanzamts haben.               E-Mail: info@gew-hessen.de
                          Die Würde des Menschen                   Die GEW hat dazu folgende Mög-        Homepage: www.gew-hessen.de

                                                               lichkeiten eingerichtet:                  Verantwortlicher Redakteur:
                    Das Wandrelief mit dem Zitat aus Arti-                                               Harald Freiling
                    kel 1 des Grundgesetzes wurde auf In-      1.) Kontoauszug                           Klingenberger Str. 13
                    itiative von Fritz Bauer, von 1956 bis     Dem ersten Einzug des Mitgliedsbei-       60599 Frankfurt am Main
                                                                                                         Telefon (0 69) 636269
                    zu seinem Tod 1968 Generalstaatsan-        trags im Jahr 2022, frühestens aber       E-Mail: freiling.hlz@t-online.de
                    walt in Hessen, an der Fassade des Ge-     im Februar 2022, ist der im Jahr 2021     Mitarbeit:
                    richtsgebäudes in Frankfurt in der Kurt-   entrichtete Mitgliedsbeitrag zu ent-      Christoph Baumann (Bildung), Simone Claar (Hoch-
                    Schumacher-Straße angebracht. Fritz        nehmen.                                   schule), Stefan Edelmann (Bildung), Andrea Gergen
                    Bauer initiierte maßgeblich die Frank-                                               (Aus- und Fortbildung), Michael Köditz (Sozialpäd-
                    furter Auschwitz-Prozesse zur juristi-     2.) Mitgliederbereich auf www.gew.de      agogik), Annette Loycke (Recht), Dana Lüddemann
                                                               Die Jahresbeitragsbescheinigung kann      (Gewerkschaftliche Bildung), René Scheppler (Digitali-
                    schen Aufarbeitung des Holocaust.                                                    sierung), Andreas Werther (Sozialpädagogische Berufe),
                        Im Rahmen von Renovierungsarbei-       man online im Mitgliederbereich der       Peter Zeichner (Mitbestimmung)
                    ten wurde die Inschrift im Juni 1980       GEW-Homepage abrufen: Dazu geht           Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert †
                    vorübergehend abmontiert, wobei dem        man auf die Seite www.gew.de und
                                                               klickt rechts oben im grauen Balken       Titelthema: Harald Freiling in Zusammenarbeit mit
                    Gerichtsgebäude die „Würde“ abhanden                                                 lea bildungsgesellschaft
                    kam, die – so der Bericht der Frankfur-    „Meine GEW“ und dann „Mitglieder-
                                                               bereich“ an. Dort kann man sich unter     Illustrationen:
                    ter Rundschau – von unbekannten jun-                                                 Ruth Ullenboom (S. 4), Thomas Plaßmann (S. 25)
                    gen Männern am helllichten Tag auf         „Meine GEW“ registrieren und die dort
                                                                                                         Fotos, soweit nicht angegeben:
                    dem Fahrrad entführt wurde. Auf einem      aufgelisteten Felder ausfüllen. Die ge-   Harald Freiling (Titel)
                    Flugblatt stellten die Täter unter ande-   forderte Mitgliedsnummer kann man
                                                                                                         Verlag:
                    rem die Forderung nach „Einführung         dem Adressaufkleber auf jeder E & W,      Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                    der Menschenrechte für alle“. Ohne Er-     einem Kontoauszug oder dem 2019           Niederstedter Weg 5
                    füllung dieser Forderungen wurde die       letztmals verschickten Mitgliedsaus-      61348 Bad Homburg

                    „Würde“ nach einigen Wochen „leicht        weis entnehmen. Einmal registriert        Anzeigenverwaltung:
                    ramponiert in einem nahegelegenen          kommt man mit einem selbst gewähl-        Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH
                                                                                                         Peter Vollrath-Kühne
                    Baggersee“ wiedergefunden.                 ten Namen und einem Passwort in den       Postfach 19 44
                        Mit der Verfassungsrealität, den       Mitgliedsbereich und findet dort das      61289 Bad Homburg
                    vielfältigen Formen von Diskriminie-       rote Quadrat „Beitragsbescheinigung“.     Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21
                                                                                                         E-Mail: mlverlag@wsth.de
                    rung, Ausgrenzung und Missachtung          Die Beitragsbescheinigung für 2021 ist
                                                               ab Februar 2022 verfügbar.                Erfüllungsort und Gerichtsstand:
                    der Menschenwürde, aber auch mit den                                                 Bad Homburg
                    Handlungsmöglichkeiten von Pädago-             Von Einzelanfragen bei unserer
                                                               Mitgliederverwaltung bitten wir ab-       Bezugspreis:
                    ginnen und Pädagogen befassen sich                                                   Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein-
                    die Beiträge im Titelthema dieser HLZ.     zusehen.                                  schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten
                                                                                                         sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag
                                                                                                         enthalten.
                     Rubriken                                  Einzelbeiträge
   Aus dem Inhalt

                                                                                                         Zuschriften:
                     4    Spot(t)light                          6   Haushaltsgespräche im Landtag        Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder
                     5    Meldungen                            23   Hochschule: Kodex für gute Arbeit    wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver-
                                                                                                         öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen
                    18    Briefe                               24   Kleine Klasssen – große Wirkung      vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen
                    34    Recht: Besoldung und Beamtenrecht    26   Vor 50 Jahren: Radikalenerlass,      nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion
                    36    Magazin | Nachrufe                        Schnüffeleien und Berufsverbote      übereinstimmen.
                    38    Jubilarinnen und Jubilare            28   Tarifverhandlungen: Aufwertung
                                                                    im Sozial- und Erziehungsdienst      Redaktionsschluss:
                     Titelthema: Bildung für Demokratie
                                                               29   Betriebsratswahlen beginnen          Jeweils am 5. des Vormonats
                     und Menschenrechte
                                                               30   Ferientermine in Hessen: Wo ist
                      7 Bündnis Demokratiebildung                   die zweite Woche der Herbstferien?   Nachdruck:
                      8 Diskriminierungskritik und Bildung     31   Rat der Wirtschaftsweisen:           Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti-
                     10 Sinti und Roma in Deutschland               Im Gespräch mit Achim Truger         gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei-
                     12 Antisemitismus in Schulen                                                        genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher
                                                               32   Kolonialismus: Im Gespräch mit       Genehmigung der Redaktion und des Verlages.
                     14 Geschlechtliche Vielfalt:                   Bernd Heyl und Wolfgang Geiger
                        trans*, inter*, nicht-binär                                                      Druck:
                                                                                                         Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH
                     16 Parolen: Nicht nur am Stammtisch       19 - 22 Fortbildungsangebote von lea      Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
3     HLZ 1–2/2022   zum Inhaltsverzeichnis                                                                 KOMMENTAR

