Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 - Demokratie und Menschenrechte - GEW Hessen
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Zeitschrift der Hessen für Erziehung, Bildung, Forschung 75. Jahr Heft 1/2 Jan./Feb.2022 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA: Demokratie und Menschenrechte
IN DIESER HLZ HLZ 1–2/2022 2 Zeitschrift der GEW Hessen Steuererklärung 2021 für Erziehung, Bildung, Forschung ISSN 0935-0489 Alle Jahre wieder steht sie an: die Steuererklärung. Die Beiträge für die I M P R E S S U M Mitgliedschaft in der GEW können Herausgeber: steuerlich abgesetzt werden. Auch Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wenn inzwischen keine Belege mehr Landesverband Hessen beigefügt werden müssen, möchte Zimmerweg 12 60325 Frankfurt/Main man die Höhe der Beiträge wissen und Telefon (0 69) 971 2930 einen Beleg für eine mögliche Nach- Fax (0 69) 97 12 93 93 frage des Finanzamts haben. E-Mail: info@gew-hessen.de Die Würde des Menschen Die GEW hat dazu folgende Mög- Homepage: www.gew-hessen.de lichkeiten eingerichtet: Verantwortlicher Redakteur: Das Wandrelief mit dem Zitat aus Arti- Harald Freiling kel 1 des Grundgesetzes wurde auf In- 1.) Kontoauszug Klingenberger Str. 13 itiative von Fritz Bauer, von 1956 bis Dem ersten Einzug des Mitgliedsbei- 60599 Frankfurt am Main Telefon (0 69) 636269 zu seinem Tod 1968 Generalstaatsan- trags im Jahr 2022, frühestens aber E-Mail: freiling.hlz@t-online.de walt in Hessen, an der Fassade des Ge- im Februar 2022, ist der im Jahr 2021 Mitarbeit: richtsgebäudes in Frankfurt in der Kurt- entrichtete Mitgliedsbeitrag zu ent- Christoph Baumann (Bildung), Simone Claar (Hoch- Schumacher-Straße angebracht. Fritz nehmen. schule), Stefan Edelmann (Bildung), Andrea Gergen Bauer initiierte maßgeblich die Frank- (Aus- und Fortbildung), Michael Köditz (Sozialpäd- furter Auschwitz-Prozesse zur juristi- 2.) Mitgliederbereich auf www.gew.de agogik), Annette Loycke (Recht), Dana Lüddemann Die Jahresbeitragsbescheinigung kann (Gewerkschaftliche Bildung), René Scheppler (Digitali- schen Aufarbeitung des Holocaust. sierung), Andreas Werther (Sozialpädagogische Berufe), Im Rahmen von Renovierungsarbei- man online im Mitgliederbereich der Peter Zeichner (Mitbestimmung) ten wurde die Inschrift im Juni 1980 GEW-Homepage abrufen: Dazu geht Gestaltung: Harald Knöfel, Michael Heckert † vorübergehend abmontiert, wobei dem man auf die Seite www.gew.de und klickt rechts oben im grauen Balken Titelthema: Harald Freiling in Zusammenarbeit mit Gerichtsgebäude die „Würde“ abhanden lea bildungsgesellschaft kam, die – so der Bericht der Frankfur- „Meine GEW“ und dann „Mitglieder- bereich“ an. Dort kann man sich unter Illustrationen: ter Rundschau – von unbekannten jun- Ruth Ullenboom (S. 4), Thomas Plaßmann (S. 25) gen Männern am helllichten Tag auf „Meine GEW“ registrieren und die dort Fotos, soweit nicht angegeben: dem Fahrrad entführt wurde. Auf einem aufgelisteten Felder ausfüllen. Die ge- Harald Freiling (Titel) Flugblatt stellten die Täter unter ande- forderte Mitgliedsnummer kann man Verlag: rem die Forderung nach „Einführung dem Adressaufkleber auf jeder E & W, Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH der Menschenrechte für alle“. Ohne Er- einem Kontoauszug oder dem 2019 Niederstedter Weg 5 füllung dieser Forderungen wurde die letztmals verschickten Mitgliedsaus- 61348 Bad Homburg „Würde“ nach einigen Wochen „leicht weis entnehmen. Einmal registriert Anzeigenverwaltung: ramponiert in einem nahegelegenen kommt man mit einem selbst gewähl- Mensch und Leben Verlagsgesellschaft mbH Peter Vollrath-Kühne Baggersee“ wiedergefunden. ten Namen und einem Passwort in den Postfach 19 44 Mit der Verfassungsrealität, den Mitgliedsbereich und findet dort das 61289 Bad Homburg vielfältigen Formen von Diskriminie- rote Quadrat „Beitragsbescheinigung“. Telefon (06172) 95 83-0, Fax: (06172) 9583-21 E-Mail: mlverlag@wsth.de rung, Ausgrenzung und Missachtung Die Beitragsbescheinigung für 2021 ist ab Februar 2022 verfügbar. Erfüllungsort und Gerichtsstand: der Menschenwürde, aber auch mit den Bad Homburg Handlungsmöglichkeiten von Pädago- Von Einzelanfragen bei unserer Mitgliederverwaltung bitten wir ab- Bezugspreis: ginnen und Pädagogen befassen sich Jahresabonnement 12,90 Euro (9 Ausgaben, ein- die Beiträge im Titelthema dieser HLZ. zusehen. schließlich Porto); Einzelheft 1,50 Euro. Die Kosten sind für die Mitglieder der GEW Hessen im Beitrag enthalten. Rubriken Einzelbeiträge Aus dem Inhalt Zuschriften: 4 Spot(t)light 6 Haushaltsgespräche im Landtag Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Bilder 5 Meldungen 23 Hochschule: Kodex für gute Arbeit wird keine Haftung übernommen. Im Falle einer Ver- öffentlichung behält sich die Redaktion Kürzungen 18 Briefe 24 Kleine Klasssen – große Wirkung vor. Namentlich gekennzeichnete Beiträge müssen 34 Recht: Besoldung und Beamtenrecht 26 Vor 50 Jahren: Radikalenerlass, nicht mit der Meinung der GEW oder der Redaktion 36 Magazin | Nachrufe Schnüffeleien und Berufsverbote übereinstimmen. 38 Jubilarinnen und Jubilare 28 Tarifverhandlungen: Aufwertung im Sozial- und Erziehungsdienst Redaktionsschluss: Titelthema: Bildung für Demokratie 29 Betriebsratswahlen beginnen Jeweils am 5. des Vormonats und Menschenrechte 30 Ferientermine in Hessen: Wo ist 7 Bündnis Demokratiebildung die zweite Woche der Herbstferien? Nachdruck: 8 Diskriminierungskritik und Bildung 31 Rat der Wirtschaftsweisen: Fotomechanische Wiedergabe, sonstige Vervielfälti- 10 Sinti und Roma in Deutschland Im Gespräch mit Achim Truger gungen sowie Übersetzungen des Text- und Anzei- 12 Antisemitismus in Schulen genteils, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher 32 Kolonialismus: Im Gespräch mit Genehmigung der Redaktion und des Verlages. 14 Geschlechtliche Vielfalt: Bernd Heyl und Wolfgang Geiger trans*, inter*, nicht-binär Druck: Druck- und Verlagshaus Thiele & Schwarz GmbH 16 Parolen: Nicht nur am Stammtisch 19 - 22 Fortbildungsangebote von lea Werner-Heisenberg-Str. 7, 34123 Kassel