                                              Vielfalt in Hessen
    „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So lau-          tiggestellt (HLZ S.14). Ende Oktober hat sich die AG
    tet der erste Satz des Grundgesetzes, der zunächst         auf einer Klausur mit dem bisher Erreichten befasst
    einmal den Staat, aber letztlich uns alle in einer de-     und allem, was noch zu tun ist. Hier war zu spüren,
    mokratischen Gesellschaft verpflichtet, die Achtung        was unsere Gruppe mit ihren Arbeitssitzungen und
    dieser Würde zu fordern und zu fördern. Die Viel-          gemütlichen Stammtischen für die Mitglieder bedeu-
    falt der Religionen und Sprachen, der Herkunft und         tet: Sie ist das gemeinsame Rückgrat, ein Ort für Em-
    der Hautfarben, der sexuellen Orientierung und der         powerment und für den Blick über den Tellerrand.
    Geschlechter, der unterschiedlichen Fähigkeiten und        Sie ist die Kraftquelle, um politische Wirksamkeit zu
    Bedürfnisse bietet eine Bereicherung im Zusammen-          entfalten und Vielfalt sichtbar zu machen.
    leben und fordert uns gleichzeitig immer wieder dazu          Dabei haben wir uns auch entschieden, der AG
    auf, das Andere im Gegenüber kennenzulernen, zu            einen neuen Namen zu geben. Aus der AG LesBi-
    akzeptieren und zu respektieren.                           Schwule Lehrer_innen in Hessen wurde die AG Quee-
       Nach unserem Verständnis braucht Bildung in             re Vielfalt in der GEW Hessen. Der Begriff „Queer“
    Kindertagesstätten und Schulen diskriminierungs-           umfasst alle Menschen, die ihre sexuelle oder/und ge-
    sensible Räume, die die Menschen auf ihrem eigenen         schlechtliche Identität als außerhalb der gesellschaft-
    Weg einer angst- und diskriminierungsfreien Entfal-        lichen Norm definieren, und ist nicht mehr auf die
    tung ihrer Persönlichkeit begleiten und stärken. Still-    sexuelle Orientierung beschränkt. Außerdem wollen
    stand und Rückschritte, Hürden und Fortschritte, ne-       wir mit dem neuen Namen zum Ausdruck bringen,
    gative Erfahrungen und ermutigende Beispiele sind          dass wir für alle Professionen im Organisationsbe-
    das Schwerpunktthema dieser HLZ, die die Vielfalt          reich der GEW offen sind, nicht nur für Lehrkräfte.
    unserer Gesellschaft aus unterschiedlichen Perspek-           Als Arbeitsgemeinschaft und Teil der GEW Hessen
    tiven beleuchtet. An diesem Austausch beteiligt sich       wollen wir die Vielfalt in der hessischen Bildungs-
    die AG LesBiSchwule Lehrer_innen in der GEW Hes-           landschaft weiter sichtbar und wirksam werden las-
    sen bereits seit über zehn Jahren.                         sen. Für uns ist diese Arbeit aber nicht nur Aufga-
       Gerne hätten wir im letzten Jahr unser zehnjäh-         be einer AG, sondern der gesamten hessischen GEW.
    riges Bestehen gefeiert. Durch die Coronasituation         Deshalb laden wir alle interessierten GEW-Mitglie-
    war das leider (noch) nicht möglich. Dennoch hat           der und andere Interessierte ein, sich an Aktionen zu
    sich in den letzten zehn Jahren vieles getan. Viel-        beteiligen und aktiv gegen Diskriminierung vorzuge-
    falt ist auch in Schule und Bildung sichtbarer ge-         hen. Mehr über queere Vielfalt und unsere AG ist in
    worden. Dazu haben unter anderem ein neuer Lehr-           dieser HLZ auf den Seiten 14 und 15 nachzulesen...
    plan zur Sexualerziehung und auch der Hessische            Herbert Graf, Mareike Klauenflügel, Heiko Rohde
    Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt beigetragen.        für die AG Queere Vielfalt in der GEW Hessen
    Auch an Hochschulen und Studienseminaren gibt es
    inzwischen Ansprechpersonen für sexuelle und ge-
    schlechtliche Vielfalt.
       Aktuell beteiligen wir uns an der Überarbeitung
    des Hessischen Aktionsplans in den Community-Fo-
    ren der hessischen Landesregierung. Wir organisieren
    Workshops an Schulen und Studienseminaren und
    für gewerkschaftliche Veranstaltungen. Gemeinsam
    mit anderen Landesverbänden der GEW haben wir
    gerade die Broschüre „trans*, inter*, nicht-binär“ fer-

    Auf der Klausurtagung der AG Queere Vielfalt in der GEW
    Hessen (von links nach rechts): Annalena Kalugina, Con-
    stantin Mousavi-Malvani, Tina Breidenich, Heiko Roh-
    de, Mareike Klauenflügel, Herbert Graf, Frank Engelhardt
                                                                                                                         Foto: privat
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
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Lebensfreude durch Whatsapp                                                                      nioren, sind die Emojis. Das sind kleine
                                                                                                 Gesichter und Symbole, die deine Ge-
                                                                                                 fühle unterstreichen.)
                                                                                                     Aus reiner Not lerne ich schnell, wie
      Zum zweiten Mal stehe ich vor ver-           hin habe ich mir (selbstständig!) einen       man den Piepton bei neu eingehen-
      schlossenen Türen. Der Tanzunterricht        schönen Klingelton ausgesucht: Ku-            den Mitteilungen ausstellt. Am nächs-
      fällt aus. Warum informiert mich nie-        ckucksrufe und Vogelgezwitscher.              ten Morgen finde ich acht ungelesene
      mand? Der Kursleiter tut erstaunt: „Bist         „Jetzt brauchst du aber auch Whats-       Nachrichten, unter anderem verkün-
      du denn nicht in unserer Whatsapp-           app“, erklären zwei Freundinnen. Mir          det Günter gegen 5.30 Uhr: „Ich bin
      Gruppe? Da wird doch so was mitge-           würden ohne diesen Messenger so viele         wach!“, und die Chefin schreibt, dass
      teilt. Wie jetzt, du hast kein Smart-        Dinge entgehen. (Pro Tag werden über          der Ausflugsbus eine halbe Stunde frü-
      phone???“ Selber schuld, grinsen die         Whatsapp 55 Milliarden Nachrichten            her losfährt. Ich schaffe es nicht mehr
      anderen Kursteilnehmerinnen. Sie be-         verschickt, eine Milliarde Videos und         zum Frühstück. Im Bus will ich die an-
      grüßen sich per Whatsapp jeden Mor-          4,5 Milliarden Fotos.) Die Freundinnen        deren nach ein wenig Trockenbrot fra-
      gen mit frommen Wünschen. (Täglich           spielen an meinem Smartphone rum,             gen und entdecke nun selbst die Welt
      nutzen weltweit eine Milliarde Men-          ich muss jetzt nur noch auf „Zustim-          der Emojis und Piktogramme.
      schen Whatsapp.)                             men“ drücken. Ich zögere. Monatelang.             Die Schriftsprache, die ich Fossil für
          Mir reicht aber mein altes Handy             Bis ich auf diese Gruppenreise ins        eine Grundlage von Bildung hielt, ist
      völlig. Mehr als hin und wieder tele-        entfernte Ausland gehe. Die Chefin            völlig überflüssig! Es gibt alles in Bild-
      fonieren will ich damit gar nicht. Aber      möchte ihre Schäfchen bei Whatsapp            form: Obst, Gemüse, Tiere, Sportarten,
      meine Bank zwingt mich quasi zur An-         zusammenfassen, damit wichtige In-            Gesichter, Gesten, Herzen, Tränen. Ich
      schaffung eines Smartphones. Nur so          formationen sofort bei allen landen.          schicke fünf Zwiebäcke mit Fragezei-
      erhalte ich ab sofort Bestätigungs-Pins,     Das sehe selbst ich als sinnvoll an und       chen in den Bus. Sofort landen zwei
      wenn ich mit meiner Kreditkarte das In-      lasse mich in die Gruppe „Wenn Engel          reale Äpfel und eine analoge Stulle bei
      ternet aufkaufe. Ich fühle mich genötigt     reisen“ einladen. Mein Gerät piept nun        mir. Ich bekomme von der Landschaft
      und beschwere mich. Aber die Bank-           im Sekundentakt, vor allem am späten          gar nichts mit, weil ich verzückt Bilder-
      mitarbeiterin reagiert ganz kühl: Auf        Abend. Immer dann, wenn neue Nach-            rätsel für meine Heimatkontakte kre-
      Dauer könne man sich dem Fortschritt         richten eingehen. Nicht nur die Chefin        ieren muss. Eine Freundin erhält fünf
      nicht verweigern.                            informiert über Planänderungen, auch          Tomaten, zwei Elefanten, einen Lind-
          Mein Neffe geht mit mir ein Smart-       viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer          wurm und einen Lastwagen. Mal se-
      phone kaufen. Er richtet das Gerät so        tauschen sich aus. „Ich gehe jetzt schla-     hen, ob sie das Rätsel lösen kann. (Das
      ein, dass ich (theoretisch) damit umge-      fen, bin müde. Küsschen. Gerda.“ Dazu         Leben ohne Whatsapp macht einsam!
      hen kann. Vor allem stellt er die Schrift    ein gähnendes Emoji, das die Ärmchen          Mit Whatsapp fühlt man sich gebor-
      groß und verringert die Zahl der Icons.      in die Luft streckt. „Gute Nacht, Gerda.      gen und geschätzt.)
      Bald beherrsche ich die Funktionen Ta-       Schlaf schön!“, antwortet Sandra und              Wie in Trance schalte ich im Bus alle
      schenlampe und Wecker! Das mit der           sendet ein paar kleine Schäfchen und          fünf Minuten mein Smartphone ein, um
      Bestätigungs-Pin für meine Kreditkar-        Wolken. „Morgen ist ein neuer Tag!“,          nachzusehen, ob wer geantwortet hat.
      te klappt beim nächsten Einkauf leider       fügt Karin hinzu. Worauf Iris schreibt:       Die Reiseleiterin steht ungeduldig ne-
      nicht. Und auch die ersten Telefonver-       „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“             ben mir, als ich gerade dabei bin, ihr
      suche laufen ins Leere. Man muss wi-         Und Annerose teilt umgehend mit: „Der         eine Nachricht zu senden. Die anderen
      schen, nicht wild auf dem Gerät rum-         frühe Vogel kann mich mal.“ Ihr Emo-          besichtigen antike Trümmer, und ich
      tippen. Ich hinterlasse etliche irritierte   ji streckt die Zunge raus. (Das wohl          schicke meinem Bruder übers Smart-
      Anrufer, ehe ich das begreife. Immer-        Schönste an WhatsApp, auch für Se-            phone ein paar Säulen und griechische
                                                                                                 Götter. Und ein hübsches Selfie.
                                                                                                     Sorry, muss aufhören, meine Grup-
                                                                                                 pe „Lebensfreude durch Whatsapp“ ist
                                                                                                 online! Habe meine Statusmeldung, wo
                                                                                                 ich bin und wie ich mich fühle, heute
                                                                                                 noch nicht durchgegeben! Endlich habe
                                                                                                 ich begriffen, dass „Medienkompetenz“
                                                                                                 wichtiger ist als altmodische „Bildung“!

                                                                                                                         Gabriele Frydrych
                                                                                                 Da das eine Glosse und keine „Doktorinnenar-
                                                                                                 beit“ ist, habe ich mir beim Recherchieren im
                                                                                                 Internet die Quellen für die kursiv geschrie-
                                                                                                 benen Passagen nicht notiert. Aber wer will,
                                                                                                 findet sie und erhält weitere wichtige Informa-
                                                                                                 tionen über Whatsapp und Co. Vor allem weise
                                                                                                 Sprüche für jede Gelegenheit – z.B.: „Wenn
                                                                                                 dich dein Leben nervt, streu Glitzer drauf!“
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
5     HLZ 1–2/2022   zum Inhaltsverzeichnis                                                                                 MELDUNGEN

          Tarifrunde im Sozial- und                  Delegiertenkonferenz des
          Erziehungsdienst                           DGB Hessen-Thüringen
    Die Gewerkschaften des öffentlichen        Am 4. Dezember 2021 berieten die 100
    Dienstes haben wesentliche Elemente        Delegierten der acht DGB-Gewerk-
    des Tarifvertrags für die Beschäftigten    schaften aus Hessen und Thüringen in
    im Sozial- und Erziehungsdienst der        Bad Hersfeld und in digitaler Zuschal-
    Kommunen zum 31. 12. 2021 gekün-           tung über Personalfragen und politi-
    digt. Die im März 2020 abgebroche-         sche Weichenstellungen für die kom-
    ne Tarifrunde geht jetzt in die nächste    menden vier Jahre. Simone Claar war
    Runde. Die Beschäftigten aus Kitas und     für die GEW Hessen Mitglied im Ta-
    im Ganztag, aus der Sozialarbeit und       gungspräsidium, Birgit Koch Mitglied
    Behindertenhilfe kämpfen für bessere       der Antragskommission. Gast der 6. Or-
                                                                                          Michael Rudolph wurde als Vorsitzender
    Arbeitsbedingungen und die Aufwer-         dentlichen Bezirkskonferenz war unter      des DGB Hessen-Thüringen wiedergewählt,
    tung des Sozial- und Erziehungsdiensts.    anderem der DGB-Vorsitzende Reiner         Renate Sternatz, bisher Leiterin des Fach-
    • Weitere Infos: HLZ Seite 28.             Hoffmann. Michael Rudolph (44) aus         bereichs Gemeinden der ver.di-Bundesver-
                                               Kassel wurde als Vorsitzender nahe-        waltung, wurde als Stellvertreterin gewählt.
          Betriebsratswahl in der Zeit         zu einstimmig wiedergewählt. Renate        Ihr Vorgänger Sandro Witt, der nicht mehr
          vom 1. März bis 31. Mai              Sternatz (58) aus Thüringen wurde als      zur Wahl antrat, wurde mit großem Applaus
                                               stellvertretende Vorsitzende gewählt.      verabschiedet. (Foto: DGB/M.Sehmisch)
    In der Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai
    2022 finden die im Abstand von vier
                                               		Tarifeinigung auch für                          GEW und LEB: Konsequent
    Jahren durchzuführenden Betriebsrats-
    wahlen statt. Die GEW unterstützt die        die Goethe-Universität                          handeln in der Pandemie
    Kolleginnen und Kollegen, die in den       Die Tarifkommission und der Landes-        In nachdrücklichen Appellen setzten
    Wahlvorständen mitarbeiten, die eine       vorstand der GEW haben nach den Ei-        sich die GEW Hessen sowie hessische
    Kandidatur erwägen, erneut zur Wahl        nigungen im Bereich des TV-H und           Elternbeiräte angesichts der zugespitz-
    antreten oder die in ihrem Betrieb ei-     der Technischen Universität Darmstadt      ten pandemischen Lage und der zu-
    nen Betriebsrat neu gründen wollen.        (HLZ 12/2021) auch der Tarifeinigung       nehmenden Zahl an Corona-Infektio-
    • Weitere Infos: HLZ Seite 29              mit der Goethe-Universität Frankfurt       nen in Kitas, Schulen und Hochschulen
          Beamtenbesoldung in                  als selbstständiger Stiftungsuniversität   Mitte November für ein konsequentes
                                               vom 15. Oktober 2021 zugestimmt. Sie       Handeln der Landesregierung ein. Um
          Hessen verfassungswidrig
                                               stimmt in allen wesentlichen Punkten       die Bildungseinrichtungen offenhalten
    Am 30.11. 2021 hat der Hessische Ver-      bei Sonderzahlungen und Tariferhö-         zu können, seien höhere Schutzvorkeh-
    waltungsgerichtshof festgestellt, dass     hungen mit der landesweiten Tarifeini-     rungen unerlässlich, erklärte der GEW-
    die Besoldung der Beamtinnen und Be-       gung überein. Parallel zu den Gesprä-      Vorsitzende Thilo Hartmann. Dazu
    amten in Hessen verfassungswidrig ist,     chen auf Landesebene soll im Herbst        gehörten kleinere Klassen, eine kon-
    da der notwendige Abstand der unteren      2022 auch an der Goethe-Universität        sequente Teststrategie, Luftfiltergeräte
    Besoldungsgruppen zum Sozialhilfeni-       über die Befristungspraxis verhandelt      in Kitas und Klassenräumen und end-
    veau nicht gegeben ist. Die zu geringe     werden.                                    lich auch „hochwertige FFP2-Masken,
    hessische Besoldung resultiert unter an-                                              die speziell für Kinder geeignet sind“.
    derem aus einer Nullrunde im Jahr 2015                                                Für alle Pädagoginnen und Pädagogen
    und einer nur einprozentigen Erhöhung            Nullmonate für Pensionäre            müsse es ein schnelles, vorrangiges An-
    der Bezüge im Jahr 2016. Die GEW hatte           und Pensionärinnen                   gebot für Booster-Impfungen geben.
    2015 auch Beamtinnen und Beamte zum                                                       Auch der Landeselternbeirat (LEB)
    Streik aufgerufen (HLZ S.35).              Da die Versorgungsempfängerinnen           und die Kreis- und Stadtelternbeiräte
                                               und Versorgungsempfänger in Hessen         sprachen sich dafür aus, den Präsenz-
          Tarifrunde: Hessen und               anders als die aktiven Beamtinnen und      unterricht aufrecht zu erhalten. Einer
          die anderen Bundesländer             Beamten keine Corona-Sonderzahlun-         „schleichenden Durchseuchung“ erteil-
                                               gen erhalten, steht ihnen bis zur Erhö-    ten die Elternbeiräte eine Absage, da es
    Der Tarifabschluss für die Beschäftigten   hung der Versorgungsbezüge am 1.8.         noch keine belastbaren Langzeitstudi-
    der Bundesländer im Bereich der TdL,       2022 eine Nullrunde ins Haus. Der DGB      en zu Post- oder Long-Covid in Zusam-
    der Hessen seit 2004 nicht mehr ange-      Hessen-Thüringen fordert deshalb, die      menhang mit Infektionen mit der Del-
    hört, unterscheidet sich vom Tarifab-      Erhöhung vorzuziehen. Dies gilt noch       tavariante gibt. Auch der LEB forderte
    schluss in Hessen: Die höheren Coro-       mehr für die Pensionärinnen und Pen-       zusätzlich zu den Schnelltests regelmä-
    na-Sonderzahlungen (1.300 statt 1.000      sionäre in Thüringen, da im Bereich des    ßige, deutlich genauere PCR-Lolli-Tests
    Euro) werden durch vier zusätzliche        Tarifvertrags der Länder die Tariferhö-    im Poolverfahren. Die Ausstattung der
    Nullmonate „erkauft“. Da es bei einer      hung erst zum 1.12.2022 in Kraft tritt.    Klassenräume mit mobilen oder fest in-
    um vier Monate längeren Laufzeit ins-      Der DGB-Vorsitzende für Hessen-Thü-        stallierten Luftftilteranlagen dürfe nicht
    gesamt 4,0 % mehr Gehalt gibt (TVL:        ringen Michael Rudolph erklärte, dass      in das Belieben der Schulträger gestellt
    2,8 %) ergibt sich für die hessischen      Preissteigerungen und Inflation „auch      werden. Den Lippenbekenntnissen zur
    Beschäftigten mit Blick auf die nächs-     vor den Kolleginnen und Kollegen im        Priorisierung der Kinder müssten „end-
    te Tarifrunde ein Plus.                    Ruhestand nicht Halt machen“.              lich Taten folgen“.
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
LANDESPOLITIK                                                                                   zum Inhaltsverzeichnis      HLZ 1–2/2022       6