3 HLZ 1–2/2022 zum Inhaltsverzeichnis KOMMENTAR Vielfalt in Hessen „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So lau- tiggestellt (HLZ S.14). Ende Oktober hat sich die AG tet der erste Satz des Grundgesetzes, der zunächst auf einer Klausur mit dem bisher Erreichten befasst einmal den Staat, aber letztlich uns alle in einer de- und allem, was noch zu tun ist. Hier war zu spüren, mokratischen Gesellschaft verpflichtet, die Achtung was unsere Gruppe mit ihren Arbeitssitzungen und dieser Würde zu fordern und zu fördern. Die Viel- gemütlichen Stammtischen für die Mitglieder bedeu- falt der Religionen und Sprachen, der Herkunft und tet: Sie ist das gemeinsame Rückgrat, ein Ort für Em- der Hautfarben, der sexuellen Orientierung und der powerment und für den Blick über den Tellerrand. Geschlechter, der unterschiedlichen Fähigkeiten und Sie ist die Kraftquelle, um politische Wirksamkeit zu Bedürfnisse bietet eine Bereicherung im Zusammen- entfalten und Vielfalt sichtbar zu machen. leben und fordert uns gleichzeitig immer wieder dazu Dabei haben wir uns auch entschieden, der AG auf, das Andere im Gegenüber kennenzulernen, zu einen neuen Namen zu geben. Aus der AG LesBi- akzeptieren und zu respektieren. Schwule Lehrer_innen in Hessen wurde die AG Quee- Nach unserem Verständnis braucht Bildung in re Vielfalt in der GEW Hessen. Der Begriff „Queer“ Kindertagesstätten und Schulen diskriminierungs- umfasst alle Menschen, die ihre sexuelle oder/und ge- sensible Räume, die die Menschen auf ihrem eigenen schlechtliche Identität als außerhalb der gesellschaft- Weg einer angst- und diskriminierungsfreien Entfal- lichen Norm definieren, und ist nicht mehr auf die tung ihrer Persönlichkeit begleiten und stärken. Still- sexuelle Orientierung beschränkt. Außerdem wollen stand und Rückschritte, Hürden und Fortschritte, ne- wir mit dem neuen Namen zum Ausdruck bringen, gative Erfahrungen und ermutigende Beispiele sind dass wir für alle Professionen im Organisationsbe- das Schwerpunktthema dieser HLZ, die die Vielfalt reich der GEW offen sind, nicht nur für Lehrkräfte. unserer Gesellschaft aus unterschiedlichen Perspek- Als Arbeitsgemeinschaft und Teil der GEW Hessen tiven beleuchtet. An diesem Austausch beteiligt sich wollen wir die Vielfalt in der hessischen Bildungs- die AG LesBiSchwule Lehrer_innen in der GEW Hes- landschaft weiter sichtbar und wirksam werden las- sen bereits seit über zehn Jahren. sen. Für uns ist diese Arbeit aber nicht nur Aufga- Gerne hätten wir im letzten Jahr unser zehnjäh- be einer AG, sondern der gesamten hessischen GEW. riges Bestehen gefeiert. Durch die Coronasituation Deshalb laden wir alle interessierten GEW-Mitglie- war das leider (noch) nicht möglich. Dennoch hat der und andere Interessierte ein, sich an Aktionen zu sich in den letzten zehn Jahren vieles getan. Viel- beteiligen und aktiv gegen Diskriminierung vorzuge- falt ist auch in Schule und Bildung sichtbarer ge- hen. Mehr über queere Vielfalt und unsere AG ist in worden. Dazu haben unter anderem ein neuer Lehr- dieser HLZ auf den Seiten 14 und 15 nachzulesen... plan zur Sexualerziehung und auch der Hessische Herbert Graf, Mareike Klauenflügel, Heiko Rohde Aktionsplan für Akzeptanz und Vielfalt beigetragen. für die AG Queere Vielfalt in der GEW Hessen Auch an Hochschulen und Studienseminaren gibt es inzwischen Ansprechpersonen für sexuelle und ge- schlechtliche Vielfalt. Aktuell beteiligen wir uns an der Überarbeitung des Hessischen Aktionsplans in den Community-Fo- ren der hessischen Landesregierung. Wir organisieren Workshops an Schulen und Studienseminaren und für gewerkschaftliche Veranstaltungen. Gemeinsam mit anderen Landesverbänden der GEW haben wir gerade die Broschüre „trans*, inter*, nicht-binär“ fer- Auf der Klausurtagung der AG Queere Vielfalt in der GEW Hessen (von links nach rechts): Annalena Kalugina, Con- stantin Mousavi-Malvani, Tina Breidenich, Heiko Roh- de, Mareike Klauenflügel, Herbert Graf, Frank Engelhardt Foto: privat
SPOT(T)LIGHT zum Inhaltsverzeichnis HLZ 1–2/2022 4 Lebensfreude durch Whatsapp nioren, sind die Emojis. Das sind kleine Gesichter und Symbole, die deine Ge- fühle unterstreichen.) Aus reiner Not lerne ich schnell, wie Zum zweiten Mal stehe ich vor ver- hin habe ich mir (selbstständig!) einen man den Piepton bei neu eingehen- schlossenen Türen. Der Tanzunterricht schönen Klingelton ausgesucht: Ku- den Mitteilungen ausstellt. Am nächs- fällt aus. Warum informiert mich nie- ckucksrufe und Vogelgezwitscher. ten Morgen finde ich acht ungelesene mand? Der Kursleiter tut erstaunt: „Bist „Jetzt brauchst du aber auch Whats- Nachrichten, unter anderem verkün- du denn nicht in unserer Whatsapp- app“, erklären zwei Freundinnen. Mir det Günter gegen 5.30 Uhr: „Ich bin Gruppe? Da wird doch so was mitge- würden ohne diesen Messenger so viele wach!“, und die Chefin schreibt, dass teilt. Wie jetzt, du hast kein Smart- Dinge entgehen. (Pro Tag werden über der Ausflugsbus eine halbe Stunde frü- phone???“ Selber schuld, grinsen die Whatsapp 55 Milliarden Nachrichten her losfährt. Ich schaffe es nicht mehr anderen Kursteilnehmerinnen. Sie be- verschickt, eine Milliarde Videos und zum Frühstück. Im Bus will ich die an- grüßen sich per Whatsapp jeden Mor- 4,5 Milliarden Fotos.) Die Freundinnen deren nach ein wenig Trockenbrot fra- gen mit frommen Wünschen. (Täglich spielen an meinem Smartphone rum, gen und entdecke nun selbst die Welt nutzen weltweit eine Milliarde Men- ich muss jetzt nur noch auf „Zustim- der Emojis und Piktogramme. schen Whatsapp.) men“ drücken. Ich zögere. Monatelang. Die Schriftsprache, die ich Fossil für Mir reicht aber mein altes Handy Bis ich auf diese Gruppenreise ins eine Grundlage von Bildung hielt, ist völlig. Mehr als hin und wieder tele- entfernte Ausland gehe. Die Chefin völlig überflüssig! Es gibt alles in Bild- fonieren will ich damit gar nicht. Aber möchte ihre Schäfchen bei Whatsapp form: Obst, Gemüse, Tiere, Sportarten, meine Bank zwingt mich quasi zur An- zusammenfassen, damit wichtige In- Gesichter, Gesten, Herzen, Tränen. Ich schaffung eines Smartphones. Nur so formationen sofort bei allen landen. schicke fünf Zwiebäcke mit Fragezei- erhalte ich ab sofort Bestätigungs-Pins, Das sehe selbst ich als sinnvoll an und chen in den Bus. Sofort landen zwei wenn ich mit meiner Kreditkarte das In- lasse mich in die Gruppe „Wenn Engel reale Äpfel und eine analoge Stulle bei ternet aufkaufe. Ich fühle mich genötigt reisen“ einladen. Mein Gerät piept nun mir. Ich bekomme von der Landschaft und beschwere mich. Aber die Bank- im Sekundentakt, vor allem am späten gar nichts mit, weil ich verzückt Bilder- mitarbeiterin reagiert ganz kühl: Auf Abend. Immer dann, wenn neue Nach- rätsel für meine Heimatkontakte kre- Dauer könne man sich dem Fortschritt richten eingehen. Nicht nur die Chefin ieren muss. Eine Freundin erhält fünf nicht verweigern. informiert über Planänderungen, auch Tomaten, zwei Elefanten, einen Lind- Mein Neffe geht mit mir ein Smart- viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurm und einen Lastwagen. Mal se- phone kaufen. Er richtet das Gerät so tauschen sich aus. „Ich gehe jetzt schla- hen, ob sie das Rätsel lösen kann. (Das ein, dass ich (theoretisch) damit umge- fen, bin müde. Küsschen. Gerda.“ Dazu Leben ohne Whatsapp macht einsam! hen kann. Vor allem stellt er die Schrift ein gähnendes Emoji, das die Ärmchen Mit Whatsapp fühlt man sich gebor- groß und verringert die Zahl der Icons. in die Luft streckt. „Gute Nacht, Gerda. gen und geschätzt.) Bald beherrsche ich die Funktionen Ta- Schlaf schön!“, antwortet Sandra und Wie in Trance schalte ich im Bus alle schenlampe und Wecker! Das mit der sendet ein paar kleine Schäfchen und fünf Minuten mein Smartphone ein, um Bestätigungs-Pin für meine Kreditkar- Wolken. „Morgen ist ein neuer Tag!“, nachzusehen, ob wer geantwortet hat. te klappt beim nächsten Einkauf leider fügt Karin hinzu. Worauf Iris schreibt: Die Reiseleiterin steht ungeduldig ne- nicht. Und auch die ersten Telefonver- „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ ben mir, als ich gerade dabei bin, ihr suche laufen ins Leere. Man muss wi- Und Annerose teilt umgehend mit: „Der eine Nachricht zu senden. Die anderen schen, nicht wild auf dem Gerät rum- frühe Vogel kann mich mal.“ Ihr Emo- besichtigen antike Trümmer, und ich tippen. Ich hinterlasse etliche irritierte ji streckt die Zunge raus. (Das wohl schicke meinem Bruder übers Smart- Anrufer, ehe ich das begreife. Immer- Schönste an WhatsApp, auch für Se- phone ein paar Säulen und griechische Götter. Und ein hübsches Selfie. Sorry, muss aufhören, meine Grup- pe „Lebensfreude durch Whatsapp“ ist online! Habe meine Statusmeldung, wo ich bin und wie ich mich fühle, heute noch nicht durchgegeben! Endlich habe ich begriffen, dass „Medienkompetenz“ wichtiger ist als altmodische „Bildung“! Gabriele Frydrych Da das eine Glosse und keine „Doktorinnenar- beit“ ist, habe ich mir beim Recherchieren im Internet die Quellen für die kursiv geschrie- benen Passagen nicht notiert. Aber wer will, findet sie und erhält weitere wichtige Informa- tionen über Whatsapp und Co. Vor allem weise Sprüche für jede Gelegenheit – z.B.: „Wenn dich dein Leben nervt, streu Glitzer drauf!“
5 HLZ 1–2/2022 zum Inhaltsverzeichnis MELDUNGEN Tarifrunde im Sozial- und Delegiertenkonferenz des Erziehungsdienst DGB Hessen-Thüringen Die Gewerkschaften des öffentlichen Am 4. Dezember 2021 berieten die 100 Dienstes haben wesentliche Elemente Delegierten der acht DGB-Gewerk- des Tarifvertrags für die Beschäftigten schaften aus Hessen und Thüringen in im Sozial- und Erziehungsdienst der Bad Hersfeld und in digitaler Zuschal- Kommunen zum 31. 12. 2021 gekün- tung über Personalfragen und politi- digt. Die im März 2020 abgebroche- sche Weichenstellungen für die kom- ne Tarifrunde geht jetzt in die nächste menden vier Jahre. Simone Claar war Runde. Die Beschäftigten aus Kitas und für die GEW Hessen Mitglied im Ta- im Ganztag, aus der Sozialarbeit und gungspräsidium, Birgit Koch Mitglied Behindertenhilfe kämpfen für bessere der Antragskommission. Gast der 6. Or- Michael Rudolph wurde als Vorsitzender Arbeitsbedingungen und die Aufwer- dentlichen Bezirkskonferenz war unter des DGB Hessen-Thüringen wiedergewählt, tung des Sozial- und Erziehungsdiensts. anderem der DGB-Vorsitzende Reiner Renate Sternatz, bisher Leiterin des Fach- • Weitere Infos: HLZ Seite 28. Hoffmann. Michael Rudolph (44) aus bereichs Gemeinden der ver.di-Bundesver- Kassel wurde als Vorsitzender nahe- waltung, wurde als Stellvertreterin gewählt. Betriebsratswahl in der Zeit zu einstimmig wiedergewählt. Renate Ihr Vorgänger Sandro Witt, der nicht mehr vom 1. März bis 31. Mai Sternatz (58) aus Thüringen wurde als zur Wahl antrat, wurde mit großem Applaus stellvertretende Vorsitzende gewählt. verabschiedet. (Foto: DGB/M.Sehmisch) In der Zeit vom 1. März bis zum 31. Mai 2022 finden die im Abstand von vier Tarifeinigung auch für GEW und LEB: Konsequent Jahren durchzuführenden Betriebsrats- wahlen statt. Die GEW unterstützt die die Goethe-Universität handeln in der Pandemie Kolleginnen und Kollegen, die in den Die Tarifkommission und der Landes- In nachdrücklichen Appellen setzten Wahlvorständen mitarbeiten, die eine vorstand der GEW haben nach den Ei- sich die GEW Hessen sowie hessische Kandidatur erwägen, erneut zur Wahl nigungen im Bereich des TV-H und Elternbeiräte angesichts der zugespitz- antreten oder die in ihrem Betrieb ei- der Technischen Universität Darmstadt ten pandemischen Lage und der zu- nen Betriebsrat neu gründen wollen. (HLZ 12/2021) auch der Tarifeinigung nehmenden Zahl an Corona-Infektio- • Weitere Infos: HLZ Seite 29 mit der Goethe-Universität Frankfurt nen in Kitas, Schulen und Hochschulen Beamtenbesoldung in als selbstständiger Stiftungsuniversität Mitte November für ein konsequentes vom 15. Oktober 2021 zugestimmt. Sie Handeln der Landesregierung ein. Um Hessen verfassungswidrig stimmt in allen wesentlichen Punkten die Bildungseinrichtungen offenhalten Am 30.11. 2021 hat der Hessische Ver- bei Sonderzahlungen und Tariferhö- zu können, seien höhere Schutzvorkeh- waltungsgerichtshof festgestellt, dass hungen mit der landesweiten Tarifeini- rungen unerlässlich, erklärte der GEW- die Besoldung der Beamtinnen und Be- gung überein. Parallel zu den Gesprä- Vorsitzende Thilo Hartmann. Dazu amten in Hessen verfassungswidrig ist, chen auf Landesebene soll im Herbst gehörten kleinere Klassen, eine kon- da der notwendige Abstand der unteren 2022 auch an der Goethe-Universität sequente Teststrategie, Luftfiltergeräte Besoldungsgruppen zum Sozialhilfeni- über die Befristungspraxis verhandelt in Kitas und Klassenräumen und end- veau nicht gegeben ist. Die zu geringe werden. lich auch „hochwertige FFP2-Masken, hessische Besoldung resultiert unter an- die speziell für Kinder geeignet sind“. derem aus einer Nullrunde im Jahr 2015 Für alle Pädagoginnen und Pädagogen und einer nur einprozentigen Erhöhung Nullmonate für Pensionäre müsse es ein schnelles, vorrangiges An- der Bezüge im Jahr 2016. Die GEW hatte und Pensionärinnen gebot für Booster-Impfungen geben. 2015 auch Beamtinnen und Beamte zum Auch der Landeselternbeirat (LEB) Streik aufgerufen (HLZ S.35). Da die Versorgungsempfängerinnen und die Kreis- und Stadtelternbeiräte und Versorgungsempfänger in Hessen sprachen sich dafür aus, den Präsenz- Tarifrunde: Hessen und anders als die aktiven Beamtinnen und unterricht aufrecht zu erhalten. Einer die anderen Bundesländer Beamten keine Corona-Sonderzahlun- „schleichenden Durchseuchung“ erteil- gen erhalten, steht ihnen bis zur Erhö- ten die Elternbeiräte eine Absage, da es Der Tarifabschluss für die Beschäftigten hung der Versorgungsbezüge am 1.8. noch keine belastbaren Langzeitstudi- der Bundesländer im Bereich der TdL, 2022 eine Nullrunde ins Haus. Der DGB en zu Post- oder Long-Covid in Zusam- der Hessen seit 2004 nicht mehr ange- Hessen-Thüringen fordert deshalb, die menhang mit Infektionen mit der Del- hört, unterscheidet sich vom Tarifab- Erhöhung vorzuziehen. Dies gilt noch tavariante gibt. Auch der LEB forderte schluss in Hessen: Die höheren Coro- mehr für die Pensionärinnen und Pen- zusätzlich zu den Schnelltests regelmä- na-Sonderzahlungen (1.300 statt 1.000 sionäre in Thüringen, da im Bereich des ßige, deutlich genauere PCR-Lolli-Tests Euro) werden durch vier zusätzliche Tarifvertrags der Länder die Tariferhö- im Poolverfahren. Die Ausstattung der Nullmonate „erkauft“. Da es bei einer hung erst zum 1.12.2022 in Kraft tritt. Klassenräume mit mobilen oder fest in- um vier Monate längeren Laufzeit ins- Der DGB-Vorsitzende für Hessen-Thü- stallierten Luftftilteranlagen dürfe nicht gesamt 4,0 % mehr Gehalt gibt (TVL: ringen Michael Rudolph erklärte, dass in das Belieben der Schulträger gestellt 2,8 %) ergibt sich für die hessischen Preissteigerungen und Inflation „auch werden. Den Lippenbekenntnissen zur Beschäftigten mit Blick auf die nächs- vor den Kolleginnen und Kollegen im Priorisierung der Kinder müssten „end- te Tarifrunde ein Plus. Ruhestand nicht Halt machen“. lich Taten folgen“.