                         Haushaltsgespräche im Landtag
        Die Corona-Krise hat auch in den hes-      • Das Löwenstark-Programm zur                  bau der Mitbestimmung. Überraschung
        sischen Landeshaushalt große Löcher        Bewältigung der Folgen der Pande-              löste unsere Information aus, dass vie-
        gerissen. Der Plan der Landesregierung,    mie muss dringend aufgestockt und              le Lehrkräfte nach dem Zweiten Staats­
        mit einem kreditfinanzierten Sonder-       mit Blick auf das nächste Haushalts-           examen zunächst in die Arbeitslosigkeit
        vermögen in Höhe von 12 Milliarden         jahr verstetigt werden.                        entlassen werden und bis zur Einstel-
        Euro den zu befürchtenden Steuerrück-      • Im Bereich der Digitalisierung muss          lung kurz vor Ende der Sommerferien
        gang aufzufangen, ist durch ein Ur-        der Mangel an IT-Fachpersonal ange-            keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld
        teil des Staatsgerichtshofes gescheitert   gangen werden. Außerdem fordert die            und Arbeitgeberbeiträge zur Kranken-
        (HLZ 12/2021). Um zu verhindern, dass      GEW ein Rahmenkonzept, das es Schu-            versicherung haben.
        es im Bildungsbereich zu Einsparungen      len und Schulträgern erleichtert, auf          • In den hessischen Hochschulen ha-
        kommt, und gleichzeitig unsere Forde-      vom Land bereitgestellte Mittel zurück-        ben wir in den Gesprächen mit den
        rungen nach mehr Investitionen in gute     greifen zu können.                             Fraktionen einmal mehr auf die skan-
        Lern- und Arbeitsbedingungen zu un-                                                       dalös hohe Befristungsquote von 90 %
        termauern, führt auch die GEW im Rah-      Was uns (besonders) wichtig ist...             des wissenschaftlichen Personals hin-
        men des DGB Gespräche mit den Land-        Vordringlichstes Problem an den Schu-          gewiesen. Wir brauchen mehr Dauer-
        tagsfraktionen von CDU, Grünen, SPD,       len ist die Arbeitsbelastung. Die GEW          stellen für Daueraufgaben. Damit auch
        FDP und Linken zum Landeshaushalt          bezog sich auf die Studie zur Arbeits-         Beschäftigten, die aus Drittmitteln fi-
        2022. In den unterschiedlichen Runden,     zeit und Arbeitsbelastung an Frank-            nanziert werden, eine „Corona-Verlän-
        die sich im Verlauf der Beratungen in      furter Schulen, um Politikerinnen und          gerung“ ermöglicht werden kann, sind
        den digitalen Raum verlagerten, wurde      Politikern, die sich nicht primär mit Bil-     Sondermittel des Landes notwendig.
        die GEW durch den Landesvorsitzenden       dungsfragen befassen, die Dimension            Um mobiles Arbeiten auch längerfristig
        Thilo Hartmann und die stellvertreten-     des Problems zu verdeutlichen und die          zu ermöglichen, müssen Mittel für die
        den Landesvorsitzenden Simone Claar        notwendigen Maßnahmen zu begrün-               Ausstattung häuslicher Arbeitsplätze
        und Heike Ackermann vertreten. Dabei       den. Vorrang hat die Senkung der zu-           bereitgestellt werden, ebenso ein aus-
        rückte die GEW die folgenden Themen        sätzlich zum Unterricht zu erledigenden        reichender IT-Support für Hochschul-
        in den Mittelpunkt:                        Dienstpflichten: Keine neue Aufgabe            beschäftigte und Studierende.
        • Für den Kitabereich fordert die GEW      ohne angemessene Entlastung! Dazu
        als Sofortmaßnahmen die Ausstattung        fordert die GEW den Einsatz von Schul-         Gute Bedingungen für Bildung
        mit Luftfiltergeräten, ein verbindliches   gesundheitskräften und zusätzliches            Die GEW wird diese Gespräche auch
        Testkonzept auch für die Kinder und        administratives Personal sowie den             nach Abschluss der Beratungen über
        die finanzielle Unterstützung der Trä-     Ausbau des UBUS-Programms.                     den Haushalt 2022 fortsetzen. Aber
        ger aufgrund erhöhter Kosten für Rei-      • Der Lehrkräftemangel muss durch              nicht nur bei den Fraktionen in Wies-
        nigung und Anschaffung von Masken.         eine Aufstockung der Studienplät-              baden, sondern auch in der Öffentlich-
        • Luftfiltergeräte müssen auch im          ze und Referendariatsplätze angegan-           keit gilt es mit Beispielen aus der Praxis
        Schulbereich flächendeckend eingesetzt     gen werden. Außerdem muss das Land             immer wieder aufzuzeigen, wo dringen-
        werden. Da viele Schulträger blockie-      Hessen als Arbeitgeber attraktiver wer-        der Handlungsbedarf besteht.
        ren, sollte die Landesregierung diese      den. Dies betrifft A13 für Grundschul-
        Aufgabe entweder selbst übernehmen         lehrkräfte, die Pflichtstundenzahl, die        Thilo Hartmann, Simone Claar und
        oder verbindliche Vorgaben schaffen.       Größe der Lerngruppen und den Aus-             Heike Ackermann

                                                                                                        Nina Heidt-Sommer
                                                                                                        im Landtag
                                                                                                  Nina Heidt-Sommer, Mitglied des Refe-
                                                                                                  rats Schule und Bildung im GEW-Lan-
                                                                                                  desvorstand, im Hauptpersonalrat der
                                                                                                  Lehrerinnen und Lehrer und im Kreis-
                                                                                                  vorsitzendenteam der GEW Gießen, ist
                                                                                                  jetzt Landtagsabgeordnete in der Frak-
                                                                                                  tion der SPD. Der GEW-Landesvorsit-
                                                                                                  zende Thilo Hartmann gratulierte ihr
                                                                                                  zu der neuen herausragenden Aufga-
                                                                                                  be und hofft „auf eine gute Zusam-
                                                                                                  menarbeit“.
                                                                                                      Nina Heidt-Sommer rückte für
                                                                                                  Frank-Tilo Becher in den Landtag nach,
                                                                                                  der zum Oberbürgermeister von Gießen
                                                                                                  gewählt wurde.
  Foto: Hessischer Landtag, Kanzlei, H. Heubel
Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
7     HLZ 1–2/2022   zum Inhaltsverzeichnis                                                                          TITELTHEMA

                Demokratie und Menschenrechte
    „Bildung für Demokratie und Menschenrechte“ ist der Titel         Dort kann man sich auch anmelden und tagesaktuell er-
    eines Schwerpunkts von lea, dem Bildungswerk der GEW           fahren, ob die Seminare online oder in Präsenz stattfinden.
    Hessen, im ersten Halbjahr 2022 und zugleich auch das
    Schwerpunktthema dieser HLZ.                                   ... ist der Schwerpunkt dieser HLZ
                                                                   Auf den folgenden Seiten dieser HLZ geht es unter anderem
    Der Schwerpunkt bei lea ...                                    um die folgenden Themen:
    Die HLZ-Redaktion lud die Referentinnen und Referenten         • Diskriminierungskritische Perspektiven in Schule und
    und Teamerinnen und Teamer der lea-Seminare und lea-             Jugendarbeit (S.8 - 9)
    Workshops ein, ihre Themen auch in der HLZ vorzustellen.       • Antiziganismus: Ein Thema für Schule und Unterricht
       Alle lea-Seminare und lea-Workshops mit dem Fokus             (S.10 -11)
    „Bildung für Demokratie und Menschenrechte“ findet man         • Umgang mit Antisemitismus in der Schule (S.12 -13)
    im lea-Programm in dieser HLZ auf Seite 20 und im Inter-       • Geschlechtliche Vielfalt und Bildung (S.14 -15)
    net unter www.lea-bildung.de > Fokus/Reihe > Bildung für       • Argumentationstraining: Zum Umgang mit Parolen in
    Demokratie und Menschenrechte.                                   der Schule (S.16 -17)