LANDESPOLITIK zum Inhaltsverzeichnis HLZ 1–2/2022 6 Haushaltsgespräche im Landtag Die Corona-Krise hat auch in den hes- • Das Löwenstark-Programm zur bau der Mitbestimmung. Überraschung sischen Landeshaushalt große Löcher Bewältigung der Folgen der Pande- löste unsere Information aus, dass vie- gerissen. Der Plan der Landesregierung, mie muss dringend aufgestockt und le Lehrkräfte nach dem Zweiten Staats mit einem kreditfinanzierten Sonder- mit Blick auf das nächste Haushalts- examen zunächst in die Arbeitslosigkeit vermögen in Höhe von 12 Milliarden jahr verstetigt werden. entlassen werden und bis zur Einstel- Euro den zu befürchtenden Steuerrück- • Im Bereich der Digitalisierung muss lung kurz vor Ende der Sommerferien gang aufzufangen, ist durch ein Ur- der Mangel an IT-Fachpersonal ange- keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld teil des Staatsgerichtshofes gescheitert gangen werden. Außerdem fordert die und Arbeitgeberbeiträge zur Kranken- (HLZ 12/2021). Um zu verhindern, dass GEW ein Rahmenkonzept, das es Schu- versicherung haben. es im Bildungsbereich zu Einsparungen len und Schulträgern erleichtert, auf • In den hessischen Hochschulen ha- kommt, und gleichzeitig unsere Forde- vom Land bereitgestellte Mittel zurück- ben wir in den Gesprächen mit den rungen nach mehr Investitionen in gute greifen zu können. Fraktionen einmal mehr auf die skan- Lern- und Arbeitsbedingungen zu un- dalös hohe Befristungsquote von 90 % termauern, führt auch die GEW im Rah- Was uns (besonders) wichtig ist... des wissenschaftlichen Personals hin- men des DGB Gespräche mit den Land- Vordringlichstes Problem an den Schu- gewiesen. Wir brauchen mehr Dauer- tagsfraktionen von CDU, Grünen, SPD, len ist die Arbeitsbelastung. Die GEW stellen für Daueraufgaben. Damit auch FDP und Linken zum Landeshaushalt bezog sich auf die Studie zur Arbeits- Beschäftigten, die aus Drittmitteln fi- 2022. In den unterschiedlichen Runden, zeit und Arbeitsbelastung an Frank- nanziert werden, eine „Corona-Verlän- die sich im Verlauf der Beratungen in furter Schulen, um Politikerinnen und gerung“ ermöglicht werden kann, sind den digitalen Raum verlagerten, wurde Politikern, die sich nicht primär mit Bil- Sondermittel des Landes notwendig. die GEW durch den Landesvorsitzenden dungsfragen befassen, die Dimension Um mobiles Arbeiten auch längerfristig Thilo Hartmann und die stellvertreten- des Problems zu verdeutlichen und die zu ermöglichen, müssen Mittel für die den Landesvorsitzenden Simone Claar notwendigen Maßnahmen zu begrün- Ausstattung häuslicher Arbeitsplätze und Heike Ackermann vertreten. Dabei den. Vorrang hat die Senkung der zu- bereitgestellt werden, ebenso ein aus- rückte die GEW die folgenden Themen sätzlich zum Unterricht zu erledigenden reichender IT-Support für Hochschul- in den Mittelpunkt: Dienstpflichten: Keine neue Aufgabe beschäftigte und Studierende. • Für den Kitabereich fordert die GEW ohne angemessene Entlastung! Dazu als Sofortmaßnahmen die Ausstattung fordert die GEW den Einsatz von Schul- Gute Bedingungen für Bildung mit Luftfiltergeräten, ein verbindliches gesundheitskräften und zusätzliches Die GEW wird diese Gespräche auch Testkonzept auch für die Kinder und administratives Personal sowie den nach Abschluss der Beratungen über die finanzielle Unterstützung der Trä- Ausbau des UBUS-Programms. den Haushalt 2022 fortsetzen. Aber ger aufgrund erhöhter Kosten für Rei- • Der Lehrkräftemangel muss durch nicht nur bei den Fraktionen in Wies- nigung und Anschaffung von Masken. eine Aufstockung der Studienplät- baden, sondern auch in der Öffentlich- • Luftfiltergeräte müssen auch im ze und Referendariatsplätze angegan- keit gilt es mit Beispielen aus der Praxis Schulbereich flächendeckend eingesetzt gen werden. Außerdem muss das Land immer wieder aufzuzeigen, wo dringen- werden. Da viele Schulträger blockie- Hessen als Arbeitgeber attraktiver wer- der Handlungsbedarf besteht. ren, sollte die Landesregierung diese den. Dies betrifft A13 für Grundschul- Aufgabe entweder selbst übernehmen lehrkräfte, die Pflichtstundenzahl, die Thilo Hartmann, Simone Claar und oder verbindliche Vorgaben schaffen. Größe der Lerngruppen und den Aus- Heike Ackermann Nina Heidt-Sommer im Landtag Nina Heidt-Sommer, Mitglied des Refe- rats Schule und Bildung im GEW-Lan- desvorstand, im Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer und im Kreis- vorsitzendenteam der GEW Gießen, ist jetzt Landtagsabgeordnete in der Frak- tion der SPD. Der GEW-Landesvorsit- zende Thilo Hartmann gratulierte ihr zu der neuen herausragenden Aufga- be und hofft „auf eine gute Zusam- menarbeit“. Nina Heidt-Sommer rückte für Frank-Tilo Becher in den Landtag nach, der zum Oberbürgermeister von Gießen gewählt wurde. Foto: Hessischer Landtag, Kanzlei, H. Heubel
7 HLZ 1–2/2022 zum Inhaltsverzeichnis TITELTHEMA Demokratie und Menschenrechte „Bildung für Demokratie und Menschenrechte“ ist der Titel Dort kann man sich auch anmelden und tagesaktuell er- eines Schwerpunkts von lea, dem Bildungswerk der GEW fahren, ob die Seminare online oder in Präsenz stattfinden. Hessen, im ersten Halbjahr 2022 und zugleich auch das Schwerpunktthema dieser HLZ. ... ist der Schwerpunkt dieser HLZ Auf den folgenden Seiten dieser HLZ geht es unter anderem Der Schwerpunkt bei lea ... um die folgenden Themen: Die HLZ-Redaktion lud die Referentinnen und Referenten • Diskriminierungskritische Perspektiven in Schule und und Teamerinnen und Teamer der lea-Seminare und lea- Jugendarbeit (S.8 - 9) Workshops ein, ihre Themen auch in der HLZ vorzustellen. • Antiziganismus: Ein Thema für Schule und Unterricht Alle lea-Seminare und lea-Workshops mit dem Fokus (S.10 -11) „Bildung für Demokratie und Menschenrechte“ findet man • Umgang mit Antisemitismus in der Schule (S.12 -13) im lea-Programm in dieser HLZ auf Seite 20 und im Inter- • Geschlechtliche Vielfalt und Bildung (S.14 -15) net unter www.lea-bildung.de > Fokus/Reihe > Bildung für • Argumentationstraining: Zum Umgang mit Parolen in Demokratie und Menschenrechte. der Schule (S.16 -17) Bündnis Demokratiebildung: Die GEW ist dabei Seit zwei Jahren gibt es in Hessen das zivilgesellschaftli- der Demokratiebildung in der Kita, der außerschulischen Ju- che Bündnis „Demokratiebildung nachhaltig gestalten“. Es gendbildung und der Schule begründet wird, und stellte sie hat sich zum Ziel gesetzt, sich innerhalb eines Netzwerks im Frühjahr 2021 auf einer Pressekonferenz vor. über gemeinsame Themen auszutauschen, das Anliegen in Das Bündnis will diese Arbeit mit den Schwerpunkten der Öffentlichkeit bekanntzumachen und als Lobby für De- Kinderrechte, Öffentlichkeitsarbeit und Einflussnahme auf mokratiebildung zu wirken. Die Initiative zur Gründung des die Politik fortsetzen und bestätigen. Zu den aktuellen The- Netzwerks ging vom Landesverband Hessen der Deutschen men gehören das Hessische Lehrkräftebildungsgesetz, ein Gesellschaft für Demokratiepädagogik (DeGeDe), dem