                        Bündnis Demokratiebildung: Die GEW ist dabei
    Seit zwei Jahren gibt es in Hessen das zivilgesellschaftli-    der Demokratiebildung in der Kita, der außerschulischen Ju-
    che Bündnis „Demokratiebildung nachhaltig gestalten“. Es       gendbildung und der Schule begründet wird, und stellte sie
    hat sich zum Ziel gesetzt, sich innerhalb eines Netzwerks      im Frühjahr 2021 auf einer Pressekonferenz vor.
    über gemeinsame Themen auszutauschen, das Anliegen in              Das Bündnis will diese Arbeit mit den Schwerpunkten
    der Öffentlichkeit bekanntzumachen und als Lobby für De-       Kinderrechte, Öffentlichkeitsarbeit und Einflussnahme auf
    mokratiebildung zu wirken. Die Initiative zur Gründung des     die Politik fortsetzen und bestätigen. Zu den aktuellen The-
    Netzwerks ging vom Landesverband Hessen der Deutschen          men gehören das Hessische Lehrkräftebildungsgesetz, ein
    Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe), dem Verein      mögliches Demokratiefördergesetz und die Stärkung der po-
    „Makista - Bildung für Kinderrechte und Demokratie“ und        litischen Bildung.
    der Sportjugend Hessen aus. Nach einigen Vortreffen wurde      Helmolt Rademacher
    das Bündnis am 20. November 2019 – dem Tag der Kinder-         Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik, LV Hessen
    rechte – in Wetzlar gegründet. Zu den 26 Gründungsmitglie-
    dern zählen neben den drei Initiatoren auch die GEW Hessen,
    die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte, Arolsen Ar-         Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage
    chives, das DGB-Bildungswerk, die Evangelische Akademie        q.rage ist die Zeitschrift des Projekts Schule ohne Rassis-
    Frankfurt, die Diakonie Hessen, der Verband deutscher Sin-     mus – Schule mit Courage. Der Verein Aktion Courage wur-
    ti und Roma und der DGB Hessen-Thüringen. Später schlos-       de 1992 als eine Antwort auf den gewalttätigen Rassismus
    sen sich auch die Bildungsstätte Anne Frank, die Ombuds-       von Mölln, Solingen, Hoyerswerda und Rostock gegrün-
    stelle für Kinder- und Jugendrechte, der Elternbund Hessen     det. Inzwischen haben sich bundesweit rund 3.600 Schulen
    und die Kurdische Gemeinde an. Momentan hat das Bünd-          durch Beschlüsse der Schulgemeinden verpflichtet, nach-
    nis über 40 Mitglieder. Weitere Details finden sich auf der    haltig für die Gleichwertigkeit al-
    Homepage von Makista (www.makista.de).                         ler Menschen und gegen jede Form
        Zu den Hauptaktivitäten gehörten bisher der Austausch      von Diskriminierung einzutreten.
    von Informationen und Aktivitäten rund um das Thema Kin-           Schwerpunkt der aktuellen
    derrechte. Die HLZ 1-2/2021 berichtete ausführlich über die    q.rage ist das Thema Mobbing.
    Spendenläufe für Kinderrechte, die Forderung „Kinderrech-      Junge Autorinnen und Autoren
    te ins Grundgesetz“ und die Aktionen der hessischen Kin-       befassen sich mit Rassismuserfah-
    der- und Jugendrechtsbeauftragten Miriam Zeleke, die das       rungen, Intersexualität und BIPoC-
    Bündnis tatkräftig unterstützt. Eine zweite Arbeitsgruppe      Literatur. Die Zeitung und andere
    entwickelte und organisierte eine zwölfteilige Multiplikato-   Materialien von Schule ohne Ras-
    renschulung, die noch bis Mai 2022 dauert (https://www.lea-    sismus kann man im Internet her-
    bildung.de > Fokus/Reihe > Demokratie lernen lernen), und      unterladen oder bestellen (https://
    stieß ein lokales Demokratiebündnis in Kriftel an.             www.schule-ohne-rassismus.org >
        Die Veranstaltungen finden mit Hilfe und in der Verant-    Materialien).
    wortung der Bündnispartner statt, großzügige organisatori-     • Die hessische Landeskoordinatorin
    sche Unterstützung leistet die Evangelische Akademie. Die      von Schule ohne Rassismus ist Sabri-
    Arbeitsgruppe „Öffentlichkeitsarbeit“ verfasste die gemein-    na Becker von der Bildungsstätte Anne
    same Stellungnahme „Kein Stillstand für die Demokratie-        Frank (Tel. 069-56000-256, sbecker@
    bildung in Hessen und anderswo“, in der die Notwendigkeit      bs-anne-frank.de).
TITELTHEMA                                                                                       zum Inhaltsverzeichnis      HLZ 1–2/2022       8

                                 Empowerment und Powersharing
                       Diskriminierungskritische Perspektiven in Bildungseinrichtungen
     „Wir sind alle gleich viel wert und haben die gleichen Chan-            weiligen Diskriminierungsform betroffen sind. Sowohl nega-
     cen.“ Dieses Ideal ist leider weit entfernt von der Realität. Bereits   tiv von Rassismus betroffene Kinder als auch weiße Kinder
     Kinder erleben und erlernen diskriminierendes Wissen und Ver-           brauchen beispielsweise Wissen über Rassismus und Strate-
     halten, abhängig von ihrer eigenen Position und ihren sozialen          gien im Umgang mit Rassismus, wobei die Erfahrungen und
     Zugehörigkeiten innerhalb der gesellschaftlichen Ungleichheits-         Strategien unterschiedlich sind. Als pädagogische Fachkräfte
     verhältnisse. Zahlreiche Studien belegen, wie stark sich histo-         in Bildungseinrichtungen und Sozialer Arbeit sind wir selbst
     risch gewachsene Machtstrukturen auf die psychische und phy-            in die gesellschaftlichen Diskriminierungsverhältnisse ver-
     sische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken.               strickt, entweder indem wir selbst negativ betroffen sind oder
         Nicht alle Kinder und Jugendliche haben den gleichen Zu-            indem wir von den Verhältnissen in einer privilegierten Posi-
     gang zu den notwendigen gesellschaftlichen Ressourcen, „um              tion profitieren. Ein professionelles Selbstverständnis schließt
     einen positiven Selbst- und Weltbezug aufzubauen und sta-               folglich eine kritische Reflexion der Position(en) der Kinder
     bil zu halten“ (1). So erleben zum Beispiel queere Jugendli-            und Jugendlichen sowie der eigenen mit ein.
     che Diskriminierung und Ausgrenzung in Schulen und Frei-                    Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Queer-
     zeiteinrichtungen sowohl durch andere Jugendliche als auch              feindlichkeit, Klassismus, Ableismus, Dick_Fettfeindlichkeit
     durch Lehrkräfte. Diskriminierungserfahrungen lösen Stress              und viele andere bestimmen, wie sich Menschen in der Ge-
     aus und können sich auf die Schulleistungen auswirken – mit             sellschaft bewegen können, welche Erfahrungen sie ma-
     negativen Konsequenzen für den weiteren beruflichen Weg.                chen und welche Möglichkeiten sie haben. Dabei können
     Auch Rassismus wirkt sich auf die schulischen Bildungsver-              sich verschiedene Dimensionen, die Ungleichheit generie-
     läufe aus, wie die „Max-und-Murat-Studie“ von Meike Bo-                 ren, überschneiden. Der Fachbegriff der Intersektionali-
     nefeld und Oliver Dickhäuser aufzeigt. Danach wurden fik-               tät (Überschneidung) wurde in den 1970er Jahren von der
     tive Diktate von Murat signifikant schlechter bewertet als              Schwarzen US-amerikanischen Juristin Kimberlè Crenshaw
     gleich gute oder schlechte Diktate von Max (2).                         geprägt. Seine Wurzeln hat er in der Erfahrung der Schwar-
                                                                             zen Frauenbewegung, innerhalb des weißen Mainstream-
                                                                             Feminismus marginalisiert und ausgeschlossen zu werden.
         Diskriminierungskritik als Teil der Profession
                                                                                 Macht darf vor dem Hintergrund der Komplexität von
     Wir dürfen uns als pädagogische Fachkräfte somit nicht zu-              multiplen Zugehörigkeiten nicht dichotom verstanden wer-
     rücklehnen. Stattdessen sollten wir Diskriminierungskri-                den: Wir sind als Personen immer mehrfach sozial positio-
     tik ganz bewusst als grundlegende Perspektive unseres pro-              niert, zum Beispiel weiblich, cis-geschlechtlich, akademisch,
     fessionellen Selbstverständnisses verstehen, um Kinder und              migrantisch, weiß, nicht-behindert, lesbisch usw. und des-
     Jugendliche vor Diskriminierungserfahrungen möglichst zu                halb selten „nur machtstark“ oder „nur machtschwach“. Aus
     schützen. Gleichzeitig ist es im Sinne von demokratischer               dieser Perspektive sind Kinder und Jugendliche, aber auch
     Bildung wichtig, Kinder und Jugendliche dahingehend zu                  Pädagog:innen unterschiedlich verletzungsmächtig und vul-
     stärken, dass sie Diskriminierung erkennen und einen Um-                nerabel. Deshalb sollten wir pädagogisch wahrnehmen, re-
     gang damit entwickeln können. Das gilt unabhängig davon,                flektieren und berücksichtigen, wer über welche Privilegien
     ob Kinder und Jugendliche negativ oder positiv von der je-              verfügt und wer welche Diskriminierungserfahrungen macht.