Verein mögliches Demokratiefördergesetz und die Stärkung der po- „Makista - Bildung für Kinderrechte und Demokratie“ und litischen Bildung. der Sportjugend Hessen aus. Nach einigen Vortreffen wurde Helmolt Rademacher das Bündnis am 20. November 2019 – dem Tag der Kinder- Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik, LV Hessen rechte – in Wetzlar gegründet. Zu den 26 Gründungsmitglie- dern zählen neben den drei Initiatoren auch die GEW Hessen, die Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte, Arolsen Ar- Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage chives, das DGB-Bildungswerk, die Evangelische Akademie q.rage ist die Zeitschrift des Projekts Schule ohne Rassis- Frankfurt, die Diakonie Hessen, der Verband deutscher Sin- mus – Schule mit Courage. Der Verein Aktion Courage wur- ti und Roma und der DGB Hessen-Thüringen. Später schlos- de 1992 als eine Antwort auf den gewalttätigen Rassismus sen sich auch die Bildungsstätte Anne Frank, die Ombuds- von Mölln, Solingen, Hoyerswerda und Rostock gegrün- stelle für Kinder- und Jugendrechte, der Elternbund Hessen det. Inzwischen haben sich bundesweit rund 3.600 Schulen und die Kurdische Gemeinde an. Momentan hat das Bünd- durch Beschlüsse der Schulgemeinden verpflichtet, nach- nis über 40 Mitglieder. Weitere Details finden sich auf der haltig für die Gleichwertigkeit al- Homepage von Makista (www.makista.de). ler Menschen und gegen jede Form Zu den Hauptaktivitäten gehörten bisher der Austausch von Diskriminierung einzutreten. von Informationen und Aktivitäten rund um das Thema Kin- Schwerpunkt der aktuellen derrechte. Die HLZ 1-2/2021 berichtete ausführlich über die q.rage ist das Thema Mobbing. Spendenläufe für Kinderrechte, die Forderung „Kinderrech- Junge Autorinnen und Autoren te ins Grundgesetz“ und die Aktionen der hessischen Kin- befassen sich mit Rassismuserfah- der- und Jugendrechtsbeauftragten Miriam Zeleke, die das rungen, Intersexualität und BIPoC- Bündnis tatkräftig unterstützt. Eine zweite Arbeitsgruppe Literatur. Die Zeitung und andere entwickelte und organisierte eine zwölfteilige Multiplikato- Materialien von Schule ohne Ras- renschulung, die noch bis Mai 2022 dauert (https://www.lea- sismus kann man im Internet her- bildung.de > Fokus/Reihe > Demokratie lernen lernen), und unterladen oder bestellen (https:// stieß ein lokales Demokratiebündnis in Kriftel an. www.schule-ohne-rassismus.org > Die Veranstaltungen finden mit Hilfe und in der Verant- Materialien). wortung der Bündnispartner statt, großzügige organisatori- • Die hessische Landeskoordinatorin sche Unterstützung leistet die Evangelische Akademie. Die von Schule ohne Rassismus ist Sabri- Arbeitsgruppe „Öffentlichkeitsarbeit“ verfasste die gemein- na Becker von der Bildungsstätte Anne same Stellungnahme „Kein Stillstand für die Demokratie- Frank (Tel. 069-56000-256, sbecker@ bildung in Hessen und anderswo“, in der die Notwendigkeit bs-anne-frank.de).
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 1–2/2022 8 Empowerment und Powersharing Diskriminierungskritische Perspektiven in Bildungseinrichtungen „Wir sind alle gleich viel wert und haben die gleichen Chan- weiligen Diskriminierungsform betroffen sind. Sowohl nega- cen.“ Dieses Ideal ist leider weit entfernt von der Realität. Bereits tiv von Rassismus betroffene Kinder als auch weiße Kinder Kinder erleben und erlernen diskriminierendes Wissen und Ver- brauchen beispielsweise Wissen über Rassismus und Strate- halten, abhängig von ihrer eigenen Position und ihren sozialen gien im Umgang mit Rassismus, wobei die Erfahrungen und Zugehörigkeiten innerhalb der gesellschaftlichen Ungleichheits- Strategien unterschiedlich sind. Als pädagogische Fachkräfte verhältnisse. Zahlreiche Studien belegen, wie stark sich histo- in Bildungseinrichtungen und Sozialer Arbeit sind wir selbst risch gewachsene Machtstrukturen auf die psychische und phy- in die gesellschaftlichen Diskriminierungsverhältnisse ver- sische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen auswirken. strickt, entweder indem wir selbst negativ betroffen sind oder Nicht alle Kinder und Jugendliche haben den gleichen Zu- indem wir von den Verhältnissen in einer privilegierten Posi- gang zu den notwendigen gesellschaftlichen Ressourcen, „um tion profitieren. Ein professionelles Selbstverständnis schließt einen positiven Selbst- und Weltbezug aufzubauen und sta- folglich eine kritische Reflexion der Position(en) der Kinder bil zu halten“ (1). So erleben zum Beispiel queere Jugendli- und Jugendlichen sowie der eigenen mit ein. che Diskriminierung und Ausgrenzung in Schulen und Frei- Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus, Queer- zeiteinrichtungen sowohl durch andere Jugendliche als auch feindlichkeit, Klassismus, Ableismus, Dick_Fettfeindlichkeit durch Lehrkräfte. Diskriminierungserfahrungen lösen Stress und viele andere bestimmen, wie sich Menschen in der Ge- aus und können sich auf die Schulleistungen auswirken – mit sellschaft bewegen können, welche Erfahrungen sie ma- negativen Konsequenzen für den weiteren beruflichen Weg. chen und welche Möglichkeiten sie haben. Dabei können Auch Rassismus wirkt sich auf die schulischen Bildungsver- sich verschiedene Dimensionen, die Ungleichheit generie- läufe aus, wie die „Max-und-Murat-Studie“ von Meike Bo- ren, überschneiden. Der Fachbegriff der Intersektionali- nefeld und Oliver Dickhäuser aufzeigt. Danach wurden fik- tät (Überschneidung) wurde in den 1970er Jahren von der tive Diktate von Murat signifikant schlechter bewertet als Schwarzen US-amerikanischen Juristin Kimberlè Crenshaw gleich gute oder schlechte Diktate von Max (2). geprägt. Seine Wurzeln hat er in der Erfahrung der Schwar- zen Frauenbewegung, innerhalb des weißen Mainstream- Feminismus marginalisiert und ausgeschlossen zu werden. Diskriminierungskritik als Teil der Profession Macht darf vor dem Hintergrund der Komplexität von Wir dürfen uns als pädagogische Fachkräfte somit nicht zu- multiplen Zugehörigkeiten nicht dichotom verstanden wer- rücklehnen. Stattdessen sollten wir Diskriminierungskri- den: Wir sind als Personen immer mehrfach sozial positio- tik ganz bewusst als grundlegende Perspektive unseres pro- niert, zum Beispiel weiblich, cis-geschlechtlich, akademisch, fessionellen Selbstverständnisses verstehen, um Kinder und migrantisch, weiß, nicht-behindert, lesbisch usw. und des- Jugendliche vor Diskriminierungserfahrungen möglichst zu halb selten „nur machtstark“ oder „nur machtschwach“. Aus schützen. Gleichzeitig ist es im Sinne von demokratischer dieser Perspektive sind Kinder und Jugendliche, aber auch Bildung wichtig, Kinder und Jugendliche dahingehend zu Pädagog:innen unterschiedlich verletzungsmächtig und vul- stärken, dass sie Diskriminierung erkennen und einen Um- nerabel. Deshalb sollten wir pädagogisch wahrnehmen, re- gang damit entwickeln können. Das gilt unabhängig davon, flektieren und berücksichtigen, wer über welche Privilegien ob Kinder und Jugendliche negativ oder positiv von der je- verfügt und wer welche Diskriminierungserfahrungen macht. Zur antirassistischen Begleitung Diskriminierungskritik und pädagogische Praxis von Kindern empfehlen Ioanna Menhard und Mirjam Tutzer ein Daraus folgen für pädagogische Fachkräfte orientierende, neues Buch aus dem Verlag Fami- selbstreflexive und selbstkritische Fragen: ly Faces „Wie erkläre ich Kindern • Wen habe ich im Blick und auf welche Weise, wen nicht Rassismus? Rassismussensible Be- gleitung und Empowerment von und warum? klein auf“. Josephine Apraku zeigt • Welche Konsequenzen haben gesellschaftliche Macht- dort, was es braucht, „um BIPoC- und Herrschaftsverhältnisse für die Kinder und Jugendli- Kinder zu empowern und weiße chen, mit denen ich arbeite? Kinder zu sensibilisieren und wie • Welches Wissen habe ich über Diskriminierungsformen wir gemeinsam solidarisch gegen und wo sollte ich mich weiterbilden? Rassismus vorgehen können“. Im selben Verlag erschien jetzt • Wie wirken sich meine sozialen Positionierungen auf mei- auch das Buch „Mädchen, Junge, ne Arbeitsbedingungen, meine pädagogische Rolle und in Kind. Geschlechtersensible Beglei- den jeweiligen pädagogischen Settings aus? tung und Empowerment von klein • Wie kann ich aus einer privilegierten und institutionel- auf“ von Daniela Thörner. Weite- len Position heraus Soziale Arbeit und Bildung so konzi- re Informationen und Bestellmög- pieren und gestalten, dass diese Ungleichheitsverhältnisse lichkeit: https://familyfaces.de berücksichtigt werden?
9 HLZ 1–2/2022 zum Inhaltsverzeichnis DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE fern Menschen und Institutionen in privilegierten Struktu- Das Konzept des Empowerment-Hauses ren nicht bereit sind, Machtpositionen anzufragen, neu aus- Das Konzept des Empowerment-Hauses von Nkechi Ma- zuhandeln und auch aufzugeben?“ (6) dubuko bietet die Möglichkeit, pädagogische Praxis in Be- Empowerment und Powersharing unter emanzipatorisch- zug auf Rassismus zu reflektieren und zu gestalten (3). Sie pädagogischer Perspektive zusammen zu denken, bedeu- zeigt auf den drei Ebenen des Empowerment-Hauses, wie tet vor allem, die eigene institutionelle Handlungsmacht zu pädagogische Fachkräfte je nach eigener Positionierung fokussieren und konkrete Veränderungen anzustreben. So Kinder und Jugendliche rassismuskritisch stärken und un- können Pädagogik und Soziale Arbeit machtkritische und terstützen können: transformative Bildungspraxis gestalten und zu mehr Ge- • Die pädagogische Haltungs- und Wissenskompetenz, eine rechtigkeit beitragen. menschenrechtliche, rassismuskritische Haltung und eine Ioanna Menhard und Mirjam Tutzer entsprechende Sprache bilden das Fundament. Durch die Ioanna Menhard ist Diplompädagogin und in der Jugendbildung Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden und Jugendarbeit als Referentin sowie als Lehrbeauftragte in der soll versucht werden, Ungleichheiten auszugleichen. Nur Hochschullehre tätig. Sie beschäftigt sich theoretisch und praktisch ein Wissen über Rassismus und Diskriminierung ermöglicht mit Fragen einer emanzipatorischen, differenzsensiblen und diskri- es, vielfältige Identitäten mitzudenken und mit Erfahrungen minierungskritischen Sozial- und Bildungsarbeit. Mirjam Tutzer und Vorfällen adäquat umzugehen. ist Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt feministischer • Die Verhaltenskompetenz bildet die Basis-Ebene: Dazu postkolonialer Theorie und Rassismuskritik. Sie arbeitet in der po- gehören die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Schutz vor litischen Bildungsarbeit, u.a. als Mitglied von frankfurt postkolonial. Diskriminierung, die Reflexion von eigenen Vorurteilen und (1) Maisha Maureen Auma (2019): Vulnerable Jugendliche zwischen Stereotypen, die Darstellung verschiedener Lebensrealitäten, Anerkennung und Dehumanisierung. In: Sebastian Seng, Nora War- ein sensibler, diskriminierungskritischer Sprachgebrauch, die rach (Hg.): Rassismuskritische Öffnung. Herausforderungen und Chan- Haltung und das Vorleben von Wertschätzung. Pädagogische cen für die rassismuskritische Öffnung der Jugend(verbands)arbeit Fachkräfte sind Vorbilder und prägen entscheidend, wie Kin- und Organisationsentwicklung in der Migrationsgesellschaft. IDA der und Jugendliche sich selbst wahrnehmen. Eine Umge- e.V. S. 43. bung, in der alle akzeptiert und angenommen werden, wie (2) Meike Bonefeld, Oliver Dickhäuser (2018): (Biased) Grading of Stu- sie sind, und die dies im Verhalten und Umgang miteinan- dents’ Performance: Students’ Names, Performance Level, and Implicit der spiegelt, ist sehr stärkend. Das Ziel ist die Schaffung ei- Attitudes. In: Frontiers in Psychology, Volume 9, Article 481, S. 1-13. nes diskriminierungskritischen Umfelds, von dem alle Kin- (3) Nkechi Madubuko (2021): Praxishandbuch Empowerment. Ras- sismuserfahrungen von Kindern und Jugendlichen begegnen. Beltz der und Jugendlichen profitieren. Juventa. S.145 ff. • Die Spitze des Hauses bilden Empowerment-Schutzräu- (4) Gabriele Rosenstreich (2020): Empowerment und Powersharing me, sogenannte Safer Spaces. Während die beiden unteren unter intersektionaler Perspektive. In: Birgit Jagusch, Yasmine Che- Ebenen des Empowerment-Hauses von allen pädagogischen hata (Hg.): Empowerment und Powersharing. Ankerpunkte – Posi- Fachkräften unabhängig von ihrer eigenen sozialen Positio- tionierungen – Arenen. Beltz Juventa, S. 229. nierung gestaltet werden, können die Safer Spaces nur von (5) Nkechi Madubuko: a.a.O, S.130. Personen gestaltet werden, die Wissen zu Empowerment und (6) Yasmine Chehata, Birgit Jagusch (2020): Vortext: „Wenn Wissen einen eigenen biografischen Zugang zum Thema mitbringen. und Diskurs persönlich wird und werden sollte“. In: dieselben (Hg.): Madubuko stellt diese drei Ebenen des Empowerment- Empowerment und Powersharing. Beltz Juventa, S. 9-17. Hauses explizit mit dem Fokus auf Rassismus vor und be- zieht sich auf das Empowerment von Schwarzen und PoC- Unser Seminar bei lea (S8893) Kindern und Jugendlichen. Sie lassen sich jedoch auf andere Diskriminierungsformen gewinnbringend übertragen, um pä- Kinder und Jugendliche diskriminierungskritisch stärken In der Gesellschaft bestehen Macht- und Ungleichheitsver- dagogische Prozesse machtkritisch und mit intersektionalem hältnisse, die sich im Leben von Kindern und Jugendlichen Anspruch zu gestalten. widerspiegeln und auch für den pädagogischen Alltag von Bedeutung sind. Im Workshop werden wir die (Aus-)Wir- Empowerment und Powersharing kungen dieser Macht- und Ungleichheitsverhältnisse in pä- dagogischen Kontexten kritisch in den Blick nehmen. Wir Empowerment kann als der Prozess verstanden werden, in werden uns mit relevanten Begriffen und Konzepten für dem minorisierte oder machtschwache Personen auf der eine emanzipatorische pädagogische Praxis auseinander- Grundlage von Selbstdefinition und Selbstbestimmung