                                      Zur antirassistischen Begleitung         Diskriminierungskritik und pädagogische Praxis
                                      von Kindern empfehlen Ioanna
                                      Menhard und Mirjam Tutzer ein          Daraus folgen für pädagogische Fachkräfte orientierende,
                                      neues Buch aus dem Verlag Fami-        selbstreflexive und selbstkritische Fragen:
                                      ly Faces „Wie erkläre ich Kindern      • Wen habe ich im Blick und auf welche Weise, wen nicht
                                      Rassismus? Rassismussensible Be-
                                      gleitung und Empowerment von
                                                                             und warum?
                                      klein auf“. Josephine Apraku zeigt     • Welche Konsequenzen haben gesellschaftliche Macht-
                                      dort, was es braucht, „um BIPoC-       und Herrschaftsverhältnisse für die Kinder und Jugendli-
                                      Kinder zu empowern und weiße           chen, mit denen ich arbeite?
                                      Kinder zu sensibilisieren und wie      • Welches Wissen habe ich über Diskriminierungsformen
                                      wir gemeinsam solidarisch gegen        und wo sollte ich mich weiterbilden?
                                      Rassismus vorgehen können“.
                                          Im selben Verlag erschien jetzt    • Wie wirken sich meine sozialen Positionierungen auf mei-
                                      auch das Buch „Mädchen, Junge,         ne Arbeitsbedingungen, meine pädagogische Rolle und in
                                      Kind. Geschlechtersensible Beglei-     den jeweiligen pädagogischen Settings aus?
                                      tung und Empowerment von klein         • Wie kann ich aus einer privilegierten und institutionel-
                                      auf“ von Daniela Thörner. Weite-       len Position heraus Soziale Arbeit und Bildung so konzi-
                                      re Informationen und Bestellmög-       pieren und gestalten, dass diese Ungleichheitsverhältnisse
                                      lichkeit: https://familyfaces.de
                                                                             berücksichtigt werden?
9      HLZ 1–2/2022   zum Inhaltsverzeichnis                                    DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE

                                                                      fern Menschen und Institutionen in privilegierten Struktu-
           Das Konzept des Empowerment-Hauses                         ren nicht bereit sind, Machtpositionen anzufragen, neu aus-
    Das Konzept des Empowerment-Hauses von Nkechi Ma-                 zuhandeln und auch aufzugeben?“ (6)
    dubuko bietet die Möglichkeit, pädagogische Praxis in Be-             Empowerment und Powersharing unter emanzipatorisch-
    zug auf Rassismus zu reflektieren und zu gestalten (3). Sie       pädagogischer Perspektive zusammen zu denken, bedeu-
    zeigt auf den drei Ebenen des Empowerment-Hauses, wie             tet vor allem, die eigene institutionelle Handlungsmacht zu
    pädagogische Fachkräfte je nach eigener Positionierung            fokussieren und konkrete Veränderungen anzustreben. So
    Kinder und Jugendliche rassismuskritisch stärken und un-          können Pädagogik und Soziale Arbeit machtkritische und
    terstützen können:                                                transformative Bildungspraxis gestalten und zu mehr Ge-
    • Die pädagogische Haltungs- und Wissenskompetenz, eine           rechtigkeit beitragen.
    menschenrechtliche, rassismuskritische Haltung und eine                                   Ioanna Menhard und Mirjam Tutzer
    entsprechende Sprache bilden das Fundament. Durch die             Ioanna Menhard ist Diplompädagogin und in der Jugendbildung
    Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden                 und Jugendarbeit als Referentin sowie als Lehrbeauftragte in der
    soll versucht werden, Ungleichheiten auszugleichen. Nur           Hochschullehre tätig. Sie beschäftigt sich theoretisch und praktisch
    ein Wissen über Rassismus und Diskriminierung ermöglicht          mit Fragen einer emanzipatorischen, differenzsensiblen und diskri-
    es, vielfältige Identitäten mitzudenken und mit Erfahrungen       minierungskritischen Sozial- und Bildungsarbeit. Mirjam Tutzer
    und Vorfällen adäquat umzugehen.                                  ist Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt feministischer
    • Die Verhaltenskompetenz bildet die Basis-Ebene: Dazu            postkolonialer Theorie und Rassismuskritik. Sie arbeitet in der po-
    gehören die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Schutz vor         litischen Bildungsarbeit, u.a. als Mitglied von frankfurt postkolonial.
    Diskriminierung, die Reflexion von eigenen Vorurteilen und
                                                                      (1) Maisha Maureen Auma (2019): Vulnerable Jugendliche zwischen
    Stereotypen, die Darstellung verschiedener Lebensrealitäten,
                                                                      Anerkennung und Dehumanisierung. In: Sebastian Seng, Nora War-
    ein sensibler, diskriminierungskritischer Sprachgebrauch, die     rach (Hg.): Rassismuskritische Öffnung. Herausforderungen und Chan-
    Haltung und das Vorleben von Wertschätzung. Pädagogische          cen für die rassismuskritische Öffnung der Jugend(verbands)­arbeit
    Fachkräfte sind Vorbilder und prägen entscheidend, wie Kin-       und Organisationsentwicklung in der Migrationsgesellschaft. IDA
    der und Jugendliche sich selbst wahrnehmen. Eine Umge-            e.V. S. 43.
    bung, in der alle akzeptiert und angenommen werden, wie           (2) Meike Bonefeld, Oliver Dickhäuser (2018): (Biased) Grading of Stu-
    sie sind, und die dies im Verhalten und Umgang miteinan-          dents’ Performance: Students’ Names, Performance Level, and Implicit
    der spiegelt, ist sehr stärkend. Das Ziel ist die Schaffung ei-   Attitudes. In: Frontiers in Psychology, Volume 9, Article 481, S. 1-13.
    nes diskriminierungskritischen Umfelds, von dem alle Kin-         (3) Nkechi Madubuko (2021): Praxishandbuch Empowerment. Ras-
                                                                      sismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen. Beltz
    der und Jugendlichen profitieren.
                                                                      Juventa. S.145 ff.
    • Die Spitze des Hauses bilden Empowerment-Schutzräu-             (4) Gabriele Rosenstreich (2020): Empowerment und Powersharing
    me, sogenannte Safer Spaces. Während die beiden unteren           unter intersektionaler Perspektive. In: Birgit Jagusch, Yasmine Che-
    Ebenen des Empowerment-Hauses von allen pädagogischen             hata (Hg.): Empowerment und Powersharing. Ankerpunkte – Posi-
    Fachkräften unabhängig von ihrer eigenen sozialen Positio-        tionierungen – Arenen. Beltz Juventa, S. 229.
    nierung gestaltet werden, können die Safer Spaces nur von         (5) Nkechi Madubuko: a.a.O, S.130.
    Personen gestaltet werden, die Wissen zu Empowerment und          (6) Yasmine Chehata, Birgit Jagusch (2020): Vortext: „Wenn Wissen
    einen eigenen biografischen Zugang zum Thema mitbringen.          und Diskurs persönlich wird und werden sollte“. In: dieselben (Hg.):
        Madubuko stellt diese drei Ebenen des Empowerment-            Empowerment und Powersharing. Beltz Juventa, S. 9-17.
    Hauses explizit mit dem Fokus auf Rassismus vor und be-
    zieht sich auf das Empowerment von Schwarzen und PoC-                           Unser Seminar bei lea (S8893)
    Kindern und Jugendlichen. Sie lassen sich jedoch auf andere
    Diskriminierungsformen gewinnbringend übertragen, um pä-
                                                                       Kinder und Jugendliche diskriminierungskritisch stärken
                                                                       In der Gesellschaft bestehen Macht- und Ungleichheitsver-
    dagogische Prozesse machtkritisch und mit intersektionalem
                                                                       hältnisse, die sich im Leben von Kindern und Jugendlichen
    Anspruch zu gestalten.
                                                                       widerspiegeln und auch für den pädagogischen Alltag von
                                                                       Bedeutung sind. Im Workshop werden wir die (Aus-)Wir-
               Empowerment und Powersharing                            kungen dieser Macht- und Ungleichheitsverhältnisse in pä-
                                                                       dagogischen Kontexten kritisch in den Blick nehmen. Wir
    Empowerment kann als der Prozess verstanden werden, in
                                                                       werden uns mit relevanten Begriffen und Konzepten für
    dem minorisierte oder machtschwache Personen auf der
                                                                       eine emanzipatorische pädagogische Praxis auseinander-
    Grundlage von Selbstdefinition und Selbstbestimmung zu ei-
                                                                       setzen. Dazu zählen Intersektionalität (Verwobenheit von
    ner Ausweitung ihres Machtzugangs und damit ihrer Hand-
                                                                       sozialen Zugehörigkeiten und Diskriminierungen), Empo-
    lungsspielräume gelangen (4). Empowerment setzt zwar auf
                                                                       werment (Stärkung) und Powersharing (Teilen von Macht).
    der individuellen Erfahrungs- und Gefühlsebene an, hat aber
                                                                       Wir arbeiten mit theoretischen Impulsen, Fallbeispielen und
    das Ziel, die kollektive und politische Dimension dieser Erfah-
                                                                       Übungen aus dem Anti-Bias-Ansatz. Ziel der Veranstaltung
    rungen in den Blick zu nehmen und zu einer „Veränderung
                                                                       ist es, gemeinsam über solidarische und emanzipatorische
    dieser kollektiven Abwertungs- und Ausgrenzungsprozes-
                                                                       pädagogische Handlungsperspektiven nachzudenken und
    se und Sichtbarmachung eigener Ziele als Kollektiv auf ver-
                                                                       konkrete Schritte für die jeweils eigene pädagogische Pra-
    schiedenen sozialen und politischen Ebenen“ beizutragen (5).
                                                                       xis zu entwickeln.
       Yasmine Chehata und Birgit Jagusch verstehen in diesem
                                                                       • Seminarleitung: Mirjam Tutzer und Ioanna Menhard
    Zusammenhang Powersharing als „die andere Seite“ des Em-
                                                                       • Ort und Zeit: Online-Seminar, 28.2.2022, 9-16 Uhr
    powerments: „Was nützt das Empowerment von Individuen,
                                                                       • Informationen und Anmeldung: 
    wenn die Kraft der Veränderung individualisiert wird? Was
                                                                           www.lea-bildung.de >Suche: S8893
    nützt die Ermächtigung von Gruppen und Communities, so-
TITELTHEMA                                                                              zum Inhaltsverzeichnis       HLZ 1–2/2022      10