zu ei- setzen. Dazu zählen Intersektionalität (Verwobenheit von ner Ausweitung ihres Machtzugangs und damit ihrer Hand- sozialen Zugehörigkeiten und Diskriminierungen), Empo- lungsspielräume gelangen (4). Empowerment setzt zwar auf werment (Stärkung) und Powersharing (Teilen von Macht). der individuellen Erfahrungs- und Gefühlsebene an, hat aber Wir arbeiten mit theoretischen Impulsen, Fallbeispielen und das Ziel, die kollektive und politische Dimension dieser Erfah- Übungen aus dem Anti-Bias-Ansatz. Ziel der Veranstaltung rungen in den Blick zu nehmen und zu einer „Veränderung ist es, gemeinsam über solidarische und emanzipatorische dieser kollektiven Abwertungs- und Ausgrenzungsprozes- pädagogische Handlungsperspektiven nachzudenken und se und Sichtbarmachung eigener Ziele als Kollektiv auf ver- konkrete Schritte für die jeweils eigene pädagogische Pra- schiedenen sozialen und politischen Ebenen“ beizutragen (5). xis zu entwickeln. Yasmine Chehata und Birgit Jagusch verstehen in diesem • Seminarleitung: Mirjam Tutzer und Ioanna Menhard Zusammenhang Powersharing als „die andere Seite“ des Em- • Ort und Zeit: Online-Seminar, 28.2.2022, 9-16 Uhr powerments: „Was nützt das Empowerment von Individuen, • Informationen und Anmeldung: wenn die Kraft der Veränderung individualisiert wird? Was www.lea-bildung.de >Suche: S8893 nützt die Ermächtigung von Gruppen und Communities, so-
TITELTHEMA zum Inhaltsverzeichnis HLZ 1–2/2022 10 Recht auf Bildung und Partizipation Zur Bildungssituation von Sinti und Roma in Deutschland „Ich wurde in der Schule fast nicht wahrgenommen. Ich bin Das mehrgliedrige Schulsystem stellt bereits frühzeitig in die Schule gekommen und konnte lesen und schreiben. die Weichen für die weiteren Bildungs- und Arbeitsmarkt- Aber die Frau hat mich so ignoriert, ich wusste nicht einmal, zugänge, die hohe Selektivität und die geringen Chancen für was plus und minus ist“, erzählt Verena im Interview mit dem Bildungsaufstiege stehen seit langem in der Kritik. Wer im Hessischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma über deutschen Bildungssystem nicht auf familiäre Ressourcen wie ihre Schulzeit. Und die junge Joane berichtet: „Ich wurde eine gute Ausbildung der Eltern zurückgreifen kann, hat es schon in der ersten Klasse als ‚Scheiß Zigeuner‘ beleidigt.“ statistisch nachgewiesenermaßen selbst schwerer, Bildungs- Seit 2018 sind die Kinderrechte und damit das Recht auf erfolge zu erzielen. An dieser Stelle machen sich im Falle Bildung in der Hessischen Landesverfassung verankert. Die der Angehörigen der Minderheit auch die Nachwirkungen Aufnahme ins Grundgesetz ist in diesem Jahr erneut geschei- der NS-Verfolgung und des jahrhundertelangen Bildungs- tert. Joanes und Verenas Erzählungen machen deutlich, dass ausschlusses bis heute bemerkbar. das Recht auf Zugang zu Schule allein nicht zwangsweise In der Zeit des Nationalsozialismus wurde eine ganze Ge- gleichberechtigte Bildungschancen ermöglicht. neration von Sinti und Roma vom Schulbesuch und damit von einer formalen Schulbildung ausgeschlossen. Ab Ende der 1930er Jahre konnten Sinti des Unterrichtes verwiesen Faktoren des Ausschlusses werden und seit 1941 waren sie komplett vom Schulunter- Die aktuelle RomnoKher-Studie „Ungleiche Teilhabe“ zur richt ausgeschlossen. Die meisten Sinti und Roma wurden Lage der Sinti und Roma in Deutschland zeigt, dass sich die danach mit ihren Familien in Konzentrationslager depor- Bildungssituation für Sinti und Roma gegenüber der Erhe- tiert. Dieser historische Bildungsausschluss zusammen mit bung von 2011 deutlich verbessert hat, auch im generationa- einer hohen Traumatisierung der Überlebenden hat zur Fol- len Vergleich. In Relation zur Mehrheitsgesellschaft wird die ge, dass sich die intergenerationale Weitergabe und schuli- Benachteiligung aber nach wie vor deutlich. Während in der sche Unterstützung in vielen Familien als strukturelle Her- Altersgruppe der 26- bis 50-Jährigen 23,9 % keinen Schulab- ausforderung darstellt. schluss erwerben konnten, betrug dieser Wert in der Kohorte Gleichzeitig wird es sowohl Sinti- als auch Roma-Fami- der 18- bis 25-Jährigen lediglich noch 14,9 %. Das sind aber lien unabhängig von ihrer konkreten Situation häufig pau- weiterhin mehr als doppelt so viele wie in der Gesamtbevöl- schal nicht zugetraut, ihre Kinder ausreichend unterstützen kerung. Der Anteil der Förderschüler:innen sank von 10,4 % zu können, was immer wieder auch als Grund gegen eine auf 5,9 % und der Anteil der Befragten, die ein Gymnasi- Gymnasialempfehlung genannt wird. Aus diesen frühen Ein- um besuchten, stieg von 7,7 % auf 15,6 %. Zum Vergleich: gruppierungen in Schulsysteme und dem fehlenden Zutrauen Im bundesdeutschen Durchschnitt besuchen 40 % eines Al- kommen die Jugendlichen später nur schwer wieder heraus. tersjahrgangs ein Gymnasium. Als ein weiteres Zeichen die- Eine weitere große Bildungshürde stellt der gesellschaft- ser positiven Entwicklung deuten wir die Gründung des Stu- lich nach wie vor stark verankerte Antiziganismus dar. In dierendenverbands Deutscher Sinti und Roma Anfang 2021. der RomnoKher-Studie berichten über 60 % der Befragten von Diskriminierungserfahrungen im Kontext Schule, 53,8% gaben an, dass es dabei auch zu Gewalt gekommen sei. Sie RomnoKher-Studie 2021: werden „aufgrund ihres ethnischen Hintergrundes als Sinti Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti oder Roma beleidigt“ oder angefeindet, wobei die Diskrimi- und Roma in Deutschland. Herausge- nierung zumeist von Mitschüler:innen ausgeht, doch schon geben von Daniel Strauß. Mannheim: an zweiter Stelle stehen die Lehrkräfte. 19,2 % der Befrag- RomnoKher 2021 ten nehmen vor diesem Hintergrund die Schule teilweise als Der Band enthält Beitrage zum „feindlichen Ort“ wahr. Thema Antiziganismus und Bildungs- geschichte, zu Strategien zur Verbes- serung der Bildungssituation, zur Bil- Bildung als Recht auf Empowerment dungssituation von Sinti und Roma im Auch die Sozialberatung des Landesverbandes der Sinti und internationalen Vergleich und zur Ar- Roma in Hessen kennt viele Fälle, die diese Ergebnisse bestä- beit der Hildegard Lagrenne Stiftung. tigen. Immer wieder werden uns Erfahrungen von Eltern und Das Titelbild zeigt einen Blick in ihrer Kinder geschildert, wonach antiziganistische Vorurtei- das Kulturhaus RomnoKher in Mann- le und Ressentiments dazu führen, dass eine vertrauensvolle heim. Es befindet sich in den Räumen und konstruktive Zusammenarbeit erschwert bis verunmög- des Landesverbands Baden-Württem- licht wird. Nicht zuletzt ist es oftmals das fehlende kritische berg des Verbands Deutscher Sinti Bewusstsein der Schule als einer machtvollen Institution, und Roma. Das RomnoKher ist Ort das verhindert, dass Schüler:innen erfolgreich und angstfrei für Kulturveranstaltungen, Vorträge, an Bildung partizipieren können. Das gilt umso mehr, wenn Ausstellungen und Begegnung. Schule selbst der Ort von Antiziganismus ist.
11 HLZ 1–2/2022 zum Inhaltsverzeichnis DEMOKRATIE UND MENSCHENRECHTE Für eine Verbesserung dieser Situation ist es von Bedeu- tung, dass Bildungsinstitutionen Diskriminierung als alltägli- che Struktur begreifen, die sich in alltäglichem Handeln und unterbewussten Praxen ausdrücken kann. Für den eigenen Anspruch, eine „Schule ohne (oder mit weniger) Rassismus“ zu sein, sind sensibilisierende Workshops lediglich ein Anfang. Viel wichtiger ist eine umfassende Sensibilität für diskri- minierende Strukturen und eine Offenheit, sich der eigenen (unbewussten) Involviertheit als Institution oder Einzelper- son anzunehmen. Hierzu müssten die Themen Antiziganis- mus und Diskriminierung auch stärker in die Aus- und Fort- bildung von Lehrkräften integriert werden. Bildungsbiografien sichtbar machen Genauso notwendig ist es, die Minderheit zu fördern und er- Rinaldo Strauß, Geschäftsführer des Landesverbands der Sinti und folgreiche Bildungsbiographien der Minderheit sichtbar zu Roma, präsentierte die Ausstellung „Der Weg der Sinti und Roma“ machen. Hierbei sind die 2011 aus der Minderheit heraus ge- im Rahmen der Eberstädter Schulprojekttage. Unter Corona-Bedin- gungen entstand auch eine Online-Version: In einem fünfminütigen gründete Hildegard Lagrenne Stiftung oder auch der 2021 Video erhält man einen Überblick über die Geschichte der Sinti und gegründete Studierendenverband von Sinti und Roma posi- Roma in Deutschland, über Diskriminierung und Verfolgung, aber tiv hervorzuheben. auch über die beginnende Anerkennung als nationale Minderheit Bundesländer wie Baden-Württemberg und Schleswig- (https://sinti-roma-hessen.de/2021/01/neue-onlineausstellung). Die Holstein besitzen zudem gute Erfahrungen mit sogenannten Ausstellung kann auch beim Landesverband ausgeliehen werden. „Bildungsberater:innen“, die aus der Minderheit kommen und mit ihren (eigenen) Bildungsbiographien als Vorbilder für die response. Beratung für Betroffene von rechter, Jugendlichen wirken, diese unterstützen und gleichzeitig eine vermittelnde Rolle zwischen den Schüler:innen, ihren Famili- rassistischer und antisemitischer Gewalt en und der Schule übernehmen. Es wäre sinnvoll, solche Pro- response. ist ein Angebot der Bildungsstätte Anne Frank jekte bundesweit auszubauen. zur Unterstützung von Menschen, die von rechtsextremer, „Die Förderung von Nichtdiskriminierung, Partizipation, rassistischer, antisemitischer, antimuslimischer oder antizi- Empowerment und Solidarität sind elementare Bestandteile ganistischer Gewalt betroffen sind. Dabei ist es unwichtig, der Menschenrechtsbildung“, heißt es in einer Erklärung des ob eine Anzeige erstattet wurde und die Vorfälle strafrecht- Instituts für Menschenrechte. Auch die UNO versteht Bildung lich verfolgt werden oder nicht. response. berät unabhängig, als ein Recht auf „Empowerment“, das den Beteiligten die vertraulich, kostenfrei und auf Wunsch anonym. Möglichkeit gibt, an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen „Unter Gewalt verstehen wir: Beleidigung und Beschimp- Prozessen gleichberechtigt teilzunehmen. Die Verbesserung fung, Stigmatisierung, Bedrohungen, Körperverletzung, Sach- der gesellschaftlichen Situation von Sinti und Roma ist somit beschädigung und andere Erfahrungen, die als gewalttätig er- untrennbar an eine gleichberechtigtere Bildungsteilhabe ge- lebt werden.“ knüpft. Hier gibt es bereits wichtige Ansätze, dennoch müs- Das Team von response. informiert und vermittelt, es unter- sen die bestehenden Konzepte zur Förderung der Minderheit stützt Angehörige und Freund:innen von Betroffenen und einerseits und solche zur (selbst)kritischen Auseinanderset- vernetzt Menschen, die sich solidarisieren und die Perspek- zung mit Antiziganismus in Bildungsinstitutionen und Gesell- tiven von Betroffenen ernst nehmen. schaft andererseits ausgebaut und institutionalisiert werden. • im Internet: response-hessen.de, Tel. 069-56000-241 Ina Hammel, Christine Kone, Dr. Katharina Rhein • E-Mail: kontakt@response-hessen.de Ina Hammel (Foto links), Dr. Katharina Rhein (Foto rechts) und Christine Kone (ohne Bild) sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen Unser Seminar bei lea (D8912) des Hessischen Landesverbands Deutscher Sinti und Roma. Der Ver- band wurde in den 1980er Jahre als Selbsthilfeorganisation gegrün- Antiziganismus - Ein Thema für Schule und Unterricht det, die sich für die Verbesserung der Situation von Sinti und Roma Als Beschimpfung auf dem Schulhof, in Social Media oder in Hessen und für eine Aufklärung über das Thema Antiziganismus als Thema im Schulalltag spielt Antiziganismus immer wie- einsetzt. Christine Kone leitet die Sozialberatung, Ina Hammel ist der eine Rolle. Doch was ist Antiziganismus? Welche Rol- schwerpunktmäßig für die politische Bildungsarbeit zuständig und le spielt er in der Geschichte der Sinti und Roma? Welche Dr. Katharina Rhein für die politische Beratung des Verbands. Alle drei lehren auch an hessischen Hochschulen. Auswirkungen hat er bis heute auch auf die Bildungssitu- ation von Sinti und Roma? Solchen und ähnlichen Fragen • Weitere Informationen über die Bildungsarbeit des Verbands, gehen wir mit Vorträgen, Filmen und Übungen nach. Die über Ausstellungen und die Kooperation mit Schulen findet man Fortbildung gibt Anregungen für den Unterricht und be- auf der Internetseite https://sinti-roma-hessen.de. fasst sich anhand von Fallbeispielen damit, wie man mit Antiziganismus an Schulen umgehen kann. Der Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung aus dem Blog des • Leitung: Ina Hammel, Dr. Katharina Rhein gemeinnützigen Vereins Makista übernommen, der sich seit 2000 • Ort und Zeit: Frankfurt, 24.3.2022, 10-17 Uhr für die Verwirklichung der Kinderrechte in Schulen und anderen • Informationen und Anmeldung: Bildungseinrichtungen einsetzt. Weitere Informationen: https:// www.lea-bildung.de>Suche: D8912 www.makista.de
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