                     Recht auf Bildung und Partizipation
                     Zur Bildungssituation von Sinti und Roma in Deutschland
     „Ich wurde in der Schule fast nicht wahrgenommen. Ich bin           Das mehrgliedrige Schulsystem stellt bereits frühzeitig
     in die Schule gekommen und konnte lesen und schreiben.          die Weichen für die weiteren Bildungs- und Arbeitsmarkt-
     Aber die Frau hat mich so ignoriert, ich wusste nicht einmal,   zugänge, die hohe Selektivität und die geringen Chancen für
     was plus und minus ist“, erzählt Verena im Interview mit dem    Bildungsaufstiege stehen seit langem in der Kritik. Wer im
     Hessischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma über          deutschen Bildungssystem nicht auf familiäre Ressourcen wie
     ihre Schulzeit. Und die junge Joane berichtet: „Ich wurde       eine gute Ausbildung der Eltern zurückgreifen kann, hat es
     schon in der ersten Klasse als ‚Scheiß Zigeuner‘ beleidigt.“    statistisch nachgewiesenermaßen selbst schwerer, Bildungs-
         Seit 2018 sind die Kinderrechte und damit das Recht auf     erfolge zu erzielen. An dieser Stelle machen sich im Falle
     Bildung in der Hessischen Landesverfassung verankert. Die       der Angehörigen der Minderheit auch die Nachwirkungen
     Aufnahme ins Grundgesetz ist in diesem Jahr erneut geschei-     der NS-Verfolgung und des jahrhundertelangen Bildungs-
     tert. Joanes und Verenas Erzählungen machen deutlich, dass      ausschlusses bis heute bemerkbar.
     das Recht auf Zugang zu Schule allein nicht zwangsweise             In der Zeit des Nationalsozialismus wurde eine ganze Ge-
     gleichberechtigte Bildungschancen ermöglicht.                   neration von Sinti und Roma vom Schulbesuch und damit
                                                                     von einer formalen Schulbildung ausgeschlossen. Ab Ende
                                                                     der 1930er Jahre konnten Sinti des Unterrichtes verwiesen
                   Faktoren des Ausschlusses
                                                                     werden und seit 1941 waren sie komplett vom Schulunter-
     Die aktuelle RomnoKher-Studie „Ungleiche Teilhabe“ zur          richt ausgeschlossen. Die meisten Sinti und Roma wurden
     Lage der Sinti und Roma in Deutschland zeigt, dass sich die     danach mit ihren Familien in Konzentrationslager depor-
     Bildungssituation für Sinti und Roma gegenüber der Erhe-        tiert. Dieser historische Bildungsausschluss zusammen mit
     bung von 2011 deutlich verbessert hat, auch im generationa-     einer hohen Traumatisierung der Überlebenden hat zur Fol-
     len Vergleich. In Relation zur Mehrheitsgesellschaft wird die   ge, dass sich die intergenerationale Weitergabe und schuli-
     Benachteiligung aber nach wie vor deutlich. Während in der      sche Unterstützung in vielen Familien als strukturelle Her-
     Altersgruppe der 26- bis 50-Jährigen 23,9 % keinen Schulab-     ausforderung darstellt.
     schluss erwerben konnten, betrug dieser Wert in der Kohorte         Gleichzeitig wird es sowohl Sinti- als auch Roma-Fami-
     der 18- bis 25-Jährigen lediglich noch 14,9 %. Das sind aber    lien unabhängig von ihrer konkreten Situation häufig pau-
     weiterhin mehr als doppelt so viele wie in der Gesamtbevöl-     schal nicht zugetraut, ihre Kinder ausreichend unterstützen
     kerung. Der Anteil der Förderschüler:innen sank von 10,4 %      zu können, was immer wieder auch als Grund gegen eine
     auf 5,9 % und der Anteil der Befragten, die ein Gymnasi-        Gymnasialempfehlung genannt wird. Aus diesen frühen Ein-
     um besuchten, stieg von 7,7 % auf 15,6 %. Zum Vergleich:        gruppierungen in Schulsysteme und dem fehlenden Zutrauen
     Im bundesdeutschen Durchschnitt besuchen 40 % eines Al-         kommen die Jugendlichen später nur schwer wieder heraus.
     tersjahrgangs ein Gymnasium. Als ein weiteres Zeichen die-          Eine weitere große Bildungshürde stellt der gesellschaft-
     ser positiven Entwicklung deuten wir die Gründung des Stu-      lich nach wie vor stark verankerte Antiziganismus dar. In
     dierendenverbands Deutscher Sinti und Roma Anfang 2021.         der RomnoKher-Studie berichten über 60 % der Befragten
                                                                     von Diskriminierungserfahrungen im Kontext Schule, 53,8%
                                                                     gaben an, dass es dabei auch zu Gewalt gekommen sei. Sie
                           RomnoKher-Studie 2021:                    werden „aufgrund ihres ethnischen Hintergrundes als Sinti
                           Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti    oder Roma beleidigt“ oder angefeindet, wobei die Diskrimi-
                           und Roma in Deutschland. Herausge-        nierung zumeist von Mitschüler:innen ausgeht, doch schon
                           geben von Daniel Strauß. Mannheim:        an zweiter Stelle stehen die Lehrkräfte. 19,2 % der Befrag-
                           RomnoKher 2021                            ten nehmen vor diesem Hintergrund die Schule teilweise als
                              Der Band enthält Beitrage zum          „feindlichen Ort“ wahr.
                           Thema Antiziganismus und Bildungs-
                           geschichte, zu Strategien zur Verbes-
                           serung der Bildungssituation, zur Bil-            Bildung als Recht auf Empowerment
                           dungssituation von Sinti und Roma im      Auch die Sozialberatung des Landesverbandes der Sinti und
                           internationalen Vergleich und zur Ar-     Roma in Hessen kennt viele Fälle, die diese Ergebnisse bestä-
                           beit der Hildegard Lagrenne Stiftung.     tigen. Immer wieder werden uns Erfahrungen von Eltern und
                              Das Titelbild zeigt einen Blick in     ihrer Kinder geschildert, wonach antiziganistische Vorurtei-
                           das Kulturhaus RomnoKher in Mann-         le und Ressentiments dazu führen, dass eine vertrauensvolle
                           heim. Es befindet sich in den Räumen      und konstruktive Zusammenarbeit erschwert bis verunmög-
                           des Landesverbands Baden-Württem-         licht wird. Nicht zuletzt ist es oftmals das fehlende kritische
                           berg des Verbands Deutscher Sinti         Bewusstsein der Schule als einer machtvollen Institution,
                           und Roma. Das RomnoKher ist Ort           das verhindert, dass Schüler:innen erfolgreich und angstfrei
                           für Kulturveranstaltungen, Vorträge,      an Bildung partizipieren können. Das gilt umso mehr, wenn
                           Ausstellungen und Begegnung.              Schule selbst der Ort von Antiziganismus ist.
11      HLZ 1–2/2022   zum Inhaltsverzeichnis                                       DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE

         Für eine Verbesserung dieser Situation ist es von Bedeu-
     tung, dass Bildungsinstitutionen Diskriminierung als alltägli-
     che Struktur begreifen, die sich in alltäglichem Handeln und
     unterbewussten Praxen ausdrücken kann. Für den eigenen
     Anspruch, eine „Schule ohne (oder mit weniger) Rassismus“ zu
     sein, sind sensibilisierende Workshops lediglich ein Anfang.
         Viel wichtiger ist eine umfassende Sensibilität für diskri-
     minierende Strukturen und eine Offenheit, sich der eigenen
     (unbewussten) Involviertheit als Institution oder Einzelper-
     son anzunehmen. Hierzu müssten die Themen Antiziganis-
     mus und Diskriminierung auch stärker in die Aus- und Fort-
     bildung von Lehrkräften integriert werden.

               Bildungsbiografien sichtbar machen
     Genauso notwendig ist es, die Minderheit zu fördern und er-           Rinaldo Strauß, Geschäftsführer des Landesverbands der Sinti und
     folgreiche Bildungsbiographien der Minderheit sichtbar zu             Roma, präsentierte die Ausstellung „Der Weg der Sinti und Roma“
     machen. Hierbei sind die 2011 aus der Minderheit heraus ge-           im Rahmen der Eberstädter Schulprojekttage. Unter Corona-Bedin-
                                                                           gungen entstand auch eine Online-Version: In einem fünfminütigen
     gründete Hildegard Lagrenne Stiftung oder auch der 2021
                                                                           Video erhält man einen Überblick über die Geschichte der Sinti und
     gegründete Studierendenverband von Sinti und Roma posi-               Roma in Deutschland, über Diskriminierung und Verfolgung, aber
     tiv hervorzuheben.                                                    auch über die beginnende Anerkennung als nationale Minderheit
         Bundesländer wie Baden-Württemberg und Schleswig-                 (https://sinti-roma-hessen.de/2021/01/neue-onlineausstellung). Die
     Holstein besitzen zudem gute Erfahrungen mit sogenannten              Ausstellung kann auch beim Landesverband ausgeliehen werden.
     „Bildungsberater:innen“, die aus der Minderheit kommen und
     mit ihren (eigenen) Bildungsbiographien als Vorbilder für die           response. Beratung für Betroffene von rechter,
     Jugendlichen wirken, diese unterstützen und gleichzeitig eine
     vermittelnde Rolle zwischen den Schüler:innen, ihren Famili-               rassistischer und antisemitischer Gewalt
     en und der Schule übernehmen. Es wäre sinnvoll, solche Pro-           response. ist ein Angebot der Bildungsstätte Anne Frank
     jekte bundesweit auszubauen.                                          zur Unterstützung von Menschen, die von rechtsextremer,
         „Die Förderung von Nichtdiskriminierung, Partizipation,           rassistischer, antisemitischer, antimuslimischer oder antizi-
     Empowerment und Solidarität sind elementare Bestandteile              ganistischer Gewalt betroffen sind. Dabei ist es unwichtig,
     der Menschenrechtsbildung“, heißt es in einer Erklärung des           ob eine Anzeige erstattet wurde und die Vorfälle strafrecht-
     Instituts für Menschenrechte. Auch die UNO versteht Bildung           lich verfolgt werden oder nicht. response. berät unabhängig,
     als ein Recht auf „Empowerment“, das den Beteiligten die              vertraulich, kostenfrei und auf Wunsch anonym.
     Möglichkeit gibt, an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
                                                                           „Unter Gewalt verstehen wir: Beleidigung und Beschimp-
     Prozessen gleichberechtigt teilzunehmen. Die Verbesserung             fung, Stigmatisierung, Bedrohungen, Körperverletzung, Sach-
     der gesellschaftlichen Situation von Sinti und Roma ist somit         beschädigung und andere Erfahrungen, die als gewalttätig er-
     untrennbar an eine gleichberechtigtere Bildungsteilhabe ge-           lebt werden.“
     knüpft. Hier gibt es bereits wichtige Ansätze, dennoch müs-           Das Team von response. informiert und vermittelt, es unter-
     sen die bestehenden Konzepte zur Förderung der Minderheit             stützt Angehörige und Freund:innen von Betroffenen und
     einerseits und solche zur (selbst)kritischen Auseinanderset-          vernetzt Menschen, die sich solidarisieren und die Perspek-
     zung mit Antiziganismus in Bildungsinstitutionen und Gesell-          tiven von Betroffenen ernst nehmen.
     schaft andererseits ausgebaut und institutionalisiert werden.         • im Internet: response-hessen.de, Tel. 069-56000-241
     Ina Hammel, Christine Kone, Dr. Katharina Rhein                       • E-Mail: kontakt@response-hessen.de
     Ina Hammel (Foto links), Dr. Katharina Rhein (Foto rechts) und
     Christine Kone (ohne Bild) sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen                 Unser Seminar bei lea (D8912)
     des Hessischen Landesverbands Deutscher Sinti und Roma. Der Ver-
     band wurde in den 1980er Jahre als Selbsthilfeorganisation gegrün-      Antiziganismus - Ein Thema für Schule und Unterricht
     det, die sich für die Verbesserung der Situation von Sinti und Roma   Als Beschimpfung auf dem Schulhof, in Social Media oder
     in Hessen und für eine Aufklärung über das Thema Antiziganismus       als Thema im Schulalltag spielt Antiziganismus immer wie-
     einsetzt. Christine Kone leitet die Sozialberatung, Ina Hammel ist    der eine Rolle. Doch was ist Antiziganismus? Welche Rol-
     schwerpunktmäßig für die politische Bildungsarbeit zuständig und
                                                                           le spielt er in der Geschichte der Sinti und Roma? Welche
     Dr. Katharina Rhein für die politische Beratung des Verbands. Alle
     drei lehren auch an hessischen Hochschulen.
                                                                           Auswirkungen hat er bis heute auch auf die Bildungssitu-
                                                                           ation von Sinti und Roma? Solchen und ähnlichen Fragen
     • Weitere Informationen über die Bildungsarbeit des Verbands,         gehen wir mit Vorträgen, Filmen und Übungen nach. Die
     über Ausstellungen und die Kooperation mit Schulen findet man         Fortbildung gibt Anregungen für den Unterricht und be-
     auf der Internetseite https://sinti-roma-hessen.de.                   fasst sich anhand von Fallbeispielen damit, wie man mit
                                                                           Antiziganismus an Schulen umgehen kann.
     Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung aus dem Blog des       • Leitung: Ina Hammel, Dr. Katharina Rhein
     gemeinnützigen Vereins Makista übernommen, der sich seit 2000         • Ort und Zeit: Frankfurt, 24.3.2022, 10-17 Uhr
     für die Verwirklichung der Kinderrechte in Schulen und anderen        • Informationen und Anmeldung: 
     Bildungseinrichtungen einsetzt. Weitere Informationen: https://
                                                                               www.lea-bildung.de>Suche: D8912
     www.makista.de
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